10.018 Botschaft zur Volksinitiative «Raum für Mensch und Natur (Landschaftsinitiative)» vom 20. Januar 2010

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrte Frau Ständeratspräsidentin Sehr geehrte Damen und Herren Wir beantragen Ihnen, die Volksinitiative «Raum für Mensch und Natur (Landschaftsinitiative)» Volk und Ständen mit der Empfehlung zu unterbreiten, die Initiative abzulehnen. Gleichzeitig beantragen wir Ihnen, dem Entwurf zu einer Teilrevision des Raumplanungsgesetzes als indirekter Gegenvorschlag zur Volksinitiative zuzustimmen.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrte Frau Ständeratspräsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

20. Januar 2010

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Doris Leuthard Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

2009-1756

1033

Übersicht Die Eidgenössische Volksinitiative «Raum für Mensch und Natur (Landschaftsinitiative)» will die Zersiedelung des Landes stoppen und gleichzeitig die Landschaft besser schützen. Mit einer Teilrevision des Raumplanungsgesetzes ­ als indirekter Gegenvorschlag zur Volksinitiative ­ lassen sich die Ziele der Initiative genauso gut, wenn nicht besser erreichen.

Mit der Landschaftsinitiative soll Artikel 75 BV mit Grundsätzen ergänzt werden, die bereits heute geltendes Recht darstellen. Zudem soll der Bund die Kompetenz erhalten, auch detailliertere Bestimmungen für eine hochwertige Siedlungsentwicklung nach innen zu erlassen. In der Übergangsbestimmung statuiert die Initiative für die nächsten zwanzig Jahre ein Verbot der Vergrösserung der Gesamtfläche der Bauzonen. Ausnahmen von diesem Verbot soll der Bundesrat gewähren können.

Die Zersiedelung des Landes und die Zerstörung von Kulturland sind ungelöste Probleme der Raumplanung. Die Initiative zielt grundsätzlich in die richtige Richtung. Das generelle Bauzonenmoratorium wird aber den unterschiedlichen Verhältnissen in den Landesgegenden nicht gerecht und belohnt tendenziell die Kantone, die bereits heute über zu grosse Bauzonen verfügen, während diejenigen bestraft werden, die sorgfältig und bedarfsgerecht geplant haben.

Die von der Initiative anvisierten Ziele können auch mit einer Teilrevision des Raumplanungsgesetzes ­ als indirekten Gegenvorschlag zur Volksinitiative ­ erreicht werden. Eine Teilrevision ist besser geeignet, die bestehenden und zukünftigen Bauzonen auf den Baulandbedarf der verschiedenen Gegenden des Landes abzustimmen.

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Botschaft 1

Formelle Aspekte und Gültigkeit der Initiative

1.1

Wortlaut der Initiative

Die Volksinitiative «Raum für Mensch und Umwelt (Landschaftsinitiative)» hat folgenden Wortlaut: I Die Bundesverfassung wird wie folgt geändert: Art. 75

Raumplanung

Bund und Kantone sorgen für die zweckmässige und haushälterische Nutzung des Bodens, die geordnete Besiedlung des Landes, die Trennung des Baugebiets vom Nichtbaugebiet und den Schutz des Kulturlandes. Sie berücksichtigen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben die Erfordernisse der Raumplanung.

1

Der Bund legt Grundsätze der Raumplanung fest. Er erlässt Bestimmungen, insbesondere für eine hochwertige Siedlungsentwicklung nach innen und zur Begrenzung des Bauens im Nichtbaugebiet. Er fördert und koordiniert die Raumplanung der Kantone.

2

3

Aufgehoben

II Die Übergangsbestimmungen der Bundesverfassung werden wie folgt ergänzt: Art. 197 Ziff. 8 (neu) 8. Übergangsbestimmung zu Art. 75 (Raumplanung) Nach Annahme von Artikel 75 darf die Gesamtfläche der Bauzonen während 20 Jahren nicht vergrössert werden. Der Bundesrat kann in begründeten Fällen Ausnahmen gewähren.

1.2

Zustandekommen und Behandlungsfristen

Die Volksinitiative «Raum für Mensch und Natur (Landschaftsinitiative)» wurde am 26. Juni 2007 von der Bundeskanzlei vorgeprüft1 und am 14. August 2008 mit den nötigen Unterschriften eingereicht.

Mit Verfügung vom 27. August 2008 stellte die Bundeskanzlei fest, dass die Initiative mit 109 422 gültigen Unterschriften zustande gekommen ist2.

