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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über den Rekurs des Gemeinderates (Conseil administratif) der Stadt Genf gegen den Bundesratsbeschluss vom 3. Dezember 1906 betreffend Expropriation durch die S.B.B, in Petit-Saconnex.

(Vom 26. November 1907.)

Tit.

L

l'. Mit Schreiben vom 21. Januar 1907 hat Herr Aloys Pictet, Advokat in Genf, -dem Bundesrate zu Händen der Bundesversammlung einen Rekurs des Gemeinderates (Conseil administratif) der Stadt Genf, d. d. 18. Januar 1907 gegen den Bundesratsbeschluss vom 3. Dezember 1906, betreffend Expropriation durch die S.B.B, in Petit-Saconnex eingereicht.

Wir lassen die tatsächlichen Verhältnisse, die zur Einreichung des Rekurses führten, folgen.

Im September 1901 hat die Jura-Simplon-Bahn, deren Rechtsnachfolgerin die schweizerischen Bundesbahnen sind, ein Wärterhaus auf dem Grundstücke Nr. 1178 des Katasters der Gemeinde Petit-Saconnex erstellen lassen.

Der Plan für dieses Wärterhaus ist vom Staatsrat des Kantons Genf in empfehlendem Sinne begutachtet und vom Eisenbahndepartement am 29. Juni 1901 genehmigt worden.

127 ' Am 20. Januar 1902 reichte die Stadt Genf-eine Klage .gegen die Jura-Simplon-Bahn ein und verlangte: 1. dass das Eigentumsrecht der Stadt Genf über das Grundstück Nr. 1178 anerkannt werde; 2. dass sämtliche Arbeiten und Anlagen der Gesellschaft auf dem fraglichen Grundstücke einzustellen bezw. zu entfernen seien.

Nach erfolgter Abweisung durch das erstinstanzliche Gericht legte die Stadt Genf Berufung ein. Die Zivilkammer des Kantonsgerichtes Genf (cour de Justice civile du canton de Genève) erkannte mit Urteil vom 12. November 1904, dass die JuraSimplon-Bahn Eigentümerin des Grundstückes Nr. 1178 sei, aber stellte zugleich fest, dass das fragliche Grundstück mit einem Wegrecht zu gunsten der Stadt Genf belastet sei. Sie wies die Stadt Genf mit ihrem Begehren um ' Anerkennung ihrer Eigentumsansprüche auf das Grundstück Nr. 1178 ab, und verurteilte die Jura-Simplon-Bahn zur Entfernung aller von ihr auf dieser Parzelle erstellten Anlagen innert einer Frist von 6 Monaten.

Mit Eingabe vom 9. Februar 1905 ersuchte die Generaldirektion der Bundesbahnen als Rechtsnachfolgerin der JuraSimplon-Bahn den Bundesrat um Bewilligung der Einleitung des ausserordentlichen Expropriationsverfahrens (Art. 17 und ff. des Bundesgesetzes vom 1. Mai 1850), behufs Erwerbung der das Grundstück Nr. 1178 belastenden Servitut.

Mittelst Beschluss vom 11. April 1905 haben wir diesem Gesuche entsprochen.

2. Innert nützlicher Frist erhob der Gemeinderat (Conseil administratif) der Stadt Genf unterm 2. Mai 1905 Einsprache gegen die Abtretungspflicht, indem er geltend machte, dass die S. B. B. die Expropriation nur verlangen, um sich dem Vollzug des Urteils der Zivilkammer des Kantonsgerichtes Genf zu entziehen. Er führte ferner aus, dass die Expropriation sich durch kein öffentliches Interesse rechtfertigen lasse, und dass die Bundesbahnen leicht ein gleichwertiges Grundstück zur Erstellung des Wärterhauses finden könnten.

