10.051 Botschaft zur Änderung des Bundesgesetzes über das öffentliche Beschaffungswesen (Aufschiebende Wirkung von Beschwerden) vom 19. Mai 2010

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrte Frau Ständeratspräsidentin Sehr geehrte Damen und Herren Wir unterbreiten Ihnen hiermit Botschaft und Entwurf zu einer Änderung des Bundesgesetzes über das öffentliche Beschaffungswesen mit dem Antrag auf Zustimmung.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrte Frau Ständeratspräsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

19. Mai 2010

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Doris Leuthard Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

2010-0706

4051

Übersicht Die heutige Regelung des Verfahrens im öffentlichen Beschaffungsrechts führt dazu, dass Vorhaben des Bundes stark verzögert und dadurch wirtschaftliche Beschaffungen vereitelt werden können. Mit der Vorlage soll bezüglich wichtiger Projekte eine Beschleunigung erreicht werden.

Ausgangslage Im Mai 2008 hatte der Bundesrat die Vernehmlassung über einen Vorentwurf zur Totalrevision des Bundesgesetzes über das öffentliche Beschaffungswesen (VE-BöB) eröffnet. Nach der Auswertung der eingegangenen Stellungnahmen und wegen der Verzögerungen bei der Revision des Übereinkommens vom 15. April 19941 über das öffentliche Beschaffungswesen (WTO-Übereinkommen; Government Procurement Agreement, GPA), auf welche die Revision des BöB abgestimmt sein muss, entschied sich der Bundesrat am 18. Juni 2009 für folgendes Vorgehen: ­

Die Arbeiten an der Totalrevision werden sistiert, bis Klarheit über die künftige Entwicklung des GPA besteht.

­

Jene Elemente des VE-BöB, die konjunkturpolitisch dringlich sind und auf Verordnungstufe eingeführt werden können, sollen zeitlich vorgezogen werden.

­

Den eidgenössichen Räten soll eine Botschaft für eine Teilrevision der Gesetzgebung über das öffentliche Beschaffungswesen vorgelegt werden, die sich auf Massnahmen zur Beschleunigung des Beschaffungsverfahrens beschränkt.

Die oben erwähnte Botschaft wird hier vorgelegt.

Nach geltendem Recht haben Beschwerden auf dem Gebiet des Beschaffungswesens ­ anders als im übrigen Verwaltungsrecht ­ grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung; die Gerichte können jedoch einer Beschwerde diese Wirkung nachträglich verleihen.

Die Erfahrung hat gezeigt, dass diese Regelung nicht befriedigt:

1

­

Sie kann dazu führen, dass dringliche Beschaffungen durch Prozesse während Jahren blockiert werden.

­

Sie berücksichtigt das Interesse an einer möglichst wirtschaftlichen Verwendung der öffentlichen Gelder zu wenig. Sie nimmt in Kauf, dass dem Bund durch eine Beschwerde ein Verzögerungsschaden entstehen kann, der weit höher ist als die Differenz zwischen dem billigsten und dem teuersten Angebot.

SR 0.632.231.422

4052

Inhalt der Vorlage Mit der neuen Regelung soll die dem Beschaffungsrecht zugrunde liegende Zielsetzung, den wirtschaftlichen Einsatz der öffentlichen Mittel zu fördern, erreicht werden. Dabei ist aber weiterhin ein genügender Rechtsschutz zu gewährleisten.

Konkret wird deshalb mit dieser Vorlage folgende Korrektur des heutigen Verfahrensrechts vorgeschlagen: Beschwerden gegen Verfügungen auf dem Gebiet des öffentlichen Beschaffungswesens sollen ­ wie im übrigen Verwaltungsrecht auch ­ grundsätzlich aufschiebende Wirkung haben, allerdings mit einer gewichtigen Ausnahme: Ist eine Beschaffung nötig, um ein Vorhaben realisieren zu können, das im nationalen Interesse liegt, und erträgt der Vertragsschluss mit der Anbieterin oder dem Anbieter, der den Zuschlag erhalten hat, keinen Aufschub, weil sonst das Projekt nicht rechtzeitig abgeschlossen werden kann, soll die Beschwerde keine aufschiebende Wirkung haben. Die Beschwerdeinstanz soll ihr diese Wirkung auch nicht nachträglich verleihen dürfen. Die Einführung dieser neuen Regelung bedingt eine Änderung des Bundesgesetzes über das öffentliche Beschaffungswesen.

4053

Botschaft 1

Grundzüge der Vorlage

1.1

Ausgangslage

1.1.1

Heutige Regelung des Rechtsschutzes im öffentlichen Beschaffungswesen

Das Bundesgesetz vom 16. Dezember 19942 über das öffentliche Beschaffungswesen (BöB) will (Art. 1): ­

das Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge transparent gestalten;

­

den Wettbewerb unter den Anbieterinnen und Anbietern stärken;

­

den wirtschaftlichen Einsatz der öffentlichen Mittel fördern; und

­

die Gleichbehandlung aller Anbieterinnen und Anbieter gewährleisten.

Die beiden letztgenannten Zielsetzungen stehen in einem Spannungsverhältnis. Je stärker der Rechtsschutz ausgebaut ist, desto grösser ist das Risiko, dass Beschaffungen durch Beschwerden verzögert und dadurch der wirtschaftliche Einsatz der öffentlichen Mittel verhindert wird. Dieses Dilemma war dem Gesetzgeber bereits beim Erlass des BöB bekannt. Er hat deshalb bezüglich der aufschiebenden Wirkung von Beschwerden eine Lösung gewählt, die vom ordentlichen Verwaltungsverfahren abweicht: ­ Die Beschwerde beim Bundesverwaltungs- und beim Bundesgericht gegen eine Zuschlagsverfügung hat keine aufschiebende Wirkung.

­ Das Bundesverwaltungsgericht kann jedoch einer Beschwerde auf Gesuch hin die aufschiebende Wirkung erteilen. Die gleiche Kompetenz hat das Bundesgericht.

