2S1

# S T #

Bundesratsbeschluss über

die Beschwerde von Herrn Dr. A. Janggen, Advokat, in St. Gallen, betreffend die Lösung eines Warenlagerpatents durch die ,,Magazine zum Wilden Mann" in Basel.

(Vom 30. März 1907.)

Der schweizerische Bundesrat hat

über die Beschwerde von Herrn Dr. A. J a n g g e n , Advokat, an St. Gallen, vom 22. November 1906, gegen den Entscheid des Regierungsrates des Kantons St. Gallen, vom 17. Oktober 1906, durch den die ,,Magazine zum Wilden Mann a in Basel verpflichtet wurden, in St. Gallen ein Warenlagerpatent zu lösen; auf den Antrag seines Handelsdepartements, im Einverständnis mit dem Justiz- und Polizeidepartement, & folgenden Beschluss gefasst:

A.

In tatsächlicher Beziehung wird festgestellt :

I.

Der Reisende der Firma "Magazine zum Wilden Manna in Basel, Herr Lohri, mietete für die Zeit vom 24. bis zum 26. SepBundesblatt.

59. Jahrg. Bd. III.

19

282 tember 1906 im Hotel Walhalla in St. Gallen ein Zimmer und nahm darin, an Hand einer grossen Musterkollektion von Frauenkleidern im Werte von Fr. 3939. 50 von Privaten, die er dorthin öffentlich einlud, Bestellungen entgegen. Herr Lohri war zu diesem Zwecke mit einer vom Polizeidepartement in Basel ausgestellten Taxkarte für Handelsreisende, gültig ,,zur Aufnahme von Bestellungen, mit oder ohne Muster, bei Handels- und Gewerbetreibenden sowohl als auch bei Privatpersonen", versehen.

Der Gemeinderat der Stadt St. Gallen, und mit ihm übereinstimmend der Regierungsrat des Kantons St. Gallen, in seinem Entscheid vom 17. Oktober 1906, nahmen an, es handle sich hier um ein Warenlager, das nach Art. 4 des kantonalen Gesetzes über den Marktverkehr und das Hausieren, vom 28. Juni 1887, mit einer Patenttaxe von Fr. 500 belegt werden müsse.

Der Besitz einer roten Ausweiskarte für Handelsreisende berechtige den Angestellten der ,,Magazine zum Wilden Mann ct dazu, für diese Firma Bestellungen aufzunehmen und zu diesem Zwecke Muster mit sich zu führen ; sie berechtige ihn aber nicht dazu, Waren mit sich zu führen. Das Bundesgesetz betreffend die Patenttaxen für Handelsreisende bestimme nun allerdings nicht ausdrücklich, wie viele Muster ein Handelsreisender mit sich führen dürfe; es sei aber zweifellos, dass das Gesetz die Befugnisse des Handelsreisenden nicht so weit ausdehnen wollte, dass er an einem fremden Ort für längere oder kürzere Zeit ein ganzes Warenlager als Musterlager einrichten dürfe, und dabei seine Kunden nicht selbst aufsuche, sondern umgekehrt seine Kunden zum Besuch seines Lagers einlade. Nach erhaltenen Mitteilungen sei es in derartigen Lagern den Kunden gestattet, die vorhandenen Muster zu kaufen oder sie mit den von ihnen gewünschten Abänderungen sich zusenden zu lassen.

II.

Über diesen Entscheid des Regierungsrates von St. Gallen beschwert sich Dr. Janggen in St. Gallen namens der ,,Magazine zum Wilden Mann" in Basel mit Eingabe vom 22. November 1906 beim Bundesrat und beantragt Aufhebung des angefochtenen Entscheides. Zur Begründung bringt er vor: Ein Handelsreisender, der eine eidgenössische Taxkarte für Handelsreisende besitze, habe das Recht, Muster jeder Art in beliebiger Menge mit sich zu führen. Sofern er, wie im vor-

283 liegenden Fall, diese Muster nicht verkaufe, sondern nur ausstelle, um Bestellungen entgegenzunehmen, könne er nicht auf Grund irgend welcher Bestimmungen des kantonalen Rechts zur Bezahlung einer weitern Patenttaxe angehalten werden. Eine Vorschrift, dass der Handelsreisende seine Kunden in ihrer Wohnung aufsuchen müsse, bestehe nicht; er dürfe vielmehr ebensogut seine Kunden bei sich empfangen; ja er sei dazu gezwungen, wenn sein Musterlager einen grösseren Umfang habe oder schwer zu transportieren sei. Die dem Vertreter der Firma zum Wilden Mann auferlegte kantonale Patentgebühr schliesse deshalb eine Verletzung des Bundesgeset/es betreffend die Patenttaxen der Handelsreisenden in sich.

III.

In seiner" Vernehmlassung bestätigt der st. gallische Regie-rungsrat in erster Linie die Erwägungen seines Entscheides vom 17. Oktober 1906.

