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Bundesratsbeschluss über

die Beschwerden der Absinthfabrikanten Daeppen und Kon-.

Sorten im Kanton Waadt, Muraour und Konsorten im Kanton Genf, und Kubier & Romang und Konsorten im Kanton Neuenburg gegen das Gesetz des Kantons Waadt vom 15. Mai 1906, betreffend das Verbot des Kleinverkaufs von Absinth.

(Vom 22. März 1907.)

Der schweizerische Bundes rat

hat über die Beschwerden der Absinthfabrikanten Daeppen undKonsorten im Kanton Waadt, Muraour und Konsorten im Kanton Genf, und Kubler & Romang und Konsorten im Kanton Neuenburg gegen das Gesetz des Kantons Waadt vom 15. Mai 1906, betreffend das Verbot des Kleinverkaufs von Absinth, auf den Bericht seines Justiz- und Polizeidepartements, f o l g e n d e n Beschluss gefasst: A.

In tatsächlicher Beziehung wird festgestellt:

I.

Am 15. Mai 1906 erliess der Grosse Rat des Kautons Waadt ein Gesetz folgenden Wortlautes :

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Art. 1. Der Detailverkauf des als ,,Absinth" bezeichneten Likörs sowie jeder Nachahmung, ohne Rücksicht auf ihre Bezeichnung, ist untersagt.

Art. 2. Übertretungen dieses Gesetzes unterliegen einer Busse bis zum Betrage von 300 Franken.

Ist der Zuwiderhandelnde Inhaber eines Patentes zur Ausübung des DetailVerkaufs von Getränken, so kann ihm das Patent entzogen werden.

Art. 3. Der Staatsrat trifft die Massnahmen, die er für Inkraftsetzung des gegenwärtigen Gesetzes für erforderlich hält, und entscheidet die Anstände, welche bei seiner Anwendung entstehen können.

Art. 4. Der Staatsrat wird mit der Publikation und Durchführung des vorliegenden Gesetzes beauftragt, welches am 1. Januar 1907 in Kraft tritt.

Dieses Gesetz wurde am 12. Juni 1906 im Amtsblatt des Kantons Waadt (Feuille des avis officiels du canton de Vaud) publiziert.

II.

Gegen dieses Gesetz ergriffen, gestützt auf Art. 189 und 190 des Gesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 22. März 1093, 4 Inhaber von Absinthfabriken im Kanton Waadt (Daeppen und Konsorten), mit Eingabe vom 13. Juli 1906, 15 Inhaber von Absinthfabriken im Kanton Genf (Muraour und Konsorten) mit Eingabe vom 13. Juli 1906, und 13 Vertreter von Absinthpflanzungen und Absinthfabriken im Kanton Neuenburg (Kubier
Die Rekurrenten stützen ihr Begehren im wesentlichen auf folgende Begründung : 1. Der Kanton Waadt ist gemäss Art. 3 der Bundesverfassung nicht befugt, durch ein Gesetz den Detailverkauf des Absinth

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in seinem Gebiete zu untersagen, denn nach Art. 32bii der Bundesverfassung steht dem Bunde allein die Befugnis zu, im Wege der Gesetzgebung Vorschriften zu erlassen über die Fabrikation und den Verkauf gebrannter Wasser, zu denen auch der Absinth gehört.

Aus dieser Verfassuugsbestimmung ist per argumentum a contrario zu schliessen, und es geht auch aus der Entstehungsgeschichte des Artikels hervor, dass der Bund derzeit selbst nicht befugt wäre, den Verkauf eines der gebrannten Wasser gänzlich zu verbieten. Der Handel mit gebrannten Wassern und damit auch mit Absinth ist vielmehr ausdrücklich gestattet in den Art. 16 und 17 des Bundesgesetzes vom 29. Juni 1900,, vorbehaltlich der dort aufgestellten Beschränkungen.

Das Gresetz des Kantons Waadt verbietet zwar nur den Detaüverka,uf von Absinth. Da aber der Vertrieb dieses Getränks naturgemäss nur im Detail vor sich geht, so wird durch das Gesetz de facto auch der Handel en gros und damit die Fabrikation des Likörs unmöglich gemacht, d. h. es werden im Gebiet von Handel und Gewerbe Schranken aufgestellt, die durch die Verfassung von 1874 aufgehoben worden sind.

Art. 32bis, Abs. 2, der Bundesverfassung überlässt den Kantonen nur für den Verkauf von nicht gebrannten Getränken die Befugnis, Beschränkungen zum Schütze vor gefälschten oder gesundheitsschädlichen Getränken aufzustellen.

Wenn die Bundesbehörden das waadtländische Gesetz schützten, würden sie den Kantonen das Recht einräumen, nach Gutdünken auch beliebige andere geistige Getränke, selbst den von der Eidgenossenschaft fabrizierten und erlaubten Alkohol, zu verbieten, ein Recht, das sich der Bund selbst nicht beilegen wollte. Die Zahl derer ist gross, welche den Genuss jedes alkoholischen Getränkes für verderblich halten, und es würden sich jederzeit Ärzte bereit finden, die von einem Kanton beabsichtigte Unterdrückung eines beliebigen Likörs vom medizinischen Standpunkt aus zu befürworten.

2. Die den Kantonen in Art. 31, lit. c, der Bundesverfassung vorbehaltene Gesetzgebung über das Wirtschaftswesen und den Kleinhandel mit geistigen Getränken darf nur die ,,Ausübung" dieser Gewerbe den durch das öffentliche Wohl geforderten Beschränkungen unterwerfen und diese Bestimmung darf nicht extensiv interpretiert werden.

Was der Bundesrat unter diesen Beschränkungen verstanden wissen will, geht deutlich hervor aus dem Kreisschreiben

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vom 1. Juni 1886 (Salis, Schweiz. Bundesrecht, II, Nr. 921.J I, Ziffer 1), aus dem Geschäftsbericht über das Jahr 1890 (Salis, II, Nr. 921, II, pag. 757) und auch aus dem Bericht des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements, genehmigt vom Bundesrate am 13. September 1889 (Salis, II, Nr. 922).

Es sind gemeint die Beschränkung der Zahl der Wirtschaften nach dem Bedürfnis und Beschränkungen polizeilicher Natur, welche sich beziehen auf die persönlichen Eigenschaften des Wirtes, die Polizeistunde, den Zustand der Wirtschaftslokale, die gute Ordnung etc.