Das Bundesgericht hat aus dieser Sonderregelung in einer konstanten Praxis gefolgert, dass die Voraussetzungen für die Gewährung der aufschiebenden Wirkung bei Beschwerden auf dem Gebiet des öffentlichen Beschaffungswesens strenger sind als im übrigen Verwaltungsrecht. Das Gericht konnte sich für diese Auslegung auch auf die Botschaft zum BöB stützen, in welcher der Bundesrat seinen Vorschlag zur Regelung der aufschiebenden Wirkung wie folgt begründet hatte: «Es gibt Gründe für und gegen die Einführung der aufschiebenden Wirkung. Dafür spricht, dass ein rechtswidriger Zuschlag in jedem Fall aufgehoben werden könnte und nicht die Leistung von Schadenersatz im Vordergrund stünde. Dagegen sprechen aber wichtige Praktikabilitätsüberlegungen. Würde einer Beschwerde automatisch Suspensiveffekt zukommen und der Vertragsschluss damit bis zum Entscheid verhindert, so bestünde die Gefahr von Verzögerungen mit erheblichen Mehrkosten bei der Beschaffung. [...] Es wird deshalb in diesem Gesetz darauf verzichtet, der Beschwerde automatisch aufschiebende Wirkung zuzuerkennen»3.

2 3

SR 172.056.1 BBl 1994 IV 1197

4054

Bei der Praxis des Bundesverwaltungsgerichts lassen sich 3 Phasen unterscheiden4: ­

In der ersten Phase übernahm das Gericht die Praxis der früher für Beschwerden auf dem Gebiet des Beschaffungswesens zuständigen Rekurskommission, welche Gesuchen um Erteilung der aufschiebenden Wirkung regelmässig entsprochen hatte.

­

In der zweiten Phase näherte sich die Praxis des Bundesverwaltungsgerichts jener des Bundesgerichts an.

­

In einem Ende 2007 gefällten Entscheid, der eine Beschaffung für die NEAT betraf, hat sich das Bundesverwaltungsgericht erstmals der Auffassung des Bundesgerichts angeschlossen, dass der Gesetzgeber im Beschaffungsrecht nicht bloss zufällig von der Regelung im allgemeinen Verwaltungsrecht abgewichen sei, sondern damit erreichen wollte, dass das Interesse an der raschen und möglichst günstigen Beschaffung in der Abwägung ein starkes Gewicht erhält. Das Gericht kam in diesem Urteil zu folgendem Schluss: «Ainsi donc, force est de constater que l'intérêt public à une exécution aussi rapide que possible de la décision d'adjudication, dont le report pourrait entraîner des frais importants l'emporte sur l'intérêt privé du recourant dont les chances de succès du recours apparaissent aléatoires.» (Entscheid B-5838/2007, einsehbar unter www.bundesverwaltungsgericht.ch)

1.1.2

Die praktische Bedeutung des Entscheides über die aufschiebende Wirkung von Beschwerden im Beschaffungswesen

Hat die Beschwerde gegen die Zuschlagsverfügung keine aufschiebende Wirkung, so darf die mit der Vergabe befasste Behörde mit der Anbieterin oder dem Anbieter, die oder der den Zuschlag erhalten hat, den Vertrag abschliessen. Wird die Beschwerde später vom Gericht als berechtigt beurteilt, erreicht die beschwerdeführende Person damit nicht, dass der bereits abgeschlossene Vertrag aufgelöst und die Evaluation der Offerten wiederholt werden muss. Sie erlangt lediglich einen klagbaren Anspruch gegen den Bund auf Ersatz jener Aufwendungen, die ihr durch die Beteiligung am Vergabeverfahren entstanden sind (Art. 32 ff BöB).

Hat die Beschwerde hingegen aufschiebende Wirkung, so darf die Behörde so lange keinen Vertrag abschliessen, bis das Gericht ­

entweder die Beschwerde als unbegründet beurteilt hat; oder

­

der Beschwerde im weiteren Verlauf des Verfahrens die aufschiebende Wirkung entzieht; der Entzug erfolgt mit einer sog. Zwischenverfügung, die selbstständig anfechtbar sein kann (Art. 32 ff. BöB; Art. 46 des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 19865 über das Verwaltungsverfahren [VwVG]).

Heisst das Gericht die mit aufschiebender Wirkung ausgestattete Beschwerde schliesslich gut, so muss die mit der Vergabe befasste Behörde in der Regel die Evaluation der eingegangenen Offerten (mindestens teilweise) wiederholen und 4

5

Jacques Dubey, La pratique judiciaire depuis 2006; in: Jean-Baptiste Zufferey/ Hubert Stöckli (Hrsg.), Aktuelles Vergaberecht 2008/Marchés Publics 2008, Zürich/Basel/Genf, 2008.

SR 172.021

4055

nochmals verfügen. Diese neue Verfügung unterliegt wiederum der Beschwerdemöglichkeit mit all den vorerwähnten Optionen.

Die unterlege Anbieterin oder der unterlegene Anbieter will mit der Anfechtung der Zuschlagsverfügung in aller Regel nicht bloss die Aufwendungen für die Beteiligung am Vergabeverfahren ersetzt bekommen. Sie oder er will vielmehr primär den Zuschlag oder zumindest eine zweite Chance auf den Zuschlag erhalten. Dieses Ziel kann ­ wie gezeigt ­ nur dann erreicht werden, wenn die Beschwerde die Behörde daran hindert, mit der Empfängerin oder dem Empfänger des Zuschlags den Vertrag abzuschliessen, mithin nur dann, wenn das Gericht der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuspricht. Tatsächlich kommt es im Beschaffungswesen denn auch öfters vor, dass eine beschwerdeführende Person den Prozess von sich aus abbricht, wenn ihr Gesuch um Erteilung der aufschiebenden Wirkung abgewiesen wurde.

1.1.3

Die Probleme, die sich aus der heutigen Regelung ergeben

Die nachfolgende Zusammenfassung zweier Beschaffungsverfahren für den Gotthard-Basistunnel zeigt auf, dass trotz eines gegenüber dem «ordentlichen Verwaltungsverfahren» bereits gestrafften Verfahrens im Beschaffungsrecht die Zielsetzung der Förderung des wirtschaftlichen Einsatzes öffentlicher Mittel oft nicht erreicht werden kann und gerade bei Grossprojekten wegen des Verfahrens nicht nur keine Einsparungen, sondern sogar erhebliche Vermögensschäden resultieren können.

