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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über die Beschwerde des Arnold Schmid in Niederwil und des Samuel Bloch in Zürich gegen den Entscheid des Bundesrates vom 17. Dezember 1906 betreffend Verweigerung eines Wirtschaftspatents.

(Vom 26. April 1907.)

Tit.

Mit Eingabe vom 3. Mai 1906 hat sich Arnold Schmid in Niederwil beim Bundesrat über den Beschluss des Regierungsrats des Kantons Aargau vom 24. Februar 1906 beschwert, durch den ihm die Erteilung eines Wirtschaftspatents verweigert worden war. Der Bundesrat hat diese Beschwerde am 17. Dezember 1906 abgewiesen mit der Begründung, dass, bei dem Mangel besonderer Vorschriften betreffend Patentübertragungen im aargauischen Wirtschaftsgesetz, das Patentgesuch des Rekurrenten ebenso habe behandelt werden müssen, wie ein Gesuch um Eröffnung einer neuen Wirtschaft; insbesondere sei die Regierung berechtigt gewesen, dem Gesuch des Rekurrenten gegenüber die ßedürfnisfrage aufzuwerfen, und sie habe das Bedürfnis mit Grund und ohne Verletzung der Rechtsgleichheit verneinen können.

Gegen diesen durch die Bundeskanzlei am 19. Dezember 1906 an den Rekurrenten abgesandten Entscheid des Bundesrats haben Samuel Bloch in Zürich, der Eigentümer des Hauses, in dem die Wirtschaft betrieben werden sollte, und Arnold Schmid den Rekurs an die Bundesversammlung ergriffen. Ihre Eingabe

209 datiert vom 16. Februar, sie ist am 20. Februar der Post übergeben worden und am 21. Februar im Bundeshaus eingetroffen.

Die Rekurrenten stellen das Begehren, die aargauische Regierung sei in Aufhebung des bundesrällichen Entscheids zu verhalten, das Patent für die bis am 16. Januar von Karl Moser betriebene Speisewirtschaft in Niederwil auf Schmid zu übertragen.

Aus der Begründung des Begehrens ist folgendes hervorzuheben : Entgegen der Annahme des Bundesrate mache das aargauische Wirtschaftsgesetz einen Unterschied zwischen der Bewilligung neuer Wirtschaften und der Patenterneuerung für schon bestehende Wirtschaften. Denn nach § 12, Absatz l und 2, könne die Erteilung neuer Patente vom Bedürfnis abhängig gemacht werden, während nach § 12, Absatz 3, die Erneuerung bereits bestehender Wirtschaftspatente nur verweigert werden könne, wenn nachgewiesen sei, dass durch die Patenterneuerung das öffentliche Wohl gefährdet werde. Hätte die Bedürfnisklausel auch auf bestehende Wirtschuften angewendet werden sollen, so wäre AbsaU 3 des § 12 überflüssig gewesen. Bei Patenterneuerungen könne also die Bedürfnisfrage nicht aufgeworfen werden und ebensowenig bei Patentübertrag'ungen.

Dass übrigens der aargauische Gesetzgeber einen Unterschied zwischen der Neuerteilung eines Patents und der Patentübertragung habe machen wollen, gehe auch daraus hervor, dass unter lit. B des vom Grossen Rat am 21. November 1905 aufgestellten Tarifs betreffend die Gebühren in Wirtschaftssachen eine besondere Gebühr für die Übertragung konzedierter Wirtschaften auf eine andere Person festgesetzt worden sei. Die Anwendung des Bedürfnisartikels auf die vom Rekurrenten verlangte Patentübertragung widerspreche also dem Gesetz und damit auch dem Art. 31 der Bundesverfassung. Übrigens verfahre man im Aargau in andern ähnlichen Fällen nicht so rigoros, wie gegenüber dem Rekurrenten, wie sich aus den Akten der Wirtschaft Schneider in Dottikun, Koch in Villmergen, Hartmann zur Sonne in Bremgarten, Müller in Anglikon, Rubli in Lenzburg und Hirschen in Bremgarten ergebe. Auch die Rechtsgleichheit sei somit gegenüber dem Rekurrenten verletzt worden.

