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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend den Beitritt der Schweiz zur Haager Konvention über die Gesetze und Gebräuche des Landkrieges - vom 29. Juli 1899.

t (Vom 12. März 1907.)

Tit.

Im Jahre 1874 hatte die Brüsseler Konferenz den Versuch gemacht, das Kriegsrecht, wenigstens soweit es sich auf den Landkrieg bezieht, zu kodifizieren, aber ohne zum Ziele gelangen zu können ; die von der Konferenz ausgearbeitete ,,Déclaration internationale concernant les lois et coutumes de la guerre" blieb Entwurf. Erst 25 Jahre später gelang es der Haager Konferenz (18. Mai bis 29. Juli 1899), eine Konvention zu stände zu bringen, wonach die vertragschliessenden Parteien sich verpflichten, ihren Heeren Verhaltungsmassregeln zu geben, die dem der Konvention beigefügten Reglement über die Gesetze und Gebräuche des Landkrieges entsprechen. Alle an der Konferenz vertretenen Staaten -- China, Schweden und Norwegen, die Schweiz und die Türkei ausgenommen -- haben diese Konvention unterzeichnet und ratifiziert. China und die Schweiz haben sie weder unterzeichnet noch ratifiziert, Schweden und Norwegen und die Türkei haben sie unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert. Inzwischen sind noch folgende Staa-

825 ten, die an der Konferenz nicht vertreten waren, der Übereinkunft beigetreten : Korea, Peru, Salvador. Es sind also gegenwärtig 25 Staaten daran beteiligt, nämlich : Deutschland, Österreich-Ungarn, Belgien, Dänemark, Spanien, Vereinigte Staaten Amerikas, Mexico, Frankreich, Grossbritannien, Griechenland, Italien, Japan, Luxemburg, Montenegro, Niederlande, Persien, Portugal, Rumänien, Russland, Serbien, Siam, Bulgarien, Korea, Peru und Salvador.

Nach Art. 2 der Konvention sind die Bestimmungen des Reglements über die Gesetze und Gebräuche des Landkrieges nur für die vertragschliessenden Staaten, im Falle eines Krieges zwischen zwei oder mehreren unter ihnen, verbindlich. Für die ändern Staaten gelten die Regeln des im einzelnen weniger bestimmten, also härteren allgemeinen Völkerrechts.

In unserer Botschaft vom 22. Mai 1900 (Bundesbl. 1900, III, 14) sind die Gründe auseinandergesetzt, die uns von der Unterzeichnung des Landkriegsabkommens abgehalten hatten.

Das Hindernis lag in den Bestimmungen über die Kriegführenden (Art. l und 2 des Reglements), die wir ablehnen zu sollen glaubten. Seither sind wir der Frage nochmals näher getreten, ob es für uns nicht vorteilhafter sei, uns den Staaten anzuschliessen, welche die Haager Übereinkunft angenommen haben, und wir sind zu dem Schlüsse gekommen, dass wir uns nicht ohne Nachteil von der Rechtsgemeinschaft dieser Staaten aus.·sohliessen können.

Die Sachlage ist kurz folgende : Schon in Brüssel war zwischen den Grossmächten, vorab Deutschland und Russland, und den kleinen und mittlern Staaten bei der Beratung der Frage, wer als Kriegführender anzuerkennen sei, ein scharfer Gegensatz zu Tage getreten. Jene Mächte verfochten die Ansicht, dass als kriegführende Parteien nur organisierte Streitkräfte unter folgenden Bedingungen anzuerkennen seien : 1. wenn jemand an ihrer Spitze steht, der für das Verhalten seiner Untergebenen verantwortlich ist ; 2. wenn sie ein festes, aus der Ferne erkennbares Abzeichen tragen ; 3. wenn sie die Waffen offen führen ; 4. wenn sie bei ihrer Kriegführung die Kriegsgesetze und -gebrauche beobachten.

Bundesblatt. 59. Jahrg. Bd. I.

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Von anderer Seite (Schweiz, Belgien, Niederlande etc.)

wurde verlangt, dass einem Volke, das sich zur Verteidigung des Vaterlandes erhebt, unter allen Umständen, auch wenn es die Bedingungen l--3 nicht erfüllt, sofern es nur die Kriegsgebräuche beobachtet, die Rechte des aktiven Kriegsstandes zuerkannt werden. Dabei wäre kein Unterschied zu machen, ob dieses Volk im besetzten oder unbesetzten Gebiet zu den Waffen greift.

Es kam schliesslich ein Kompromiss zu stände, der in den Art. 9 und 10 der Brüsseler Erklärung, Ausdruck fand. Diese Artikel lauten :

Art. 9.

Die Gesetze, die Rechte und die Pflichten des Krieges gelten nicht nur für das Heer, sondern auch für die Milizen und Freiwilligenkorps, unter folgenden Bedingungen : 1. dass jemand an ihrer Spitze steht, der für das Verhalten seiner Untergebenen verantwortlich ist, 2. dass sie ein festes, aus der Ferne erkennbares Abzeichen tragen, 3. dass sie die Waffen offen führen und 4. bei ihrer Kriegführung die Kriegsgesetze und -gebrauche beobachten.

In den Staaten, wo Milizen das Heer oder einen Bestandteil des Heeres bilden, sind diese unter der Bezeichnung ,,Heer" inbegriffen.

Art. 10.

Die Bevölkerung eines nicht besetzten Gebiets, die beim Herannahen des Feindes aus eigenem Antriebe zu den Waffen greift, um die eindringenden Truppen zu bekämpfen, ohne Zeit gehabt zu haben, sich nach Art. 9 zu organisieren, wird als Kriegspartei betrachtet, sofern sie die Gesetze und Gebräuche des Krieges beobachtet.

Damit wurde die Massenerhebung (levée en masse) im nicht besetzten Gebiet anerkannt. Wie verhält es sich aber mit dem Volkskriege im besetzten Gebiete ? Wird das Volk, das zur Bekämpfung eines Okkupationsheeres zu den Waffen greift, ohne nach Art. 9 organisiert zu sein, als Kriegspartei anerkannt oder nicht ?

