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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung zum Rekurs des Verbandes der schweizerischen Sekundärbahnen vom Februar 1907 betreffend Berechnung des Reinertrages der Privatbahnen.

(Vom 21. Mai 1907.)

Tit.

Am 18. März 1907 hat die Präsidialverwaltung des Verbandes schweizerischer Sekundärbahnen einen Rekurs eingereicht, in dem die Bundesversammlung ersucht wird : 1. den Bundesratsbeschluss vom 31. Mai 1904 betreffend Berechnung des Reinertrages zum Zwecke der Herabsetzung der Transporttaxen u. s. w. aufzuheben und 2. zu beschliessen, dass unter dem für diese Zwecke massgebenden Ertrag der Reinertrag des gesamten Anlagekapitals statt bloss des Aktienkapitals zu verstehen sei.

I.

In dieser Eingabe ist die gleiche grundsätzliche Forderung gestellt wie in den zur Entscheidung vorliegenden Rekursen der Gesellschaften der Berner Oberlandbahnen und der Seilbahn am Salvatore ; sie ist demnach als eine Unterstützung der letztern anzusehen.

Auch die Begründung des neuen Gesuches ist in den meisten Punkten mit derjenigen der frühern Eingaben übereinstimmend. Die folgende Darstellung zeigt dies.

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Vor allem aus wird dem Bundesrate das Recht abgesprochen, die in Konzession und Gesetz gegebenen Reinertragsbegriffe auszulegen.

Alsda.nn folgt die Anfechtung der Ertragsberechnung nach dem Aktienkapital. Es wird dagegen geltend gemacht : 1. dass nach dem Rückkaufsartikel in den neuern Konzessionen als Ertrag der ,,Überschuss der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben" zu gelten habe und dass der Artikel über die Taxherabsetzung in gleicher Weise zu deuten und die Berechnung somit auf das Anlagekapital abzustellen sei ; 2. dass unter Bahnunternehmung die Gesamtheit der Kapitalien und nicht allein das Aktienkapital aufgefasst werden müsse ; 3. dass Urkunden im Zweifelsfalle zu Ungunsten des Staates auszulegen seien ; 4. dass nicht, je nach dem Interessenstandpunkt des Bundes, zweierlei Mass gelten könne ; 5. dass das Bundesgericht dem Reinertrag im Rückkaufsartikel der Konzessionen der Hauptbahnen den gleichen Sinn beigelegt habe wie die Rekurrenten ; 6. dass die Konzessionsbestimmungi über die Taxherabsetzung und ihre Wirkung nicht von der Zusammensetzung des Kapitals abhängig sein dürfe, weil es sonst die Gesellschaften in der Hand hätten, die Obligationen in Aktien umzuwandeln und so den Reinertrag zu vermindern ; 7. dass die zeitliche und rechtliche Entstehung der verschiedenen Reinertragsartikel eine abweichende Auslegung nicht rechtfertige ; 8. dass die Praxis in der Berechnung der Konzessionsgebühren und die im Jahr 1874 erfolgte Taxherabsetzung bei der Centralbahn eine Beeinträchtigung des wirklichen Rechtes nicht zulasse ; 9. dass die Richtigkeit der vom Bundesrat in der Botschaft zum Eisenbahngesetz von 1872 gegebenen Darstellung nicht erbracht sei, und schliesslich 10. dass auch die Hinweise auf die bei einer zeitweiligen Taxerhöhung geltenden Grundsätze keine massgebende Bedeutung hätten.

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IL

Der Bundesrat hat sich in seinen Berichten zu den vorgenannten Rekursen, vom 5. und 9. Juni 1906, über seine Stellungnahme bereits ausgesprochen. Hier lassen wir noch einige Ergänzungen folgen.

Beim ersten, gegen die Kompetenz des Bundesrates gerichteten Einwand brauchen wir uns nicht lange aufzuhalten.