II.

In seiner Antwort vom 28. März/l. April 1907 auf die Beschwerde an die Bundesversammlung weist der Regierungsrat Bundealilatt. 59. Jahrg. Bd. III.

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des Kantons Aargau zunächst darauf hin, dass die Beschwerdeverspätet sein dürfte. Der Rekurrent behaupte zwar, er habe den bundesrätlichen Entscheid erst am 22. Dezember 1906 erhalten. Allein es sei kaum glaublich, dass der am 19. Dezemberder Post übergebene Entscheid 3--4 Tage gebraucht habe, um nach Niederwil zu gelangen, während die am 20. Februar 1907 der Post übergebene Beschwerde am 21. Februar im Bundeshaus angelangt sei. Es sei also anzunehmen, dass die GOtägige Rekursfrist am 18. oder 19. Februar abgelaufen und die Beschwerde somit zu spät eingereicht worden sei.

In der Sache selbst beantragt der Regierungsrat Abweisung der Beschwerde. Er hält an seinem in den frühern Rechtsschriften geltend gemachten Standpunkt fest, dass Gesuche um Patentübertragung, wie das des Rekurrenten, in gleicher Weise zu behandeln seien wie neue Patentgesuche, dass auf sie also ebenfalls die Bedürfnisklausel anzuwenden sei. Durch dieses Vorgehen hoffe man den verderblichen Handel mit Patenten im Kanton Aargau zu verhindern. Gerade der vorliegende Fall gehöre in diese Kategorie; denn es sei klar, dass der Liegenschaftsagent Bloch in Zürich sich nur deshalb um die Erlangung des Patents bemühe, weil er dann sein Haus teurer zu verkaufen hoffe. In Niederwil bestehen so viel Wirtschaften, dass das öffentliche Wohl gefährdet und somit die Unterdrückung der früher von Karl Moser betriebenen Wirtschaft vollauf gerechtfertigt sei. .Die Abweisung des Patentgesuchs des Rekurrenten stehe also nicht im Widerspruch mit Art. 31 der Bundesverfassung und eine Verletzung der Rechtsgleichheit habe der Rekurrent nicht nachzuweisen vermocht.

m.

Wir haben dieser Entgegnung nur wenig beizufügen : Vorab ist zu bemerken, dass Samuel Bloch zur Beschwerdeführung nicht legitimiert ist, da er, der sich nicht um das Wirtschaftspatent beworben hat, durch den angefochtenen Entscheid in seinem Recht auf freie Handels- und Gewerbeausübung nicht verletzt worden ist.

Was sodann die Einrede der Verspätung betrifft, so muss sie gutgeheissen werden. Nach der Kontrolle der Bundeskanzlei ist die Ausfertigung des bundesrätlichen Entscheids der Post finden Rekurrenten am 19. Dezember 1906 übergeben worden und es besteht alle Wahrscheinlichkeit dafür, dass Schmid die Sendung bei ordnungsmässiger Zustellung am 20., spätestens am.

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21. Dezember 1906 erhalten hat. Es muss daher angenommen werden, die 60tägige Rekursfrist habe am 21. oder 22. Dezember 1906 begonnen und sei am 18., spätestens am 19. Februar 1907 abgelaufen. Wenn Schmid sich mit Erfolg darauf berufen will, er habe den Entscheid erst nach dem 21. Dezember 1906 erhalten, so hätte er den Nachweis dafür zu leisten, dass sich die Zustellung verzögert habe. Er hat aber keinerlei Anhaltspunkte hierfür geliefert und auch den betreffenden Briefumschlag nicht vorgelegt. Wir beantragen Ihnen, Tit., daher in erster Linie, auf die Beschwerde als auf eine verspätete nicht einzutreten.

Für den Fall aber, dass Sie diesen Antrag nicht gutheissen würden, beantragen wir Ihnen die Abweisung des Rekurses aus folgenden Gründen : " Die Argumentation des Rekurrenten, sein Gesuch dürfe nicht wegen mangelnden Bedürfnisses, sondern nur wegen Gefährdung des öffentlichen Wohls abgewiesen werden, ist unhaltbar.