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Es wäre ein Irrtum auf dem Wege eines a r g u m e n t u m e c o n t r a r i o aus Art. 10 zu schliessen, dass die Brüsseler Erklärung einem solchen Volke die Rechte einer kriegführenden Partei versagt. Nur soviel ist richtig, dass es in Brüssel bei dem Widerstreit der Meinungen nicht möglich gewesen ist, über die Volkserhebung im besetzten Gebiet und die von einzelnen Individuen unter Beobachtung der Kriegsgebräuche verübten Feindseligkeiten Bestimmungen aufzustellen. Diese Fragen sollten unpräjudiziert bleiben, und die in die KonferenzProtokolle aufgenommenen Vorbehalte lassen keinen Zweifel darüber zu, dass Art. 9 und 10 strikte auszulegen sind. Wir verweisen auf Protokoll Nr. XVIII, wo es heisst : ,,M. le baron Lambermont croit nécessaire de constater Tétât dans lequel deux questions sont restées. La première se rapporte à l'article 9. Celui-ci ne traitant que des armées, des milices, des corps de volontaires, en un mot d'êtres collectifs, M. le Délégué de Belgique avait demandé quel serait le sort d'un citoyen qui, agissant isolément, et dans la partie non occupée du pays, ferait des actes de guerre destinés, par exemple, à entraver la marche de l'ennemi. Il lui a été répondu que le projet ne prévoyait pas de tels cas spéciaux. En conséquence, il est resté entendu que la question de savoir si l'individu, agissant dans les conditions ci-dessus indiquées, doit ou non être considéré comme belligérant, n'est pas tranchée par le projet et reste dès lors dans le domaine du droit des gens non écrit. La seconde question concerne les soulèvements dans la partie occupée du pays. La première rédaction russe refusait la qualité de belligérantes aux populations se soulevant dans le territoire occupé ; la seconde, au contraire, la leur accordait moyennant certaines conditions. Enfin le projet d'article préparé par M. le Délégué d'Allemagne ne reconnaissait pas le titre de belligérants aux habitants prenant les armes clans le cas dont il s'agit. Ces formules, après un débat entre divers délégués, ont successivement disparu et il est demeuré entendu que la question de savoir si et à quelles conditions une population prenant les armes pour combattre l'armée ennemie dans le territoire occupé peut revendiquer les droits reconnus aux belligérants, n'a pas été résolue par le projet et, comme la précédente, reste
soumise aux règles du droit des gens non écrit."

Als im Haag die Art. 9 und 10 der Brüsseler Deklaration zur Beratung kamen, brachte der englische Delegierte, Herr General Ardagh, folgenden Antrag ein (Sitzung vom 20. Juni):

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,,Rien dans ce chapitre ne doit être considéré comme tendant à amoindrir ou à supprimer le droit qui appartient à la population d'un pays envahi de remplir son devoir d'opposer aux envahisseurs, par tous les moyens licites, la résistance patriotique la plus énergique."

Diese Erklärung sollte ins Reglement als selbständiger Artikel eingefügt werden.

Der deutsche Oberst von Schwarzhoff bekämpfte diesen Antrag, indem er ausführte : ,,Dieser Antrag erscheint auf den ersten Blick harmlos, fast überhaupt inhaltlos, da er nur von einem Widerstande mit ,,moyens licites" spreche und seiner -- von Schwarzhoffs -- Ansicht nach darunter nur verstanden werden könne, was mit den Vorschriften der Art. 9 und 10 (jetzt l und 2) im Einklang stehe. Der Umstand aber, dass der Antrag dann vollkommen überflüssig wäre, sowie die Hartnäckigkeit, mit der speziell die Schweiz und England auf der Annahme desselben beständen, und schliesslich nicht zum wenigsten die Worte des Vorredners hätten deutlich erkennen lassen, dass hinter demselben das Bestreben stehe, den Sinn der angenommenen Artikel noch weiter auszudehnen. Man habe sein Augenmerk darauf gerichtet, die Bevölkerung möglichst gegen die Leiden des Krieges zu schützen : Grundbedingung aber für die Möglichkeit, derartige Bestimmungen wirksam werden zu lassen, sei, dass die Bevölkerung sich ruhig verhalte ; damit stehe und falle die Anwendbarkeit dieser Vorschriften. Von den Bestimmungen selbst könne doch kein Mensch behaupten, dass der Vorwurf, es werde der Patriotismus unterdrückt und dem Volke die Verteidigung seines Vaterlandes unmöglich gemacht, auch nur im geringsten berechtigt sei. Im Gegenteil, nichts hindere die Patrioten, in die Armee einzutreten oder sich unabhängig davon zur Verteidigung des Vaterlandes entsprechend zu organisieren. Besonders für den zweiten Fall würden solchen Leuten durch Art. 9 (jetzt 1) die Rechte der Kriegführenden ausdrücklich zugestanden und nur an wenige Bedingungen geknüpft, von denen man doch gewiss sagen müsse, dass sie keine übertriebenen Forderungen enthielten. Denn einmal liesse sich irgend ein Beamter, ein Bürgermeister oder ein alter Soldat immer finden, der die Führung dieser Leute übernehmen werde -- ohne Organisation und Kommando wären Massen allein doch nicht im stände, etwas zu leisten -- und dann ge-

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nüge das einfachste Abzeichen, wenn es nur erkennbar sei, eine einfache Armbinde oder etwas ähnliches. Und sei das zu viel gefordert, class die Waffen offen getragen und die Kriegsgebräuche beobachtet würden ? Somit genüge seiner Meinung nach der Art. 9 vollkommen. Man sei dann in Art. 10 noch weiter gegangen, indem man den aktiven Kriegsstand der ganzen Bevölkerung eines nicht okkupierten Gebietes zuerkannt habe unter der einzigen Bedingung, dass sie die Gesetze des Krieges beobachte. Man hätte auch hier unter allen Umständen wenigstens ein sichtbares Abzeichen und offenes Tragen der Waffen verlangen müssen.

Oberst von Schwarzhoff erklärte weiterhin, dass er schon hinsichtlich des Art. 10 schwere Bedenken gehabt, die er aber im Interesse des Ganzen nicht habe laut werden lassen ; wenn man aber weiter gehen wolle, so sehe er sich genötigt, zu erklären, dass für ihn die Grenze des Annehmbaren hiermit erreicht sei. ,,Mais ici -- so schloss von Schwarzhoff -- mes concessions s'arrêtent ; il m'est absolument impossible de faire un pas plus loin et de suivre ceux qui proclament une liberté absolue pour la défense."

