# S T #

...Silweizeriscijeâ

udesblatt* Jahrgang VII. Band II.

Nro 39.

Mittwoch, ben 22. August 1855.

Man abonnir.* ausschließlich beim nächst gelegenen Postamt. Preis für das Iahr 1855 im ganzen Umfange der -Schweiz p o r t o f r e i 4 Franken. Inserate sind f r a n t l r t an die Expedition elnznfenden.

hr 15 (Senttmen per Zeile oder deren Raum.

#ST#

Berich t der

ständeräthlichen Kommission, niedergesetzt zur Be» gutachtung des Rekurses der Regierung von St. Gallen, betreffend die Steuerverhältnisse der schweizerischen Angehörigen.

(Vom 10. Juli 1855.)

Tit.

Durch Zuschrift vom 17. März 1852 hat die Regierung des Kantons Thurgau sich bei dem schweizerischen Bundesrathe beschwert, daß die Regierung des Kantons St. Gallen sich in zwei Spezialfällen geweigert habe, die Steuerforderungen thurgauifcher Gemeinden gegenüber von in dem Kanton St. Gallen Angesessenen ohne Weiters auf dem Exekutionswege einzutreiben. Zur Begründung dieser Beschwerde führte die Regierung von Bundesblatt Jahrg. VII. Bd. II.

34

406

.ïhurgau an: nach dortigen Gesetzen seien die Gemeinden berechtigt, auch von ihren abwesenden (außer dem Kanton befindlichen) Bürgern in einem gewissen Umfange

Beiträge zu den Auslagen in Kirchen-, Schul- und

Armensachen zu fordern. Nun seien sehr viele Thurgauer im Kanton St. Gallen niedergelassen, welche sich der Bejleurung widersetzen und fich berechtigt glauben, hierüber den Entscheid der St. Gallischen Gerichte anzurufen, während hingegen die thurgauische Regierung der Anficht sei, daß, wenn die Besteuerten die Steuersorderung quantitativ oder qualitativ befireiten wollen, sie den Rekurs an die thnrgauischen Administrativbehörden nach Vorschrift der dortigen Gesetze zu ergreifen haben. In Gemäßheit dessen schloß die thurgauische Regierung die Beschwerde mit der Erklärung, daß fie bezwecke, eine principielle Entscheidung über die Frage hervorzurufen, ob die Heimathsbehorbe eines auswärts Niedergelaffenen kompetent sei, Anstände, betreffend Kirchen-, Schul- und Armenfieuern zu entscheiden; im bejahenden Falle stelle fie dann ferner das Gesuch, daß der Steuerforderung in den erwähnten zwei Spezialfällen weitere.Volliiehung verfchasst werden möchte.

Die Regierung von St. Gallen bestritt diese Beschwerde durch Zuschrift vom 15/2i. Dezember 1852, aus dem Gefichlspunkte der durch den Art. 3 der Bundesverfassung garantirtra Kant-Dnalsouveränetät, sowie mit ·Pinweisung auf den Art. 41, Ziffern 4 und 5 der Bundesaerfassung, wonach das Befieurnngsrecht gegenüber von Niedergelassenen dem Niederlassnngskanton eingeräumt fei, und auf den durch Art. 50 ausgesprochenen Grundiatz, daß der aufrechtstthende schweizerische Schuldner für persönliche Schuldforderungen stets an seinem Wohnfitze gesucht werden müsse. In Folge dessen wurde

407 die Erwartung ausgesprochen, daß der Bundesrath dm Grundsatz anerkenne, daß das Souoeräne.ätsrecht der -Kantone fich nicht über ihr Gebiet hinaus erstrecke, fon"dern vielmehr das Recht der Besteurung der Niedergelassenen die fimultane Ausübung des gleichen Rechtes von Seite anderer Kantone ausschließe, und daß mithin das Begehren von ...Churgau abjuweifen sei.

Unterm 25. April 1853 faßte der Bundesrath hieraus den Beschluß: ,,Es sei das von der Regierung von ïhurgau hinfichtlich der beiden Spezialfälle gestellte Begehren begründet und den erwähnten Steuerforderungen die Vollziehung zu gestatten, in sofern die Besteuerten fich nicht ausweisen, daß fie an die thurgauifchen Oberbehördcn rekurrirt haben, und in sofern fie nicht andere von dem Bcsteurungsrecht unabhängige, eivürechtliche Einreden geltend machen."

