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Bundesblatt

76. Jahrgang.

Bern, den 17. September 1924.

Band III.

Erscheint wöchentlich. Frets 20 Franken 1m Jahr, 10 Franken im Halbjahr, zuzüglich ,,Nachnahme- und Pestbeslellungsgebühr".

Einrückungsgebühr ; 50 Rappen die Petitzeile oder deren Baum. -- Inserate franko an die Buchdruckerei Stämpfli * Cie. tu Bern,

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1873

Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über die Petition betreffend die Zivildienstpflicht.

(Vom 12. September 1924.)

Am 15, Juni 1928 reichten die Herren Hans Amberg, Sekretär in Zürich, Pierre Ceresolo, Ingenieur in Laubanne, Karl von Greyerz, Pfarrer in Bern, und Prof. Dr. L. Eagaz in Zürich der Bundesversammlung folgende Eingabe ein: «In Anbetracht der Tatsache: a. dass viele Schweizerburger und Schweizerbürgerinnen, bestärkt durch die Greuel und Folgen des, Weltkrieges, nicht nur den Krieg aus ganzer Seele verabscheuen, sondern jede weitere kriegerische Vorbereitung grundsätzlich verwerfen als eine für die Zukunft des Volkes so gut wie der ganzen Menschheit unheilvolle und unverantwortliche Handlung, 6. dass es auch vielen andern Schweizerbürgern und Schweizerbürgerinnen, welche diese Auffassung nicht teilen, widerstrebt, wenn Schweizerbürger, die aus Gewissensgründen jeglichen Militärdienst verweigern, immer wieder zu Gefängnisstrafen verurteilt werden müssen, während sie freudig bereit wären, auf andere Weise der Volksgemeinschaft zu dienen, c, dass in andern Staaten in dieser Hinsicht bereits gesetzgeberische Massnahmen getroffen worden sind, gelangen die Unterzeichneten in Fortsetzung bereits gemachter Anregungen mit folgender Petition an die Bundesversammlung: 1. Für Schweizerburger, die aus Gewissensgründen den Dienst in der Armee nicht leisten können, wird ein Zivildienst eingerichtet.

2. Sinn und Zweck des Zivildienstes ist körperliche und geistige Erziehung, Pflege kameradschaftlicher Gesinnung und tatkräftiger Liebe zu Heimat und Volk, und im besondern eine.

Bundesblatt. 76, Jahrg. Bd. III.

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Arbeitsleistung im Geiste der gegenseitigen Hilfe. Als solche kommen zum Beispiel in Betracht: Erstellung von Verkehrswegen, wasser-, forst- und alpwirtschaftliche Arbeiten, Hilfsdienst bei Seuchen, Naturkatastrophen usw.

Der Zivildienst steht unter ziviler Leitung, ist unabhängig von der Militärbehörde und Militärorganisation und darf nicht zu militärischen Zwecken benützt werden.

Der Zivildienst soll in bezug auf Ordnung und Arbeitsernst dem Militärdienst nicht nachstehen und zur Verhütung jedes Missbrauchs einen Drittel länger dauern als dieser.

Der Zivildienst soll grundsätzlich keine Konkurrenz für die Berufsarbeiter bilden, sondern sich auf Arbeiten beschränken, die im öffentlichen Interesse liegen, aber aus Mangel an Mitteln nicht ausgeführt werden können.

Für militärersatzpflichtige Schweizerbürger, die gewissenshalber die Militärsteuer verwerfen, wird an Stelle derselben eine um einen Drittel höhere Zivilsteuer eingeführt. Deren Ertrag ist ausschhesslich für Zivildienstzwecke zu verwenden.

Der Zivildienst und die Zivildienststeuer sind so bald als möglich einzuführen, damit einem unhaltbaren Zustand ein Ende bereitet werde.»

Die Eingabe war begleitet von einer Anzahl von Petitions bogen.

Ferner lagen ihr bei Gesetze und Gesetzesentwürfe betreffend den Zivildienst in Dänemark, Schweden, Norwegen und Holland und eine als «Erläuterung und Begründung der Zivildienstpetition » bezeichnete Schrift, in welcher die Begehren der Petition erörtert und die Gründe angegeben werden, welche zu ihrer Berücksichtigung führen müssen.

Im Eingang wird ausdrücklich festgestellt, dass die Schrift nicht Anspruch erhebe, die Meinung aller Unterzeichner der Petition richtig wiederzugeben, dass aber die Darlegung, aus was für einem Sinn und Geist die ganae Bewegung hervorgegangen sei, wohl in Übereinstimmung mit der grossen Mehrheit der Petenten stehe. Eine Unterschrift trägt die Erläuterung nicht, da sie aber in dem von den eingangs genannten Herren unterzeichneten Begleitbrief zu den Petitionsbogen ausdrücklich erwähnt wird,- kann man annehmen, dass hie jedenfalls deren Ansicht enthalte.

Durch Beschluss des Nationalrates vom 18. Juni 1923 ist die Petition ohne weitere Begründung oder Weisung an den Bundesrat gewiesen worden. Wir haben sie sowohl den zunächst beteiligten Amtsstellen zur Berichterstattung als auch dem statistischen Bureau zur Prüfung der Unterschriften überwiesen. Diese Prüfung hat ergeben, dass auf den Bogen 89,688 Unterschriften stehen. 10,145

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rühren von Frauen her; ferner wurde festgestellt, dass viele Minderjährige unterzeichnet haben, ohne dass es möglich gewesen wäre, ihre Zahl oder ihr Alter anzugeben; ebenso bleibt die Frage offen, ob auch Ausländer oder nicht stimmberechtigte Schweizer über 20 Jahre die Eingabe durch Beifügung ihrer Namen unterstützt haben.

Für die Behandlung der Eingabe haben diese Feststellungen grundsätzlich keine Bedeutung, da sie unter allen Umständen als eine Petition angesehen werden muss, die in Ausübung des in Art. 57 der Bundesverfassung gewährleisteten Petitionsrechtes eingereicht worden ist. Immerhin sind die Angaben des statistischen Bureaus, die auch über die Verteilung der Unterschriften nach Kantonen Auskunft geben, nicht ohne Bedeutung.

Zu gleicher Zeit, wie die erwähnten Vorarbeiten ausgeführt wurden, haben wir versucht, uns über die Verhältnisse in den Ländern, in denen die Zivildienstpflicht eine Eolle gespielt hat oder noch spielt, Klarheit zu verschaffen. Es betrifft dies die drei skandinavischen Staaten, ferner Holland und Grossbritannien. Die Beibringung der betreffenden Berichte war mit grosser Mühe und vielem Zeitaufwand verbunden; über die von unsern Gesandtschaften beige brachten Auskünfte werden wir uns in anderem Zusammenhang äussern, Zur Eingabe selbst haben wir folgendes zu bemerken: Die Bundesverfassung stellt an die Spitze der Aufgaben, die der Bund zu erfüllen hat, die Behauptung der Unabhängigkeit des Vaterlandes gegen aussen. Eines der wichtigsten Mittel zur Erreichung dieses Zweckes ist das Heer. Es hat insbesondere dann in Tätigkeit zu treten, wenn die Unabhängigkeit des Landes gewaltsam bedroht wird und mit den Waffen verteidigt werden muss (Art. 195 der Militärorganisation vom 12. April 1907).