General Ardagh zog schliesslich seinen Antrag zurück, und die Art. 9 und 10 der Brüsseler Deklaration wurden als Art. l und 2 des Reglements mit der einzigen Änderung angenommen, dass -im letzten Absatz des Art. 9 nach ,,les milices" die Worte : ,,ou des corps de volontaires" eingefügt wurden.

Zu diesem Ergebnis trug eine von Herrn v. Martens vorgeschlagene Erklärung bei, die an die Spitze der Konvention gestellt wurde und so lautet : ,,Die Konferenz ist einstimmig in dem Gedanken, dass es äusserst wünschenswert sei, dass die Kriegsgebräuche festgestellt und geregelt werden. In diesem Sinne hat sie eine grosse Zahl von Bestimmungen angenommen, die eine Abgrenzung der Rechte und Pflichten der Kriegsparteien und der Bevölkerungen zum Gegenstande haben und weiterhin bezwecken, die Übel des Krieges zu vermindern, soweit die militärischen Interessen dies gestatten. Es ist jedoch nicht möglich gewesen, schon jetzt über alle in der Praxis möglichen Fälle Vereinbarungen zu treffen.

,,Anderseits konnte nicht in der Absicht der Konferenz liegen, dass die nicht vorgesehenen Fälle in Ermangelung einer ausdrücklichen Vorschrift der willkürlichen Beurteilung der mililärischen Befehlshaber überlassen seien.

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,,In der Erwartung, dass später ein vollständiger Kodex der Kriegsgesetze gegeben werden könne, hält es die Konferenz für angebracht, festzustellen, dass in den Fällen, die in der vorliegenden Fassung nicht vorgesehen sind, die Bevölkerungen und die Kriegführenden unter dem Schütze und der Herrschaft der Grundsätze des Völkerrechts bleiben, wie sie sich aus den zwischen zivilisierten Staaten bestehenden Gebräuchen, aus den Gesetzen der Humanität und den Forderungen des öffentlichen.

Gewissens ergeben.

,,In diesem Sinne sind insbesondere die von der Konferenz angenommenen Art. 9 und 10 (jetzt l und 2) zu verstehen."

Danach bleiben also die Bevölkerungen, die sich im besetzten Gebiet erheben, und die Kriegführenden selbst unter der Herrschaft, der allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts.

Und die Konferenz versteht darunter nicht allein die Kriegsgebräuche, wie sie zwischen gesitteten Staaten bestehen, sondern auch die Gesetze der Menschlichkeit und die Forderungen des öffentlichen Gewissens. ,,Demain, comme aujourd'hui -- sagte Herr Beernaert an der Konferenz -- les droits du vainqueur, loin d'être illimités, seront restreints par les lois de la conscience universelle, et pas un pays, pas un général n'oserait les enfreindre, puisque ce serait se mettre au ban des nations civilisées."

Nachdem die Bemühungen der Schweiz, die unbedingte Anerkennung des Volkskrieges durchzusetzen, erfolglos geblieben sind und durch die Haager Übereinkunft eine Sachlage geschaffen worden ist, an der wir -- ob wir dem Abkommen beitreten oder nicht -- nichts zu ändern vermögen, fragt es sich, ob es für uns nicht besser sei, dem Beispiel der Staaten zu folgen, welche die Konvention angenommen haben. Diese Frage glauben wir heute bejahen zu sollen, denn es ist nicht zu verkennen, dass es besonders für einen kleinen Staat vorteilhafter ist, sich auf geschriebene Rechtssätze, wie die des Haager Reglements, berufen zu können, als auf ungeschriebenes Gewohnheitsrecht.

Eine Schwächung der Verteidigung unseres Landes kann der Beitritt der Schweiz zur Haager Übereinkunft nicht zur Folge haben, weil bei uns die allgemeine Wehrpflicht gilt und die Organisation unserer Streitkräfte derart durchgeführt ist, dass sie alle waffenfähigen Bürger umfasst. Neben dem Auszug und der Landwehr bildet der Landsturm einen Teil der

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gesetzlich organisierten Wehrkraft der Schweiz. Alle wehr fähigen Schweizerbürger vom zurückgelegten 17. bis zum vollendeten 50. Altersjahr, die nicht im Auszug oder in der Landwehr eingeteilt sind, haben die Pflicht, im Landsturm zu dienen.

Das Bundesgesetz vom 4. Dezember 1886 bestimmt überdies, dass in den Landsturm auch Freiwillige aufgenommen werden können, welche das 17. Altersjahr noch nicht erreicht oder das 50. Altersjahr überschritten haben. Wir sind also in der Lage, einer feindlichen Invasion das ganze Volk in Waffen entgegenausteilen, und da unser Landsturm den Anforderungen des Art. l des Haager Reglements vollauf entspricht, so geniesst er unter allen Umständen, auch im besetzten Gebiet, völkerrechtlichen Schutz.

Auch der Entwurf einer neuen Militärorganisation steht auf diesem Boden, indem er in Art. 28 die Aufnahme von Freiwilligen in den Landsturm ausdrücklich vorsieht. Wenn der Entwurf Gesetz wird, so wird also in dieser Frage für uns nichts geändert.

Wir können demnach das Haager Landkriegsabkommen annehmen, welches unter gewissen Voraussetzungen sogar das ungeregelte Massenaufgebot zulässt, während das gemeine Völkerrecht eine solche l e v é e en m a s s e nicht anerkennt.

Auch die übrigen Bestimmungen der Haager Konvention enthalten nichts, das für uns unannehmbar wäre.

Wie bereits erwähnt, besteht diese Konvention aus zwei Teilen : der eigentlichen ,,Konvention", dem Texte des Vertrages, und dem als -Beilage' zur Konvention bezeichneten Reglement.

Dieses Reglement zerfällt in vier Abschnitte, die von den Kriegführenden (belligérants), von den Feindseligkeiten (hostilités), von der militärischen Gewalt im feindlichen Staatsgebiet (de l'autorité militaire sur le territoire de l'Etat ennemi) und von den Streitkräften, Kranken und Verwundeten der kriegführenden Mächte auf neutralem Gebiete (des belligérants internés et des blessés soignés chez les neutres) handeln.

