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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung zum Begnadigungsgesuch des wegen Sprengstoffverbrechen bestraften Benzion, genannt Boris Bilite, Chemiker, aus Russland, zurzeit als Zuchthaussträfling in Genf verhaftet.

(Vom 3.Mai 1907.)

Tit.

Benzion, genannt Boris Bilite wurde durch Beschluss der Anklagekammer des Bundesgerichtes vom 23. Januar 1906 dem Bundesstrafgerichte überwiesen unter der Anklage, dass er auf Gebiet des Kantons Genf sich Sprengstoffverbrechen im Sinne der Artikel 2 u. 3 des Bundesgesetzes vom 12. April 1894 betreffend die Ergänzung des Bundesstrafrechtes habe zu schulden kommen assen.

Aus den Beweiserhebungen der Voruntersuchung hatte sich in faktischer Beziehung folgendes ergeben : Sonntags den 3. Dezember 1905, 31/2 Uhr nachmittags, ereignete sich eine Explosion in einem Zimmer im IV. Stockwerke des Hauses Nr. 3 der rue Blanche in Plainpalais, Kanton Genf.

Dem Angeklagten Boris Bilite wurde dabei ein Teil der linken Hand weggerissen. Das zuerst vom Untersuchungsrichter von Genf, dann vom eidgenössischen Untersuchungsrichter geführte Strafverfahren ergab folgendes Resultat: In der rue Blanche, in dem Zimmer, in welchem sich die Explosion ereignete, wurden Explosivstoffe, Sprengkörper (d. h. Bomben) und die dazu gehörenden Zündstoffe angefertigt. Bei der Handhabung eines

242 Gegenstandes, welcher mit dieser Fabrikation im Zusammenhange stand, verursachte Bilite den Unfall, dem er selbst zum Opfer fiel. In der Pension Bussat, Avenue de la Croisette, im Zimmer des Bilite, fand man ungefähr 4 kg. Dynamit, 4 Pakete mit je 10 Meter Zündschnüren ,,Bickford", 40 Zünder u. s. w., ferner Bücher und Broschüren, die sich auf Explosivstoffe und deren Fabrikation bezogen (siehe den faktischen Teil des Urteils des Bundesstrafgerichtes bei den Akten).

Das Bundesstrafgericht verneinte in seinem Urteil vom 5. März 1906 die Hauptanklage, welche auf Übertretung des Art. 2 des zitierten Bundesstrafrechtes gerichtet war und erklärte den Boris Bilite nur schuldig der Gehülfenschaft bei Anfertigung von Sprengstoffen. Auf die zweite Anklage, die sich auf strafbare Aufbewahrung von Sprengstoffen bezog, wurde überhaupt nicht eingetreten und Bilite in Anwendung von Art. 2 des Bundesgesetzes vom 12. April 1894 und Art. 21 und 22 des Bundesstrafrechtes vom 4. Februar 1853 verurteilt zu 18 Monaten Zuchthaus ohne Abzug des Untersuchungsverhaftes und zu nachheriger lebenslänglicher Verweisung aus der Eidgenossenschaft. Bei der Strafausmessung berücksichtigte das Gericht nach ausdrücklicher Feststellung sowohl die ausgestandene Untersuchungshaft als die dauernde Verstümmlung, die der Angeklagte bei der Explosion erlitten.

Der Verteidiger reichte gegen dieses Urteil Nichtigkeitsbeschwerde ein, wurde aber damit aus formellen Gründen durch Entscheid des Kassationshofes des Bundesgerichtes vom 3. April 1906 abgewiesen.

Mit Eingabe vom 15. März 1907 stellt Bilite das Gesuch, dass ihm der Rest der Freiheitsstrafe erlassen werde : Zur Begründung bringt er vor : Er sei seit dem 3. Dezember 1905 in Verhaft und habe schon mehr als zwei Dritteile seiner Strafe erstanden. Seine Aufführung im Gefängnis sei tadellos gewesen. Die lebenslängliche Verweisung, welche über ihn verhängt worden, bilde eine besonders harte Strafe, weil er seit langen Jahren in Genf sich aufgehalten habe und dort alle seine Bekannten und was ihm sonst lieb geworden, zurücklassen müsse.

Das Bundesstrafrecht vom Jahre 1853 und die eidgenössische Strafprozessordnung gehen davon aus, dass erstandener Untersuchungs- und Sicherheitsverhaft nicht von der vom Richter auszufällenden Strafe abgezogen, sondern bloss bei Ausmessung

243 der Strafe angemessen berücksichtigt werden sollen. Im weitern schreibt Art. 158 des Prozessgesetzes dem in gehöriger Weise eingelegten Kassationsgesuche suspensive Kraft zu. Der Strafantritt des Potenten ist daher vom Entscheide des Kassationshofes an zu rechnen, also vom 3. April 1906, und Bilite hatte am gleichen Tage des laufenden Jahres die ersten zwei Dritteile seiner Strafzeit erstanden und nicht schon früher. Ohne die Qualifikation seiner Handlungen im Urteil des Bundesstrafgerichtes zu kritisieren, darf doch hervorgehoben werden, dass gewichtige Momente dafür sprachen, dass Bilite, der Jahre lang sich mit dem Studium der Chemie beschäftigt hatte, bei den Operationen in der rue Blanche nicht bloss als Gehülfe beteiligt gewesen sei und dass der Richter auch, indem er ihn als solchen behandelte, bei der gesetzlich auf einen Vierteil bis drei Vierteile der Hauptstrafe von fünf Jahren freigestellten Limite sehr nahe an der untern zulässigen Grenze geblieben ist, weil eben Bilite bei der Explosion selbt eine schwere Verletzung erlitten hat. In Würdigung aller dieser Verhältnisse scheint kein genügender Grund vorzuliegen, die vom Richter verhängte Strafe auf dem Wege ·der Begnadigung noch weiter herabzusetzen.

Wir stellen daher bei Ihrer hohen Versammlung den A n t r a g: Es sei das Begnadigungsgesuch des Benzion genannt Boris Bilite abzuweisen.

B e r n , den 3. Mai 1907.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Müller.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung zum Begnadigungsgesuch des wegen Sprengstoffverbrechen bestraften Benzion, genannt Boris Bilite, Chemiker, aus Russland, zurzeit als Zuchthaussträfling in Genf verhaftet. (Vom 3.Mai 1907.)

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08.05.1907

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