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Bundesratsbeschluss über # S T #

den Rekurs der Generaldirektion der schweizerischen Bundesbahnen gegen den Entscheid des Regierungsrates des Kantons St. Gallen vom 18. November 1904, betreffend die Lokomotivremise im Bahnhof St. Gallen.

(Vom 8. Januar 1907.)

Der schweizerische Bundes rat hat

über den Rekurs der Generaldirektion der schweizerischen Bundesbahnen gegen den Entscheid des Regierungsrates des Kantons St. Gallen vom 18. November 1904, betreffend die Lokomotivremise im Bahnhof St. Gallen, auf den Antrag seines Einsenbahndepartements folgenden Beschluss gefasst: A.

In tatsächlicher Beziehung wird festgestellt: i.

Das Eisenbahndepartement genehmigte unterm 16. September 1901 die Vorlage der Direktion der V. S. B. vom 20. Juli 1901, betreffend Lokomotivremise samt Bureau, Wohnungen und Badeeinrichtung im neuen Personenbahnhof St. Gallen, unter einigen Vorbehalten.

39 Eine zweite, diesen Vorbehalten Rechnung tragende Vorlage vom 24. Januar 1902 wurde vom Eisenbahndepartement mit Schreiben vom 28. Februar genehmigt. Der definitive Plan wurde hierauf noch dem Gemeinderat St. Gallen mit einer Visieranzeige vorgelegt und von der Baukommission am 2. April 1902 genehmigt unter den Bedingungen genauer Beobachtung der einschlägigen Vorschiiften der städtischen Bauordnung und der Einhaltung der gesetzlichen Baudistanz von 3,o m. von der Grenze der Grünbergstrasse.

Nach Erstellung der Remise durch die schweizerischen Bundesbahnen als Rechtsnachfolger der Vereinigten Schweizerbahnen führten eine Anzahl von Anwohnern der Rosenbergstrasse und der Lagerstrasse zuerst beim Bezirksamt St. Gallen und nachher beim Gemeinderat St. Gallen Beschwerde darüber, dass von den 15 Rauchfängen der Lokomotivremise nur 11 mit dem Hochkamine, welches den Rauch abzuführen habe, in Verbindung stehen, während aus 4 weitem, sehr niedrigen Rauchfängen der Rauch direkt ins Freie gelange und die Nachbarschaft sehr erheblich belästige.

Am 21. April 1904 erliess der Gemeinderat St. Gallen folgende Verfügung: ,,Gemäss Auszug aus dem Protokoll der Baukommission vom 5. dieses Monats entsteigt den vier im nordwestlichen Teile der neuen Lokomotivremise an der Grünbergstrasse befindlichen, wenig über das flache Dach hinausragenden Rauchschlöten z,u allen Tageszeiten ein so dichter Rauch, dass eine erhebliche Belästigung der Nachbarschaft durch Rauch und RUSS zu konstatieren ist. Während die übrigen 11 Rauchfänge besagter Remise in das hohe Kamin einmünden, geben diese vier den Rauch der Lokomotiven direkt ins Freie ab. In Anwendung von Art. l, 2 und 7 der städtischen Verordnung betreffend Rauch und RUSS erzeugende Feuerungsanlagen vom 24. August 1899, durch den Regiörungsrat genehmigt am 8. September 1899, wird die Kreisdirektion IV der 8. B. B. angewiesen, entweder die vier in Frage stehenden Lokomotivstände nur zum Aufttellea kalter, nicht rauchender Lokomotiven zu verwenden oder aber auch die Rauchfänge dieser vier Stände mit dem Hochkamin in Verbindung zu bringen."1 II.