Nach Konzession und Gesetz ist der Bundesrat mit der Vollziehung der darin entihaltenen Bestimmungen beauftragt. Er ist somit die massgebende Aufsichts- und Vollziehungsbehörde und in dieser Eigenschaft dazu berufen, wo nötig, die erforderlichen Regeln und Normen zur Ausführung der staatlichen Erlasse aufzustellen. In diesem Sinne erlässt er ergänzende Vorschriften über den Bau und Betrieb der Bisenbahnen, über die Tarifbildung, über die Reinertragsbildung u. s. w. Gerade in letzterem Punkte war nach Absohluss der Rückkaufsprozesse eine Anleitung sowohl für die Bahnverwaltungen als für die Amtsstellen des Bundes durchaus geboten. Die Bahngesellschaften bestätigen übrigens diese Befugnis selbst, indem sie den Bundesratsbeschluss zum Gegenstand eines Rekurses an die Bundesversammlung erhoben haben.

Die übrigen Einwände sind sachlicher Natur. Wir können uns angesichts der frühern Berichterstattung auî folgende Entgegnungen beschränken.

Es ist durchaus unzulässig, die seit dem Jahr 1873 in die Riickkaufsklausel aufgenommene Definition des Reinertrages auch auf den Taxartikel anzuwenden. Hiegegen sprechen, wie wir später zeigen werden, die damalige Auffassung der Bundesversammlung, sowie die um die gleiche. Zeit, im Jahr 1874, eingeleitete Herabsetzung der Taxen der Centralbahn. Hätten Aufsichtsbehörde und Bahnverwaltung damals so geurteilt, wie heute die Rekurrenten, so wäre die Taxänderung ohne Zweifel unterblieben.

Der Reinertrag für den Rückkauf muss als besonderer Begriff aufgefasst werden. Er ist laut Konzession aus dem reinen Betriebsrechnungsüberschuss, also ohne Rücksicht auf andere Nutz- und Lastenposten oder auf die Finanzgestaltung, zu bilden. Anderseits ist, wenn Taxen, Konzessionsgebühren oder Zuschüsse aus der Postkasse in Frage kommen, der Ertrag des genussberechtigten Kapitals oder die Dividende mit allfälligen Reservestellungen von Gewinn zu verstehen.

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Von dieser Annahme gingen auch die Verwaltungen der zumeist mit alten Konzessionen ausgerüsteten Hauptbahnen bei den Rückkaufsverhandlungen aus. Sie wiesen hier gewiss mit Recht darauf hin, dass sich Reinertrag nur für das eigene Kapital, also für die Aktien ergeben könne. Das Obligationskapital ist entlehnt, und es wird dafür eine auf längere Zeit vereinbarte Entschädigung, ein Zins geleistet. Zur Sicherung der Ansprüche der Obligationäre ist auch gewöhnlich ein Teil der Bahneinrichtungen pfandmässig verschrieben und damit der über das Aktienkapital hinausgehende Besitzstand gewissermässen ausgeschieden. Kann eine Unternehmung mit Anleihen die Zinspflicht nicht -erfüllen, so ist die Liquidation die Folge, und die Ansprüche der Obligationäre werden denjenigen der Aktionäre vorangestellt. Reinertrag ist daher für die in Frage stehenden Fälle der Gewinn, der nach Erfüllung aller Schuldverpflichtungen, inbegriffen der Obligationenzinse, als Dividende verbleibt.

Die gegenteilige, in juristischen Gutachten unterstützte Interpretation der Sekundärbahnen stimmt weder hiermit, noch mit dem Willen des Konzessions- und Gesetzgebers, noch mit der vieljährigen Praxis überein. Das ist schon im Berichte betreffend die Berner Oberlandbahnen dargetan. Wir erinnern an die Hinweise auf die Centralbahn, auf die Botschalt zum Eisenbahngesetz von 1872, auf die Verhandlungen bei Taxerhöhungen und auf die Berechnungen bei Postsubventionen und Konzessionsgebühren. Die Konzessionsgebühren brachten dem Bunde jährlich bis gegen Fr. 400,000 ein und waren besonders für die Hauptbahnen von finanzieller Tragweite. Nun ist aber kaum anzunehmen, dass die in Rechtssachen sehr wohl bewanderten Verwaltungen der Grossbahnen sich von Anfang an dieser Dividendensteuer unterzogen hätten, wenn die Ertragsberechnung nach dem Anlagekapital berechtigt gewesen wäre.

