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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die eidgenössische Gewährleistung des Verfassungsgesetzes des Kantons Genf über die Abschaffung des Kultusbudgets vom 15. Juni 1907.

(Vom 17. Dezember 1907.)

Tit.

Mit Schreiben vom 2. und 9. Juli 1907 hat der Staatsrat des Kantons Genf dem Bundesrat die Mitteilung gemacht, dass das Volk des Kantons Genf in der Abstimmung vom 29./30. Juni 1907 mit 7653 gegen 6823 Stimmen das Verfassungsgesetz über die Abschaffung des Kultusbudgets vom 15. Juni 1907 angenommen habe ; er stellt das Gesuch, die Bundesversammlung wolle dem Verfassungsgesetz die eidgenössische Gewährleistung erteilen Das genferische Verfassungsgesetz vom 15. Juni 1907 betreffend die Abschaffung des Kultusbudgets hat folgenden Wortlaut : Der Grosse Rat, auf Vorschlag des Regierungsrates verordnet, unter Vorbehalt der Volksabstimmung, was folgt: Art. 1. Die Kultusfreiheit ist gewährleistet. Der Staat und die Gemeinden unterhalten oder unterstützen keinen Kultus.

Niemand kann verhalten werden, durch eine Steuer an die Kosten eines Kultus beizutragen.

1259 Art. 2. Die Kulte können ausgeübt werden und die Kirchen können sich organisieren kraft der Vereins- und Versammlungsfreiheit. Ihre Anhänger haben sich den allgemeinen Gesetzen, sowie den Polizeireglementen über die öffentlichen Kultushandlungen zu fügen.

Die Kirchen können, gemäss den Vorschriften des schweizerischen Obligationenrechtes, die juristische Persönlichkeit mit allen ihren rechtlichen Folgen erwerben. Sie können sich mit Binwilligung des Grossen Rates als Stiftungen organisieren.

Art. 3. Die Kirchen und Pfarrhäuser, welche Gemeindeeigentum sind, behalten ihre religiöse Bestimmung. Sie bleiben wie bisher kostenlos dem protestantischen, altkatholischen oder römisch-katholischen Kultus gewidmet, der am Tage des Inkrafttretens dieses Gesetzes, darin ausgeübt wird. Die Mitbenutzung kann nur mit Zustimmung der im Besitz befindlichen Religionsgen ossenschaf't stattfinden.

Unter Vorbehalt der Genehmigung des Regierungsrates können die Gemeinden das Eigentumsrecht an diesen Gebäuden, mit der Verpflichtung zu ihrem Unterhalt, auf die Vertreter derjenigen Kultusgemeinschaft übertragen, die sie besitzt. Diese Übertragung erfolgt kostenlos und frei von Handänderungsgebühren.

Im Fall der Übertragung des Eigentums an den vorgenannten Gebäuden durch die Gemeinden muss vereinbart werden, dass die Gebäude ihre religiöse Bestimmung beibehalten und dass über sie nicht gegen Entgelt verfügt werden könne.

Art. 4. Die Kirche St-Pierre bleibt dem protestantischen Kultus gewidmet. Der Staat wird auch in Zukunft über sie zu ·nationalen Feierlichkeiten verfügen können, selbst im Fall, dass das Eigentumsrecht an ihr gemäss Art. 3 dieses Gesetzes übertragen werden sollte.

Übergangsbestimmung.

Art. 5. Dieses Gesetz tritt mit dem 1. Januar 1909 in Kraft.

Von diesem Tage an werden im Budget alle Kultusausgaben gestrichen.

Vom 1. Januar 1909 an erhalten die dann itn Amte stehenden Geistlichen der beiden, vom Staat unterhaltenen, Kulte während zehn Jahren ein Ruhegehalt im Betrag von zwei Dritteln ihrer Besoldung ; nach Ablauf der zehn Jahre wird der Ruhegehalt für diejenigen Geistlichen, welche dann über fünfzig Jahre Bundesblatt. 59. Jahrg. Bd. VI.

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1260 alt sind, auf die Hälfte ihrer Besoldung, für diejenigen Geistlichen, die dieses Alter noch nicht erreicht haben, auf einen Drittel ihrer Besoldung herabgesetzt.

Wird der Empfänger eines solchen Ruhegehalts mit einem öffentlichen Amt betraut, für das eine ständige Besoldung von mindestens gleichem Betrag, wie der Ruhegehalt, vom Staat ausgerichtet wird, so verliert er jeden Anspruch aus dem gegenwärtigen Artikel.

