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1914

Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend den Beitritt der Schweiz zum internationalen Übereinkommen vom 4. Mai 1910 zur Bekämpfung des Mädchenhandels und die Genehmigung des internationalen Übereinkommens vom 30. September 1921 zur Unterdrückung des Frauen- und Kinderhandels.

(Vom 25. November 1924.)

I. Der Mädchenhandel und seine Bekämpfung in der Schweiz und durch internationale Tereinbarungen.

1. Begriff des Mädchenhandels.

Als Mädchen- oder Frauenhandel (weisser Sklavenhandel, traite des blanches) -wird der Handel mit Mädchen und Frauen zwecks Zuführung ssur Unzucht verstanden. Seit den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts nahm man in der Schweiz wahr, dass Mädchen und Frauen durch Anpreisungen von Agenten und Stellenvermittmngsbureaux oder durch Inserate zu Beisen ins Ausland veranlasst werden, um lohnende Stellungen als Gouvernanten, Lehrerinnen, Stützen der Hausfrau, Köchinnen, Kellnerinnen, Sängerinnen usw.

zu übernehmen, am Bestimmungsorte aber der Unzucht zugeführt werden, oder dass Anstalten zu solchen Verschleppungen getroffen werden. Im Laufe der Jahre gelang es, das "Wesen, die Ursachen, die Verbreitung und /um Teil auch die Organisation des Mädchenhandels festzustellen. Der Mädchenhandel weist immer die gleichen Erscheinungsformen auf, so verschieden auch die von den Händlern angewandten Mittel (Überredung, List, Täuschung, Zwang usw.) sein mögen: das Anwerben der Frauen, das Befördern an den Bestimmungsort und das Zuführen zur Unzucht, insbesondere die Einlieferung in ein öffentliches Haus. Der Mädchenhandel ist über die ganze

1037 Welt verbreitet. Es ist zwischen dem nationalen und dem internationalen Handel zu unterscheiden. Der nationale Handel beschränkt sich auf das Gebiet eines bestimmten Landes: das Anwerben, Befördern und Verhandeln der Frauen findet im gleichen Staate statt.

Beim viel gefährlichem internationalen Handel, der sich mit der Vervollkommnung der Verbindungsmittel entwickelte, werden die Frauen in einem Lande angeworben, über das Gebiet eines andern Landes oder mehrerer Staaten befördert und in einem dritten, meistens überseeischen Lande der Unzucht zugeführt. Die einzelnen Staaten kommen hierbei als Export-, Transit- oder Importländer in Betracht, indem eine dieser Erscheinungsformen des Mädchenhandels die vorherrschende ist. Exportländer sind insbesondere Länder, in denen materielle Not und geistiger Tiefstand herrschen (in erster Linie bestimmte Gegenden in Osteuropa). Zwei Haupthandelswege gehen nach Südamerika und nach dem Orient. Als Importländer sind auch Australien und Südafrika zu nennen; für den Import sind die Hafenstädte von besonderer Bedeutung. Die Schweiz kommt hauptsächlich für den Transitverkehr in Betracht. (Über Fälle von Frauenhandel aus neuester Zeit vgl. die vom Völkerbundssekretariat herausgegebene Zusammenstellung der Jahresberichte der Vertragsstaaten.) Als Ursachen des Mädchenhandels haben namentlich Unerfahrenheit, Leichtsinn und materielle Not zu gelten. Die Mädchenhändler, die international organisiert sind, nutzen diese menschlichen Schwächen und sozialen Erscheinungen mit allem Raffinement und grösster Schamlosigkeit aus, um ihrer Opfer habhaft zu werden.

2. Bekämpfung des Mädchenhandels in der Schweiz.

Wie in andern Ländern erwiesen sich auch in der Schweiz die Strafgesetze und Massnahmen der Polizeibehörden zur Bekämpfung des Frauenhandels als unwirksam. Über den Stand der Gesetzgebung enthält Ziffer III hiernach und unsere Botschaft zum Entwurf eines Bundesgesetzes betreffend die Bekämpfung des Frauen- und Kinderhandels und der unzüchtigen Veröffentlichungen eingehende Ausführungen. Im Jahre 1875 schlössen sich auf Anregung der schweizerischen gemeinnützigen Gesellschaft die Kantone Aargau, Bern, Freiburg, Genf, Neuenburg und Waadt zu einem Konkordate betreffend den Schutz junger Leute in der Fremde zusammen, wodurch eine scharfe Kontrolle der Stellenvermittlungsbureaux
geschaffen wurde (A. S. n. F. I, 867 f.). Durch die Vollziehungsverordnung vom 18. Februar 1892 haben die Kantone Bern, Freiburg, Genf, Waadt, Neuenburg und Wallis diese Bestimmungen auch auf die Stellenvermittlung für Dienstboten im Inland ausgedehnt (A. S.

Bundesblatt. 76. Jahrg. Bd. III.

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1038 n. F. XIII, 88 f.). Mehrere Kantone haben eigene Bestimmungen über die Stellenvermittlung erlassen. Der Bekämpfung des Mädchenhandels und der Fürsorge für die Opfer dieses Verbrechens nahmen sich aber in erster Linie mehrere philanthropische Vereinigungen an, insbesondere die schweizerischen Zweige der 1877 in Neuenburg gegründeten internationalen Vereinigung der Freundinnen junger Mädchen (Union internationale des amies de la jeune fille) und des im Jahre 1896 in Freiburg (Schweiz) gegründeten internationalen Verbandes katholischer Mädchenschutzvereine (Association catholique internationale des oeuvres de protection de la jeune fille), das schweizerische Nationalkomitee zur Bekämpfung des Mädchenhandels, der Verband deutschschweizerischer Frauenvereine zur Hebung der Sittlichkeit, die! Association internationale du Sou pour le relèvement moral, das Comité romand de la Société d'hygiène sociale et morale, die Zürcherische Vereinigung für sittliches Volkswohl und viele andere humanitäre Vereine.

3. Bestrebungen zur internationalen Bekämpfung des Mädchenhandels.

: ,';. Sobald das Wesen des Frauenhandels bekannt geworden war, zeigte es sieh, dass eine wirksame Bekämpfung des Verbrechens nur durch ein gemeinsames .Vorgehen aller Staaten zu erzielen war. .Es:war namentlich .die «Vigilance Association» in England und ihr Sekretär W. A. Coote, die sich für den internationalen Kampf der Staaten gegen den Mädchenhandel einsetzte. In der Schweiz forderte vorab Prof. Carl Hilty zu einem gemeinsamen Vorgehen der Staaten auf (vgl. Hilty, Traite blanche, Politisches Jahrbuch 190], S. 217 f.). Im Jahre 1886 schlössen Belgien und die Niederlande und 1888 Belgien, und Österreich-Ungarn Verträge zur gemeinsamen Bekämpfung ab; in den Jahren 1889 und 1890 kamen zwischen Deutschland und den Niederlanden und zwischen Deutschland und Belgien .Übereinkommen zum Schutze verkuppelter Personen zustande. Der V. internationale Gefängniskongress, der im Juli 1895 in Paris tagte, verlangte die Einführung strenger Strafen gegen die Mädchenhändler und die Einberufung einer Konferenz von Vertretern der einzelnen Regierungen, um internationale Massnahmen gegen den Mädchenhandel zu treffen. An dem auf Initiative der Vigilance Association im Juni 1899,in London tagenden internationalen Kongress zur Bekämpfung. des Mädchenhandels (International Congress on the White Slave Traffic) wurde eine, internationale Organisation der Nationalkomitees zur Bekämpfung des Mädchenhandels geschaffen, das internationale Bureau in London gegründet und folgende Resolution gefasst.:..«Es möge eine Verständigung zwischen den Regierungen

1039 getroffen werden: 1. zur möglichst gleichartigen Bestrafung der Personen, die Frauen oder Mädchen durch Gewalt, Täuschung, Missbrauch des Ansehens oder ein anderes Zwangsmittel anwerben, um sie der Unzucht zuzuführen, oder sie wider ihren Willen mit den gleichen Mitteln darin zurückhalten; 2. zur Unternehmung gleichzeitiger, Nachforschungen in bezug auf dieses Verbrechen, wenn der Tatbestand sich auf verschiedene Länder erstreckt; 8. zur Feststellung des zuständigen Gerichtes zwecks Vermeidung von Konflikten wegen der Gerichtsbarkeit; 4. zur Auslieferung der Verbrecher im Wege internationaler Verträge.» Die im September des gleichen Jahres in Budapest tagende internationale kriminalistische Vereinigung unterstützte die Resolution des Londoner Kongresses mit folgendem Beschluss: «DerKongress, in der Absicht, den schändlichen Mädchenhandel zu verhindern, und in Zustimmung zu den Beschlüssen des Londoner Kongresses, beauftragt den Vorstand, die Regierungen einzuladen, die geeigneten Massnahm'en zur Ausarbeitung eines internationalen Übereinkommens betreffend die Bekämpfung des Mädchenhandels zu treffen, das die intemationalrechtlichen Grundlagen schaffen soll, wonach in den Gesetzgebungen und Verwaltungserlassen der einzelnen Staaten die dem internationalen Übereinkommen entsprechenden Bestimmungen aufgenommen werden können.» (Mitteilungen der internationalen kriminalistischen Vereinigung, Bd. 8, S. 163 f., 202 f., 846 f.,. insbesondere 366.) .