Das Heer beruht auf dem Grundsatz der allgemeinen Wehrpflicht. Art. 18 der Bundesverfassung sagt dies ausdrücklich mit den Worten: «Jeder Schweizer ist wehrpflichtig». Die Wehrpflicht umfasst nach Art. l der Militärorganisation .die Pflicht zur persönlichen Leistung des Militärdienstes -- die Militärdienstpflicht -- und die Pflicht zur Bezahlung eines Ersatzes -- die Mih'tärsteuerpflicht.

Die Wehrpflicht ist eine der bürgerlichen Pflichten, von denen Art. 49, Abs. 5, der Bundesverfassung sagt, dass Glaubensansichten von ihrer Erfüllung nicht entbinden. Infolgedessen kann sich der
Dienstpflichtige, der seine militärischen Pflichten nicht erfüllen will, zur Rechtfertigung seines Verhaltens nicht auf die in Art. 49, Abs. l, gewährleistete Glaubens- und Gewissensfreiheit berufen.

So ist die heute geltende Ordnung beschaffen. Sie stützt sich .auf den klaren Wortlaut der Verfassung und des Gesetzes und ist

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in zahlreichen Verfügungen der eidgenössischen Räte, des Bundesrates, der Verwaltung sowie in der Bechtssprechung seit jeher anerkannt und angewendet und auch von der Wissenschaft gelehrt worden.

In der ohen erwähnten «Erläuterung und Begründung» wird allerdings ein anderer Standpunkt vertreten. Es wird dort behauptet, das Becht zur Dienstverweigerung verstosse wohl gegen heute geltende Gesetze, aber nicht gegen den Sinn und Wortlaut der Bundesverfassung und bei richtiger Auslegung der sämtlichen in Betracht, kommenden Vorschriften dieser Verfassung mit Inbegriff der in ihrem Eingang enthaltenen Anrufung Gottes ergebe sich die Formel : « Jeder Schweizer ist wehrpflichtig. Wo ernste Glaubens- und Gewissensgründe die Leistung des Militärdienstes verhindern, s>cll dafür eine entsprechende Ersatzleistung eintreten.» Die Behauptung, dass die Dienstverweigerung nicht gegen den Sinn und den Wortlaut der Bundesverfassung verstosse, mit andern Worten, dass sie nach der Verfassung als zulässig erachtet werden müsse, steht vollständig in der Luft. Eine solche Behauptung widerspricht so offensichtlich sowohl der geschichtlichen Entwicklung als den unzweideutigen Vorschriften und der Auslegung und Anwendung, die sie seit Jahrzehnten erfahren haben, dass es unnütz erscheint, sie im einzelnen zu widerlegen.

Was das Verhältnis des Absatzes l in Art. 49 der Bundesverfassung zum Absatz 5 des gleichen Artikels anbetrifft, so ist auch hier die soeben erwähnte Auslegung irrig. Wenn die Freiheit des Glaubens und Gewissens gewährleistet wird, unter dem ausdrücklichen Vorbehalt, dass damit keine Enthebung von der Erfüllung der bürgerlichen Pflichten verbunden sein darf, so heilst das nichts anderes als dass die erwähnte Gewährleistung keine unbedingte ist und dass sie nur so weit geht, als dies gegenüber dem Vorbehalt des bürgerlichen Rechtes möglich ist. Die beiden Eeehtssätze stehen nicht gleichbedeutend und unabhängig nebeneinander, sondern der Vorbehalt der bürgerlichen Pflichten geht als eine Einschränkung der im übrigen gewährleisteten Glaubens- und Gewissensfreiheit vor. Auch hier stimmen Wortlaut, Auslegung und Anwendung vollkommen überein und lassen eine andere Auffassung nicht zu.

Soll die von den Petenten verlangte Ordnung eingeführt werden, so ist dazu nicht nur eine Gesetzesänderung notwendig, was auch
von ihnen als richtig anerkannt wird, sondern eine Abänderung der Bundesverfassung. Eechtfertigen die Verhältni&se ein derartiges Beginnen ?

Das Begehren um Einführung der Zivildienstpflicht an Stelle des Militärdienstes wird damit begründet, dass eine Anzahl von Dienst---

385 Pflichtigen es mit ihren Glaubensansichten nicht vereinbaren können, als Angehörige der Armee tätig zu sein. Es entstehe infolgedessen zwischen ihrer Auffassung und dem Gesetz ein Gegensatz, der sich in der Weise lössen lasse, dass den in Gewissensnot geratenen Bürgern gestattet werde, anstatt als Angehörige der Armee auf andere Weise Kurn Nutzen des Landes sich zu betätigen.

Eine nähere Untersuchung zeigt aber, dass damit die Bedeutung der Bewegung nicht erschöpft ist. Vielen Befürwortern der Zivildienstpflioht ist diese selbst nicht der Endzweck, sondern nur eine Stufe auf dem Wege zu einem ganz andern Ziel, demjenigen der vollständigen Aufhebung der militärischen Arbeit und Büstung überhaupt. Es lässt sich der Nachweis für diese Behauptung leicht aus den Schriften und Beden derjenigen Männer leisten, die heute in vorderster Linie die Einführung des Zivildienstes verlangen; er ergibt sich aber auch aus der Petition selber. Sie sagt nämlich in ihrem Eingang, dass viele Schweizerburger jede weitere kriegerische Vorbereitung grundsätzlich verwerfen ; das kann wohl nicht anders -ausgelegt werden als so, dass auch nach Einführung der Zivildienstptlicht die Anstrengungen auf vollständige Unterdrückung der Landesverteidigung weitergehen sollen. Gewi&s ist das nicht die Ansicht aller Petenten, sicher aber diejenige eines Teils der Führer der gegenwärtigen Bewegung und eines Teils der Unterzeichner der Petition.

Würde also auch den Begehren der Eingabe in vollem Umfang entsprochen, so wäre damit die Sache nicht erledigt, sondern von der neu gewonnenen Grundlage aus würden die unbedingten Gegner des Wehrwesens ihre Anstrengungen auf dessen vollständige Unterdrückung weiterfuhren und dabei begreiflicherweise alle Vorteile ausnützen, die ihnen aus der im Verein mit den übrigen Petenten erstrittenen neuen Stellung erwachsen. Bereits stossen wir denn auch bei den Gerichtsverhandlungen auf die Erklärung von Dienstverweigerern, dass sie selbst einem Aufgebot zum Zivildienst nicht Folge leisten würden.

