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Bundesrates an die Bundesversammlung zum Begnadigungsgesuch der wegen Übertretung des Bundesgesetzes über Jagd und Vogelschutz bestraften Oskar Saladin, Valentins, geb. 1888, und Karl Josef Born, Arnolds, geb. 1888, in Grellingen, Kanton Bern.

(Vom 6. April 1907.)

Tit.

Die vorgenannten jungen Einwohner der Gemeinde Grellingen wurden vom Polizeirichter des Amtes Laufen am 3. November 1906 mit je Fr. 50 Busse bestraft, weil sie Sonntags den 21. Oktober gleichen Jahres mit Flobertgewehren auf Eichhörnchen Jagd gemacht hatten.

Es handelte sich dabei um Jagen auf nicht geschütztes Wild während offener Jagdzeit, also um eine Handlung, die im Bundesgesetz vom 24. Juni 1904 nur dann mit Strafe bedroht ist, wenn sie durch den Kanton, in welchem sie begangen wurde, durch dessen Gesetzgebung verboten ist (Art. 5, 6 und 7, Absatz 2, und 21, Ziffer 4, lit. a cit.). Der Kanton Bern hat durch Vollziehungsverordnung vom 26. Juli 1905 bestimmt (Art. 14): ,,Nicht nur in der geschlossenen, sondern auch in der offenen Jagdzeit ist das Jagen und Vogelschiessen, wie es immer sein mag, an allen Sonn- und Feiertagen, sowie auch am Tage vor dem Bettag und vor den Kommunionstagen für jedermann ohne Ausnahme verboten. Einzig die Tötung von Raubtieren ist an diesen Tagen erlaubt."

987 Auf Grund dieses Verbotes wurden Saladin und Born, die an einem Sonntag gejagt hatten, des Jagdfrevels schuldig erklärt und mit dem Minimum der in Art. 21, Ziffer 4, lit. a, des Bundesgesetzes angedrohten Strafe belegt. Sie ersuchen durch Eingabe an den Grossen Rat des Kantons Bern um Brlass der Strafe auf dem Wege der Begnadigung, indem sie geltend machen, sie seien sich der Strafbarkeit ihrer Handlung nicht bewusst gewesen, was schon daraus hervorgehe, dass sie nicht etwa im Dunkel des Waldes, sondern in der Nähe ihres Heimatdorfes, in der Nähe der Landstrasse jagten. Auch seien die Flobertgewehre, die sie besessen, eigentlich zur Erlegung von Wild untauglich. Ihre bescheidenen Familienverhältnisse und ihr geringer Verdienst machen die Bezahlung der Strafsummen für sie sehr drückend.

Der Einwohnergemeinderat von Grellingen und das Regierungsstatthalteramt Laufen befürworten die Entsprechung des Gesuches. Die Polizeidirektion des Kantons Bern überwies dasselbe an das schweizerische Justiz- und Polizeidepartement in der Annahme, dass zu seiner Erledigung die Bundesversammlung zuständig sei.

Die Bundesbehörden sind von jeher bei Erledigung von Begnadigungsgesuchen, die sich auf Strafen bezogen, die von kantonalen Richtern wegen Verletzung von Bundespolizeigesetzen ausgesprochen wurden, davon ausgegangen, dass die Erledigung solcher Gesuche dann in die Kompetenz der Bundesversammlung falle, wenn das Bundesstrafrecht in allen Teilen, sowohl was den Tatbestand als was Art und Höhe der Strafe betrifft, die für die Entscheidung der kantonalen Strafbehörden massgebende materielle Grundlage bildet (vgl. Salis, Schweizerisches Bundesrecht, II. Auflage, IV, Nr. 1735 u. ff., speziell Nr. 1739). Dagegen wurde die Zuständigkeit der Kantone dann anerkannt, wenn, wie dies z. B. im Jagdgesetze von 1875 der Fall war, das Bundesrecht nur eine Definition von Tatbeständen gab und bloss für einzelne Fälle Minima bestimmte, dagegen die Details der Vorschriften den Kantonen anheimstellte. Im Jagdgesetze von 1905, unter dessen Herrschaft die Potenten bestraft wurden, sind nun allerdings die Bussen auch dann in Maximum und Minimum eidgenössisch geregelt, wenn Straftatbestände in Frage kommen, deren Aufstellung der Bundesgesetzgeber den Kantonen überlassen hat.

Indessen ändert dies die konstitutionelle Grundlage des
Begnadigungsrechtes nicht. Die erste und wichtigste Voraussetzung der Bestrafung in solchen Fällen bildet der kantonale Tatbestand, die Anwendung der Strafsanktion bezüglich Art und Höhe der Strafe ist das Sekundäre und deshalb wie unter dem früheren Gesetze die Kompetenz zur Begnadigung bei den kantonalen Instanzen.

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Diese Auffassung entspricht auch der Tatsache, dass nach dem Spezialgesetz und dem Bundesgesetz über die Organisation der Bundesrechtspflege die zu beziehenden Bussen den Kantonen zufallen, und dem Bestreben, das Begnadigungsrecht der Bundesversammlung in Polizeisachen, deren Beurteilung gesetzlich den Kantonen übertragen ist, nicht weiter auszudehnen, als absolut notwendig ist.

Diese Erwägungen führen zu dem Schlüsse, dass die Bundesversammlung zur Behandlung des Begnadigungsgesuches des Oskar Saladin und des Karl Josef Born nicht zuständig sei. Sollte sie aber auf dasselbe eintreten, so erscheint eine erhebliche Ermässigung des gesetzlichen Strafminimums für den vorliegenden Fall gerechtfertigt im Hinblick auf die Jugend und die persönlichen Verhältnisse der Fehlbaren und auf Entscheidungen in analogen Fällen aus der jüngsten Zeit, wo Jagd auf Eichhörnchen während geschlossener Jagdzeit in Frage kam.

Wir stellen daher bei Ihrer hohen Versammlung den A n t r ag:

Es sei auf das Begnadigungsgesuch wegen Inkompetenz der Bundesversammlung nicht einzutreten, eventuell es sei die Busse für jeden der Petenten auf Fr. 10 herabzusetzen.

B e r n , den 6. April 1907.

Im Namen des Schweiz. Bnndesrates, Der Bundespräsident: Müller.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Bingier.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung zum Begnadigungsgesuch der wegen Übertretung des Bundesgesetzes über Jagd und Vogelschutz bestraften Oskar Saladin, Valentins, geb. 1888, und Karl Josef Born, Arnolds, geb. 1888, in Grellingen, Kanton ...

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17.04.1907

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