08.421 Parlamentarische Initiative Strassenverkehrsgesetz. Änderung Bericht der Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen des Nationalrates vom 22. April 2010

Sehr geehrte Frau Präsidentin Sehr geehrte Damen und Herren Mit diesem Bericht unterbreiten wir Ihnen den Entwurf zu einer Änderung des Strassenverkehrsgesetzes. Gleichzeitig erhält der Bundesrat Gelegenheit zur Stellungnahme.

Die Kommission beantragt, dem beiliegenden Entwurf zuzustimmen.

22. April 2010

Im Namen der Kommission Der Präsident: Max Binder

2010-1080

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Übersicht Der vorliegende Entwurf zur Änderung des Strassenverkehrsgesetzes geht auf eine im März 2008 von Nationalrat Alfred Heer eingereichte parlamentarische Initiative zurück, welche verlangt, dass das Fahren ohne den erforderlichen Führerausweis gleich hart bestraft werden soll wie das Fahren trotz entzogenem oder aberkanntem Führerausweis.

Nach geltendem Recht wird das Führen eines Motorfahrzeuges, ohne jemals eine Führerprüfung absolviert zu haben oder ohne den für die entsprechende Kategorie erforderlichen Führerausweis zu besitzen, mit Busse bestraft. Demgegenüber wird eine Person, die ein Motorfahrzeug führt, obwohl ihr der Führerausweis entzogen wurde, mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit einer Geldstrafe bestraft.

Der Erlassentwurf sieht vor, diese Delikte gleich zu behandeln. Damit sollen die Rechtsgleichheit gewährleistet und die Verkehrssicherheit erhöht werden.

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Bericht 1

Entstehungsgeschichte

Am 20. März 2008 reichte Nationalrat Alfred Heer eine parlamentarische Initiative ein. Sie verlangt, dass mit einer Änderung des Strassenverkehrsgesetzes das Fahren ohne den erforderlichen Führerausweis gleich hart bestraft wird wie das Fahren trotz entzogenem oder aberkanntem Führerausweis.

Die Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen des Nationalrates hat die Initiative am 31. Oktober 2008 vorgeprüft und ihr mit 10 zu 9 Stimmen bei 3 Enthaltungen Folge gegeben.

Dieser Beschluss wurde gestützt auf Artikel 109 Absatz 3 des Bundesgesetzes über die Bundesversammlung (Parlamentsgesetz; ParlG)1 der zuständigen Kommission des anderen Rates vorgelegt. Am 12. Januar 2009 stimmte die Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen des Ständerates dem Beschluss der Schwesterkommission mit 8 zu 1 Stimmen bei 2 Enthaltungen zu.

Daraufhin arbeitete die Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen des Nationalrates gestützt auf Artikel 109 Absatz 1 ParlG den vorliegenden Erlassentwurf aus.

1.1

Motion mit demselben Anliegen

Am 1. Dezember 2003 hatte Nationalrat Rudolf Joder eine Motion (03.3587) mit demselben Anliegen eingereicht, nämlich den Strafrahmen für das Führen eines Motorfahrzeuges ohne erfolgreich absolvierte Fahrprüfung beziehungsweise ohne den erforderlichen Führerausweis, zu erhöhen und strenger auszugestalten. Der Bundesrat beantragte am 11. Februar 2004 die Annahme der Motion. Er gab an, die Frage unter dem Aspekt der neuen Strassenverkehrs-Sicherheitspolitik vertieft zu prüfen. Am 19. März 2004 nahmen der Nationalrat und am 9. Dezember 2004 der Ständerat die Motion jeweils ohne Gegenstimme an.

Im Rahmen der Vernehmlassung zur Umsetzung des Handlungsprogramms des Bundes für mehr Sicherheit im Strassenverkehr (Via sicura)2 legte der Bundesrat am 5. November 2008 einen Vorschlag für eine Änderung des Strassenverkehrsgesetzes im Sinne der Motion Joder vor. Dieser Vorschlag liegt dem Erlassentwurf zu dieser Vorlage zu Grunde.

1.2

Arbeiten der Kommission

Die Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen des Nationalrates (hiernach: die Kommission) hat diese Gesetzesänderung an ihrer Sitzungen vom 25. August 2009 und vom 22. April 2010 beraten.

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SR 171.10 BBl 2008 8796

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Am 22. April 2010 nahm die Kommission mit 17 zu 0 Stimmen bei 5 Enthaltung die Vorlage an.

Die Kommission wurde bei ihrer Arbeit vom Eidgenössischen Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) unterstützt.

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Grundzüge der Vorlage

Vier Jahre nach Annahme der Motion Joder hat der Bundesrat das darin formulierte Anliegen in die Vernehmlassungsvorlage von Via sicura aufgenommen. Die Vernehmlassung wurde am 5. November 2008 eröffnet. Die Kommission ist der Meinung, dass es länger dauern würde, bis die gesamte Vorlage von Via sicura in Kraft treten könnte, als wenn sie selber aufgrund der parlamentarischen Initiative tätig wird.