Soweit die Eingabe nicht nur den Zivildienst einführen will, sondern darüber hinaus auf die Unterdrückung der Landesverteidigung hin arbeitet, lehnen wir sie von vornherein mit aller Entschiedenheit ab. Wie wir im Vorlaufe der letzten Jahre schon mehrfach Gelegenheit hatten, darzutun, halten wir die Beibehaltung
einer leistungsfähigen Armee auch fernerhin für eine unbedingte Notwendigkeit. Wir verabscheuen gewiss ebenso sehr wie die Petenten den Krieg und seine Schrecken und haben keinen aufrichtigem Wunsch als den, dass unser Land auch in Zukunft nicht in den Kampf!

hineingeritten werden möge. Aber gerade weil wir das wollen, müssen ·wii auf der Beibehaltung einer unsern Verhältnissen und Bedürfnissen

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entsprechenden Wehrmacht bestehen. Der einzelne Bürger kann wohl für sich die Überzeugung hegen und mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln vertreten, dass sein Land auf jeden bewaffneten Schutz verzichten und dem Gedanken des Friedens unter allen Völkorn so durch die Tat Ausdruck geben solle. Eine verantwortliche Regierung wird das niemals tun dürfen, solange die Beziehungen zwischen den Volkern noch derart sind, dass kriegerische Auseinandersetzungen immer wieder vorkommen können. Sie darf bei ihren Vorschlägen und Beschlüssen nicht mit einer Welt rechnen, wie sie auch ihr als erstrebenswert vorschwebt, sondern sie muss sich an das halten, was tatsächlich besteht. Dazu gehört unter den heutigen Verhältnissen die Möglichkeit, dass wir unser Land mit den uns zur Verfügung stehenden Machtmitteln verteidigen müssen.

Dabei brauchen wir nicht einmal an den Fall zu denken, dass wir von einem fremden Staat angegriffen werden. Wir leben mit unsern Nachbarn in guten Beziehungen und haben keine Anstände mit ihnen, die nach menschlicher Voraussicht zu einem Kriege führen könnten. Niemand kann aber mit Sicherheit wissen, ob nicht unsere Nachbarn unter sich wieder in Krieg geraten und wir, wie schon mehrmals im Laufe des letzten Jahrhunderts, dazu schreiten müssen, unsere Grenzen zu besetzen. Die Geschichte und unsere eigene Erfahrung lehren, dass ein wehrloser Staat nicht nur jedem Angriff schutzlos preisgegeben ist, sondern dass seine Ohnmacht zur Besetzung durch fremde Heere geradezu reizt. Auch derjenige Nachbar und Kriegführende, der aufrichtig gewillt ist, dieses Land in Buhe zu lassen, wird niemals zugeben können, dass der Gegner, mit dem er Krieg führt, es in seine Gewalt bringe. Da er aber naturgemäss diesem Gegner jede Handlung zutraut, die ihm zum Nutzen, seinen Feinden aber zum Schaden gereichen könnte, so wird er ganz von selber dazu getrieben, rechtzeitig die entsprechenden Gegemnassnahmen zu treffen. Eine der naheliegendsten wird die sein, dass er dem Gegner zuvorkommt und das nicht verteidigte und jedem Zugriff offenstehende Gebiet des neutralen Staates besetzt.

Aber auch dann, wenn unsere Nachbarn keinen Krieg führen, müssen wir bereit sein, uns vor der Bedrohung vom Ausland her zu schützen. Seit dem Friedensschluss sind in mehr als einem unserer ·Nachbarländer Bewegungen ausgelöst worden,
die sehr leicht auf unser Gebiet hätten übergreifen können, trotzdem sie auf Grund von Verhältnissen entstanden sind, mit denen wir gar nichts zu tun haben.

Wenn wir nicht in der Lage sind, diese Bewegungen von uns ferne zu halten, so werden wir beständig der Unruhe im eigenen Lande und der Gefahr eines Zusammenstoßes mit den Nachbarstaaten ausgesetzt sein. Ein erspriessliches Leben des einzelnen Bürgers so-

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wohl als der Gesamtheit wäre unter diesen Umständen wohl nicht mehr möglich. Wir müssen daher unser Land davor bewahren tonnen, dass es gegen seinen Willen in solche Händel hineingerissen wird.

Dazu bedürfen wir unter anderem auch der staatlichen Machtmittel, sei es die Polizei, sei es das Militär, um mit ihrer Hilfe nötigenfalls uns die Gefahr mit Gewalt vom Leibe zu halten.

Wir dürfen uns mit um so besserem Gewissen auf diesen Standpunkt stellen, als unsere Politik eine vollständig friedfertige ist und wir unsere Armee für nichts anderes als für die Abwehr, für den Schutz des Landes gebrauchen wollen. Wer für den Fall eines ungerechtfertigten Angriffes auf jeden Widerstand verzichtet und seinem eigenen Land nicht einmal das Recht der Notwehr zugestehen will, dem vermögen wir in seinen Anschauungen nicht zu folgen. Die eingehende Widerlegung eines solchen Standpunktes scheint uns zwecklos zu sein. Er ist sicher nicht derjenige des grössten Teils unseres Volkes.

Die Erfahrung zeigt, dass wir mit unserer Auffassung uns auf dem richtigen Wege befinden. Zweimal im Laufe eines halben Jahrhunderts ist die Schweiz gezwungen worden, bei einem Kriege zwischen ihren Nachbarn die Grenze zu besetzen. Beide Male ist es ihr gelungen, sich vom Kampfe fernzuhalten, so nahe auch wiederholt die Gefahr für sie war, in den Strudel hineingerissen zu werden.

Im Jahre 1871 ist die übertretende französische Armee durch unsere Truppen entwaffnet worden. Hätten wir nicht über diese Truppen verfügt, so hätte der Übertritt auf unser Gebiet mit Wehr und Waffen stattgefunden, wodurch unfehlbar die deutsche Armee nachgezogen worden wäre. Zu welchen Ereignissen eine solche Entwicklung der Dinge geführt hätte, kann hintendrein niemand sagen, und es wäre müssig, heute noch sich darüber zu streiten. Man hätte jedenfalls mit der Tatsache rechnen müssen, dass zwei fremde Armeen auf unserem Boden ihren Streit ausgefochten hätten. Was das bedeutet, hat unser Land in frühern Zeiten mehr als einmal erlebt. Es wäre ihm sicher im Jahre 1871 viol Elend und Schaden zugefügt worden, und eine starke Gefährdung seiner Selbständigkeit, vielleicht sogar deren bleibender Verlust, wären ihm nicht erspart geblieben.

