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Bundesblatt 76. Jahrgang.

Bern, den 28. Mai 1924.

Band It.

Erscheint wöchentlich. Preis HO Franken fm Jahr, 10 Franken im Salti Jahr, zuzüglich ,,Nachnahme- und Postbestellungsgebühr", Einrückungsgebühr : Bö Rappen die Petitzeile oder deren Raum, -- Inserate franko an die Buchdruckerei Stämpfli A de. in Bern.

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Zu 1854

II. Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über Begnadigungsgesuche (Sommersession 1924).

(Vom 20. Mai 1924.)

Wir beehren uns, unter Vorlage der Akten Ihnen über folgende Begnadigungsgesuche Bericht zu erstatten und über deren Erledigung Antrag zu stellen.

73. Jakob Oppliger, geb. 1890, Knecht, Grenchen (Solothurn).

(Widerruf der bedingten Begnadigung.)

Jakob O p p l i g e r ist am 1. Februar 1922 vom Amtsgericht Solothur-Lebern wegen schuldhafter Nichtentrichtung des Militärpflichtersatzes, die Militärsteuer von Fr. 28.50 für 1921 betreffend, zu fünf Tagen Gefängnis und einem Jahr Wirtshausverbot verurteilt worden. Die Gefängnisstrafe hat die Bundesversammlung dorn Bestraften auf ein Gesuch hin in der Dezembersession 1922 bedingt erlassen. Laut Mitteilung des schweizerischen Zentralpolizeibureaus vom 6. März 1924 ist Oppliger am 6. Februar 1924 vom Amtsgericht Solothurn-Lebern neuerdings verurteilt worden; das Gericht erkannte auf vier Monate Einsperrung wegen qualifizierter Körperverletzung. Oppliger hat Sonntags, den 27. Januar 1924, etwa um 19 Uhr, ein von einem Spaziergang heimkehrendes Paar von hinten angefallen und den ihm unbekannten Begleiter eines Mädchens mit einem Knüttel niedergeschlagen. Das urteilende Gericht bezeichnet es als fraglich, aus welchen Motiven der Angeschuldigte die schwere Körperverletzung begangen habe; er könne sowohl Raub wie Notzucht beabsichtigt haben. Oppliger selbst sagt aus, er sei betrunken gewesen und wisse nicht, weshalb er den Spaziergänger derart misshandelt habe.

Die Verurteilung vom 6. Februar 1924 macht es notwendig, den W i d e r r u f der bedingten Begnadigung in Erwägung zu Bundesblatt. 76. Jahrg. Bd. II.

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346 ziehen. Das Polizeidepartement des Kantons Solothurn beantragt, die fünftägige Gefängnisstrafe nunmehr als vollstreckbar zu erJslären. Dem über Oppliger beschafften Polizeibericht ist zu entnehmen, dass Oppliger sich als Knecht zur völligen Zufriedenheit aufführt, solange er an der Arbeit ist; namentlich in früheren Jahren setzte er diese aber dee öftern aus, um sich einige Zeit nicht mehr sehen zu lassen und inzwischen den Verdienst, wie gesagt -wird, zu verjubeln. Seit der ihm gewährten bedingten Begnadigung soll er sich übrigens ordentlich aufgeführt und keinerlei Klagen veranlasst haben. Die Militärsteuern für 1922 und 1923 bezahlte Oppliger rechtzeitig.

Die erneute Verurteilung betrifft ein V e r g e h e n , weshalb sich die Frage erhob, ob gemäss dem i. S. Kloter hinsichtlich des Widerrufs der bedingten Begnadigung in allgemeiner Weise umschriebenen Verfahren der Bundesrat den Widerruf von sich aus vornehmen solle, (Hierzu Geschäftsbericht des Bundesrates für 1922, unter Bundesanwaltschaft, S. 376, Ziffer 20.)

In der Folge hat der Präsident der Begnadigungskommission, dem die Angelegenheit übungsgemäss zu Kenntnis gebracht wurde, von dem Rechte Gebrauch gemacht, den E n t s c h e i d für di& Kommission und die Bundesversammlung zu beanspruchen.

Unsererseits ziehen wir folgendes in Betracht: Im Jahre 1922 haben wir beantragt, das Gesuch Oppligers abzuweisen (zu vgl. Nr. 43 im I Bericht vom 27. Oktober 1922, Bundesbl.

ÏÏI, 613). Die Bundesversammlung hat Oppliger in der Folge bedingt begnadigt, ohne ihm eine bestimmte Probezeit aufzulegen oder als Bedingung besonders hervorzuheben, dass er während eines gewissen Zeitabschnittes kein vorsätzliches Vergehen verübe.

Die Bundesanwaltschaft hat diesbezüglich dem Polizeidepartement des Kantons Solothurn auf Anfrage hin am 22. Dezember 1922 geantwortet, bei Eröffnung des Entscheides der Begnadigungsinstanz solle Oppliger gegenüber die Bedingung wörtlich gleich gefasst werden wie in andern gleichartigen Fällen. Es entspreche dies der Auffassung der Begnadigungskommission und sei auch gerechtfertigt als die mildere Auslegung des Begnadigungsontscheides selbst, indem sonst die Bewährungszeit unbefristet bliebe, bzw. sich auf fünf Jahre, d. h. bis zur Verjährung der Strafe, erstrecken würde. Wir gehen heute davon aus, dass Oppliger wegen eines
während der Probezeit begangenen Vergehens zu einer längeren Freiheitsstrafe verurteilt worden ist. Sowohl die neuere Verurteilung wie die im Begnadigungswege zur Erörterung stehende Freiheitsstrafe stehen in Verbindung mit dem

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Hange Oppligers, von Zeit zu Zeit sich der Liederlichkeit und dem übermässigen Alkoholgenuss hinzugeben. Oppliger hat wegen Körperverletzung bereits im Jahre 1914 eine Freiheitsstrafe ver: büsst ; nachdem er sich nunmehr ein zweites Mal, und zwar diesmal für längere Zeit, im Gefängnis befindet, besteht keine besondere Veranlassung, an der bedingten Begnadigung festzuhalten.

Wir b e a n t r a g e n , die dem Oppliger in der Dezembersession 1922 gewährte bedingte Begnadigung zu widerrufen.

74. Walter Huber, geb. 1902, Maschinenmeister, zurzeit in der Strafanstalt Regensdorf (Zürich).

(Anfertigung falscher Banknoten usw.)

Walter H u b e r ist am 27. Juni 1922 vom Schwurgericht des Kantons Zürich wegen Anfertigung falscher Banknoten und Versuchs des ausgezeichneten Betrugs im Betrage von Fr. 30,000 gestützt auf Art. 66 des Bundesgesetzes über die Schweizerische Nationalbank vom 7. April 1921 und kantonalrechtliche Strafbestimmungen zu 2 Jahren und 6 Monaten Zuchthaus, abzüglich 68 Tage erstandenen Verhaftes verurteilt worden.

Die Angelegenheit Huber und Mitbeteiligte ist der Bundesversammlung als Begnadigungsbehörde bereits anlässlich der von den Mitverurteilten Stindt und Klenert eingereichten Gesuche unterbreitet worden; in der Dezembersession 1923 erfolgte in diesen Fällen antragsgemäss Abweisung (Anträge 62 und 63 des II. Berichtes vom 16. November 1923, Bundeebl, III, 227 ff.).