1 2

BBl 2007 4965 BBl 2008 7557

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Die Initiative hat die Form eines ausgearbeiteten Entwurfs. Der Bundesrat legt einen indirekten Gegenvorschlag vor. Nach Artikel 97 Absatz 2 des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 20023 (ParlG) hat der Bundesrat der Bundesversammlung somit spätestens bis zum 14. Februar 2010 einen Beschlussesentwurf und eine Botschaft zu unterbreiten. Die Bundesversammlung hat nach Artikel 100 ParlG innert 30 Monaten nach Einreichung der Initiative, das heisst in diesem Fall bis zum 14. Februar 2011, über die Volksinitiative zu beschliessen.

1.3

Gültigkeit

Die Initiative erfüllt die Anforderungen an die Gültigkeit nach Artikel 139 Absatz 3 der Bundesverfassung (BV)4.

­

Sie ist als vollständig ausgearbeiteter Entwurf formuliert und erfüllt die Anforderungen an die Einheit der Form.

­

Zwischen den einzelnen Teilen der Initiative besteht ein sachlicher Zusammenhang; die Initiative erfüllt somit die Anforderungen an die Einheit der Materie.

­

Die Initiative verletzt keine zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts; sie erfüllt somit die Anforderungen an die Vereinbarkeit mit dem Völkerrecht.

Die offensichtliche Undurchführbarkeit einer Initiative gilt als einzige ungeschriebene materielle Schranke einer Verfassungsrevision. Die Volksinitiative «Raum für Mensch und Natur (Landschaftsinitiative)» ist weder in rechtlicher Hinsicht unmöglich zu realisieren, noch ist sie faktisch undurchführbar.

Die Initiative ist somit gültig.

2

Ausgangslage für die Entstehung der Initiative

2.1

Ausgangslage für die Initiantinnen und Initianten

Nach Meinung des Initiativkomitees hat die Zersiedelung in der Schweiz ein beträchtliches Ausmass angenommen und zeitigt gravierende Folgen für die Umwelt, die Gesellschaft und die Natur. Die Initiantinnen und Initianten stellen in ihrer Analyse auch auf Erhebungen des Bundesamtes für Statistik ab. Danach

3 4

­

wurden zwischen den Jahren 2000 und 2005 fast 100 000 neue Wohngebäude erstellt, davon 76 Prozent Einfamilienhäuser;

­

betrug der Zuwachs der Industrie- und Gewerbeflächen in den letzten 25 Jahren über 24 Prozent, wobei nicht selten «auf der grünen Wiese» gebaut wurde;

­

wurde das Strassennetz in den letzten 32 Jahren um rund 60 000 Kilometer ausgebaut;

SR 171.10 SR 101

1036

­

ist die Siedlungsfläche seit Mitte der 60er-Jahre viel stärker gewachsen als die Bevölkerung.

Die stetige Überbauung gefährdet nach Ansicht des Initiativkomitees das Überleben vieler Tierarten, zerstört die Bodenstruktur, bringt neue Gefahren (z.B. Überschwemmungen) mit sich und zerstört den Erholungsraum für den Menschen. Die Zersiedelung hat auch negative Konsequenzen für die Wirtschaft, verursacht sie doch hohe Infrastruktur- und Dienstleistungskosten, verringert das landwirtschaftlich nutzbare Kulturland und gefährdet durch Zerstörung naturnaher Landschaft auch den Tourismus.

Auf der andern Seite steht fest, dass in den bestehenden Bauzonen in der Schweiz noch beträchtliche Nutzungsreserven bestehen5. Gemäss der Bauzonenstatistik 2007 des Bundesamtes für Raumentwicklung sind zwischen 17 und 24 Prozent der bestehenden Bauzonen noch unüberbaut. In Flächenangaben ausgedrückt heisst dies, dass von 226 530 Hektaren eingezontem Bauland zwischen 37 810 und 53 016 Hektaren noch unüberbaut sind6. Eine Schätzung geht davon aus, dass diese unüberbauten Flächen in den Bauzonen theoretisch Platz für rund 1,4­2,1 Millionen zusätzliche Einwohnerinnen und Einwohner bieten könnten. In diesen Zahlen ist das Potenzial nicht enthalten, welches sich dadurch ergibt, dass Bauland zwar überbaut, aber gemäss Nutzungsplan nicht maximal ausgenutzt ist.

2.2

Grundzüge der heutigen Regelung und ihre Mängel

Nach Artikel 75 der Bundesverfassung legt der Bund Grundsätze der Raumplanung fest. Die Raumplanung selbst ist Sache der Kantone und dient der zweckmässigen und haushälterischen Nutzung des Bodens und der geordneten Besiedlung des Landes (Abs. 1). Der Bund fördert und koordiniert die Bestrebungen der Kantone und arbeitet mit den Kantonen zusammen (Abs. 2). Bund und Kantone berücksichtigen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben die Erfordernisse der Raumplanung (Abs. 3).