Während des ganzen Weltkrieges vom August 1914 bis zum November 1918 hat unser heutiges Geschlecht sich gegen das Übergreifen des
Kampfes auf unser Gebiet wehren müssen. Alle unsere Nachbarn haben uns die Erklärung abgegeben, dass sie unsere Selbständigkeit achten und aus eigenem Antrieb unser Gebiet nicht betreten werden. Aber alle haben uns gegenüber die Befürchtung geäussert, dass der Gegner nicht das gleiche tun werde, und sie haben an uns die ganz bestimmte Forderung gestellt, dass wir mit allen

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Kräften diesen Gegner von unserem Boden fernhalten sollen. Wir haben nicht nur die Erklärung abgegeben, dass wir uns im ausgebrochenen Streite vollkommen neutral verhalten werden, sondern wir haben unter grossen Opfern des einzelnen Soldaten und des ganzen Landes die jeweilen notwendig erscheinenden Stroitkräfte aufgestellt, um diese Neutralität im Falle des Angriffes wirksam verteidigen zu können. So unwahrscheinlich es manchem auch scheinen mochte, so ist es uns auf diese Weise schliesslich doch gelungen, dem Kriege fernzubleiben, trotzdem alle vier Nachbarn in ihn verwickelt waren.

Was die Zukunft bringen wird, kann niemand sagen, aber das, was nach wio vor besteht, ist unsere Pflicht, mit denjenigen Kräften, die uns zu Gebote stehen, das möglichste zu tun, um unserem Lande den Frieden zu erhalten. Wir haben das mit Hilfe unserer Armee zustandegebracht, ohne dass wir haben Gewalt anwenden müssen und ohne dass Blut geflossen wäre. Hat es da noch einen Sinn, mit hochtönenden Worten zu erklären, dass, weil wir den Krieg verabscheuen, wir uns selbst jeder Möglichkeit berauben sollen, unser Land aus eigener Kraft zu schützen? Sollen wir um des Grundsatzes, willen sogar auf denjenigen Schutz verzichten, der ohne Gewaltanwendung in zwei schweren Prüfungen unserem Staatswesen den Frieden und die Selbständigkeit bewahrt hat?

Was hätten wir davon, wenn wir in den beiden Fällen erklärt hätten, dass wir neutral bleiben, aber aus Grundsatz jeden Grenzschutz und jede Abwehr unterlassen? Namenloses Elend wäre über unser Volk gekommen. Der Fortbestand der Eidgenossenschaft wiire bedroht gewesen, und anstatt Hilfe leisten zu können, soweit es unsere schwachen Kräfte erlauben, und beitragen zu dürfen, die entzweiten Völker einander wieder näher zu bringen, wären wir vom allgemeinen Unglück und vom gegenseitigen Hass mitergriffen worden.

Jeder Staat, der diesen Namen verdient, hat die Aufgabe, sich und sein Volk so gut es geht durch alle Fährlichkeiten durchzubringen.

Er erfüllt damit eine ganz selbstverständliche Pflicht gegen sich selbst, aber auch gegenüber der ganzen Menschheit. So klein unser Land ist, so ist es doch der Aufgabe nicht enthoben, im Kreise der Völker mitzuwirken, dass an Stelle des Misstrauons und der gewalttätigen Auseinandersetzung die gemeinsame Arbeit und die Unterwerfung unter eine
allgemein gültige Rechtsordnung tritt. Wir können das in wirkungsvoller Weise schon auf die Art tun, dass wir in unsern engen Grenzen, den vielfachen und tiefgehenden Gegensätzen zum Trotz, iuliig und vertrauensvoll miteinander leben und auf diese Weise zeigen, dass mit gutem Willen ein gedeihliches Zusammenleben auch

389 unter Verhältnissen möglich ist, die nach der vielerorts herrschenden, hergebrachten Anschauung ganz unvermeidbar zu Zwietracht und Kampf führen müssen. Aber wenn wir dieses Beispiel wollen geben können, so müssen wir aufrecht und kräftig bleiben. Ein unverbildeter gesunder Sinn wird uns mit Sicherheit auf diesen Weg weisen und es ablehnen, den Grundsatz des Friedens durch Preisgabe des eigenen Daseins zu bekennen. Arbeiten und nicht verzweifeln ist eine Lehre, die nicht nur für den einzelnen Menschen, sondern auch für ein ganzes Volk gilt und es zur Erfüllung seiner Aufgabe tüchtig macht.

Wenn wir so dem Gedanken, auf jede Landesverteidigung zu verzichten, mit aller Bestimmtheit entgegentreten und uns gegen dio Zivildienstpflicht wenden, insofern sie in den Augen eines Teils ihrer Befürworter bestimmt sein soll, einen ersten Abschnitt auf dem Wege zu diesem Ziele zu bilden, so ist damit die Frage nicht gelöst, die von einem andern Teil der Petenten gestellt wird, nämlich die, ob es nicht möglich sei, den Gegensatz zwischen dem staatlichen Gebot des Wehrdienstes und dem Bürger, dessen persönliche Auffassung der Erfüllung dieser Pflicht entgegensteht, zu beseitigen. Wir bemerken hierzu folgendes.

Ein geordnetes und friedliches Zusammenleben der Menschen ist nur dann möglich, wenn die unbedingte Freiheit des einzelnen, zu tun und zu lassen, was ihm beliebt, eingeschränkt wird. Ohne eine solche Einschränkung zumWohle des Ganzen herrschen notwendigerweise die Willkür und das Becht des Stärkern. Zu allen Zeiten war es eine der vornehmsten und schwierigsten Aufgaben der Staatskunst, die richtige Grenze zu ziehen zwischen staatlicher Ordnung einerseits und der Bewegungsfreiheit des Bürgers anderseits. Diese Abgrenzung schwankt beständig. Sie ist verschieden in den verschiedenen Entwicklungsstufen eines Volkes, sie wechselt von Land zu Land und ist auch je nach den Zeitverhältnisson in einem gegebenen Staate starken Veränderungen ausgesetzt. Namentlich dann, wenn grosse Gefahren ein Staatswesen bedrohen, deren es sich nur durch Zusammenfassen aller Kräfte erwehren kann, wird eine starke Verschiebung der Kompetenzverhältnisse zu unguristen des einzelnen Bürgers mit Notwendigkeit eintreten. Wir haben eine derartige Zeit hinter uns und können auf deren Erfahrung hinweisen. Nodi deutlicher zeigte sich
diese Erscheinung in den kriegführenden Ländern.