Huber, Stindt und Klenert haben falsche Fünfzigfrankennoten der Schweizerischen Nationalbank angefertigt, um sie als echte zu verwenden, indem sie im Herbst 1921 in gemeinsamer, sich .gegenseitig unterstützender Tätigkeit die photographischen, chemigraphischen und Druckarbeiten ausführten und derart eine Auflage von zirka 500 falschen Noten fertigstellten. Ferner hat Huber mit dem unwahren Vorgeben, eine Maschine zur Herstellung von Klichees erfunden zu habon und eine Kaufsoöerte zu besitzen, einen Sdgeroibesitzer zur Herausgabe von Fr. 30,000 veranlassen wollen.

Für Huber, der am 28. Juli 1922 in die Strafanstalt Regensdorf eingeliefert worden ist, ersucht die Amtsvormundschaft des Bezirkes Borgen mit Eingabe vom 15. März um Erlass des Restes der Zuchthausstrafe. Hierzu wird namentlich angebracht,

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es sei der ernsthafteste Wunsch Hubers, nach seiner Entlassung durch ,,treues Wirken wieder gutzumachen, was ar mit frevler Tat an Schuld auf sich geladen^ habe. Weiterhin verweist der amtliche Fürsorger darauf, dass die Mutter Hubers der Verurteilung ihres Sohnes halber schwer gelitten habe. Für Einzelheiten verweisen wir auf die Eingabe selbst.

Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich und die kantonale Direktion der Justiz beantragen Abweisung. Dero Berichte des Ersten Staatsanwaltes entnehmen wir folgende Ausführungen: nDas Gesuch stützt sich in der Hauptsache darauf, dass Huber sich im Strafverhafte gebessert und gute Vorsatze für die Zukunft gefasst habe. Allein die an sich mögliche Besserung des Verurteilten kann keinen Grund fiir eine Begnadigung bilden, da für eine solche andere Gesichtspunkte massgebend sein müssen. Es ist zu beachten, dass Huber nach den Akten der geistige Urheber der Banknotenfalschungen ist und dass ohne seine Initiative die Fälschungen nicht vorgekommen wären. Er ist es, der die Geldmittel, die er von seiner Mutter unter unwahren Vorgaben erhielt und aus denen die zur Anfertigung der Fälschungen erforderliehen Maschinen, Apparate und Chemikalien beschafft wurden, zur Verfügung stellte und für ein zur Herstellung der Falsifikate geeignetes Lokal sorgte. In raffinierter Weise schmuggelte Huber eine grosse Zahl der gefälschten Noten über die österreichische Grenze, um sie persönlich in Wien an den Mann zu bringen. Der Umstand, dass ihm dios zufolge der leichten Erkennbarkeit der Fälschungen nicht gelang, ändert an der Schwere des begangenen Verbrechens nichts. Es ist in Berücksichtigung zu ziehen, dass das Bundesgesetz über die Schweizerische Nationalbank vom 7. April 1921 das Verbrechen der Banknotenfälschung mit Zuchthaus bis zu 20 Jahren bedroht.

Vergleicht man die Tat des Huber mit dem Strafmass, so ergibt sich ohne weiteres, dass die ausgefällte Strafe von 2 '/a Jahren Zuchthaus allein schon für die begangenen umfangreichen Fälschungen als eine ausserordentlich milde bezeichnet werden muss.

Dies ist auch dann noch der Fall, wenn man das jugendliche Alter des Huber in weitgehende Berücksichtigung zieht. Es ist sodann hierauf hinzuweisen, dass die -weniger belasteten Mitangeklagten Stindt und Klenert bereits mit ihren Begnadigungsgesuchen abgewiesen worden sind. Ein
Grund, welcher eine andere Behandlung des Huber, der, wie bereits erwähnt, in der Fälschungsangelegenheit die Hauptrolle spielte, rechtfertigen würde, liegt nicht vor, so dass wir uns für Abweisung des gestellten Gesuches aussprechen müssen.1'

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Wir b e a n t r a g e n im wesentlichen aus denselben Erwägungen nnd unter Hinweis auf unsere Ausführungen i. S. Stindt und Klenert, das Gesuch abzuweisen.

75. Melchior Bieder, geb. 1853, Landwirt, Innertkirchen (Bern), 76. Gottfried Brechbühl, geb. 1877, Innertkirchen, 77. Johann Nydegger, geb. 1868, Kutscher im Winkel bei Innertkirchen, 78. Simon Brügger, geb. 1882, Landwirt, Innertkirchen, 79. Cäsar Sanier, geb. 1871, Schmied, Innertkirchen.

(Tierseuchenpolizei.)

Melchior R i e d e r , Gottfried B r e c h b ü h l , Johann Nyd e g g e r und Simon B r ü g g e r sind am 23. Juli 1923 im summarischen Polizeistrafverfahren vom Gerichtspräsidenten von Oberhasli zu je Fr. 30 Busse verurteilt worden. Dieselbe Busse erging nach durchgeführtem Hauptverfahren am -11. März 1924 gegen Cäsar B ä hl e r.

Der Regierungsrat des Kantons Bern hat mit Boschluss" vom 6. April 1923 in Anwendung der eidgenössischen Gesetzgebung betreffend die Tierseuchenpolizei die Alpsömmerung im Amtsbezirk Oberhasli besonders geregelt und unter anderem angeordnet, dass in der Gemeinde Innertkirchen für sämtliche, somit auch.

für die im Inspektionskreis verbleihenden Sömmerungstiere Gesundheitsscheine (Formular C) zu lösen seien. Die oben genannten Personen haben einzelne Tiere gesommert, ohne den erforderlichen Gesundheitssohein gelöst zu haben; bei Rieder, Nydegger und Brügger fehlte der Gesundheitsschein für je ein Kalb, bei Brechbühl und Bähler für je zwei Ziegen.

In gemeinsamer Eingabe wird für die Bestraften um Erlass der Bussen ersucht mit dem Hinweis, dass im allgemeinen Gesundheitsscheine gelöst worden seien ; was die hier in Betracht fallenden Tiere, insbesondere die ,,Heimgeissena anbetreffe, so seien deren Eigentümer im guten Glauben gewesen, keine Gesundheitsscheine zu benötigen. Bei dieser Sachlage möge man die Bussen erlassen.

Der Gemeinderat von Innertkirchen unterstützt die Eingabe und die kantonale Landwirtschafts- und die Polizeidirektion erklären ebenso, mit der Begnadigung einverstanden zu sein, wogegen der Regierungsstatthalter des Amtsbezirkes höchstens Herabsetzung bis zu Fr. 15 als gerechtfertigt erachtet. Von einem gänzlichen Erlass der Bussen könne mit Rücksicht auf die Wich-

350 tigkeit der tierseuchenpolizeilichen Vorschriften nicht die Rede sein, denn eine gänzliche Begnadigung käme der Aufmunterung gleich, es mit den einschlägigen Vorschriften nicht allzu ernst zu nehmen. Das eidgenössische Veterinäramt äussert sich in ähnlicher Weise für gänzliche Abweisung.

In Abwägung der verschiedenen Anträge ziehen wir in Betracht, dass das Verschulden der Gesuchsteller nicht schwerwiegender Art ist; hinzu kommt, dass der Regierungsratbeschluss vom 6. April 1923 mit der hier zur Erörterung stehenden Vorschrift eine sehr weitgehende Sorgfaltspflicht aufgestellt hat. Da es sich, insbesondere bei Bähler, um Leute in bescheidenen Verhältnissen handelt, b e a n t r a g e n wir zusammenfassend wie der Regierungsstatthalter des Amtsbezirkes, die Bussen um die Hälfte, mithin bis zu Fr. 15, zu ermässigen.

80. Josef Haas, geb. 1903, Fabrikarbeiter, Degersheim (Sankt Gallen}, 81. Ernst Bienz, geb. 1904, Schlosser, Wattenwil (Bern), 82. Otto Riniker, geb. 1882, Bahnarbeiter, Habsburg (Aargau).