©cgen diese Entscheidung hat die Regierung des Kantons St. Gallen durch Memorial vom 4. Inni 1854 den Rekurs an die Bundesversammlung ergriffen und den Antrag gestellt, diese wolle in Aufhebung der bezüglichen Verfügungen des Bundesrathes beschließen: ,,Es könne der Kanton St. Gallen nicht angehalten werten, Steuerfordernngen anderer Kantone an Niedergelassene (Aktivbürc.er) desfelben auf dem Exekutionswege einzu·treiben, oder Entscheidungen außerkantonaler Behörden darüber anzuerkennen und zu vollstrecken."

Diese Rekursschrift wurde unterm 19. Iu[i 1854 dem Bundesrathe zur Berichterstattung mitgetheilt und von diefem durch Zuschrift vom 17. November gleichen Iahrcs einer ausführlichen Kritik unterworfen. *) Der bundesräthliche Bericht rief endlich Seitens der Regierung »ou Si. Gallen einen vom 19. Inni l. I. datirteR *) S. Bundesblait ». I. 1854, Band III, Seite 469.

408 ....{achtrag zu ihrer Rekursschrift hervor, wodurch der Rekurs neuerdings zu rechtfertigen gesucht wird.

Die oben erwähnten Aktenstücke find fämmtlich gedruckt und an die Mitglieder des Ständerathes ausgetheilt worden.

Auf die Grundlage der angeführten Akten hat nun die von Ihnen ernannte Kommiffion diese Angelegenheit in ihrer Sitzung vom 10. dieß behandelt. Nach der Anficht der Kommiffion ist bei der ..Seurtheilung der Rekursbefchwerde des Kantons St. Gallen zu unterscheiden : 1) die Frage der materiellen Berechtigung eines Kan* tons zur Besteurung feiner außerhalb des Staatsgebietes wohnenden Bürger, und

2) die Frage der Kompetenz zu der Beurtheilung von fich dießfalls zwischen den heimathlichen Behörden wd dem abwesenden Bürger erhebenden Streitigkeiten.

Diese beiden Fragen find in dem Beschlüsse des Bun* desrathes und theilweife auch in den vorliegenden Eingaben nicht gehörig ausefnandergehalten worden. Wäre die Kommiffion in dem Falle, über die erstere Frage ein Gutachten abzugeben, so würde fich dießfalls eine Theilung der Ansichten herausstellen. Ein Mitglied gieng nämlich bei der gepflogenen Vorberathung von der Anficht aus, ein Bürger bleibe, ungeachtet feiner Nieder* lassung in einem andern Staate, stets Angehöriger feines Heimathkantons und könne daher auch von diesem, resp.

von seiner Burgergemeinde, um die ihn treffenden Beiträge an die öffentlichen Lasten angcgancien werden.

Die Mehrheit der Kommisfion hingegen glaubte, ein solches Besteurungsrecht auswärts Niedergelassener lasse fich weder durch die Natur der Sache, noch durch den

400 Buchstaben und den Sinn und Geist der Bunde-sver.fassung rechtfertigen. Zur Begründung dieser Anficht wurde angeführt einestheils, daß der auswärts Niedergelassene nur in Beziehung auf gewisse persönliche Verhältnisse, nie aber in Beziehung auf feine auswärts.-.liegende Habe feinem ..peimathkanton unterworfen bleibe, daß aber die Steuern nicht von der Person, sondern von dem Vermögen erhoben werden, und anderntheils,.

daß jedenfalls dem Niederlassungskantone das Recht der Besteurung des Niedergelassenen nicht bestritten werden könne, ein gleichzeitiges Befteurungsrecht der Heimatl) fcmit zu einer doppelten Belastung und zu einer ungemessene« Erschwerung des durch die Bundesverfassung, garantirten Niederlassungsrechtes führen müßte.