Der erste Abschnitt enthält drei Kapitel : 1. Bestimmung des Begriffes Kriegspartei (Art. l--3) ; 2. Kriegsgefangene (Art. 4--20) ; 3. Kranke und Verwundete (Art. 21).

Wer als Kriegspartei anzusehen ist, haben wir bereits erörtert. Es bleibt beizufügen, dass auch die zur Kriegsmacht gehörenden und die von ihr zugelassenen Nichtkombattanten

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(Militärbeamte, Feldgeistliche, Zeitungskorrespondenten, Lieferanten, Marketender u. s. w.) unter dem Schütze des Völkerrechts stehen. Fallen sie dem Feinde in die Hände, so haben sie Anspruch auf Behandlung als Kriegsgefangene. Art. 3 und 13 des Reglements.

Die Vorschriften über die Rechtsverhältnisse der Kriegsgefangenen gehen sehr ins einzelne und sind durchwegs von einem humanen Geiste eingegeben : Kriegsgefangene sind Staatsgefangene, unterliegen alsonicht der Willkür der einzelnen Verbände oder Individuen, in deren Gewalt sie geraten sind. Sie sind mit Menschlichkeit zu behandeln. Was ihnen persönlich gehört, verbleibt ihr Eigentum, ausgenommen : Waffen, Pferde und Schriftstücke militärischen Inhalts.

Kriegsgefangene dürfen nur dann eingesperrt werden, wenn dringende Rücksichten der Sicherheit es rechtfertigen.

Es ist gestattet, Kriegsgefangene zu nicht übermässigen Arbeiten zu verwenden, die in keiner Beziehung zu den Kriegsunternehmungen stehen (Art. 6).

Die Kriegsgefangenen unterstehen den im betreffenden Heere geltenden Gesetzen, Vorschriften und Befehlen.

Der missglückte Fluchtversuch wird disziplinarisch geahndet. Kriegsgefangene hingegen, die nach gelungener Flucht wieder in hie Hände des Feindes fallen, dürfen für die frühere Flucht nicht bestraft werden (Art. 8). Eine Bestimmung darüber, dass die Flucht des Kriegsgefangenen unter Ehrenwortsbruch und das Nichteinhalten der ehrenwörtlich gegebenen Versicherung, sich an einem bestimmten Orte stellen zu wollen, strafbar seien, enthält das Haager Reglement nicht.

Über die heikle Frage, ob und unter welchen Umständen Kriegsgefangene getötet werden dürfen, spricht sich das Reglement ebenfalls nicht aus.

Kriegsgefangene können, wenn die Gesetze ihres Landes das gestatten, auf Ehrenwort in die Heimat entlassen werden.

Sie dürfen dann während dieses Krieges die Waffen gegen den Staat, der sie entlassen hat, oder gegen dessen Verbündete nicht tragen. Widrigenfalls verwirken sie, wenn sie wieder ergriffen werden, das Recht auf die Behandlung als Kriegsgefangene und können den Gerichten überliefert werden.

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Die Kriegführenden sollen besondere Bureaux zur Erteilung von Auskünften über die Kriegsgefangenen errichten (Art. 14).

Briefe, Postanweisungen etc., die für die Kriegsgefangenen bestimmt sind oder von ihnen abgesandt werden, sind von allen Postgebühren befreit.

Die Liebesgaben sind von allen Eingangszöllen, sowie von den Frachtkosten auf Staatseisenbahnen befreit.

Nach dem Friedensschluss sollen die Kriegsgefangenen in kürzester Frist in ihre Heimat entlassen werden.

Das dritte, aus einem einzigen Artikel bestehende Kapitel verweist bezüglich der Pflege der Kranken und Verwundeten auf die Genfer' Konvention vom 22. August 1864, welche inzwischen durch eine neue, am 6. Juli 1906 in Genf unterzeichnete, aber noch nicht von allen Staaten ratifizierte Übereinkunft zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der Heere im Felde (vgl. unsere Botschaft vom 30. November 1906) ersetzt worden ist.

Der zweite Abschnitt zerfällt in fünf Kapitel : 1. Mittel zur Schädigung des Feindes, Belagerung und Beschiessung (Art. 22--28) ; 2. Spione (Art. 29--31) ; 3. Parlamentäre (Art. 32--34) ; 4. Kapitulationen (Art. 35) ; 5. Waffenstillstand (Art. 36--41).

Art. 22 enthält den Grundsatz, dass die Kriegführenden keine unbeschränkte Freiheit in der Wahl der Mittel haben, dem Feinde zu schaden. Sodann ist durch Art. 23, abgesehen von den in besondern Vereinbarungen aufgestellten Verboten, n a m e n t l i c h untersagt : a. die Verwendung von Gift oder vergifteten Waffen ; b. die meuchlerische Tötung oder Verwundung von Angehörigen des feindlichen Staates oder des feindlichen Heeres ; c. die Tötung oder Verwundung eines die Waffen streckenden oder wehrlosen Feindes, der sich auf Gnade oder Ungnade ergibt ; d. die Erklärung, dass kein Pardon gegeben wird ; e. der Gebrauch von Waffen, Geschossen oder Stoffen, die geeignet sind, unnötigerweise Leiden zu verursachen ;

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f . der Missbrauch der Parlamentärflagge, der Nationalflagge oder der militärischen Abzeichen und der Uniform des Feindes, sowie der besondern Abzeichen der Genfer Konvention ; g. die Zerstörung oder Wegnahme feindlichen Eigentums, es sei denn, dass die Kriegsnotwendigkeit dies dringend c verlangt.

Diese Aufzählung will keineswegs erschöpfend sein, wie aus der Anwendung des Wortes ,,namentlich" hervorgeht.