Zu keiner Zeit wird sich der Gegensatz zwischen dem Drang des einzelnen Bürgers nach möglichster Freiheit der Bewegung und der Notwendigkeit, im Interesse des Ganzen diese Freiheit einzuschränken, vollständig vermeiden lassen. Er bestand und wird bestehen, solange es einen Staat gibt. Er beschränkt sich auch nicht etwa auf

390 ein einzelnes Gebiet der staatlichen Tätigkeit, wie zum Beispiel das Wehrwesen, sondern tritt überall da auf, wo der Staat mit seinen Vorschriften in irgendeinen der menschlichen Tätigkeitskreise eingreift. Man braucht nur an die Schule, die Kirche, die wirtschaftlichen Verhältnisse, das Zivilrecht usw. zu denken, von den öffentlichen Abgaben gar nicht zu reden.

Der Gegensatz wird besonders da empfindlich und schwierig, wo die Forderungen des Staates mit den Glaubensansichten des Bürgers zusammenstossen. Es entspricht unserer Auffassung, dass in Glaubensdingen vollständige Freiheit herrschen soll und dass hier die Entscheidung bei dem einzelnen Bürger liegt. Gesetzgeberisch ist diese Auffassung ini Bunde in der Vorschrift des Art, 49, Abs. l, der Bundesverfassung zum Ausdruck gekommen, durch welche die Glaubens- und Gewissensfreiheit gewährleistet wird. Dieser Salz erfährt aber durch den Absatz 5 des gleichen Artikels die bereits erwähnte Einschränkung, dass Glaubensansichten nicht von der Erfüllung der bürgerlichen Pflichten entbinden.

Bei einem Zwiespalt auf diesem Gebiet zeigt sich in erster Linie die grosse Schwierigkeit, die rein in der Persönlichkeit des Bürgers begründete Glaubensansicht festzustellen oder nachzuprüfen. Die Verantwortung dafür und die Entscheidung darüber, was er glaubt, liegt beim einzelnen und entzieht sich als ein innerer Vorgang der Einwirkung der öffentlichen Ordnung. Ein Zusammenstoss dieser letztern mit der Glaubensansicht des einzelnen Menschen hat naturgemäss einen fast unlösbaren Konflikt zur Folge.

Dazu kommt die weitere Tatsache, dass eine Bestimmung dessen, was als zu den Glaubensansichten gehörig anzusehen ist, immer sehr schwierig sein wird. Je nach dem Standpunkt des einzelnen Menschen und der von ihm vertretenen Lehre fällt hier nicht nur sein Verhältnis zu Gott in Betracht, sondern es können eine ganze Menge von Geboten und Verboten als Bestandteile seines Glaubens bezeichnet werden, die durchaus weltlicher Art sind. Sie können sich beziehen auf die Organisation der Kirche, ihr Verhältnis zum Staat, auf Vorschriften hygienischer Art usw.

Und schliesslich ist es eine alte Lehre, dass gerade im Gebiet des Glaubens Verirrungen aller Art nicht selten sind, deren Anerkennung von ihren Tragern mit voller L berzeugung und in besten Treuen verlangt wird,
die ohne schweren Schaden von der Gesamtheit aber nie als richtig und des Schutzes von Art. 49, Abs. l, der Bundesverfassung würdig anerkannt werden können.

Zu allen Zeiten sind deswegen peinliche Lagen entstanden, duren Beseitigung trotz dem besten Willen zum Verständnis und Entgegen-

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kommen nicht möglich war. Wenn auch manchmal mit einem Anschein von Kecht gesagt werden könnte, dass der Staat auf die Anwendung seiner Gesetze in einem bestimmten Fall verzichten dürfe, ohne dass für das in Frage stehende Gebiet schädliche Folgen zu erwarten seien, so stand und steht einem Nachgeben immer wieder die grundsätzliche Erwägung im Wege, dass mit dem Verzicht auf einem Punkte sehr leicht die Erschütterung der staatlichen Autorität auf der ganzen Linie verbunden sein könne. Alle diejenigen, die irgendwie den Vorrang für ihre persönliche Auffassung vor der gesetzlichen Ordnung in Anspruch nehmen, werden sich darauf berufen, dass man ihnen so gut entgegenkommen dürfe, wie man das auf einem andern Gebiet andern Bürgern gegenüber getan habe.

So ist es ganz wohl denkbar, dass man den Grundsatz der allgemeinen Wehrpflicht durch die Einführung des Zivildienstes mildern könnte, ohne dadurch die Wehrkraft des Landes wesentlich zu beeinträchtigen, dass aber der Einführung dieser Massnahme die Befürchtung entgegensteht,. es müsse sich an das Zurückweichen des staatlichen Willens in diesem einen Punkt ein Zurückweichen auch auf andern Punkten- anschliessen, wo dann der Schaden ganz anders tiefgehend wäre. So ist es denn in der Tat auch mit der Zivildienstpflicht gegangen. Die Armeeleitung hat im Sommer 1918 eine Vorlage ausgearbeitet, die allerdings in ganz anderer Weise, als wie das durch die Petition verlangt wird, die Möglichkeit des Zivildienstes vorsah. Die Verordnung wurde dem Bundesrate unterbreitet mit dem Antrag, sie auf Grundlage der ausserordentlichen Vollmachten in Kraft zu setzen. Der Bundesrat wies sie aber durch Beschluss vom 1. November 1918 zurück.

Dabei leiteten ihn nicht in erster Linie militärische Gründe. Er durfte im Gegenteil wohl annehmen, dass, wenn von der Armee selber ein derartiger Vorschlag gemacht werde, sich dessen Einführung vom militärischen Standpunkte aus rechtfertigen lasse. Was aber den Bundesrat zu der Ablehnung veranlasste, war namentlich die Erwägung, dass es überhaupt gefährlich sei, die staatliche Vorschrift in derartigen Fällen preiszugeben, weil man befürchten müsse, dass das Nachgeben auf einem Gebiet die öffentliche Ordnung auf andern Punkten gefährde. Ferner schien es nicht angezeigt, eine so tiefgreifende Massnahme auf Grund der ausserordentlichen
Vollmachten zu beschliessen. Die mit der Vorberatung des Militärstrafgesetzes beauftragte Kommission lehnte ihrerseits die Anregung, es sei die Frage in diesem Gesetz zu ordnen, ab.

Alle diese Erwägungen führen ganz zweifellos zum mindesten zu der Einsicht, dass in allen derartigen Fällen eine starke Zurückhaltung geboten sei. Ein Entsprechen erscheint nur da gerechtfertigt,

392 wo ein tiefgehendes Bedürfnis vorhanden ist, dem auf andere Weise nicht Bechmmg getragen werden kann und wo durch die zu treffenden Massnahmen ein bestehender Gegensatz sich auch wirtlich ausgleichen lässt.

Wenn wir die Frage der Zivildienstpflicht von diesen Gesichtspunkten aus untersuchen, so kommen wir zu folgenden Erwägungen und Ergebnissen.

Die Petenten behaupten, dass ein dringendes Bedürfnis für die Einführung der von ihnen verlangten Massnahme bestehe, und sie sprechen von einer grossen Zahl von Soldaten, die in einem unerträglichen Zwiespalt der Pflichten sich befanden. Nach den Akten der Militärgerichtsbarkeit ergibt sich in dieser Hinsicht folgendes Bild.