Der Bundesrat hat in konstanter Praxis die Auffassung vertreten, dass, wenn einmal für eine Wirtschaft kein Bedürfnis bestehe,, damit auch festgestellt sei, dass sie das öffentliche Wohl gefährde.

Es macht also rechtlich im vorliegenden Fall keinen Unterschied,.

ob das Patent wegen mangelnden Bedürfnisses oder wegen Gefährdung des öffentlichen Wohls verweigert worden ist. Übrigens; ergibt sich aus dem Verhältnis der Einwohnerzahl zur Zahl der Wirtschaften in Niederwi], dass das Eingehen einer Wirtschaft vom Standpunkt des öffentlichen Wohls aus sehr zu begrüssen ist, ihr Fortbestand durch Gutheissung der Beschwerde des ßekurrenten Schmid daher dem öffentlichen Wohl widerspricht.

Mit dem Tarif betreffend die Gebühren in Wirtsehaftssachen kann die These des Rekurrenten ebensowenig bewiesen werden.

Denn wenn dieser Tarif eine besondere Gebühr für die Übertragung eines bestehenden Wirtschaftspatents im Gegensatz zur Gebühr für die Erteilung neuer Patente aufstellt, so bezieht sich dies eben auf die im Gesetz ausnahmsweise vorgesehenen Übertragungen, nämlich auf die Fälle des § 9 des Wirtschaftsgesetzes, durch den die Finanzdirektion ermächtigt wird beim Hinscheid oder Konkurs eines Patentinhabers die Wirtschaft auf ein Mitglied der Familie oder den Massaverwalter zu übertragen. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Aber selbst wenn die geringere Gebühr auch auf Fälle wie den vorliegenden anzuwenden wäre, so will das nicht heissen, die Voraussetzungen für die Übertragung eines Patentes müssen auch andere und leichtere sein

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als für die Erteilung neuer Patente, sondern eben nur, dass, wenn eine Übertragung bewilligt wird, dafür eine geringere Gebühr zu entrichten ist. Dem von der kantonalen Regierung verfochtenen und vom Bundesrat akzeptierten Grundsatz, dass die Übertragung der Neuerteilung rechtlich gleichzustellen sei, widerspricht dies nicht.

Der Rekurrent hat endlich noch einige bisher in den Akten nicht erwähnte Fälle namhaft gemacht, in welchen die Regierung anders verfahren sein soll als ihm gegenüber. Nähere Angaben darüber, inwiefern anders verfahren worden wäre, fehlen. Der Beweis einer durch die Patentverweigerung dem Rekurrenten gegenüber begangenen Verletzung der Rechtsgleichheit ist also in keiner Weise erbracht.

Indem wir im übrigen auf die Ausführungen unseres angefochtenen Entscheids verweisen, stellen wir Ihnen, Tit., den A n t r ag:

Die Beschwerde sei als unbegründet abzuweisen.

B e r n , den 26. April 1907.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Müller.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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Beilage.

Bundesratsbeschluss über

die Beschwerde des Herrn Arnold Schmid in Niederwil betreffend Verweigerung eines Wirtschaftspatentes.

(Vom 17. Dezember 1906.)

Der s c h w e i z e r i s c h e B u n d e s r a t

hat über die Beschwerde des Herrn Arnold S c h m i d in Nieder wil betreffend Verweigerung' eines Wirtschaftspatentes, auf den Bericht seines Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluss gefasst:

A.

In tatsächlicher Beziehung wird festgestellt:

I.

Mit Beschluss vom 24. Februar 1906 hat der Regierungsrat des Kantons Aargau das Gesuch des Herrn Arnold Schmid in Niederwil vom 16. Januar 1906, es möchte die bisher von Karl Moser in Niederwil betriebene Speisewirtschaft auf ihn übertragen werden, abgewiesen. Der Entscheid stellte fest, dass es sich gar nicht um die Übertragung eines Patentes handle ; denn der bisherige Patentinhaber, Karl Moser, habe am 15. Januar 1906 den Wirtschaftsbetrieb eingestellt und sei weggezogen, womit sein Wirtsrecht erloschen sei. , Arnold Schmid aber habe sich erst am 16. Januar 1906 bei der Finanzdirektion persönlich nach der

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Übertragung erkundigt. Der Wirtschaftsbetrieb sei also unterbrochen worden, was die Patentübertragung ausschliesse. Ausserdem befinden sich die Wirtschaftsräume in verwahrlostem Zustande.

