10.458 Parlamentarische Initiative Behandlung von bekämpften Vorstössen Bericht des Büros des Nationalrates vom 27. August 2010

Sehr geehrte Damen und Herren, Mit diesem Bericht unterbreiten wir Ihnen den Entwurf zu einer Änderung des Geschäftsreglementes des Nationalrates. Gleichzeitig erhält der Bundesrat Gelegenheit zur Stellungnahme.

Das Büro beantragt, dem beiliegenden Entwurf zuzustimmen.

Gleichzeit beantragen wir Ihnen folgenden Vorstoss abzuschreiben: 2009 M 08.4037

27. August 2010

Motionen und Postulate. Vermeidung von Obstruktionstaktiken (N 25.09.2009, Hochreutener)

Im Namen des Büros Die Präsidentin: Pascale Bruderer Wyss

2010-2146

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Bericht 1

Ausgangslage und Entstehungsgeschichte

Die Urheberin oder der Urheber einer Motion oder eines Postulates erklärt nach der Stellungnahme des Bundesrates jeweils, ob sie oder er mit dem Antrag des Bundesrates einverstanden ist. Falls dem Antrag des Bundesrates zugestimmt wird, kommt der entsprechende Vorstoss im Nationalrat auf eine Liste, welche jeweils in der dritten Sessionswoche verteilt und als Ergänzung der Tagesordnung am letzten Sessionstag behandelt wird. Die Ratsmitglieder haben dabei bis am vorletzten Sessionstag Zeit, um einen vom Antrag des Bundesrates abweichenden Antrag zu stellen und einen Vorstoss zu «bekämpfen». Vorstösse, die der Bundesrat zur Annahme empfiehlt und nicht bekämpft sind, werden am letzten Sessionstag diskussionslos angenommen. Vorstösse, die von einem oder mehreren Ratsmitgliedern bekämpft werden, können dagegen nicht in diesem vereinfachten Verfahren behandelt werden. Ihre Beratung wird wegen Zeitmangels und weil die zuständige Vertretung des Bundesrates nicht anwesend ist, auf einen späteren Zeitpunkt verschoben.

Pro Session werden durchschnittlich etwa 14 von knapp 30 vom Bundesrat zur Annahme empfohlenen Vorstösse bekämpft.

Um bekämpfte Motionen und Postulate in einem beschleunigten Verfahren behandeln zu können, reichte Herr Nationalrat Hochreutener am 23. März 2007 (07.3211 Hochreutener Norbert. Motionen und Postulate. Vermeidung von Obstruktionstaktiken) und am 19. Dezember 2008 (08.4037 Hochreutener Norbert. Motionen und Postulate. Vermeidung von Obstruktionstaktiken) praktisch gleichlautende Motionen ein. Begründet wurde das Anliegen jeweils damit, dass momentan ein einziges Ratsmitglied die Annahme eines Vorstosses verhindern kann, selbst wenn ihn eine grosse Mehrheit unterstützt. Herr Nationalrat Hochreutener listet in seinen Motionen folgende zwei mögliche Lösungsvorschläge auf: ­

Sofortige Überweisung eines Vorstosses ohne Diskussion mit einer qualifizierten Mehrheit des Rates. Würde diese qualifizierte Mehrheit nicht erreicht, würde das heutige Verfahren Platz greifen.

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Eine Behandlung in Kategorie V ­ mit schriftlicher Begründung des Ratsmitgliedes, das den Vorstoss bekämpft ­ in der folgenden Session.

Die erste Motion von Nationalrat Hochreutener vom 23. März 2007 (07.3211) stiess im Büro auf Sympathie. Es lehnte zwar die vorgeschlagene Variante der Annahme von Vorstössen im Schnellverfahren mit qualifiziertem Mehr ab, da es keine neue Beratungsform einführen wollte. Eine Einführung eines qualifizierten Mehrheitsbeschlusses bedürfte zudem einer Verfassungsänderung, weil Artikel 159 der Bundesverfassung die Fälle des qualifizierten Mehrs abschliessend aufzählt. Hingegen hielt es das Büro für denkbar, bekämpfte Vorstösse generell im schriftlichen Verfahren (d.h. in Kategorie V) zu behandeln. Die vom Büro unterstützte Motion stiess im Rat allerdings auf Widerstand und wurde am 4. Juni 2007 mit 107 zu 67 Stimmen abgelehnt. Bemängelt wurde insbesondere, dass ausgerechnet zu jenen parlamentarischen Vorstössen, die aus der Mitte des Rates bekämpft werden und somit umstritten sind, keine politische Diskussion mehr stattfinden kann.

