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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Genehmigung des zwischen der Schweiz und dem Deutschen Reich vereinbarten Vertrages über die Beglaubigung öffentlicher Urkunden.

(Vom 21. Mai 1907.)

Tit.

Die k. deutsche Regierung regte im Jahre 1902 durch die Vermittlung der deutschen Gesandtschaft in Bern beim Bundesrat den Abschluss eines Vertrages an, wonach gerichtliche oder gerichtlich beglaubigte Urkunden im beidseitigen Verkehr keiner weitern Beglaubigung bedürfen sollten ; die k. deutsche Regierung war zu dieser Anregung durch die Umständlichkeiten veranlasst worden, die sich im Verkehr zwischen der württembergischen Staatsschuldenverwaltung und auswärtigen Besitzern von Staatsschulden verschreibangen unangenehm fühlbar gemacht hatten. Das schweizerische Justiz- und Polizeidepartement richtete darauf an sämtliche Kantonsregierungen die Frage, ob sie ein solches Abkommen für wünschenswert halten und ob sie mit dessen Abschluss einverstanden seien. Alle Kantone, ausser Freiburg, stimmten zu ; mehrere von ihnen fügten aber bei, dass der Vertrag für sie keinen grossen Nutzen hätte, wenn er nur die gerichtlichen oder gerichtlich beglaubigten Urkunden zum Gegenstand haben sollte, da bei ihnen die Beglaubigung von Urkunden nicht den Gerichten, sondern einer Verwaltungsbehörde, der Staatskanzlei, den Bezirks- oder Gemeindebehörden oder den öffentlichen Notaren übertragen sei; gerade bei den Urkunden, die den Anlass zu der Anregung der deutschen Regierung gegeben haben, treffe dies zu.

913 Der Bundesrat antwortete demgemäss der deutschen Kegierung, er sei grundsätzlich geneigt, in Verhandlungen über den Abschluss eines Vertrages in dem beantragten Sinne einzutreten; der Vertrag würde aber, wegen der Regelung der Beglaubigungsbefugnis in der Schweiz, seinen Zweck nicht erreichen, wenn er beschränkt würde auf gerichtliche oder gerichtlich beglaubigte Urkunden. Es wäre empfehlenswert, im Vertrage die Urkunden, um die es sich handeln solle, aufzuzählen, und zugleich diejenigen Behörden oder Amtspersonen zu nennen, deren mit dem Amtsstempel versehene Unterschrift keiner weitern Beglaubigung bedürfte Die Deutsche Regierung stimmte dem letztern Vorschlage zu, war aber der Meinung, die unter den Vertrag fallenden Urkunden einzeln aufzuzählen, wäre kaum nötig, wenn die beglaubigenden oder beurkundenden Personen namhaft gemacht würden, und hätte zudem den Übelstand, dass die Aufzählung, den erweiterten Bedürfnissen entsprechend, von Zeit zu Zeit ergänzt werden müsste. Wir schlössen uns dieser Ansicht an und fragten die Kantone mit Kreisschreiben vom 10. Juli 1903 an, welche höhern Verwaltungsbehörden nach ihrer Gesetzgebung als Beglaubigungsbehörden in Betracht fallen könnten und ob bei ihnen auch gerichtliche Behörden zur Beglaubigung von Urkunden befugt seien. Sämtliche Kantone bezeichneten als die zur Beglaubigung befugte obere Verwaltungsbehörde einzig die Staatskanzlei, mit Ausnahme vonObwalden, wo neben der Staatskanzlei auch das Landammannamt Beglaubigungen ausstellt, und von Appenzell I.-Rh., wo die für das Ausland bestimmten Urkunden von Landammann und Standeskommission ausgehen. Diesen kantonalen Behörden wurde auch noch die Bundeskanzlei gleichgestellt. Da die deutsche Regierung wegen der Bezeichnung der Verwaltungsbehörden, 'deren Unterschrift keiner weitern Beglaubigung bedarf, ihrerseits mit den verbündeten Regierungen in Verbindung treten müsste, verzögerte sich ihre Antwort längere Zeit ; sie teilte uns erst im Oktober 1905 das Verzeichnis der deutschen die Beglaubigungsfreiheit geniessenden Verwaltungsbehörden mit. Einige Zeit später unterbreitete uns die Deutsche Regierung einen Vertragsentwurf, der ausser den bereits vereinbarten Grundsätzen die Bestimmung enthielt, dass auch die von Gerichtsschreibern unterschriebenen Urkunden als legalisationsfrei bezeichnet wurden,
was zu einem neuen Meinungsaustausch Veranlassung gab. Nachdem sich beide Regierungen über den Wortlaut des Vertrages geeinigt hatten, wurde der schweizerische Gesandte in Berlin, Herr von Claparède, bevollmächtigt, den Vertrag namens der Schweiz, unter Vorbehalt der Genehmigung durch die Bundesversammlung, zu unterzeichnen. Der Vertrag

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wurde am 14. Februar 1907 von den Bevollmächtigten der beiden Staaten in Berlin unterzeichnet.