(Jagdpolizei.)

Gestützt auf das Bundesgesetz über Jagd und Vogelschutz vom 24. Juni 1904 und zudienendes kantonales Jagdrecht wurden verurteilt: 80. Josef H a a s , verurteilt am 15. Juni 1923 vom Bezirksammannamt Untertoggenburg in Anwendung von Art. 21, Ziffer 3, lit. c, des Bundesgesetzes zu Fr. 100 Busse.

Haas hat zwei Rehkitzchen eingefangen.

Die Mutter des Bestraften stellt das Gesuch um Erlass der Restbusse. Die ratenweise Begleichung von Fr. 60 sei unter Entbehrungen erfolgt ; der Vorfall erweise sich als harmlos, auch aei zu bemerken, dass anderweitige, ähnliche Vorkommnisse geduldet worden seien.

Das Beairksammannamt Untertoggenburg, das Justizdepartement des Kantons St. Gallen und die eidgenössische Inspektion für Forstwesen, Jagd und Fischerei befürworten den Erlass der Restbusse.

Wir b e a n t r a g e n ebenso, die Restbusse, die nach den amtlichen Mitteilungen noch Fr. 47.25 betragt, zu erlassen. Haas ist gut beleumdet, ferner ist die elterliche Familie auf den Verdienst des Sohnes angewiesen.

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81. Ernst B i e n z , verurteilt am 29. November 19.23 vom Gerichtspräsidenten von Seftigen in Anwendung der Art» 17 und 21,, Ziffer 4, lit. «, des Bundesgesetzes zu Fr. 50 Busse.

Bien ist verurteilt worden wegen Jagens ohne Patent und an einem Sonntag, wobei er eine Schnepfe-, mitbin einen geschützten Vogel, erlegt habe.

Bienz ersucht, ihm die Busse ganz oder doch teilweise zu erlassen. Im wesentlichen wird angebracht, auf Grund der Aussagen des Präparators, der die Schnepfe ausstopfte, ergebe sich nachträglich, dass diese überhaupt nicht geschossen, sondern durch Starkstrom getötet worden sei ; ferner wird betont, da, Bienz erst kürzlich aus der Lehre getreten sei, bedeute die Busse für ihn eine grosse, geradezu unerschwingliche Summe.

Der Regierungsstatthalter, des Amtsbezirkes und die kannalen Forst- und Pollizeidirektionen beantrageHerabsetzungng der Busse bis. zu Fr. 10.

Die Überprüfung der Akten, insbesondere aines neuem Schreibens des Anzeigers, ergibt, dass die Gesuchsanbringen autreffen.

Die vorhandenen Jagdübertretungen sind bei dieser Sachlage wenig schwerer Art, wobei immer festzuhalten ist, dass die Busse von Fr. 50 auch so noch die gesetzliche Mindestbusse darstellt Angesichts der sonstige» Unbescholtenheit des jungen, als vollständig mittellos bezeichneten Burschen b e a n t r a g e n wir Ermässigung der Busse bis au Fr. 20.

82. Otto R i n i k e r , verurteilt am 18. Februar 1924 durch bedingten Strafbefehl des Gerichtspräsidenten von Brugg in Anwendung von Art. 21, Ziff. 5, lit. a, des Bundesgesetzes UM, Fr, 40 Busse.

Rinik ist wegen Abschiessens eines Mäusebussardes, bestraft worden.

Riniker ersucht um Erlass der Busse. Bei Arbeiten am Bahnkörper habe er den Vogel während mehreren Tagen beob achtet und in ihm einen Raubvogel vermutet. Die Busse, die sein» erste Strafe sei, erscheine als sehr hoch, namentlich da durch den Vorfall niemand geschädigt worden sei ; man möge berücksichtigen, dass Rinike für eine vierköpfige Familie zu sorgen habe.

Das Bezirksgericht Brugg befürwortet teilweise Begnadigung.

Mit der eidgenössischen Inspektionfür Forstwesen, Jagd und Fischerei bemerken wir, dass d e r Mäusebussard i m Verzeichnis imKantono Aargau durch Regierungsverordnung als geschützt er-

352 klärt worden ist. Auf Grund von Art. 7 des Bundesgesetzes halten wir dafür, dass die Straf bestimmung von Art. 21, Ziff. 6, lit. a, auch in diesem Falle zutreffe. Der Richter hat übrigens das Hauptgewicht darauf verlegt, dass Riniker ohne Berechtigung gejagt hat. Die Strafe selbst kann im vorliegenden Fall nicht als übersetzt bezeichnet werden.

Wir b e a n t r a g e n Abweisung.

83. Gottlieb Kupfer, geb. 1909, 84. Albert Kupfer, geb. 1910, 85. Hans Kupfer, geb. 1910, alle in Gretzenbach (Solothurn}.

(Fischereicolizei.)

Gottlieb K u p f e r , Albert K u p f e r und Hans K u p f e r sind am 1. Oktober 1923 vom Amtsgericht OHen-Gösgen in Anwendung von Art. l und 3, Ziffer l, des Bundesgesetzes betreffend die Fischerei vom 21. Dezember 1888 zu je Fr. 20 Busse verurteilt worden.

Der Bach bei Gretzenbach stellt eine vom Staate Solothurn an Drittpersonen verpachtete ,,Fischenze* dar; die Vorgenannten haben in diesem Bache wiederholt ohne Berechtigung Forellen gefangen.

Der Bürgerrat von Gretzenbach ersucht, den Bestraften dio Bussen zu erlassen. Die zur Zeit des unbefugten Fischens dreizehn- bzw. vierzehnjährigen Knaben können die Bussen von sich aus nicht aufbringen. Der Vater der bestraften Brüder Gottlieb und Albert Kupfer hat für fünf Kinder zu sorgen und befindet sich nachgewiesenermassen im Zustand schwerer Erkrankung; die misslichen Familienverhältnisse haben unter anderem auch die elterliche Aufsicht gelockert. Hans Kupfer ist seit seinem ersten Lebensjahr einem Ehepaar in Gretzenbach in Pflege gegeben ; bei den Verhältnissen der Pflegeeltern ist auch hier die Obhut nur mangelhaft. Die Zahlung der Busse würde den Pflegeeltern sehr schwer fallen.

Das Polizeidepartement des Kantons Solothurn beantragt in längerem Bericht, auf den wir für Einzelheiten verweisen, die in Betracht kommenden Bussen zu erlassen.

Unsererseits bemerken wir mit der eidgenössischen Inspektion für Forstwesen, Jagd und Fischerei, dass das urteilende Gericht den Tatbestand des Fischens ohne Berechtigung den Strafbestimmungen des Bundesgesetzes unterstellt hat; in Wirklichkeit

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hätte jedoch hierauf nach der Kompetenzausscheidung des Bundesgesetzes kantonales Fischereipolizeirecht zur Anwendung kommen sollen. Wie im Palle Richter (Antrag 105 im II. Bericht vom 22. November 1922, BEI. Ili, S. 726) ist mithin zu sagen, dass formell, wenn auch zu Unrecht, eine b u n d e s r e c h t l i c h e Strafe erkannt worden ist, weshalb nach der bereits im Falle Richter befolgten Rechtsauffassung die Begnadigung Sache der Bundesbehörden ist. Dabei darf aber berücksichtigt werden, dass es sich materiell eben doch um eine Verfehlung gegen kantonales Recht handelt, weshalb die Mitberichte der kantonalen Behörden dem bundesrätlichen Antrage in erhöhtem Masse zugrunde gelegt werden können, Die eidgenössische Inspektion für Forstwesen, Jagd und Fischerei beantragt für den Fall der Behandlung der Gesuche durch die Bundesversammlung, die Bussen aus den vom Polizeidepartement des Kantons Solothurn geltend gemachten Gründen zu erlassen.