Beispiel 1: Baulos für den Tunnel Erstfeld6

6

­

Mai 2004: Die AlpTransit Gotthard AG (ATG) schreibt die Bauarbeiten für den Tunnel Erstfeld öffentlich aus. Der Auftrag hat ein Volumen von rund 413 Millionen Franken (ohne MWSt).

­

August 2005: Die ATG erteilt Anbieter A den Zuschlag.

­

September 2005: Anbieterin B ficht die Zuschlagsverfügung bei der Rekurskommission für das Beschaffungswesen an und ersucht um Erteilung der aufschiebenden Wirkung. Das Gericht erteilt die aufschiebende Wirkung superprovisorisch.

­

November 2005: Die Rekurskommission heisst das Gesuch um aufschiebende Wirkung gut.

­

Februar 2006: Die Rekurskommission heisst die Beschwerde gut, hebt die Zuschlagsverfügung auf und weist die Sache zur Neubeurteilung an die ATG zurück.

­

Mai 2006: Die ATG erteilt erneut dem Anbieter A den Zuschlag. Anbieterin B ficht auch diesen Entscheid bei der Rekurskommission an und ersucht wiederum um Erteilung der aufschiebenden Wirkung. Die Rekurskommission erteilt der Beschwerde die aufschiebende Wirkung.

«Bericht vom 19. März 2007 der NEAT-Aufsichtsdelegation der eidgenössischen Räte über die Abklärungen ihrer Arbeitsgruppe betreffend der Vorwürfe im Zusammenhang mit der Vergabe des Bauloses 151 (Erstfeld) der AlpTransit Gotthard AG», BBl 2007 3635.

4056

­

September 2006: Die Rekurskommission heisst die Beschwerde teilweise gut, hebt die Zuschlagsverfügung auf und weist die Sache zur Neubeurteilung an die ATG zurück.

­

Oktober 2006: Die NEAT-Aufsichtsdelegation nimmt zur Kenntnis, dass der Bundesrat über keine rechtlichen Möglichkeiten zur Beschleunigung des Vergabeverfahrens für dieses Baulos verfügt. Sie empfiehlt dem Vorsteher des UVEK zu versuchen, zwischen dem Anbieter A und der Anbieterin B zu vermitteln. Der Vorsteher lädt die beiden zu einer Aussprache ein.

­

Februar 2007: Die ATG erteilt dem Anbieter A zum dritten Mal den Zuschlag. Diese dritte Zuschlagsverfügung wird nicht angefochten, sodass die ATG mit dem Anbieter A den Vertrag schliessen kann.

­

April 2007: Beginn der Arbeiten zur Erstellung des Tunnels Erstfeld.

Im Juni 2006 hatte die ATG den bis dahin durch den Prozess verursachten Verzögerungssschaden auf 24,5 Millionen Franken veranschlagt und geschätzt, dass jeder weitere Monat Mehrkosten von 3,5 Millionen Franken verursachen werde7. Das Bundesamt für Verkehr hat diese Schätzungen seinerzeit überprüft und für korrekt befunden: Jeder weitere Prozesstag werde Mehrkosten von rund 100 000 Franken verursachen. Demnach hat der von August 2005 bis Februar 2007 dauernde Prozess das Projekt um rund 50 Millionen Franken verteuert.

Beispiel 2: Los für den Einbau der Bahntechnik im Gotthard-Basistunnel ­

Das Auftragsvolumen beträgt knapp 1,7 Milliarden Franken.

­

Die Zuschlagsverfügung vom 4. Mai 2007 wurde von einem der unterlegenen Anbieterinnen und Anbieter beim Bundesverwaltungsgericht angefochten. Der Beschwerdeführer ersuchte das Gericht gleichzeitig, seiner Beschwerde aufschiebende Wirkung zu erteilen.

­

Am 27. November 2007 ­ mithin gute 6 Monate nach Eingang der Beschwerde ­ wies das Gericht das Gesuch um Erteilung der aufschiebenden Wirkung ab.

­

Im Dezember 2007 konnten sich die ATG und der Beschwerdeführer wie folgt einigen: ­ Der Rekurrent zieht seine Beschwerde zurück.

­ Die ATG bezahlt dem Rekurrenten einen einmaligen Betrag von 1 Million Franken.

Im November 2007 schätzte die ATG, dass jeder weitere Monat, um welchen sich der rechtskräftige Zuschlag verzögern würde, Mehrkosten von 10 Millionen Franken verursachen würde. Durch den Rückzug der Beschwerde konnten laut ATG mögliche Folgekosten von einigen Hundert Millionen Franken abgewendet werden8.

7 8

Ergebnisbericht Nr. 53 der Alp Transit Gotthard zu Handen des Bundesamtes für Verkehr vom 16. Juni 2006.

Medienmitteilung der AlpTransit Gotthard AG vom 7. Dezember 2007.

4057

Beispiel 3: Beschaffung eines neuen Informatiksystems für die Eidgenössische Steuerverwaltung Das Bundesgericht hatte zu beurteilen, ob die Vorinstanz einer Beschwerde gegen die Zuschlagsverfügung, mit welcher eine erneute Ausschreibung verlangt wurde, zu Recht keine aufschiebende Wirkung zuerkannt hatte. Die Vorinstanz hatte in ihrer Urteilsbegründung die Schätzung des Bundesamtes für Bauten und Logistik übernommen, wonach eine neue Ausschreibung einen Verzögerungsschaden von 150­200 Millionen Franken pro Jahr bewirken würde. Das Bundesgericht schützte den Entscheid der Vorinstanz (BGE 134 II 192; E. 2.1 a.E.).

1.1.4

Der Revisionsbedarf

Wie in Ziffer 1.1.2 und 1.1.3 gezeigt wurde, kollidiert im Beschaffungswesen das Interesse der Beschwerdeführenden an einem möglichst weitgehenden Rechtsschutz ­ und damit auch an der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde ­ mit dem öffentlichen Interesse an der raschen und möglichst wirtschaftlichen Realisierung öffentlicher Werke.

