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Schweizerisches Bundesblatt.

59. Jahrgang. IV.

Nr. 31.

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17. Juli 1907.

Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über das Entschädigungsbegehren des Ernst Meister, Kernmacher, in Wangen bei Dübendorf (Zürich) vom 23. Mai 1907.

(Vom

9. Juli 1907.)

Tit.

Im Namen des gewesenen Trainrekruten Meister, Ernst, geboren 1885, in Wangen bei Dübendorf, rekurrieren die Anwälte Dr. R. Lang und Dr. M. Thalberg in Zürich an die Bundesversammlung gegen eine Verfügung des Bundesrates vom 2. April 1907, durch welche das von Ernst Meister an die eidgenössische Militärversicherung erhobene Entschädigungsbegehren abgelehnt worden ist.

Über die m a t e r i e l l e S e i t e des vorliegenden Falles ist folgendes zu berichten.

Meister, Ernst, rückte am 27. Oktober 1905 als Rekrut in die Armeetrainrekrutenschule in Frauenfeld ein. Bei der sanitarischen Eintrittsmusterung meldete er sich nicht als krank, dagegen suchte er schon am 1. November 1905, dem fünften Diensttage, den Platzarzt auf, klagend über Schmerzen in der Kreuzbeingegend, die nach anstrengenden Bewegungen auftraten.

Da objektiv nicht viel bei ihm zu finden war, wurde die Diagnose auf Lumbago gestellt, Bettruhe angeordnet und ein Jodanstrich gemacht; am 3. November war Meister wieder so weit hergestellt, dass man ihn zur Truppe zurückkehren Hess. Diese Besserung seines Zustandes dauerte aber nur kurze Zeit. Als Bundesblatt. 59. Jahrg. Bd. IV.

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608 man ihn nach einigen Tagen Reitdispens wieder reiten liess, erschien er am 7. November mit denselben Klagen über Schmerzen in der Lumbaigegend nochmals im Krankenzimmer, und da am folgenden Tage, dem 8. November 1905, die vom Arzte angeordneten Einreibungen keinen Erfolg darboten, wurde seine Evakuation in das Krankenhaus in Frauenfeld verfügt. Hier trat Meister in die Behandlung von Dr. Haffter, eines anerkannt tüchtigen Arztes, der in der ersten Zeit, die Meister im Spital zubrachte, hohes Fieber, irradiierende Schmerzen, Gürtelgefühl u. s. w. bei ihm fand und das Vorhandensein einer spinalen Meningitis bei ihm vermutete. Nach einigen Wochen ging es dem Patienten besser, dann traten abwechselnd Rückfälle und neue Besserung bei ihm ein. Dies dauerte mehrere Monate lang, da schrieb Dr. Haffter am 9. August 1906 der eidgenössischen Militärversicherung, dass er eine bestimmte Diagnose bei dem Patienten nicht stellen könne; dieser habe angegeben, dass er beim Besteigen eines etwas hohen Pferdes einen sehr heftigen Schmerz in der Mitte der Lendenwirbelsäule empfunden hätte und so sei ihm, dem Arzte, der Gedanke an eine Spinalblutung mit sekundärer Infektion gekommen. Als Dr. Haffter einen Monat später der Militärversicherung gegenüber den Wunsch äusserte, dass der momentan in bedeutend gebessertem Zustand sich befindende Patient in irgend eine Wasser- oder Heilanstalt verbracht werden möchte, trat der Oberfeldarzt in Beziehungen zu Dr.

C. Meyer-Hürlimann in Zürich, und am 24. September 1906 wurde Meister diesem Arzte im Krankenasyl Neumünster in Zürich, zur weitern Behandlung übergeben. Dr. Meyer zog noch Dr. Wilhelm Schulthess, Privatdozent und Chefarzt am Krankenasyl Neumünster, zur Untersuchung des Kranken bei, und da auch diesen beiden Ärzten die Diagnosestellung zuerst Schwierigkeiten bereitete, wurden Röntgenstrahlen angewendet, um über Meisters Leiden ins Klare zu kommen. Dieser Teil der Untersuchung wurde vorgenommen durch Dr. Gustav Bär in Zürich, der über eine ausserordentlich grosse Erfahrung verfügt, und es stellte sich nun mit absoluter Sicherheit heraus, dass Meister an einer tuberkulösen Erkrankung der Zwischenwirbelscheibe zwischen dem 10. und 11. Brustwirbel mit intrathoracischem, retrocardialem Senkungsabszess litt.

