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Schweizerische Bundesversammlung.

Die gesetzgebenden Räte der Eidgenossenschaft sind Montag den 16. September 1907, nachmittags 41/2 Uhr, zur Fortsetzung der ordentlichen Sommersession zusammengetreten.

Als neue Mitglieder sind erschienen: im Nationalrat: Herr B al m er, Josef Anton, Kaufmann, von und in Schüpfheim.

,, K o l l e r , Karl, Kantonsrat, von Winterthur, in Thalwil.

Im N a t i o n a l r a t eröffnete Herr Präsident Decoppet die Session mit folgender Ansprache : Meine Herren, In der gleichen Stunde, in der wir nach der Juni-Session auseinander gingen, traf die Trauerkunde von dem Hinscheide eines unserer Kollegen, des Herrn Nationalrat B e r c h t o l d , aus dem Kanton Zürich, ein. . Die Krankheit hatte ihn schon von unseren Arbeiten ferngehalten, niemand hätte aber gedacht, dass sein Ende so nahe wäre.

Herr Berchtold war im Jahre 1844 geboren. Er hatte vollständige technische Studien gemacht. Seit langer Zeit leitete er in Thalwil eine Maschinenfabrik. Seine Berufspflichten hielten ihn aber nicht ab, sich auch mit den öffentlichen Angelegenheiten zu befassen, denen er lange Jahre hindurch und in verschiedenen Stellungen seine Tätigkeit und seine umfassenden praktischen Kenntnisse widmete.

Von 1885 bis 1901 sass er im Grossen Rate des KantonsZürich, wo er sich hauptsächlich an den auf das Erziehungswesen und die Industrie bezüglichen Fragen interessierte.

Während zwölf Jahren war er Mitglied des zürcherischen Handelsgerichtes und von 1884 bis 1901 Präsident des kantonalen

162 'Gewerbevereins. Seit 1896 vertrat er seinen Heimatkanton im Nationalrate.

Seine Wahl in diese Behörde wurde seinerzeit als ein Zeichen der Anerkennung der hervorragenden Verdienste betrachtet, welche er sich um die Gewerbevereine erworben hatte.

Wir werden diesen vortrefflichen Kollegen in guter Erinnerung behalten.

Ich bitte Sie, meine Herren, sein Andenken durch Erheben von Ihren Sitzen zu ehren.

Im S t ä n d e r a t hielt Herr Präsident Wirz bei der Sessionseröffnung folgende Ansprache: Meine Herren Ständeräte !

Seien Sie zur Fortsetzung der ordentlichen Sommersession recht herzlich willkommen geheissen.

Kaum hatten wir uns am 22. Juni, als unsere damalige Tagung zu Ende ging, getrennt, und bevor wir den heimischen Herd erreicht hatten, traf uns die Kunde von dem unerwartet eingetretenen Tode eines unserer Kollegen im ändern Rate. Herr Nationalrat H e i n r i c h ß e r c h t o l d hatte in Talwil, an den ·blühenden und gewerbreichen Gestaden des Zürichersees, sein durch eine rastlose und erfolgreiche Tätigkeit ausgefülltes Leben beendigt. Der Hingeschiedene, von Seegräben im Kanton Zürich stammend, zählte 63 Altersjahre. Schon sein Bildungs- und Studiengang kennzeichnet ihn als den Mann einer energischen Tatkraft. Anfänglich widmete er sich humanistischen Studien, für die er ·denn auch zeitlebens ein richtiges Verständnis und ein reges Interesse bewahrte. Das hat seine Mitwirkung beim Erlass eines Volks- und Mittelschulgesetzes für den Kanton Zürich bewiesen. Er war Mitglied der betreffenden kantonsrätlichen Kommission und stand, wie uns einer seiher damaligen und unserer heutigen Kollegen versicherte, stets auf der Seite der Freunde einer guten literarischen und sprachlichen Ausbildung. Er erblickte darin die Grundlage aller Bildung, wie er denn auch die · Vorzüge altklassischer Studien sogar für den spätem Techniker betonte. Rasch wandte sich

163 dann der junge Berchtold seiner technischen Ausbildung zu.