Wir brauchen uns über die Nützlichkeit des Vertrages, den wir Ihnen zur Genehmigung unterbreiten, nicht zu verbreiten; die Vereinfachung der Formalitäten, die zur Geltendmachung von Urkunden ausländischer Behörden in der Schweiz und umgekehrt notwendig sind, erleichtert und beschleunigt den Geschäftsgang zum Nutzen der Privaten wie der Behörden selbst, und erspart den Privaten erhebliche Auslagen an Gebühren.

Der vorliegende Vertrag mit Deutschland befreit von der Beglaubigung überhaupt oder von einer weitern Beglaubigung zunächst die von Gerichten aufgenommenen, ausgestellten oder beglaubigten Urkunden, wenn sie mit dem Siegel oder Stempel des Gerichts versehen sind, mit Einschluss der von Gerichtsschreibern unterzeichneten Urkunden ; sodann auch die von einer der in dem Verzeichnis aufgeführten Verwaltungsbehörden aufgenommenen, ausgestellten oder beglaubigten Urkunden. Da im Deutschen Reich die Gerichte verschiedene Befugnisse, namentlich der freiwilligen Gerichtsbarkeit, ausüben, die in der Schweiz nach kantonalem Recht ganz oder zum grössten Teil Verwaltungsbehörden zufallen, wie die Führung des Handelsregisters, des Grundbuches und des Güterrechtsregisters, die Fürsorge für den Nachlass, die Vormundschaft u. a. m., so wäre die Übereinkunft für die Schweiz von ungleich geringerem Nutzen gewesen als für Deutschland, wenn sie auf die Beglaubigung der gerichtlichen Urkunden beschränkt geblieben wäre. Auch nachdem die höhern Verwaltungsbehörden in das Verzeichnis der legalisationsfreien Behörden aufgenommen worden sind, wird die Abmachung für die von Deutschland ausgehenden Urkunden eine grössere Vereinfachung bringen, als für die schweizerischen, da zahlreiche Urkunden, die in Deutschland von gerichtliehen Behörden ausgestellt werden und daher gar keiner Beglaubigung bedürfen, in der Schweiz von untern Verwaltungsbehörden oder öffentlichen Urkundspersonen ausgehen und daher durch die Kantonskanzlei beglaubigt werden müssen. Wir glauben indessen dieser tatsächlichen Ungleichheit nicht allzugrosse Bedeutung beimessen zu sollen, weil sich sonst bei der Verschiedenheit der Abgrenzung zwischen gerichtlichen und administrativen Kompetenzen in beiden Staaten eine Verständigung kaum erreichen Hesse und weil
ja die den deutschen Urkunden zugestandenen Vorteile nicht nur deutschen Staatsangehörigen, sondern beinahe ebenso häufig Schweizern zugute kommen werden, und umgekehrt Deutsche beinahe

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ebenso oft als Schweizer in den Fall kommen werden, vor deutschen Behörden schweizerische Urkunden zu gebrauchen.

Zwischen den beiden vertragschliessenden Parteien herrscht darüber Einverständnis, dass der Vertrag für die darin bezeichneten Behörden keine Pflicht aufstellt, gewisse Urkunden zu beglaubigen, sondern ^hierüber das Landesrecht gelten lässt.

Zu den einzelnen Artikeln des Vertrages machen wir nur noch folgende kurze Bemerkungen: Art. 1. Die beiden Regierungen waren darüber einig, dass als Gerichte nicht bloss die ordentlichen Gerichte anzusehen seien, sondern alle Behörden, die mit staatlicher Autorität in geordnetem Rechtsgange richterliche Funktionen versehen und deshalb als Gerichte bezeichnet werden, wie beispielsweise die Kaufmanns-, Gewerbe- und Verwaltungsgerichte; es bleibt der Praxis überlassen, diesen Grundsatz auf den Einzelfall anzuwenden.

Art. 2. Absatz 2 sieht vor, dass das Verzeichnis der Verwaltungsbehörden, die Beglaubigungsfreiheit geniessen, auf dem Verwaltungswege im beiderseitigen Einverständnis geändert oder ergänzt werden kann ; es schien empfehlenswert, die durch Änderungen in der Behördenorganisation nötig werdenden Abänderungen des Verzeichnisses auf diesem Wege bewerkstelligen zu können.