4. Die Pariser Staatenkongresse von 1903 und 1910 und die internationalen Vereinbarungen.

Vom 15. bis 25. Juli 1902 fand in Paris unter dem Vorsitz des Senators Berenger der von der französischen Regierung einberufene Staatenkongress zur B e k ä m p f u n g des Mädchenhandels Statt, an dem Belgien, Brasilien, Dänemark; Deutschland, Frankreich, Grossbritannien, Italien, die Niederlande, Norwegen, Österreich, Portugal, Russland, Schweden, die Schweiz, Spanien und Ungarn teilnahmen. Die Schweiz war vertreten durch Minister Dr. Charles Lardy, Bundesanwalt Kronauer und Oberst Scherz. Lardy wurde zum. Vizepräsidenten und zum Vorsitzenden zweier Kommissionen gewählt und war an den Arbeiten des Kongresses in hervorragendem Masse beteiligt. Der Kongress arbeitete zwei internationale Vereinbarungen, aus: a. Das Abkommen b e t r e f f e n d Unterdrückung des
Mädchenhandels (sogenanntes Arrangement), das sich auf polizeiliche Massnahmen zurVerhinderung oder rechtzeitigenEntdeckung des Mädchenhandels und auf Schutzfürsorge für dessen Opfer bezieht.

1040 Dieses Abkommen wurde am 3, Juni 1904 vom Bundesrat ratifiziert und ist seit 18. Juli 1905 in der Schweiz in Kraft (A. S. n. F. XXI, 37).

Da das Abkommen von der Gesetzgebung der Vertragsstaaten unabhängig ist und diese einzig verpflichtet, innerhalb der gesetzlichen Grenzen . bestimmte administrative Massnahmen durchzuführen, konnte es vom Bundesrat ohne Vorlage an die Bundesversammlung ratifiziert werden. Die Kantone hatten sich vorher zur Durchführung der administrativen Massnahmen bereit erklärt. Dem Abkommen gehören nunmehr fast alle Staaten an. Die Bundesanwaltschaft wurde als Zentralstelle für die Schweiz bezeichnet, die gemäss Art. l des Abkommens alle in der Schweiz gemachten Erhebungen über Mädchenhandel zu sammeln und zu. verarbeiten hat und ermächtigt ist, mit den dem gleichen Zwecke dienenden Amtsstellen des Auslandes zu verkehren. Die Bundesanwaltschaft wurde seither jedes Jahr in mehreren Fällen zur Mithilfe von Nachforschungen und zu andern administrativen Massnahmen in Anspruch genommen. Das Bahnpersonal und das Deckpersonal der Dampf boote wurde gestützt auf das Abkommen angewiesen, den Polizeiorganen über Verdachtsgründe, wonach reisende Frauen oder Mädchen zum Zwecke der Unzucht angeworben seien, Mitteilung zu machen und Frauen und Mädchen, die sich um Schutz gegen ihre Begleiter an das Eisenbahnpersonal wenden, diesen Schutz zu gewähren, bis Anzeige und Überweisung an die Polizeiorgane erfolgen kann. Gemäss dem Bundesratsbeschmss betreffend die Organisation des schweizerischen Auswanderungsamtes vom 81. Dezember 1900 und dem Beschluss vom 17. Mai 1918 betreffend die Aufsicht des Auswanderungsamtes über Anwerbungen und Abwanderungen von Personen nach dem Auslande hat auch das schweizerische Auswanderungsamt eine Kontrolle in bezug auf Frauenund Kinderhandel auszuüben.

b. Das Übereinkommen b e t r e f f e n d B e k ä m p f u n g des Mädchenhandels (sogenannte Convention), das Minimalforderungen für die Strafgesetzgebung der Vertragsstaaten enthält. Dieses Übereinkommen, obschon von den meisten der am Kongress vertretenen Staaten unterzeichnet, ist aber Entwurf geblieben und von keinem Staate ratifiziert worden. Der Bundesrat beschloss am 7. Dezember 1903: «Der Bundesrat sieht mit Bücksicht auf die im Gang befindlichen Vorarbeiten für ein einheitliches schweizerisches
Strafgesetzbuch davon ab, ein Spezialgesetz für den Mädchenhandel der Bundesversammlung vorzulegen und behält sich vor, nach Inkrafttreten des genannten Strafgesetzbuches die im" Jahre 1902 vereinbarte Konvention zur Bekämpfung des Mädchenhandels zu unterzeichnen.»

1041 Anlässlich der Staatenkonferenz zur Bekämpfung der unzüchtigen Veröffentlichungen, die vom 18. April bis 4. Mai 1910 unter dem Vorsitz von Minister Lardy in Paris tagte, wurde der Entwurf zum Übereinkommen b e t r e f f e n d die strafrechtliche Bek ä m p f u n g des Mädchenhandels nochmals besprochen und nach Vornahme einiger Abänderungen bei den formellrechtlichen Bestimmungen und bei der Bestimmung des Schutzalters am 4. Mai 1910 von folgenden Staaten unterzeichnet: Österreich-Ungarn, Spanien, Frankreich, Grossbritannien, Niederlande, Eussland, Deutschland, Portugal, Belgien, Brasilien, Dänemark, Italien, Schweden. Alle diese Staaten, mit Ausnahme von Brasilien, Dänemark, Italien und Schweden, haben die Konvention bald nachher ratifiziert. Die Schweiz hat auch dieses Übereinkommen nicht unterzeichnet. Der Bundesrat lehnte ebenfalls den Beitritt zur Konvention aus folgender Erwägung ab: «Bekanntlich ist die Konvention von 1902 bis jetzt von der Schweiz nicht unterzeichnet worden, da hierfür das einheitliche Strafgesetz die Grundlage bilden sollte. Unsere Delegierten glauben, dass es an der Zeit wäre, die Fragen zu erwägen, ob nicht jetzt schon der Beitritt der Schweiz zu der Konvention ermöglicht werden sollte, sei es durch ein Spezialgesetz des Bundes, sei es auf Grund der Zustimmung der Kantone, welche soweit nötig die kantonalen Strafgesetze zu ergänzen hätten. Das Justizdepartement ist indessen nicht in der Lage, über diese Frage zurzeit Antrag zu stellen, es wird aber dieselbe prüfen und gegebenenfalls darüber weiter berichten.» (Zu vgl. Botschaft zum schweizerischen Strafgesetzbuch, S. 44.)

5. Die Arbeiten des Völkerbundes zur Bekämpfung des Frauen- und Eindeihandels.

Während des Krieges hörte der Verkehr unter den durch das Abkommen vom 18. Mai 1904 geschaffenen Zentralstellen der einzelnen Länder beinahe ganz auf. Es war deshalb schon aus diesem Grunde zu begrüssen, dass die Friedenskonferenz von Versailles eine neue Grundlage zur internationalen Bekämpfung des Mädchenhandels schuf. Art. 23, lit. c, des V ö l k e r b u n d s v e r t r a g e s bestimmt, dass die Vertragsstaaten den Völkerbund mit der allgemeinen Kontrolle der Abkommen über den Frauen- und Kinderhandel beauftragen.

Vom SO. Juni bis 5. Juli 1921 fand in Genf die vom Völkerbundssekretariat gestützt auf den Beschluss
der Völkerbundsversammlung vom 15. Dezember 1920 einberufene i n t e r n a t i o n a l e Konferenz zur B e k ä m p f u n g des Frauen- und Kinderhandels statt, an der die Schweiz durch Ständerat Béguin und Bundesanwalt

1042 Stämpfli vertreten war. Diese Konferenz, die bloss konsultativen Charakter hatte, überprüfte die von den einzelnen Staaten dem Völkerbundssekrotariat eingereichten Berichte über die zur Bekämpfung des Frauen- und Kinderhandels getroffenen legislativen und administrativen Massnahmen und sprach eine grosse Zahl von Wünschen und Vorschlägen an den Völkerbundsrat, die Regierungen und die privaten Vereinigungen aus (vgl. Schlussakte der Konferenz im" Anhang, Geschäftsbericht des Justiz- und Polizeidepartementes für 1921, Bundesanwaltschaft, Ziff. 85). In der II. Völkerbundsversammlung wurde die Schlussakte der Konferenz genehmigt und ein von der englischen Begierung ausgearbeiteter Entwurf zu einem neuen internationalen "Übereinkommen zur B e k ä m p f u n g des Frauen- und Kinderhandels vorgelegt, der am 30. September 1921 angenommen und in der Folge von folgenden Staaten unterzeichnet wurde: Südafrika, Albanien, Australien, Österreich, Belgien, Brasilien, Grossbritannien, Kanada, Chili, Kolumbien, Costa-Bica, Estland, Griechenland, Italien, Japan, Lettland, Litauen, Norwegen, Persien, Portugal, Siam, Schweiz, Neu-Seeland. Die Schweiz unterzeichnete unter Vorbehalt der Batifikation durch die Bundesver: Sammlung.