Der einzige rechtmässige Weg, den Verkauf des Absinths zu beschränken oder zu unterdrücken, wäre daher die Revision der Bundesverfassung.

Um dem waadtländischen Gesetze den Schein der Verfassungsmässigkeit zu geben, wird angeführt, der Absinth sei nach dem Urteil der Ärzte für gesundheitsschädlicher zu halten als die übrigen Spirituosen. Dies berechtige den Kanton, von sich axis den Absinthkonsum einzuschränken und den Detailverkauf des Getränkes zu verbieten.

Eine solche Befugnis, wie sie aus Art. 31, li.t. e, der Bundesverfassung abgeleitet werden könnte, steht aber heute den Kantonen nicht mehr zu. Es muss vielmehr aus der Aufnahme des Art. 69bis in die Bundesverfassung und aus dem auf Grund dieser Bestimmung erlassenen schweizerischen Lebensmittelgesetz vom 8. Dezember 1905 geschlossen werden^ dass die den Kantonen in Art. 31, lit e, der Bundesverfassung vorbehaltenen gesundheitspolizeilichen Kompetenzen nunmehr gänzlich auf den Bund übergegangen sind.

3. Was die behauptete Gesundheitsschädlichkeit des Absinths betrifft, so verweisen die Rekurrenten darauf, dass. die Anfänge der Absinthfabrikation im Val-de-Travers bis ins 18. Jahrhundert zurückgehen und dass unter der dortigen Bevölkerung die dem Absinth zugeschriebenen schädlichen Folgen nicht bekannt sind.

Aus besonderen, vom eidgenössischen statistischen Bureau aufgestellten Tabellen geht hervor, dass nur zu einem sehr geringen Teil der Absinth die Ursache von Verbrechen und Säuferwahnsinn ist. Die Statistik ergibt ferner, dass der Kanton Neuenburg, die Wiege der Absinthfabrikation, bezüglich Bildimgsgrad, Tüchtigkeit und Lebensweise der Bevölkerung stets einen ehrenvollen Rang in der Schweiz eingenommen hat.

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Die Entstehung der absinthfeindlichen Bewegung lässt sieh nur aus den bedauerlichen Erscheinungen erklären, die den übermässigen Absinthgenuss oder den Genuas minderwertiger Fabrikate begleiten. Die Absinthrinker an welchen Dr. Legrain, Irrenarzt in der Anstalt Ville-Evrard bei Paris, seine publizierten Beobachtungen gemacht hat, hatten schlechte Absinthfabrikate konsumiert.

Zahlreiche Vertreter der Wissenschaft des In- und Auslandes erklären auf Grund eingehender Untersuchungen, dass der Absinth in guter Qualität nicht schädlicher sei als die übrigen geistigen Getränke. Vergleiche über die Quantität des Alkohols, welche beim Genuss verschiedener gebrannter Wasser dem Körper zugeführt werden, haben ergeben, dass beim Absinth die Menge Alkohol am geringsten ist, da dieses Getränk beim Gebrauche stets mit Wasser verdünnt wird. In einer gewöhnlichen Ration Absinth befindet sich nicht mehr als 0,08 gr.

Essenz.

Die neuesten Untersuchungen haben ferner dagetau dass der Hauptbestandteil des Absinths, das Anelhol, nicht cpilepsieerregend wirkt und überhaupt im Körper keine sekundären schädlichen Wirkungen hervorbringt.

Auch der Hinweis auf die grosse Verbreitung des Absinthkonsums und die grossen Quantitäten, in denen das Getränk genossen wird, rechtfertigen es noch nicht, dasselbe für schädlicher zu erklären als die übrigen Liköre.

Wenn somit eine besondere Schädlichkeit des Absinths nicht nachgewiesen werden kann, so liegt in dem angefochtenen Verbot eine ungleiche Behandlung der Absinthfabrikanten gegenüber den Fabrikanten der ändern gebrannten Wasser.

4. Aber auch wenn dargetan werden könnte, dass der Absinth in höherem Masse gesundheitsschädlich ist als die ändern Spirituosen, so erhielte damit der Kanton Waadt noch nicht das Recht, das Gesetz vom 15. Mai 1906 zu erlassen.

Aus verschiedenen bei der Beratung des mehrerwähnten Gesetzes abgegebenen Voten ist ersichtlich, dass man von der zu ergreifenden Massregel gegen den Absinthkonsum nicht; nur eine Förderung des allgemeinen Wohles, sondern auch eine Förderung des waadtländischen Weinbaues erwartete.

Übrigens erreicht der Gesetzgeber mit dem Verbot des Detailverkaufs seinen Zweck nicht. Die Konsumenten können sich auch fernerhin den Absinth in kleineren Quantitäten vor-

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schaffen, indem sie gemeinschaftlich das Getränk en gros einkaufen; Es wird auch schwer fallen, die Nachahmungen des Absinths, welche ebenfalls dem Verbot unterworfen werden sollen, festzustellen, da die Essenzen verschiedener Pflanzen, wie Anis, Fenchel, Ysop, Melisse, Stern-Anis (,,badiane") etc. charakteristische Bestandteile des Absinths bilden, sich aber einzeln auch in anderen Getränken, wie Wermut, vorfinden.

5. Die durch Art. 4 der Bundesverfassung garantierte Gleichheit aller Schweizer vor dem Gesetz, welche selbst ein Element der in Art. 31 der Bundesverfassung aufgestellten Handels- und Gewerbefreiheit bildet, wird durch das waadtländische Gesetz in Sonderheit auch dadurch verletzt, dass den Rekurrenten die ihnen durch das Absinthverbot entstehende finanzielle Einbusse in keiner Weise ersetzt wird. Auf dem Weg einer Revision der Bundesverfassung könnte der Verkauf oder die Fabrikation des Absinths und anderer Liköre wohl unterdrückt werden ; der Bund müsste aber dann den dadurch geschädigten Industrien ihre Einbusse in gleicher Weise ersetzen, wie dies bei der Einführung des Alkoholmonopols geschehen ist.