Nach Artikel 15 des Raumplanungsgesetzes vom 22. Juni 19797 (RPG) umfassen die Bauzonen Land, welches voraussichtlich innert 15 Jahren benötigt und erschlossen wird. Die Grösse der Bauzone bestimmt sich somit nach dem erwarteten Bedarf bei einem Planungshorizont von fünfzehn Jahren. Die Nutzungspläne sind in der Regel alle zehn Jahre zu überprüfen und gegebenenfalls entsprechend anzupassen.

Die seit Inkrafttreten des RPG am 1. Januar 1980 eingetretene Entwicklung zeigt, dass die geltende gesetzliche Regelung Mängel aufweist und namentlich der Zersiedelung der Landschaft nicht Einhalt zu gebieten vermochte. Das verfassungsmässige Ziel der haushälterischen Nutzung des Bodens ist in den letzten Jahrzehnten nicht wunschgemäss erreicht worden. Die Gründe dafür sind mannigfaltig: So gingen die Planungsbehörden vorerst von einem zu grossen Bevölkerungswachstum aus, was zu überdimensionierten Bauzonen geführt hat. Der Bedarf wurde meistens kommunal und nicht regional oder kantonal ermittelt, womit es an einer übergeordneten Betrachtungsweise mangelte. Planungsfremde Motive, wie etwa die Sanierung der Gemeindefinanzen oder die Unterstützung des eigenen (Bau-)Gewerbes, förderten 5 6 7

Bundesamt für Raumentwicklung, Raumentwicklungsbericht 2005, S. 33 ff.

Die Bandbreite ergibt sich durch zwei Variantenberechnungen, durch welche die Ungenauigkeit der angewandten Methode eingegrenzt werden kann.

SR 700

1037

Einzonungen. Für die Grundeigentümerinnen und Grundeigentümer ist zudem der finanzielle Anreiz, ihr Land einzonen zu lassen, angesichts des grossen Wertgefälles zwischen Bauland und Land ausserhalb der Bauzonen beträchtlich. Auszonungen hingegen sind politisch wesentlich schwieriger zu realisieren als Einzonungen und wurden in der Vergangenheit auch deshalb nicht konsequent vorgenommen, weil Entschädigungsforderungen der Grundeigentümerinnen und Grundeigentümer befürchtet wurden.

2.3

Revision des Raumplanungsgesetzes

In seiner Botschaft vom 23. Januar 2008 über die Legislaturplanung 2007­2011 hat der Bundesrat zur Revision des RPG Folgendes ausgeführt: «Im Interesse einer haushälterischen Bodennutzung müssen die Zersiedelung eingedämmt und die Ansprüche an den Raum besser aufeinander abgestimmt werden. (...) Er (der Bundesrat) wird vorab die Aufgaben des Bundes unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips klären und Verbesserungen im Bereich der Bundesplanungen und der kantonalen Richtplanungen vorschlagen. Ferner sollen die Siedlungsentwicklung nach innen gefördert und der Thematik der Bauzonen grössere Bedeutung beigemessen werden ...»8. Der Bundesrat hat am 12. Dezember 2008 die Vernehmlassung zu einem neuen Gesetz über die Raumentwicklung eröffnet. In der Vernehmlassung sprach sich eine überwiegende Mehrzahl der Vernehmlasser gegen eine Totalrevision aus. Eine Teilrevision des RPG wurde jedoch von einer Mehrheit der Vernehmlasser befürwortet. Der Bundesrat schlägt daher in einer ersten Etappe eine Teilrevision des RPG vor, die sich ausschliesslich mit den Themen befasst, die auch von der Landschaftsinitiative aufgegriffen werden. Diese Teilrevision wird der Initiative als indirekter Gegenvorschlag gegenüber gestellt.

3

Ziele und Inhalt der Initiative

3.1

Ziele der Initiative

Mit der Initiative soll in erster Linie die Zersiedelung der Schweiz gestoppt werden.

Die bestehenden Bauzonen sollen besser ausgenutzt und deren Gesamtfläche während zwanzig Jahren ab Annahme des neuen Verfassungsartikels nicht vergrössert werden. Damit sollen die Landschaft geschützt, der Lebensraum für Tiere und Pflanzen erhalten, naturnahe landwirtschaftliche Nutzflächen gesichert und Erholungsgebiete erhalten werden. Gleichzeitig soll die Siedlungsentwicklung nach innen gefördert werden. Die Initianten geben noch weitere Ziele an, welche sie durch die Volksinitiative verfolgen: Durch die verdichtete Bauweise sollen der motorisierte Individualverkehr gesenkt, der öffentliche Verkehr gefördert und Infrastrukturkosten eingespart werden.