Die Generaldirektion, zurVernehmlassung eingeladen, aussehe sich unterm 19. Mai 1905 im wesentlichen folgendermassen : Das Wärterhaus bei Kilometer 58,73o.eo der Linie LausanneGenf sei für die Bedürfnisse des Dienstes zu klein geworden, so dass die Jura-Simplon-Bahn gezwungen worden sei, das bis-

128 herige Haus zu vergrössern oder ein neues zu erstellen. Die Bahnverwaltung habe die letztere Lösung vorgezogen. Das Grundstück 1178 sei als Bauplatz gewählt worden, weil es mit Rücksicht auf die Dienstverhältnisse die grössten Vorteile biete. Der Plan des neuen Gebäudes sei dem Eisenbahndepartement unterbreitet worden, welches ihn am 29. Juni 1901 genehmigt habe.

Die Jura-Simplon-Bahn habe keine Kenntnis von der auf dem Grundstück Nr. 1178 lastenden Servitut gehabt, so dass sie sich zur Erstellung des Wärterhauses berechtigt glaubte. Da das Gericht der Gemeinde Genf den Besitz des fraglichen Wegrechtes zuerkannt habe, seien die Bundesbahnen genötigt, die Abtretung dieser Servitut auf dem Wege der Expropriation zu verlangen.

3. In unserem Beschlüsse vom 3. Dezember 1906, über die Einsprache des Gemeinderates Genf, haben wir folgende Verfügungen getroffen : a. Die Bundesbahnen werden ermächtigt, das auf dem Grundstück Nr. 1178 des Katasters der Gemeinde Petit-Saconnex erstellte Wärierhaus, das nach Massgabe des vom Eisenbahndepartement unterm 29. Juni 1901 genehmigten Planes errichtet worden war, weiter bestehen zu lassen. Das Urteil der Zivilkammer des Kantonsgerichtes Genf, vom 12. November 1904, welches die Entfernung dieses Gebäudes etc. erkennt, wird als den Bestimmungen der Bundesgesetzgebung zuwiderlaufend, aufgehoben.

b. Die vom Gemeinderate der Stadt Genf namens dieser Stadt mittelst Eingabe vom 2. Mai 1905 beim Bundesrate erhobene Einsprache gegen die von den Bundesbahnen verlangte Expropriation des das Grundstück Nr. 1178 zu gunsten der Stadt Genf belastenden Wegrechtes wird als unbegründet abgewiesen.

Diese Einsprache ist von der Expropriantin der eidgenössischen Schätzungskommission, welche über die Entschädigungsfrage beschliessen wird, zu unterbreiten.

Wir begründeten im wesentlichen unsere Schlussnahme wie folgt: Nach dem Wortlaut des Art. 25 des eidgenössischen Expropriationsgesetzes vom 1. Mai 1850 entscheidet der Bundesrat Streitigkeiten über die Frage, ob die Abtretungspflicht begründet sei oder nicht, und nach Art. 12 des Bundesgesetzes vom 23. Dezember 1872 über den Bau und Betrieb der Eisenbahnen findet die Bundesgesetzgebung über die Abtretung von Privatrechten auf alle vom Bunde konzessionierten Eisenbahnen Anwendung.

129 Es handle sich nicht darum, zu prüfen, wie es die Rekurrentin in ihrer Eingabe vom 2. Mai 1905 behauptet, ob die Aufhebung des in Frage stehenden Wegrechtes bezw. das weitere Bestehen des Wärterhauses im öffentlichen Interesse liege, sondern es müsse nur untersucht werden, ob die Expropriation des Wegrechtes bezw. das Weiterbestehen des Wärterhauses für die Bahn notwendig sei (Art. l des Expropriationsgesetzes). Die Bedürfnisfrage sei vom Eisenbahndepartement bejaht und daher der Plan für das Wärterhaus genehmigt worden.