Wir b e a n t r a g e n ebenso den Erlass der Bussen.

86. Gaston Frossard, geb. 1898, Handlanger, Pruntrut (Bern), 87. Joseph Raccordon, geb. 1891, Karrer, Alle (Bern), 88. Ernst Kunz, geb. 1891, Betriebsleiter in einer Fabrik, Sehönenwerd (Solothurn), 89. Werner Reichmuth, geb. 1891, Zahnarzt Birsfelden, (Basellandschaft), 90. Alfred Leber, geb. 1900, Maschinenschlosser, Birsfelden, (Basellandschaft), 91. Paul Barthe, geb. 1887, Reisender, Pruntrut (Bern).

(Militärpflichtersatz.)

Wegen schuldhafter Niehtentrichtung des Militärpflichtersatzes sind in Anwendung des Bundesgesetzes vom 29. März 1901 betreffend Ergänzung des Bundesgesetzes über den Militärpflichtersatz verurteilt worden: 86. Gaston F r o s s a r d , verurteilt am 24. Januar 1924 vom Gerichtspräsidenten von Pruntrut zu 4 Tagen Haft, die MilitärSteuer von Fr. 37. 60 für 1923 betreffend.

Frossard ersucht um Erlass der Haftstrafe mit dem Hinweis, dass er die Steuer am Tage der Hauptverhandlung gäazlich bezahlt habe ; eine Teilzahlung hatte er bereits am 24. September 1923, d. h. der Einreichung der Strafanzeige vorgängig, entrichtet.

Er habe geglaubt, die Angelegenheit sei damit im reinen, und es lediglich aus Irrtum unterlassen, den urteilenden Richter von der Tilgung der Restschuld zu benachrichtigen.

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Da die Begleichung der Steuer, den Gesuchsanbringen entsprechend, feststeht und Verumständungen die dem GesuchsteUer ungünstig wären, weiter nicht vorliegen, b e a n t r a g e n wir mit den kantonalen Behörden die ganzliche Begnadigung.

87. Joseph Raccordon verurteilt am 1. Dezember 1920 vom Gerichtspräsidenten von Pruntrut zu 4 Tagen Haft, die Militärsteuer von Fr. 43. 50 für 1920 betreffend.

Raccordon ersucht um Erlass der Haftstrafe. Die Steuer hat er am 31. Dezember 1920 bezahlt. In dem Gesuch wird insbesondere darauf verwiesen, dass Massnahmen der Strafvollzugsbhörden bis zum 4. Februar 1924 unterblieben seien, und ferner ausgeführt, Raccordon sei gut beleumdet und ohne Vorstrafe.

Man möge ihm nachträglich die Schande der Freiheitsstrafe ersparen ; obschon er nie ortsabwesend gewesen sei, habe man ihn im Polizei-Anzeiger ausgeschrieben und schon damit in seinem Rufe geschädigt.

Der Gemeinderat von Alle stellt Raccordon ein gutes Zeugnis aus. Der Regierungsstatthalter des Amtsbezirkes und die kantonale Polizeidirektion beantragen die gänzliche Begnadigung, wogegen der Kantonskriegskommissär Abweisung beantragt, weil mit dem Straferlass dem weitem Schlendrian Vorschub geleistet würde.

Wir b e a n t r a g e n deshalb gänzliche Begnadigung, weil feststeht, dass Raccordou seit 1920 den Militärpflichtersatz jeweils ordnungsgemäß entrichtet hat; bei dieser Sachlage wäre der nachträgliche Strafrollzug eine unnötige Härte. Raecordon hat sich allerdings im Jahre 1920 in der zur Erörterung stehenden Steuersache nachlässig benommen, BÖ dass die Verurteilung zn Recht ergangen ist; im Begnadigungswege darf aber das seitherige Verhalten des Gesuchstellers berücksichtigt werden.

88. Ernst K u n z , verurteilt am 21. Dezember 1923 vom Amtsgericht Olten-Gösgen zu 3 Tagen Gefängnis, die MilitärSteuer von Fr. 40.50 für 1923 betreffend.

Kunz, der die Steuer am 3. Januar 1924 beglichen hat, ersucht um Erlass der Gefängnisstrafe. Er habe nach Möglichkeit bezahlt, jedoch die Steuer wirtschaftlicher Umstände halber nicht rechtzeitig entrichten können.

Das Polizeidepartement des Kantons Solothurn beantragt in eingehender Vernehmlassung, die Gefängnisstrafe bedingt zu erlassen mit der speziellen Auflage, dass Kunz während einer zu bestimmenden Bewährungszeit seiner Militärsteuerpflicht pünktlich nachkomme. Dem Bericht entnehmen wir, dass Kunz bei einem

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Monatslohn von Fr. 650 auf den ersten Blich als säumiger Steuerpflichtiger erscheine, dem ein ziemlicherhebliches« Verschulden zur Last falle-, jedoch seien zu seinerEntschuldigungg gewichtige Gründe anzuführen»Kunza befinde sich der ihm gerichtlich auferlegte Unterhaltsbeitrag an die Ehefrau Fr. 450. Fernerseienn gegen ihn mehrere Betreibungen anhängig; seinLohnn sei vom Betreibungsamt bis za einem gewisses Betrag zum voraas gepfändet. Zu diesenmisslichen,,familien-rechtlichen Verhältnissen komme die nachträglich© Begleichung der Steuerschuld. Kunz habe sieh hierin alle Mühe gegeben, ohne etwa die Aufforderung zum Strafantritt abzuwarten.

Wir ergänzen die Berichterstattung über den Gesuchsteller unter Hinweis auf die Urteilsmotive dahin, dass das urteilende Gericht dafür hielt, das Verhalten des Kunz sei mindestens als sehr nachlässig zu bezeichnen; wenn je, so rechtfertige sich in concreto eine exemplarische Strafe.

Bei dieser Sachlage erachten wir es -als angemessen, ausdrücklich zu betonen, dass wir es ablehnen, im Begnadigungswege auf die Schuldfrage zurückzukommen ; dagegen mag aus den Erwägungen, wie sie der bedingten Begnadigung im allgemeinen zugrunde liegen, berücksichtigt werden, dass Kunz ohne Vorstrafe ist, dass er als zuverlässiger Angestellter geschildert wird und ausserdem an seinem Arbeitsort als bescheidener und zurückgezogenlebend Manu gilt.

Wir b e a n t r a g e n , Kunz die Gefängnisstrafe bedingt zu erlassen unter Auferlegung einer Probezeit von zwei Jahren, und beben als Bedingung besonders hervor, dass Kunz während der Probezeit kein vorsätzliches Vergehen verübe, insbesondere nicht neuerdings die Entrichtung der Militärsteuer schuldhaft unter89. Werner R e i e h m n t h , verurteilt am 6. Juni 1922 vom Polizeigericht Arlesheim za 4 Tagen Gefängnis, die Militärsteuern von Fr. 277 für die Jahre 1917/21 betreffend.