8

BBl 2008 803

1038

3.2

Inhalt der vorgeschlagenen Regelung

Die Landschaftsinitiative will den bestehenden Artikel 75 BV umformulieren und mit einer Übergangsbestimmung versehen. Der neue Absatz 1 von Artikel 75 BV will den Bund und die Kantone gemeinsam auf den haushälterischen Umgang mit dem Boden verpflichten. Neu werden sodann die Trennung des Baugebiets vom Nichtbaugebiet und der Schutz des Kulturlandes explizit als Verfassungsziele erwähnt. Absatz 3 des heutigen Artikels 75 BV, wonach Bund und Kantone bei der Erfüllung ihrer Aufgaben die Erfordernisse der Raumplanung berücksichtigen sollen, soll ebenfalls in den neuen Absatz 1 aufgenommen werden.

Mit einem neuen Absatz 2 soll der Bund verpflichtet werden, Bestimmungen für eine hochwertige Siedlungsentwicklung nach innen und zur Begrenzung des Bauens im Nichtbaugebiet zu erlassen. Absatz 2 des heutigen Artikels 75 BV soll insoweit in diesen neuen Absatz 2 aufgenommen werden, als der Bund verpflichtet ist, die Bestrebungen der Kantone zu fördern und zu koordinieren. Dagegen erscheint die Pflicht zur Zusammenarbeit mit den Kantonen nicht mehr explizit im Initiativtext.

In den Übergangsbestimmungen bestimmt die Volksinitiative, dass die Gesamtfläche der Bauzonen während 20 Jahren nicht vergrössert werden darf, wobei der Bundesrat in begründeten Fällen Ausnahmen gewähren kann.

3.3

Erläuterung und Auslegung der Initiative

Auffällige Neuerung in Absatz 1 ist, dass Bund und Kantone gleichberechtigt angesprochen werden. Die von der Verfassung genannten Ziele der Raumplanung zu erreichen, soll somit zu einer Aufgabe sowohl des Bundes wie auch der Kantone werden. Die Ziele selber sind nicht neu, bis heute jedoch nicht alle auf Verfassungsstufe ausdrücklich erwähnt. Die Trennung des Baugebiets vom Nichtbaugebiet ist Ausfluss des Ziels der haushälterischen Bodennutzung und gilt in Lehre und Rechtsprechung als eines der wichtigen Ziele der Raumplanung, dem bereits heute Verfassungsrang zukommt. Der Schutz des Kulturlandes ist heute in Artikel 3 Absatz 2 RPG verankert.

Neu ist die Verfassungsbestimmung im vorgeschlagenen Absatz 2, wonach der Bund Bestimmungen für eine hochwertige Siedlungsentwicklung nach innen erlassen soll. Was unter «hochwertig» zu verstehen ist, ergibt sich nicht aus dem Verfassungstext und müsste wohl durch den Gesetzgeber näher definiert werden. Aus den Erläuterungen, welche die Initiantinnen und Initianten zum Initiativtext abgegeben haben9, geht hervor, dass dazu beispielsweise Massnahmen gegen die Baulandhortung und zur Verbesserung der Qualität bestehender Siedlungen gehören. Anderswo schreiben die Urheberinnen und Urheber der Volksinitiative, dass die Siedlungen verdichtet und wohnlicher gestaltet werden sollen, sodass im Siedlungsraum auch Platz für Grünflächen wie Pärke, Sportplätze und Kinderspielplätze verbleibt.

Namentlich richtet sich die Bestimmung offenbar gegen die Überbauung mit Einfamilienhäusern. Zur Steigerung der Siedlungsqualität gehören aber auch der verbesserte Schutz der Siedlungen vor Immissionen wie Lärm und Abgasen und andern umweltschädlichen Einflüssen sowie bauliche und gestalterische Massnahmen,

9

Vgl. www.landschaftsinitiative.ch

1039

welche Gefahren wie Verkehrsunfälle, Gewalt und Naturkatastrophen minimieren helfen.

Die Bundesverfassung umschreibt die Kompetenzausscheidung zwischen Bund und Kantonen gewöhnlich mit anderen Formulierungen, als sie die Initiative in Absatz 1 ­ «Bund und Kantone sorgen für ...» ­ verwendet. Es gibt aber, soweit wir sehen, keine Hinweise darauf, dass die Initiantinnen und Initianten damit einen neuen Aufgabentypus, beispielsweise eine Gemeinschaftsaufgabe von Bund und Kantonen, schaffen wollen. Daher ist anzunehmen, dass die Landschaftsinitiative die Kompetenzausscheidung zwischen Bund und Kantonen grundsätzlich als «arbeitsteiliges System», nicht als «gemeinsame Aufgabe» versteht.