Während der Mobilmachungszeit, d. h. in den Jahren 1914--1918, sind im ganzen 47 Mann von den Militärgerichten beurteilt worden, die den Militärdienst verweigert haben, weil er im Widerspruch stehe mit ihren persönlichen Auffassungen, Diese letztern hatten zum Teil ihren Grund in den Glaubensansichten der betreffenden Leute, zum Teil in deren politischen Anschauungen ; zum Teil lagen auch Beweggründe verschiedener Art vor. Allgemein gesprochen, kann man sagen, dass die, welche sich auf ihre Glaubensansichten berufen, und die andern, die aus politischer Überzeugung nicht Dienst tun wollten, sich ungefähr die Wage halten. Auf die verschiedenen Jahre verteilen sich die Palle so, dass im Jahre 1914 keiner zur Behandlung kam, im Jahre 1915 3, 1916 4, 1917 25, 1918 15. Dabei wogen in den Jahren 1910 und 1916 die Fälle von Dienstvorweigerung aus religiösen Bedenken vor, während in den beiden andern Jahren die Berufung aut politische Ansichten stark zunahm. Wer die Haltung der militärfoindlichen politischen Parteien in jenen Jahren kennt, wird diese Entwicklung der Dinge leicht verstehen.

Wenn man bedenkt, dass die Zahl der Aufgebote zum Grenzdienst und zum Instruktionsdienst wahrend der Jahre 1914--1918 in viele Hunderttausende ging, so wird man nicht von einer weit verbreiteten Bewegung sprechen können. Der Widerstand gegen die Militärdienstpflicht ist sicher nicht stärker als derjenige gegen die staatliche Ordnung auf irgendeinem andern von ihr ergriffenen Gebiete.

Seit dem Schluss der Grenzbesetzung, d. h. in den Jahren 1919 bis 1928, sind im ganzen 29 Fälle zur Beurteilung gekommen, wovon im Jahre 1919 2, 1920 3, 1921 6, 1922 9,
1923 9. In dieser Zeit tritt die Berufung auf politische Ansichten stark zurück, während diejenige auf religióse Bedenken überwiegt und im ganzen in 23 Fällen vorkommt. Auch diese Erscheinung ist demjenigen, der die Haltung

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der obenerwähnten Parteien verfolgt hat, nichts Unerwartetes. Die Dienstverweigerung bezog sich nicht nur auf das Einrücken zu Rekrutenschulen und WiederholungSikursen, sondern in einer ganzen Reihe von Fällen auf das Erscheinen zu Kleider- und Waffeninspektionen. In den Jahren 1922 und 1923 haben jedes Jahr mehr als 100,000 Mann zu Schulen und Kursen einrücken müssen, während mehr als 200,000 Mann zu Waffen- und Kleiderinspektionen sich zu stellen hatten. Unter diesen Umständen wird man die Zahl von je 9 Fällen nicht als überraässig darstellen können und mit Recht sich darauf berufen dürfen, dass ein Bedürfnis nach so schwerwiegenden Massnahnien, wie die Petenten sie verlangen, nicht in genügendem Masse vorhanden sei.

Man kann sich auch mit vollem Hecht fragen, ob die Einführung der Zivildienstpflicht imstande sei, die gewünschte Lösung zu bringen. Wir erinnern in diesem Zusammenhange an die bereits erwähnte Erscheinung, dass heute schon erklärt wird, es werde nicht nur der Militärdienst, sondern auch ein allfälliger Zivildienst verweigert.

Es hat immer Leute gegeben und wird immer solche geben, die sich nicht der staatlichen Ordnung fügen wollen, mag sie nun so oder anders beschaffen sein. Und immer wieder werden Lehren verkündigt werden, die unter Berufung auf die Vorschrift, dass man Gott mehr gehorchen soll als den Menschen, in irgendeinem Punkt den Ungehorsam gegen die staatliche Ordnung als Glaubenspflicht darstellen.

Eine kleinere oder grössere Gefolgschaft wird solchen Lehren erfahrungsgemäss stets beipflichten. Die Durchsicht der Akten und die von den beteiligten Gerichtspersonen mitgeteilten Wahrnehmungen weisen mit aller Deutlichkeit darauf hin, dass ein grosser Teil der Dienstverweigerer zu den Leuten gehören, die fremder Beeinflussung leicht zugänglich sind und deren unklarer und grüblerischer Sinn sie gern auf Abwege führt. So gehört ein beträchtlicher Teil der in den letzten Jahren zur Behandlung gelangten Dienstverweigerer der Vereinigung der ernsten Bibelforscher an. Arn guten Glauben dieser Leute wollen wir nicht zweifeln. Wer ihre Lehren aber prüft, wird zum Schlüsse kommen, dass es sich um eine wunderliche Verzerrung von Glaubensansichten handelt und dass man den Jüngern dieser Lehren auf ihren Irrgängen nicht folgen kann. Ihretwegen eine besondere Ordnung einzuführen,
lässt sich unserer Ansicht nach nicht rechtfertigen und würde nichts nützen, weil man über kurz oder lang mit ähnlichen Bedenken auf andern Gebieten, wie angedeutet, in erster Linie auf demjenigen des Zivildienstes, rechnen müsste.

Gegen die Einführung des Zivildienstes bestehen im weitern sehr ernste praktische Bedenken. Wie wir bereits erwähnt haben, sind die Glaubensansichten durchaus eine Sache der persönlichen Auffassung

394 und der Feststellung durch Aussenstehende entzogen. Neben denjenigen, die eich ehrlich auf ihre Gewissensnot berufen, gibt es, wie bei uns und anderswo die Erfahrung lehrt, auch andere, dio diese Gewissensnot nur vorschützen. Durch wen und auf welche Weise soll man den wahren Sachverhalt feststellen und an was kann man die missbräuchliche Berufung auf Glauben und Gewissen erkennen?

Die Petition löst diese heikle Frage in der Weise, dass jedem der Ersatz des Militärdienstes durch den Zivildienst gestattet werden solle, der erklärt, aus Gewissensgründeii den Dienst in der Armee nicht leisten zu können. Vor Missbrauch soll die Vorschrift schützen, dass der Zivildienst um ein Drittel länger dauere als der Militärdienst. Wir halten eine solche Schranke als ungeeignet und zu schwach. Denn einmal erschöpft sich die Militärdienstpflicht nicht in der Bestehung von Eekrutenschulen und Wiederholungskursen; daneben hat der Mann seine Schiesspflicht zu erfüllen, Ausrüstung und Waffen zu besorgen, Waffen- und Kloiderinspektionen zu bestehen und sich jederzeit den Behörden in Bund und Kanton zur Verfügung zu halten.

