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Bundesratsbeschluss über

die Beschwerde des Schreiners Karl Süssli in Lugano gegen den Entscheid des Justizdepartementes des Kantons Tessin vom 5. März 1907, betreffend Eintragung der Firma Carlo Süssli & Co. in Lugano in das Handelsregister.

(Vom 13. Juni 1907.)

Der schweizerische Bundesrat hat über die Beschwerde des Schreiners K a r l Süssli in Lugano gegen den Entscheid des Justizdepartementes des Kantons Tessin vom 5. März 1907, betreffend Eintragung der Firma Carlo Süssli & Co. in Lugano in das Handelsregister, auf den Antrag seines Justiz- und Polizeidepartementes, folgenden Besehluss gefasst: A.

In tatsächlicher Beziehung wird festgestellt: I.

Karl Süssli, von Wettingen, und sein Verwandter Giuseppe Boffa, von Campione, betrieben im Jahre 1906 in der Via Luigi Lavizzari in Lugano eine Möbelschreinerei, für die sie nach aussen unter dem Namen ,,Carlo S ü s s l i & Co." auftraten.

Mit Schreiben vom 1. Februar 1907 stellte Rechtsagent J. J. Weber in Zürich im Auftrag des Holzhändler« Franz

392 Walter in Stuttgart beim Handelsregisterbureau Lugano das Begehren, die Firma ,,Carlo Süssli & Co."1 sei zur Eintragung in das Handelsregister zn verhalten. Sie betreibe eine Möbelfabrik von bedeutendem Umfang. Die Gesellschaft, die unter der Firma Carlo Süssli & Co. auftrete, unter derselben Wechsel akzeptiere und abgebe, habe u. a. an die Ordre Franz Walter am 15. September und 15. November 1906 Wechsel im Betrage von Fr. 250 und Fr. 300 begeben.

II.

Die Firma wurde deshalb zur Eintragung in das Handelsregister aufgefordert. Mit Schreiben an das Handelsregisterbureau Lugano vom 14. Februar 1907 bestritt aber Karl Süssli die Eintragungspflicht, da das Geschäft seit 29. August 1906 zu bestehen aufgehört habe. Laut einer Erklärung im tessinischen Amtsblatt vom 10. September 1906 sei es an einen J. Schwarzenbach übergegangen und werde nun von diesem betrieben.

Gemäss Art. 26, Absatz 3, der Verordnung über Handelsregister und Handelsamtsblatt überwies der Handelsregisterführei1 die Angelegenheit dem Justizdepartement des Kantons Tessin als kantonaler Aufsichtsbehörde, und dieses verfügte durch Schlussnahme vom 5. März 1907, dass die Firma ,,Carlo Süssli & Co.

in liquidazionea von Amtes wegen in das Handelsregister einzutragen sei.

Es stützte sich dabei auf folgende Erwägungen: Karl Süssli und Giuseppe Boffa betrieben unter gemeinsamer Firma eine Möbelschreinerei. Das Geschäft musste, wie jedes derartige Unternehmen, zweifellos in kaufmännischer Weise betrieben werden und verpflichtete deshalb seine Inhaber zur Eintragung in das Handelsregister gleichviel ob die in Art. 13 der Verordnung vom 6. Mai 1890 vorgesehenen Grenzen für den Umsatz und den Wert des Warenlagers erreicht waren oder nicht. Der Umstand, dass das Geschäft am 29. August 1906 aufgehört hat und nun von J. Schwarzenbach betrieben wird (der sich übrigens erst am 14. Januar 1907 ins Handelsregister eintragen liess), ist bedeutungslos. Entscheidend ist im Gegenteil, dass die Firma Carlo Süssli & Co. damals und noch heute ihre Beziehungen zu Dritten nicht liquidiert hat (Salis, Bundesrecht IV, Nrn. 1617 und 1618). Dass die Liquidation nicht beendigt ist, ergibt sich schon aus dem Umstand, dass die Gesellschaft noch am 15. September eine Rimesse an Franz Walter in Stuttgart übermachte.