Die Petersburger Konvention vom 11. Dezember 1868 verbietet die Verwendung von Sprenggeschossen von weniger als 400 g. Gewicht. Unter dieses Verbot fallen also nur G e w e h r g e s c h o s s e , welche mit einer Sprengladung versehen sind, die sich beim Aufschlag entzündet und das Platzen des Geschosses im getroffenen Körper herbeiführt. Der im Ha.ag gestellte Antrag, für die Feldartillerie die Verwendung von Sprenggranaten und die Benützung neuer Explosivgeschosse zu verbieten, war abgelehnt worden. Hingegen hat die Konferenz folgende Erklärungen angenommen : 1. Die vertragschliessenden Mächte sind dahin übereingekommen, dass das Werfen von Geschossen und Sprengstoffen aus Luftschiffen oder auf ändern ähnlichen neuen Wegen für die Dauer von fünf Jahren verboten ist.

2. Die vertragschliessenden Mächte unterwerfen sich gegenseitig dem Verbot, solche Geschosse zu verwenden, deren einziger Zweck ist, erstickende, oder giftige Gase zu verbreiten.

3. Die vertragschliessenden Mächte unterwerfen sich gegenseitig dem Verbote, Geschosse zu verwenden, die sich leicht im menschlichen Körper ausbreiten oder plattdrücken, wie Kugeln mit hartem Mantel, welcher den Kern nicht ganz umhüllt oder mit Einschnitten versehen ist.

Die Gültigkeitsdauer der ersten Erklärung, die Grossbritannien nicht unterzeichnet hatte, ist jetzt abgelaufen.

Geschosse der in der zweiten Erklärung geschilderten Art existieren unseres Wissens zurzeit nicht. Zu bemerken ist, dass dieses Verbot sich nur auf solche Geschosse bezieht, deren e i n z i g e r Zweck die Verbreitung giftiger Gase ist.

Die Frage, ob Lydditgranaten unter das Verbot fallen, wird daher Verneint, weil diese Granaten, obwohl sie giftige Gase verbreiten, nicht dazu bestimmt sind, den Erstickungstod her-

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Die zweite Erklärung gilt nicht für Grossbritannien und die Vereinigten Staaten Amerikas.

Die dritte Erklärung haben alle Staaten, mit Ausnahme Grossbritanniens, der Vereinigten Staaten Amerikas und Portugals, unterzeichnet. Damit hat man nicht nur die sog. DumI>um-Geschosse und die Hohlspitzengeschosse, sondern überhaupt alle Geschosse verbieten wollen, die derart konstruiert sind, -dass sie bei ihrem Eintritt in den menschlichen Körper einer Formveränderung unterliegen müssen.

Art. 25 verbietet, unverteidigte Städte, Dörfer, Wohnungen oder Gebäude anzugreifen oder zu beschiessen. Dies gilt jedoch nur für den Landkrieg ; die Beschiessung unbefestigter Rüstenstädte durch Kriegsschiffe ist gestattet. Die Haager Konferenz hat sich in dieser Hinsicht darauf beschränkt, den Wunsch auszusprechen, dass der Vorschlag, die Frage der Beschiessung von Häfen, Städten und Dörfern durch eine Kriegsflotte zu regeln, der Prüfung einer spätem Konferenz vorbehalten bleiben möchte. England ist auch hierauf nicht eingegangen.

Der Befehlshaber eines Belagerungsheeres soll vor Beginn d e r Beschiessung, d e n F a l l e i n e s S t u r m a n g r i f f e s ausgenommen, alles tun, was in seinen Kräften steht, um die Ortsobrigkeit davon zu benachrichtigen (Art. 26).

Man hat diese Fassung als zu eng kritisiert, weil die Anzeige unter Umständen die Erreichung des Kriegszweckes vereiteln könnte. Als Jules Favre im September 1870 Auskunft über den Beginn der Beschiessung von Paris verlangte, antwortete ihm Bismarck, ,,dass militärische Rücksichten verbieten, über die Zeit und Art des bevorstehenden Angriffes auf die Festung Paris Mitteilung zu machen".

Bei Belagerungen und Beschiessungen sollen die dem Gottesdienste, der Kunst, der Wissenschaft und der Wohltätigkeit gewidmeten Gebäude, sowie die Krankenhäuser und Sammelplätze für Kranke und Verwundete soviel als möglich geschont werden, vorausgesetzt, dass sie nicht gleichzeitig zu einem militärischen Zwecke Verwendung finden (Art. 27).

Art. 28 verbietet die Plünderung einer mit Sturm genommenen Stadt. Die gleiche Bestimmung enthält Art. 47.

Die während des deutsch-französischen Krieges so lebhaft erörterten Fragen :

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a. ob den friedlichen Einwohnern der belagerten Stadt, insbesondere den Kranken, den Weibern und den Kindern ungestörter Abzug gewährt werden müsse, und b. ob die diplomatischen Vertreter neutraler Mächte, die sich in der belagerten Stadt befinden, einen Rechtsanspruch auf ungehemmten Verkehr mit ihren Absendstaaten haben, sind in dem Haager Abkommen nicht geregelt worden.

Art. 29. Zum Begriff des Spions gehört nach diesem Artikel, dass er heimlich oder unter falschem Vorwande in dem Operationsgebiet einer Kriegspartei Nachrichten einzieht, oder einzuziehen sucht, in der Absicht, sie der Gegenpartei mitzuteilen.

Das entscheidende Moment liegt in der Heimlichkeit oder Täuschung. Auch der rechtmässige Kombattant also, der verkleidet Nachrichten über Stellung, Stärke etc. des Feindes einzieht, wird als Spion behandelt.

Einen Fortschritt bedeutet die Vorschrift des Art. 30, wonach auch der auf frischer Tat ergriffene Spion nur nach vorangegangenem gerichtlichen Verfahren bestraft werden darf.

Der Spion, der zu seinem Heere zurückgekehrt ist und später vom Feinde gefangen genommen wird, ist als Kriegsgefangener zu behandeln und kann für die früher begangene Spionage nicht verantwortlich gemacht werden (Art. 31).

Der Parlamentär und die ihn begleitenden Personen sind unverletzlich. Der Befehlshaber, an den der Parlamentär gesandt wird, ist nicht verpflichtet, ihn unter allen Umständen zu empfangen. Er kann alle Massregeln ergreifen, die erforderlich sind, um ihn zu verhindern, seine Sendung zur Einziehung von Nachrichten zu benutzen. Er ist berechtigt, bei Missbrauch den Parlamentär zeitweilig zurückzuhalten. Der Parlamentär hört auf, unverletzlich zu sein, w e n n der bes t i m m t e , u n w i d e r l e g l i c h e B e w e i s vorliegt, dass er seine bevorrechtigte Stellung dazu benutzt hat, Verrat zu üben oder dazu anzustiften. Vgl. Art. 32--34.