Die Kommission sieht rasch notwendigen Handlungsbedarf, weil es immer wieder zu schweren Verkehrsunfällen von Personen kommt, die über keinen Führerausweis verfügen oder nicht im Besitz des für die entsprechende Kategorie erforderlichen Führerausweises sind. Beide Delikte werden nach geltendem Recht mit einer Busse (Übertretung) bestraft. Dies wird als stossend empfunden, weil Personen, die ein Motorfahrzeug führen, obwohl ihnen der Führerausweis entzogen wurde, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft werden (Vergehen). Die gleiche Sanktion soll auch gelten für das Fahren ohne Lernfahrausweis oder ohne die vorgeschriebene Begleitung sowie das Überlassen eines Fahrzeugs an eine Person, die den erforderlichen Ausweis nicht besitzt.

In Ergänzung zur parlamentarischen Initiative Heer wird vorliegend eine Bestrafung für Personen vorgeschlagen, die ein Motorfahrzeug führen, obwohl ihr Führerausweis auf Probe infolge zweier begangener Widerhandlungen verfallen ist (Art. 15a Abs. 4 SVG3). Dieser Straftatbestand wurde von den Vernehmlassungsteilnehmenden nicht vorgeschlagen. Er soll aber aus Gründen der Rechtsgleichheit und Folgerichtigkeit ebenfalls in das vorgesehene System der Bestrafung beim Fahren ohne Führerausweis aufgenommen werden.

Gerade Personen ohne Führerausweis stellen ein erhöhtes Risiko für die übrigen Verkehrsteilnehmenden dar. Im Gegensatz zu Personen, die schon einmal einen Führerausweis erworben haben, verfügen sie über keine Fahrpraxis. Da die Strafandrohung eher gering ist, kann es sogar Personen geben, die sich nicht um einen Führerausweis bemühen, weil ihnen vielleicht die Theorieprüfung zu schwierig oder die Fahrschule zu teuer ist.

Die nach heutigem Recht bestehende rechtsungleiche Behandlung soll behoben werden. In allen Fällen setzten sich die betroffenen Personen wissentlich über das Verbot hinweg, ein Motorfahrzeug zu führen. Eine strengere Regelung hätte auch präventiven Charakter. Aus Sicht der Rechtsgleichheit und Verkehrssicherheit besteht Handlungsbedarf.

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SR 741.01

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Vernehmlassung

In der Vernehmlassung zu Via sicura stiess die vorgeschlagene Neuerung auf breite Zustimmung. Von den 139 Vernehmlassungsteilnehmenden, die sich zum Vorschlag geäussert haben, begrüssen sie alle Kantone, 3 in der Bundesversammlung vertretene Parteien (EVP, SP, Grüne Partei der Schweiz), 3 gesamtschweizerische Dachverbände der Gemeinden, Städte und Berggebiete sowie der Wirtschaft, 67 andere Organisationen und 34 Private. Explizit abgelehnt wird sie von einer Organisation und einer Privatperson sowie von der FDP, die ihre Ablehnung damit begründet, dass die geltenden Vorschriften ausreichten, um das Fahren ohne den erforderlichen Führerausweis streng zu bestrafen. Die SVP und die CVP lehnen Via sicura generell ab.

Zentrales Argument der die Neuregelung Befürwortenden ist die Beseitigung der bestehenden rechtlichen Ungleichbehandlung zwischen dem Fahren trotz Entzug des Führerausweises und dem Fahren ohne den erforderlichen Führerausweis. Acht Kantone stellen sich darüber hinaus die Frage, ob das Fahren mit einem abgelaufenen Führerausweis (z.B. wegen versäumter Weiterausbildung bei Inhabern und Inhaberinnen des Führerausweises auf Probe) nicht einem speziellen, neu zu schaffenden Tatbestand unterstellt werden solle, der gegebenenfalls eine mildere Sanktion erlauben würde. Das Anliegen erscheint der Kommission berechtigt und wird deshalb in dieser Vorlage mitberücksichtigt.

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Erläuterungen zu den einzelnen Bestimmungen

Art. 95 Ziffer 1: Der neuen Strafnorm unterliegen Personen, die noch nie einen Führerausweis erworben haben, aber dennoch ein Motorfahrzeug führen. Strenger bestraft werden sollen auch solche, die zwar einen Führerausweis besitzen, nicht aber für die entsprechende Kategorie. Dies trifft beispielsweise bei einem Inhaber oder einer Inhaberin des Führerausweises der Kategorie B (Personenwagen) zu, wenn er oder sie ein Motorfahrzeug der Kategorie C (Lastwagen) führt. Der gleichen Strafandrohung unterliegen auch Personen, die ein Motorfahrzeug führen, obwohl ihnen der Lernfahr- oder Führerausweis verweigert, entzogen oder aberkannt wurde. Aus systematischen Überlegungen (gleiche Strafandrohung) werden die Tatbestände der bisherigen Ziffer 2 in die Ziffer 1 integriert.