Die Abwägung dieser gegenläufigen Interessen bedingt Wertungsentscheide. Das heutige Beschaffungsgesetz überträgt diese Wertungsentscheide vollständig den Gerichten. Es weist sie an, über Gesuche um Erteilung der aufschiebenden Wirkung zu urteilen, und gibt ihnen dafür weder handfeste Kriterien noch auch nur eine allgemeine Richtschnur mit, obschon klar die Absicht bestand, durch das Ausschreibungsverfahren Mehrkosten bei der Beschaffung zu vermeiden resp. sogar Kosten einzusparen. Man glaubte, bereits mit der nicht automatischen Anerkennung der aufschiebenden Wirkung eine wesentliche Beschleunigung der Beschaffungen erreichen zu können.

Die vorstehenden Ausführungen zeigen jedoch die Nachteile dieser «BlankettDelegation» wichtiger Wertungsentscheidungen an die Gerichte deutlich auf: ­

Es wird möglich, dass zwei Beschwerdeinstanzen (oder die gleiche Instanz zu verschiedenen Zeiten) die Interessen ganz unterschiedlich gewichten. Ein wichtiges Ziel der Rechtsprechung wird damit nicht erreicht: die Förderung der Rechtssicherheit.

­

Vor allem aber riskiert der Gesetzgeber, dass sich die Gerichtspraxis in eine Richtung entwickelt, die nicht seinem Willen entspricht, nämlich, dass die Beschaffungen stark verzögert werden.

Dies ist nach Auffassung des Bundesrates bei der praktischen Handhabung der Bestimmungen über die aufschiebende Wirkung von Beschwerden gegen Zuschlagsverfügungen geschehen. Der Bundesrat ist überzeugt, dass es nicht dem Willen des Gesetzgebers entspricht, wenn das Interesse am Rechtsschutz im Beschaffungswesen derart stark gewichtet wird, dass das Interesse, öffentliche Werke wie die NEAT, die dem ganzen Land nützen, fristgerecht und wirtschaftlich realisieren zu können, nicht mehr wahrgenommen werden kann.

Dieser Nachteil ist auch von der NEAT-Aufsichtsdelegation der eidgenössischen Räte (NAD) erkannt worden und hat sie zur Abgabe folgender Empfehlung veranlasst: «Die NAD empfiehlt dem EFD zu prüfen, wie die Erteilung der aufschiebenden Wirkung restriktiver gehandhabt werden kann. Es soll eine Formulierung in das 4058

Gesetz aufgenommen werden, wonach die aufschiebende Wirkung von einer Beschwerdeinstanz nur dann erteilt werden soll, wenn den Interessen eines Beschwerdeführers keine überwiegenden öffentlichen Interessen entgegenstehen.

Solche können nach Auffassung der NAD insbesondere dann vorliegen, wenn durch die Beschwerde hohe Kosten oder Verzögerungen für die Auftraggeberin eintreten oder die Beschwerde eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit zur Folge hat.»9 Es bestehen deshalb in der heutigen Verfahrensregelung im öffentlichen Beschaffungswesen klare Mängel. Die vom Gesetzgeber angestrebte Sicherstellung einer wirtschaftlichen Beschaffung wurde lediglich mit der Umkehr von Regel und Ausnahme bei der aufschiebenden Wirkung. Es ist deshalb Sache des Gesetzgebers, das Verfahren so zu gestalten, dass die Zielsetzung einer wirtschaftlichen Beschaffung durchgesetzt wird.

1.2

Untersuchte Lösungsmöglichkeiten

1.2.1

Anforderungen an den Rechtsschutz

«Jede Person hat bei Rechtsstreitigkeiten Anspruch auf Beurteilung durch eine richterliche Behörde» (Art. 29a der Bundesverfassung BV10). Diese Verfassungsbestimmung garantiert, dass Anbieterinnen und Anbieter, welche den Zuschlag nicht erhalten haben, mindestens ein Gericht anrufen können, welches die Rechtsfragen und den Sachverhalt frei überprüft11. Die Bundesverfassung ermächtigt zwar den Gesetzgeber, von dieser Rechtsweggarantie Ausnahmen zu statuieren, doch hat der Gesetzgeber von dieser Kompetenz auf dem Gebiet des öffentlichen Beschaffungswesens bisher keinen Gebrauch gemacht: Es besteht nach Auffassung des Bundesrates im öffentlichen Beschaffungswesen auch weiterhin kein Grund, den Rechtsschutz völlig zu verweigern. Ein solches Vorgehen würde auch im Widerspruch stehen zu den Vorgaben des Übereinkommens vom 15. April 199412 über das öffentliche Beschaffungswesen (WTO-Übereinkommen (Government Procurement Agreement; GPA), welchem die Schweiz beigetreten ist. Dieses Abkommen verlangt von den Signatarstaaten ein Rechtsschutzverfahren, welches zügig, wirksam, transparent und nicht diskriminierend ist (Art. XX Ziff. 2 GPA). Zudem sollen die Signatarstaaten schnelle vorsorgliche Massnahmen vorsehen, welche dafür sorgen, dass der Anbieterin oder dem Anbieter die Möglichkeit erhalten bleibt, sich am Beschaffungsverfahren zu beteiligen. Wie manche Instanz dieses Rechtsschutzverfahren beinhaltet und wie das Verfahren bezüglich der aufschiebenden Wirkung ausgestaltet werden soll, überlässt das GPA ebenso dem innerstaatlichen Recht wie die Beantwortung der Frage, welche Interessen beim Entscheid über die Erteilung bzw. Verweigerung der aufschiebenden Wirkung zu berücksichtigen sind (Art. XX Ziff. 7 GPA.)

9 10 11

12

BBl 2007 3660 SR 101 Kälin/Kiener, Grundrechte, Bern 2007, S. 434; Andreas Kley, in: Bernhard Ehrenzeller/ Philippe Mastronardi/Rainer J. Schweizer/Klaus A. Vallender (Hrsg.): Die Schweizerische Bundesverfassung, St. Galler Kommentar, 2. Aufl. 2008, N. 15 zu Art. 29a BV, mit Hinweisen.

SR 0.632.231.422

4059

Zusammenfassend ergibt sich, dass der Gesetzgeber: ­

mindestens eine Instanz vorsehen muss, die Beschwerden gegen eine Zuschlagsverfügung beurteilt und dabei die Rechtsfragen und den Sachverhalt frei überprüft;

­

zu bestimmen hat, ob Beschwerden gegen eine Zuschlagsverfügung aufschiebende Wirkung haben sollen bzw. welche Interessen beim Entscheid über die Erteilung bzw. Verweigerung der aufschiebenden Wirkung zu berücksichtigen sind.

