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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend den Rekurs der Geschwister Suremann und Konsorten in Mönchaltorf an die Bundesversammlung.

(Tom 28. März 1924.)

Gestützt auf Art. 192 des Bundesgesetzes Über die Organisation der Bundesrechtspflege erhob Rechtsanwalt Gossweiler in Zürich im Namen der Geschwister Suremann und Konsorten in Mönchaltorf (Kt. Zürich) am 17, September 1923 Beschwerde an die schweizerische Bundesversammlung gegen einen Entscheid des Bundesrates vom 18. Juli 1923, der sich mit der Frage der Expropriation eines Schieggplatzes in der Gemeinde Mönchaltorf befasste. Der Beschwerdeführer stellt den Antrag, es sei der am 18. Juli 1923 in dieser Angelegenheit getroffene bundesrätliche Entscheid aufzuheben und die gegen den Entscheid des Regierungsrates des Kantons Zürich vom 29. März 1923 erhobene Beschwerde gutzuheissen.

Der Sachverhalt ist folgender ; 1. Auf Veranlassung der zürcherischen Militärdirektion beschloss der Gemeinderat von Mönchaltorf die Erstellung einer neuen Schiessanlage nach einem bestimmten Projekt, wofür die Gemeinde am 4. Juli 1921 den erforderlichen Kredit bewilligte.

Da mit den beteiligten Grundeigentümern keine gütliche Verständigung zustande kam, reichte der Gemeinderat beim Bundesrat ein Gesuch um Erteilung des Expropriationsrechtes ein, zog es aber wieder zurück, nachdem ihm die kantonale Militärdirektion erklärt hatte, dass das Expropriationsverfahren nach dem kantonalen Expropriationsgesetze durchgeführt werden könne. Das

569 Gesuch wurde dann dem Regierungsrat eingegeben, der am 2. September 1921 die öffentliche Bekanntmachung des Projektes und die Ansetzung einer Frist zur Erhebung von Einsprachen verfügte. Solche wurden von den Geschwistern Suremann, Melchior Arzethauser, Frau Lienhard-Suremann als Vertreterin von Emil Suremanns Erben, J. Felber und L. Gotthardi erhoben, die als Grundeigentümer bei dem Projekte beteiligt sind. Sie machten darin in erster Linie geltend, die Expropriation dürfe nur nach Bundesrecht durchgeführt und nur vom Bundesrat bewilligt werden. Der Bezirksrat Uster wies die Einsprache ab. Im gleichen Sinne erkannte am 29. März 1923 der Regierungsrat des Kantons Zürich, indem er gleichzeitig der Gemeinde Mönchaltorf ,,für eine Schiessplatzanlage im Gebiet Ruthenacker nach dem Projekt von Ingenieur Ganz unter Reduktion des Projektes auf 8 Schiessständo und 8 Zugscheiben"1 das Expropriationsrecht erteilte. Zum erwähnten Hauptbeschwerdepunkt wurde im wesentlichen ausgeführt: Nach Art. 31, Ziffer 4, Militärorganisation hätten die Gemeinden die für die Schiessübungen (Art. 124) erforderlichen Sehiessplätze unentgeltlich anzuweisen, und nach Art. "32 Militärorganisation könne der Bundesrat den Gemeinden zum Zwecke der Anlage von Schiessplätzen die Anwendung des Bundesgesetzes über die Verbindlichkeit zur Abtretung von Privatrechten bewilligen. Der Sinn dieses Artikels sei aber nicht, dass Expropriationen iür Schiessplätze nur nach eidgenössischem Expropriationsgesetz erfolgen dürften. Nach der historischen Entwicklung greife er vielmehr nur Platz, wo kantonale Expropriationsgesetze fehlten oder nicht hinreichten. Sonst könne das kantonale Expropriationsverfahren angewendet werden, wie denn die Anlage eines Schiessplatzes auch als öffentliches Unternehmen im Sinne des zürcherisehen Expropriationsgesetzes anzusehen sei.

2. Gegen diesen Entscheid haben die genannten Grundeigentümer staaterechtliche Beschwerde beim Bundesgericht erhoben mit dem Antrag auf Aufhebung desselben und der dadurch der Gemeinde Mönchaltorf erteilten Ermächtigung zur Expropriation für die fragliche Schiessanlage. Ea wird in der Hauptsache geltend gemacht, dass die Anwendung des kantonalen Enteignungsrechtes bei einem Unternehmen, auf das nach Art. 23 Bundesverfassung und nach einschlägigen Bundesgesetzen und Verordnungen das
eidgenössische Abtretungsgesetz anwendbar erklärt sei, einen unbefugten Übergriff der kantonalen Behörden in den Kompetenzkreis der Bundesbehörde darstelle und zugleich eine Verletzung der früher erwähnten Vorschriften der eidgenössischen

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Militärorganisation (Art. 31 und 32), der zugehörigen Verordnung des Buudesrates (Verordnung über das Schiesswesen ausser Dienst vom 26. September 1913, Art. 12), sowie des Art. l des eidgenössischen Äbtretungsgesetzes vom 1. Mai 1850.