Sodann ist er gemäss Art. 10 der Militärorganisation verpflichtet, einen Grad zu bekleiden und den entsprechenden Militärdienst zu leisten. Das Begehren der Petition trägt allen diesen Verpflichtungen des Wehrmannes nicht genügend Bechnung.

Auch geht die Möglichkeit, dass sich ein Dienstpflichtiger unter blosser Berufung auf sein Gewissen und ohne nähere Begründung vom Militärdienst freimachen kann, viel zu weit. Wie die oben angegebenen Zahlen beweisen, ist die Verweigerung des Dienstes zu gewissen Zeiten hauptsächlich aus politischen Gründen erfolgt. In diesem Falle halten wir eine Berufung auf die Glaubens- und Gewissensfreiheit grundsätzlich ausgeschlossen. Ist der Staat wirklich etwas rein weltliches, das vor den Glaubensansichten zurückzutreten hat, so behält er diesen Charakter der Welthchkeit in jedem Falle, er mag eingerichtet sein wie er will. Der bürgerliche Staat ist in dieser Hinsicht vom sozialistischen oder kommunistischen Staatswesen nicht verschieden. Wer bereit ist, unter diesen beiden letztern Staatsformen dem Lande zu dienen, kann nicht unter dem Schutz der Glaubens- und Gewissensfreiheit verlangen, gegenüber dem bürgerlichen Staat dieser Verpflichtung enthoben zu werden. Wir
lehnen es deshalb ab, eine auf politischer Grundlage stehende Dienstverweigerung in irgendwelcher Form anzuerkennen. Damit kommen wir aber naturgemäss zur Untersuchung des einzelnen Falles und zu einer Aufgabe, deren Lösung ganz aussergewöhnlich schwierig, wenn nicht unmöglich ist.

Wir können uns im fernem nicht vorstellen, wie die Arbeit für die Zivildienstpflichtigen in erspriesslicher Weise angeordnet und

395 durchgeführt werden könnte. Aus den schriftlichen und mündlichen Darstellungen der Verfechter des Zivildienstes wissen wir, dass sie vorab an die Einrichtung von Arbeitskolonien denken, in denen Werke öffentlichen Nutzens, Erstellung von Wegen und dergleichen durchgeführt werden sollen. Einer derartigen Einrichtung steht schon die geringe Zahl der Dienstverweigerer im Wege. Wie soll man mit 9 Mann, wie in den Jahren 1922 und 1928, oder mit noch weniger Leuten, wie in den frühern Jahren, irgendeine feste Einrichtung treffen können. Das Ganze würde notwendigerweise zur Spielerei, womit niemand, auch die Petenten nicht, einverstanden sein wird. Allerdings scheinen diese, wie das uns gegenüber in mündlichen Erörterungen dargelegt worden ist, der Hoffnung zu leben, dass mit der Anerkennung des Zivildienstes und einer ihren Ansichten entsprechenden Einrichtung bewirkt werden könne, dass die Zahl derjenigen stark zunehmen werde, die an Stelle des Militärdienstes den Zivildienst leisten wollen.

Demgegenüber ist zu bemerken, dass es sich da vorläufig um Erwartungen handelt, von denen niemand sagen kann, ob sie in Erfüllung gehen werden. Überdies wird man sich zweimal fragen müssen, ob man den Zivildionst einführen solle, nicht nur um denjenigen entgegenzukommen, die im Zwiespalt ihrer staatlichen und religiösen Pflichten stehen und denen gegenüber eine Ausnahme gemacht werden soll, sondern auch um gerade durch die Einführung dieser Möglichkeit den Gedanken der Dienstverweigerung zu fördern und damit unsere Wehrkraft zu schädigen. Eine derartige Anforderung geht weit über dasjenige hinaus, was gerechterweise und bei weitestem Entgegenkommen von einem Staate verlangt werden kann, der nach wie vor den Grundsatz der allgemeinen Wehrpflicht aufstellt und anwendet.

Alle diese Schwierigkeiten haben sich übrigens nicht nur bei uns erhoben, sondern sie bestehen ebensogut in den andern Ländern, die bis dahin versucht haben, die Zivildienstpflicht auf dem Wege der Gesetzgebung einzuführen. Es kommen da in erster Linie Schweden und Dänemark in Betracht. In Holland besteht wohl ein Gesetz über den Zivildienst; es fehlen dafür aber noch die Ausfuhrungsbestimmungen, und es ist deswegen tatäschlich noch nicht zur Anwendung gelangt. Norwegen hat ein Gesetz, das seit 1. Juni 1923 in Kraft steht. Über seine Wirkungen
war es uns bis jetzt nicht möglich, etwas zu erfahren. Die Nachrichten aus Dänemark lauten für die Zivildienstpflicht durchaus ungünstig. Sie ist dort durch Gesetz vom 13. Dezember 1917 eingeführt, wird aber so gut wie gar nicht in Anspruch genommen. Die Anhänger des Zivildienstes behaupten allerdings, dass daran die Art der Durchführung Schuld trage. Schweden besitzt ein Gesetz vom 21. Mai 1920, das

396 am 1. Januar 1921 vorläufig für 5 Jahre in Kraft gesetzt worden ist.

Auch hier hielt es schwer, bestimmte Auskunft zu. erhalten, was zur Hauptsache daran liegen mag, dass die nötigen Erfahrungen noch fehlen. Nach uns zugekommenen Berichten soll die Durchführung nicht ohne Schwierigkeiten vor sich gehen; ein beträchtlicher Teil der Zivildienstpflichtigen soll sich der Arbeit widersetzen und sich in den Arbeitskolonien \mgehorsam aufführen, andere sollen sich dem Aufenthalt in diesen Kolonien durch die Flucht entziehen.

Jedenfalls darf man so viel sagen, dass in allen diesen Ländern keine genügenden Erfahrungen vorliegen, die zur Annahme berechtigen, dass mit der Einführung des Zivildienstes ein Fortschritt erzielt werden konnte, der einen teilweisen Verzicht auf den Grundsatz der allgemeinen Wehrpflicht rechtfertigen könnte. Bei dieser Feststellung sehen wir ganz davon ab, dass dasjenige, was in andern Ländern und unter andern Voraussetzungen geschieht, sich nicht ohne weiteres bei uns einführen und mit Erfolg anwenden lässt.

Diese Bemerkung gilt insbesondere für die Behandlung, welche die Dienstverweigerer in Grossbritannien erfahren haben. Dieser Staat kennt bekanntlich den Grundsatz der allgemeinen Wehrpflicht nicht, und als er ihn unter dem Zwang des Krieges im Jahre 1916 einführte, bestand Klarheit darüber, dass es sich nur um eine vorübergehende Massnahme handeln könne, die nach Schluss des Krieges wieder verschwinden werde und tatsächlich auch verschwunden ist.