Auch die Nebenbahnen, die zuerst für einen Postzuschuss bei weniger als 5 % Ertrag postulierten, erhielten schliesslich die Unterstützung für Fälle zugesichert, in denen der Ertrag unter 4 % bleibt. Begehren und Zuspräche erfolgten hier ebenfalls in der Meinung, dass der Gewinn auf dem Aktienkapital die Grundlage bilde.

Diesen überzeugenden Tatsachen können wir heute, nach weitern Nachforschungen, aus den Verhandlungen der eidgenössischen Räte über die Normalkonzession von 1873 Nachweisungen beigeben, welche unsere Definition des Begriffes Rein-

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ertrag vollkommen bekräftigen. Wir schöpfen die Auskunft aus den übereinstimmenden Berichterstattungen in den Zeitungen. Die amtlichen Protokolle weisen gleiche Einzelheiten nicht nach.

Die Verhandlungen sind besonders im ,,Bund" vom 1. August 1873 ausführlich dargelegt. Danach beteiligten sich die HerrenBundesrat Schenk und die Nationalräte Zyro, Dr. A. Escher, Brosy, Wirth-Sand, Dr. Heer, Dubs und Stampili an der Beratung über den Taxartikel. Es heisst in diesem Berichte, dass, nachdem über die Notwendigkeit der Begrenzung der Rendite oder des Gewinnes einer Unternehmung Einigung bestand, Wirth-Sand darauf aufmerksam machte, dass der Ertrag noch näher definiert werden sollte als E r t r a g vom A n l a g e k a p i t a l , da der Ertrag an sich vom Verhältnis zwischen Aktien- und Obligationenkapital bestimmt werde, dass aber Dr. Escher vor dem Antrag Wirth-Sand warnte, weil eine Taxreduktion billig sei, a u c h w e n n b l o s s die A k t i o n ä r e 8--10 % erhalten. Ferner steht zu lesen, dass in der Abstimmung die R e n d i t e n g r e n z e a u f 8 % v o m A k t i e n k a p i t a l gestellt wurde, nachdem Wirth-Sand seinen Ausdruck A n l a g e k a p i t a l zurückgezogen hatte.

Hierin liegt eine vollständige und endgültige Lösung der Streitfrage. Aktienkapital und Dividende wurden, wie der Bundesrat dies vorschreibt, als Massstab für die Taxregulierung und die verwandten Anwendungsformen bezeichnet.

Hiergegen vermögen die abweichenden Behauptungen und Interpretationen der Rekurrenten nicht aufzukommen. Insbesondere kann der Definition der alten, aus der Zeit der kantonalen Herrschaft stammenden Konzessionsvorschriften kein massgebender Einfluss mehr beigemessen werden. Die bundesrätliche Verordnung ist sachgemäss, recht und billig und die im Rekurse leichtfertig erhobenen Vorwürfe, der Bundesrat missachte und verletze Gesetz und Konzession, er verwende, je nach den Vorteilen des Staates, zweierlei Mass und Gewicht, er verkenne das wahre Interesse der Eidgenossenschaft, er setze an Stelle des Rechtes Willkür und Ungerechtigkeit, fallen als vollständig unbegründet dahin.

Mit dem neuen Beweise ist nun auch gezeigt, dass die von den Räten gleichzeitig eingeführte Erläuterung des Ertrages im Rückkaufsartikel (Überschuss der Betriebseinnahmen über die -ausgaben) nur einem Zwecke zu dienen und für andere Fälle keine Bedeutung hat. Das ist angesichts des in

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den Rekursschriften mit Nachdruck betonten Notwendigkeit der gleichmässigen Auslegung aller Ertragsbegriffe besonders wichtig.