Die im Kanton Waadt bestellenden Fabriken können zwar nach wie vor das Getränk herstellen, dagegen ist es ihnen unmöglich gemacht, dasselbe in ihrem Kanton zu verkaufen. Sie sind infolgedessen gezwungen, ihr Produkt in ändern Kantonen abzusetzen. Dadurch sind sie besonders in eine schlechtere Lage versetzt als die Absinthfabriken anderer Gebiete der Schweiz. Auch mit Rücksicht auf diesen Umstand muss verlangt werden, dass, wenn Massuahmen im Sinne des waadtländischen Gesetzes getroffen werden sollen, ihnen für das ganze Gebiet der Eidgenossenschaft Geltung verschafft werde, mit ändern Worten, dass sie vom Bunde erlassen werden.

7. Zur Unterstützung ihrer Ausführungen über die Verfassungswidrigkeit des Waadtländer Gesetzes vom 15. Mai 1906 berufen sich die Rekurrenten auf ein Gutachten von Prof. Dr.

Eugène Borei, Advokat in Genf, vom 30. Juni 1906, ausgearbeitet im Auftrage der ,,Union des Intéressés à la question de l'absinthe au Val-de-Travers" in Fleurier.

m.

Da im Kanton Waadt die Volksinitiative zur Wiederaufhebung des angefochtenen Gesetzes vom 15. Mai 1906 in Aussicht

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stand, so wurden die Rekursschriften der waadtländischen Regierung zur Kenntnis gebracht mit der Weisung, zunächst den Ausgang der Bewegung abzuwarten und, falls das Referendum nicht zu stände komme oder das Gesetz durch eine Volksabstimmung gutgeheissen werde, alsdann ihre Vernehmlassung zu den Rekurseingahen mitzuteilen.

In der Volksabstimmung vom 23. September 1906 bestätigte das waadtländische Volk das Absinthverhot mit 23,062 Ja gegen 16,025 Nein.

IV.

In der hierauf am 30. Oktober 1906 eingereichten Rekursbeantwortung beantragt die Regierung des Kantons Waadt, die Rekurse seien als unbegründet abzuweisen.

Der Rekursbcantwortung ist folgendes zu entnehmen : 1. Die Handels- und Gewerbefreiheit, wie sie in Art. 31 der Bundesverfassung gewährleistet ist, wird zu Unrecht als ein absolutes Individualrecht hingestellt. Abgesehen von den in diesem Artikel enthaltenen Beschränkungen, ist die Handels- und Gewerbefreiheit allgemein begrenzt, ja abhängig von dem höher stehenden Interesse der Gesamtheit, u. a. vom Interesse an der öffentlichen Sicherheit und an der öffentlichen Gesundheit.

Diese Bedeutung des Art. 31 der Bundesverfassung geht deutlich aus seiner Entstehungsgeschichte und aus der Rechtssprechung der Bundesbehörden hervor.

2. Die polizeilichen Verfügungen, womit die Kantone berechtigt sind, die Handels- und Gewerbei'reiheit einzuschränken, können bis zum Verbot einer Gewerbeart gehen, wenn es ihr Zweck erfordert (vgl. W. Burckhardt, Kommentar der Schweiz.

Bundesverfassung, pag. 284). Hierfür können zahlreiche Entscheidungen des Bundesrates angeführt werden. Prof. Borei räumt in seinem Gutachten den Kantonen das Recht ein, ausschliesslich den Absinth zu verbieten, ,,wenn wirklich -- im Vergleich zum reinen Alkohol oder zu ändern Getränken, wie z. B. Wermut, bei deren Fabrikation analoge Stoffe verwendet werden -- dem Absinth eine besondere individuelle Schädlichkeit zu eigen wäre, die an sich unbestreitbar, ausgesprochen und bedeutend genug wäre, besondere Massnahmen gegen dieses Getränk zu rechtfertigen" (pag. 25).

Damit aber ein Kanton auf Grund von Art. 31, e, der Bundesverfassung zur Unterdrückung eines Genussmittels be-

393 recbtigt sei. braucht nicht festzustehen, dass es notwendigerweise und unter allen Umständen schädlich ist. Es genügt schon die M ö g l i c h k e i t , dass es schädlich wirke (vgl.

Salis, II, Nr. 798). Dem Kanton Waadt dürfte daher die Berechtigung zu seinem Vorgehen zuerkannt werden angesichts der grossen Zahl hervorragender Gelehrter des In- und Auslandes, welche den Absinth als gesundheitsschädlich bezeichnen.

Wenn Art. 32bis der Bundesverfassung und das Bundesgesetz über die gebrannten Wasser vom 29. Juni 1900 die Fabrikation von Spirituosen und den Handel damit gestatten, so ist damit nur gemeint, dass diese Getränke nicht dem Alkoholmonopol unterstellt sein sollen. Sie sind aber keineswegs der in Art. 31 der Bundesverfassung den Kantonen eingeräumten Verfügungsgewalt entzogen.

Gegenüber dem Einwand, die Kompetenz des Kantons Waadt zum Erlass des Absinthverbotes sei durch Art. 6ybi8 der Bundesverfassung und durch das auf Grund derselben erlassene Lebensmittelgesetz vom 8. Dezember 1905 auf den Bund übertragen worden, ist darauf hinzuweisen, dass das letztere Gesetz noch nicht in Kraft getreten und der Zeitpunkt seines Inkrafttretens noch nicht festgesetzt ist, und dass das Gesetzgebungsrecht der Kantone auf diesem Gebiete gemäss Art. 3 der Bundesverfassung so lange weiter besteht, als nicht der Bund 'von seinem Gesetzgebungsrecht Gebrauch gemacht hat.

3. Sollte es nicht möglich sein, die Befugnis des Kautons Waadt zum Erlass des Absinth Verbotes aus Art. 3 und 31 e der Bundesverfassung abzuleiten, so ist sie doch durch die lit. c des Art. 31 der Bundesverfassung begründet. Die Diskussion der eidgenössischen Räte über diese Bestimmung wie auch ihr Verhältnis zu lit. e beweist, dass sie nicht lediglich die ,,Bedürfnisklausel"' wieder einführen wollte.

Aus dem Text der lit. c des Art. 31 der Bundesverfassung geht deutlich hervor : a) dass die Kantone bei den Beschränkungen, zu welchen sie kraft dieser Bestimmung befugt sind, nicht an den Grundsat/, der Handels- und Gewerbefreiheit gebunden sind ; b) dass diese Beschränkungen nicht nur auf die Ausübung des Wirtschaftsgewerbes, sondern auch allgemein auf den Kleinhandel mit geistigen Getränken anwendbar sind;

394 e) dass die Verfassung für diese Beschränkungen nur zwei Bedingungen aufstellt: sie müssen, formell, im Wege der Gesetzgebung aufgestellt werden und materiell durch dasöffentliche Wohl gefordert sein.