Ziusatzbestimmung betreffend

den protestantischen Kultîis.

Art. 6. Eine Kommission von 11 Mitgliedern, von denen sechs vom Konsistorium und fünf vom Regierungsrat ernannt werden, wird über die Verwaltung und Verwendung der Schuldtitel der Caisse hypothécaire im Betrag von Fr. 800,000 beschliessen, welche dem Konsistorium gemäss dem Verfassungsgesetz vom 18. November 1886 übergeben worden sind, sowie über die Verwaltung und Verwendung aller ändern Güter und Gelder im Besitz oder in der Verwaltung des Konsistoriums oder der Kirchgemeinderäte.

Die Kapitalien behalten in der neuen Organisation der protestantischen Kirche ihre gegenwärtige Bestimmung bei.

Der Regierungsrat wird den Geschäftsgang dieser Kommission regeln.

Die Beschlüsse der Kommission sollen der Genehmigung des Regierungsrates so rechtzeitig unterstellt werden, dass sie am 1. Januar 1909 in Kraft treten können.

Zu Mitgliedern dieser Kommission werden Wähler der protestantischen Nationalkirche ernannt werden.

Zusatsbestimmung betreffend

den katholischen Kultus.

Art. 7. Die katholischen Kirchen und Pfarrhäuser von Versoix und Chêne-Bourg werden dem römisch-katholischen Kultus unter denselben Bedingungen gewidmet, die in den Beschlüssen des Regierungsrates vom 31. März 1906 für Versoix und vom 27. Mai 1907 für Chêne-Bourg aufgestellt worden sind.

Für den Fall, dass einer der beiden katholischen Kulte in einer Gemeindekirche nicht mehr regelmässig ausgeübt würde, wird der andere sowohl hinsichtlich des Pfarrhauses als der Kirche der Wohltat des Art. 3 teilhaftig.

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Die Güter der Kirchgemeinden erhalten die gleiche Zweckbestimmung wie die Kirchen oder Pfarrhäuser, mit denen sie verbunden sind.

DerogationsTdausel.

Art. 8. Es werden und bleiben ausser Kraft gesetzt: Art. 138 der Verfassung ; die Art. 2 und 3 des Verfassungsgesetzes vom 26. August 1868, betreffend die Schaffung eines Hospice général; das Verfassungsgesetz vom 19. Februar 1873 über den katholischen Kultus; die Verfassungsgesetze vom 25. März 1874, vom 6. Juli 1892 und vom 21. September 1901 über den protestantischen Kult; der Titel X der Verfassung ( v o m K u l t u s ) , sowie die Bestimmungen, welche ihn abgeändert haben ; das Gesetz über den katholischen Kultus vom 27. August 1873, das Gesetz über den protestantischen Kultus vom 3. Oktober 1874 und im allgemeinen alle gesetzlichen und reglementarischen Bestimmungen, die dem gegenwärtigen Gesetz widersprechen.

Durch das Verfassungsgesetz vom 15. Juni 1907 hat der Kanton Genf die Trennung der Kirche vom Staate vollzogen. Bisher anerkannte er die protestantische Kirche und die nationalkatholische Kirche als Landeskirchen, nicht dagegen die römischkatholische. Nach dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes sollen der Staat und die Gemeinden keinen Kultus mehr unterhalten oder unterstützen.

Es ist nicht zu bezweifeln, dass der Grundsatz der Trennung der Kirche vom Staat, der hier zum erstenmal in einer kantonalen Verfassung aufgestellt und der eidgenössischen Gewährleistung unterbreitet wird, den Grundsätzen der Bundesverfassung nicht widerspricht ; die Kantone sind in der Organisation der Landeskirchen ganz frei, und sie können auch die Kirchen als staatliche Einrichtungen aufheben. Der 1. Artikel des genferischen Verfassungsgesetzes ist daher nicht zu beanstanden.

Der 2. Artikel gewährleistet den Angehörigen der verschiedenen Konfessionen die Kultusfreiheit und das Versammlungsund Vereinsrecht mit der Einschränkung, dass sie sich den allgemeinen Gesetzen und den Polizeireglementen über die äussere Ausübung des Kultus unterziehen. Er enthält ebenfalls nichts

1262 Bundesrechtswidriges, da es wohl als selbstverständlich betrachtet werden darf, dass die allgemeinen Gesetze und die Réglemente über die Kultuspolizei die Glaubens- und Gewissensfreiheit und die Kultusfreiheit nicht mehr einschränken dürfen, als es die Art. 49 und 50 der Bundesverfassung erlauben.