Zur Klarstellung muss ferner nochmals bemerkt werden, dass die Geldbeschaffung in Aktien oder Obligationen eine interne Sache der Unternehmungen bleibt und sie die Interessen des Staates nicht berührt. Es ist daher ohne Belang, wenn einzelne Gesellschaften auf die Umwandlung des Obligationenkapitals hinwirken. Das Verhältnis der alten Aktionäre wird dadurch nicht gebessert, weil nach der Konversion eine grössere Zahl von Berechtigten am Gewinn, am Besitztum und an den Reserven teilnimmt und somit für den einzelnen Aktionär die Möglichkeit nicht eintrifft, einen über die Konzessionsgrenze hinausgehenden prozentualen Gewinn zu erzielen. Im Falle des Rückkaufs oder der Taxherabsetzung bleibt die Wirkung ebenfalls die gleiche. Für die im Rekurs aufgeführten drei Bahnen mit je Fr. 1,000,000 Anlagekapital und Fr. 48,000 Einnahmenüberschuss wird die Entschädigungssumme je den 25fachen Wert des Überschusses oder Fr. 1,200,000 ausmachen, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob das Aktienkapital kleiner oder grösser sei. Die Taxermässigung tritt allerdings bei der Unternehmung mit bloss Fr. 400,000 Aktienkapital zuerst ein, sie bleibt aber im Umfang geringer als bei den andern Gesellschaften mit Fr. 600,000 und Fr. 1,000,000 Grundkapital. Vorausgesetzt, es haben alle drei Anstalten während drei Jahren im Mittel 8 % Gewinn erzielt, so wird die Herabsetzung der Taxen eine Mindereinnahme von zirka 2 % auf der Aktienkapitalsumme bewirken müssen. Sie wird bei den angenommenen Kapitalverhältnissen Fr. 8000, Fr. 12,000 und Fr. 20,000 betragen und' somit mit der Höhe des Aktienkapitals anwachsen.

Die Bahnverwaltungen können auch nicht glauben machen, dass mit der konzessionsmässigen Renditengrenze von 6 % auf dem Aktienkapital das mit dem Bau einer Bahn verbundene Risiko und die Jahre mit mageren Einkommen zu wenig gewürdigt seien, und dass der Unternehmungsgeist lahmgelegt werde. Hiergegen zeugen die Entwicklung des Eisenbahnnetzes in der Schweiz und die Gewinnergebnisse der Berner Oberlandbahnen und der Salvatorebahn. Bei den beiden sind für die letzten Jahre als Gewinne zu verzeichnen : 6,85, 8,38, 8,34, 9,26, sowie 6,14, 6,20, 95285 ^797 und 8,98 %. Auch bei Bahnen, bei denen die Taxermässigung noch nicht in Frage steht, ist die Überschreitung der Grenze für mehrere Jahre wahrzuneh-

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men. So zeigt eine Seilbahn eine Gewinnreihe von 6,40, 7,43, 5,60 und 7,94 °/
Zum Schlüsse ist noch die Mitteilung im Berichte zum Rekurse der Berner Oberlandbahnen zu wiederholen, dass der Bundesrat den Beschluss vom 31. Mai 1904, insoweit er in der Begründung mit dem Ergebnis der seitherigen Untersuchungen nicht vollends übereinstimmt, bei nächstem Anlasse ergänzen wird.

III.

Angesichts der vorstehenden Nachweise, die den Begriff des ,,Reinertrags der Bahnunternehmunga, wie er im Taxartikel der Konzessionen enthalten ist, vollständig klarlegen, kann dem Begehren des Sekundärbahnverbandes nicht entsprochen werden. Wir b e a n t r a g e n daher, es sei der Rekurs mit seinen beiden im Eingang dargestellten Gesuchen als unbegründet abzuweisen.

Wir benützen diesen Anlass, Sie unserer vollkommenen Hochachtung zu versichern.

Bern, den 21. Mai 1907.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Müller.

Der I. Vizekanzler: Schatzmann.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung zum Rekurs des Verbandes der schweizerischen Sekundärbahnen vom Februar 1907 betreffend Berechnung des Reinertrages der Privatbahnen. (Vom 21. Mai 1907.)

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29.05.1907

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