Das Kreisschreiben des Bundesrates vom 1. Juni 1886, der Geschäftsbericht über das Jahr 1890 und der Bericht deseidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements vom Jahre 1889, welche die Rekurrenten zum Beweise ihrer Ausführungen anführen, stehen nicht im Widerspruch mit vorstehender Auslegung des Art. 31 c.

Dass bis jetzt noch kein Kanton von dieser Bestimmung zur Unterdrückung des Absinthverkaufes Gebrauch gemacht hat, erklärt sich daraus, dass die Schädlichkeit des Absinths erst in den. letzten Jahren in vollem Masse erkannt worden ist.

4. Die Rekurrenten behaupten, durch das Absinthverbot werde die Rechtsgleichheit verletzt, weil nur der Absinth und nicht auch die ändern Liköre, wie Wermut etc., welche in einem gewissen Sinne auch als schädlich bezeichnet werden könnten, verboten werden. Diese Behauptung stützt sich auf eine unrichtige Auslegung des Art. 4 der Bundesverfassung.

Der Absinth kann nicht auf gleiche Btufe gestellt werden mit den ändern Likören ; ihm kommt eben eine besondere Schädlichkeit zu. Die vom Verbot betroffenen Bürger unterliegen sämtlich der gleichen Behandlung durch das Gesetz.

5. Die Kantojic haben sich beim Erlass der in Art. 31, lit. c, der Bundesverfassung vorgesehenen Vorschriften über die Ausübung des Wirtschaftsgewerbes und des Kleinhandels mit geistigen Getränken nicht an den Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit zu halten, wie es für die in lit. e dieses Artikels vorgesehenen Verfügungen bestimmt ist.

Die Praxis der Bundesbehörden (auch des Bundesgerichts) hat es stets den Kantonen überlassen, zu entscheiden, was (las öffentliche Wohl in jedem Falle fordere, sofern nur die kantonalen Verfügungen nicht willkürlich oder in Ansehen der Person getroffen waren.

6. Der Darstellung der Entstehungsgeschichte des waadtländischen Gesetzes vom 15. Mai 1906 in der Rekursbeantwortung ist noch folgendes zu entnehmen : Durch eine 82,304 Unterschriften tragende Petition ist deiGrosse Rat des Kantons Waadt ersucht worden, angesichts des überhandnehmenden Absinthkonsums und der immer deutlicher

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zutage tretenden schädlichen Wirkungen dieses Getränks, den.

Detailverkauf desselben im Gebiete des ganzen Kantons zu untersagen.

Die Petition wurde einer Kommission unterbreitet, und diese bestellte eine Subkommission von Medizinern, die die Wirkungen des Getränkes auf den menschlichen Organismus untersuchte. Die Untersuchung ergab, dass das Absinth giftige, betäubende und krampferregende (convulsivantes) Essenzen, enthalte, und dass es deshalb, wie auch wegen seines höhern Alkoholgehaltes, schädlicher sei als andere Liköre. Auf Grund dieses Ergebnisses kam die Kommission zur Ansicht, es seien besondere Massregeln gegen das Getränk aus sanitarischen Rücksichten und im Interesse des öffentlichen Wohles gerechtfertigt.

Es wurden noch verschiedene Autoritäten der Wissenschaft des Kantons Waadt, der Schweiz und des Auslandes um ihr Urteil über die vorliegende Frage ersucht. Sie bestätigten sämtlich das Ergebnis der von der Subkommission vorgenommenen Untersuchung.

Für das Verbot sprach aber nicht nur die theoretisch festgestellte Schädlichkeit, sondern auch die Art und das Überhandnehmen des Absinthkonsums. Der Absinth wird häufig und gewohnheitsmässig genossen. Wie rasch sich sein Konsum steigert, zeigt sich in Frankreich, wo er von 6700 hl. im Jahre 1873 auf 295,000 M. im Jahre 1.903 gestiegen ist. Der Absinthkonsum im Kanton Waadt im Verhältnis zur Bevölkerung übersteigt sogar denjenigen in Frankreich im Jahre 1903.

Erhebungen im Kanton Waadt lassen darauf schliessen, dass der jährliche Absinthkonsum ungefähr 259,000 Liter beträgt.

Über die rechtliche Basis, auf welche der Kanton Waadt seine besonderen Massnahmen gegen den Absinthkonsum stellen konnte, wurden Gutachten der Herren Prof. L. V; Salis in Zürich und Bundesrichter Alex. Reiche! in Lausanne eingeholt.

Die sämtlichen Gutachten und Urteile medizinischer und juristischer Autoritäten, sowie die Fachliteratur über die Ab: sinthfrage sind der Rekursbeantwortung beigelegt worden.

Der Regierungsrat des Kantons Waadt tritt der Behauptung entgegen, dass es sich bei Einführung des Absinthverbotes im Kanton Waadt vornehmlich um eine Förderung der Interessen des waadtländischen Weinbaues gehandelt habe. Aus der Volksabstimmung vom 23. September 1906 ergibt sich, dass Distrikte

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ohne Weinbau die meisten Stimmen für das angefochtene Gesetz geliefert haben.

Durch den Erlass des Gesetzes vom 15. Mai 1906 ist der Kanton Waadt lediglich der Aufforderung des Bundesrates nachgekommen, welcher in seinem Kreisschreiben vom 18. Juni 1884 (Bundesbl. 1884, III, pag. 316) den Kantonen anempfahl, sein Vorgehen im Kampf gegen den Alkoholismus dadurch zu unterstützen, dass auch sie, nach ihren besondern Verhältnissen und in ihrer Weise, die ergänzenden Massnahmen treffen.

V.