Es sei keine kantonale Behörde befugt, die Entfernung von Anlagen auszusprechen, welche von einer Eisenbahnunternehmung nach Massgabe des genehmigten Planes erstellt worden seien (Art. 14 des Bundesgesetzes vom 23. Dezember 1872 über den Bau und Betrieb von Eisenbahnen).

Als Verwaltungs- und Aufsichtsbehörde in Eisenbahnangelegenheiten, sowie gemäss Art. 102 der Bundesverfassung, wonach der Bundesrat mit der Aufsicht über die Handhabung der eidgenössischen Gesetze betraut ist, sei der Bundesrat berechtigt, kantonale Verfügungen aufzuheben, die im Widerspruch mit dem ihm bezw.

dem Eisenbahndepartemente allein zustehenden Plangenehmigungsrechte stehen.

4. Gegen diesen Beschluss des Bundesrates vom 3. Dezember 1906 rekurrierte der Gemeinderat der Stadt Genf unterm 18. Januar 1907 sowohl an das Bundesgericht als auch an die Bundesversammlung. Die beiden Rekurse unterscheiden sich nur dadurch, dass" der erstere auf Art. 175 des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 22. März 1893 und der letztere auf Art. 192 des zitierten Bundesgesetzes gestützt wird; im übrigen stimmt der Wortlaut der beiden Rekurse vollständig überein.

Vom Bundesgericht zur Rekursbeantwortung eingeladen, haben wir unterm 1. März 1907 demselben beantragt, auf den Rekurs wegen Inkompetenz nicht einzutreten, oder eventuell denselben als unbegründet abzuweisen.

Durch Urteil vom 21. März 1907 ist das Bundesgericht auf den Rekurs nicht eingetreten.

5. Mit dem oben erwähnten Rekurs vom 18. Januar 1907 stellte der Gemeinderat der Stadt Genf, gestützt auf Art. 192 des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 22. März 1893 das Begehren, die Bundesversammlung möchte den Entscheid des Bundesrates vom 3. Dezember 1906 annullieren.

130 Der Rekurs richtet sich gegen diesen Entscheid sowohl deswegen, weil durch denselben das Urteil der Zivilkammer des Kantonsgerichtes Genf, soweit es sich auf die Entfernung des Wärterhauses bezieht, aufgehoben wurde, als auch aus dem Grunde, weil der Bundesrat die Einsprache des Gemeinderates der Stadt Genf abgewiesen hat.

Die im Rekurs enthaltene Darstellung der tatsächlichen Verhältnisse stimmt mit derjenigen in diesem Berichte im allgemeinen überein ; wir können uns daher darauf beschränken, die im Rekurse enthaltenen r e c h t l i c h e n Erörterungen im wesentlichen wiederzugeben, nämlich: Der Bundesrat berufe sich vergebens auf Seite 6 seines Beschlusses vom 3. Dezember 1906 darauf, dass der Staatsrat des Kantons Genf mit Schreiben vom 22. Juni 1901 und nach Einholung des Visums der Gemeindebehörde Petit-Saconnex der Jura-Simplon-Bahn die Ermächigung zur Vornahme der fraglichen Arbeiten erteilt habe.

Es sei wohl einleuchtend, dass weder der Staatsrat noch die Gemeindebehörde von Petit-Saconnex, indem sie die in ihrer Kompetenz liegende Genehmigung erteilen, Rechte Dritter verletzen und sich über die Eintragungen in den Grundbüchern hinwegsetzen dürfen.

Der Bundesrat sei nicht befugt, auf Seite 7 seines Beschlusses zu erklären, dass es einer Gerichtsbehörde nicht zustehe, die Entfernung von Anlagen zu verfügen, die von der zuständigen eidgenössischen Behörde genehmigt worden seien, und dass deshalb die Bestimmung des Urteils, welche die Entfernung dieser Anlagen vorschreibe, weil mit den Bestimmungen der Bundesgesetzgebung über die Ausscheidung der Kompetenzen der eidgenössischen und der kantonalen Behörden im Widerspruch stehend, nicht als rechtmässig anerkannt werden könne.