Über diesen, ihm am 5. März 1906 zugestellten Entscheid beschwert sich Arnold Schmid mit Eingabe vom 3. Mai 1906 beim Bundesrat und verlangt dessen Aufhebung. Er führt aus : Die Bundesverfassung gestattet Einschränkungen der Handels- und Gewerbefreiheit nur, wenn sie durch das öffentliche Wohl gerechtfertigt sind. Der angefochtene Entscheid stützt sich nicht auf Erfordernisse des öffentlichen Wohls. Der mangelhafte Zustand der Lokale kann nicht geltend gemacht werden, da das Patent für s/e vor zwei Jahren auf weitere rier Jahre erneuert worden ist. Der Rekurrent ist übrigens bereit, diesem Mangel sofort abzuhelfen.

Von einem Verzicht auf das Patent kann nicht die Rede sein ; Moser yerliess die "Wirtschaft am 16. Januar 1906, und gleichen Tags holte der Rekurrent bei der Finanzdirektion Weisungen wegen des Fortbetriebes der Wirtschaft ein. Die Patentgebühren waren schon vorher von den Hauseigentümern für das Jahr 1906 bezahlt und von den staatlichen Organen einkassiert worden, die also wissen mussten, dass keiner der Beteiligten an einen Verzicht auf das Patent dachte. Der Wegzug Mosers erfolgte so unerwartet, dass die Hauseigentümer vor dem 16. Januar gar nicht für einen Nachfolger Mosers sorgen konnten. Dass der Kekurreut auf Anraten der Finanzdirektion mit der Aufnahme des Wirtschaftsbetriebes zuwartete bis zur formellen Patenterteilung, kann ihm nicht als Verzicht ausgelegt werden.

Keiner der gesetzlichen Gründe, aus denen der Fortbetrieb einer bestehenden Wirtschaft untersagt werden kann, trifft ina vorliegenden Falle zu, und der Rekurrent beansprucht deshalb, genau so behandelt zu werden, wie jeder andere, der während der Patentdauer eine Wirtschaft übernimmt.

II.

Der Regierungsrat des Kantons Aargau beantragt in seiner Antwort vom 27. Mai 1906 Abweisung der Besehwerde mit folgender Begründung: Gemäss §§ 6 bis 11 des aargauischen Wirtschaftsgesetzes kann das Patent nur dann auf einen neuen Eigentümer oder Mieter der Wirtschaft übertragen werden, wenn sein Gesuch während

215 'der Dauer des Wirtschaftsbetriebes, versehen mit den nötigen Ausweisen, gestellt und erledigt wird. Stellt aber der Patentinhaber den Betrieb vorher ein, so erlischt die Konzession gemäss § 16 & des Gesetzes, und der neue Wirtschaftsbewerber muss gemäss §§11 bis 14 des Gesetzes um eine neue Konzession einkommen. Die Konzession von Karl Moser erlosch, als er am Abend des 15. Januar den Wirtschaftsbetrieb einstellte. Das Gesuch, welches Schmid am 16. Januar einreichte, musste demnach von vornherein als Gesuch um ein neues Patent behandelt werden.

Die Entrichtung der Patentgebühr für das Jahr 1906 ändert an dieser Sachlage nichts. Die Abgabe war am 1. Januar für das ganze Jahr fällig. Die Nichtbewilligung der Patentübertragung hat einzig die Folge, dass diese Gebühr im Verhältnis zu der Zeit, in welcher das Patent nicht ausgebeutet wird, zurückbezahlt werden muss.