Die Commission war jedoch einstimmig der Anficht, daß diese Frage bei dem Entscheide über die vorliegende Reknrsbefchwerde nicht weiter zur Sprache kommen könne,, indem nach dem Beschlüsse des Bundesrathes fowohl als nach den Anträgen der beiden betheiligten Regierungen die materielle Berechtigung des Kantons Thurgau zur Besteurung seiner auswärts wohnenden Bürger gar nicht Gegenstand einer Schlnßnahme der Bnndesver* sammlnng sein kann, der Streit fich vielmehr einzig unii allein um die Frage der Competenz zu Entscheid««gen gegenüber den steuerverweigernden Niedergelassenen und um die VoUziehbarkeit der von den thnrgauifchen Administraticbehörden deeretirten Steueranlagen dreht.

In Beziehung aus diese zweite Frage nun ist Ihre Commisfion wieder einstimmig der Anficht, daß die Re# kursbeschwerde des Kantons St. Gallen begründet und demnach der Beschluß des Bundesrathes aufzuheben fei.

Diefe Anficht der Commiffion gründet sich zunächst auf den Art. 3 der Bundesverfassung, wonach die Kantone

410 souverän find, soweit ihre Souveränetät nicht durch die Bundesverfassung beschränkt ist. Offenbar gehört nun die Iurisdiktion über die in einem Staate niedergelassenen Bürger, gleichviel ob dieselben Angehörige des Staates oder Fremde seien, zu den Souveränetätsrechten dieses Staates, und es muß daher demselben auch das Recht zugestanden werden, die Begründetheit von Forderungen, welche an einen Niedergelassenen aus irgend einem Rechtsgrunde gestellt werden, zu beurtheilen, bevor er ein Erekutionsverfahren zuläßt. Es frägt sich demnach bloß, ob die Bundesverfassung den in An. 3 ausgesprochenen allgemeinen Grundsatz in Beziehung auf Steuersachen modifizire oder beschränke? Diese Frage ist nach der Anficht Ihrer Commission unbedingt zu verneinen; ja es enthält die Bundesverfassung im Gegentheil Bestimmungen, welche das von dem Kanton Thurgau an den Kanton St. Gallen gestellt? Begehren unbedingt ausfchließen. Wir eitiren in dieser Beziehung vorerst den Art. 49, wonach die Vollziehung in einem andern Kantone nur verlangt werden kann, auf ein von den eornpetenten Gerichten eines Kantons ausgefälltes rechtskräftiges Civilurtheil. Nach der Anficht Ihrer Commiffion läßt diese Verfassungsvorschrift keinen Zweifel übrig, daß auf einen andern Akt hin feine Kantons-1 regierung gehalten ist, die Vollziehung zu gestatten, und namentlich fcheint es ihr einleuchtend, daß es nicht in der Willkühr eines Kantons liegen kann, dem ange* führten Artikel dadurch eine größere Tragweite zu geben,, daß er auf dem Wege seiner Partikulargesetzgebung ge* gebenen andern Titeln oder Akten die Bedeutung und Kraft eines Cioilurthe.ls beilegt. Ferner berufen wir uns auf die Vorschrift des Art, 50, wonach der auf« rechtstehende schweizerische Schuldner, welcher einen festen;

411 Wohnsitz hat, für perfönliche Schuldforderungen stets an seinem Wohnfitze gesucht werden muß. Dieser Artikel ist hierfeitigen Erachtens wieder keiner verfchiedenartigen Auslegung sähig; denn er nimmt nicht Rücksicht auf den G r u n d der Fo.derung, vielmehr ist einzig die N a t u r derselben entscheidend, und wir vermöchten nicht einzusehen, warum eine von Steverauslagen herrührende Forderung nicht eben sowohl eine persönliche sein sollte, als jede andere Geldforderung.

Aus den angeführten Gründen erlaubt sich demnach Jhre Commiffion, Ihnen den in Anschluß beiliegenden Beschlußentwurf, zur Annahme zu empfehlen.

Schließlich glauben wir noch bemerken zu follen, daß bei der Sitzung der Kommission Herr S c h w a r z nicht anwefend war; die oben erscheinenden Angaben über das Stimmenverhältniß beziehen sich daher bloß auf die anwesend gewesenen Mitglieder.