393 Im weitern ergibt sich aus einem Bericht des Handelsregisterführers nnd einem solchen des Betreibungsamtes Lugano, dass gegen Karl Süssli eine grosse Zahl Betreibungen hängig sind und zu verschiedenen Pfändungen führten. Die meisten Pfändungen blieben fruchtlos ; die Maschinen und anderes mehr wurden deshalb von den Lieferanten vindiziert, worüber nun ein Prozess hängig ist. Das als Eigentum Süsslis anerkannte vorhandene Holz wurde an öffentlicher Steigerung Schwarzenbach zugeschlagen.

III.

Gegen diesen Entscheid rekurriert Karl Süssli namens der Gesellschaft ,,Carlo 'Süssli & Co.a mit Eingabe vom 11./12. März an den Bundesrat und ersucht um dessen Aufhebung. Zur Begründung macht er geltend : Karl Süssli und sein Verwandter Giuseppe Boffa, beide Schreiner, einigten sich, zusammen Arbeiten auszuführen. Sie eröffneten zu diesem Zweck in Lugano eine kleine Werkstatt mit zwei Werkbänken und dem nötigen Werkzeug. Ihre Arbeiten beschränkten sich auf die Herstellung von Möbeln auf Bestellung.

Die beiden Gesellschafter betätigten sich dabei als gewöhnliche Handwerker, ohne Arbeiter anzustellen. Alles wäre so Verhältnismassig gut gegangen, wenn nicht unglücklicherweise J. Schwarzenbach in Genf die Gesellschafter hätte überreden können, auf Rechnung dieser Firma einige Maschinen in Gebrauch zu nehmen.

Die Maschinen konnten leider nicht bezahlt werden und blieben Eigentum Schwarzenbachs. Die Gesellschaft geriet in finanzielle Schwierigkeiten und musste sich auflösen. J. Schwarzenbach erwarb auf der vom Betreibungsamt vorgenommenen öffentlichen Steigerung die Einrichtungen der Gesellschaft und deren Geschäft und zeigte dies dem Publikum durch Inserat im Amtsblatt vom 14. September 1906 an.

Aus all diesem ergibt sich, dass die Rekurrenten einfache Handwerker waren. Als solche waren sie aber nicht zur Eintragung in das Handelsregister verpflichtet.

Trotzdem wurde von der kantonalen Aufsichtsbehörde die Eintragung der Firma ,,Carlo Süssli & Co. in liquidazione" in das Handelsregister verfügt.

Die. Gründe, welche die Behörde hierzu veranlassten, sind mit der wirklichen Sachlage nicht im Einklang. Der Hauptgrund bestund darin, dass die Gesellschaft ihre Zahlungen eingestellt

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hat. Allein wenn jedermann, der seinen Verbindlichkeiten nicht nachkommen kann, ins Handelsregister müsste eingetragen werden, so wäre gewissermassen niemand von der Eintragspflicht befreit.

IV.

Rechtsagent Weber in Zürich, welchem der Rekurs zur Kenntnis gebracht wurde, beschränkt sicli in seiner Rückäusserung darauf, unter Verweisung auf die am 1. Februar dem Handelsregisterbureau Lugano mitgeteilten Gründe die Abweisung des Rekurses zu beantragen.

V.

Das Justizdepartement des Kantons Tessin seinerseits beantragt in seiner Vernehmlassung ebenfalls Abweisung des Rekurses und Bestätigung seiner Verfügung vom 5. März.

Zur Begründung macht es geltend : Die tatsächlichen Ausführungen der Rekurrenten sind ohne grosse Bedeutung. Keiner der Feststellungen unseres Entscheides vom 5. März wird widersprochen. Süssli irrt sich, wenn er annimmt, unser Entscheid sei hauptsächlich deshalb erfolgt, weil er auf den Namen der Firma Wechsel ausgestellt hat. Wir haben uns in unsern Erwägungen am wenigsten hierauf gestützt. Wir haben im Gegenteil darauf abgestellt und halten daran fest, dass das Geschäft wegen der Entwicklung, die es durch den Gebrauch der von Schwarzenbach gelieferten Maschinen genommen, zweifellos kaufmännische Art annahm und deshalb ohne Rücksicht auf die im Schlusssatz des Art. 13 der Verordnung über das Handelsregister festgesetzten Merkmale eingetragen werden müsste (vgl. Siegmund, Handbuch für die Schweizer. Handelsregisterführer, p. 19).