Fur Reichmuth wird in längerer Eingabe um Erlass der Gefängnisstrafe ersucht. Hierzu wird namentlich geltend gemacht, Reichmuth, der sich im Jahre 1916 im Kanton Basellandschaft als Zahnarzt niedergelassen habe, sei im September l dl 7 auf Grund des in Kraft getretenen kantonalen zahnärztlichen Gesetzes in dar Berufsausübung eingestellt worden und in der Folge völlig erwerbslos gewesen, bis er nach Bestehen der kantonalen Prüfung im Jahre 1921 neuerdings eine Praxis habe eröffnen können. Dabei habe die kantonale Regierung ausdrücklich aner-

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kannt, dass Reichmuth zu Unrecht nicht schon früher zur Prüfung zugelassen worden sei. Reichmuth sei verheiratet und Vater von fünf Kindern ; um seine Familie durchzubringen, habe er in den Jahren 1917 bis 1920 beträchtliche Schulden eingehen müssen.

Bei den damals nachweisbar vorhandenen misslichen Familienverhältnissen sei davon auszugehen, dass Reichmuth schlechterdings seinen Steuerpflichten nicht habe nachkommen können; ferner möge mau berücksichtigen, dass er die Steuern nachträglich beglichen habe. Für Einzelheiten verweisen wir auf die Gesuchsanbringen selbst.

Nach dem eingeholten Polizeibericht sind die Angaben über die Familienverhältnisse richtig; allerdings wird bemerkt, bei gutem Willen hätte Reichmuth die Steuern immerhin rechtzeitig entrichten können; es wird gesagt, es sei vorgekommen, dass Reichmuth ,,in Wirtschafton in Saus und Braus lebte". Der Polizeibericht schliesst damit, ,,dass in Anbetracht der jetzigen Familienverhältnisse dem Begnadigungsgesuch doch entsprochen werden dürfte^. Der Gemeinderat von Binningen beantragt, ,,in Anbetracht, dass Reichmuth die Militärsteuern bezahlt hat und seinen Verpflichtungen gegenüber Staat und Gemeinde stets nachgekommen ist", dem Begnadigungsgesuch in der Weise zu entsprechen, dass die Haftstrafe in eine Geldbusse umgewandelt werde. Die kantonale Polizeidirektion schreibt mit Bericht vom 14. März, Reichmuth habe in diesem Zeitpunkt die Militärsteuer für 1923 noch uicht entrichtet und sei wiederum dem Statthalteramt zuhanden der Strafbehörden überwiesen. Da Reichmuth bei gutem Willen sowohl früher wie jetzt seinen Verpflichtungen rechtzeitig hätte nachkommen können, vermag die Polizeidirektion unter den vorliegenden Umständen die Begnadigung nicht zu empfehlen.

In der Folge ersuchte die Bundesanwaltschaft um ergänzende Berichterstattung nach, da nach der Lage des Falles die Frage der bedingten Begnadigung zur Erörterung gelangen werde.

Nach Überprüfung der Angelegenheit stellten wir zunächst auch in dieser Sache fest, dass jedenfalls keine zwingende Veranlassung besteht, auf die Schuldfrage zurückzukommen. Wir erachten es als zutreffend, wenn in den Urteilserwägungen erklärt wird, Reichmuth mache den Eindruck, aus Verbitterung wegen des Zahnarztgesetzes -- das ihm, weil nicht patentiert, die Berufsausübung untersagte -- die Militärsteuern
mit bösem Willen nicht bezahlt zu haben. In Abwägung der vorhandenen Umstände möchten wir jedoch, insbesondere da Reichmuth die Steuer für 1923 nunmehr ebenfalls beglichen hat, Gnade walten

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lassen und dem Manne, der schwere Jahre hinter sich hat, einigermassen entgegenkommen.

> Wir b e a n t r a g e n , die bedingte Begnadigung aus den ihr im allgemeinen zugrunde liegenden Erwägungen in derselben Weise zur Anwendung zu bringen wie bei Kunz.

90. Alfred L e b e r , verurteilt am 21. Februar 1924 vom Polizeigericht Ariesheim zu 3 Tagen Gefängnis, die Militärsteuer von Fr. 24 für 1923 betreffend.

Leber ersucht um Erlass der Freiheitsstrafe, Er macht längere Arbeitslosigkeit und die hernach eingetretene Notwendigkeit der Abgabe des Verdienstes an die in Not geratenen Eltern geltend. Weiterhin wird bemerkt, dass der Strafvollzug den Gesuchsteller um eine ihm in Aussicht stehende Anstellung bringen würde.

Der Gemeinderat von Birsfelden bemerkt, Leber sei ihm nie im behaupteten Umfang als arbeitslos gemeldet worden; wenn eine Arbeitslosigkeit von Monaten wirklich zutreffe, so sei die Begnadigung am Platze. Die kantonale Polizeidirektion beantragt Abweisung.

Wir b e a n t r a g e n ebenso Abweisung und verweisen hierzu auf die Urteilserwägungen und polizeilichen Erhebungen. Danach erweckt Leber den Eindruck, dass er der Arbeit nicht nachgehe, gleichgültig sei und die Arbeit scheue; der Hinweis auf eine bevorstehende Anstellung ist durch die Tatsachen überholt, dass Leber seine letzte Anstellung aufgegeben hat und sich auf der ,,Walz" befinden soll.

91. Paul B a r t h è , verurteilt am 24. Januar 1924 vom Gerichtspräsidenten von Pruntrut zu 4 Tagen Haft und Wirtshausverbot bis zur Begleichung der Steuer und längstens während 6 Monaten, die Militärsteuer von Fr. 21.10 für 1923 betreffend.

Barthe, der die Steuer am 31. Januar 1924 beglichen hat, ersucht um Erlass der Freiheitsstrafe. Hierzu verweist er namentlich auf längere Arbeitslosigkeit und die ihm aus der notwendig gewordenen Verheiratung erwachsenen Familienlasten.

Der Gemeinderat von Pruntrut befürwortet das Gesuch, und der Regierungsstatthalter des Amtsbezirkes beantragt in seinem ergänzten Bericht vom 26, März, die Gefängnisstrafe zur Hälfte zu erlassen. Der Kantonskriegskommissär und die kantonale Polizeidirektion beantragen Abweisung.

Wir b e a n t r a g e n ebenso Abweisung. Barthe ist am 27. Dezember 1917 wegen Insubordination und Dienstverletzung zu 3 Monaten Gefängnis und am 3. Januar 1924 wegen Betrugs zu 10 Tagen Gefängnis verurteilt worden.

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92. Albert Girardin, geb. 1891, Landwirt, Muriaux (Bern), 93. Marcel Meier, geb. 1894, Viehhändler, Pruntrut (Bern).

(Patenttaxengesetz.)

Gestützt auf das Bundesgesetz betreffend die Patenttaxen der Handelsreisenden vom 24. Juni 1892 sind verurteilt worden : 92. Albert G i r a r d i n , verurteilt am 14. Februar 1924 vom Gerichtspräsidenten des Amtsbezirkes Freibergen zu Fr. 100 Busse.

Girardin hat, ohne im Besitze der Taxkarte zu Bein, in Les Breuleux von Haus zu Haus Bestellungen für Setzzwiebeln und dergleichen aufgenommen.

Girardin ersucht um Begnadigung unter Hinweis auf die missliche Lage seiner Familie, verursacht durch die andauernde Krankheit seiner Ehefrau und das verschuldete Heimwesen. Ferner versichert er, in Unkenntnis des Gesetzes gehandelt zu haben.

Der Gemeinderat von Muriaux bestätigt die Richtigkeit der Gesùchsanbringen und befürwortet die Eingabe. Dasselbe ist der Fall seitens des Regierungsstatthalters des Amtsbezirkes, der sich über den Gesuchssteiler eingehend äussert; danach hat sich Girardin durch unermüdliche Arbeit in den Stand gesetzt, ein kleines Heimwesen zu erstehen, jedoch ist der strebsame, durchaus gut beleumdete Mann dermalen in misslichen Verhältnissen, weil ihn Krankheiten in der Familie und Unglück im Stall schwer heimgesucht haben.