Gegen diese Verfügung ergriff die Kreisdirektion IV der S. B.B.

unterm 11. Mai 1904 Rekurs an den Regierungsrat mil folgender Begründung :

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Durch den Gebrauch der fraglichen Kamine entstehe nicht mehr Rauchbelästigung als durch diejenigen der umliegenden Privathäuser. Die Rauchentwicklung der Lokomotiven sei seit der Anwendung besserer Kohlen und besonderer Abhülfsmittel gegen starke Rauchentwicklung viel geringer als früher. Die mit dem Bahnbetrieb unvermeidlich verbundenen Inkonvenienzen haben die Anwohner in den Kauf zu nehmen, wenn sie in nächster Nähe des Bahnhofes Häuser bauen. Dem Depot sei neuerdings Instruktion erteilt worden, alles zu tun, was die starke Rauchentwicklung verhindern könne. Die fraglichen 4 Rauchfäuge könnten wegen ihrer Entfernung und der Höheverhältnisse wegen nicht mit dem Hochkamin verbunden werden. Übrigens seien dieselben nur während der Nachtzeit regelmässig besetzt. Die Hauptrauchentwickluug konzentriere sich auf die Zeit zwischen 3 und 4 Uhr morgens, wo von einer Belästigung der Nachbarn wohl kaum die Rede sein könne. Die erwähnten 4 Rauchfänge würden während des Tages nur irn Notfalle benutzt, und während der Nachtzeit werde eine Benützung so viel wie möglich vermieden.

In rechtlicher Beziehung wurde geltend gemacht, dass die städtische Bauordnung in concreto keine Anwendung finden könne, da nach Art. 14 des Bundesgesetzes über den Bau und Betrieb der Eisenbahnen vom 23. Dezember 1872 die Genehmigung der Baupläne der Bahngesellschaften ausschliessliuh dem Bundesrate zustehe. Ferner wurde verwiesen auf das Kreisschreiben des Bundesrates an sämtliche Kantonsregierungen und Eisenbahnverwaltungen, betreffend Beobachtung der Vorschriften der auf kantonalem Rechte beruhenden Bau-, Feuer- und Gesundheitspolizei bei Vorlage und Genehmigung von Eisenbahnbauten, vom 15. Juni 1901.

III.

Der Regieruns;srat wies den Rekurs durch Entscheid vom 18. November 1904 ab mit folgender Begründung: 1. Die erhebliche Belästigung durch Rauchzuführung sei in der Stadt St. Gallen sowohl durch kantonale als auch durch lokale Polizeivorschriften verboten. Gemäss Art. 2, lit. A, des kantonalen Sanitätsgesetzes vom 1. Januar 1894 seien Gewerbe, soweit sie gesundheitsschädlich zu wirken geeignet seien, der öffentlichen Kontrolle unterstellt. Art. 11)6 der Instruktion für die Gemeinderäte und die Ortsgesundheitskommissionen, ferner Art. 80 der vom Gemeioderat St. Gallen mit regierungsrätlicher Genehmigung erlassenen Bauordnung vom Jahre 1887, sowie die Art. 9 und 82 der revidierten städtischen Bauordnung vom 23. Februar 1904

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enthalten Bestimmungen über geeignete Schutzmassregeln gegen Rauch-, Gas-, Dampf- oder Dunstentvvieklung. Im speziellen aber werde in Art. l der Verordnung betreffend Rauch und RUSS erzeugende Feuerungsanlagen vom 24. August 1899, vom Regierungsrate genehmigt den 8. September 1899, eine derartige Anlage und Bedienung solcher Anlagen verlangt, dass die Nachbarschaft durch Rauch oder RUSS weder belästigt noch geschädigt werde, und in Art. 2 derselben werde ausdrücklich vorgeschrieben, dass bei allen neuen grössern Feuerungsanlagen diejenigen zweckentsprechenden Einrichtungen anzubringen seien, die geeignet seien, den mit Rauch- und Russentwicklung verbundenen Übelständen vorzubeugen.

