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Bundesratsbeschluss über

die Rekursbeschwerde von Peter Zai, Sohn, in Kerns, gegen die Verfügung der Justizdirektion des Kantons Aargau vom 18. Juni 1907, betreffend Löschung der Firma ,,E. Kappeler-Bebie" in Turgi im Handelsregister.

(Vom 28. September 1907.)

Der schweizerische Bundesrat hat über die Rekursbeschwerde von Peter Zai, Sohn, in Kerns, gegen die Verfügung der Justizdirektion des Kantons Aargau vom 18. Juni 1907, betreffend Löschung der Firma ,,E. Kappeler-Bebie" in Turgi im Handelsregister, auf den Bericht seines Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluss gefasst:

A.

In tatsächlicher Beziehung wird festgestellt: I.

Im Handelsregister des Kantons Aargau ist als Inhaberin der Firma E. K a p p e l e r - B e b i é in Turgi (Baumwollspinnerei und -Zwirnerei) "Witwe Elise Kappeier, geb. Bebié, von Baden, in Turgi, eingetragen. Neben ihr sind drei Prokuristen (mit Kollektivunterschrift zu zweien) zur Vertretung der Firma befugt.

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Die Firmainhaberin ist am 21. April 1907 gestorben und hat als Erben hinterlassen : 1. Mathilde Landoli geb. Zai, Ehefrau von Dr. Hans Landolt> in Turgi, 2. Louis Zai in Turgi und 3. den am 31. Oktober 1888 geborenen, aber nunmehr volljährig erklärten Peter Alfred Zai in Kerns, welche die Erbschaft angetreten haben.

II.

Peter Alfred Zai hat beim aargauischen Handelsregisterbureau die Löschung der Firma ,,E: Kappeler-Bebié" verlangt.

Die übrigen Erben widersetzen sich der Löschung, weil dieErbschaftsangelegenheit noch nicht erledigt sei.

Die Justizdirektion des Kantons Aargau als Aufsichtsbehörde über das Handelsregister hat deshalb am 18. Juni 1907 verfügt: 1. Das Begehren um Löschung der Firma ,,E. KappelerBebie" in Turgi wird als ein verfrühtes zurzeit abgewiesen.

2. Der genannten Firma wird zur Anmeldung der Firmalöschung beziehungsweise -änderung eine Frist bis 1. Juni 1908 angesetzt. Diese Frist kann eventuell angemessen erstreckt werden.

Diese Verfügung stützt sich auf folgende Erwägungen: «. Die Anmeldung zur Löschung der Firma ist nur von.

Peter Zai, Sohn, unterschrieben. Die beiden ändern Erben weigern sich, zur Löschung der Firma heute schon Hand zu bieten. Die Löschung kann infolgedessen gestützt auf die von Peter Zai.

Sohn, eingereichte schriftliche Anmeldung nicht vorgenommen werden, da eine solche Anmeldung von sämtlichen Erben unterzeichnet sein muss.

b. Es fragt sich ferner, ob die Firma von Amtes wegen zu löschen sei. Darüber bestimmt Art. 28, Ziffer 2, der Verordnung des Bundesrates über das Handelsregister vom 6. Mai 1890 folgendes : ,,Die Löschung eingetragener Firmen geschieht von Amtes wegen wenn der Geschäftsbetrieb einer Einzelfirma infolge Wegzuges oder Todes des Inhabers aufgehört hat und seit diesem Zeitpunkte ein Jahr verflossen ist, ohne dass er selber

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oder seine Rechtsnachfolger die Löschung nachgesucht haben oder vom Registerführer dazu angehalten werden konnten.a Da seit dem. Tode der Firmainhaberin noch kein Jahr verflossen ist, so sind die Voraussetzungen obiger Bestimmung nicht vorhanden.

Wie der Bundesrat in seinem Entscheid in Sachen ToblerFinsler vom Jahre 1899 (vgl. Salis, 2. Auflage, IV, 237/239) ausgeführt hat, braucht eine Firma nicht sofort nach dem Tode des Inhabers gelöscht zu werden, da das Gesetz dies nicht fordert und es auch tatsächlich nicht durchführbar wäre; solange das rechtliche Schicksal über den Nachlass eines verstorbenen Firmainhabers nicht feststeht, solange namentlich eine Erbmasse vorhanden ist, wäre die Änderung der im Handelsregister eingetragenen Firma auch rechtlich unmöglich.