Die Polizeidirektion des Kantons Bern empfiehlt das Gesuch ebenfalls.

Die Handelsabteilung des eidgenössischen Volkswirtsehaftsdepartementes bemerkt, die hohe Busse sei auf die von einer Reihe bernischer Gerichte noch immer geübte unrichtige Praxis zurückzuführen, als Busse mindestens den Betrag der umgangenen Taxe auszusprechen. Die Handelsabteilung bemerkt, sie würde Girardin bei den obwaltenden Verhältnissen von der Pflicht zur Nachzahlung der Taxe befreit haben ; die Busse betreffend, wird eine wesentliche Ermässigung befürwortet, d, h. etwa bis zu Fr. 5.

Auf Grund der dem Gesuchsteller günstigen Berichte der kantonalen Behörden, in Berücksichtigung seiner schwierigen Verhältnisse und in Erwägung, dass die Zuwiderhandlung in Unkenntnis der vorhandenen Vorschriften erfolgte, b e a n t r a g e n wir, die Busse gänzlich zu erlassen.

93. Marcel M e i e r , verurteilt am 29. Mai 1923 vom Gerichtspräsidenten von Pruntrut zu Fr. 100 Busse.

359 Meier hat bei Privaten Bestellungen auf Wein aufgenommen, ohne im Besitze der roten Taxkarte zu sein.

Meier ersucht um Erlass der Busse, da er krankheitshalber ohne Verdienst sei und seinen Eltern zur Last falle.

Der Gemeinderat von Pruntrut, der Regierungsstalthalter des Amtsbezirkes, die kantonale Polizeidirektion und die Handelsabteilung des eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartementes beantragen Abweisung.

Da nach den Akten und Berichten die Übertretung in Kenntnis der gesetzlichen Bestimmungen erfolgte und weiterhin erklärt wird, es sei notorisch, dass Meier, Vater und Sohn, auf die besagte Art mit Wein gewerbsmässig handeln, b e a n t r a g e n wir mit -den genannten Behörden, das Gesuch abzuweisen.

94. Alois Jäggi, geb. 1888, Taglöhner, zurzeit im Kantonalgefängnis Frauenfeld (Thurgau), 95. Joos Margadant, geb. 1865, Landwirt, Sent (Graubünden).

(Zollübertretungen.)

In Anwendung des Bundesgesetzes über das Zollwesen vom 28, Juni 1893 sind bestraft worden: 94. Alois J ä g g i , durch Strafentscheido der Zolldirektion Schaffhausen, der Oberzolldirektion und des Zolldepartementes vom 4. April, 7. Mai, 14. und 19. Juni 1923 zu Bussen im Gesamtbetrag von Fr. 1228. 56 verfällt.

Jäggi hat berufsmässig geschmuggelt ; der in neun Fällen ungangene Zollbetrag beträgt insgesamt Fr. 302.75. Als Schmuggelware kommen in Betracht ein Motorfahrrad, zwei gewöhnliche Fahrräder, Vorhänge, Bett- und Tischwäsche, Handtücher, Glühlampen, Nickelwaren.

Jäggi, der die Zollbussen seit dem 7. Mär? im Wege der Umwandlungshaft tilgt, ersucht mit Eingabe vom 7. April um Erlass der Reststrafe. Ausser zwei Teilzahlungen von zusammen Fr. 15 habe er bei den schlechten Arbeitsverhältnissen weiter nichts aufbringen können, auch müsse er für zwei Kinder sorgen.

Demgegenüber verweisen wir auf die vom Bezirksamt Diessenhofen, dem Polizeidepartement des Kantons Thurgau und der Zollverwaltung gestellten Abweisungsanträge. Der Bezirksstatthalter von Diessenhofen schreibt, der Leumund Jäggis sei der denkbar schlechteste, so dass eine Begnadigung, auch eine bloss teilweise, unverständlich wäre. Die Sorge um seine Kinder überlässt der Gesuchsteller seiner Heimatgemeinde. Aus den Berich-

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ten ergibt sich weiterhin, dass Jäggi vorgängig der Umwandlungsstrafe eine ihm wegen Beihilfe zur Abtreibung auferlegte Gefängnisstrafe von 6 Monaten verbüsst hat.

Jäggi wird am 7. Juni aus der Haft entlassen werden. Im Zeitpunkt der Behandlung des Gesuches durch die Bundesversammlung ist die Umvcandlungshaft mithin verbüsst, weshalb wir b e a n t r a g e n , auf das Gesuch nicht einzutreten.

95. Joos M a r g a d a n t , durch Strafentscheid des Zolldepartementes vom 7. Januar 1924 mit Fr. 217 gebüsst.

Margadant hat sich im Sinne von Art, 12 des Fiskalprozessgesetzes dem Administrativstrafentscheid unterzogen und ist hierauf gebüsst worden, weil er aus Österreich im Schmuggelweg geschlachtete ,,Gitzia bezog. In tatbeständlicher Hinsicht nehmen wir insbesondere Bezug auf eine Darstellung des Sachverhaltes in einem Schreiben des Zolldepartementes vom 18. März.

Der Schwiegersohn von Margadant stellt das Gesuch um Ermässigung der Busse und Befreiung von der Solidarhaft, die gegenüber einer Reihe von Beteiligten hinsichtlich des einfachen, umgangenen Zolles und der Kosten ausgesprochen worden ist.

Die Gesuehsanbringen verweisen in allgemeiner Weise auf den guten Leumund des Bestraften, der hier ,,ein Opfer vieler" geworden sei und die Tragweite seiner Handlungsweise nicht über blickt habe.

Unsererseits bemerken wir zunächst, dass sich die Bundesversammlung als Begnadigungsbehörde einzig mit der Frage einer allfälligen Ermässigung der Busse zu befassen hat; die Eintreibung des umgangenen Zolles und die Kostenauflage berühren den Begnadigungsweg nicht. Was die Busse anbetrifft, so machen wir geltend, dass sie keineswegs übersetzt ist; ihre Bezahlung kann Margadant, der nicht in misslichen Verhältnissen lebt, um so eher zugemutet werden, als ihm bereits die Begleichung in fünf Monatsraten zugebilligt worden ist.

Wir b e a n t r a g e n mit der Zollverwaltung, das Gesuch abzuweisen.

96. Otto Betz, geb. 1893, Kaufmann, Berlin, 97. Jakob Friedrich, geb. 1874, Spediteur, Konstanz.

(Ausfuhrschmuggel.)

Gestutzt auf den Bundesratsbeschluss betreffend Bestrafung der Widerhandlungen gegen das Ausfuhrverbot vom 12. April 1918 sind verurteilt worden;

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96. Otto B e t a , verurteilt am 14. April 1919 vom Bezirksgericht Kreuzungen zu 2 Monaten Gefängnis, Fr. 10,000 Busse, 5 Jahren Landesverweisung und beträchtlichem Wertersatz, Für Betz, der seit 1916 im Auslande wohnen soll, wird in einer längeren Eingabe um Begnadigung ersucht; nach der Lage des Falles sehen wir jedoch davon ab, auf die Gesuchsanbringen weiter einzutreten, und erachten es auch nicht als notwendig, näher auf die Verumständungen des Schmuggelfalles und der dem Betz zur Last fallenden Gehilfenschaft zurückzukommen. Wir begründen dies damit, dass im Zeitpunkte der Behandlung des Gesuches durch Begnadigungskommission und Bundesversammlung die Freiheitsstrafe als verjährt, die Strafe der Landesverweisung als verbüsst zu betrachten ist. Da mithin in jenem Zeitpunkte diesbezüglich kein Strafanspruch mehr besteht, ist auf das Begnadigungsgesuch hierin nicht einzutreten, Was sodann die Busse und den Wertersatz anbetrifft, so ergibt sich, dass diese nebst den Kosten aus einer von Betz seinerzeit geleisteten Kaution beglichen worden sind. Der Verfasser des Gesuches schreibt selbst, die Busse sei bezahlt (S. 8), der Wertersatz sei bezahlt (8. 9), die betreffenden Beträge seien geleistet (S. 12). Unter diesen Umständen kann nach ständiger Praxis diese Angelegenheit heute auch hinsichtlich der Busse und des Wertersatzes im Begnadigungswege nicht mehr erörtert werden.