Nach Absatz 2 legt der Bund Grundsätze der Raumplanung fest und erlässt Bestimmungen, insbesondere über die Siedlungsentwicklung nach innen und die Begrenzung des Bauens im Nichtbaugebiet. Dies ist als eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes mit nachträglich derogatorischer Wirkung (konkurrierende Kompetenz) zu verstehen. Der Wortlaut von Absatz 2 lässt das Verhältnis der Festlegung von Grundsätzen und dem Erlass von Bestimmungen hinsichtlich Siedlungsentwicklung und Bauen im Nichtbaugebiet offen. Er lässt insbesondere offen, ob der Bund nur Grundsätze regelt, insbesondere auch nur Grundsätze in den beiden genannten Sachbereichen, oder ob der Bund über Grundsätze hinaus generell und insbesondere in den beiden genannten Sachbereichen auch die Einzelheiten regelt.

Beschränkungen des Umfangs der Bundeskompetenz ergeben sich zunächst daraus, dass den Kantonen aufgrund von Absatz 1 wohl Aufgaben belassen werden müssen, die über den blossen Vollzug von Bundesrecht hinausgehen. Zudem sind bei der Bestimmung des Umfangs der Bundeskompetenz auch die allgemeinen Prinzipien des Zusammenwirkens von Bund und Kantonen nach Artikel 46 BV zu beachten.

Gemäss der Übergangsbestimmung in Artikel 197 Ziffer 8 BV darf die Gesamtfläche der Bauzonen während 20 Jahren nicht vergrössert werden. Neue Einzonungen wären somit nur möglich, wenn anderswo gleichzeitig gleich grosse Flächen ausgezont würden. Der Bundesrat könnte jedoch in begründeten Fällen ausnahmsweise einer Vergrösserung der Bauzone zustimmen. Die Ausnahmetatbestände werden im Initiativtext nicht aufgezählt. Auch hier müsste wohl der Gesetzgeber Klarheit schaffen und die
Ausnahmemöglichkeiten konkretisieren. Aus den Erläuterungen der Initiantinnen und Initianten geht hervor, dass nur eine sehr restriktive Handhabung bundesrätlicher Ausnahmen zum Zweck der Vermeidung von Härtefällen erwünscht wäre. So könnten nach Meinung des Initiativkomitees etwa Einzonungen, welche im Zeitpunkt der Annahme der Initiative bereits öffentlich aufgelegen haben, nachträglich durch den Bundesrat bewilligt werden. Weiter könnten sich die Initiantinnen und Initianten vorstellen, dass der Bundesrat im Rahmen der Genehmigung kantonaler Richtpläne Ausnahmen für Neueinzonungen zugunsten kantonaler Entwicklungsschwerpunkte gewähren könnte, jedenfalls sofern dieser Kanton haushälterisch mit seinen Bauzonen umgeht.

1040

4

Würdigung der Initiative

4.1

Anliegen der Initiative

Die Volksinitiative will in erster Linie eine weitere Zersiedelung, die aus Einzonung und Überbauung bisher in der Landwirtschaftszone liegenden Landes resultiert, verhindern und die Überbauung bisher unüberbauten Baulandes sowie eine qualitativ hochstehende Verdichtung der Siedlungen in den bestehenden Bauzonen fördern.

Der Bundesrat teilt mit den Initiantinnen und Initianten die Sorge über die Zunahme der Siedlungsflächen zulasten des Landwirtschaftslandes, hat die Siedlungsfläche in den vergangenen zwanzig Jahren doch um 32 700 Hektaren zugenommen, was annähernd einem Quadratmeter pro Sekunde entspricht10. Der Bundesrat geht mit den Initiantinnen und Initianten auch darin einig, dass der Bedarf nach Neubauten vorab durch die bessere Nutzung der bestehenden Bauzonen gedeckt werden sollte.

Der Bundesrat teilt im Weiteren die Auffassung der Initiantinnen und Initianten, dass die bestehenden raumplanerischen Instrumente und Vorschriften nicht genügen, um die Zersiedelung wirksam stoppen zu können. Dies ist auch einer der Hauptgründe, warum er die Revision des Raumplanungsrechts in Angriff genommen hat.

4.2

Auswirkungen der Initiative bei einer Annahme

Hier gilt es vor allem darzustellen und abzuschätzen, wie sich das zwanzig Jahre dauernde Verbot, die Bauzonen zu vergrössern ­ ein eigentliches BauzonenMoratorium ­ auswirkte. Heute wird der Bauzonenbedarf in der Regel pro Gemeinde errechnet. Diese kleinmassstäbliche Erfassung muss angesichts der Ziele der Raumplanung als unzweckmässig erachtet werden. Ebenso wenig zielführend ist das Gegenteil, nämlich eine gesamtschweizerische Berechnung des Bauzonenbedarfs. Bereits heute sind die Unterschiede bezüglich Baulandangebot und -nachfrage von Gegend zu Gegend und von Landesteil zu Landesteil sehr unterschiedlich.