Da auch im vorliegenden Falle das Geschäft zu einer noch ungeteilten Erbmasse gehört und das Schicksal des Geschäftes noch nicht bestimmt ist, so kann die Löschung der Firma nicht erzwungen werden ; das öffentliche Interesse erfordert die Löschung um so weniger, als mehrere Prokuraträger für die Vertretung des Geschäftes nach aussen sorgen.

Immerhin ist zu bemerken, dass der gegenwärtige Zustand nur ein vorübergehender sein, kann und einmal sein Ende finden muss. Es muss deshalb eine Frist festgesetzt werden, innerhalb welcher die Erbschaftsangelegenheit erledigt werden soll.

III.

Gegen diese Verfügung hat Peter Zai, Sohn, mit Eingabe vom 24./26. Juni an den Bundesrat rekurriert. Er stellt das Begehren: der Bundesrat wolle in Aufhebung des Entscheides der aargauischen Justizdirektion dem Gesuche vom 12. Juni auf Löschung der Firma ,,E. Kappeler-Bebiea in Turgi entsprechen, resp. das Registerbureau Aarau mit der Löschung beauftragen.

Zur Begründung macht er im wesentlichen folgendes geltend: 1. Es ist gänzlich unerheblich, dass zwei Erben die Zulässigkeit der Löschung bestreiten, da auch ein Erbe berechtigt ist, die Löschung zu verlangen.

2. Das Handels- und Fabrikationsgeschäft wird tatsächlich durch die drei Erben betrieben, zwischen welchen durch die Erbantrittserklärung ein Personenverband geschaffen worden ist.

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Der Grundsatz der Firmenwahrheit verlangt, dass dieser als gegenwärtiger Inhaber das Geschäft im Handelsregister auf seinen Namen übertragen lasse.

Da eine Erbengemeinschaft nach aargauischem Rechte nicht eingetragen werden kann, weil sie keine juristische Person ist und das Bundesgesetz über das Obligationenrecht derartige Personenverbände nicht kennt, so müssen sich die Erben nach diesem Gesetze als Kollektivgesellschaft konstituieren.

3. Die Justizdirektion des Kantons Aargau hätte demnach Hans Landolt und Louis Zai eine Frist ansetzen sollen, innert der sie sich mit dem Rekurrenten über die Fortführung des Geschäftes unter einer den tatsächlichen Verhältnissen entsprechenden Firma zu verständigen hätten, unter der Androhung, dass sonst die Firma von Amtes wegen gelöscht werde.

Diese Frist darf sich aber nicht über ein Jahr seit dem Todestage der bisherigen Geschäftsinhaberin erstrecken, und eine spätere Verlängerung in Aussicht zu stellen, ist unzulässig. Die Firmenwahrheit erfordert kurze Fristen.

4. Die Berufung auf den Fall Tobler-Finsler vom Jahre 1899 ist unzutreffend, weil dieser Fall sich vom vorliegenden wesentlich unterscheidet. Erstens handelte es sich damals nicht um die Fortsetzung des Geschäftes bis zur Teilung, sondern um die Liquidation. Sodann waren alle Erben mit dem Fortbestand der alten Firma einverstanden, während die Erben Kappeler-Bebie nicht einig sind.

IV.

Die Miterben des Rekurrenten, Mathilde Landolt, vertreten durch Dr. Hans Landolt und Louis Zai, ersuchen um Abweisung der Beschwerde. Aus der Begründung ihres Antrages ist folgendes hervorzuheben : \. Das Geschäft wird zurzeit von der Erbmasse fortgeführt, nicht von den einzelnen Erben selbst. Ob es die Erben übernehmen werden oder nicht, wird sich erst später entscheiden.

Und erst wenn das Geschäft von den Erben zum Fortbetrieb übernommen wird, verwandelt es sich in eine Kollektivgesellschaft; solange es dagegen nur von der Erbmasse fortbetrieben wird, bleibt es kraft juristischer Fiktion Geschäft der Erblasserin.

Erst wenn über das Schicksal des Nachlasses entschieden ist, verlangt das Gesetz, dass die Firma geändert werde.