Übrigens habe die Jura-Simplon-Bahn den Rekurs gegen das Urteil der Zivilkammer des Kantonsgerichtes Genf wegen vermeintlicher Verletzung eines Bundesgesetzes nicht ergriffen. Sie habe sich vielmehr diesem Urteil förmlich unterzogen, indem sie am 2. Dezember 1904 die ihr auferlegten Kosten bezahlte.

Weil gegen das Urteil der Zivilkammer des Kantonsgerichtes ein Rekurs nicht ergriffen worden sei, und die Jura-Simplon-Bahn demselben teilweise Genüge geleistet habe, so sei dasselbe gemäss Art. 476 des Genfer Zivilprozesses und Art. 65 des Bundesgesetzes betreffend die Organisation der Bundesrechtspflege in Rechtskraft

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erwachsen und gemäss Art. 61 der Bundesverfassung im ganzen Gebiete der Eidgenossenschaft vollziehbar. Es sei somit kein Rekurs gegen das Urteil vom 12. November 1904 zulässig, selbst wenn man annehmen wollte, dass es den Bestimmungen der Bundesgesetzgebung widersprechen würde, was förmlich bestritten wird. Übrigens stehe das Recht, ein Urteil eines Kantonsgerichts aufzuheben, weil es mit den Bestimmungen der Bundesgesetzgebung im Widerspruch stehe, gemäss Art. 56 u. ff. des Bundesgesetzes betreffend die Organisation der Bundesrechtspflege dem Bundesrate nicht zu. Der Bundesrat als Vollziehungsbehörde (Art. 95 der Bundesverfassung) habe somit durch Aufhebung des fraglichen Urteils seine Kompetenz überschritten.

Der Bundesrat könne den Art. 102, Ziffer 2, der Bundesverfassung nicht anrufen. In der Tat, wenn diese Bestimmung der obersten vollziehenden Behörde der Eidgenossenschaft das Recht erteilen sollte, die Wirkung des Dispositivs des Urteils der Zivilkammer des Kantonsgerichts Genf aufzuheben -- was der Rekurrent bestreitet -- so würde ihr dieses Recht nach der Fassung des erwähnten Art. 102 nur in den Fällen zustehen, in welchen der Rekurs an das Bundesgericht nicht zulässig sei.

Wenn die Jura-Simplon-Bahn beziehungsweise die S. B. B, nicht rechtzeitig an das Bundesgericht rekurriert haben, so dürfe der Bundesrat nach Ablauf der Rekursfrist nicht eine Verfügung treffen, die nur das Bundesgericht hätte treffen dürfen, wenn der Rekurs rechtzeitig eingereicht und materiell begründet gewesen wäre.

II.

1. Zur r e c h t l i c h e n Erörterung des Rekurses des Ge^ meinderates Genf übergehend, heben wir zunächst hervor, dass derselbe zwei Hauptpunkte enthält: Der erste ist gerichtet gegen die Aufhebung des Urteils der Zivilkammer des Kantonsgerichts Genf durch den Bundesrat und der zweite gegen die Abweisung der Einsprache des Gemeinderates Genf gegen die Pflicht zur Abtretung der das Grundstück Nr. 1178 der Gemeinde PetitSaconnex belastenden Servitut.

Es handelt sich in erster Linie um die Frage, ob der. an* gefochtene Beschluss des Bundesrates vom 3. Dezember 1906 mit Beziehung auf einen der beiden erwähnten Hauptpunkte, und gemäss dem vom Rekurrenten angeführten Artikel 192 -des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege vom

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22. März 1893 überhaupt an die Bundesversammlung weitergezogen werden könne.