Art, 3 wird namentlich den Schweizern, die sich unter den Schutz eines deutschen Konsulates gestellt haben, eine erwünschte Erleichterung im Verkehr mit den schweizerischen Behörden und die Befreiung von oft hohen Gebühren bringen.

Wir beantragen Ihnen, Tit., durch den nachstehenden Beschluss dem Vertrag Ihre Genehmigung zu erteilen.

B e r n , den 21. Mai 1907.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Müller.

Der I. Vizekanzler: Schatzmann.

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(Entwurf.)

Bundesbeschluss

o

betreffend

die Genehmigung des am 14. Februar 1907 zwischen der Schweiz und dem Deutschen Reich vereinbarten Vertrages Über die Beglaubigung öffentlicher Urkunden.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 21. Mai 1907, beschliesst: Art. 1. Dem am 14. Februar 1907 zwischen der Schweiz und dem Deutschen Reich vereinbarten Vertrag über die Beglaubigung öffentlicher Urkunden wird die Genehmigung erteilt.

Art. 2. Der Bundesrat wird mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

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Vertrag zwischen

der Schweiz und dem Deutschen Reiche über die Beglaubigung öffentlicher Urkunden.

Der Schweizerische Bundesrat und

Seine Majestät der deutsche Kaiser, König von Preussen, im Namen des Deutschen Reiches, von dem Wunsche geleitet, hinsichtlich der Beglaubigung öffentlicher Urkunden im Verkehre zwischen beiden Ländern Erleichterungen einzuführen, sind übereingekommen, zu diesem Zwecke einen Vertrag abzuschliessen, und haben zu Bevollmächtigten ernannt: Der Schweizerische Bundesrat: Seinen ausserordentlichen Gesandten und bevollmächtigten Minister bei Seiner Majestät dem deutschen Kaiser, König von Preussen, Herrn Dr. A l f r e d von C l a parède, Seine Majestät der deutsche Kaiser, König von Preussen: Allerhöchst ihren wirklichen Geheimen Rat, Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, Herrn H e i n r i c h von Tschirschky und Bögendorff, welche, nachdem sie ihre Vollmacht einander nachgewiesen haben, über folgende Artikel übereingekommen sind :

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Artikel 1.

Die von Gerichten des einen Teiles, mit Einschluss der Konsulargerichte, aufgenommenen, ausgestellten oder beglaubigten Urkunden bedürfen, wenn sie mit dem Siegel oder Stempel des Gerichtes versehen sind, zum Gebrauch in dem Gebiete des andern Teiles keiner Beglaubigung (Légalisation).

Zu den bezeichneten Urkunden gehören auch die von dem Gerichtsschreiber unterschriebenen Urkunden, sofern diese Unterschrift nach den Gesetzen des Teiles genügt, dem das Gericht angehört.

Artikel 2.

Urkunden, die von einer der in dem beigefügten Verzeichnis aufgeführten obersten und höheren Verwaltungsbehörden des einen der beiden Teile aufgenommen, ausgestellt oder beglaubigt und mit dem Siegel oder Stempel der Behörde versehen sind, bedürfen zum Gebrauche in dem Gebiete des andern Teiles keiner Beglaubigung (Légalisation).

Das Verzeichnis kann im beiderseitigen Einverständnisse jederzeit auf dem Verwaltungswege durch Bekanntmachung geändert oder ergänzt werden.

Artikel 3.

Die Bestimmungen der Artikel l und 2 finden auch auf die deutschen Schutzgebiete Anwendung.

Sie finden entsprechende Anwendung, wenn Urkunden, die von Behörden des einen Teils aufgenommen, ausgestellt oder beglaubigt sind, von Behörden des andern Teiles, die ihren Sitz ausserhalb des Gebietes dieses Teiles haben, gebraucht werden.

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Artikel 4.

Dieser Vertrag soll ratifiziert werden und die Ratifikationsurkunden sollen in Berlin ausgewechselt werden.

Der Vertrag tritt einen Monat nach Auswechslung der Ratifikationsurkunden in Kraft und soll nach Kündigung, die jederzeit zulässig ist, noch drei Monate in Kraft bleiben.

Zu Urkund dessen haben die Bevollmächtigten diesen Vertrag in doppelter Ausfertigung unterzeichnet und mit ihren Siegeln versehen.

So geschehen in Berlin, den 14. Februar 1907.

(sig.) Alfred von Claparède.

(L. S.)

(sig.) von Tschirschky.

(L. S.)

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Genehmigung des zwischen der Schweiz und dem Deutschen Reich vereinbarten Vertrages über die Beglaubigung öffentlicher Urkunden. (Vom 21. Mai 1907.)

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29.05.1907

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