1.2.2

Lösungsmöglichkeiten

Im allgemeinen Verwaltungsrecht hat die Beschwerde grundsätzlich aufschiebende Wirkung; allerdings kann bereits die verfügende Behörde oder später die Rekursinstanz der Beschwerde die aufschiebende Wirkung entziehen.

Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen die aufschiebende Wirkung im allgemeinen Verwaltungsrecht entzogen werden darf, besteht eine reiche Praxis, deren Kerngehalt wie folgt zusammengefasst werden kann13: ­

Der Entzug der aufschiebenden Wirkung kommt nur in Frage, wenn sonst ein schwerer Nachteil entstünde.

­

Der Entzug der aufschiebenden Wirkung muss zudem verhältnismässig sein.

Für diese Beurteilung sind das Interesse am Entzug der aufschiebenden Wirkung und die allfälligen gegenläufigen Interessen gegeneinander abzuwägen.

In diese Interessenabwägung dürfen auch die Prozessaussichten einbezogen werden, sofern ihre Abschätzung zu einem klaren Ergebnis führt.

Im heute gültigen Beschaffungsrecht hat demgegenüber die Beschwerde an die erste Instanz nicht automatisch aufschiebende Wirkung. Das Gericht kann jedoch einer Beschwerde auf Antrag des Beschwerdeführers nachträglich die aufschiebende Wirkung erteilen. Einem solchen Entscheid über ein Begehren um aufschiebende Wirkung lag jeweils auch eine Abwägung der sich gegenüberstehenden Interessen zu Grunde.

Die bisherige Praxis hat ­ wie vorstehend erläutert ­ gezeigt, dass es letztlich unerheblich ist, ob die aufschiebende Wirkung als Regel oder als Ausnahme konzipiert ist. Entscheidend ist vielmehr in jedem Fall die Gewichtung der jeweiligen Interessen (Rechtsschutz oder wirtschaftliche Interessen wegen Verzögerungen) durch die Gerichte. Will der Gesetzgeber somit tatsächlich auf diese Frage Einfluss nehmen, so muss er entweder die Interessenabwägung selber vornehmen und direkt entscheiden, ob der Beschwerde immer oder nie aufschiebende Wirkung zukommen soll, oder aber er muss den Gerichten zumindest klare Regeln für die Gewichtung der entgegenstehenden Interessen vorschreiben. Dabei kann der Gesetzgeber Regeln für alle Beschwerdefälle im öffentlichen Beschaffungswesen einheitlich vorsehen, oder er kann für ganz bestimmte Beschaffungen besondere Regeln aufstellen. Der Gesetzgeber hat diesbezüglich freie Hand.

13

Alfred Kölz/Isabelle Häner: Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, (2. Auflage), Zürich 1998, Randziffer 650.

4060

1.3

Die beantragte Neuregelung

Wie erwähnt, verhindert die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde den Abschluss des Vertrages mit dem Zuschlagsempfänger und damit die Realisierung der Beschaffung, was erhebliche Verzögerungsschäden zur Folge haben kann.

Die Verweigerung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde führt demgegenüber dazu, dass der Rechtsschutz auf einen Schadenersatz beschränkt wird, der zudem höchstens zu einem Ersatz der Aufwendungen führt. Der Erhalt des Zuschlags auf Beschwerde hin wird in diesen Fällen jedoch verunmöglicht.

Die Folgen einer Nichtgewährung der aufschiebenden Wirkung sind mithin sehr einschneidend. Es kann daher nicht in Frage kommen, in Fragen des öffentlichen Beschaffungswesens generell die aufschiebende Wirkung zu verweigern. Es ist angebracht, grundsätzlich im Einzelfall eine Interessensabwägung vorzunehmen. Da es ­ wie vorstehend dargestellt ­ weitgehend unerheblich ist, ob diese Interessenabwägung erfolgt, wenn der Beschwerde grundsätzlich aufschiebende Wirkung zukommt oder wenn das Gegenteil der Fall ist, macht es keinen Sinn, von der im allgemeinen Verwaltungsrecht geltenden Regel abzuweichen. Sie kann deshalb grundsätzlich auch ohne Weiteres in Beschwerdefällen des öffentlichen Beschaffungswesens Geltung haben. Es wird somit neu in der Regel erstinstanzlich auch im öffentlichen Beschaffungsrecht ein ganz normales Verwaltungsverfahren durchgeführt werden, dieses dafür auf eine einzige Instanz beschränkt.

Von dieser generellen neuen, offeneren Regelung sind nun aber in ganz bestimmten Fällen Ausnahmen vorzusehen, in denen die Gewichtung der Interessen in jedem Fall zugunsten der Verweigerung der aufschiebenden Wirkung führen muss. Diese Fälle dürfen nicht der Ermessensbeurteilung des Bundesverwaltungsgerichtes unterliegen, sondern sind bereits vom Gesetzgeber festzulegen.

Die Gesetzesänderung sieht deshalb vor, dass der Beschwerde keine aufschiebende Wirkung zukommt, wenn das Interesse des Landes oder eines grossen Teils desselben den Bau eines öffentlichen Werkes oder die Erfüllung einer Bundesaufgabe innert einer bestimmten Frist verlangt und die Einhaltung dieser Frist keinen Aufschub des Vertragsabschlusses zulässt. In diesen Fällen darf auch die Beschwerdeinstanz der Beschwerde keine aufschiebende Wirkung erteilen.

Bei diesen Ausnahmen geht es um Fälle, in denen das öffentliche
Interesse an einer raschen Vergabe derart hoch zu gewichten ist, dass es sich rechtfertigt, den Rechtsschutz auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit und auf Schadenersatz zu beschränken. Dies ist zu verantworten, weil das öffentliche Beschaffungsrecht insofern ein Spezialbereich ist, als sich der Staat hier in seiner Freiheit bei der Wahl des Vertragspartners selber sehr stark einschränkt und dadurch den Lieferanten und Bauunternehmungen im Vergleich zu den Gepflogenheiten in der Privatwirtschaft bereits ohnehin eine bessere Stellung einräumt, indem er eine faire Auswahl garantiert. Es ist daher ohne Weiteres gerechtfertigt, bei gewissen für das Land zentralen Beschaffungen wenigstens dafür zu sorgen, dass sich das Beschaffungsverfahren wegen seiner langen Dauer nicht extrem nachteilig auswirkt. Die aufschiebende Wirkung von Beschwerden ist daher für solche Fälle gesetzlich auszuschliessen.