Es stand also nicht wie bei uns der Verzicht auf einen bestehenden Grundsatz in Frage, sondern die Ausnahme von einer Vorschrift, die zugleich mit dieser Vorschrift aufgestellt wurde. Auch wurde nicht eine Verpflichtung des Bürgers aufgehoben, die, wie bei uns die allgemeine Wehrpflicht, seit jeher gegolten hatte und auch in Zukunft gelten soll und deren Bedeutung ebensosehr auf politischem wie auf militärischem Gebiet liegt, sondern durch eines der vielen Ausnahmegesetze, wie sie die Kriegszeit in grosser Zahl und auf allen Gebieten des Lebens den Völkern gebracht hat, eine Frage neu und nur für die Dauer des Kampfes geordnet. Ein Vergleich mit unsern Verhältnissen ist also von vornherein nur unter grossen Vorbehalten möglich.

Alle diese Bedenken und Unsicherheiton acheinen uns so schwerwiegend mi sein, dass wir der Petition
nicht zustimmen können.

Würde man ihr entsprechen, so wäre eine Schwächung unserer Wehrkraft die unmittelbare Folge. Die mittelbare wäre ein verstärkter Angriff auf unser Wehrwesen von selten derjenigen, die jede Landesverteidigung ablehnen und die schon heute sich bereitstellen, die Bresche, die durch die Einführung des Zivildienstes in den Grundsatz der allgemeinen Wehrpflicht gelegt wird, mit allen Kräften zu erweitern. Eine Sicherheit dafür, dass man durch Entsprechung eine

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Lösung der Frage finden werde, ist dabei auch nicht gegeben. Namentlich mit Bücksicht auf die Geistesverfassung einer grossen Zahl der bisherigen Dienstverweigerer wird man im Gegenteil mit grosser Wahrscheinlichkeit damit rechnen müssen, dass sie in ihrer Abneigung gegen jeden staatlichen Zwang auch den Zivildienst nicht anerkennen werden. Wir müssen es infolgedessen ablehnen, der Petition weitere Folge zu geben.

Dabei wollen wir nicht unterlassen, auf die Wege hinzuweisen, die schon jetzt und auch in Zukunft denjenigen offen stehen, die äug Gewissensgründen den Dienst mit der Waffe ablehnen.

Die Tatsache, dass es Leute gibt, deren Glaubensansichten ihnen den bewaffneten Dienst und damit die Möglichkeit des Kampfes gegen Mitmenschen verbieten, ist nicht neu, wie man manchmal glauben sollte, wenn man die Erörterungen der Anhänger des Zivildienstes hört. ES hat zu allen Zeiten Glaubensgemeinschaften und einzelne Bürger gegeben, die in diesen Zwiespalt geraten sind, nur haben sie den Ausweg aus ihrer Not in aller Stille und mit gutem Willen gesucht und mit Hilfe der Behörden auch gefunden. Seit jeher sind diese Leute bei den Truppen eingeteilt 'worden, die nicht zum Kampf bestimmt sind und deren Waffe neben der Selbstverteidigung nur als Werkzeug für friedliche Arbeiten dient. Je nach ihrem Wunsch wurden sie den Verwaltungstruppen, dem Train und namentlich der Sanität überwiesen. Das geschieht auch heute noch, und wir sind nach wie vor willens, im gleichen Sinn wie bisher zu verfahren. Es «ind mit diesen Zuteilungen allerdings gewisse Schwierigkeiten verbunden. Man kann in solchen Fällen bei der Aushebung nicht wie bei den andern Dienstpflichtigen die Eignung für eine bestimmte Truppengattung in den Vordergrund stellen. Treten die Bedenken auf, nachdem der Mann schon bei der Infanterie, der Artillerie usw.

ausgebildet ist, so bietet die nachträgliche Zuweisung z. B. zur Sanitätstrappe den Nachteil, dass er für seine neue militärische Stellung gar nicht ausgebildet ist. Auch macht sich bei den Truppen selber, denen diese Leute zugeteilt werden, ein Widerstand geltend, der nicht unbegreiflich ist. Trotz allen diesen Schwierigkeiten halten wir aber, "wie bereits gesagt, an der bisherigen Übung fest.

Dieser Ausweg kann indessen nur begangen werden, wenn auch diejenigen guten Willens sind, für die er
bestimmt ist. Das trifft für die grosse Mehrzahl sicher zu und erlaubt eine friedliche und stille Lösung. In andern Fällen dagegen erhebt sich ein unbedingter Widerstand. Sogar der Zuteilung zur Sanität gegenüber wird erklärt, dass auch sie ein Teil des Mordinstrumentes sei, als das man die Armee ansehen müsse. Ihre hauptsächlichste Aufgabe bestehe in der Pflege der Verwundeten mit dem Zweck, diese sobald als möglich wieder Buadeablatt. 76. Jahrg. Bd. ID.

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kampftüchtig zu machen. In dieser Behauptung liegt zum mindesten eine grosse Übertretung. Die Sanität pflegt Leicht- und Schwerverletzte; sie pflegt auch den Feind. Wollte man den Gedanken weiter verfolgen, so käme man dazu, dass ein Arzt oder ein Krankenpfleger, die Gegner des Militärdienstes sind, auch in Zivilspitälern keinem Soldaten ihre Hilfe dürfen angedeihen lassen, denn auch er wird nach seiner Wiederherstellung den Dienst wieder aufnehmen müssen. Und vom gleichen Standpunkt aus käme man zum Schluss, dass alle die Hilfe, die unter der Führung des Boten Kreuzes den Verwundeten zuteil geworden ist, eigentlich hätte unterbleiben sollen, da eie auf falscher Grundlage beruht. Bei einer nochmaligen Grenzbesetzung oder erst recht im Kriegsfalle müssten, streng genommen, die Vertreter dieser Auffassung ihre gesamte Tätigkeit einstellen.

Der heutige Krieg erfasst, wie die Erfahrung zeigt, das ganzò Volk, Für denjenigen, der irgendwo arbeitet, sei es in der bürgerlichen Krankenpflege oder der Herstellung von Lebensmitteln usw., wird ja ein anderer frei, der im eigentlichen Heeresdienst verwendbar ist.

Wir können einer Anschauung, die zu derartigen unhaltbaren Schlussfolgerungen führt, nicht beistimmen. Wer sich so von seinem Volke lossagt, soll tun, was er nicht lassen kann. Wir können keine Massnahme befürworten, die ihm sein Verhalten erleichtern oder es sogar rechtfertigen soll.

Aus allen diesen Gründen beantragen wir, es sei der Petition keine Folge zu geben.

Genehmigen Sie die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, 12. September 1924.

Namens des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Ghuard.

Der Bundeskanzler: Steiger.

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Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Petition betreffend die Zivildienstpflicht. (Vom 12. September 1924.)

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1924

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38

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17.09.1924

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