Die Rekurrenten haben den staatsrechtlichen Rekurs auch beim Bundesgericht eingereicht ; dieses aber hat sich für die Entscheidung desselben in zwei Urteilen vom 28. September 1906 als inkompetent erklärt, da die vorgebrachten Beschwerdepunkte im Grunde auf die Behauptung zurückzuführen seien, dass das waadtländische Gesetz vom 15. Mai 1906 die von der Bundesverfassung gewährleistete Handels- und Geworbefreiheit verletze, solche Rechtsverletzungen aber gemäss Art. 189, Ziff. 3, des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 22. März 1893, vom Bundesrate zu beurteilen seien; auch hinsichtlich der von einigen Rekurrenten, die französischer Nationalität sind, behaupteten Verletzung des schwcizerischfranzösischen Niederlassungsvertrages sei der Bundesrat kompetent, da, die Rekurrenten kraft des Staatsvertrages wiederum bloss die Freilieil; des Gewerbes beanspruchten, und Anstände der Fremden hinsichtlich ihres Handels in der Schweiz gemäss Art. 189, letztem Absatz, des Organisationsgesetzes vom Bundosrat entschieden werden.

VI.

Da die Rekursbeantwortung durch die Regierung des Kantons Waadt erst am 31. Oktober 1906 eingereicht worden war und sich die Notwendigkeit ergab, über die medizinische Seite der Streitfrage noch ein Expertengutachten einzuholen, so konnte der Entscheid des Bundesrates über die eingereichten Rekurse nicht schon auf 1. Januar 1907, den für das Inkrafttreten des Absinthverbotes im Kanton Waadt bestimmten Zeitpunkt, erwartet werden.

Der Bundesrat lud daher durch Beschluss vom 15. Dezember 1906, gestützt auf Art. 191 des Gesetzes über die Or-

397 ganisation der Bundesrechtepüege vom 22. März 1893, den Kanton Waadt ein, das Inkrafttreten des Gesetzes vom 15. Mai 1906 zu suspendieren, bis der Bundesrat in der Sache seinen Entscheid gefällt haben werde.

VII.

Das schweizerische Justiz- und Polizeidepartement bezeichnete als Experten die Herren Dr. J. Gaule, Professor der Physiologie in Zürich, Dr. G. Jaquet, Professor der Pharmakologie in Basel, Dr. R. Weber, Professor für Psychiatrie in Genf, und legte ihnen folgende Fragen zur Beantwortung vor : 1. Übt der Absinth auf den menschlichen Organismus eine schädlichere Wirkung aus als andere Liköre in gleicher Menge und in gleicher Alkoholstärke ? Wenn ja, worin besteht sie, und worin äussert sie sich ?

2. Zeigt die Erfahrung in der Schweiz, dass beim Absinth die Gefahr, dass er im Übermass genossen wird, grösser ist als bei anderen ähnlichen Getränken ?

3. Ist das Verkaufsverbot des waadtländischen Gesetzes notwendig zur Bekämpfung des Missbrauches, oder genügen andere, weniger strenge Massnahmen ?

Ist es dazu geeignet und ausreichend, oder sind strengere Massnahmen notwendig ?

Aus dem Gutachten der Experten ergibt sich im wesentlichen folgendes : 1. Beim Genuss der Spirituosen, welche aus der Destillation von Früchten, wie Kirschen, Zwetschgen, Pflaumen etc.

gewonnen werden, tritt die Wirkung der Beimischungen (Fruchtäther, Aldehyde etc.), welche meist 0,2 gr. per Liter nicht übersteigen, ganz in den Hintergrund, während wir mit jeder Dosis Absinth ein Quantum Ätheröle von mehreren Centigrammen absorbieren.

Um die Wirkung der im Absinth enthaltenen Öle festzustellen, wurden dieselben verschiedenen Tieren entweder in den Magen oder direkt in die Blutbahn eingeführt. Es hat sich dabei herausgestellt, dass diese Öle nicht alle gleich wirken.

Das Vergiftungsbild ist für die einen durch den Ausbruch heftiger Krämpfe charakterisiert, während die ändern hauptsächlich betäubend auf den Organismus einwirken und Krämpfe gar nicht oder nur unter gewissen Bedingungen hervorBundesblatt. 59. Jahrg. Bd. II.

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rufen. Zu den krampferzeugenden Essenzen gehören Absinthöl, Ysopöl, Rosmarinöl. Die Ätheröle des Fenchels, des Anis, der Engelwurzel und des Sternanis wirken vorzugsweise betäubend.

Beim Alkohol haben wir eine rein schlaferzeugende, lähmende Wirkung und bei genügenden Dosen gehen die Tiere an Herz- und Atmungslähmung zu Grunde, ohne jede Spur von Krämpfen.

Die Dosen des Absinthöls, welche den Tieren bei den Versuchen beigebracht werden müssen, stehen zwar in keinem Verhältnis zu dem Quantum, das mit einem Glase Absinth absorbiert wird, doch ist darauf hinzuweisen, dass bei den Tieren nur ein geringer Teil des injizierten Öls absorbiert wird. Im Absinthlikör sind die Ätheröle aber in Alkohol aufgelöst und dadurch die Resorptionsbedingungen bedeutend günstiger.

Die akute Absinthvergiftung nimmt bei den Versuchen mit Tieren meist einen rasch töüichen Verlauf. Anders die chronische Vergiftung bei Menschen, welche durch regelmässige Absorption grüsserer Absinthmengen nach und nach zu stände kommt. Eine Einzeldosis kann so klein sein, dass sie an und für sich keine wahrnehmbare Vergiftung erzeugt; lange wiederholt, kann aber diese Dosis zur chronischen Vergiftung führen. Die drohenden Erscheinungen brechen erst hervor, wenn die Toleranzgrenze erreicht und der Organismus mit dem Gift gesättigt ist. Nach den allerdings spärlich vorhandenen experimentellen Daten scheint die Empfindlichkeit des Organismus im Laufe einer chronischen Vergiftung zuzunehmen, so dass eine Dosis, die ursprünglich wirkungslos war, nach einigen Monaten ausgesprochene Vergiftungserscheinungen hervorruft.

Ob der Likör verdünnt oder unverdünnt genossen werde, hat auf dessen allgemeine Wirkung keinen wesentlichen Einfluss, dagegen ermöglicht der Wasserzusatz den Konsum grösserer Quantitäten, worin gerade eine Gefahr liegt.

Die am besten studierte Wirkung der im Absinth enthaltenen Öle ist die Epilepsie. Durch Versuche mit Tieren ist festgestellt worden, dass die durch Absinth erzeugten epileptischen Krämpfe von der Grosshirnrinde ausgehen. Viele Fälle von Epilepsie lassen sich auf eine abnorme Reizung der Grosshirnrinde zurückführen, und es ist gelungen, durch Wegnahme des Reizes Heilung zu bewirken.