Während in den Ballungszentren die Nachfrage das Angebot an Bauland teilweise übersteigt, ist die Situation in vielen ländlichen Gegenden gerade umgekehrt. Diese unzweckmässige Verteilung von unüberbautem Bauland soll nun mit der Übergangsbestimmung quasi sanktioniert werden. Der Lösungsansatz der Initiative ist insofern unbefriedigend, als die zu grossen Bauzonen und die Zersiedelung in der Schweiz zwar ins Visier genommen werden, gleichzeitig aber der unbefriedigende Zustand mit dem Bauzonen-Moratorium zementieren wird. Alle diejenigen Kantone oder Gemeinden, welche in der Vergangenheit zu grosse Bauzonen ausgeschieden haben, würden damit «belohnt», während denjenigen, die ihre Planung jeweils auf den effektiven Bedarf hin ausgerichtet haben, Entwicklungsmöglichkeiten genommen würden. Da nicht selten dort, wo der grösste Bedarf an Bauland besteht, auch die Siedlungsentwicklung nach innen beziehungsweise die Verdichtung am weitesten fortgeschritten ist, würde das Bauland-Moratorium gerade diese Gebiete am härtesten treffen. Dort käme es wegen des haushälterischen Umgangs mit dem Boden in der Vergangenheit zu einem Entwicklungsstillstand in der nahen Zukunft.

Damit würden diese Gebiete für ihre eigentlich richtige Politik nachträglich bestraft werden.

10

Bundesamt für Raumentwicklung, Raumentwicklungsbericht 2005, S. 31.

1041

Nun gehen die Initiantinnen und Initianten, wie aus ihren publizierten Erklärungen und Erläuterungen hervorgeht11, davon aus, dass eine Umlagerung von Bauland in der Zukunft dafür sorgen würde, dass das Angebot an Bauland sich dort befindet, wo dieses tatsächlich nachgefragt wird. Sie sind der Auffassung, dass der Bundesgesetzgeber die nötigen Instrumente für solche Umlagerungen schaffen müsste. Diese Instrumente müssten interkantonal wirksam sein. Konkret würde es darum gehen, dass in einem Kanton mit zuviel Bauland Auszonungen und in einem andern Kanton mit zu wenig Bauland gleichzeitig Einzonungen vorgenommen würden. Bis jetzt sind keine solchen wirksamen Instrumente bekannt, geschweige denn erprobt worden. Es ist ungewiss, ob solche Instrumente auf dem Wege der Gesetzgebung geschaffen und rechtzeitig zum Funktionieren gebracht werden können.

Die Annahme der Initiative würde dazu führen, dass die Gesamtfläche der Bauzonen in der Schweiz während zwanzig Jahren nicht vergrössert würde. Wenn nun aber das Bauland dort, wo eine Entwicklung aus raumplanerischer Sicht sinnvoll wäre, trotz Überbauung der Nutzungsreserven knapp ist und die Nachfrage das Angebot daher übersteigt, müsste wohl damit gerechnet werden, dass das Bauland in diesen Gebieten teurer wird. Dies wiederum hätte auch eine Steigerung der Mietzinse zur Folge.

Die Preis- und Mietzinssteigerungen dürften nicht in allen Gegenden der Schweiz gleich hoch ausfallen. Besonders betroffen wären die Agglomerationen und andere Gebiete, in denen die Baulandreserven bereits heute knapp sind.

Je länger der von der Initiative auf 20 Jahre festgelegte Bauzonenstopp andauert, desto schwieriger dürfte es sein, für die Ansiedlung einer neuen grossen Industrieanlage an geeigneten Orten genügend verfügbares und zusammenhängendes Industrieland bereitzustellen. Sogar wenn gesamtschweizerisch dafür noch genügend Bauland vorhanden wäre, ist nicht ersichtlich, mit welchen Instrumenten die in Artikel 197 Ziffer 8 BV vorgesehene Bauzonen-Kompensation zeitgerecht bewerkstelligt werden könnte. Die Gefahr wäre daher gross, dass gerade attraktive Unternehmen sich statt in der Schweiz im nahe gelegenen Ausland ansiedeln würden. Die Erfahrung der letzten Jahre hat nämlich gezeigt, dass der Zeitfaktor bei solchen Ansiedlungen eine mitentscheidende Rolle spielt. Aus
diesen Gründen dürfte die Annahme der Initiative wirtschaftliche Nachteile für den Wirtschaftsstandort Schweiz zur Folge haben.