Sodann macht er besonders darauf aufmerksam, dass nach der st. gallischen Hausiergesetzgebung die ,,vorübergehende Eröffnung eines Warenlagers ausserhalb der' Dauer von Märkten" als Wanderlager aufzufassen sei. Ein solches Wanderlager sei im vorliegenden Fall in St. Gallen eingerichtet worden. Endlich seien nur solche Personen als Handelsreisende im Sinne des erwähnten Bundesgesetzes zu betrachten, die ausserhalb des Ortes, an welchem sie ihren Geschäftssitz haben, Be^ Stellungen aufsuchen. Im vorliegenden Fall aber habe die Firma zum Wilden Mann, allerdings nur für kurze Zeit, in St. Gallen eine Art Geschäftssitz eingerichtet.

IV.

Auf Anfrage des eidgenössischen Handelsdepartements teilte der Vertreter der Rekurrentin am 11. März 1907 noch mit, dass die Kunden in St. Gallen auf ihre Bestellung nicht ein in Basel auf Lager gehaltenes fertiges Kleid erhielten, sondern dass die ,,Magazine zum Wilden Mann" das bestellte Kleid dem Auftrage gemäss erst machen Hessen, in Basel oder anderswo. Die Kunden, die das Geschäft in Basel besuchen, finden dagegen dort in der Regel etwas Passendes auf Lager ; die Musterausstellungen in andern Städten haben mit dem Lager in Basel nichts zu tun, sie finden statt, bevor das Lager für das Geschäft in Basel vollständig assortiert sei und bevor die eigentliche Verkaufssaison in Basel beginne.

284

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht: Das Bundesgesetz betreffend die Patenttaxen der Handelsreisenden, vom 24. Juni 1892, findet nach Art. l und 2 Anwendung auf Handelsreisende, die für Rechnung eines in- oder ausländischen Hauses die Schweiz bereisen und, olone Waren mitzufahren, mit oder ohne Muster Bestellungen aufnehmen. Die Gesetzgebung über das Feilbieten von Waren auf den Marktplätzen oder im Umherziehen (Etalage und Colportage), sowie den Ausverkauf von Warenlagern (Déballage) bleibt nach Art. 9 Sache der Kantone. Handelsreisende im Sinne des Bundesgesetzes dürfen von den Kantonen keinen andern als den im Bundesgesetz selbst vorgesehenen Taxen unterworfen werden.

Der Vertreter der ,,Magazine zum Wilden Mann" in Basel führte nicht verkäufliche Waren mit sich, sondern nur Modelle, d. h. Muster im Sinne des Gesetzes ; dafür, dass er einzelne Modelle verkauft habe, wie der Regierungsrat des Kantons St. Gallen vermutet, liegen keine Beweise vor. Dagegen suchte er nicht, ·wie Handelsreisende es zu tun pflegen, die Kunden persönlich auf, sondern er lud sie ein, seine Muster in dem von ihm gemieteten Lokale anzusehen und dort ihre Bestellungen zu machen.

Dem üblichen Sinne des Wortes ,,Handelsreisender11 entspricht diese Form des Verkehrs mit Kunden nicht.

Der Wortlaut der Art. l und 2 des Gesetzes scheint sie zwar nicht auszuschliessen ; der in andern Artikeln des Gesetzes und auch in den internationalen Verträgen mehrmals verwendete Ausdruck des Aufsuchens von Bestellungen lässt aber darauf schliessen, dass als Handelsreisender nur derjenige zu betrachten ist, der die Bestellungen beim Kunden selber aufnimmt. Diese Annahme ist jedenfalls dann gerechtfertigt, wenn das Geschäft, wie es bei den auswärts abgehaltenen Musterausstellungen der Rekurrentin der Fall ist, überhaupt nicht im Verkaufen von fertigen Waren, sondern in der Ausführung von Bestellungen besteht. Wenn der auswärtige Vertreter eines solchen Geschäftes ein Lokal besitzt und durch Publikation einlädt, ihm dort seine Bestellungen zu machen, verkehrt er mit den Kunden in ganz gleicher Weise, wie wenn er am Orte ansässig wäre. Das ist nicht mehr der Geschäftsbetrieb eines Handelsreisenden, sondern eines ständigen Kaufmannes. Der Umstand, dass die Musterausstellung in St. Gallen tatsächlich nur wenige Tage gewährt hat,

285

mag in Betracht kommen für die Frage, ob die Ausstellung als ständiger Geschäftsbetrieb oder als Wauderlager anzusehen sei ; er ist aber für die hier zu entscheidende Frage, ob die Musterausstellung unter die Tätigkeit eines Handelsreisenden falle, ohne Bedeutung.

D e in n a e h w i r d e r k a n n t : Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B e r n , den 30, März 1907.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Möller.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bundesratsbeschluss über die Beschwerde von Herrn Dr. A. Janggen, Advokat, in St.

Gallen, betreffend die Lösung eines Warenlagerpatents durch die ,,Magazine zum Wilden Mann" in Basel. (Vom 30. März 1907.)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1907

Année Anno Band

3

Volume Volume Heft

21

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

15.05.1907

Date Data Seite

281-285

Page Pagina Ref. No

10 022 411

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.