Es sei konstatiert, dass durch die fraglichen, seit Erlass der erwähnten Verordnungen errichteten vier nebeneinander befindlichen Lokomotivstände und Schlote, beziehungsweise durch die Benützung derselben zum Anheizen der Lokomotiven, eine vorschriftswidrige Belästigung und gesundheitliche Beeinträchtigung der Nachbarschaft bewirkt werde. Hierfür sprechen die Darstellungen der beschwerdeführenden Nachbarn, die Beobachtungen der städtischen Polizeiorgane, die fachmännische Begutachtung der Sanitätskommission und die Ausführungen der Rekurrentin, welche dahin gehen, dass die Rauchbelästigung der Nachbarschaft nur eine zeitweise und keine grössere sei, als diejenige, welche durch benachbarte Feuerungsanlagen entstehe.

Die Einrede, dass die kantonalen und städtischen Polizeivorschriften in concreto keine Anwendung finden, sei nicht stichhaltig. Derartige Vorschriften gelten auch für die Bundesbahnen, wie für die Eisenbahnen überhaupt, so gut, wie für jeden Privaten; zudem sei die Planvorlage von einem Privatunternehmen, der Gesellschaft der V. S. B., ausgegangen. Eine Ausnahme könnte nur durch bundesrechtliche Bestimmungen oder durch die aus solchen abgeleiteten Rechte begründet sein. Dieses treffe aber im vorliegenden Falle nicht zu.

Das Kreisschreiben des Bundesrates vom 15. Juni 1901 könne an dieser rechtlichen Lage nichts ändern; übrigens treffen die von der Rekurrentin aus demselben für den vorliegenden Fall abgeleiteten Konsequenzen nicht zu. Bei der Genehmigung der Pläne habe man nicht beurteilen können, welche Nachteile sich aus dem Betriebe ergeben. Es sei nicht einmal ersichtlich gewesen, dass die vier mit dem Hochkamin nicht verbundenen Lokomotivstände besondere Schlote erhalten und zur Anfeuerung von Lokomotiven benutzt werden sollen.

42 IV.

Gegen den Entscheid des Regierungsrates rekurrierte die Generaldirektion der S. B. B. unterm 23. Dezember 1904 an das Eisenbahndepartement mit dem Ersuchen, den Entscheid durch dea Bundesrat aufheben zu lassen.

In der Rekursbegründung wurde im wesentlichen folgendes geltend gemacht: Der Umstand, dass die Planvorlage von einem Privatunternehmen, der Gesellschaft der V. 8. B., ausgegangen sei, sei ganz bedeutungslos, denn die gesetzlichen Bestimmungen über die Plangenehmigungen gelten für alle Eisenbahnunternehmungen in gleicher Weise.

Die Verfügung des Gemeinderates stütze sich nicht auf kantonale Verordnungen, sondern nur auf die stadt-st. gallische Verordnung betreffend Rauch und RUSS erzeugende Feuerungsanlagen vom 24. August 1899. Die Verordnung bestimme in Art. l : ,,Sämtliche im Gebiet der Stadtgemeinde St. Gallen gelegenen grösseren Feuerungsanlagen, in welchen Steinkohlen und andere Rauch erzeugende Brennmaterialien zur Verwendung gelangen, seien SO; anzulegen und zu bedienen, dass die Nachbarschaft weder durch Rauch oder RUSS, noch durch die von Kaminen entströmenden Gase belästigt oder geschädigt werde.

Um diesen Zweck nach Möglichkeit zu erreichen, seien nebst dem bereits in Art. 80 der städtischen Bauordnung enthaltenen Vorschriften noch die nachstehenden Bestimmungen zu befolgen."1 Wenn diese Verordnung bestimme, dass dieser Zweck nach Möglichkeit erreicht werden solle, so sei damit schon zugegeben, dass eben Rauch und RUSS und Gase nicht vollständig vermieden werden können.

Artikel 2 schreibe vor, dass bei allen neuen grösseren TTeuerungsanlagen diejenigen zweckentsprechenden Einrichtungen anzubringen seien, die geeignet seien, den mit Rauch- und Russentwicklung verbundenen Übelständen abzuhelfen.