Von den Verträgen unter kriegführenden Parteien sind im Reglement nur die Kapitulationen und die Waffenstillstandsverträge erwähnt. Kapitulationen dürfen nichts enthalten, was gegen die militärische Ehre verstösst (Art. 35). Der Waffenstillstand unterbricht die Kriegsunternehmungen. Wenn eine

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bestimmte Dauer nicht vereinbart worden ist, können die Kriegsparteien jederzeit die Feindseligkeiten wieder aufnehmen, jedoch unter der Voraussetzung, dass der Feind rechtzeitig benachrichtigt wird. Jede schwere Verletzung der Bedingungen des Waffenstillstandes durch eine der Parteien berechtigt die andere nicht nur zur Aufkündung der Vereinbarung, sondern in dringenden Fällen sogar zum sofortigen Wiederbeginn der Feindseligkeiten. Vgl. Art. 36 und 40.

Abschnitt IIP (Art. 42--56) regelt das durch die Okkupation zwischen der besetzenden Staatsgewalt und den Bewohnern des besetzten Gebietes geschaffene Rechtsverhältnis. Wie bei der Feststellung des Begriffes der Kriegspartei, trat auch hier der Gegensatz zwischen den Anschauungen der Grossmächte und denen der Kleinstaaten scharf hervor. Auf unsere Weisung hin gab unsere Delegation im Laufe der Verhandlungen folgende Erklärung ab : ,,En prenant part à la discussion des articles d'un projet d'une déclaration internationale concernant les lois et coutumes de la guerre, et notamment des articles relatifs à l'autorité militaire sur le territoire de l'Etat ennemi, les représentants de la Suisse n'entendent par là admettre en aucune façon que le territoire de la Confédération suisse puisse être occupé par une armée étrangère, car une pareille occupation ne pourrait avoir lieu qu'en suite de la violation de la neutralité helvétique, neutralité reconnue par les Puissances et toujours scrupuleusement observée par la Suisse." (Prot. III, 142.)

Die Brüsseler Erklärung hatte im Art. l den Begriff der Okkupation folgendermassen definiert : ,,Un territoire est considéré comme occupé lorsqu'il se trouve placé de fait sous l'autorité de l'armée ennemie.

,,L'occupation ne s'étend qu'aux territoires où cette autorité est établie et en mesure de s'exercer."

Der deutsche Delegierte im Haag, Herr v. Schwarzhoff, beanstandete den Satz ,,où cette autorité est en mesure de s'exercer" und beantragte, den zweiten Absatz ganz zu streichen.

Man muss -- führte er aus -- auch an Fälle denken, wo die Verbindungslinien zwischen der Armee und dem besetzenden Truppenteil vielleicht unterbrochen sind, obwohl die Macht des Okkupanten durchaus genügend begründet ist, oder wo eine Empörung auftritt, die im Augenblick von Erfolg begleitet ist.

In diesen Fällen könne man unmöglich davon sprechen, dass dieses Gebiet nicht okkupiert sei.

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Der russische Oberst Gilinsky betonte : ein Land nenne mau im militärischen Sinne okkupiert, wenn sich die Armee oder deren Détachements dort befänden und die Verbindung nach rückwärts gesichert sei. Naturgemäss lasse man in solchen Gebieten keine grossen Truppenmassen zurück ; ein Aufstand wäre daher möglich, ohne dass jedoch hierin eine Aufhebung der Okkupation gefunden werden könnte.

Rollin erblickte das Merkmal der Okkupation in dem Zurückziehen der · ,,autorités légales" und schlug folgende Fassung, welche mit wenigen Abweichungen der vom Oxforder Manuel gegebenen Definition entspricht, vor : ,,Un territoire est considéré comme occupé par l'Etat ennemi lorsque, à la suite de son invasion par des forces ennemies, l'Etat, dont ce territoire relève, a cessé en fait d'y exercer une autorité régulière. Les limites dans lesquelles ce fait se produit déterminent l'étendue et la durée de l'occupation."

Hierzu bemerkte Herr Bernaert : ,,Le retrait des autorités légales est un fait négatif qui peut fort bien se produire sans qu'il y ait occupation."

Man einigte sich schliesslich dahin, den Brüsseler Artikel unverändert in das Reglement aufzunehmen. Er lautet in deutscher Übersetzung : Art. 42. Ein Gebiet gilt als besetzt, wenn es tatsächlich in der Gewalt des feindlichen Heeres steht.

Die Besetzung erstreckt sich nur auf die Gebiete, wo diese Gewalt hergestellt ist und ausgeübt werden kann.

Dieser Bestimmung liegt also das gleiche Prinzip zu Grunde, das die Pariser Deklaration vom 16. April 1856, Art. 4, für die Blockade aufgestellt hat.

Der eingedrungene Feind übernimmt die Verwaltung des besetzten Gebietes und trifft alle Massregeln, die erforderlich sind, um die öffentliche Ordnung und Sicherheit wieder herzustellen und aufrecht zu erhalten. Er kann die im Lande geltenden Gesetze ausser Kraft setzen, wenn die Kriegsnotwendigkeit es erfordert (Art. 43).

Es ist verboten, die Bevölkerung eines besetzten Gebietes zu zwingen, an militärischen Operationen gegen ihr Vaterland teilzunehmen oder der feindlichen Macht den Treueid zu leisten (Art. 44 und 45). Die Ehre und die Rechte der Familie das Leben und das Privateigentum, die religiösen Überzeugun-

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gen und die Ausübung des Gottesdienstes sollen respektiert werden (Art. 46). Unzulässig ist die Verhängung von sogenannten Kollektivstrafen über eine ganze Bevölkerung wegen der Handlungen Einzelner, für welche die Gesamtheit nicht als verantwortlich angesehen werden kann (Art. 50).

Der Okkupant kann die sonst an den Staat zu entrichtenden Steuern, Zölle und Abgaben erheben, soll aber dies möglichst nach den geltenden Vorschriften tun und aus den erhobenen Geldern die Kosten der Verwaltung des besetzten Gebietes in demselben Masse tragen, wie die gesetzmässige Regierung hierzu verpflichtet war (Art. 48).