6. Stellungnahme der Schweiz zu den Übereinkommen vom 4. Mai 1910 und 30. September 1921.

Die Konvention vom 30. September 1921 bildet ein Zusatzabkommen zum Abkommen vom 18. Mai 1904 betreffend die administrative Unterdrückung des Mädchenhandels und zum Übereinkommen vom 4. Mai 1910 betreffend die strafrechtliche Bekämpfung des Mädchenhandels. Nach Art. l der Konvention vom 80. September 1921 verpflichten sich die Vertragsstaaten, soweit sie noch nicht an den Vereinbarungen vom 18. Mai 1904 und vom 4. Mai 1910 beteiligt sind, ihreBatifikationsurkunden oder Beitrittserklärungen baldmöglichst in der im Abkommen und im Übereinkommen vorgesehenen Form zu überreichen. Da die Schweiz das Abkommen vom 18, Mai 1904 unterzeichnet und ratifiziert, das Übereinkommen vom 4. Mai 1910 nicht unterzeichnet und die Konvention vom 30. September 1921 unter Batifikationsvorbehalt unterzeichnet hat, so handelt es sich heute darum, ob sie dem Übereinkommen vom 4. Mai 1910 zur B e k ä m p f u n g des Mädchenhandels beitreten und das Übereinkommen vom 30. September 1921 zur Unterdrückung des Frauen- und K i n d e r h a n d e l s r a t i f i z i e r e n wolle.

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II. Der Inhalt der internationalen Übereinkommen vom 4. Mai 1910 und 30. September 1921.

1. Allgemeines.

Die Konvention vom 4. Mai 1910 enthält Minimal Vorschriften für die Strafgesetzgebung der Vertragsstaaten: Umschreibung der strafbaren Handlungen, Bestimmungen über die Auslieferung, Bogatorien, Mitteilung der Verurteilungen, Ratifikation, den Beitritt und die Kündigung des Übereinkommens. Jeder Vertragsstaat ist verpflichtet, seine Gesetzgebung diesen Vorschriften anzupassen, sofern sie ihnen nicht bereits entspricht (Art. 8). Im Schlussprotokoll, das einen wesentlichen Bestandteil des Übereinkommens bildet, wird erklärt, dass die Strafbestimmungen der Art. l und 2 als Mindestmass-in dem Sinne angesehen werden können, dass die Vertragsstaaten unbehindert bleiben, andere strafbare Handlungen gleicher Art zu bestrafen, wie beispielsweise die Anwerbung einer Volljährigen, auch wenn weder Täuschung noch Zwang vorliegt. Das Schlussprotokoll enthält im weitern Erläuterungen zu Begriffsbestimmungen deB Übereinkommens und Wünsche der Staatenkonferenz an die VerträgeStaaten. Die Konvention von 1921 bildet, wie bereits erwähnt, ein Zusatzabkommen zur Konvention von 1910.

S. Der Tatbestand des strafbaren Frauenhandels.

Nach Art. l des Übereinkommens von 1910 soll derjenige bestraft werden, der, um der Unzucht eines andern Vorschub zu leisten, eine minderjährige Frau oder ein minderjähriges Mädchen, selbst mit deren Einwilligung, zu unsittlichem Zwecke anwirbt, verschleppt oder entführt, auch wenn die einzelnen Tatsachen, welche die Merkmale der strafbaren Handlung bilden, auf verschiedene Länder entfallen. Nach Art. 2 soll derjenige bestraft werden, der, um der Unzucht eines andern Vorschub zu leisten, eine volljährige Frau oder ein volljähriges Mädchen durch Täuschung oder mittels Gewalt/Drohung, Missbrauch des Ansehens oder durch irgendein anderes Zwangsmittel zu unsittlichem Zwecke anwirbt, verschleppt oder entführt, auch wenn die einzelnen Tatsachen, welche die Merkmale der strafbaren Handlung bilden, auf verschiedene Länder entfallen.

Diese Umschreibungen des strafbaren Mädchenhandels haben nicht den Charakter einer für alle Vertragsstaaten verbindlichen Gesetzesvorschrift, die wörtlich in die Landesgesetzgebungen aufzunehmen wäre. Die Vertragsstaaten sind dagegen völkerrechtlich verpflichtet, ihre nationalen Gesetzgebungen den von der Konvention aufgestellten Grundsätzen anzupassen, wobei es ihnen freisteht, über die Bestim-

1044 mungen des Übereinkommens hinauszugehen (vgl. Bericht der Redaktionskommission, Kongressakten 1902, 8. 183 f.). Das Übereinkommen überlässt deshalb auch die Qualifizierung des Deliktes als Verbrechen oder als Vergehen, -wie auch die Strafandrohung, den Einzelstaaten. Im Übereinkommen wird nur eine «der Schwere gemässe» Ahndung der strafbaren Handlungen verlangt (Art. 8) und im Schlussprotokoll (lit. 6) der Wunsch ausgesprochen, dass für die nach der Konvention zu bestrafenden Fälle wenigstens eine Freiheitsstrafe auferlegt werde, neben welcher jedoch andere Hauptund Nebenstrafen keineswegs ausgeschlossen werden sollen. Bis zum Übereinkommen fehlte in den meisten Gesetzgebungen ein Tatbestand des Frauenhandels als selbständiges Delikt, so dass die Strafverfolgung der Mädchenhändler nach verwandtenVerbrechen, wie Kuppelei und Entführung von Minderjährigen, durchgeführt werden rnusste. Da es sich aber beim Mädchenhandel, um einen eigenartigen Straftatbestand handelt, den die verwandten Delikte nicht oder nicht vollständig umfassen, so konnten die Mädchenhändler nur in den seltensten Fällen gefasst werden. Diesem Mangel der Gesetzgebungen will das Übereinkommen abhelfen, indem es die Vertragsstaaten verpflichtet, den Mädchenhandel wenigstens in einem bestimmten Umfange unter Strafe zu stellen. Der vom Übereinkommen aufgestellte Tatbestand betrifft an sich nur den internationalen Mädchenhandel, weil die Konferenz annahm, dass sie nur zur Regelung des internationalen Delikts zuständig sei und dass der nationale Handel, der nur die Interessen eines einzelnen Staates berührt, von der Landesgesetzgebung unter Strafe gestellt werden müsse. Dies ist der Sinn der Worte «auch wenn die einzelnen Tatsachen, welche die Merkmale der strafbaren Handlung bilden, auf verschiedene Länder entfallen». In der Konferenz von 1902 wurde zudem ausdrücklich erklärt, dass das Übereinkommen die Bestrafung des nationalen Handels durch die Vertragsstaaten als selbstverständlich voraussetze und.

dass es nicht zulässig sei, wenn ein Vertragsstaat bloss den internationalen Handel bestrafe (vgl. Bericht der Redaktionskommission, Kongressakten 1902, S. 188; Votum Renault, a. a. 0. S. 114/115: ferner Louis R e n a u l t , La Traite des blanches et la conférence dé Paris, Revue Générale de droit international public 1902, S. 511).
Die Internationalität des Frauenhandels kommt in der Definition des Übereinkommens in der Weise zum Ausdruck, dass jede der dem Frauenhandel eigentümlichen Handlungen (Anwerben, Verschleppen, Entführen) selbständig unter Strafe gestellt ist, so dass der Mädchenhändler, dessen Tätigkeit sich über das Gebiet mehrerer Staaten erstreckt, in jedem Lande für die dort begangenen Handlungen verfolgt werden kann. Diese Regelung entspricht voll-

1045 ständig dem Wesen des internationalen Frauenhandels und beseitigt den bisherigen Bechtszustand, der den internationalen Händlern nur zu oft ermöglichte, sich der Strafverfolgung zu entziehen. Der Berichterstatter der Gesetzgebungskommission umschreibt das Wesen des internationalen Delikts wie folgt: «Die fortgesetzte Handlung zeichnet das Delikt aus, die aufeinanderfolgenden Handlungen, die das Delikt bilden, können sich innerhalb den Grenzen eines einzigen Staates oder mehrerer Länder abwickeln. Es ist keine Einheit des Begehungsortes vorhanden. Der strafbare Frauenhandel ist international. Die menschliche Persönlichkeit wird in den Handel gebracht und wie eine Ware behandelt; die Händler haben ihre Agenturen, ihre Stapelplätze, ihre Korrespondenzen, ihre Ausfuhrbureaux und ein eigenes Vokabular. Um sie erreichen zu können, ist es nötig, dass sich die Strafjustiz ihrer überall bemächtigt, wo eine strafbare Handlung begangen wurde. Die in einem Staat des Nordens angeworbene, durch ein Land der Mitte geführte Person wird in einem Staat des Südens, verhandelt Das Delikt ist in allen drei Ländern begangen worden; das Überschreiten der Grenze bildet keine Garantie für die Straflösigkeit, die internationale Bekämpfung ist nur unter der Bedingung wirksam, dass das Delikt bestraft werden kann, auch wenn die einzelnen Tatsachen, die die Merkmale der strafbaren Handlung bilden, auf verschiedene Länder entfallen.» (Kongressakten 1902, S. 122/123.) Bei dieser Begelung ist die Möglichkeit einer gleichzeitigen Strafverfolgung des nämlichen Täters in mehreren Staaten gegeben. Die Kommission für prozessrechtliche Fragen der I. Pariser Konferenz wollte deshalb in der Konvention den Wunsch aufnehmen, dass der Grundsatz «ne bis in idem» Anwendung finde und dass die Staaten, deren Gesetzgebung in dieser Beziehung ungenügend sei, diese verbessern möchte. Dieser Wunsch wurde aber weder in den Text der Konvention noch in das Schlussprotokoll aufgenommen, weil die Stellungnahme der Landesgesetze gegenüber den ausländischen Strafurteilen zu verschieden war und die Konferenz mit einer kleinen Mehrheit entschied, dass die Aufnahme einer solchen Bestimmung über das Programm der Konferenz hinausgehe (Kongressakten S. 160; Benault, a. a. 0. S. 525 und 526). Der Bericht der Eedaktionskommission lenkt die Aufmerksamkeit
der Begierungen auf diese Frage und spricht den Wunsch aus, dass die Gesetzgebungen den Grundsatz des «ne bis in idem» auch gegenüber ausländischen Urteilen anwenden möchten (Kongressakten S. 187).