Auf der anderen Seite könnte die Siedlungsentwicklung nach innen eine Erneuerungswelle auslösen. In die Jahre gekommene Bauten könnten vermehrt abgebrochen und an ihrer Stelle zweckmässigere, rentablere und vor allem energietechnisch bessere Bauten errichtet und eine höhere Ausnutzung erzielt werden. Solche kompaktere Siedlungen wären auch geeignet, die Kosten für die Erschliessung und für weitere Infrastrukturen zu verringern.

4.3

Vorzüge und Mängel der Initiative

Angesichts des Umstandes, dass sich die Bauzonen nach wie vor ausdehnen, teilt der Bundesrat mit den Initianten die Sorge um den Verlust an landwirtschaftlichem Land und die fortschreitende Beeinträchtigung von Natur und Landschaft. Er teilt auch die Meinung, dass die vorhandenen Instrumente der Raumplanung nicht ausreichen, um diese Entwicklung zu stoppen. Der neu vorgeschlagene Artikel 75 BV ist an sich wenig problematisch. Der Bundesrat ist aber der Auffassung, dass die 11

Vgl. www.landschaftsinitiative.ch

1042

notwendigen rechtlichen und planerischen Instrumente für eine vermehrte Siedlungsentwicklung nach innen und für einen besseren Natur- und Landschaftsschutz bereits gestützt auf die geltende Verfassungsbestimmung durch eine Revision des Raumplanungsgesetzes geschaffen werden können. Eine Änderung der Verfassung ist aus seiner Sicht nicht nötig.

Die Initiative erscheint geeignet, die weitere Ausdehnung der Bauzonen auf unüberbautes Land mindestens für zwanzig Jahre zu stoppen. Gleichzeitig würde dies einen besseren Schutz des landwirtschaftlich genutzten Landes und auch der Landschaft mit sich bringen und den Pro-Kopf-Verbrauch an Boden begrenzen. Andererseits wird die Zersiedelung mit der Initiative in gewissen Gebieten eher noch verstärkt, indem sich aufgrund des Moratoriums die Bautätigkeit auf Gebiete konzentrieren könnte, wo zu grosse und oftmals auch raumplanerisch ungeeignete Bauzonen ausgeschieden sind. Aus raumplanerischer Sicht zu begrüssen ist dagegen der Fokus auf die Siedlungsentwicklung nach innen. Dabei wird das Schwergewicht auf die Qualität einer solchen Entwicklung gelegt, was richtig ist.

Obwohl das zwanzigjährige Bauzonen-Moratorium die Zersiedelung vorläufig stoppen könnte, steckt für den Bundesrat die Problematik der Initiative eben gerade in dieser Übergangsbestimmung: Kantone und Gemeinden, die haushälterisch mit dem Boden umgegangen sind und bedarfsgerecht Bauzonen ausgeschieden haben, würden bestraft. Gebiete, in denen zu grosse und raumplanerisch ungeeignet gelegene Bauzonen ausgeschieden wurden, würden demgegenüber belohnt, indem ihnen nach Annahme der Initiative nach wie vor Wachstumsmöglichkeiten offenstünden.

Da wie bereits ausgeführt der Ausgleich über die Kantonsgrenzen hinweg schwierig zu bewerkstelligen wäre, würde bei Annahme der Initiative das Risiko bestehen, dass sich je nach Gegend eine einschneidende Verknappung von Bauland ergeben könnte. Dies dürfte die Grundstückpreise sowie die Mietzinse steigen lassen und zu spürbaren Nachteilen für den Wirtschaftsstandort Schweiz führen. Land für Neuansiedlungen grösserer Unternehmen würde entweder nicht zur Verfügung stehen oder wäre gegenüber dem Ausland viel teurer, was die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz beeinträchtigen würde.

Neueinzonungen wären zwar immer noch möglich, wenn gleichzeitig anderswo eine gleich
grosse Fläche ausgezont würde. Während ein solches Ausgleichssystem innerhalb einer Gemeinde oder auch eines Kantons als bewältigbar erscheint, wäre die Praktikabilität über die Kantonsgrenzen hinweg fraglich. Sehr viel hinge dabei vom Bundesgesetzgeber ab, der Instrumente schaffen müsste, welche die Kantone motivieren oder als Ultima Ratio zwingen würden, Bauland zugunsten anderer Gegenden auszuzonen. Deshalb erscheint es zweifelhaft, ob einer einschneidenden Baulandverknappung in gewissen Gegenden tatsächlich wirksam entgegengewirkt werden könnte.