Auf Kommunalsteuern darf der Okkupant nicht die Hand legen.

Anderweitige Kontributionen in Geld dürfen im besetzten Gebiete nur zur Befriedigung der Bedürfnisse des Heeres oder der Verwaltung des Landes auf Grund eines schriftlichen Befehls und unter der Verantwortlichkeit eines selbständig kommandierenden Generals erhoben werden. Die Beitragspflichtigen erhalten über jede Zwangsleistung eine Empfangsbescheinigung (Art. 49 und 51).

Unsere Vertreter im Haag hatten folgenden Antrag gestellt : ,,Pour toutes contributions il sera délivré aux contribuables un reçu donnant droit, lors du rétablissement de la paix, au remboursement de la somme versée."

Dieser Antrag wurde damit begründet, dass die einfache Quittung, ohne dass zugleich ein Recht auf Entschädigung darin anerkannt sei, keine genügende Garantie biete. Man ging indessen nicht darauf ein, weil die Entschädigungsfrage nach den Vorschriften des innerii Staatsrechts zu entscheiden sei.

Naturalleistungen (réquisitions en nature) und Dienstleistungen können von Gemeinden oder Einwohnern nur für die Bedürfnisse des Besetzungsheeres und mit der Ermächtigung des Befehlshabers des besetzten Gebietes gefordert werden. Sie müssen im Verhältnisse zu den Hülfsquellen des Landes stehen, dürfen für die Bevölkerung nicht die Verpflichtung enthalten, an Kriegsunternehmungen gegen ihr Vaterland teilzunehmen und sind soviel als möglich bar zu bezahlen ; andernfalls sind dafür Empfangsbescheinigungen auszustellen (Art. 52).

Zwei Grundsätze beherrschen die Behandlung feindlichen Staats- und Privateigentums im Landkriege : jede Aneignung, Benutzung und Zerstörung feindlichen Eigentums muss sich

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durch die Kriegsnotwendigkeit rechtfertigen lassen ; der Krieg wird nur zwischen den Staaten geführt.

Hieraus folgt : Das Besetzungsheer kann alles dem feindlichen Staate gehörende b e w e g l i c h e Eigentum, soweit es geeignet erscheint, den Kriegsunternehmungen zu dienen, nicht nur mit Beschlag belegen ( s a i s i r , wie es mit einem viel zu engen Ausdruck im Art. 53 des Reglements heisst), sondern auch für seine Kriegführung gebrauchen und verbrauchen. So unterliegen dem Beuterecht insbesondere : das Bargeld und die Wertbestände des Staates, die dem Staate zustehenden eintreibbaren Forderungen, die Waffenniederlagen, Beförderungsmittel, Vorratshäuser und Lebensmittelvorräte (Art. 53, Absatz 1).

Unbewegliches Staatsgut (Gebäude, Wälder, Liegenschaften, landwirtschaftliche Anlagen, Staatseisenbahnen u. s. w.)

darf sich der besetzende Staat nicht aneignen ; er darf es nur benutzen und, den Fall der militärischen Notwendigkeit vorbehalten, weder beschädigen noch zerstören. Öffentliche Anstalten, die dem Gottesdienste, der Wohltätigkeit, der Kunst und Wissenschaft gewidmet sind, müssen geschont werden. Ebenso das Eigentum der Gemeinden, das dem Privateigentum gleichgestellt wird. Vgl. Art. 55 und 56.

Das Privateigentum ist unverletzlich; Gegenstände jedoch, die geeignet erscheinen, der Kriegführung zu dienen (Eisenbahnmaterial, Landtelegraphen, Fernsprechanlagen, Schiffe und andere Fahrzeuge, Waffen, Kriegsmunition u. s. w.) können auch dann, wenn sie Gesellschaften oder Privatpersonen gehören, gegen Entschädigung benutzt, müssen aber nach Abschluss des Friedens zurückerstattet werden (Art. 53, Absatz 2).

Der schweizerische Delegierte, Herr Odier, hatte nach unsern Weisungen vorgeschlagen, folgende Bestimmung in betreff des Materials der Staatsbahnen in das Reglement aufzunehmen : ,,Le matériel des chemins de fer, appartenant à l'Etat, sera également restitué à la conclusion de la paix."

Dieser Antrag wurde jedoch mit der Begründung abgelehnt, dass derartige Bestimmungen zu treffen, Sache des einzelnen Friedensvertrages sei.

Nach der herrschenden Lehre erwirbt der Sieger an dem Material der Staatsbahnen ein unbeschränktes Benutzungs-, aber kein Eigentumsrecht ; der Okkupant muss es nach Beendigung

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des Krieges wieder herausgeben, ohne allerdings zur Bezahlung irgendwelcher Entschädigung verpflichtet zu sein. Auf diesen Boden stellt sich auch das Manuel des Instituts für Völkerrecht, wo es in dem von den ,,Propriétés publiques" handelnden § 51 heisst : ,,Le matériel de transport (chemins de fer, bateaux etc.)

ainsi que les télégraphes de terre et les câbles d'attérissage, peuvent seulement être séquestrés pour l'usage de l'occupant.

Leur destruction est interdite, à moins qu'elle ne soit commandée par une nécessité de guerre. Ils s o n t r e s t i t u é s ·à l a p a i x , d a n s l ' é t a t o ù i l s s e t r o u v e n t . " Hinsichtlich des aus neutralen Staaten kommenden Eisenbahnmaterials hatte der belgische Delegierte, Herr Beernaert, einen Zusatz folgenden Wortlautes zum Art. 6 der Brüsseler Erklärung vorgeschlagen : ,,Le matériel de chemins de fer provenant d'Etats neutres, qu'il appartienne à ces Etats ou à des sociétés, leur sera renvoyé aussitôt que possible, s a n s p o u v o i r ê t r e u t i l i s é pour les opérations militaires."