Durch den Absinth kann die Grosshirnrinde auf chemischem Wege in einen abnormen Zustand der Reizbarkeit ver-

399 setzt werden, in dem schon Reize, die auf eine normale Hirnrinde gar keinen Einfluss haben, Krämpfe auslösen. Mit einer solchen Annahme stimmt der Zustand des Absinthtrinkers, wie ihn Erfahrung und Literatur darstellen, überein. Solche Absinthtrinker sind nicht ohne weiteres epileptisch, denn sie sind ja nicht mit grossen Dosen Absinth vergiftet, wie man sie Tieren gibt, um diesen Zustand zu erzeugen. Sie sind chronisch vergiftet, d. h. sie haben Dosen, die sie allmählich steigerfen, aufeinander gehäuft und hierdurch ihre Organe, vor allem ihre Grosshirnrinde verändert. Die psychiatrischen Sachverständigen stimmen nun darin überein, dass diese chronischen Absinthtrinker gewalttätig sind. Auf irgend einen Reiz, der sie trifft, antworten sie mit Kraftentwicklungen, die weit über die Abwehr des Reizes hinausgehen. Die Menschen sind ja verschieden ; die einen sind sanft, die ändern heftig. Die Übereinstimmung aber, welche die Absinthtrinker zeigen, deutet darauf hin, dass ihre Grosshirnrinde in einem abnormen Zustand der Erregung oder Reizbarkeit sich befindet. Dies aber ist nichts anderes, als was wir auch bei Tieren nach Vergiftung mit Absinth sehen. Zwischen den epileptischen Krampten und der ausser Verhältnis zu dem Reiz stehenden Kraftentwicklung ist nur ein gradweiser, auf der Grosse der wirkenden Dosis beruhender Unterschied. Das wesentlich Gemeinsame ist die abnorme Reizbarkeit des Grosshirns. Es muss daher der Zustand, in dem sich die Absinthtrinker befinden, auf die Wirkung der Extraktivstoffe des Absinths bezogen werden, und er stellt eine eigenartige Vergiftung dar. Diese Vergiftung ist verschieden von der des Alkoholismus und ebenso verschieden von der, welche die Pflanzenextraktivstoffe, die sich in ändern Getränken vorfinden, verursachen.

Kurz zusammengefasst kann gesagt werden, dass das Wenige, was über die experimentelle Wirkung der im Absinth enthaltenen Essenzen zurzeit bekannt ist, genügt, um die Behauptung zu rechtfertigen, dass die ätherischen öle des Absinthes Gifte sind, mit ganz bedeutenden toxischen Eigenschaften, und dass ihr regelmässiger Genuss eine grössere Gefahr für die Gesundheit mit sich bringt, als der Genuss entsprechender Mengen Alkohols.

Der Absinth verleiht dem Alkoholismus ein spezifisches Gepräge durch die dabei zutage tretenden Angstgefühle, besonders heftige Reaktionen, Epilepsie und organische Störungen.

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Der Wahnsinn des Absinthtrinkers unterscheidet sich vom gewöhnlichen Delirium tremens durch die erhöhte Erregung in der sich der Kranke befindet, sowie durch die grosse Gefährlichkeit des Zustandes für die Umgebung und für den Kranken selbst.

2. Die Erfahrung in der Schweiz zeigt, dass der Absinth der vom Publikum bevorzugte Likör ist. Gerade dies beweist seinen gefährlichen Charakter vom hygienischen Standpunkt ,,aus.

Ein Likör, welcher den Geschmack nicht reizt, kann das öffentliche Wohl nicht gefährden. Der Likör dagegen, der dank seiner besonderen Eigenschaften schliesslich unentbehrlich wird, steht im ersten Rang unter den schädlichen und gefährlichen Getränken. Was den Absinth besonders gefährlich macht, ist die Art, wie er genossen wird. Man trinkt ihn immer nüchtern und der Konsument kann ihm so viel oder so wenig Wasser hinzufügen als er will ; bis zu einem gewissen Grade kann er sogar die Menge des Likörs bestimmen. Mit der Angewöhnung betrachtet schliesslich der Absinthtrinker das Wasser als etwas Nebensächliches, mehr oder weniger Nutzloses, während er das Quantum Absinth längst vergrössert hat. Keinen ändern Likör könnte man in solchen Mengen gemessen, wie den Absinth, ohne angeekelt zu werden.

Es kann auf Grund klinischer Beobachtung a. Der Absinthgenuss verursacht psychische Störungen von besonders schwerem Charakter.

ist kein Likör bekannt, dessen Genuss in der Verheerungen anrichtet, wie der Absinth.

b. Der Absinth verleitet, Trinker zum Missbrauch.

gesagt werden: und körperliche Den Experten Schweiz solche

wie kein anderer Likör, den

3. Aus Vorstehendem ergibt sich, dass durch den gewohnheitsmässigen Genuss von Absinth, Menschen in einen Zustand der Vergiftung versetzt werden, in welchem sie für ihre Mitmenschen gefährlich sein können. Daraus entsteht für die menschliche Gesellschaft die Pflicht, dieser Vergiftung entgegenzuwirken. Da aber die Individuen, welche sich mit Absinth bereits vergiftet haben, die Neigung erwerben, die Vergiftung zu wiederholen und zu steigern und diese Neigung selbst als eine Folge der bereits wirkenden Vergiftung angesehen werden muss, so könnte erstere mit einer einfachen, an den Verstand sich wendenden Aufklärung nicht erfolgreich bekämpft werden.

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Der Neigung des Trinkers zum Missbrauch kann nur dadurch entgegengewirkt werden, dass die Möglichkeit einer solchen Vergiftung aufgehoben oder beschränkt wird. ,,Das Verkaufsverbot der waadtländischen Regierung erscheint als ein solches Mittel und deshalb ist es eine notwendige Massregel.

Die anderen Massregeln, wie hohe Besteuerung, Monopol und dergleichen, welche in verschiedenen Ländern angewendet worden sind, haben dort keinen durchgreifenden Erfolg gehabt."

Sofern das Verbot mit genügender Strenge gehandhabt wird, kann es als eine hinreichende und zweckentsprechende Massnahme angesehen werden.