Aus demokratiepolitischer Sicht wäre es ideal, wenn das Gesetz die Beschaffungen, bei denen die aufschiebende Wirkung von Vornherein ausgeschlossen sein soll, abschliessend aufzählen würde. Eine solche Liste kann jedoch immer nur jene 4061

Beschaffungen erfassen, die im Zeitpunkt ihrer Erstellung bereits bekannt oder doch absehbar sind. Um mit der Dynamik der Entwicklung Schritt halten zu können, muss die Liste ­ unter Umständen sehr rasch ­ angepasst werden können. Deshalb schlagen wir vor, dass der Gesetzgeber die Voraussetzungen für den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung generell-abstrakt umschreibt und den Bundesrat ermächtigt, in einer Verordnung eine solche Liste anzulegen und nachzuführen (vgl.

Ziff. 2.1, Erläuterungen zu Art. 28 Abs. 4 BöB).

1.4

Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens

Die hier vorgeschlagene Revision von Artikel 28 BöB war im Vernehmlassungsentwurf für die Totalrevision des BöB enthalten. Die damals vorgeschlagene Fassung stimmte wörtlich mit der heutigen Version überein, lediglich die Artikelnummer war anders (Art. 74).

Das Ergebnis der Vernehmlassung ist erwartungsgemäss unterschiedlich ausgefallen. Während die Vergabestellen die Stossrichtung grundsätzlich begrüssen, die Ausschlussfälle jedoch eher als noch zu wenig weitgehend betrachten, wird die Einschränkung des Rechtsschutzes von den Organisationen, die potenzielle Anbieterinnen und Anbieter vertreten, abgelehnt. Diese begrüssen jedoch ausdrücklich, dass der Beschwerde im Normalfall neu grundsätzlich aufschiebende Wirkung zukommen soll. Bei den übrigen Teilnehmerinnen und Teilnehmern am Vernehmlassungsverfahren zeigt sich mehrheitlich ein Verständnis für gewisse Einschränkungen der aufschiebenden Wirkung in bedeutungsvollen Fällen.

2

Erläuterungen zu den einzelnen Artikeln

Ingress Wie viele andere Bundesgesetze verweist auch das geltende BöB in seinem Ingress noch auf die einschlägige Bestimmung in der alten Bundesverfassung (hier: Art. 85 Ziff. 1 aBV). Der Bundesrat nimmt deshalb Teilrevisionen solcher Erlasse jeweils zum Anlass, den Ingress an die heutige BV anzupassen. Zudem führt das BöB mehrere Staatsverträge aus; der Ingress ist auch in dieser Hinsicht dem aktuellen Stand anzupassen.

Art. 28

Aufschiebende Wirkung

Abs. 1 Mit Absatz 1 wird vorgeschlagen, die aufschiebende Wirkung im Beschaffungsrecht grundsätzlich gleich zu regeln wie im übrigen Verwaltungsrecht des Bundes.

Gesetzgebungstechnisch wird dies mit einer Verweisung auf das VwVG erreicht.

Damit wird es auch inskünftig möglich sein, aufgrund einer konkreten Interessenabwägung im Einzelfall einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu entziehen.

4062

Im Beschaffungswesen können namentlich folgende Umstände den Entzug der aufschiebenden Wirkung begründen: ­

Die Beschaffung ist dringlich (Beispiel: Räumungs- und Instandstellungsarbeiten zur Wiederherstellung einer wichtigen Strassen- oder Bahnverbindung nach einem Steinschlag).

­

Durch den Aufschub der Beschaffung würde ein unverhältnismässig hoher Verzögerungsschaden entstehen (Beispiel: Der Verzögerungsschaden würde die Differenz zwischen dem billigsten und dem teuersten Angebot übersteigen).

Abs. 2 und 3 Absatz 2 bestimmt eine Ausnahme von der allgemeinen Regelung im VwVG, wonach der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht grundsätzlich aufschiebende Wirkung zukommt. Diese Ausnahme greift Platz, wenn: ­

ein qualifiziertes öffentliches Interesse an der Beschaffung besteht;

­

die Beschaffung an eine Frist gebunden ist, die nicht eingehalten werden könnte, falls der Beschwerde aufschiebende Wirkung zukäme; die Frist kann sich entweder aus einem Erlass oder Beschluss der eidgenössischen Räte oder des Bundesrates oder aus einer faktischen Gegebenheit (z.B. bei Sicherheitsaspekten oder politischen Notwendigkeiten) ergeben, oder

­

der Aufschub des Vertragsabschlusses einen unverhältnismässig hohen Verzögerungsschaden verusachen würde.

Die verfügende Behörde hat in der Verfügung zu erklären, ob ein Fall vorliegt, welcher unter Artikel 28 Absatz 2 BöB fällt. Dies ist sicher dann gegeben, wenn es sich um ein öffentliches Werk oder eine Bundesaufgabe handelt, die in der Verordnung gemäss Absatz 4 enthalten ist. Die Voraussetzung kann aber auch erfüllt sein, wenn das Werk oder die Aufgabe noch nicht in die Verordnung aufgenommen worden ist, die verfügende Behörde jedoch der Auffassung ist, die materiellen Voraussetzungen von Artikel 28 Absatz 2 BöB seien trotzdem erfüllt.

Die Rechtsfolgen einer derartigen von der Vergabestelle verfügten Ausnahme weichen in folgenden Punkten von der allgemeinen Regelung im VwVG ab: ­

Die Beschwerde hat keine aufschiebende Wirkung.

­

Ersucht die beschwerdeführende Partei die Beschwerdeinstanz um Erteilung der aufschiebenden Wirkung, so nimmt das Gericht keine Interessenabwägung vor, sondern prüft einzig, ob die Voraussetzungen von Absatz 2 für eine Ausnahme erfüllt ist. Sind sie erfüllt, so weist das Gericht das Gesuch um Erteilung der aufschiebenden Wirkung ab. Andernfalls nimmt es eine Abwägung der Interessen im konkreten Einzelfall vor.