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Bei der Antwort vom 13. Februar 2009 auf die zweite Motion von Herr Nationalrat Hochreutener vom 19. Dezember 2008 (08.4037) empfahl das Büro, vor einer weiteren Änderung des Verfahrens bei Vorstössen, die Auswirkungen der im März 2009 in Kraft tretenden Änderungen des Parlamentsgesetzes und des Geschäftsreglementes des Nationalrates abzuwarten (vgl. Vorlage «07.400 Parlamentarische Initiative der Staatspolitischen Kommission NR: Parlamentsrecht. Verschiedene Änderungen»). Es verwies dabei insbesondere auf die Pflicht zur Behandlung von Vorstössen und parlamentarischen Initiativen während mindestens acht Stunden pro Session, die automatische Abschreibung von nicht abschliessend behandelten Vorstössen nach zwei Jahren und die neue Behandlungskategorie für Motionen und Postulate in Form der Kurzdebatte (Beratung neu in Kategorie IV statt wie bis anhin in Kategorie I)1 2. Entsprechend kam das Büro am 13. Februar 2009 zum Schluss, dass es das Anliegen von Herrn Nationalrat Hochreuter in Form eines Postulates unterstützen würde, in der Form einer Motion aber ablehne. Entgegen diesem Antrag nahm der Nationalrat die Motion 08.4037 am 25. September 2009 jedoch deutlich mit 137 zu 44 Stimmen an und beauftragte somit das Büro zu deren Umsetzung.

Das Büro des Nationalrates verfolgte den ersten Lösungsvorschlag von Herrn Nationalrat Hochreutener, die Einführung eines qualifizierten Mehrheitsbeschlusses zur sofortigen Überweisung eines Vorstosses, nicht weiter, da dazu eine Verfassungsänderung notwendig wäre (vgl. abschliessende Aufzählung des qualifizierten Mehrs in Art. 159 Abs. 3 der Bundesverfassung). Es diskutierte aber eine Umsetzungsvariante, wonach die bekämpften Vorstösse bei den am Ende einer Sitzung traktandierten Vorstössen aus einem Departement priorisiert und entsprechend zuoberst auf die chronologisch geordnete Liste gesetzt würden. Um ein taktisches Vorgehen zu verhindern, würden Vorstösse nicht priorisiert, die nur von Mitgliedern der eigenen Fraktion bekämpft werden. Diese Priorisierung der bekämpften Vorstösse wäre in Form einer Praxisänderung ­ also ohne Reglementsänderung ­ und ohne Einschränkung des Rederechts umsetzbar. Allerdings ist es unwahrscheinlich, dass in jeder Session Vorstosslisten aus sämtlichen Departementen traktandiert werden können und die Zeit zur Behandlung der priorisierten
Vorstösse ausreicht. Das Büro bevorzugte vor diesem Hintergrund die Behandlung der bekämpften Vorstösse in einem ausschliesslich schriftlichen Verfahren am letzten Tag der folgenden Session. Da dazu eine Reglemtentsänderung notwendig ist, beschloss es am 7. Mai 2010, eine parlamentarische Initiative auszuarbeiten (10.458 Pa.Iv. Bü-NR. Behandlung von bekämpften Vorstössen).

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Mit der ab der Frühjahrssession 2009 neu für Vorstösse vorgesehene Behandlungskategorie IV statt I, entfallen die von Herrn Nationalrat Hochreutener in der Begründung der Motionen ebenfalls aufgeführten Argumente, wonach es unbefriedigend sei, dass ein einziges Ratsmitglied eine Debatte in Kategorie I provozieren könne und dass die durch eine Motion oder Postulat schliesslich ausgelösten Vorlagen im Regelfall in einer eingeschränkteren Beratungsform behandelt würden als die Motionen und Postulate selber.

Unterdessen liegen erste Erfahrungswerte in Bezug auf die Änderungen des Parlamentsgesetzes und des Geschäftsreglementes vor. So ist die Zahl der im Nationalrat behandelten bzw. erledigten parlamentarischen Vorstösse ab der Frühjahrsession 2009 signifikant angestiegen. Während im Jahr 2008 im Schnitt 30 Motionen und 13 Postulate pro Session erledigt wurden, waren es im Jahr 2009 durchschnittlich 92 Motionen und 29 Postulate und im ersten Halbjahr 2010 69 Motionen und 30 Postulate pro Session (jeweils ohne abgeschriebene und zurückgezogene). Diese Entwicklung wurde vor allem auch durch die Tatsache begünstigt, dass bei organisierten Debatten zu einem Thema (z.B. a.o. Sessionen zu Finanzkrise, Konjunkturmassnahmen, Verschärfung des Strafrechts, Zuwanderung) zahlreiche inhaltlich dazugehörende Vorstösse in Kategorie II behandelt und zudem am Ende einer Sitzung Vorstösse aus einem Departement traktandiert wurden.