Die Experten formulieren ihren prinzipiellen Standpunkt folgendermassen : ,,Die Destillationsprodukte von Alkoholaturen aromatischer Droguen waren ursprünglich Arzneimittel und sind nach und nach ihrer ursprünglichen Bestimmung entfremdet und allgemeine Genussmittel geworden. Es wäre zu wünschen, dass die Gesetzgebung zwischen diesen Produkten und denjenigen der Destillation gährungsfähiger Früchte einen scharfen Unterschied machen würde und die erstgenannten Produkte in die Kategorie der pharmazeutischen Präparate verwiese, deren Verkauf einzig und allein den öffentlichen Apotheken zusteht."

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht.

Die Rekurrenten begründen ihr Begehren um Aufhebung des waadtländischen Gesetzes vom 15. Mai 1906 damit, dass der Kanton Waadt nicht kompetent gewesen sei, den Kleinhandel mit Absinth zu verbieten, dass das Verbot den Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit verletze und dass es der Rechtsgleichheit widerspreche.

Der Bundesrat ist zur Entscheidung dieses Rekurses nach Art. 189, Abs. l, des Organisationsgesetzes vom 22. März 1893 kompetent.

I.

Die Kompetenz des Kantons Waadt, das angefochtene Gesetz zu erlassen, wird bestritten, einerseits auf Grund des Art. 32bie der Bundesverfassung und des Bundesgesetzes über gebrannte

402 Wasser vom 29. Juni 1900, anderseits auf Grund des Art. 69bi8 der Bundesverfassung und des Ausführungsgesetzes vom 8. Dezember 1905 betreffend den Verkehr mit Lebensmitteln und Gebrauchsgegenständen.

Art. 32bis der Bundesverfassung hat dem Bund die neue gesetzgeberische Kompetenz gegeben, Vorschriften über die Fabrikation und den Verkauf gebrannter Wasser zu erlassen. Der Bund hat davon Gebrauch gemacht, indem er das, am 29. Juni 1900 revidierte, Bundesgesetz betreffend gebrannte Wasser vom 23. Dezember 1886, erliess. Nachdem dieses Gesetz in Kraft getreten ist, kommt es allein bei. der Beanlwortung der Frage in Betracht, wie weit die Kantone über den Verkauf und die Fabrikation von gebranntem Wasser zu legiferieren kompetent seien ; denn wenn auch Art. 32bis dem Bund eine über den Rahmen des Alkoholgesetzes hinausgehende Gesetzgebungsbefugnis verliehen hätte, so blieben doch die Kantone nach unbestrittenem Rechtsgrundsatz zur Gesetzgebung auf dem Gebiete kompetent, das der Bund nicht geregelt hat.

Das Bundesgesetz über gebrannte Wasser begründet und normiert das eidgenössische Alkoholmonopol ; es bestimmt demgemäss, inwieweit die Fabrikation und der Handel mit gebrannten Wassern dem Bunde vorbehalten und wie weit sie den Privaten überlassen sind. Der Handel und die Verarbeitung des von der eidgenössischen Alkoholverwaltung verkauften Sprits zu Likören ist Frivatgewerbe. Nach Art. 17 ist der Grosshandel freies Gewerbe, der Kleinhandel dagegen der Bewilligung der kantonalen Behörden und der Entrichtung einer der Grosse und dem Wert des Umsatzes entsprechenden kantonalen Verkaufsteuer unterworfen.

Das Gesetz nimmt also den Kleinhandel vom Staatsmouopol aus, verpflichtet aber zugleich die Kantone, ihm gewisse Beschränkungen aufzuerlegen, die ihn eindämmen sollen.

Das Gesetz stellt keine sanitätspolizeilichen Vorschriften über den Privathandel auf; aber nicht deshalb, weil es derartige Einschränkungen des Handels überhaupt verbieten wollte, sondern weil es keine Veranlassung hatte, diese mit der Monopolisierung nicht in Zusammenhang stehende Seite des Privathandels zu berühren und weil es den Kantonen auf diesen, wie auf den ändern Gebieten des Verkehrs mit Lebensmitteln die Sorge für die öffentliche Gesundheit überlassen wollte. Es kann dahingestellt bleiben, ob es den Kantonen gestattet wäre, den Kleinverkauf der von der eidg. Alkoholverwaltung gelieferten gebrannten Wasser überhaupt

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als gesundheitsschädlich zu verbieten. Sicher ist, dass ihnen nicht verwehrt ist, sani tari sch e Vorschriften zu erlassen über den Verkauf von Likören, d. h. von Getränken, die aus Sprit der Alkoholverwaltung und aus anderen Substanzen fabriziert werden.

Denn der eidgenössische Gesetzgeber, der selber keine Vorschriften zum Schutz der öffentlichen Gesundheit vor schädlichen Getränken aufgestellt hat, konnte nicht die Absicht haben, die Kantone zu zwingen, dem Verkauf auch der schädlichsten Liköre untätig zuzusehen. Das liegt weder in der Tendenz des Gesetzes, noch ist es eine logische Folge seiner Vorschriften.

Was den Art. 69bis der Bundesverfassung betrifft, so hat er, so wenig wie Art. 32bis, den Kantonen die Gesetzgebung auf dem Gebiete des Lebensmittelverkehrs entzogen ; er hat bloss dem Bunde die Kompetenz gegeben, dieses Gebiet eidgenössisch zu regeln; die kantonale Gesetzgebung wird erst durch die eidgenössische Regelung und soweit diese reicht, verdrängt werden.

Bis jetzt hat aber der Bund erst das Gesetz vom 8. Dezember 1905 erlassen, das noch nicht in Wirksamkeit getreten ist.

Der Kanton Waadt war daher zum Erlass des Gesetzes vom 15. Mai 1906 kompetent.

II.

Das waadtländische Absinthverbot wird von den Behörden .dieses Kantons als eine gesundheitspolizeiliche Massregel hingestellt; als solche soll es der Bundesrat schützen. Es fragt sich, ob diese Massregel tatsächlich begründet und rechtlich zu- · lässig sei.

Art. 31, lit. e, der den Kantonen gestattet, den Kleinhandel mit geistigen Getränken den durch das öffentliche Wohl geforderten Beschränkungen zu unterwerfen, will damit den Kantonen nur gestatten, die Zahl der Wirtschaften und Kleinverkaufsstellen nach dem Bedürfnisse zu beschränken. Zu Beschränkungen gesundheitspolizeilicher Art wollte er die Kantone nicht ermächtigen, da die Kantone diese Befugnis nach .lit. e des gleichen Artikels schon längst hatten. Nach dieser Bestimmung ist daher die Verfassungsrnässigkeit des waadtländischen Gesetzes zu beurteilen.