Mit dieser bestimmten Diagnose eröffnete sich aber für den
Oberfeldarzt die Frage, ob Meister ein Anrecht auf Leistungen seitens der Militär Versicherung zukomme, da ein Zusammenhang zwischen seinem Leiden und dem von ihm geleisteten Mi-

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litärdienst nun äusserst zweifelhaft erschien. Drk Meyer-Hürlimann, der aufgefordert wurde, seine Meinung in dieser Frage abzugeben, äusserte sich dahin, dass Meister aller "Wahrscheinlichkeit 'nach mit einer Spondylitis und einem von dieser Wirbelerkrankung ausgehenden Senkungsabszess in den Dienst eingerückt sei, und dass von einem infolge eines Traumas aufgetretenen frischen Entzündungsprozess nicht die Rede sein könne, weil überhaupt kein Trauma vorgelegen habe. Als solches könne jedenfalls das ruhige Besteigen eines etwas hohen Pferdes nicht gelten und der Schmerz sei damals auch kein grosser gewesen, da Meister sofort nachher noch zwei Stunden reiten konnte. Meister sei übrigens erblich belastet, denn eine Schwester von ihm habe nach einem Fall Jahre lang am Rücken gelitten, einen Buckel gehabt und sei, nachdem sie lange Zeit in elendem Zustand gewesen, im 15. Altersjahre gestorben.

Der Oberfeldarzt teilte die Auffassung von Dr. Meyer in allen Teilen; auch ihm schien es vollkommen undenkbar, dass Meister eine tuberkulöse Spondylitis in den wenigen Tagen, die er im Militärdienst zugebracht hatte, hätte erwerben können. Es war zu gunsten Meisters höchstens anzunehmen, dass der bei ihm bestehende Prozess sich im Dienste etwas früher bemerkbar machte, als dies zu Hause geschehen wäre ; aber der weitere Verlauf würde doch derselbe gewesen sein.

Unter diesen Umständen musste auf den Rekurrenten der Art. 8 des Militärversicherungsgesetzes angewendet werden, laut welcher Bestimmung er überhaupt keinen Anspruch auf Leistungen von Seiten der Militär Versicherung hatte, und es wurden nun vorerst vom 31. August 1906 hinweg die Auszahlungen des Krankengeldes an Meister eingestellt Am 11. Dezember Ì906 verliess er, mit einem Stützkorset versehen, den Spital, um zu Hause leichtere Arbeit aufzunehmen. Eine weitere Entschädigung wurde ihm von da an nicht mehr ausgerichtet.

Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich, dass die Krankheit, wegen deren Meister aus der Rekrutenschule in den Spital verbracht wurde, nicht erst im Militärdienst entstanden ist, s o n d e r n s c h o n v o r h e r e x i s t i e r t hat. Diese Anschauung des Oberfeldarztes, die er mit Dr. Meyer teilte, ist auch diejenige von Prof. Dr. Kocher in Bern und von Dr. Armin Huber in Zürich, der beiden ärztlichen Mitglieder der eidgenössischen
Pensionskommission, die, wie wir später noch sehen werden, übereinstimmend sich dahin äusserten, dass Meister ohne Zweifel bereits mit einem Senkungsabszess

610 in die Rekrutenschule eingerückt sei. Hieraus folgt wiederum, dass nach Art. 8, Alinea l, des Militärversicherungsgesetzes, das lautet : ,,Derjenige, welcher bei Beginn der Versicherungsdauer bereits krank ist, besitzt keinen Anspruch auf Leistungen seitens der Militärversicherung" dem Rekurrenten Meister schon vom Beginn seiner Spitalbehandlung hinweg kein Krankengeld hätte ausbezahlt werden sollen, und dass, wenn er mehr als ein Jahr lang auf Kosten des Bundes verpflegt worden ist, solches geschah, ohne dass eine Verpflichtung hierzu vorgelegen hätte. Denn wenn man auch annehmen wollte, dass bei dem schon bestehenden Senkungsabszess das Reiten eine spinale Eeizung hervorgerufen hätte, so würde nach dem klaren Wortlaut der zitierten Gesetzesbestimmung kein Anrecht von Meister auf irgendwelche Leistungen des Bundes hieraus entstanden sein.

D e r R e k u r s v o n B . M e i s t e r i s t also m a t e r i e l l vollständig unbegründet.

In f o r m e l l e r B e z i e h u n g stellt sich der Rekurs nicht besser.