,,Überhaupt ist der Besitzer einer solchen Feuerungsanlage verpflichtet, alle Mittel anzuwenden, welche nach dem jeweiligen Stande der Technik es ermöglichen, die Belästigung von Rauch und RUSS auf das geriugste Mass zu reduzieren. a Dieser Vorschrift sei die Bahuverwaltung in vollem Umfange nachgekommen, indem sie für ihre Lokomotivremise mit enormen Kosten die Rauchabführung durch ein Hochkamin angeordnet habe.

Wenn an dieses Hochkamin die vier äussersten Lokomotivstände

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nicht angeschlossen worden seien, was ohne erhebliche Mehrkosten hätte ausgeführt werden können, so sei es deshalb nicht geschehen, weil es VOD Fachleuten als technisch verfehlt und zwecklos bezeichnet worden sei, indem wegen der Entfernung und Höhenlagedieser Kamine ein Rauchabzug nicht mehr stattfinden würde. Es sei beabsichtigt, bei einer spätem Vergrösserung der Lokomotivremise den Rauch ab den fraglichen vier Ständen mit demjenigen ab den zu bauenden neuen Ständen in ein zweites Hochkaminabzuführen. Es sei ohne weiteres klar, dass die Bahnverwaltung nicht die Erstellung von zwei so teuern Hochkaminen in Aussicht genommen hätte, wenn die Rauchabführung für alle Lokomotivstände durch ein einziges bewerkstelligt werden könnte. Nicht nur in der baulichen Anlage der Lokomotivremise, sondern auch, beim Betrieb derselben sei alles getan worden, was die Verordnung vorschreibe und was mit einem geordneten Bahnbetriebvereinbar sei. Der Obermaschineningenieur der Kreisdirektion IV habe unterm 28. April 1904 angeordnet, dass unter den nicht in den Kanal der zentralen Rauchabfuhrung mündenden Kaminen der Lokomotivremise in Zukunft Lokomotiven nur bei Nacht angeheizt oder mit einem Einsatz versehen werden dürfen. Am Tage müssen die Maschinen ins Freie verbracht werden, wenn der Einsatz gemacht werden müsse, also auch nach dem Anheizen am Morgen. Es sei deshalb bei den unter den fraglichen Kaminen befindlichen Maschinen zuerst die Schmierung zu besorgen, damit rechtzeitig herausgefahren werden könne. Für den Einsatz seien für die Streckenmaschinen ausschliesslich Briketts zu verwenden, für die Rangiermaschinen Saarkohlen. Dabei sei die Feuertüre ein wenig offen zu halten und der Hülfsbläser so weit zu öffnen, dass genügend Luft durch die Türe eingesogen werde, um die Rauchgase zu' verbrennen. Bei diesen Anordnungen könne von einer belästigenden Rauchausströmung nicht mehr die Rede sein : jedenfalls sei der Rauch nicht stärker, als der aus den Kaminen der Beschwerdeführer kommende, die zum Teil direkt unter und neben den Fenstern der Nachbarn stehen. Gegen die Anfeuerung der Lokomotiven im Freien und gegen den Rauch aus den Ofenkaminen sei von keiner Seite Beschwerde erhoben worden; es sei indessen auch hier alles angeordnet worden, was einer möglichst geringen Rauchentwicklung dienlich sei.

Das Verbot,
rauchende Lokomotiven unter die Rauchfänge der fraglichen vier Stände zu stellen, würde einer völligen Ausserbetriebsetznng dieser vier Stände gleichkommen, was bei der grossen Zahl in St. Gallen stationierenden Maschinen ernstliche Betriebsstörungen zur Folge hätte. Hiergegen werde der Schutz der Aufsichtsbehörde und des Bundesrates angerufen.