Über den Begriff desAnwerbens sprach sich der Berichterstatter der Kommission für Gesetzgebung wie folgt aus: «Der Ausdruck Anwerben ist dem Sprachgebrauch entnommen, der bei Verträgen zwischen Arbeitgebern und Arbeitern üblich ist. Das Anwerben besteht

1046 im Aufsuchen und Empfangen eines Arbeiters, um ihm Arbeit anzubieten. '. Eine Frau anwerben, heisst sie aufsuchen, um ihr eine bestimmte Vereinbarung vorzuschlagen und ihr Einverständnis hierzu zu erwirken. Das Delikt beginnt mit dem Zustandekommen der Vereinbarung. Die Kommission hat den Versuch nicht vorgesehen.

Ein strafwürdiges Verhalten liegt nach ihrer Auffassung erst bei einer Einigung zwischen dem Anwerbenden und dessen unglücklichem Opfer vor.» (Kongressakten 1902, S. 112.) Über die Begriffe Verschleppen und E n t f ü h r e n bemerkt der nämliche Berichterstatter: «Anwerben bedeutet, eine Frau oder ein Mädchen zur Unzucht zu verpflichten oder zu verlocken; Verschleppen bedeutet Mitsichf Uhren oder Nachführenlassen; Entführen bedeutet, sie unerlaubterweise aus ihrem Kreise wegnehmen.» (Kongressakten 1902, S. 122.) Für keine dieser Tätigkeiten wird Gewerbsmässigkeit oder eine gewinnsüchtige Absicht verlangt. Der Zweck dieser Tätigkeiten ist, die Frau oder das Mädchen der Unzucht z u z u f ü h r e n ; es ist also nicht erforderlich, dass die Frauensperson der gewerbsmässigen Unzucht (Prostitution) zugeführt werden soll (vgl. Schlussprotokoll lit. e).

In Erweiterung des Übereinkommens von 1910 verpflichtet die Konvention von 1921 die Vertragsstaaten, Massnahmen zur Bestrafung des Versuchs und, innerhalb der gesetzlichen Grenzen, auch der Vorbereitungshandlungen zu treffen. Eine wirksame Bekämpfung des Frauenhandels ist nach der Schwere dieses Verbrechens und mit Eücksicht auf die weitverzweigte und mit reichen Mitteln ausgerüstete Organisation der Mädchenhäodler nur möglich, wenn die Straf behörden schon beim Beginn der Tätigkeit der Händler und ihres Anhanges und nicht erst bei Vollendung des Verbrechens einschreiten können (vgl. Kongressakten 1921, S. 20, 67, 102, 128).

,In bezug auf die schutzbedürftigen Opfer des Frauenhandels macht das Übereinkommen von 1910 einen Unterschied zwischen minderjährigen und volljährigenMädch.en und Frauen, indem die volljährigen Frauenspersonen den Schutz nur gemessen, wenn sie durch Täuschung, Gewalt, Drohung, Missbrauch des Ansehens oder ein anderes Zwangsmittel dem Frauenhandel zum Opfer gefallen sind.

Weder die Konferenz von 1902 noch die Genfer Konferenz von 1921 konnte sich angesichts der Verschiedenartigkeit der Auffassungen in den vertretenen
Ländern über die Strafbarkeit des Handels mit erwachsenen Frauen oder Mädchen dazu entschliessen, den Frauent handel an sich unter Strafe zu stellen; sie überliessen es den Einzelstaaten, über die Mindestforderungen der Konventionen hinaus den Handel mit erwachsenen Frauen und Mädchen, die hierzu ihre Einwilligung gaben, zu bestrafen (vgl. Kongressakten 1921, S. 67 und 68, 128). Schwierigkeiten machte die Eegelung des Volljährig-

1047 keitsalters. In lit. B des Schlussprotokolls zum Übereinkommen, das die Konferenz von 1902 ausarbeitete, wurde bestimmt, dass das Volljährigkeitsalter dem des bürgerlichen Gesetzes des einzelnen Staates entsprechen soll. Da sich wegen der Verschiedenartigkeit der Bestimmungen der Landesgesetze über das Volljährigkeitsalter, insbesondere in bezug auf die Frage, ob das Heimatrecht der Frauenspersonen oder das Gesetz des Begehungsortes anwendbar sei, Schwierigkeiten ergeben haben, wurde in der Konferenz von 1910 diese Bestimmung gestrichen und als einheitliches Schutzalter das zurückgelegte 20. Lebensjahr aufgestellt; zugleich wurde erklärt, dass ein Landesgesetz ein höheres Schutzalter aufstellen könne, sofern es für die Frauen und Mädchen jeder Staatsangehörigkeit Geltung habe (lit. B des Schlussprotokolls zum Übereinkommen von 1910). In der Konvention von 1921 wurde das Schutzalter auf das zurückgelegte 21. Altersjahr erhöht und in der Schlussakte den Regierungen empfohlen, noch höher zu gehen (Art. 5 der Konvention von 1921, Ziff. 4, der Schlussakte, Kongressakten 1921, S. 109 f., 129).

Weder das Übereinkommen von 1910 noch die Konvention von 1921 enthalten eine Strafbestimmung gegen das Zurückbehalten einer Frauensperson wider ihren Willen in einem Öffentlichen Hause. Die Konferenz von 1902 nahm an, dass dieses Delikt, das eine häufige Folgeerscheinung des Mädchenhandels ist, einzig der internen Gesetzgebung der Vertragsstaaten unterstehe (lit. D des Schlussprotokolls zum Übereinkommen von 1910).

3. Der Kinderhandel.

Nach Art. 2 der Konvention von 1921 verpflichten sich die Vertragsstaaten, alle Massnahmen zu treffen, die zur Ermittlung und zur Bestrafung von Personen erforderlich sind, die sich mit dem Handel von Kindern des einen oder andern Geschlechts befassen, für welches Delikt die gleichen Merkmale gelten sollen wie für den Handel mit Minderjährigen. Die Genfer Konvention bringt also nur insofern etwas Neues, als auch der Handel mit Knaben zu unsittlichen Zwecken bestraft werden soll.

4. Auslieferung.

In bezug auf die Auslieferung bestimmt Art. 5 des Übereinkommens von 1910, dass die in Art. l und 2 formulierten Verbrechen des Mädchenhandels vom Tage des Inkrafttretens des Übereinkom mens an ohne weiteres als in die Aufzählung der strafbaren Handlungen aufgenommen zu gelten habe, derentwegen die Auslieferung nach den unter den Vertragsstaaten bereits bestehenden Staatsver-

1048 trägen stattfindet; für den Fall, dass diese Bestimmung nicht ohne Änderung der bestehenden Gesetzgebung wirksam werden kann, verpflichten sich die Vertragsstaaten, die erforderlichen Massnahmen zu treffen oder ihren gesetzgebenden Behörden vorzuschlagen. Art. 5 schafft also keine selbständige internationale Vereinbarung über Auslieferung, sondern bildet nur einen Zusatz zu den Auslieferungsverträgen, die die Vertragsstaaten bereits unter sich abgeschlossen haben ; dieser Zusatz beschränkt sich auf die Aufnahme des Frauenhandels in die.Zahl der Auslieferungsdelikte. Im übrigen wird an den Grundsätzen des Auslieferungsrechtes in den einzelnen Staaten und an den bestehenden Auslieferungsverträgen nichts geändert. Um die Vertragsstaaten der Mühe zu entheben, jeden Auslieferungsvertrag durch Abschluss eines besondern Zusatzabkommens zu ergänzen, wurde dieser Zusatz im "Übereinkommen selbst aufgenommen, in der Meinung, dass er mit der Katifikation oder dem Beitritt eines Staates ipso facto für alle von ihm abgeschlossenen Auslieferungsverträge gilt (Bericht der Eedaktionskommission, Kongressakten 1902, S. 185; Eenault, a. a. 0, S. 518). Für die Staaten, in denen ein Auslieferungsgesetz dio Auslieferungsdelikte aufzählt, ist eine Änderung dieses Gesetzes nötig. Da es sich als ein Mangel erwiesen hat, dass diese Bestimmung über die Auslieferung wegen Frauenhandels nur für bereits bestehende Auslieferungsverträge gilt, wurde in Art. 4 der Konvention von 1921 eine Bestimmung aufgenommen, wonach sich die Vertragsstaaten verpflichten, für den Fall, dass keine Auslieferungsverträge bestehen, alle Massnahmen zur .Auslieferung wegen Frauenhandels zu treffen (vgl. Kongressakten 1921, S. 34 f., 81 f.).