Durch die Aufhebung des Urteils der Zivilkammer des Kantonsgerichts Genf habe sich, so führt der Kekurs aus, der Bundesrat eine Kompetenzüberschreitung zu schulden kommen lassen, weil er als oberste vollziehende und leitende Behörde der Eidgenossenschaft (Art. 95 der Bundesverfassung) sich richterliche Befugnisse angeeignet habe. Artikel 102, Ziffer 2 der Bundesverfassung sei unrichtig interpretiert worden. Die Aufhebung des erwähnten Urteils, wenn hierfür eine rechtliche Veranlassung vorhanden gewesen wäre, hätte nur durch das Bundesgericht erfolgen können. (Artikel 106, 110 der Bundesverfassung, Artikel 56 u. f. des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege.) Artikel 61 der Bundesverfassung sei verletzt.

Selbst wenn eine Kompetenzüberschreitung und somit eine Gesetzesverletzung vorliegen würde, was hiermit ausdrücklich bestritten und später noch erörtert werden soll, so wäre die Bundesversammlung nicht kompetent, den Beschluss des Bundesrates aufzuheben, weil verfassungsmässige oder gesetzliche Bestimmungen fehlen, welche in allgemeiner Weise bestimmen, dass Verfügungen des Bundesrates, welche derselbe in erster Instanz trifft, an die Bundesversammlung weitergezogen werden können. Hiervon ausgenommen sind nur diejenigen Fälle, wo kraft positiven Rechtes ein Rekursrecht gegen Verfügungen des Bundesrates an die Bundesversammlung vorgesehen ist, wie z. B.

im Artikel 14, Absatz 3, des Eisenbahngesetzes vom 23. Dezember 1872, im Artikel l, Absatz 3, des Nebenbahngesetzes vom 21. Dezember 1899 etc. (Vgl. Dr. W. Burckhardt, Kommentar der schweizerischen Bundesverfassung, 1905, Seiten 785 u. f.)

Der vom Rekurrenten angerufene Artikel 192 des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 22. März 1893 bezieht sieh nicht auf alle Verfügungen des Bundesrates, sondern vielmehr nur auf diejenigen, welche er als R e k u r s i n s t a n z trifft. Voraussetzung ist also, dass der Beschwerdeführer zunächst eine Beschwerde gegen kantonale Verfügungen und Erlasse wegen Verletzung der im Artikel 189 des zitierten Bundesgesetzes vom 22. März 1893 angeführten Artikel der Bundesverfassung, oder der auf Grund der Bundesverfassung erlassenen Bundesgesetze an den Bundesrat gerichtet hat. Gegen den Rekursentscheid kann dann, gestützt auf Artikel 192 des zitierten Bundesgesetzes vom 22. März 1893, an die Bundesversammlung rekurriert

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werden. Diese Rechtsauffassung geht klar hervor aus Artikel 190 des genannten Gesetzes, wonach die Bestimmungen der Artikel 178 und 182 auf die vom Bundesrate zu beurteilenden staatsrechtlichen Streitigkeiten anwendbar sind, sofern nicht ein Beschwerdefall vorliegt, wo der Bundesrat als Vollziehungsbehörde auch von Amtes wegen einzuschreiten hat.

Sowohl die Aufhebung des Urteils der Zivilkammer des Kantonsgerichts Genf vom 12. November 1904, als die Abweisung der Einsprache des Gemeinderates Genf gegen die Abtretungspflicht sind Verfügungen, die der Bundesrat in erster Instanz und nicht als Rekursinstanz getroffen hat, weshalb dieselben nach obigen Ausführungen nicht an die Bundesversammlung weitergezogen werden können. Da die Kompetenz der Bundesversammlung in concreto nicht vorhanden und somit ein Eintreten auf den Rekurs nicht statthaft ist, könnten wir davon Umgang nehmen, auch auf die materielle Seite des Rekurses einzutreten.