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In rechtlicher Beziehung wies die Generaldirektion darauf hin, dass der Bundesrat seinen Entscheid, wonach bei einer Kollision von kantonalen oder kommunalen Vorschriften mit dem Plangenehmigüngsrecht des Bundesrates die ersteren weichen müssen, wie im Kreisschreiben vom 15. Juni 1901 niedergelegt sei, unzweideutig im Bundesratsbeschluss betreffend die Einsprachen der Zürcher Behörden gegen das Projekt der Einrichtung eines Tranaitpostbureaus im ehemaligen Lagerhause des Bahnhofes Zürich vom 9. Juni 1904 wiederholt habe (vgl. Erwägungen 3 und 4).

Wenn vom Regierungsrat bemerkt werde, bei der Genehmigung der Pläne habe noch nicht beurteilt werden können, welche Nachteile sich aus dem Betriebe ergeben, ja es sei aus den Plänen nicht einmal ersichtlich gewesen, dass die vier mit dem Hochkamin nicht verbundenen Stände besondere Schlote erhalten und zur Anheizung von Lokomotiven benutzt werden sollen, so sei hierauf zu erwidern, dass jedermann wisse, dass die Lokomotivremisen .zur Einstellung geheizter und ungeheizter Lokomotiven dienen und dass der Rauch irgendwo zum Dach hinaus müsse. Übrigens konstatiere die Generaldirektion, dass die fraglichen vier Kamine ·in den vorgelegten und genehmigten Plänen eingezeichnet waren.

Ea handle sich also im vorliegenden Falle um einen kantonalen Entscheid, welcher sich in Missachtung der Vorschriften des Eisenbahngesetzes von 1872 über die Plangenehmigung der Bun·deshehörde hinwegsetzen wolle. Wenn es den Gemeinde- und Kantonsbehörden gestattet wäre, die Plangenehmigueg nachträglich aufzuheben, wäre eiue richtige Betriebsführung unmöglich. Es liege ein Eingriff in die unzweifelhafte Kompetenz der Bundes-behörde vor.

V.

In der Rekursbeantwortung vom 28. November 1905 beantragte der Kegierungsrat Abweisung des Rekurses, indem er ausführte, dass trotz der von der Kreisdirektion IV der S. B. B. getroffenen Massnahmen eine dauernde Abnahme der Rauchentwicklung aus den vier Kaminen, die mit dem Hochkamin der Lökomotivremise nicht verbunden seien, keineswegs zu konstatieren sei.

Die Belästigung sei nach wie vor eine unleidliche und hindere die Betroffenen an der freien Benützung ihres Eigentums. In rechtlicher Beziehung werde daran festgehalten, dass unmöglich durch die Plangenehmigung von Eisenbahubauteu jedes Einsprache- und Verfügungsrecht der kantonalen Behörden gegenüber Ubelständen, die sich erst im Laufe der Zeit bemerkbar machen und mit dem Betriebe zusammenhangen, verwirkt und verunmöglioht sei. Es

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könnten auf solche Weise die Bestrebungen auf ßessergestaltung der gesundheitlichen Verhältnisse in einer Stadt lahmgelegt und ganze Quartiere zur Duldung von Übelständen gezwungen werden, auf deren Hebung im Interesse der Volksgesundheit gedrungen werden müsse. Es könne nicht zugegeben werden, dass den Eisenbahnen eine privilegierte Ausnahmestellung gegenüber zu Recht bestehenden kantonalen und lokalen sanitarischen Verordnungen zukomme und dass durch allgemeine Zustimmung zu den eingereichten Plänen für alle Zukunft ein Verzicht auf den Vollzug jener Vorschriften habe ausgesprochen werden wollen und können, zumal wenn, wie im vorliegenden Falle, aus den Plänen selbst die aus dem Betriebe sich ergebenden spätem Übelstände in ihrer Tragweite nicht beurteilt und bemessen werden konnten.