5. Rechtshiliegesuche.

Die Eechtshilfe (Gesuche um Einvernahmen von Zeugen und Angeschuldigten, Haussuchungen, Verhaftungen) ist bei einem internationalen Delikte, das sich über das Gebiet mehrerer Staaten erstreckt, von besonderer Bedeutung. Die meisten für Übermittlung der Rechtshilfegesuche bestehenden Verträge schreiben den diplomatischen Weg vor. Da diese Art des Rechtshilfeverkehrs in der Kegel mit grossen Verzögerungen verbunden ist, war die Konferenz von 1902 bestrebt, für die Verfolgung des Frauenhandels ein beschleunigtes Eechtshilfeverfahren zu schaffen, um eine rasche Ergreifung der Täter und eine
rasche Fürsorge für die Opfer zu ermöglichen. Die Konferenz glaubte, vom bisher einzig üblichen diplomatischen Verkehr deshalb abweichen zu können, weil es sich hier um die Anwendung international geregelter Bestimmungen handelt, sodass die Behörden des ersuchten Staates nicht mehr zu prüfen haben, ob das Eechtshilfe-

1049 gesuch nicht seinen Gesetzen oder den Staatsverträgen widerspreche oder die Souveränität verletze, und weil der Frauenhandel keine politischen Momente enthält. Die Konferenz von 1910 konnte bei der Neufassung des Art. 6 auf Art. 9 der Haager Übereinkunft betreffend Zivilprozessrecht vom 17. Juli 1905 Bezug nehmen, ohne aber .auf die besondere Eegelung, die sich aus der strafrechtlichen Natur der Ersuchungsschreiben und aus der Internationalität des Delikts ergeben, zu verzichten. Art. 6 überlässt den Vertragsstaaten für die Übermittlung von Gesuchen um Vollziehung richterlicher Massnahmen die Wahl zwischen drei Wegen: 1. dem unmittelbaren Verkehr unter den Gerichtsbehörden der Vertragsstaaten, 2. der unmittelbaren Vermittlung durch den diplomatischen oder konsularischen Vertreter des ersuchenden Staates im ersuchten Staate, der das Eechtshilfegesuch unmittelbar der zuständigen Gerichtsbehörde zusendet und 8. dem diplomatischen Weg. Jeder Vertragsstaat hat jedem andern mitzuteilen, welche Übermittlungsarten er vom andern Staate zulässt. Die zweite Übermittlungsart ist insbesondere zu wählen, wenn der direkte Verkehr aus irgendeinem Grunde gehemntt ist oder wenn das ersuchende Gericht nicht weiss, an welches ausländische Gericht es sich wenden muss. Um den kleinern Staaten, die nieht^ in allen Ländern diplomatische Vertretungen haben, entgegenzukommen, wurde auch die Übermittlung durch die Konsuln zugelassen. Es steht natürlich jedem Staate frei, ob er die Vermittlung auch den konsularischen Vertretern überlassen will. Beim direkten Verkehr und hei der Vermittlung durch die diplomatischen oder konsularischen Vertreter ist vorgesehen, dass gleichzeitig eine Abschrift des Ersuchungsschreibens an die Oberbehörde des ersuchten Staates gerichtet werden muss, um ihr eine Kontrolle des Eechtshilfeverkehrs zu ermöglichen. Schwierigkeiten, die sich aus Anlass dieser Übermittlungsarten ergeben, werden auf diplomatischem Wege geregelt. Die Frage der Übersetzung der Ersuchungssehreiben wurde im Anschluss an Art, 10 der Haager Übereinkunft betreffend Zivilprozessrecht vom 17. Juli 1905 geregelt.

Die Konferenz von 1902 war der Ansicht, dass diese vereinfachte Eegelung des Bechtshilfeverkehrs sich nicht bloss auf den Frauenhandel beschränken sollte und sprach deshalb den Wunsch aus; dass die Eegierungen
Massnahmen treffen möchten, um den vereinfachten Eechtshilfeverkehr auf alle Strafsachen auszudehnen. -- Durch die Konferenz von 1910 wurde in Art. 6 die Bestimmung aufgenommen, dass für die Erledigung von Gesuchen weder Gebühren noch Auslagen erhoben werden dürfen. Diese Regelung entspricht der Einigkeit. An der Bekämpfung des Frauenhandels sind alle Vertragsstaaten interessiert ; da der Staat, der die Strafverfolgung

1050 durchführt, die Kosten des Verfahrens und des Urteils zu tragen hat, so erscheint es als billig, dass die andern Staaten, die dem erstem Rechtshilfe leisten, die daraus entstehenden, in der Regel geringfügigen Kosten übernehmen (vgl. Kongressakten 1902, S. 36, 153, 160,161,185,186, Kongressakten 1910, B. 15,22, 61 f., 88; Renault, a. a. 0. S. 520, 521), . ..

6. Mitteilung von Gesetzen und Verurteilungen.

Nach Art. 4 haben sich die Vertragsstaaten durch Vermittlung der französischen Eegierung die Gesetze mitzuteilen, die sie zur Bekämpfung des Frauenhandels erlassen haben oder noch erlasseh werden. Die Kenntnis der ausländischen Gesetze ist insbesondere für die Auslieferung und die Rechtshilfe überhaupt von Bedeutung. -- Gemäss Art. 7 verpflichten sich die vertragschliessenden Parteien, durch Vermittlung der Zentralstellen einander die Verurteilungen wegen internationalen Frauenhandels mitzuteilen. Die Mitteilung ist nicht nur an den Staat zu machen, dem der Verurteilte angehört, sondern an alle Vertragsstaaten. Diese allgemeine Mitteilungspflicht ist mit Rücksicht auf die Interessen der gemeinsamen Bekämpfung durch die Vertragsstaaten aufgenommen worden. Die Kenntnis der im Auslande verurteilten Mädchenhändler ist von Bedeutung für die Fahndung und die Strafausmessung (vgl. Kongressakten 1902, S. 124, 168, 169, 186; Renault, a. a. 0. S. 522).

7. Aufsicht über Stellenvermittlungsbureaux, Massnahmen für die Ein- und Auswanderung.

Nach Art. 6 der Konvention von 1921 verpflichten sich die Vertragsstaaten, gesetzliche und administrative Massnahmen für die Zulassung und Überwachung der Agenturen und Bureaux für Stellenvermittlung zu erlassen, um Frauen und Kinder, die in einem andern Lande Arbeit suchen, zu schützen. Art. 7 verpflichtet die Vertragsstaaten, im Ein- und Auswanderungsdienst Verwaltungs- und gesetzliche Massnahmen zur Bekämpfung des Frauen- und Kinderhandels zu treffen.

8. Ratifikation, Beitritt, Kündigung.

Die Art. 8--11 des Übereinkommens von 1910 und die Art.

9--14 der Konvention von 1921 regeln die Ratifikation, den Beitritt und die Kündigung.

1051

III. Der Stand der schweizerischen Gesetzgebung in bezng auf die Bekämpfung des Frauen- und Kinderhandels und ihre Anpassung an die Bestimmungen der internationalen Vereinbarungen.

1. Materiellrechtliche Bestimmungen, a, Der Frauenhandel. In Beziehung auf die Bestrafung des Frauenhandels ist die schweizerische Strafgesetzgebung vollständig ungenügend und steht hinter den Bestimmungen vieler andern Staaten zurück. Die Vergehen gegen die Sittlichkeit werden durch die kantonalen Strafgesetze geregelt. Von diesen Strafgesetzbüchern enthalten einzig diejenigen von Zürich und Neuenburg Strafbestimmungen gegen, den Frauenhandel als solchen. Das Zürcher Becht enthält beim Tatbestand der gewerbsmassigen Kuppelei (§ 120) eine besondere Bestimmung gegen das kupplerische Anwerben oder Verhandeln von Frauenspersonen zu Unzuchtszwecken. Das Neuenburger Strafgesetzbuch hebt die Entführung einer Minderjährigen zum Zwecke, sie in ein fernes Land zu führen oder der Prostitution zu überliefern, hervor (Art. 885: «La réclusion s'élèvera jusqu'à cinq ans si l'enlèvement d'une fille mineure a eu pour but de l'expédier eh pays lointain ou de la livrer à la prostitution»). Im übrigen kann der Frauenhandel nach dem geltenden kantonalen Strafrecht nur verfolgt werden, wenn er sich als Kuppelei, Entführung, Menschenraub oder Kinderraub qualifiziert. Nach diesen Bestimmungen können nur einige schwerere Fälle des Frauenhandels bestraft werden; sie genügen aber weder dem Bedürfnis noch den Minimalforderungen der internationalen Übereinkommen.