Derselben schärferen Strafandrohung unterliegen auch Inhaberinnen und Inhaber des Lernfahrausweises, die eine Lernfahrt ohne die vorgeschriebene Begleitperson ausführen (Art. 15 Abs. 1 SVG4) sowie Personen, die ein Motorfahrzeug einem Führer oder einer Führerin überlassen, jedoch wissen oder bei pflichtgemässer Aufmerksamkeit wissen können, dass diese nicht über den erforderlichen Ausweis verfügen.

Bei all diesen Tatbeständen sind die Voraussetzungen für eine Bestrafung dieselben wie unter dem geltenden Recht. Eine Widerhandlung wird jedoch nicht mehr als Übertretung (Busse), sondern als Vergehen (Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe) geahndet.

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Personen, die trotz Verfalls des Führerausweises auf Probe (Art. 15a Abs. 4 SVG) ein Motorfahrzeug führen, sollen derselben Strafandrohung unterliegen wie Personen, die dies ohne den erforderlichen Führerausweis tun. Sie haben zwar eine Ausbildung absolviert und eine Führerprüfung bestanden. Nach der zweiten Widerhandlung, die zum Verfall des Führerausweises geführt hat, müssen sie jedoch mit der Ausbildung wieder von vorne beginnen, und sie erhalten einen Lernfahrausweis erst nach Beibringung eines verkehrspsychologischen Gutachtens, das ihre Fahreignung bejaht (Art. 15a Abs. 5 SVG). Somit werden sie einerseits so behandelt, wie wenn sie nie einen Führerausweis besessen hätten. Andererseits wird der Erwerb eines (neuen) Lernfahrausweises an strengere Voraussetzungen geknüpft als für Personen, die sich das erste Mal darum bewerben.

Ziffer 1bis: Eine mildere Strafandrohung als in Ziffer 1 wird vorgeschlagen für Inhaber und Inhaberinnen des Führerausweises auf Probe, welche zwar die Probezeit, nicht aber die von Artikel 15a Absatz 2 Buchstabe b SVG geforderte Weiterbildung absolviert haben. In diesen Fällen läuft der Führerausweis auf Probe ab, ohne dass ein unbefristeter Führerausweises erteilt wird. Solche Lenker und Lenkerinnen gefährden die übrigen Verkehrsteilnehmenden potenziell weniger als Personen, die keine Fahrausbildung absolviert beziehungsweise die Führerprüfung nicht bestanden haben oder deren Führerausweis auf Probe infolge begangener Widerhandlungen verfallen ist. Demgegenüber setzen sie sich darüber hinweg, dass sie nicht mehr Motorfahrzeuge derjenigen Kategorien lenken dürfen, für die sie einmal einen Führerausweis erworben haben. Die Androhung einer milderen Strafe, Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen anstelle von Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe, trägt diesen Umständen Rechnung.

Ziffer 1ter: Die übrigen Tatbestände des geltenden Artikels 95 Ziffer 1 SVG werden weiterhin als Übertretung geahndet, weil sie ein geringeres Gefährdungspotenzial aufweisen. Aus systematischen Gründen (andere Strafandrohung) werden sie in der neuen Ziffer 1ter aufgeführt.

Ziffer 2: Diese Ziffer kann aufgehoben werden. Die darin aufgeführten Tatbestände enthalten die gleiche Strafandrohung wie diejenigen in Ziffer 1 und können daher dort aufgenommen werden.

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Auswirkungen

5.1

Finanzielle und personelle Auswirkungen

Die Vorlage hat weder finanzielle noch personelle Auswirkungen auf den Bund.

5.2

Vollzugstauglichkeit

Der Vollzug des Strassenverkehrsgesetzes erfolgt durch die Kantone. Die beantragte Neuregelung führt zu einer Strafschärfung. An der Praxis der Strafverfolgung ändert sie nichts, so dass der Vollzug gewährleistet ist.

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Verhältnis zum europäischen Recht

Die Vorlage berührt keine rechtlichen Verpflichtungen der Schweiz gegenüber der Europäischen Union.

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Rechtliche Grundlagen

7.1

Verfassungs- und Gesetzmässigkeit

Die vorgeschlagene Änderung des Strassenverkehrsgesetzes stützt sich wie dieses selbst auf Artikel 82 BV5 sowie auf Artikel 123 BV.

7.2

Erlassform

Nach Artikel 164 Absatz 1 BV6 sind alle wichtigen rechtsetzenden Bestimmungen in der Form eines Bundesgesetzes zu erlassen. Die vorliegend beantragte Änderung des Strassenverkehrsgesetzes erfolgt somit im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren.

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SR 101 SR 101

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