Das Bundesgericht ist auf diese Beschwerde am 15. Juni 1923 wegen Unzuständigkeit nicht eingetreten. Das Gericht ging von der Erwägung aus, dass die Frage der Abgrenzung des Geltungsbereiches des kantonalen und eidgenössischen Rechtes, oder der derogatorischen Kraft des Bundesrechtes im Streite liege und dass diese Frage auf Grund von Bestimmungen öffentlichrechtlicher, administrativer Natur zu lösen und vom Bundesrat und von der Bundesversammlung zu beurteilen sei.

3. Im Juni 1923 führte deshalb Advokat Gossweiler Beschwerde beim Bundesrat unter Berufung auf Art. 189 und 190 des Bundesgesetzes Über die Organisation der Bundesrechtspflege und verlangte die Aufhebung des eingangs erwähnten Entscheides des zUrcherischen Regierungsrates. Der Bundesrat hat am 18. Juli 1.923 diesen Rekurs unter Begründung abgewiesen.

4. Gegen diesen Entscheid erhob Rechtsanwalt Gossweiler am 17. September 1923 die eingangs erwähnte Beschwerde an die schweizerische Bundesversammlung.

Die Bundesversammlung ist zur Beurteilung, der Beschwerde zuständig. Nach Art. 189, Absatz 2, des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege sind Beschwerden betreffend die Anwendung der auf Grund der Bundesverfassung erlassenen Buudesgesetze vom Bundesrat und von der Bundesversammlung zu beurteilen.

Die Fragen, ob in Mönchaltorf das Bedürfnis für eine neue Schieseanlage vorhanden sei oder ob sogar eine dringende Notwendigkeit hiefür vorliege und wo eine solche Anlage errichtet werden soll, sind von der Bundesversammlung nicht zu entscheiden. Der Entscheid über die Bedürfnis- und Platzfrage ist gemäss Art. 14 der ,,Verordnung über das Schiesswesen ausser Dienst vom 26. September 19131' den kantonalen Militärbehörden übertragen.

Die von der Bundesversammlung zu entscheidende Streitfrage ist lediglich die, ob in allen den Fällen, wo das eidgenössische' Expropriationsrecht anwendbar ist, es auch angewendet werden muss, mit andern Worten, das Verfahren nach dem kantonalen Rechte ausgeschlossen ist, oder ob es dem Expropriänten anheimgestcllt ist, darüber zu befinden, ob er nach Bundesrecht

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oder nach kantonalem Recht verfahren will, wenn er auf beiden Wegen zum Ziele gelangen kann. Diese Frage ist, wie der Bundesrat in seinem Beschluss vom 1. Juni 1923 in der Beschwerdesache von Fürsprech Rupprecht betreffend die neue Tramlinie nach dem Weissensteinquartier in Bern entschieden hat, im letztgenannten Sinne zu lösen.

Dass der in dieser Beschwerdesache allgemein aufgestellte Grundsatz, wonach der Expropriant nicht gezwungen ist, nach Bundesrecht zu enteignen, jedenfalls in den Fällen der Expropriation von Schiessplätzen, zutreffend ist, ergibt sich ohne weiteres aus der Entstehungsgeschichte von Art. 32 der Militarorganisation. Erstellung und Erweiterung von den gesetzlich vorgeschriebenen Schiessübungen dienenden Schiessplätzen waren ursprünglich nicht als Expropriationsfälle des eidgenössischen Rechtes anerkannt. Zwar hatte schon Art. 225 der Militärorganisation vom 13. November 1874 (Gesetzsammlung, Bd. I, S."257 ff.)