Zur Begründung dieses Vorschlages führte er aus : ,,Le matériel de chemins de fer appartenant à des Etats neutres doit dans tous les cas être régi par d'autres règles que celui des belligérants. Il s'agit ici non seulement d'une propriété privée, mais de la propriété d'étrangers et de choses que leurs propriétaires mêmes ne pourraient affecter à l'usage de la guerre sans cesser d'être neutres. Il y a donc une triple raison pour que le belligérant ne puisse, ni saisir semblable matériel, ni en user pour lui-même. Il est inutile d'insister sur l'extrême importance qu'a aujourd'hui le matériel de transport en temps de guerre, et sur ce que ce matériel ne peut être employé contrairement aux obligations de la neutralité."

Der Antrag Beernaert wurde vom Redaktionsausschuss abgeändert und ging als Art. 54 in folgender Fassung ins Reglement über : ,,Das Eisenbahnmaterial, das aus neutralen Staaten kommt, gehöre es diesen selbst oder Gesellschaften oder Privatpersonen, soll ihnen sobald als möglich zurückgesandt werden."

Damit wird dem Sieger ein Benutzungsrecht sogar an dem neutralen Staaten gehörenden, im angegriffenen Staate -befindlichen Eisenbahnmaterial eingeräumt.

Bnndesblatt. 59. Jahrg. Bd. I.

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Der IV. Abschnitt (Art. 57--60) handelt von den Streitkräften, Kranken und Verwundeten der kriegführenden Parteien auf neutralem Gebiet.

Der ursprüngliche, der Brüsseler Konferenz vorgelegte russische Entwurf enthielt hierüber keine Vorschriften. Die Aufnahme derartiger Bestimmungen in die 1874er Deklaration ist der Anregung der belgischen Regierung zu verdanken, welche einen Entwurf ,,concernant les prisonniers de guerre, les noncombattants et les blessés, les belligérants internés et les bleszés soignés chez les neutres" hatte ausarbeiten und der Konferenz in der Sitzung vom 31. Juli 1874 vorlegen lassen.

Die Haager Konferenz hat die in Brüssel festgestellten Artikel, mit Ausnahme eines einzigen (Art. 55), unverändert in das Reglement aufgenommen.

Art. 57 bestimmt, dass der neutrale Staat, auf dessen Gebiet Truppen der kriegführenden Heere übertreten, sie möglichst weit vom Kriegsschauplatz unterbringen muss. Wenn nötig, kann er sie auch in Festungen einschliessen. Er entscheidet, ob Offiziere auf Ehrenwort freigelassen werden können.

Die Bestimmung des belgischen Entwurfes (§ 20), die dem neutralen Staate das Recht einräumte, die von den übertretenden Truppen mitgeführten Kriegsgefangenen in Freiheit zu setzen, ist weder in die Deklaration noch in das Reglement übergegangen. Man hatte sich in Brüssel darauf beschränkt, in das Protokoll (Actes 228) folgende Erklärung aufzunehmen : ,,Les prisonniers amenés à la frontière de l'Etat neutre par des troupes belligérantes cessent d'être prisonniers d'après le droit des gens."

Mangels besonderer Vereinbarung hat der neutrale Staat den Internierten Nahrung, Kleidung und die durch die Menschlichkeit gebotenen Hülfsmittel zu gewähren. Die durch die Internierung verursachten Kosten sind nach dem Friedensschlüsse zu ersetzen (Art. 58).

Der neutrale Staat kann den Durchzug von Verwundeten oder Kranken der kriegführenden Heere durch sein Gebiet unter dem Vorbehalte gestatten, dass die zur Beförderung benutzten Züge weder Kriegspersonal noch Kriegsmaterial mit sich führen. Der neutrale Staat ist in solchen Fällen verpflichtet, die erforderlichen Sicherheits- und Aufsichtsmassregeln zu

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treffen. Die von einer der Kriegsparteien auf neutrales Gebiet verbrachten, der Gegenpartei angehörenden Kranken und Verwundeten sind von dem neutralen Staate so zu bewachen, dass sie nicht von neuem an den Kriegsunternehmungen teilnehmen können. Der neutrale Staat hat gegenüber den ihm anvertrauten Verwundeten und Kranken des ändern Heeres die gleichen Verpflichtungen (Art. 59).

Gegen diese Bestimmung war eingewendet worden, dass sie unter Umständen eine der Kriegsparteien begünstigen könne : der Durchzug der Verwundeten und Kränken durch neutrales Gebiet würde die Verbindungslinien der betreffenden Armee erheblich entlasten und dieser den Verkehr mit ihrer Operationsbasis erleichtern. Auch der deutsch-französische Krieg habe gezeigt, wie selten die geographische Lage eines neutralen Staates derart sei, dass aus dem Durchtransport von Kranken und Verwundeten durch neutrales Gebiet beiden Kriegsparteien gleiche Vorteile erwüchsen.

oZur Beschwichtigung dieser Bedenken wurde ins Protokoll der Haager Konferenz (III, 117) folgende erläuternde Erklärung aufgenommen : ,,Cet article n'a d'autre portée que d'établir que des considérations d'humanité et d'hygiène peuvent déterminer un Etat neutre à laisser passer des soldats blessés ou malades à travers son territoire, sans manquer aux devoirs de la neutralité.

,,Il résulte du texte même qu'il aurait éventuellement à prendre la même attitude à l'égard des deux armées belligérantes."

Art. 60 bestimmt endlich, dass die Genfer Konvention auch für die im neutralen Gebiet untergebrachten Kranken und Verwundeten gilt.

Dies der Inhalt des Haager Reglements. Dieses Werk zweier Konferenzen (1874 und 1899) ist schon seiner Lückenhaftigkeit wegen nichts weniger als vollkommen ; aber das Bestreben, die Leiden des Krieges möglichst zu mildern und der militärischen Gewalt Schranken zu setzen, ist darin unverkennbar. Spätem Konferenzen bleibt es vorbehalten, es zu verbessern und zu ergänzen. Will die Schweiz dabei mitwirken, so hat sie vor allem aus dem Haager Abkommen in der durch Art. 4 vorgeschriebenen Form beizutreten.

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Wir beantragen, Sie wollen uns hierzu durch Annahme des nachstehenden Beschlussesentwurfes ermächtigen.

B e r n , den 12. März 1907.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t : Müller.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Bingier.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend den Beitritt der Schweiz zur Haager Konvention über die Gesetze und Gebräuche des Landkrieges vom 29. Juli 1899. (Vom 12. März 1907.)

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