­

Sind die Voraussetzungen von Absatz 2 erfüllt, so darf das Gericht auch keine anderen vorsorglichen Massnahmen anordnen, welche den Abschluss des Vertrages aufschieben würden.

Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass es der Vergabestelle in allen Fällen, die nicht unter den neuen Absatz 2 fallen, selbstverständlich ebenfalls gestattet ist, einer allfälligen Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu entziehen. In diesen Fällen hat die Vergabestelle die normalen Regeln von Artikel 55 VwVG zu beachten.

4063

Bei Beschaffungen nach Absatz 2 darf die Vergabestelle somit den Vertrag nach dem Zuschlag trotz einer allfällig hängigen Beschwerde abschliessen. Dringt die Beschwerde schliesslich durch, so erreicht die beschwerdeführende Partei damit nicht die Auflösung des Vertrags. Sie erhält aber einen Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen im Beschaffungsverfahren (Art. 33 ff. BöB).

Abs. 4 Gemäss Absatz 2 setzt die Ausnahme eine Beschaffung voraus, die «im Interesse des Landes oder eines grossen Teils davon» liegt. Diese Umschreibung ist unvermeidlich abstrakt und damit in besonderem Mass auslegungsbedürftig. Um diesbezüglich Rechtssicherheit zu schaffen und zu verhindern, dass in jedem Fall ein Rechtsstreit über diesen Begriff entsteht, sieht Absatz 4 vor, dass der Bundesrat mit einer Verordnung eine Liste von öffentlichen Werken und Bundesaufgaben erstellen kann, die keinen Aufschub des Vertragsschlusses ertragen und auf welche somit Absatz 2 anwendbar ist.

Dient die strittige Beschaffung einem Vorhaben, das in dieser Liste verzeichnet ist, so hat eine Beschwerde keine aufschiebende Wirkung. Das Gericht hat in diesen Fällen auf Beschwerde hin lediglich zu prüfen, ob es sich tatsächlich um ein Vorhaben handelt, das in der Verordnung aufgelistet ist. Bis zum Abschluss dieses Verfahrens kommt der Beschwerde keine aufschiebende Wirkung zu. Dasselbe gilt auch, falls in einem konkreten Vergabeverfahren die Gesetzmässigkeit der Verordnung mit Beschwerde in Frage gestellt wird. Die aufschiebende Wirkung kann einer solchen Beschwerde während der Dauer des Verfahrens nicht zuerkannt werden (Abs. 3). Nur ein rechtskräftiges Urteil kann einen bestimmten Eintrag in der bundesrätlichen Verordnung «umstossen».

Die nachstehende Liste nennt alle heute bekannten Fälle von Beschaffungen, die nach Auffassung des Bundesrates in diese Liste gehören: ­

Beschaffungen für die Realisierung der NEAT und von Bauvorhaben gemäss dem Bundesgesetz vom 20. März 200914 über die zukünftige Entwicklung der Bahninfrastruktur (ZEBG);

­

Beschaffungen für die Beseitigung von Engpässen im Nationalstrassennetz;

­

Beschaffungen zur Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit des Nationalstrassennetzes oder des schweizerischen Schienennetzes nach Störungen durch Naturereignisse (wie Hochwasser, Erdbeben oder Steinschlag) oder durch den Auftritt von Bauschäden;

­

Beschaffungen für den Hochwasserschutz an Rhein, Rhone, Aare und Linth, sofern der Bund an deren Finanzierung beteiligt ist;

­

Beschaffungen im Interesse der nationalen Sicherheits- und Rüstungspolitik.

Die bundesrätliche Liste kann auch Beschaffungen einschliessen, die ohne Ausschreibung vergeben werden. Die direkte Vergabe ist zulässig, wenn eine Beschaffung aufgrund unvorhersehbarer Ereignisse so dringlich ist, dass kein offenes oder selektives Verfahren durchgeführt werden kann (Art. 13 Abs. 1 Bst. d der Verordnung vom 11. Dezember 199515 über das öffentliche Beschaffungswesen [VöB]).

14 15

SR 742.140.2 SR 172.056.11

4064

Art. 37

Übergangsbestimmung

Der Bundesrat möchte erreichen, dass der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung möglichst viele Beschaffungsvorhaben von nationaler Bedeutung erfasst. Er schlägt deshalb vor, dass das alte Recht nur noch dann zur Anwendung kommt, wenn die angefochtene Verfügung bereits vor dem Inkrafttreten des hier vorgeschlagenen Gesetzes ergangen war. Dem Gebot der Rechtssicherheit, wonach das anwendbare Recht allen Beteiligten im Voraus bekannt sein muss, wird damit genügend Rechnung getragen..

3

Auswirkungen

3.1

Auswirkungen auf den Bund

3.1.1

Finanzielle Auswirkungen

Die vorgesehene Revision von Artikel 28 BöB sorgt dafür, dass dringliche Beschaffungen für wichtige Aufgaben des Bundes nicht (mehr) durch Beschwerden verzögert und damit ­ unter Umständen ­ massiv verteuert werden können. Damit wird der Bundeshaushalt entlastet.

Der Spar-Effekt hängt von den konkreten Umständen ab. Bei grossen Beschaffungen kann der prozess-bedingte Verzögerungsschaden mehrere Millionen pro Monat betragen (vgl. Ziff. 1.1.4). Bei der Beschaffung eines neuen Informatiksystems für die Eidgenössische Steuerverwaltung hatte das Bundesgericht zu beurteilen, ob die Vorinstanz einer Beschwerde, mit welcher eine erneute Ausschreibung verlangt wurde, zu Recht keine aufschiebende Wirkung zuerkannt hatte. Das Gericht schützte den Entscheid der Vorinstanz, welche in der Urteilsbegründung von der Schätzung des Bundesamtes für Bauten und Logistik, wonach eine neue Ausschreibung einen Verzögerungsschaden von 150­200 Millionen Franken pro Jahr bewirken würde, ausging (BGE 134 II 192; E. 2.1 a.E.).

3.1.2

Personelle Auswirkungen

Die Vorlage hat zwei gegenläufige Effekte: ­

Bei jenen Beschaffungen, bei welchen die Beschwerde nie aufschiebende Wirkung haben kann, ist damit zu rechnen, dass die Anzahl der Beschwerden ­ und damit der Aufwand für die Beschaffungsstellen ­ sinken. Auch der vorgeschlagene Verzicht auf eine zweite Beschwerdeinstanz wird die Vergabestellen und das Bundesgericht entlasten.