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht:

L

Gemäss Artikel 14 des Eisenbahngesetzes vom 23. Dezembei 1872 hat der Bundesrat die allgemeinen Bauprojekte für Eisenbahnen zu genehmigen. Die Genehmigung einzelner Bauten fällt dagegen gemäss dem Bundesratsbeschluss betreffend Organisation und Geschäftsgang der Eisenbahnabteilung des Post- und Eisenbahndepartements vom 13. Juli 1897, Abschnitt II, Geschäftsgang, Kompetenzen, in wichtigeren Fällen dem Eisenbahndepartemente, in unbedeutenderen Fällen dem technischen Direktor dieses Departements zu.

Im vorliegenden Falle sind die Pläne für die Lokomotirrenise in St. Gallen nach Einholung der Vernehmlassung der Regierang durch die Entscheide des Eisenbahndepartements vom 16. September 1901 und 24. Januar 1902 genehmigt worden. Die Ausführung der Baute hat genau diesen Plänen entsprechend stattgefunden.

Anlässlich eines Spezialfalles hat der Bundesrat durch Kreisschreiben vom 15. Juni 1901 über die zu beachtenden kantonalen Vorschriften bei Vorlage und Genehmigung von Eisenbahnbanten folgende Verfügung erlassen : ,,Betreffend die auf kantonalem Recht beruhende Bau-, ^Feuer- und Gesundheitspolizei wird grundsätzlich entschieden, Tdass deren Vorschriften bei Genehmigung der Baupläne der ,,Bahngesellschaften, welche laut Art. 14 des Eisenbahngesetzes

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,,aüsschliesslich dem Bundesrate zusteht, von diesem respektiert ,,werden, sofern dieselben von den Kantonen in ihren gesetzlichen ,,Vernehmlassungen über diese Pläne jeweilen im e i n z e l n e n , ,,bezw. in Form von konkreten Begehren, geltend gemacht ,,werden und im einzelnen Falle nicht mit den aus der Eisen,,bahngesetzgebung hergeleiteten Rechten kollidieren."

Obgleich in den vorgelegten Plänen die in Aussicht genommene Art des Rauchabzuges für sämtliche Lokomotivstände deutlich ·dargestellt war, ist das Begehren, es seien die vier nicht mit dem Hochkamin verbundenen Lokomotivstände entweder nur zum Aufstellen kalter, nicht rauchender Lokomotiven zu verwenden oder «ber auch die Rauchfänge dieser vier Stände mit 'dem Hochkamin in Verbindung zu bringen, nicht im Plangenehmigungsverfahren, sondern erst nach Inbetriebsetzung der Lokomotivremise geltend gemacht worden. Die Entscheide des Gemeinderates der Stadt St. Gallen vom 21. April 1904 und des Regierungsrates des Kantons St. Gallen vom 18. November 1904 stehen daher im Widerspruch mit Art. 14 des Eisenbahngesetzes vom 23. Dezember 1872 und mit dem erwähnten Kreisschreiben des Bundesrates vom 15. Juni 1901. (Tgl. auch den Bundesratsbeschlnss betreffend die Einsprachen der Zürcher Behörden gegen das Projekt der Einrichtung eines Transitpostbureaus im ehemaligen Lagerhause des Bahnhofes Zürich vom 9. Juni 1904.) Die Entscheide des Gemeioderates der Stadt St. Gallen und des Regierungsrates enthalten daher ·einen Eingriff in die Kompetenz der Bundesbehörde und sind daher nicht zu schützen.

II.