die Gemeinden, in denen die in Art. 81, 104, 139 und 140 Militärorganisation vorgeschriebenen Übungen und Inspektionen abgehalten werden, verpflichtet, die nötigen Plätze in schicklicher Weise unentgeltlich anzuweisen. Indessen standen den Gemeinden von Bundesrechtes wegen die zur Erfüllung dieser Verpflichtung erforderlichen Zwangsmittel nicht zu Gebote, vielmehr mussten sie versuchen, das erforderliche Gelände freihäädig zu erwerben ; gelang ihnen dies nicht, so konnten sie wohl zum kantonalen Enteignungsrechte Zuflucht nehmen, doch bot dieses in vielen Kantonen keine genügende Handhabe. In dem Bestreben, die Gemeinden aus dieser prekären rechtlichen Situation zu befreien, beantragte der Bundesrat der Bundesversammlung am 1. März 1898 (Bundesbl. 1898, I, S. 505 ff.) die Anwendbarkeit des Expropriationsgesetzes auf die Neuanlage und Erweiterung von Schiessplätzen zu beschliessen (vergi. Art. l, Abs. l, Bundesgeeetz vom 1. Mai 1850). Die Bundesversamlung entsprach diesem Antrage und erliess am 22, April 1898 den Bundesbeschluss betreffend die Anwendung des eidgenössischen Expropriationsgesetzes vom 1. Mai 1850 auf die Anlage und Erweiterung von Schiessplätzen in den Gemeinden (Gesetzsammlung, Bd. XVI, S. 709). Die Tragweite dieses Beschlusses geht, wie aus dem vorstehenden, der Botschaft vom 1. März 1898 entnommenen Ausführungen erhellt, keineswegs dahin, die Gemeinden,
die das zur Anlage oder Erweiterung von Schiessplätzen erforderliche Terrain nicht freihändig erwerben können, zu verpflichten, es im Enteignungsverfahren gemäss Bundesgesetz vom 1. Mai 1850 zu erwerben, vielmehr

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will der Beschluss nur dafür Vorsorge treffen, dass die Gemeinden, wenn ein freihändiger Ankauf nicht gelingt und ihnen das kantonale Enteignungsrecht keine genugende Handhabe bietet, nach Bundesrecht enteignen können, um der durch die Militärorganisation begründeten Verpflichtung Genüge zu leisten. Folgerichtig kann aber der Bundesrat keine Gemeinde zwingen, von dem eidgenössischen Expropriationsrechte Gebrauch zu machen, wenn das kantonale Recht die Anlage und Erweiterung von Schiessplätzen als Expropriationsfall anerkennt, worüber die zuständigen kantonalen Behörden zu entscheiden haben. In der Folge ist alsdann der erwähnte Bundesbetfchluss vom 22. April 1898 durch Art, 32 der neuen Militärorganisation ersetzt worden, doch erlitt dadurch seine materielle Tragweite keine Änderung..

80 wird denn auch in der Botschaft zur Militärorganisatiou (BundesbL 1916, I, 8. 795 ff., insbesondere S. 811) ausdrücklich bemerkt, dass Art, 25 des Entwurfes (Art. 32 der geltenden M. 0.) bestehenden Vorschriften entspreche.

Der Rekurrent hebt in seiner Rekursschrift namentlich noch hervor, dass Rechtsunsioherheit und Rechtsungleichheit die Folgen seien, die sich aus der bundesrätlichen Auffassung ergeben müssten, indem die gleichen Streitfragen von den verschiedenen Behörden nach den verschiedenen Gesetzen und Grundsätzen beurteilt würden, sobald kantonales Enteignungsrecht zur Anwendung gelange oder wenn es im freiem Ermessen des Exproprianten liege, die Anwendung von kantonalem oder von eidgenössischem Rechte zu verlangen. In Kantonen wiederum, die überhaupt kein eigenes Expropriationsgesetz hätten, musate dann immer nach eidgenössichom Rechte verfahren werden.

Demgegenüber ist zu bemerken, dass es in der Natur unserer staatlichen Organisation mit ihren 25 souveränen Kantonen und Halbkantonen und ihrer verschieden gestalteten Gesetzgebung und Rechtsprechung liegt, wenn auch auf dem Gebiete des Expropriationswesens von Kanton zu Kanton Verschiedenheiten bestehen, sofern überhaupt Enteignungsgesetee vorhanden sind. Wenn auch diese Gesetze dem Verfahren nach verschieden sein mögen, so stimmen sie doch in ihren Grundsätzen überein. Wo aber die kantonale Gesetzgebung für die Expropriation gar keine oder keine genügende Handhabe bietet, müssen den Gemeinden die zur Erfüllung ihrer Verpflichtung notwendigen Zwangsmittel zur Verfügung gestellt werden. Deshalb wollte schon der Bundesbesehluss vom 22. April 1898 und will die Militärorganisation von 1907

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dafür Vorsorge treffen, dass die Gemeinden in einem solchen Falle nach Bundesrecht enteignen können, um der durch die Militärorganisation begründeten Verpflichtung Genüge zu leisten.

Die Rechtslage erscheint also demnach durchaus klar und sicher.

Gestützt auf die vorstehenden Ausführungen beehren wir uns, Ihnen zu beantragen, es sei der Rekurs des Rechtsanwaltes Gossweiler in Zürich als unbegründet abzuweisen.

Genehmigen Sie die Versicherung unserer ausgezeichneten Hochachtung.

B e r n , den 28. März 1924, Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Chuard.

Der Bundeskanzler: Steiger.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend den Rekurs der Geschwister Suremann und Konsorten in Mönchaltorf an die Bundesversammlung. (Vom 28. März 1924.)

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