Theorie und Praxis gingen dabei Hand in Hand. Nach absolviertem Polytechnikum führten ihn seine Wanderjahre nach England.

In die Heimat zurückgekehrt eröffnete er seine ungemein fruchtbare Laufbahn als Techniker und als Industrieller. Maschinen- _ wesen und Heizungsanlagen bildeten den Gegenstand seiner technisch-industriellen Tätigkeit.

Unser Verewigte hat während 15 Jahren dem zürcherischen kantonalen Gewerbeverein als Präsident vorgestanden. In dieser Eigenschaft hat er dem Gewerbestand seines Heimatkantons vortreffliche Dienste geleistet. Unter seiner Leitung entwickelte der Verein eine weit ausgebreitete und tief eingreifende Tätigkeit.

Es geschah dies zumal auch durch Mitwirkung bei Lösung einer Reihe von gesetzgeberischen Aufgaben einschneidender Natur.

Es mag dabei besonders erinnert werden an das Gesetz über das Gewerbewesen, an die Rechtspflegeinitiative, sowie an das Gesetz betreffend das Lehrlings- und das berufliche Fortbildungswesen. Dank der anregenden Initiative seines Präsidenten zog der Gewerbeverein auch andere, nicht gerade direkt das Gewerbsleben berührende, aber doch mit demselben in einem gewissen Zusammenhang stehende Fragen und Vorlagen in den Kreis seiner Besprechung und seiner Betätigung, wie beispielsweise das Schulgesetz und den neuen Rechtspflegeentwurf. Unter den Fragen, welche auf eidgenössischem Boden auszutragen waren, und um welche sich Berchtold als Präsident des zürcherischen Gewerbevereines besonders lebhaft interessierte und bemühte, stehen der Zolltarif und die Unfall- und Krankenversicherung im Vordergrund.

Berchtold sass lange Jahre hindurch im zürcherischen Kantonsrate und gehörte nun schon in der vierten Wahlperiode dem Nationalrate an. Er huldigte einer freisinnigen Richtung, war jedoch als Politiker kein schroffer Parteimann. Er liess sich mehr von allgemein menschlichen als von parteipolitischen Gesichtspunkten beherrschen. Neben einer seltenen Arbeitsfreudigkeit bildete eine wohlwollende, menschenfreundliche Gesinnung den Grundton, seines Wesens. Dieser Charakterzug blieb auch seinem geschäftlichen und seinem geselligen Verkehr aufgeprägt.

Er gestaltete diesen Verkehr angenehm und liess unsern Dahingeschiedenen in allen Kreisen, in denen er sich bewegte, als eine ungemein sympathische Erscheinung auftreten. Was aber das Wesen und den Wert des Mannes ausmachte, dessen Verlust wir betrauern, das war sein starkes Pflichtgefühl und seine von

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tiefgewurzeltem Patriotismus getragene Denkweise. Mit Nationalrat Heinrich Berchtold ist ein biederer Eidgenosse von uns geschieden. Sein Andenken bleibt im Segen.

Ich lade Sie, meine Herren Kollegen, ein, dieses Andenken dadurch zu ehren, dass Sie sich von ihren Sitzen erheben.

Es bleibt mir nur noch übrig, dem Wunsche Ausdruck zu leihen, dass die Tagung, zu welcher wir soeben zusammengetreten sind, von dem gleichen Geiste erfüllt sei, den wir soeben als den Grundzug im Charakter und im Leben des hingeschiedenen Kollegen bezeichnet haben. Mit diesem Wunsche begrüsse ich Sie, meine Herren Kollegen, beim Beginn der Session. Mögen unsere Arbeiten dem Vaterlande zum Gedeihen gereichen!

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