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Grundzüge der Vorlage ­ Behandlung von bekämpften Vorstössen

Bekämpfte Vorstösse sollen neu am letzten Tag der auf die Bekämpfung folgenden Session im schriftlichen Verfahren ohne jegliches Recht auf Wortmeldung behandelt werden, d.h. es finden nur noch die Abstimmungen statt. Die Bekämpfung der Vorstösse erfolgt dabei gemäss heutiger Praxis, indem dem Ratssekretariat bis am vorletzten Tag der aktuellen Session eine Meldung gemacht wird. Zusätzlich besteht neu die Möglichkeit, bis zu Beginn der nächsten Session eine kurze schriftliche Begründung einzureichen. Die Begründung der Urheberin oder des Urhebers und die Antwort des Bundesrates liegen ebenfalls schriftlich vor.

Dieses Vorgehen weicht von der im Geschäftsreglement in Artikel 48 Absatz 2bis vorgesehenen Behandlung von Vorstössen in Kategorie IV ab (Rederecht für die Urheberin oder den Urheber, das den Vorstoss als erstes bekämpfende Ratsmitglied sowie die Vertretung des Bundesrates). Es steht aber auch in Widerspruch zu einer gewöhnlichen Beratung in Kategorie V, da sich gemäss Artikel 46 Absätze 3 und 4 GRN die Vertretung des Bundesrates sowie der Urheber oder die Urheberin einer Motion oder eines Postulates unabhängig von der Beratungsform zu Wort melden können. Für ein ausschliesslich schriftliches Verfahren ohne jegliche Wortmeldung, welches sich wegen der sonst erforderlichen Anwesenheit mehrerer Bundesratsmitglieder und aus Zeitgründen aufdrängt, muss in einem neuen Artikel 28a Absatz 2 für die Behandlung von bekämpften Vorstössen das in Artikel 46 Absätze 3 und 4 GRN festgehaltene Rederecht der Vertretung des Bundesrates und der Urheberin oder des Urhebers ausgeschlossen werden. Ein Ausschluss des Rederechts für die Urheberin oder den Urheber sieht das Geschäftsreglement bereits für parlamentarische Initiativen vor, die zwei Jahre nach ihrer Einreichung noch nicht abschliessend behandelt wurden und bei denen die Kommission keine Folge zu geben beantragt (Art. 28b Abs. 4 GRN).

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Erwägungen des Büros

Das Büros anerkennt in Bezug auf bekämpfte Vorstösse Handlungsbedarf. Es hält die geringfügige Änderung des Geschäftsreglements und die neue Form der raschen Behandlung von bekämpften Vorstössen für geeignet, um Obstruktionstaktiken zu verhindern und den Stellenwert von (mehrheitsfähigen) Vorstössen zu erhöhen. Es streicht heraus, dass mit den geltenden Bestimmungen im Extremfall ein einziges Ratsmitglied die rasche Annahme eines ansonsten unbestrittenen Vorstosses blockieren kann. Durch die schriftlich vorliegenden Argumente sowohl der Urheberin oder des Urhebers wie auch des bekämpfenden Ratsmitgliedes und des Bundesrates sei die Entscheidgrundlage hinreichend transparent und die freie Meinungsfindung gewährleistet. Das Büro macht darauf aufmerksam, dass teilweise auch bei politisch wichtigen, umfassenden Bundesratsgeschäften Einzelanträge nur in schriftlicher Form begründet werden können und dass das Geschäftsreglement in Bezug auf während zwei Jahren nicht behandelten parlamentarischen Initiativen, bei denen die Kommission keine Folge zu geben beantragt, ebenfalls ein ausschliesslich schriftliches Verfahren vorsieht.

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Erläuterungen zu den einzelnen Bestimmungen

Art. 28a Abs. 2 (neu) GRN Vergleiche Ausführungen in Ziffer 2.

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Finanzielle und personelle Auswirkungen

Die vorgeschlagene Änderung hat keine unmittelbaren finanziellen und personellen Auswirkungen.

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Rechtliche Grundlagen

Die vorgeschlagene Änderung stützt sich auf Artikel 36 ParlG.

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