Der Bundesrat hat in zahlreichen Entscheiden festgestellt, dass die Kantone im Interesse der öffentlichen Gesundheit den Handel und das Gewerbe beschränkenden Regeln unterwerfen dürfen und dass in der Beschränkung der Freiheit des Handels

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und des Gewerbebetriebs aus diesem Grund keine Beeinträchtigung des in Art. 31 gewährleisteten Grundsatzes liege. Die Einschränkung darf so weit gehen, als es die Gesundheitspolizei fordert; sie darfauch bis zur Untersagung einer Form des Handel» oder eines Gewerbeprodukts gehen (Bundesbeschluss vom 22. März 1876 in Sachen Chavannes, Brochon & Cie., S a l i s , II, Nr. 780; ferner Nrn. 780, 848, 849, 795, 796, 798, vgl. 784). Die Meinung, dass die Bundesverfassung bloss Beschränkungen des Handels und Gewerbes zulasse, nicht aber absolute Verbote, ist nicht begründet; jede sanitätspolizeiliche Vorschrift verbietet gewisse Formen des Handels oder Gewerbes oder gewisse Waren und stellt sich im Verhältnis zu diesen als absolutes Verbot dar, während sie im Verhältnis zu einer weitern Geschäftsbranche oder zur gesamten Volkswirtschaft eine unbedeutende Beschränkung sein wird.

Eine sanitätspolizeiliche Beschränkung der freien Ausübungvon Handel und Gewerbe ist verfassungsrechtlich zulässig, wenn genügende sachliche Gründe die Massregel rechtfertigen. Es lässt sich nicht an Hand formaler Merkmale feststellen, ob sich die Einschränkung der Handels- und Gewerbefreiheit durch die günstige sanitarische Wirkung der Massregel rechtfertigt, da sich weder der Nachteil der Einschränkung noch der Vorteil des Gesundheitsschutzes messen lassen und die Bundesverfassung auch den Massstab nicht gibt, an dem sie zu messen wären. Das vernünftige Urteil erfahrener Männer muss daher entscheiden. Es darf aber bemerkt werden, dass, wenn für die angefochtene Massregel sachliche Gründe sprechen, die eidgenössische Rekurs' behörde nicht allzu ängstlich abwägen darf, ob sie auch genügend gerechtfertigt sei ; denn wenn den Kantonen die Sorge und die Verantwortlichkeit für die öffentliche Gesundheitspflege obliegt, so muss ihnen auch einige Freiheit gelassen werden in der Beurteilung desjenigen, was zum Schütze der Gesundheit erforderlich und zweckmässig ist.

Die von der Rekursbehörde zu Rate gezogenen Sachverständigen erklären, die an Tieren angestellten Versuche rechtfertigen die Behauptung, dass die ätherischen 'Öle des Absinthes Gifte sind mit ganz bedeutenden toxischen Eigenschaften und dass ihr regelmässiger Genuss eine grössere Gefahr für die Gesundheit mit sich bringt, als der Genuss entsprechender Mengen Alkohols; gestützt
auf klinische Beobachtungen erklären sie, dass der Genuss des Absinths besonders schwere körperliche und psj'chische Störungen verursacht, dass kein anderer Likör in der Schweiz,

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so verderblich wirkt und kein anderer den Trinker so leicht zum Missbrauch führt wie der Absinth.

Diese Feststellungen rechtfertigen das Urteil, dass das Verbot des Kiemverkaufs von Absinth sänitätspolizeilich begründet ist und daher mit Art. 31 der Bundesverfassung nicht im Widerspruch steht.

III.

Die Rekurrenten begründen die Ansicht, das waadtländische Absinthverbot verletze die Rechtsgleichheit, namentlich mit der Behauptung, der Absinth sei nicht schädlicher als andere Liköre.

Diese Behauptung wird durch das Gutachten der Sachverständigen, wie sich aus dem vorstehenden ergibt, widerlegt. Das Gutachten kommt zum Schlüsse, dass der Absinth, insbesondere die in demselben enthaltenen Ätheröle des Anis und anderer Essenzen, nicht nur in gleicher Quantität und Alkoholstärke schädlicher sind, sondern auch, dass er den Konsumenten leichter zum Missbrauch verleitet als andere Liköre. Wenn dem so ist, so rechtfertigt sich auch die gegen den Absinth ergriffene besondere Massregel. Sie würde sich auch schon dadurch rechtfertigen, dass der Absinth in viel grösserem Masse genossen wird als andere Liköre ; denn wenn die Behörde von verschiedenen Übeln dasjenige zuerst bekämpft, das am verbreitetsten ist, so begeht sie keine Rechtsungleichheit.

Der Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetze wird auch dadurch nicht verletzt, dass die waadtländischen Absinthfabrikanten schlechter gestellt sind, als diejenigen anderer Kantone, wo der Kleinverkauf von Absinth erlaubt ist. Diese Verschiedenartigkeit der gesetzlichen Regelung ist die notwendige Folge der kantonalen Souveränität und zeigt sich überall, wo den Kantonen die Gesetzgebungshoheit geblieben ist. Wenn das Absinthverbot im übrigen verfassungsmässig ist, kann es einem Kanton nicht deshalb verwehrt werden, weil es die ändern Kantone nicht ebenfalls aufstellen.

Die Rechtsgleichheit kann endlich auch nicht angerufen werden zur Begründung eines Anspruches auf Entschädigung; Art. 4 enthält keineswegs den Satz, dass der Staat verpflichtet sei, jeden durch die Revidierung der Gesetzgebung verursachten Schaden gut zu machen. Das waadtländische Gesetz vom 15. Mai 1906 steht daher auch mit Art. 4 der Bundesverfassung nicht im Widerspruch.

406 Demgemäss w i r d e r k a n n t : Die Rekurse werden als unbegründet abgewiesen.

B e r n , den 22. März 1907.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der V i z e p r ä s i d e n t :

Brenner.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft : Bingier.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bundesratsbeschluss über die Beschwerden der Absinthfabrikanten Daeppen und Konsorten im Kanton Waadt, Muraour und Konsorten im Kanton Genf, und Kübler & Romang und Konsorten im Kanton Neuenburg gegen das Gesetz des Kantons Waadt vom 15. Mai 1906, be...

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