Die Firma müsste, das ist unbestreitbar, Bücher führen, um ihre Situation kennen zu können, wie sie auch unleugbar zu Dritten in Rechnungsverkältnisse trat.

Die Behauptung, dass die Maschinen Eigentum Schwarzenbachs gewesen seien, ist unerheblich und vermag unsere Ansicht nicht zu entkräften, dass das Geschäft auf alle Fälle nach kaufmännischer Art geführt werden müsste.

Gegen die Gesellschaft, für die nach aussen immer nur Süssli handelte, waren zur Zeit als das Begehren um deren Eintragung gestellt wurde, eine Menge Betreibungen hängig; der Name von

395 Süsslis Gesellschafter war aber weder dem Betreibungsamt noch den dritten Interessenten bekannt und wurde von Süssli erst am 20. Februar 1907 bei seiner Einvernahme durch das Handels;registerbureau Lugano genannt.

Unter diesen Verhältnissen waren wir mit Rücksicht auf die verschiedenen Entscheide der obersten Aufsichtsbehörde (Siegmund, p. 25 und 221/222 [französische Ausgabe p. 219], und Entscheide des Bundesrates vom 19. November 1901 in Sachen Duvanel & Juvet, und vom 11. November 1902 in Sachen ·Coconcelli & Cie.) genötigt, die Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister zu verfügen.

B.

In rechtlicher Hinsicht fällt in Betracht: I.

Der Bundesrat hat längst erkannt und in konstanter Praxis ·daran festgehalten, dass Kollektiv- und Kommanditgesellschaften so lange im Handelsregister eingetragen bleiben müssen, als ihre ·Liquidation nicht beendigt ist, und dass eine Liquidation erst ·dann als beendigt angesehen werden kann, wenn auch die Verbindlichkeiten der Gesellschaft getilgt sind (vergi, den Bundes.ratsbeschluss vom 1. Dezember 1905, in Sachen Sandoz -- Bundesbl. 1905, VI, 511 ff. und die dort zitierten Entscheidungen).

Und gleichfalls ist festgestellt, dass eine Kollektivgesellschaft selbst im Stadium der Liquidation von Amtes \vegen ins Handelsregister einzutragen ist, wenn ihre Eintragung früher unterlassen worden war. (Bundesratsbeschluss vom 19. November 1901 in Sachen Duvanel & Juvet -- Bundesblatt 1901, IV, 920 --, vom 11. November 1902 in Sachen A. Coconcelli
Dass die Verbindlichkeiten der Rekurrenten nicht liquidiert ·sind, ist unbestritten. Die nachträgliche Eintragung der Gesellschaft müsste deshalb verfügt werden, sofern es sich wenigstens tatsächlich um eine Kollektivgesellschaft handelte. Deshalb muss untersucht werden, ob eine Kollektivgesellschaft vorlag.

II.

Nun kennt das Obligationenrecht zwei Arten von Kollektivgesellschaften, die kaufmännischen und die nicht kaufmännischen.

Art. 552 des Obligationenrechtes sagt:

396 in Absatz l : ,,Eine K o l l e k ti vg e S e i l s c h a f t ist vorhanden, wenn zwei oder mehrere Personen, ohne ihre Haftbarkeit nach Massgabe der folgenden Titel zu beschränken, ein Handels-, Fabrikations- oder anderes nach kaufmännischer Art geführtes Gewerbe betreiben.a in Absatz 3 : ,, Gesellschaften für andere als die im ersten Absatz bezeichneten Zwecke können K o l l e k t i v g e s e l l s c h a f t e n werden,, wenn sie sich als solche in das Handelsregister eintragen lassen.a Wenn also mehrere Personen zusammen, ohne ihre Haftbarkeit zu beschränken, ein Handels-, Fabrikations- oder anderes nach kaufmännischer Art geführtes Gewerbe betreiben, so bilden sie ohne weiteres eine Kollektivgesellschaft, auch wenn sie noch nicht im Handelsregister eingetragen sind. Betreibt eine solche Gesellschaft aber keine Handelsgeschäfte, so wird sie erst durch die Eintragung in das Handelsregister zur Kollektivgesellschaft.