Die E n t f ü h r u n g , d. h. die Anmassung körperlicher Herrschaft über eine weibliche Person zum Zwecke der Unzucht oder der Ehe, ist regelmässig nur auf Antrag verfolgbar. Fast alle Gesetze fordern Gewalt, List oder Drohung als Mittel der Begehung. Die meisten welschen Gesetzbücher bestrafen im Anschluss an den französischen code pénal nur die Entführung von Minderjährigen. Einzelne Gesetze lassen die Entführung von Minderjährigen, die zu ihrer Entführung eingewilligt haben, straflos, wenn die Entführte ein bestimmtes Alter erreicht hat (vgl. C. Stooss, Grundzüge des schweizerischen Strafrechts, II, S. 202 f.:C-Stooss, Die schweizerischen Strafgesetzbücher, S. 419 f.). Es bedarf keiner weitern Ausführungen, dass die Strafbestimmungen gegen die Entführung dem Wesen des Frauenhandels nicht entsprechen. Die Kuppelei ist nach allen kantonalen Gesetzen strafbar; sie verstehen darunter die Förderung der Unzucht eines

1052 andern zur Befriedigung der geschlechtlichen Lust eines Dritten. Die meisten Gesetzbücher der deutschen Schweiz bezeichnen die Kuppelei als ein Vorschubleisten der Unzucht. Einige Gesetze beschränken aher den Tatbestand auf bestimmte Fälle des Vorschubleistens, wie Gewähren oder Verschaffen von Gelegenheit, Gewähren von Aufenthalt oder «Unterschlauf », Vermitteln, Zuführen, Unterhandeln, Überreden. Die welschen Gesetzbücher haben den französischen code pénal zum Vorbild genommen (vgl. Stooss, Grundzüge S. 288 f.; .Schweizerische Strafgesetzbücher S-442f.; Zürcher, Erläuterungen zum Vorentwurf S. 236 f.; Botschaft zum Strafgesetzbuch S. 40 f.).

Eine Vergleichung der Tatbestände der Kuppelei nach den kantonalen Strafgesetzen und des Frauenhandels nach der Umschreibung in der Konvention von 1910 ergibt, dass sich die Begriffe nicht decken.

Wer Frauen anwirbt, mit sich führt oder entführt, um sie der Unzucht zuzuführen, der fördert wohl die Unzucht, leistet ihr aber nicht Vorschub, indem er weder den unzüchtigen Verkehr vermittelt noch Gelegenheit hierzu schafft. Das Anwerben, Mitsichführen und Entführen geht dem Vorschubleisten voran und bildet rechtlich Vorbereitungshandlungen zum Vorschubleisten der Unzucht. Das strafbare Verhalten des Kupplers beginnt da, wo die Tätigkeit des Mädchenhändlers abgeschlossen ist. Der Frauenhandel kann somit nach den Strafbestimmungen über Kuppelei nur verfolgt werden, wenn der Mädchenhändler seine Tätigkeit bis zum Vorsehubleisten fortsetzt. Die Tätigkeit des Mädchenhändlers ist als Gehilfenschaft zur Kuppelei nur mit der Ausführung der Kuppelei durch einen Dritten, insbesondere erst nach Unterbringung der Frauen im Bordell, strafbar. In einigen Kantonen könnte das Anwerben.unter Anwendung arglistiger Kunstgriffe als Versuch der qualifizierten Kuppelei verfolgt werden. (Zu vgl. Zürcher, a. a. 0. S. 242, 243; Garçon, Code pénal annoté, Noten 184 und 184*^ zu Art. 884 und 335; Binding, Lehrbuch des gemeinen deutschen Strafrechts, Besonderer Teil, I, 206 f.; Mittermäier, Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit in Vgl.

Darstellung des deutschen und ausländischen Strafrechts, Besonderer Teil, Bd. IV, S. 193; Liszt, Lehrbuch des deutschen Strafrechts, 22. Auflage, S. 360 f., 364; Kitzinger, Die internationalen Konventionen zur Bekämpfung des Mädchenhandels
und das deutsche Strafrecht, D. Juristenzeitung XII, S, 808 f.)

DieBestimmungen üherEntf ührung undKuppelei und noch weniger diejenigen über Menschenraub reichen namentlich nicht aus, um den internationalen Frauenhandel zu treffen. Sie berücksichtigen nicht, dass sich die Tätigkeit der Händler auf verschiedene Länder erstreckt und in der Begel auf mehrere Personen verteilt. Unsere Gesetze erfüllen das Erfordernis der Art. l und 2 der Konvention von 1910,

1053 dass die Strafbarkeit auch eintrete, wenn nur eines der wesentlichen Tatbestandsmerkmale auf unserm Gebiet verwirklicht wird, nicht; sie entsprechen ebensowenig der Bestimmung der lit. -C des Schlussprotokolls des Übereinkommens von 1910, wonach der Frauenhandel mit schweren Strafen zu ahnden ist, und auch nicht der Vorschrift des Art. 8 der Konvention von 1921, wonach der Versuch und im Bahmen der nationalen Gesetzgebung die Vorbereitung des Prauenhandels unter Strafe zu stellen ist. Wie die meisten andern Staaten muss die Schweiz ihre Strafgesetzgebung den internationalen Übereinkommen durch Schaffung eines selbständigen Delikts des Frauenhandels anpassen.

Hierzu eignet sich in vorzüglicher Weise Art. 177 des Entwurfs zum Strafgesetzbuche.

b. Der Kinderhandel. Im geltenden Eecht der Kantone finden sich keine besondern Bestimmungen über den Kinderhandel.

Es könnten die Bestimmungen über Menschenraub, Entführung und Kuppelei herangezogen worden. Art. 160 des schweizerischen Strafgesetzentwurfes bestraft denjenigen mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder Gefängnis nicht unter sechs Monaten, der ein Kind unter sechzehn Jahren entführt, um Gewinn aus dem Kinde zu ziehen oder um ein Lösegeld zu erlangen ; hat die Entführung den Zweck, das Kind zur Unzucht zu missbrauchen oder es der Unzucht zu überliefern, so ist die Strafe Zuchthaus nicht unter drei Jahren. Die Expertenkommission für den Entwurf zum schweizerischen Strafgesetzbuche lehnte die Aufnahme einer besondern Bestimmung gegen den Kinderhandel ab, in der Annahme, dass mit den Bestimmungen über Freiheitsberaubung, Entführung, Kuppelei, Verletzung der Elternpflichten, Verwendung von Kindern zum Bettel und mit der Gewerbe- und Schulgesetzgebung dem Kinderhandel entgegengetreten werden könne (vgl. Protokolle der II. Expertenkommission, Bd. III, S. 806 f.). Nach den Erfahrungen der Behörden besteht für unsere internen Verhältnisse auch heute kein Bedürfnis zum Erlass einer besondern Bestimmung gegen den Kinderhandel. Um der Konvention von 1921 zu genügen, erachten wir aber die Schaffung einer solchen Strafbestimmung als unumgänglich, zumal in andern Ländern der Kinderhandel vorkommt und ein Transport über unser Gebiet stattfinden kann. Da nach Art. 2 der Konvention von 1921 für den Handel mit Kindern der Straftatbestand des Art. l des
Übereinkommens von 1910 massgebend sein soll, so ist bloss eine Ausdehnung dieses Tatbestandes auf das Anwerben, Verschleppen und Entführen von Knaben zu untüchtigen Zwecken erforderlich.

c. Die Aufnahme einer Bestimmung gegen das Zurückhalten einer Frauensperson wider ihren Willen in einem ö f f e n t ßundesblatt. 76. Jahrg. Bd. III.

72

1054 liehen Hause erachten -wir nicht als erforderlich. Nach Art, 174 des Entwurfes zum schweizerischen Strafgesetzbuch ist das Halten von Bordellen überhaupt strafbar; zurzeit bestehen nur noch in Genf Bordelle. Mit der Strafbestimmung gegen das widerrechtliche Get'angenhalten und mit polizeilichen Massnahmen kann dem Zurückbehalten hinlänglich begegnet werden.

2. Formellrechtliche Bestimmungen.

a. Die Auslieferung. Art. 3 des BG betreffend die Auslieferung gegenüber dem Auslande vom 22. Januar 1892 bestimmt: «Die Auslieferung kann für folgende Handlungen und Unterlassungen bewilligt werden, wenn sie sowohl nach dem Eechte des Zufluchtsortes als nach dem des ersuchenden Staates strafbar sind und den Tatbestand eines der folgenden gemeinen Verbrechen oder Vergehen enthalten...» Der Frauenhandel ist unter den Auslief erungsdelikten nicht aufgezählt, wohl aber die verwandten Tatbestände, wie die Entführung von Minderjährigen und die gewerbsmässige Kuppelei, Solange unser nationales Eecht den selbständigen Tatbestand des Mädchenhandels nicht kennt, ist eine Auslieferung wegen dieses Deliktes ausgeschlossen. Ohne Strafbarkeit des Frauenhandels im Inland können wir keine Auslieferungspflicht übernehmen, aber auch kein Auslieferungsrecht beanspruchen. Mit der Schaffung einer Strafbestjm.rn.ung gegen den Frauenhandel muss aber gleichzeitig das Auslieferungsgesetz durch Aufnahme des Frauenhandels in Art. 3, Ziff. 15, ergänzt werden. Ist einmal der Fraiienhandel in Ergänzung des Art. 3 des Auslieferungsgesetzes in die Zahl der Auslieferungsdelikte aufgenommen, so kann die Schweiz der Verpflichtung des Art. 4 der Konvention von 1921 ohne weiteres nachkommen, da alsdann der Bundesrat gemäss Art, l des Auslieferungsgesetzes ermächtigt ist, mit den Staaten, die noch keinen Auslieferungsvertrag mit der Schweiz abgeschlossen haben, die Auslieferung wegen Frauenhandels auf dem Wege eines AuslieferungsVertrages oder einer Gegen-, seitigkeitserklärung zu vereinbaren.