Mit Hochachtung !

Bern, den 10. Juli 1855.

Namens der Eommisfion: Niggeler, Berichterstatter.

412 Beschlußentwurs.

Die Bundesversammlung der s c h w e i z e r i s c h e n Eidgenossenschaft,

auf eingegangene Rekursschrift der Regierung des Kantons St. Gallen gegen den Beschluß des Bundesrathes vom 25. April 1853, durch welchen die genannte Kantonsregierung in zwei Speeialfällen angewiesen wurde, den Steuerforderungen »on Gemeinden des Kantons ...Churgau gegenüber ihren im Kanton St. Gallen niedergelassenen Bürgern die Vollziehung zu gestatten, in sofern die Besteuerten fich nicht ausweisen, daß fie an die thurgauischen Oberbehörden rekurrirt haben, und in sofern fie nicht andere von dem Befteurungsrecht unabhängige eivilrechtliche Einreden geltend machen,

in Erwägung: 1) daß nach Art. 3 der eidgenösfischen Bundesverfassung die Kantone souverän find, so weit ihre Souveränetät nicht durch die Bundesverfassung beschränkt ist, und als solche alle Rechte auszuüben haben, welche nicht der Bundesgewalt übertragen find; 2) daß zu den Souveränetätsrechten eines Staates unzweifelhaft das Recht der Beurtheilung der grundsätzlichen Begründetheit und des Maßes von Steuerforderungen gehört, welche gegenüber den in seinem Gebiete angesessenen Bürgern anderer Staaten von Seite ihrer heimathlichen Behörden, zur Geltung gebracht werden sollen ; 3) daß demnach die Zumuthung der Vollziehung einer solchen Steuerforderung, ohne vorherige Untersuchung ihrer Begründetheit Seitens der zuständigen Behörden des um die Vollziehung angegangenen

413 Kantons, eine Beschränkung der Somveränetätsrechte dieses lejztern enthielte; 4) «"al., aber eine solche Beschränkung nicht nur durch die Bundesverfassung nicht gerechtfertigt erfcheint, fondern der Art. 49 im Gegentheil nur den rechtskräftigen Civilurtheilen, die in einem Kantone gefällt worden, die Vollziehung in der ganzen Schweiz

zusichert, und es unmöglich in der Willkühr der Kantone liegen kann, dieser Bestimmung dadurch eine größere Tragweite zu geben, daß fie auf dem Wege der Gefetzgebung auch andern adminiftrativen oder sonstigen Akten die Kraft eines rechtskräftigen Urtheiles beimessen 5 5) daß endlich, felbst vorausgesetzt, es läge bezüglich der Steuerpflichtigkeit eines außer seinem Heimathkanton niedergelassenen Bürgers ein von den Gerichten seiner Heimath ausgefälltes Urtheil vor,, einem folchen Urtheile immerhin die Rechtskraft mangelte, da diese jedenfalls die Zuständigkeit des urtheilenden Gerichtes vorausfetzte, für Fordern«gen der in ,5rage stehenden Art aber einzig die Gerichte des Wohnfitzes des Schuldners zuständig wären (Bundesverfassung Art. 50), beschließt: Es sei die Beschwerde der Regierung des Kantons St. Gallen begründet und es könne demnach der ge# nannte Kanton nicht angehalten werden, Steuerforderungen anderer Kantone an Niedergelassene (Aktisbürger) desselben auf dem Ejekutionswege einzutreiben, oder Entscheidungen außerkantonaler Behörden darüber anzu« erkennen und zu vollstrecken.

(Vergl. eidg. Gesezsamml., Band V, Seite 139.)

BwAesblatt. Jahrg. VlI. »d. II.

35

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht der ständeräthlichen Kommission, niedergesetzt zur Begutachtung des Rekurses der Regierung von St. Gallen, betreffend die Steuerverhältnisse der schweizerischen Angehörigen. (Vom 10. Juli 1855.)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1855

Année Anno Band

2

Volume Volume Heft

39

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

22.08.1855

Date Data Seite

405-413

Page Pagina Ref. No

10 001 726

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.