Wir b e a n t r a g e n Nichteintreten.

97. Jakob F r i e d r i c h , verurteilt am 27. September 1919 vom Bezirksgericht Kreuzungen zu l Monat Gefängnis und Fr. 1000 Busse.

Der wegen Ausfuhrschmuggels in vier Fällen mit Bussen belegte, seit 1916 flüchtige Gesuchsteller ersucht um Erlass von Freiheitsstrafe und Busse bzw. der Umwandlungshaft.

Die Bundesversammlung hat wiederholt, zuletzt noch in der Dezembersession 1923, antragsgemäße entschieden, dass Gesuche von Verurteilten, die sich dem Strafvollzug durch die F l u c h t entzogen haben, grundsätzlich abzuweisen seien. (Zu vgl. Anträge 102 und 103 im II. Bericht vom 16. November 1923, Bundesbl. III, S. 262.)

Es besteht keine Veranlassung, im Falle Friedrich von dieser Praxis abzuweichen. Die Zollverwaltung bezeichnet den Gesuchsteller in längerer Berichterstattung als einer Begnadigung in jeder Beziehung unwürdig. Sofern Friedrich weiterhin vorsieht, sich den Strafvollzugsbehörden nicht zu stellen, mag er Bundesblatt. 76. Jahrg. BJ. II.

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382 auch die Verjährung der hier zur Erörterung stehenden Strafen im Ausland abwarten. Eine Reihe Bussen im Gesamtbeträgevon Fr. 3190 ist bereits verjährt.

Wir b e a n t r a g e n Abweisung.

98. Rudolf Munzinger, geb. 1867, Kaufmann, deutscher Staatsangehöriger, vormals in Zürich, heute in Littenweiler bei Freiburg i. Br.

(Kriegswucher,) Rudolf M u n z i n g e r ist am 24. JUDÎ 1920 vom Obergericht des Kantons Zürich wegen Übertretung der Noterlasse gegen die Verteuerung von Nahrungsmitteln und andern unentbehrlichen Bedarfsgegenständen zu o Monaten Gefängnis, Fr. 15,000 Busse und 10 Jahren Landesverweisung verurteilt worden. Die beim Bundesgericht gegen diesen Entscheid eingereichte Kassationsbeschwerde wurde abgewiesen.

Der Straffall Munzinger und Mitbeteiligte ist der Bundesversammlung als Begnadigungsbehorde bereits zur Kenntnis gelangt aus Anlass der seinerzeit von dem mitverurteilten Kappeier eingereichten Begnadigungsgesuche (hierzu Bundesblatt 1922, II, 440 ff., und 1921, IV, 402 ff.). Zusammenfassend bemerken wir in tatbeständlicher Hingicht, dass sich die Firma Munzinger & Cie.T die seit 1902 in Zürich den Handel mit Gas- und Wasserleitungsartikeln und mit sanitären Anlagen betrieb, jedoch infolgedes Krieges hierin nahezu stillgelegt wurde, im Herbst 1915 auf den Handel mit Nahrungsmitteln und Bedarfsgegenständen warf.

Diese Tätigkeit artete binnen kurzem in Machenschaften aus, die einen der gròssten Schieber- und Kriegswucherfälle jener Jahredarstellen. Für Einzelheiten verweisen wir auf die Ausführungen im bundesgerichtlichen Urteil, insbesondere auf Ziffer S der Erwägungen, wo die Tatsachen festgehalten werden, dass die ganzeHandelstätigkeit der Angeklagten ausserhalb der ordentlichen Wirtschaftsorganisation stand, irregulär war und nicht auf den legitimen Zweck der Überführung der Ware in der Verbrauchhinzielte; die Tätigkeit diente der Weitergabe in der Richtung der Ausfuhr trotz ausdrücklicher Bestimmung der Warenbeständefür den Inlandbedarf, oder dem Kettenhandel mit Personen, die sich ihrerseits wieder als schädliche Zwischenglieder, d. h. als Schieber, darstellten. Das Bundesgoricht erklärt weiterhin, dieAnnahme der Vorinstanz, dass bei den Angeklagten die zur Erkenntnis der Gemeinschädlichkeit ihres Tuns und Treibens er-

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forderliche Einsicht vorausgesetzt werden dürfe, sei rechtlich nicht anfechtbar.

Munzinger, der die Gefängnisstrafe verbüsst und die Busse bezahlt hat, ersucht vom Ausland aus, wo er sich seit dem 15. Januar 1922 befindet, um volligen Erlass der Landesverweisung. Die Firma habe sieh im Spätherbst 1915 auf den Importund Exporthandel geworfen, um dem Ruin zu entgehen und um dem zahlreichen Personal den Verdienst zu erhalten. Über die an die Hand genommenen Geschäfte habe zu jener Zeit niemand etwas Böses gedacht; Geschäftsfreunde, Bank und Rechtsbeistände hätten dazu ermuntert. Um die einschlägigen Noterlasse nicht zu umgehen, habe die Firma ihren Geschäftsverkehr tagtäglich durch ihren ständigen Rechtsbeistand überprüfen lassen.

Da dem Gesucheteller und seinem Socius die neue Geschäftstätigkeit fremd gewesen sei, habe der neu beigetretene Gesellschafter Emanuel die Geschäfte nahezu allein zur Ausführung gebracht. Trotz aller Vorsicht seien Fehler begangen worden, sie seien aber sicherlich nicht gewollt gewesen. Weiter wird bemerkt, die Firma habe aus den in Betracht kommenden Geschäften nicht nur nichts verdient, sondern in erheblichem Masse Geld zulegen müssen. Zur Beurteilung seiner Person legt der Gesuchsteller sodann eine Reihe von Schriftstücken bei; hierzu wird geschrieben: ,,Diese Schriftstücke sollen Ihnen sagen, dass ich nicht der Mensch sein kann, der schlecht handeln wollte und nicht wert wäre, in der Schweiz zu weilen. Dieselben dürfen Ihnen beweisen, dass es sich hier um einen rechten, gut denkenden Menschen und Kaufmann handelt, der in national-wirtschaftlichem Sinne streng auf Schweizerboden stand, der stets Recht, nie aber Unrecht wollte. In den 29 Jahren meines Züricheraufenthaltes bin ich sonst nie bestraft, war auch nicht vorbestraft, führte keine Prozesse und dürfte auch sonst nicht zu Klagen Anlass gegeben haben. Mein Geschäft zählte zu den ersten und angesehensten der Branche." Das Gesuch um Aufhebung der Landesverweisung erfolge nicht, um dauernd nach der Schweiz zurückzukehren, sondern lediglich, um den Druck der Landesverweisung, der auf dem Gesuchsteller laste und ihn Tag und Nacht foltere, aufzuheben. Durch den jahrzehntelangen Aufenthalt in Zürich seien Munzinger und seine Familie, insbesondere die dort aufgewachsenen vier Kinder, mit dieser Stadt durch zahlreiche
Beziehungen verbunden. Das Gesuch schliosst mit der nochmaligen Versicherung, Munzinger habe nie Unrecht tun wollen ; er sei das Opfer des Emanuel und der im Verlaufe der Jahre verschärften Gesetzgebung, gerichtlichen Praxis und Volks-

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Stimmung ; man möge dem 56jährigen Manne nunmehr die fernere Seelenfolterung ersparen und die Landesverweisung aulheben.