Wir halten dafür, dass die allgemeine Bestimmung des Art. 3 über das Eigentum an den Kirchen und Pfarrhäusern und ihre Zweckbestimmung mit Art. 50, Abs. 3, der Bundesverfassung, wie er durch das Bundesgericht ausgelegt worden ist, nicht im Widerspruch steht. Das Bundesgericht hat stets am Salz festgehalten, dass Art 50, Abs. 3, unter Anständen aus dem Privatrechte, ' u m die es sich hier allein handelt, nur Anstände aus der Bildung oder Trennung von Religionsgenossenschaften und Streitigkeiten von Religionsgenossenschaften unter sich über ihre Rechte am Kirchenvermögen versteht, nicht aber Streitigkeiten der Religionsgenossenschaften mit Dritten, seien dies nun politische Korporationen oder Privatpersonen (BundesgericbLsentscheidungen vom 10. Oktober 1894, i. S. römisch-katholische Kirchgemeinde Grenchen, 20, 762; vom 24. November 1897, i. S.

römisch-katholische Kirchgemeinde Laufen, 23. 1380--1382; vom 14. März 1900, i. S. römisch-katholische Kirchgemeinden Wegenstetten und Zuzgen, 26, I, 34). Der vorliegende Art. 3 des Genfer Verfassungsgesetzes trifft aber Bestimmungen übur das Eigentum und die Benutzung von Gebäuden, die im Eigentum der politischen Gemeinden stehen ; für den Fall, dass die politischen Gemeinden die Gebäude später einer Kultusgunossoaschaft abtreten sollten, bestimmt Absatz 3 bloss, dass vereinbart ·werden soll, dass sie ihre religiöse Bestimmung beibehalten und dass über sie nicht gegen Entgelt verfügt werden könne. Wir glauben daher, ohne der Entscheidung des Bundesgerichtes vorgreifen zu wollen, nicht, dass Art. 50, Abs. 3, hier vorzubehalten sei.

Über das Schicksal des der protestantischen Kirche gehörenden Vermögens von Fr. 800,000, enthält Art. 6 besondere Bestimmungen ; eine teils vom zukünftigen Konsistorium, teils vom Regierungsrat ernannte Kommission soll bis zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Verfassungsgesetzes über die Verwaltung und die Zuteilung dieses bisher vom Konsistorium verwalteten Kapitals entscheiden, ohne dass es je seiner bisherigen Bestimmung entzogen
werden dürfte. Da diese Vorschrift an sich dem Art. 50, Abs. 3, der Bundesverfassung nicht zuwider ist, so braucht die erwähnte Verfassungsbestimmung nicht ausdrücklich vorbehalten zu werden.

1263 Sollten'^'jedoch die Beschlüsse dieser Kommission gegen Verfassungsvorschriften verstossen, so könnten, si.e jederzeit mit dem staatsrechtlichen Rekurs beim Bundesgericht angefochten werden. Die Frage, ob der zu gründenden protestantischen Kirchgenossenschaft dem Staate gegenüber weitere vermögensrechtliche Ansprüche zustehen, als die im Verfassungsgesetz selbst genannten, ist hier nicht zu untersuchen, da sie durch die eidgenössische Gewährleistung dieses Gesetzes nicht präjudiziert wird.

Der erste Absatz des Art. 7, der besondere Bestimmungen trifft über die kirchlichen Gebäude und das Vermögen der nationalkatholischen' Kirche, bestätigt die bereits zu gunsten der römischkatholischen Kirche getroffenen Verfügungen über die Kirchen und Pfarrhäuser von Versoix und Chêne-Bourg. Der dritte Absatz gibt dem Vermögen der Kirchgemeinden [biens paroissiaux) die gleiche Bestimmung wie den Kirchen oder Pfarrhäusern, zu denen sie gehören, was wohl heissen soll, dass sie gemäss Art. 3 Eigentum der politischen Gemeinden seien und ihre religiöse Zweckbestimmung behalten sollen. Auch wenn diese Güter bisher der römisch-katholischen Kirche gehört haben (sie sind im Kataster als Eigentum der Kirchgemeinden und Pfarrkirchen eingetragen), scheint es uns nicht notwendig, den Art. 50, Abs. 3, der Bundesverfassung hier ausdrücklich vorzubehalten, denn die römisch-katholische Kirchgenossenschaft bildet sich im Kanton Genf infolge des Konfessionsgesetzes nicht neu, noch trennt oder spaltet sie sich.