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Das sind die Grundsätze, auf die das Gesetz selbst deutlich Bezug nimmt, indem es die Prokuren über den Tod des Erblassers hinaus bestehen lässt, indem es ferner auch von der Möglichkeit spricht, dass die Löschung der Firma erst nach dem Verkaufe des ererbten Geschäftes stattfinde (Art. 866, Abs. 2,0.-R.), und indem es endlich im Erb- und Prozessrecht die Erbmasse bis zur Teilung mit dem Erblasser identifiziert. Es sind die Grundsätze, die im Falle Tobler-Finsler auch der Bundesrat, und zwar allgemein, nicht bloss für jenen konkreten Fall, aufgestellt hat; andere sind übrigens nicht denkbar.

2. Wenn Hans Landoli und Louis Zai nach dem Begehren des Rekurrenten unter Androhung der Löschung der bisherigen Firma eine kurz bemessene Frist angesetzt würde, innert der sie sich mit ihm über das Schicksal des Geschäftes zu einigen hätten, so wäre ihnen die Freiheit der Entschliessung genommen.

Witwe Kappeier ist Ende April gestorben. Ende Juni wurde den Erben das amtliche Inventar über ihren Nachlass zugestellt. Schon wenige Tage nachher, am 3. Juli, fand auf Einladung von Dr. Landolt und Louis Zai die erste Besprechung über die Teilung des Nachlasses und die Übernahme des zu ihm gehörenden Geschäftes statt. Hierbei erklärten die Genannten, dass sie sich bis Ende August schlüssig machen werden, ob sie ihrerseits ein Angebot auf das Geschäft machen wollen oder nicht; der Rekurrent solle ebenso verfahren. Lägen bis Ende August keine Angebote vor, so solle zur Ausschreibung des Geschäftes geschritten werden.

Berücksichtigt man einerseits die Bedeutung des Objektes (das Geschäft repräsentiert einen Wert von zirka Fr. 750,000 und besitzt eine grosse Wasserkraft), und anderseits die Schwierigkeit, mit dem Rekurrenten über die zu treffende Entschliessung einig zu werden, so kann man den Erben nicht ein kürzere Frist geben, als sie die kantonale Justizdirektion in Anlehnung an die Verordnung über das Handelsregister angesetzt hat, ja, man muss noch eine Verlängerung vorsehen, die ja nur bewilligt werden soll, wenn sie sich wirklich rechtfertigt.

V.

Die Justizdirektion des Kantons Aargau beantragt in ihrer Vernehmlassung ebenfalls Abweisung der Beschwerde. Indem sie sich den Erörterungen der Rekursantwort ausehliesst, verzichtet sie auf weitere Gegenbemerkungen.

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B.

In rechtlicher Hinsicht fällt in Betracht:

I.

Die aargauische Aufsichtsbehörde über das Handelsregister hat in ihrer Verfügung vom 18. Juni 1907 das Begehren des Rekurrenten, dass die Firma ,,E. Kappeler-Bebiett gelöscht werde, aus zwei Gründen abgewiesen : erstens, weil der Gesuchsteller als einer von drei Erben nicht berechtigt sei, von sich aus die Löschung zu verlangen ; zweitens, weil die Firma auch von Amtes wegen nicht zu löschen sei, sondern nach Art. 866 O.-R. und Art. 28, Ziff. 2, der Verordnung über Handelsregister und Handelsamtsblatt eine Frist zu bestimmen sei, innerhalb der sich die Erben über das weitere Schicksal dieses Stückes der Erbmasse schlüssig zu machen haben. Die Verfügung der Aufsichtsbehörde ist nach diesen beiden Richtungen zu prüfen.

II.

Die drei Erben der am 21. April 1907 verstorbenen Frau Kappeler-Bebié haben die Erbschaft angetreten, das Fabrikationsgesehäft in Turgi aber noch nicht geteilt. Sie bilden also unter sich nach § 983 des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches für den Kanton Aargau eine Erbengemeinschaft im Sinne des § 456 dieses Gesetzes.

Nach §§ 462/466 A. B. G. steht es einem einzelnen Miterben nicht zu, über die im Miteigentum sämtlicher Erben stehende Erbmasse zu verfügen, sondern nur allen Miterben zusammen. Der Rekurrent konnte daher auch nicht ohne Zustimmung der ändern Erben die Löschung der zur ungeteilten Erbmasse gehörenden Firma verlangen.