6. E e c h t s h i l f e g e s u c h e , M i t t e i l u n g der Gesetze und der V e r u r t e i l u n g e n . Die Schweiz kann der Begelung des Übereinkommens für die Übermittlung von Gesuchen um Vollziehung richterlicher Massnahmen ohne weiteres zustimmen, zumal sie bereits das Haager Übereinkommen betreffend Ziyilprozessrecht vom 17. Juli 1905
(A. S. XXV, 417 f.) ratifiziert hat, das für Zivil- und Handelssachen ähnliche Bestimmungen enthält. Der Bundesrat hat sich mit jedem Vertragsstaat über die Art des Kechtshilfeverkehrs zu verständigen. Die Durchführung der Vorschriften über die Mit-

1055 teilung der von der Schweiz erlassenen Gesetze gegen den Frauenhandel und der Verurteilungen wegen dieses Deliktes dürfte bei uns keine Schwierigkeiten verursachen. Die Gesetze werden auf diplomatischem Wege der französischen Begierung und die Verurteilungen durch die Bundesanwaltschaft den Zentralstellen der andern Vertragsstaaten zugestellt.

o. Aufsicht über die S t e l l e n v e r m i t t l u n g s b u r e a u x , Massnahmen für die Ein- und A u s w a n d e r u n g . Die in Art. 6 und 7 der Konvention von 1921 vorgesehenen Massnahmen sind, soweit sie für unser Land überhaupt in Betracht kommen, bereits angeordnet (siehe Ziff. I hiervor). Zu wünschen wäre allerdings, dass sämtliche Kantone dem Konkordat betreffend den Schutz junger Leute in der Fremde beitreten würden.

3. Die Anpassung unserer Gesetzgebung an die Bestimmungen der internationalen Vereinbarungen.

Die Schaffung der Straftatbestände des Frauen- und Kinderhandels und die Ergänzung des Auslieferungsgesetzes durch Aufnahme des Frauen- und Kinderhandels hat auf dem Gesetzgebungswege zu erfolgen. Die übrigen Vorschriften der Vereinbarungen können nach ihrer Genehmigung durch die Bundesversammlung auf dem Administrativwege durchgeführt werden. Die Gesetzgebung muss aber vor der Eatifikation der Konvention von 1921 und vor dem Beitritt zum Übereinkommen von 1910 den internationalen Vereinbarungen angepasst werden. Das letztgenannte 'Übereinkommen steht auf dem Standpunkte, dass auch Staaten mit ungenügender Gesetzgebung unterzeichnen können, bei der Ratifikation aber ihre Gesetze mit den Anforderungen der Vereinbarung in "Übereinstimmung gebracht haben müssen; das nämliche ist der Fall für nicht unterzeichnende Staaten, die später dem Übereinkommen beitreten wollen (vgl. Art. 3 und 8 des Übereinkommens ; E e n a u l t , a, a. 0. S. 518 und 515). Da, wie unter Ziffer IV hiernach ausgeführt ist, für die Schweiz eine dringende Notwendigkeit zur Eatifikation und zum Beitritt besteht, kann nicht auf das Inkrafttreten des schweizerischen Strafgesetzbuches gewartet, sondern es müss ein Spezialgesetz erlassen werden. Die Ratifikation und der Beitritt können erst auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes beschlossen werden, weil die Landesgesetze gemäss Art. 3 und 8 des Übereinkommens von 1910 beim Anschluss an diese Vereinbarung
ergänzt sein müssen und die Beteiligung an beiden Konventionen ohne diese Ergänzung für uns bedeutungslos wäre. Nach der Konvention von 1921 könnte allerdings die Eatifikation vor der Ergänzung beschlossen werden, diese

1056 Konvention enthält aber bloss einige Zusatzbestimmungen zum Übereinkommen von 1910. Der Bundesbeschluss betreffend die Eatifikation und den Beitritt unterliegt dem Eeferendum nicht, da beide Konventionen jederzeit auf 12 Monate gekündigt werden können.

IV. Die Notwendigkeit der Ratifikation und des Beitrittes für die Schweiz.

Wie wir oben unter Ziffer I ausgeführt haben, ist eine wirksame Bekämpfung des Frauenhandels nur durch ein gemeinsames Vorgehen aller Kulturstaaten zu erreichen. : Die Schweiz, die bisher bestrebt war, bei allen humanitären Aufgaben der Völkergemeinschaft mitzuarbeiten, kann bei der strafrechtlichen Bekämpfung des Frauenhandels nicht länger zurückstehen. Es handelt sich hier um ein internationales Delikt und um einen Angriff auf das gemeinsame Interesse aller Kulturvölker an der gesunden Entwicklung des Volkstums.

Die Organe des Völkerbundes haben schon unter verschiedenen Malen die Staaten aufgefordert, die Konventionen zur Bekämpfung des Frauenhandels zu ratifizieren oder ihnen beizutreten (vgl. Besolution l -der Schlussakte des Kongresses von 1921, Art. l der Konvention von. 1921, Eesolution der ständigen konsultativen Kommission zur Bekämpfung des Frauen- und Kinderhandels vom Juni 1922, Beschluss des Völkerbundsrates vom 17: Juli 1922, Kommissionsverhandlungen an der III. und IV. Völkarbundsversammlung). Das Übereinkommen von 1910 haben folgende Staaten ratifiziert: Österreich, Spanien, Frankreich, Grossbritannien, Italien, Ungarn, Bussland, Niederlande, Deutschland, Portugal, Beigetreten sind folgende Staaten: Bulgarien, Kanada, Tschechoslowakei, Danzig, Niederländisch-Indien, Französische Kolonien, Indien, Monaco, Marokko, Norwegen,.Polen, Siam, Surinam, Curaçao, Tunis, Uruguay, Neufundland, Neuseeland und 14 englische Kolonien. Die Konvention von 1921 ist von folgenden Staaten ratifiziert worden: Albanien, Australien, Österreich, Belgien, Kanada, Kuba, Deutschland, Griechenland, Grossbritannien, Indien, Italien, Neuseeland, Norwegen, Portugal, Siam, Südafrika, Tschechoslowakei, Niederlande, Eumänien, Lettland, Polen. Beigetreten sind Dänemark, Finnland, Panama, Spanien und vier britische Kolonien. Andere Staaten schicken sich an, die Übereinkommen von 1910 oder 1921, denen sie noch nicht angehören, zu ratifizieren oder ihnen beizutreten (z. B. Frankreich die Konvention von 1921, Schweden beide Vereinbarungen), so dass mit der baldigen Zugehörigkeit auch dieser Länder zu den internationalen Abmachungen zu rechnen ist. Wenn die Schweiz, über deren Gebiet erfahrungs-

1057 gemäss Transporte von angeworbenen Frauen geben, sich den Konventionen nicht anschliesst, so würde sie die Wirksamkeit des gemeinsamen Abwehrkampfes der Kulturstaaten erheblieh schwächen. Die Mitwirkung der Schweiz ist um so dringender, als bei der Aufhebung der Einreiseschwierigkeiten mit Sicherheit ein Anwachsen des internationalen Frauenhandels zu erwarten ist.

Der baldige Anschluss der Schweiz an die Konventionen ist abeï nicht bloss als Akt der internationalen Solidarität, sondern ebensosehr als Massnahme zum Schutze ihrer eigenen Angehörigen geboten.

Wenige Staaten haben im Auslande so viele Frauen und Mädchen als Lehrerinnen, Gouvernanten, Hotelangestellte usw. wie die Schweiz.

Strafbestimmungen gegen die Anwerbung zu unzüchtigen Zwecken sind namentlich zum Schutze dieser Schweizerinnen nötig, die die Heimat verlassen, um im Ausland Verdienst zu finden. Die Annahme, dass der Frauenhandel bei uns überhaupt nicht vorkomme, ist leider unrichtig. Die Polizeibehörden und die Gerichte kommen allerdings selten in die Lage, eine Strafverfolgung wegen Frauenhandel durchzuführen. Nach den. Erfahrungen der schweizerischen Zentralstelle zur Bekämpfung des Frauenhandels und namentlich der Schutzvereine steht aber fest, dass dieses schändliche Gewerbe auch bei uns getrieben wird. Für solche die Schweiz berührenden Fälle verweisen wir auf Hilty, Traite blanche; N i n c k , Mädchenhandel mit besonderer Beziehimg auf die Schweiz, die Akten der Bundesanwaltschaft und die Zusammenstellung der den Schutzvereinen bekannt gewordenen Fälle. Wenn die Schweiz sich den Übereinkommen nicht anschliesst und ihre Strafgesetzgebung nicht ergänzt, so kann sie den auf ihrem Gebiete begangenen Frauenhandel nur in den seltensten Fällen bestrafen, sie kann keine Auslieferung bewilligen, aber auch vom Auslande teine Auslieferung und überhaupt keine Eechtshilfe beanspruchen. Wenn "die Schweiz mit dem Anschluss noch lange zuwartet, während sich die meisten andern Staaten den Konventionen anschliessen, so läuft sie Gefahr, dass die internationalen Mädchenhändler sich auf ihr Gebiet'flüchton und hier ihr Gewerbe ausüben, da sie in unserem Lande in der Regel nicht verfolgt werden könnten.