Eine von Lucien de Candolle und 7 Mitunterzeichnern unterzeichnete Eingabe vom 16. November 1907 macht don Bundesrat darauf aufmerksam, dass das neue Verfassungsgesetz mit den Bestimmungen der Verträge von 1815 und 1816 in Widerspruch stehe. Der Regierungsrat des Kantons Genf, dem wir diese Einsprache mitgeteilt haben, weist diese Behauptung zurück, indem er namentlich geltend macht, dass die Katholiken der 1815 und 1816 von Sardinien an den Kanton Genf abgetretenen Gemeinden im Jahre 1868 dem Gesetze vom 26. August 1868 und damit dem Grundsatz ihrer vollständigen Gleichstellung, mit den ändern Bürgern des Kantons, zugestimmt haben und dass durch die Gewährleistung der Glaubens- und Gewissensfreiheit im Kanton Genf der einzige Grund, aus dem das Wieoer Protokoll vom 29. März 1815 und der Turiner Vertrag besondere
Bestimmungen zum Schütze der katholischen Kirche in den abgetretenen Gebieten gegen die ,,herrschende" Religion aufgestellt hatte, weggefallen sei. Die Prüfung der Frage

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hat uns zu einem ähnlichen Ergebnis geführt. Die zu gunsten der Katholiken der abgetretenen Gemeinden stipulierten Garantien hatten den Zweck, den katholischen Kultus vor Unterdrückung durch die Regierung eines überwiegend protestantischen Kantons, zu schützen; dieser Zweck ist aber inzwischen vollständig erreicht worden durch die Garantien der Glaubens- und der Kultusfreiheit, und durch die Gleichstellung der katholischen Bürger der abgetretenen Gemeinden mit allen ändern.

Wir beantragen Ihnen daher, Tit., dem Verfassungsgesetz die Gewährleistung in Form des nachfolgenden Beschlusses zu erteilen.

B e r n , den 17. Dezember 1907.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Müller.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft Ringier.

1265 (Batwurf.)

Bundesbeschluss betreffend

die eidgenössische Gewährleistung des Verfassungsgesetzes des Kantons (Senf Ober die Abschaffung des Kultusbudgets vom 15. Juni 1907.

Die Bundesversammlung der s c h w e i z e r i s c h e n E i d g e n o s s e n s c h a f t , nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 17. Dezember 1907 betreffend die eidgenössische Gewährleistung des Verfassungsgesetzes des Kantons Genf über die Abschaffung des Kultusbudgets vom 15. Juni 1907 ; in Anbetracht, dass das Verfassungsgesetz nichts enthält, was den Vorschriften der Bundesverfassung widerspricht ; dass das Verfassungsgesetz in der Volksabstimmung vom 29./30. Juni 1907 angenommen worden ist; in Anwendung von Art. 6 der Bundesverfassung, beschliesst: Dem Verfassungsgesetz des Kantons Genf über die Abschaffung des Kultusbudgets vom 15. Juni 1907 wird die eidgenössische Gewährleistung erteilt.

Der Bundesrat wird mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

.

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Botsc des

Bundesrates an die Bundesversammlung, betreffend die Gewährleistung der abgeänderten §§26 und 27 der Verfassung des Kantons Schwyz vom 23. Oktober 1898 und 11. März

1900.

(Vom 17. Dezember 1907.)

Tit.

Am 28. November 1906 hat der schwyzerische Kantonsrat beschlossen, die §§ 26 und 27 der Kantons Verfassung vom 23. Oktober 1898 und 11. März 1900 im Sinne der unbeschränkten Einführung der Verhältniswahl bei der Bestellung des Kantonsrats abzuändern ; die abgeänderten Paragraphen der Verfassung sind in der Abstimmung vom 21. April 1907 mit 2616 gegen 2089 Stimmen vom Volk angenommen worden. Gleichzeitig ist vom Volk auch ein Gesetz betreffend das Verfahren bei den Kantonsratswahlen nach Verhältniszahl vom 28. November 1906 angenommen worden.

Sowohl die revidierten Verfassungsbestimmungen als das genannte Ausführungsgesetz sollten gemäss Ziffer II des Kantonsratsbeschlusses vom 28. November 1906 mit ihrer Annahme durch das Volk in Kraft treten.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die eidgenössische Gewährleistung des Verfassungsgesetzes des Kantons Genf über die Abschaffung des Kultusbudgets vom 15. Juni 1907. (Vom 17. Dezember 1907.)

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Jahr

1907

Année Anno Band

6

Volume Volume Heft

55

Cahier Numero Geschäftsnummer

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Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

26.12.1907

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1258-1266

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10 022 720

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