, 2. Allein, da im Rekurse gesagt wird, dass wir eine Kompetenzüberschreitung begangen und die Artikel 61, 95, 106 und 110 der Bundesverfassung, sowie die Artikel 56 u. f. des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege verletzt hätten, halten wir es für angezeigt, auch auf die materielle Seite des Rekurses einzutreten und insbesondere den Nachweis zu erbringen, dass seitens des Bundesrates weder eine Kompetenzüberschreitung, noch eine Verfassungs- oder Gesetzesverletzung vorliegt.

Indem wir uns erlauben, auf unsere, dem Dossier einverleibte Antwort vom 1. März dieses Jahres auf den, vom Gemeinderat Genf, beim Bundesgericht erhobenen Rekurs gegen unsern Beschluss vom 3. Dezember 1906 hinzuweisen, dessen rechtliche Ausführungen, soweit sie sich gegen die behauptete Kompetenzüberschreitung richten, als integrierender Bestandteil dieses Berichtes erklärt werden, beschränken wir uns hier darauf, zu konstatieren, dass das Eisenbahndepartement zur Genehmigung des Planes des Wärterhauses auf dem Grundstück Nr. 1178 der Gemeinde Petit-Saconnex kompetent war, kraft Artikel 14 des Eisenbahngesetzes vom 23. Dezember 1872 und Artikel 5 des Bundesratsbesehlusses betreffend Organisation und Geschäftsgang der Eisenbahnabteilung des Post- und Eisenbahndepartements vom 13. Juli 1897.

Es war daher ein ungesetzlicher Eingriff in das Genehmigungsrecht des Bundesrates bezw. des Eisenbahndepartements,

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a,ls die Zivilkammer des Kantonsgerichtes Genf durch Urteil vom 12. November 1904 verfügte, dass die baulichen Anlagen auf dem Grundstück Nr. 1178 insoweit entfernt werden müssen, als sie die Ausübung des der Stadt Genf zustehenden Wegrechtes hinderten. Korrekt handelten dagegen die S. B. B., dass sie nach Brlass dieses Urteils zunächst versuchten, das Wegrecht gütlich zu erwerben, um damit den weitern Bestand des Wärterhauses «u sichern. Als eine gütliche Einigung nicht zu stände kam, waren sie, um die fragliche Servitut ablösen zu können, genötigt, beim Bundesrat um die Bewilligung des ausserordentlichen Expropriationsverfahrens, im Sinne von Artikel 17, Ziffer 4, des eidgenössischen Expropriationsgesetzes vom 1. Mai 1850, nachzusuchen. Dieses Vorgehen war vollständig korrekt. Unser, diesem Gesuche entsprechende Beschluss, stützte sich auf die Artikel 22 und 17, Ziffer 4, des genannten Gesetzes. Die daraufhin unterm 2. Mai 1905 vom Gemeinderat Genf eingereichte Einsprache gegen die Abtretungspflicht wiesen wir als unbegründet ab, wozu wir auf Grund der Artikel 12 des Eisenbahngesetzes und l, 2 .und 25 des eidgenössischen Expropriationsgesetzes kompetent waren.

Wir bemerken noch, dass die vom Eisenbahndepartement veranlassten Erhebungen die Notwendigkeit des weitern Fortbestandes des fraglichen Wärterhauses aus Gründen einer rationellen Bahnbewachung und damit eines sichern Betriebes ergaben; die Einsprache musste daher abgewiesen werden.