Das Gesuch des Rekurrenten vom 16. Januar 1906 konnte an diesem Tage nicht erledigt werden, weil die Gutachten des Gemeinderates und des Bezirksamtes fehlten. Sie langten erst am 22. Januar ein. Der Gemeinderat beantragte Abweisung des Gesuches, das Bezirksamt empfahl es nur deshalb, weil das Gebäude durch die Verweigerung des Patentes bedeutend entwertet würde. Dieser Grund könne nach aargauis'chem Recht nicht in Betracht fallen, da das Patent nur ein ganz persönliches Recht gewährt.

Der Rekurrent ist übrigens inzwischen der Aufforderung der Finanzdirektion nachgekommen, indem er am 8. Mai ein neues Patentgesuch einreichte. Gestützt hierauf kann die vorliegende Beschwerde eigentlich als gegenstandslos betrachtet werden. Jedenfalls zeigt dieses Vorgehen des Rekurrenten, dass er sich von der Beschwerde keinen Erfolg verspricht.

III.

Mit Schreiben vom 1. Juni 1906 fragte das schweizerische Justiz- und Polizeidepartement den Beschwerdeführer an, ob er seine Beschwerde, trotzdem er der aargauischen Finanzdirektion ein neues .Patentgesuch eingereicht habe, aufrecht erhalte oder sie als gegenstandslos geworden betrachte. In seiner Antwort vom 6. Juni 1906 stellte Schmid das Gesuch, es sei die Beurteilung der Beschwerde bis zum Entscheide über sein neues Patentgesuch zu sistieren. Diesem Begehren wurde entsprochen.

21ü IV.

Am 18. August 1906 wies die aargauische Finanzdirektiore das neue Gesuch Schmids ab, trotzdem sich der Gemeinderat in seinem Gutachten mit Stimmenmehrheit zu gunsten des Gesuches äusserte. Die Finanzdirektion verneinte die Bedürfnisfrage, da in Niederwil bei 800 Einwohnern schon 5 Wirtschaften bestehen. Das neue Gutachten des Gemeinderates, so führt die Finanzdirektion aus, kann nicht berücksichtigt werden, da sich die Verhältnisse in Niederwil in den letzten sechs Monaten nicht so verändert hahen, dass jetzt das Bedürfnis nach einer weitern Wirtschaft bejaht werden müsste, nachdem es vor einem halhen Jahr entschieden verneint worden war. Das Bezirksamt hielt in seinem Gutachten an seinem frühern Standpunkte fest.

V.

Mit Schreiben vom 8. September 1906 verlangte Schmid nunmehr Beurteilung seiner Beschwerde und führte in einer, auch vom Eigentümer des Wirtschaftsgebäudes unterschriebenen Vernehmlassung vom 22. September 1906 noch folgendes aus: Der Rekurrent hat sein neues Patentgesuch nur in der Hoffnung eingereicht, dass die ganze Angelegenheit auf diesem Wege rascher zu seinen Gunsten erledigt werde. Er hat damit nicht auf die Beurteilung seiner Beschwerde durch den Bundesrat verzichtet.

Der Entscheid des Regierungsrates üher das Gesuch um Übertragung des Wirtsrechts ist ungesetzlich, weil er den Bedürfnisartikel auch auf Patentübertragungen anwendet, der doch nur für die Eröffnung neuer Wirtschaften gilt.

Nicht nur der Gemeinderat von Niederwil, sondern auch die kantonale Patentbehörde hat noch im Jahre 1906 anerkannt, dass für die sämtlichen Wirtschaften in Niederwil, einschliesslich derjenigen, die der Rekurrent jetzt fortführen möchte, ein Bedürfnis besteht ; denn sie hat noch innert den letzten drei Jahren zwei neue Tavernenwirtschaften bewilligt, eine sogar noch im Jahre 1906.

VI.

