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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung zum Begnadigungsgesuch des wegen fahrlässiger Gefährdung der Sicherheit des Eisenbahnverkehrs bestraften Theophil Kym, Abfertigungsbeamter der S. B. B. in Bülach.

(Vom 9. September 1907.)

Tit.

Am 22. Oktober 1906 erfolgte auf der Eisenbahnstation Bülach ein Zusammenstoss zwischen dem einfahrenden S. B. B.Zug Nr. 6168 und dem manöverierenden S. B. B.-Zug Nr. 503, wobei zwei Güterwagen vollständig zertrümmert, beide Lokomotiven, sowie mehrere Wagen und die Geleiseanlagen erheblich beschädigt wurden, ferner bedeutender Schaden an Transportgütern entstand und der Lokomotivführer Paul Welti eine erhebliche Muskelquetschung und Nierenverletzung erlitt.

Vom Statthalteramt Bülach wurden wegen dieses Vorfalles unter der Anklage der fahrlässigen Eisenbahngefährdung dem Strafrichter überwiesen : 1. Theophil Kym, welchem als Abfertigungsbeamten an Stelle des Stationsvorstandes die Leitung der Manöver im kritischen Momente oblag 5 2. Rangierleiter Eduard Bucher; 3. Weichenwärter-Stellvertreter Jakob Voser.

Das Bezirksgericht Bülach sprach den Eduard Bucher frei unter Schuldigerklärung der beiden ändern Angeklagten und Verurteilung des Theophil Kym zu 6 Tagen Gefängnis und Fr. 100 Geldbusse und des Jakob Voser zu 3 Tagen Gefängnis und

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Fr. 50 Geldbusse, wobei die Kosten mit Inbegriff einer Staatsgebühr von Fr. 30 zu 2/g dem Angeklagten Kym, zu i/s dem Angeklagten Voser auferlegt wurden.

Die Verurteilten appellierten an das zürcherische Obergericht und dieses sprach durch Erkenntnis vom 25. April 1907 auch den Jakob Voser frei, bestätigte dagegen die Schuldigerklärung des Theophil Kym, immerhin unter Ermässigung der Strafe desselben auf 3 Tage Gefängnis und Fr. 100 Geldbusse. Die Kostenbestimmungen der ersten Instanz wurden bestätigt und die obergerichtlichen Kosten mit einer Staatsgebühr von Fr. 20 dem Verurteilten Kym aufgelegt.

Die Appellationsinstanz begründet die Schuldigerklärung des Theophil Kym in folgender Weise: ,,Durch den Zusammenstoss der beiden Eisenbahnzüge wurde ein ganz bedeutender Materialschaden verursacht. Nach Satz l des 2. Absatzes des Bundesgesetzes m u ss daher Gefängnisstrafe ausgesprochen werden, sofern den Angeklagten ein Verschulden trifft. Gewiss wusste der Rangiermeister Bucher auch, dass in kurzer Zeit ein Zug von Glattfelden einfahren werde, andernfalls hätte er nicht gefragt: ,,Langt's na da ufe". Dagegen war ihm wohl nicht bekannt, dass 8--9 Minuten vor der fahrplanmässigen Einfahrtszeit bereits das Signal geöffnet worden war. Das wusste aber der Stationsgehülfe Kym und er wusste ferner, dass das erste nach seinem Befehl zu vollziehende Manöver darin zu bestehen habe, die 10--12 nach Schaffhausen bestimmten Obstwagen über die Weiche 7 in das Zürchergeleise überzuführen.

Ferner fahren gerade die Frühgüterzüge nie genau nach Fahrtenplan, und es steht den Lokomotivführern eine Lizenz von 5 Minuten Vorfahrzeit offen. Alle diese Umstände hätten den Stationsgehülfen veranlassen sollen, dem Rangiermeister Bucher zu verbieten, vorzufahren, bis der Zug von Glattfelden, der ja zur Zeit des Befehles bereits signalisiert war, eingelaufen wäre.