Als der Oberfeldarzt am 16. Oktober entschieden hatte, dass dem Rekurrenten vom 1. September 1906 hinweg kein Krankengeld mehr ausgerichtet werden sollte, reichten Dr. R. Lang und Dr. M. Thalberg, in Zürich, im Namen von Meister am 5. November 1906 dem Bundesrat einen Rekurs gegen diese Verfügung ein, in dem sie für Meister zugleich das Krankengeld und ferner eine jährliche Pension von Fr. 700 verlangten, die bei dem damaligen Stand der Angelegenheit gar nicht in Frage kommen konnte. In offenbarer Unkenntnis von der Existenz des Militärversicherungsgesetzes hatten sie sich bei der Abfassung des Kekurses auf das Bundesgesetz über Militärpensionen und Entschädigungen vom 13. Wintermonat 1874 gestützt und deshalb die in Art. 22 des Militärversicherungsgesetzes gegebene erste Rekursinstanz, das eidgenössische Militärdepartement, kurzerhand übergangen, sowie die vom genannten Gesetzesartikel bestimmte Rekursfrist nicht eingehalten. Der Bundesrat beantwortete den Rekurs in ablehnendem Sinne, indem er auf Art. 8 des Militärversicherungsgesetzes und die vordienstliche Existenz von Meisters Leiden sich stützte, worauf Dr. R. Lang und Dr. M. Thalberg am 22. Januar 1907 einen Rekurs an die Bundesversammlung einreichten, in welchem sie den Versuch machten, gestützt auf einige formelle Beschwerden die materielle Seite des Falles von der Bundesversammlung entscheiden zu lassen.

611 Inzwischen war Meister, wie oben erwähnt, aus dem Spital entlassen worden, und es handelte sich jetzt nicht mehr nur um die Frage, ob ihm das Krankengeld noch weiter hätte ausbezahlt werden sollen, sondern es kam auch noch die Frage in Betracht, ob er eventuell auf eine Pension Anspruch erheben könnte. In Würdigung dieses Umstandes und um nichts zu unterlassen, das zur vollständigen Aufklärung des Falles dienen konnte, schrieb nun der Bundesrat den erwähnten Anwälten am 18. Februar 1907, unter eingehender Motivierung, dass zwar alle die formellen Gründe, mit denen sie ihren Rekurs an die Bundesversammlung stützten, ohne Ausnahme hinfällig seien und nur die materielle Seite der Frage, die vom Bundesrat in letzter Instanz zu entscheiden sei, in Betracht kommen könne ; trotzdem sei der Bundesrat bereit, die Frage, ob ihrem Klienten ein Pensionsanspruch zukomme, von der eidgenössischen Pensionskommission begutachten zu lassen, da infolge des inzwischen eingetretenen Austrittes des Rekurrenten aus der Bundespflege eine Überprüfung der Angelegenheit gerechtfertigt erscheine. Es möge daher der Rekurrent seine Beschwerde an die Bundesversammlung zurückziehen, um zu ermöglichen, dass die Ansicht der Pensionskommission über die Berechtigung seiner Entschädigungsansprüche eingeholt werde.

Am 26. Februar 1907 zogen die Anwälte Lang und Thalberg ihre erste Eingabe an die Bundesversammlung zurück und am 22. März 1907 wurden die Entschädigungsaasprüche von E. Meister durch die eidgenössische Pensionskommission geprüft. Diese wies sie nach den schon erwähnten Voten von Professor Dr.

Kocher und Dr. Armin Huber einstimmig ab und der Bundesrat pflichtete in seiner Sitzung vom 2. April 1907 diesem Entscheide bei.

Die Anwälte Dr. Lang und Dr. Thalberg konnten sich aber mit diesem Ausgang der Sache nicht befreunden und reichten der Bundesversammlung gegen den Beschluss des Bundesrates vom 2. April 1907 den vorliegenden Rekurs ein, dessen materielle Unhaltbarkeit wir schon oben dargetan haben. Es bleibt uns also nur noch übrig, darauf hinzuweisen, dass der Rekurs auch f o r m e l l unzulässig ist. Dass der von dem Rekurrenten angeführte Art. 189, Absatz 2, des Bundesgesetzes betreffend die Organisation derBundesrechtspflegegegenüber dem Art. 39, Alinea 5, des Militärversicherungsgesetzes, laut welch' letzterm g e g e n die Entscheidungen des Bundesrates in Pensionsa n g e l e g e n h e i t e n j e d e W e i t e r z i e h u n g ausgeschlos-

612 s en ist, nicht in Anwendung kommen kann, bedarf keiner weitern Erklärung.

Wir beantragen Ihnen daher, auf den Rekurs von E. Meister in Wangen bei Dübendorf, weil die Bundesversammlung nicht zuständig, und eventuell, weil der Rekurs auch materiell unbegründet ist, nicht einzutreten.

B e r n , den 9. Juli 1907.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Müller.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Bingier.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über das Entschädigungsbegehren des Ernst Meister, Kernmacher, in Wangen bei Dübendorf (Zürich) vom 23. Mai 1907. (Vom 9.

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