­

Bei den übrigen Beschaffungen hingegen dürfte der Umstand, dass der Beschwerde neu grundsätzlich aufschiebende Wirkung zukommt, zu einer Zunahme der Beschwerden ­ und damit zu mehr Aufwand für die Vergabestellen und die Gerichte ­ führen.

4065

3.2

Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden

Die vorgeschlagene Änderung der Regeln über die aufschiebende Wirkung betrifft einzig die Beschaffungen des Bundes.

4

Verhältnis zur Legislaturplanung

Der Bundesrat hatte in der Botschaft vom 23. Januar 200816 über die Legislaturplanung 2007­2011 eine Revision des BöB als Richtliniengeschäft angekündigt, und die eidgenössischen Räte hatten dieses Vorhaben daraufhin auch in ihren Bundesbeschluss vom 18. September 200817 über die Legislaturplanung 2007­2011 aufgenommen. Bedingt durch eine Verzögerung bei der Revision des GPA, auf welche die Totalrevision abgestimmt sein muss, konnte die entsprechende Vernehmlassung über diese Vorlage erst im Sommer/Herbst 2008 eröffnet werden. Nach der Auswertung der eingegangenen Stellungnahmen und mit Rücksicht auf weitere Verzögerungen bei der Revision des GPA entschied sich der Bundesrat am 18. Juni 2009 für folgendes Vorgehen: ­

Die Arbeiten an der Totalrevision werden sistiert, bis Klarheit über die künftige Entwicklung des GPA besteht.

­

Die hier vorgeschlagenen Rechtsänderungen sollen den eidgenössischen Räten mit einer separaten Vorlage unterbreitet werden.

­

Das EFD bereitet eine Revision der Verordnung zum BöB vor.

5

Rechtliche Aspekte

5.1

Verfassungsmässigkeit

Die Bundesverfassung enthält keine spezifische Bestimmung über das öffentliche Beschaffungswesen. Die Rechtsetzungskompetenz des Bundes auf diesem Gebiet leitet sich aus verschiedenen Verfassungsbestimmungen ab: ­

Die Kompetenz zum Erlass von Vorschriften, welche die Bundesbehörden und die öffentlichen Unternehmungen des Bundes binden, ergibt sich aus der Organisationskompetenz (Art. 164 Abs. 1 Bst. g BV).

­

Für bestimmte Aspekte des Beschaffungswesens enthält die Bundesverfassung explizite Kompetenzbestimmungen zugunsten des Bundes (z.B. Art. 65 BV betreffend die Führung einer gesamtschweizerischen Beschaffungsstatistik).

Die Regelung der aufschiebenden Wirkung lässt sich ­ wie das gesamte VwVG ­ auch auf die Artikel 177 Absatz 3 und 187 Absatz 1 Buchstabe d BV stützen (vgl.

die Präambel zum VwVG).

Die Zuständigkeit der Bundesversammlung zur Änderung von Bundesgesetzen ergibt sich aus Artikel 173 Absatz 2 BV.

16 17

BBl 2008 783 817 BBl 2008 8544

4066

5.2

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Die Schweiz ist dem GPA beigetreten. Die sich daraus ergebenden Anforderungen an die Ausgestaltung des Rechtsschutzes auf dem Gebiet des Beschaffungswesens wurden in Ziffer 1.2.1 dargestellt. Die hier vorgeschlagene Revision entspricht diesen Vorgaben.

Ferner hat die Schweiz mit der Europäischen Union am 21. Juni 199918 ein bilaterales Abkommen über bestimmte Aspekte des öffentlichen Beschaffungswesens abgeschlossen. Dieses Abkommen erweitert den Geltungsbereich des GPA innerhalb der Schweiz auf die Behörden und öffentlichen Stellen auf Bezirks- und Gemeindeebene. Zudem werden damit die Beschaffungen in den Sektoren Schienenverkehr, Telekommunikation sowie Gas- und Wasserversorgung sowie die Beschaffungen durch private Unternehmen in den Sektoren Wasserversorgung, Elektrizitätsversorgung und Verkehr dem Übereinkommen (und damit dem GPA) unterstellt. Das bilaterale Abkommen enthält keine über das GPA hinausgehenden Vorgaben für die Ausgestaltung des Rechtsschutzes.

5.3

Verhältnis zum europäischen Recht

In der EU wurde 2007 eine Richtlinie über den Rechtsschutz verabschiedet (2007/66/EG), die zwei bisherige Rechtssschutz-Richtlinien ersetzte (89/665EWG und 92/13/EWG). Der Vergleich ergibt, dass der Rechtsschutz in der EU mit der neuen Richtlinie verstärkt wurde: ­

Die beiden früheren Rechtsschutz-Richtlinien entsprachen im Grundsatz dem bilateralen Abkommen zwischen der Schweiz und der EU, welches die aufschiebende Wirkung vorsieht. Allerdings sahen sie (im Gegensatz zum bilateralen Abkommen, aber in Übereinstimmung mit dem GPA) verschiedene Ausnahmen vor. Sie bestimmten zum Beispiel, dass die Vergabestellen beim Entscheid über vorläufige Massnahmen u.a. das «Interesse der Allgemeinheit» berücksichtigen dürfen bzw. sollen.

­

Die neue Richtlinie verpflichtet die Vergabestellen, zwischen dem Zuschlag und dem Abschluss des Vertrags mindestens 10 Tage verstreichen zu lassen (sogenannte «Stillhaltefrist»). Während dieser Frist können Mitbewerber die Durchführung eines amtlichen Überprüfungsverfahrens beantragen. Wird ein solcher Antrag gestellt, so darf die Vergabestelle während der Dauer des Überprüfungsverfahrens keine Verträge abschliessen.

Auf dem Gebiet des öffentlichen Beschaffungsrechts ist die Schweiz an keine Rechtsakte der EU gebunden.

18

SR 0.172.052.68

4067

5.4

Erlassform

Mit dieser Vorlage wird den eidgenössischen Räten die Änderung eines Bundesgesetzes unterbreitet. Gemäss Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe a BV unterstehen Bundesgesetze dem fakultativen Referendum.

4068