Für Munzinger verwenden sich in nachdrücklicher Weise zwei Pfarrer aus dem Kanton Zürich, auf deren Schreiben vom 12. März, 24. April, 26. und 30. November 1923 wir verweisen, wobei wir ebenso Bezug nehmen auf zwei Antwortschreiben der Bundesanwaltschaft vom 24. Oktober und 27. November 1923.

Im Wege mehrfacher Mitberichte sind angehört -worden : die Staatsanwaltschaft dos Kantons Zürich, die Direktionen der Justiz und der Polizei des Kantons Zürich, der gewesene Direktor des eidgenössischen Ernährungsamtes und das Ucneralsekre_tariat des eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartementes. Ferner sind Erkundigungen eingezogen worden über die dermaligen Verhältnisse Munzingers im Ausland. Diese Berichte können hier einlâsslich nicht wiedergegeben werden; wir betrachten sie als Bestandteil unserer eigenen Stellungnahme und heben lediglich hervor, dass die a n g e h ö r t e n A m t s s t e l l e n e i n h e l l i g beantragen, den Gresuchsteller abzuweisen.

· In Würdigung der gesamten Aktenlage ziehen wir nunmehr folgendes in Erwägung : Die Bundesversammlung hat in Begnadigungssachen betreffend KriegswucherfäUe bis anhin regelmässig ablehnend entschieden. Bei den Subtilitäten des Kriegswucherstrafreohts, die sich für eine Erörterung im Begnadigungswege wenig eignen, muss die Begnadigungsbehörde das Hauptgewicht jeweils darauf verlegen, dass das Bundesgericht als oberster Gerichtshof des Landes die vorhandene Spruchpraxis allgemein wegleitend beeinflusst hat. Angesichts der ganz besonderen Schwere des heute in Betracht kommenden Straffalles ist es wertvoll, dass das Bundesgericht auch im Falle Munzinger geurteilt hat; die Begnadigungsbehörde kann heute ohne weiteres davon ausgehen, dass die kantonalgerichtlichen Verurteilungen von Bundesrechts wegen weder nach der objektiven noch der subjektiven Seite des Tatbestandes zu beanstanden sind. Unsere Auffassung geht deshalb von vorneherein dahin, dass es auch im Bognadigungswege bei der gerichtlichen Würdigung des Falles sein Bewenden haben muss, es sei denn, dass zwingende Gründe ein Abweichung nahelegen. So betrachtet, vereinfacht sich die Einstellung zu dem vorliegenden Begnadigungsgesuch in hohem Masse ; denn es bleibt einzig zu beantworten,
ob heute gnadenhalber auf einen Teil der S t r a f a u s m e s s u n g , nämlich die gerichtlich erkannte Nebenstrafe der Landesverweisung, irgendwie zurückzukommen sei. Wir

365 bemerken noch, dass u. E. diese Auffassung des Kriegswucherfalles Munzinger und Mitbeteiligte von der Bundesversammlung bereits übernommen worden ist, indem sie seinerzeit ein erstes Gesuch des Mitverurteilten Kappeier antragsgemäss abgewiesen hat und auf ein zweites Gesuch nicht eingetreten ist.

Was nun die Nebenstrafe der Landesverweisung anbetrifft, so sind die richterlichen Erwägungen den kantonalgerichtlichen Entscheiden zu entnehmen, indem die tatsächliche Würdigung der Verhältnisse sich nach der Natur der Kassationsbeechwerde der Nachprüfung durch das Bundesgericht entzog. Im Falle Munzinger und Mitbeteiligte wurde die Landesverweisung als angemessen erachtet, weil die in Betracht kommenden drei Ausländer mit ihren grossangolegten Machenschaften nicht nur das Wirtschaftsleben der Schweiz, sondern auch das Vertrauen in die Loyalität ihrer Behörden und der schweizerischen Handelswelt gefährdet hätten; nicht nur die wirtschaftliche Existenz, sondern die schweizerische Ehre sei auf dem Spiel gestanden. Ohne Rücksicht auf die äusserst -schwierige Lage unseres Landes in damaliger Zeit hätten sie sich den dem einheimischen Kaufmannstande auferlegten Verpflichtungen zu entziehen unternommen.

Darin liege der Beweis, dass sie innerlich unserer Volksgemeinschaft fremdgeblieben seien.

In den Mitberichten der Zürcher Behörden zum Begnadigungsgesuch wird ebenso die Mentalität Munzingers in den Vordergrund gerückt. Der I. Staatsanwalt schreibt, das Begnadigungsgesuch bezwecke in Wirklichkeit doch nur, den Neuaufbau einer wirtschaftlichen Existenz in die Wege zu leiten, und fährt fort: ^es wäre geradezu ein Hohn auf die Rechtsprechung und würde als solche im Volke empfunden, wenn dem Gesuchsteller die Grenze geöffnet würde". Im übrigen wird namentlich von den kantonalen Direktionen der Justiz und der Polizei zutreffend betont, dass eine Begnadigung praktisch bedeutungslos bleibe, solang die zürcherischerseits über Munzinger ausserdern verhängte a d m i n i s t r a t i v e Ausweisung aus der Schweiz bestehe.

Unsererseits gelangen wir bezüglich der Landesverweisung zu nachstehenden Schlüssen : Das im Begnadigungsverfahren hinsichtlich der Person des Gesuchstellers beigebrachte Aktenmaterial ist zur Hauptsache den Gerichtsstellen bereits unterbreitet gewesen. Dem Inhalt dieser Kundgebungen, so
beachtenswert sie für Munzinger auch sein mögen, stehen sowohl die Gerichtsurteile wie die amtlichen Stellungnahmen zum Begnadigungsgesuch entgegen. Die bei dieser Sachlage für die Bundesversamm-

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lung gebotene Zurückhaltung ist um so angezeigter, weil zu diesen Mitberichten die von der Bundesanwaltschaft kürzlich im Ausland veranlassten Erkundigungen hinzukommen. Diese lauten nun durchaus nicht so, dass sie angetan wären, die Beurteilung Munzingers, was Charakter und Mentalität anbetrifft, günstig zu beeinflussen. Weiterhin ist es die Begründung des Gesuches selbst, die dartut, dass die Aufhebung der Landesverweisung sich nicht besonders aufdrängt. Munzinger versichert, nicht mehr dauernd nach der Schweiz zurückkehren zu wollen; dagegen möchte er sich und seiner Familie den freien Verkehr mit dem ehemaligen Niederlassungsorte wahren. Die Aufrechterhaltung der angeführten Beziehungen ist aber sicherlich keine eigentliche Notwendigkeit.

Da mithin die für Aufhebung der Landesverweisung gellend gemachten Anbringen nicht derart gewichtig sind, um die nachgesuchte Begnadigung aus Kommiserationsgründen dringend nahezulegen, b e a n t r a g e n wir in Zustimmung zu sämtlichen anderweitigen Instanzen, das Gesuch Munzingers abzuweisen.

Genehmigen Sie die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

B e r n , den 20. Mai 1924.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespràsident:

Chuard.

Der Bundeskanzler : Steiger.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

II. Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über Begnadigungsgesuche (Sommersession 1924). (Vom 20. Mai 1924.)

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