In seinen beiden weiteren Vernehmlassungen vom 9. Oktober und 9. November 1906 hält der Regierungsrat an seinem Standpunkte fest und fügt hinzu : Die Behauptung, in den letzten drei Jahren seien in Niederwil zwei neue Tavernenwirtschaften

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bewilligt worden, ist nicht richtig. Neue "Wirtschaften sind m Niederwil seit 1893 keine patentiert worden. Die zwei vom Rekurrenten erwähnten Wirtschaften bestanden schon lange, die eine seit 1881, die andere seit 1893. Dagegen habe sich allerdings wegen des regen Vereinslebens das Bedürfnis nach einer Vermehrung der Tavernenwirtschaften, in welchen allein Tanzunterhaltungen stattfinden und Gäste beherhergt werden dürfen, geltend gemacht. Deshalb sei denn auch im Jahre 1904 und 1906 je eine der mit geeigneten Lokalitäten ausgerüsteten Speisewirtschaften Niederwils auf Begehren hin in eine Tavernenwirtschaft \imgewandelt worden.

VII.

Mit Schreiben vom 28. November 1906 ersuchte das schweizerische Justiz- und Polizeidepartement den Regierungsrat des Kantons Aargau um Einsendung der beiden, vom Gemeinderat Niederwil in dieser Angelegenheit abgegebenen Gutachten, sowie um Beantwortung der Frage, ob sich im Kanton Aargau für die Übertragung eines Wirtschaftspatentes von Person zu Person eine besondere Praxis ausgebildet habe und inwiefern sich das Verfahren hierbei von demjenigen bei Neuerteilung eines Patentes unterscheide. Die Antwort des Regieruugsrates vom 4./10. Dezember 1906 lautete dahin, eine solche Übertragung sei nach dem aargauischen Wirtschaftsgesetze unmöglich. Ein Übertragungsgesuch werde deshalb in der Praxis genau so behandelt, wie ein neues Patentgesuch, namentlich auch hinsichtlich der Bedürfnisfrage.

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht: Das aargauische Wirtschaftsgesetz vom 2. März 1903 enthält, abgesehen von den im vorliegenden Falle nicht anwendbaren Bestimmungen der §§ 9 und 15, Absatz l, keine Vorschriften über die Übertragung eines Wirtschaftspatentes, und der Rekurrent hat auch nicht nachgewiesen, dass sich für die Behandlung von Patentübertragungsgesuchen eine besondere, von den Vorschriften des Wirtschaftsgesetzes abweichende Praxis herausgebildet habe. Das vom Rekurrenten gestellte Begehren, es sei das bis zum 15. Januar 1906 von Karl Moser ausgeübte Wirtsrecht auf ihn zu übertragen, musste daher von vorneherein in gleicher Weise behandelt werden wie ein neues Patentgesuch. Insbe-

218 sondere ist der ßegierungsrat berechtigt, auch bei Behandlung solcher Gesuche auf die Bedürfnisfrage abzustellen. Unter diesen Umständen erscheint die Abweisung des Patentgesuches des Rekurrenten durchaus gerechtfertigt.

Das aargauische Wirtschaftsgesetz sagt in § 12, Absatz 2, dass die Bedürfnisfrage, besondere örtliche Verhältnisse vorbehalten, grundsätzlich überall da zu verneinen sei, wo auf 250 Einwohner eine Wirtschaft bereits bestehe. Da nun in Niederwil mit 800 Einwohnern 5 Wirtschaften existieren, also schon auf 160 Einwohner eine Wirtschaft kommt, und da auch der Rekurrent keine besondern örtlichen Verhältnisse namhaft macht, die eine Abweichung von der Regel rechtfertigen würden, so musste sein Gesuch auf Grund des Bedürfnisartikels abgewiesen werden. Es ist dem Rekurrenten nicht gelungen, nachzuweisen, dass die Patentverweigerung ihm gegenüber willkürlich sei, oder sonstwie die Rechtsgleichheit verletze ; denn in den beiden, von ihm zum Beweise angeführten Fällen handelte es sich nicht um die Bewilligung neuer Wirtschaften, sondern um die einem wirklichen Bedürfnisse entsprechende Verwandlung längst bestehender gewöhnlicher Wirtschaften in Tavernenwirtschaften.

D e m g e m ä s s wird e r k a n n t : Die Beschwerde wird abgewiesen.

B e r n , den 17. Dezember 1906.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der

Bundespräsident: L. Forrer.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft :

Ringier.

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