Unzweifelhaft steht der Aufsichtsbehörde das Recht zu, auch nach der Inbetriebsetzung plangemäss ausgeführter Anlagen eine Änderung derselben zu verlangen, wenn die Sicherheit des Betriebes oder andere erhebliche Gründe dies rechtfertigen. In solchen Fällen muss auch den kantonalen Behörden das Recht zugestanden werden, bei den Bundesbehörden um Änderung solcher Anlagen nachzusuchen; dabei ist aber daran festzuhalten, dass sie nicht selbständig Entscheide und Verfügungen treffen dürfen, die mit der Plangenehmigungsverfügung der Aufsichtsbehörde im Widerspruche stehen, sondern dass sie lediglich um Wiedererwägung «ines von der Aufsichtsbehörde getroffenen Entscheides nachsuchen dürfen, dass aber der endgültige Entscheid immer in der Kompetenz der Aufsichtsbehörde steht, und zwar auch dann, wenn auf kantonalem Rechte beruhende bau-, feuer- und gesundheitspolizeiliche Vorschriften in Frage kommen.

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III.

Im vorliegenden Falle ist daher lediglich noch zu prüfen, ob für die Aufsichtsbehörde Veranlassung vorliegt, ex officio eine Änderung der Lokomotivremise zu verlangen oder sonst geeignete Massnahmen behufs Einschränkung der Rauchentwicklung zu verlangen.

In dieser Hinsicht kommt folgendes in Betracht: Die Belästigung der Anwohner des Depots St. Gallen durch Bauch kann nicht verneint werden. Diese Belästigung ist zwar eine massige und kann durch geeignete Massnahmen noch reduziert werden. Der Anschluss der vier beanstandeten Schlote an die Rauchfangvorrichtung kann aus nachstehenden Gründen nicht durchgeführt werden : Die Höhe des Hauptluftrohres (Steigung 10 °/oo) der Rauchfangvorrichtung über Schienenoberkante ist von Anfang zu klein bemessen worden, so dass bei Verlängerung desselben über die vier .letzten Stände die Verbindungsrohre der äussersten Kamine mit dem Luftrohr zu wenig, gar keine oder eine entgegengesetzte Steigung erhalten würden. Beim gegenwärtigen Anschliessen der beanstandeten Kamine an das Hauptluftrohr müsste demselben ··eine entgegengesetzte Steigung als diejenige, welche es bei der Depotvergrösserung erhalten würde, gegeben werden.

Die Lokomotiven in Dienstbereitschaft vor dem Depot oder an den Kohlenlagern belästigen die Anwohner durch ihre Rauchentwicklung mehr als die wenigen Maschinen, welche unter den nicht angeschlossenen Kaminen angeheizt werden. Für diese Maschinen sollte dem Maschinenpersonal strenger Befehl erteilt werden, beim Stationieren vor dem Depot das Blasröhrchen massig .zu öffnen und die Feuertüre offen zu lassen.

Gegenwärtig kann die Rauchentwicklung auf ein Minimum reduziert werden, wenn keine Maschinen unter den beanstandeten Schloten angeheizt werden. Sollte kein mit dem Hochkamin verbundener Schlot freigemacht werden können, so sollte die Anheizung unter einem der vier letzten Kamine mittelst Holz, Holzkohlen und Koks geschehen.

Demnach wird erkannt: !.. Der Rekurs der Generaldirektion der S. B. B. gegen den Entscheid des Regierungsrates des Kantons St. Gallen vom 18. November 1904 betreffend die Lokomotivremise im Bahnhof St. Gallen Avird gutgeheissen und der Entscheid des Regierungsrates aufgehoben.

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:

II. Die Generaldirektion wird eingeladen, im Sinne von Erwägung III Massnahmen zu treffen, um beim Betriebe der Lokomotivremise die Rauchentwicklung möglichst zu beschränken.

B e r n , den 8. Januar 1907.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates.> Der Bundespräsident:

Müller.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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Bundesratsbeschluss über den Rekurs der Generaldirektion der schweizerischen Bundesbahnen gegen den Entscheid des Regierungsrates des Kantons St. Gallen vom 18.

November 1904, betreffend die Lokomotivremise im Bahnhof St. Gallen. (Vom 8. Januar 1907....

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09.01.1907

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