III.

Es fragt sich daher, ob Süssli und Boffa ein nach kauf-* männischer Art geführtes Gewerbe betrieben.

Wenn Carlo Süssli & Co. ein Möbellager gehalten und somit einen H a n d e l mit fertigen Möbeln getrieben hätten, so wären sie nach Art. 552, Abs. l, des Obligationenrechtes ohne weiteres als Kollektivgesellschaft zu betrachten. Sie wären dann auch zur Eintragung verpflichtet gewesen gleichviel, ob der in Art. 13, Schlussatz, der Verordnung vom 6. Blai 1890 vorgesehene Umsatz und Wert des Warenlagers vorhanden gewesen wäre oder nicht, da Art. 552, Abs. 2, des Obligationenrechtes für diese Kollektivgesellschaften die Eintragung in das Handelsregister ohne weiteres als obligatorisch erklärt.

Nun ist aber in keiner Weise nachgewiesen, dass sie eineu eigentlichen H a n d e l mit Möbeln getrieben haben, ein Warenlager hielten oder Möbel in Vorrat verfertigten. Sie haben sich darauf beschränkt, Möbel auf Bestellung zu fabrizieren.

Bei solcher Art der Geschäfte wären die Rekurrenten nur eintragspflichtig, wenn ihr Geschäftsbetrieb die in Art. 13, Schlusssatz, der zitierten Verordnung vom 6. Mai 1890 vorgesehene jährliche Roheinnahme von Fr. 10,000 erreicht hätte. In diesem Falle hätte das Geschäft den Charakter eines Fabrikationsgewerbes angenommen (Art. 13, Ziffer 3, lit. e, der zitierten Verordnung).

397 Es ergibt sich aber aus den Akten nicht, dass dies der "Fall war. Dass ausser den zwei Rekurrenten in deren Geschäft noch andere Arbeiter beschäftigt worden seien, ist von keiner Seite behauptet worden. Ihr Geschäftsbetrieb war somit ein rein handwerksmässiger, woran auch der Umstand nichts ändert, dass sie einige Maschinen verwendeten. Ausschlaggebend für die Beantwortung der Frage, ob Handwerks- oder Fabrikationsbetrieb vorlag, ist die Tatsache, dass sie nicht etwa nur mitgearbeitet, sondern dass sie überhaupt alle Arbeiten allein ausgeführt haben, fVergi, den Entscheid des Bundesrates vom 23. Juli 1892 in Sachen des Metzgers Künzler -- Bundesbl. 1892, IV, 336; v. Salis, Bundesrecht, II. Auflage, Bd. IV, Nr. 1606).

Über den Umsatz bezw. den Wert der Produktion des von Süssli und Boffa verhältnismässig nur kurze Zeit betriebenen Geschäftes fehlen alle und jede Angaben. Aus dem Umstände, dass nach der Einstellung des Geschäftsbetriebes zwei kleinere Rimessen von Fr. 300 und 250 begeben wurden, lässt sich schlechterdings kein Schluss auf die Höhe des jährlichen Produktionswertes ziehen.

Demgemäss wird beschlossen: Der Rekurs wird als b e g r ü n d e t erklärt; die angefochtene Verfügung des Justizdepartementes des Kantons Tessin vom 5. März 1907 wird deshalb a u f'5g 'e h o b e n .

B e r n , 13. Juni 1907.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Müller.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Bingier.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bundesratsbeschluss über die Beschwerde des Schreiners Karl Süssli in Lugano gegen den Entscheid des Justizdepartementes des Kantons Tessin vom 5. März 1907, betreffend Eintragung der Firma Carlo Süssli & Co. in Lugano in das Handelsregister. (Vom 13...

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19.06.1907

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391-397

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