1. Art. 866 O.-R. regelt den Fall, wo das Geschäft aufhört oder an eine andere Person übertragen wird; weder das eine noch das andere trifft hier zu, da die Erben das Geschäft selbst weiter betreiben. Aus dem gleichen Grunde ist auch Art. 28 der Verordnung, der voraussetzt, dass der Geschäftsbetrieb aufgehört habe, nicht anwendbar. Die Frage, die zu entscheiden ist, ist vielmehr die, ob und wie lange das zur ungeteilten Erbmasse gehörende Handelsgeschäft durch die Erben unter der alten Firma weiter betrieben werden könne. Die Frage, ob einer der Miterben die Teilung verlangen könne, ist nicht durch die

249 Registerbehörde, sondern durch die ordentlichen Gerichte zu entscheiden (A. B. G. des Kantons Aargau, § 466, 2). An diese mag sich der Konkurrent wenden, wenn er nicht mehr in der Erbengemeinschaft bleiben will.

2. Wenn der Rekurrent mit seinem Begehren verlangen will, dass die Firma schlechthin, von Amtes wegen, zu löschen sei, so ist er abzuweisen, denn wenn und solange das Geschäft tatsächlich fortgeführt wird, kann es im Handelsregister nicht schlechthin gelöscht werden ; es muss vielmehr eingetragen bleiben.

Es fragt sich bloss, ob die neuen Inhaber die der neuen Sachlage entsprechende Firma und Rechtsform des Geschäftes s o f o rt eintragen müssen, oder ob sie die bisherige Eintragung weiter bestehen lassen können und wie lange.

3. Im Falle Tobler-Finsler hat der Bundesrat in seiner Rekursentscheidung vom 8. Juni 1899 (Bundesbl. 1899, III, 1025 ; Salis, Bundesrecht, 2. Auflage, IV, Nr. 1597) erklärt, die Erben des verstorbenen Geschäftsinhabers können nicht angehalten werden, die bisherige Firma sofort zu löschen oder abzuändern, sondern es sei ihnen unter Berücksichtigung aller Verhältnisse eine angemessene Frist anzusetzen. Die Erben Toblers wollten allerdings das Geschäft liquidieren und verlangten bloss, dass sie dies innert angemessener Frist unter der alten Firma tun können, während die Erben Kappeler-Bebié ihr Geschäft nicht liquidieren, sondern vorderhand fortführen wollen. Allein dieser Umstand führt nicht dazu, dass die Erben gewungen werden müssen, die bisherige Firma s o f o r t abzuändern und das Geschäft auf eine neue rechtliche Grundlage zu stellen ; auch wenn die Erben den Geschäftsbetrieb aufrecht erhalten wollen, müssen sie sich darüber schlüssig machen können, ob sie das Geschäft gemeinsam weiterführen und in welcher Rechtsform, oder ob sie es veräussern wollen. Der Grundsatz der Firmenwahrheit erfordert aber, dass die Frist nicht mehr ausgedehnt werde, als zu jenem Zwecke erforderlich ist; wenn die Erben das Geschäft auf unbestimmte Zeit fortführen wollen, müssen sie sich als eine der im Gesetz vorgesehenen Gesellschaftsformen konstituieren und als solche ins Handelsregister eintragen lassen. Die Fortführung des Geschäftes unter der alten Firma kann nur vorübergehend gestattet werden.

Nach den Umständen des Falles scheint es angemessen, den Erben Kappeler-Bebie eine Frist von einem Jahr seit dem Tode, der Erblasserin zu setzen, innerhalb deren sie sich schlüssig zu

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machen haben, ob sie das Geschäft unter neuer Firma als Kollektiv- oder Kommanditgesellschaft weiterführen, oder ob sie es veräussern wollen und dementsprechend innert dieser Frist die bisherige Firma zu ändern oder zu löschen.

Demnach wird erkannt: Die Frist zur Anmeldung der Löschung oder Änderung der bisherigen Firma wird auf den 21. April 1908 festgesetzt. Im übrigen wird der Rekurs als unbegründet abgewiesen.

· B e r n , den 28. September 1907.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Müller.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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Bundesratsbeschluss über die Rekursbeschwerde von Peter Zai, Sohn, in Kerns, gegen die Verfügung der Justizdirektion des Kantons Aargau vom 18. Juni 1907, betreffend Löschung der Firma ,,E. Kappeler-Bebié" in Turgi im Handelsregister. (Vom 28.

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09.10.1907

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