Umgekehrt haben auch Umstände mitgewirkt, die der Angeklagte nicht zu vertreten hat. Übelwetter, vorzeitiges Eintreffen des Glattfelderzuges und die kurze Zeit von 8 Minuten (7.is--7.»G), innert welcher verschiedene Manöver ausgeführt werden mussten, um den Zug nach Winterthur bereit zu stellen.a Gegenüber diesem Urteil stellt nun Kym das Gesuch, dass ihm auf dem Wege der Begnadigung die Gefängnisstrafe erlassen, eventuell in Geldbusse umgewandelt werden möchte. Er bestreitet zwar nicht, dass mit seinen Anordnungen eine gewisse Gefährdung des Bahnbetriebes verbunden war, behauptet aber, dies

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treffe ihn ,,nicht als grosser Vorwurf a . Es hätten noch eine ganze Reihe von ungünstigen Umständen mitgewirkt, ohne deren Vorhandensein der Zusammenstoss entweder ganz vermieden worden wäre, oder dann doch ganz erheblich hätte abgeschwächt werden können. Vor allem müsse gesagt werden, dass sich sein Verschulden nur als eine ganz leichte Fahrlässigkeit qualifiziere.

Die Tatsache der -- wenn auch kurzen -- Freiheitsstrafe wirke erniedrigend für den Petenten und treffe ihn im Verhältnisse zu seiner Schuld zu schwer. Für solche Fälle biete die Begnadigung den erwünschten Ausweg, um eine Härte des Gesetzes zu mildern.

Durch die am 2. Juni 1902 erfolgte Revision des Art. 67 des Bundesstrafrechts vom 4. Februar 1853 ist dem Richter die Möglichkeit gegeben worden, bei bloss fahrlässiger Gefährdung der Sicherheit des Eisenbahnverkehrs dann auf blosse Geldbusse zu erkennen, wenn ein leichterer Fall vorliegt. Dagegen soll Gefängnisstrafe verhängt werden, wenn eine erhebliche Gefährdung verursacht wurde und in erhöhtem Masse, wenn ein Mensch verletzt oder getötet oder wenn sonst ein erheblicher Schaden verursacht wurde. Durch die Fahrlässigkeit des Petenten Kym ist nicht nur die Sicherheit zweier beladener und mit Personen besetzter Eisenbahnzüge erheblich gefährdet, sondern auch bedeutender Materialschaden und Verletzung eines Menschen herbeigeführt worden. Der urteilende Richter hat daher mit vollem Grunde angenommen, er sei nach Vorschrift des an sich milden Gesetzes zur Verhängung von Gefängnisstrafe verpflichtet, und er hat bei Ausmessung derselben alle diejenigen Momente gebührend und hinreichend berücksichtigt, welche geeignet waren, das Verschulden des Angeklagten abzuschwächen.

Wir stellen daher bei Ihrer hohen Versammlung den A n t r a g:

Es sei das Begnadigungsgesuch des Theophil Kym abzuweisen.

B e r n , den 9. September 1907.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Vizepräsident:

Brenner.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

T3S-0-=i-

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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung zum Begnadigungsgesuch des wegen Nichtbezahlung von Militärpflichtersatz bestraften Georges Robert, garçon de café in Petit Lancy, Kantons Genf.

(Vom 13. September 1907.)

Tit.

Petent wurde am 2. Oktober 1906 von der Militärbehörde dem Strafrichter überwiesen, weil er ungeachtet erfolgter Mahnungen die Taxe pro 1906 im Betrage von Fr. 11. 40 und diejenigen früherer Jahre im Betrage von Fr. 61. 10 nicht entrichtet hatte. Auf den 20. Juni 1907 vor den Richter vorgeladen, blieb ßobert unentschuldigt aus, worauf er par défaut zu 4 Tagen Gefängnis und Tragung der Gerichtskosten von Fr. 1. 05 verurteilt wurde.

Zur Straferstehung zitiert, suchte der Verurteilte zuerst durch Eingabe an den kantonalen Staatsanwalt Ermässigung der Strafe auf 2 Tage Haft zu erwirken mit der Behauptung, dass in ähnlichen Fällen nur diese Ahndung erfolgt sei. -- Da ihm nicht entsprochen werden konnte, wendet er sich nunmehr mit einem Begnadigungsgesuche an die Bundesversammlung, indem er vorbringt: Bis zum Jahre 1900 sei er nur mit Fr. 8. 65 taxiert worden und habe er seine Steuerpflicht trotz geringen Einnahmen erfüllt. Dann aber habe die Militärbehörde die Taxe auf Fr. 12. 65 und später noch mehr erhöht, ohne auf seine Ein-

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung zum Begnadigungsgesuch des wegen fahrlässiger Gefährdung der Sicherheit des Eisenbahnverkehrs bestraften Theophil Kym, Abfertigungsbeamter der S.B.B. in Bülach. (Vom 9. September 1907.)

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18.09.1907

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