Die Aufhebung des Urteils der Zivilkammer des Kantonsgerichts Genf war nichts anderes als eine logische Konsequenz der Abweisung der Einsprache des Gemeinderates Genf. Durch die Abweisung der Einsprache wurde die Generaldirektion in die Lage versetzt, die eidgenössische Schätzungskommission einzuberufen und durch Bezahlung des von dieser Kommission festzusetzenden Preises das auf dem Grundstück Nr. 1178 der Gemeinde Petit-Saconnex zu gunsten der Stadt Genf lastende Wegrecht und damit zugleich das unbeschränkte Eigentum über dieses Grundstück zu erwerben. Infolge dieses letztern Unistandes hätte das Urteil der Zivilkammer des Kantonsgerichts Genf vom 12. November 1904, soweit sich dasselbe auf die Entfernung des Wärterhauses bezog, überhaupt nicht mehr vollzogen werden können, weil nach diesem Urteil die Entfernung des Wärterhauses auf der Voraussetzung basierte,
dass das Wegrecht der Stadt Genf über das Grundstück Nr. 1178 auch weiterhin bestehen bleibe. Durch den Erwerb des Wegrechtes seitens der S. B. B. wurde die Verfügung der Zivilkammer des Kantonsgerichts Genf betreffend die Ent-

135 fernung des Wärterhauses e o i p s o g e g e n s t a n d s l o s . Damit fallen aber auch die im Rekurse des Gemeinderates Genf emV haltenen Ausführungen betreffend die Verletzung der Artikel 61, 95, 106 und 110 der Bundesverfassung und der Artikel 56 u. f.

des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 22. März 1893 dahin.

Es. wäre nicht einmal unbedingt notwendig gewesen, im Bundesratsbeschluss vom 3. Dezember 1906 das Dispositiv l zu erlassen, weil die darin enthaltenen Verfügungen, nämlich : Erteilung der Ermächtigung an die S. B. B., das Wärterhaus auch fernerhin fortbestehen lassen zu dürfen und Aufhebung des Urteils der Zivilkammer des Kantonsgerichts Genf, soweit sich dasselbe auf die Entfernung des Wärterhauses bezog, sich ohne weiteres als notwendige Folgen der im Dispositiv LL enthaltenen Abweisung der Einsprache des Gemeinderates Genf gegen die Abtretungspflicht ergeben hätten. Das Dispositiv I hätte also auch weggelassen werden können. Wenn dies nicht geschah, hatte es seinen Grund darin, weil wir eine vollständig klare Situation schaffen wollten, was dadurch erreicht werden konnte, dass die Wirkungen, welche die Abweisung der Einsprache des Gemeinderates Genf gegen die Abtretungspflicht notwendigerweise hervorbringen mussten, in einem besondern Dispositiv ausgesprochen wurden.

Dass wir hierfür kompetent waren, liegt in der Natur der Sache begründet.

Überdies ist es ein vom Bundesgericht anerkannter Grundsatz, dass der Bundesrat, wenn er zur Erledigung einer Angelegenheit in der Hauptsache (Materie) kompetent ist, ebenfalls die Kompetenz hat, die mit der Hauptsache im Zusammenhange stehenden Nebenfragen zu erledigen, auch wenn die Erledigung dieser letztern an und für sich in die Kompetenz des Bundesgerichtes gefallen wären. (Vgl. das Urteil des Bundesgerichtes vom 30. März 1898 in Sachen Luzern gegen Bundesrat, Band 24, l, Seite 85 bezw. 95.)

Durch die vorstehenden, in Ziffer II, 2 enthaltenen, rechtlichen Erörterungen haben wir den Nachweis erbracht, dass wir bei Erlass des angefochtenen Beschlusses vom 3. Dezember 1906 in keiner Weise die uns durch die Bundesverfassung und die einschlägigen Bundesgesetze eingeräumten Kompetenzen überschritten haben. Der Rekurs ist daher auch materiell unbegründet.

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Wir b e a n t r a g e n Ihnen, wegen Inkompetenz auf den Rekurs des Gemeinderates Genf vom 18. Januar 1907 nicht einzutreten, oder eventuell denselben als unbegründet abzuweisen.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

B e r n , den 26. November 1907.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Maller.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Bingier.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über den Rekurs des Gemeinderates (Conseil administratif) der Stadt Genf gegen den Bundesratsbeschluss vom 3. Dezember 1906 betreffend Expropriation durch die S.B.B, in Petit-Saconnex. (Vom 26. Novembe...

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04.12.1907

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