Gemäss dem Initiativtext könnte eine Vergrösserung der Bauzone während der Dauer des Moratoriums in Ausnahmefällen mit Zustimmung des Bundesrats vorgenommen werden. In welchem Verfahren eine solche Zustimmung zu erteilen wäre und ob dagegen Rechtsmittel offenstünden, geht aus dem Initiativtext nicht hervor.

Weiter ist unklar, was nach Ablauf des zwanzigjährigen Moratoriums passieren soll.

1043

5

Schlussfolgerungen

Die Volksinitiative greift ein drängendes Problem der schweizerischen Raumplanung auf. Das zwanzigjährige Baulandmoratorium nimmt indessen weder Rücksicht auf kantonale und regionale Unterschiede im Baulandbedarf noch auf eine denkbare Bauzonenverknappung. Vor allem aber könnte das Moratorium zu einer verstärkten Zersiedelung führen, da auch an raumplanerisch geeigneten Stellen kein Bauland mehr eingezont werden darf und somit bestehende Bauzonen «im Grünen» vermehrt überbaut würden. Die Gefahr einer Verteuerung des Baulandes und eines damit verbundenen Ansteigens der Kauf- und Mietpreise für Liegenschaften ist gross.

Schliesslich würde dem Bundesrat bei einer Genehmigung neuer Bauzonen eine Kompetenz zukommen, die die kantonale Zuständigkeit im Vergleich zu heute stark beschneiden würde. Die Übergangsbestimmung schiesst sowohl in der gewählten Massnahme wie auch in ihrer Dauer über das Ziel hinaus.

Der Bundesrat ist aus all diesen Gründen der Auffassung, dass die Volksinitiative «Raum für Mensch und Natur (Landschaftsinitiative)» abzulehnen ist.

6

Indirekter Gegenvorschlag: Grundzüge der Vorlage

Der Landschaftsinitiative wird jedoch eine Teilrevision des Raumplanungsgesetzes als indirekter Gegenvorschlag gegenübergestellt. Die Teilrevision basiert auf folgenden drei Feststellungen: ­

Die Initiative weist auf tatsächliche Defizite in der Raumplanung der letzten Jahre hin.

­

Das zwanzigjährige Baulandmoratorium ist nicht geeignet,einer überbordenden Siedlungsentwicklung adäquat zu begegnen. Dort, wo bereits heute zu grosse Bauzonen ausgeschieden sind, geht die Zersiedelung weiter. Andrerseits werden diejenigen Kantone und Regionen übermässig betroffen, die bis heute haushälterisch mit dem Boden umgegangen sind.

­

Um diese Defizite anzugehen, bedarf es keiner Revision der Bundesverfassung.

Der Bundesrat schlägt eine Teilrevision des Raumplanungsgesetzes vor, welche sich auf die Themen beschränkt, die auch von der Landschaftsinitiative angesprochen werden. Es sind dies vor allem: ­

rasch wirksame Massnahmen gegen die weitere Zersiedelung der Schweiz;

­

die Förderung einer qualitativ hochwertigen Siedlungsentwicklung nach innen;

­

die bedarfsgerechte Dimensionierung der Bauzonen.

Vorgeschlagen werden Ergänzungen der Ziele und Planungsgrundsätze der Raumplanung, eine Neuformulierung der Mindestinhalte der kantonalen Richtpläne im Bereich Siedlung, eine Neudefinition der Anforderungen an Bauzonen, Bestimmungen über die Förderung der Verfügbarkeit der Bauzonen sowie die Verpflichtung der Kantone zur Anpassung ihrer Richtpläne und Bauzonen.

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Während die Instrumente der Landschaftsinitiative die Baulandfläche der gesamten Schweiz ins Visier nehmen, liegt der Fokus der Teilrevision auf den Kantonen.

Soweit diese ihre Arbeit korrekt gemacht haben, sollen sie bei Bedarf auch Neueinzonungen vornehmen können. Dort, wo das bestehende Bauland den Bedarf übersteigt, sollen Auszonungen durchgeführt oder zumindest Neueinzonungen kompensiert werden müssen. Jedenfalls schliesst die Teilrevision aus, dass ein Kanton unter Planungssünden eines anderen Kantons zu leiden hätte.

Sowohl die Initiative wie auch der indirekte Gegenvorschlag haben zum Ziel, die inneren Nutzungsreserven verfügbar zu machen und eine hochwertige Siedlungsentwicklung nach innen zu fördern.

Der Bundesrat legt dem Parlament eine separate Botschaft zu dieser Teilrevision des Raumplanungsgesetzes vor, in welcher die einzelnen Revisionsbestimmungen sowie ihre Auswirkungen detailliert dargelegt werden.

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