Solange die Schweiz nicht Vertragsstaat ist, kann sie nicht einmal verlangen, dass ein Vertragsstaat den auf ihrem Gebiet begangenen
Frauenhandel verfolgt (vgl. die Auslegung der Art. l und 2 des Übereinkommens von 1910 im Kommissionsbericht des Kongresses von 1910, Kongressakten 1910, S. 68). Bei einer solchen Kechtslage ist der Anschluss an die Konventionen für uns eine dringende Notwendigkeit. Sehutzwürdige Interessen werden durch die Übernahme der Verpflichtungen der Vereinbarungen in keiner Weise gefährdet. Die Geschäftsprüfungskommission des Ständerates hat im

1058

Jahre 1922 den Bundesrat ersucht, die Genehmigung der Konventionen baldmöglichst in die Wege zu leiten.

Wir empfehlen Ihnen die Annahme des vorliegenden Beschlussentwurfes.

Genehmigen Sie die Versicherung unserer ausgezeichneten Hochachtung.

Bern, den 25. November 1924.

Namens des Schweiz. Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t : Chuard.

Der Vizekanzler:

Kaeslin.

Bimdesbeschluss betreffend

den Beitritt der Schweiz zum internationalen Übereinkommen vom 4. Mai 1910 zur Bekämpfung des Mädchenhandels und die Genehmigung des internationalen Übereinkommens vom 30. September 1921 zur Unterdrückung des Frauen- und Kinderhandels.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 25. November

1924,

. :

in Anwendung von Art. 85, Ziff. 5,'der Bundesverfassung, beschliesst: I. Auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bundesgesetzes betreffend die Bekämpfung des Frauen- und Kinderhandels und der unzüchtigen Veröffentlichungen tritt die Schweiz dem Übereinkommen vom 4. Mai 1910 zur Bekämpfung des Mädchenhandels bei und wird das internationale Übereinkommen vom 80. September 1921 zur Unterdrückung des Frauen- und Kinderhandels genehmigt.

II. Der Bundesrat wird mit der Durchführung des vorliegenden Bundesbeschlusses beauftragt-.

.

.

1059

Internationales Übereinkommen .zur

Bekämpfung des Mädchenhandels vom 4. Mai 1910.

Die Herrscher, Staatshäupter und Begierungen der nachstehend aufgeführten Mächte, (siehe Unterschriften am Schlüsse des Übereinkommens) gleichmässig von dem Wunsche geleitet, die Bekämpfung des unter dem Namen «Mädchenhandel» bekannten verbrecherischen Treibens so wirksam wie möglich zu gestalten, haben beschlossen, zu diesem Zwecke ein Übereinkommen abzuschliessen, und haben, nachdem in einer ersten, vom 15. Juli bis 25. Juli 1902 in Paris abgehaltenen Konferenz ein Entwurf angenommen worden war, ihre Bevollmächtigten bezeichnet, die vom 18. April bis zum 4. Mai 1910 in Paris zu einer zweiten Konferenz zusammengetreten sind und folgende Bestimmungen vereinbart haben: Artikel 1.

Wer, um der Unzucht eines andern Vorschub zu leisten, eine .

minderjährige Frau oder ein minderjähriges Mädchen, selbst mit deren Einwilligung, zu unsittlichem Zwecke anwirbt, verschleppt oder entführt, soll bestraft werden, auch wenn die einzelnen Tatsachen, welche die Merkmale der strafbaren Handlung bilden, auf verschiedene Länder entfallen.

Artikel 2.

Ferner soll bestraft werden, wer, um der Unzucht eines andern Vorschub zu leisten, eine volljährige Frau oder ein volljähriges Mädchen durch Täuschung oder mittels Gewalt, Drohung, Missbrauch des Ansehens oder durch irgendein anderes Zwangsmittel zu unsittlichem Zwecke anwirbt, verschleppt oder entführt, auch wenn die einzelnen Tatsachen, welche die Merkmale der strafbaren Handlung bilden, auf verschiedene Länder entfallen.

Artikel 8.

Die vertragschhessenden Teile, deren Gesetzgebung nicht bereits ausreichen sollte, um die in den beiden vorhergehenden Artikeln vorgesehenen strafbaren Handlungen zu bekämpfen, verpflichten sich, diejenigen Massnahmen zu treffen oder ihren gesetzgebenden Körperschaften vorzuschlagen, die erforderlich sind, damit diese strafbaren Handlungen ihrer Schwere gemäss bestraft werden.

1060 Artikel 4.

Die vertragschliessenden Teile werden sich durch Vermittlung der Regierung der Französischen Republik die Gesetze mitteilen, die mit Beziehung auf den Gegenstand dieses Übereinkommens in ihren Staaten schon erlassen sind oder noch erlassen werden.

Artikel 5.

Die in den Artikeln l und 2 vorgesehenen strafbaren Handlungen sollen vom Tage des Inkrafttretens dieses Übereinkommens an ohne weiteres als in die Aufzählung derjenigen strafbaren Handlungen aufgenommen gelten, doretwegen die Auslieferung nach den unter den vertragschliessenden Teilen bereits bestehenden Vereinbarungen stattfindet.

Soweit .die vorstehende Abrede nicht ohne Änderung der bestehenden Gesetzgebung wirksam werden kann, verpflichten sich die vertragschliessenden Teile, die erforderlichen Massnahmen zu treffen oder ihren gesetzgebenden Körperschaften vorzuschlagen.

Artikel 6.

Die Übermittlung der Èrsuchungsschreiben, die sich auf die in diesem Übereinkommen bezeichneten strafbaren Handlungen beziehen, soll erfolgen: 1. im unmittelbaren Verkehr unter den Gerichtsbehörden, oder 2. durch Vermittlung des diplomatischen oder konsularischen Vertreters des ersuchenden Landes in dem ersuchten Lande, welcher das Èrsuchungsschreiben unmittelbar der zuständigen Gerichtsbehörde sendet und unmittelbar von dieser Behörde die Urkunden empfängt, aus denen sich die Erledigung des Ersuchens ergibt, (in diesen beiden Fällen soll stets zu gleicher Zeit Abschrift des Ersuchungsschreibens an die Oberbehörde des ersuchten Staates gerichtet werden) oder 8. auf diplomatischem Wege.

Jeder vertragschliessende Teil wird durch eine Mitteilung an einen jeden der andern vertragschliessenden Teile diejenige oder diejenigen der vorbezeichneten Übermittlungsarten bekanntgeben, die er für die von diesem Staate ausgehenden Ersuchungsschreiben zulässt.

1061 Alle Schwierigkeiten, die etwa aus Anlass der in den Fällen Nr. l und 2 dieses Artikels erfolgten Übermittlungen entstehen, werden auf diplomatischem Wege geregelt.

Vorbehaltlich anderweitiger Übereinkunft muss .das Ersuchungsschreiben in der Sprache der ersuchten Behörde oder in der zwischen den beiden beteiligten Staaten vereinbarten Sprache abgefasst oder doch von einer Übersetzung in eine dieser Sprachen begleitet sein, die durch einen diplomatischen oder konsularischen Vertreter dea ersuchenden Staates oder durch einen vereidigten Dolmetscher de& ersuchten Staates beglaubigt ist.

Für die Erledigung von Ersuchen dürfen Gebühren oder Auslagen irgendwelcher Art nicht erhoben werden.

Artikel 7.

Die vertragschliessenden Teile verpflichten sich, einander di& Strafnachrichten mitzuteilen, sofern es sich um Zuwiderhandlungen der in diesem Übereinkommen bezeichneten Art handelt, deren Tatbestandsmerkmale auf verschiedene Länder entfallen.

Diese Urkunden sollen durch die Behörden, die gemäss Artikel l des am 18. Mai 1904 in Paris getroffenen Abkommens bestellt sind, den gleichartigen Behörden der andern Vertragsstaaton unmittelbar übermittelt werden.

Artikel 8.

Den Staaten, die dieses Übereinkommen nicht unterzeichnet haben, soll der Beitritt freistehen. Zu diesem Zwecke haben sie ihre Absicht durch eine Urkunde anzuzeigen, die im Archive der Regierung der Französischen Republik hinterlegt wird. Diese wird beglaubigte Abschrift davon auf diplomatischem Wege einem jeden der Vertragsstaaten -übersenden unter gleichzeitiger Benachrichtigung von dem Tage der Hinterlegung. Es wird auch in der erwähnten, die Anzeige enthaltenden Urkunde Mitteilung von den Gesetzen gemacht werden, die in dem beitretenden Staate mit Beziehung auf den Gegenstand dieses Übereinkommens erlassen sind.

Sechs Monate nach dem Tage der Hinterlegung der die Anzeige enthaltenden Urkunde tritt das Übereinkommen in Kraft im gesamten Gebiete des beigetretenen Staates, der so Vertragsstaat wird.

Der Beitritt zu dem Übereinkommen zieht ohne weiteres und ohne besondere Anzeige den gleichzeitigen und vollständigen Beitritt zu dem Abkommen vom 18. Mai 1904 nach sich, das an demselben Tage wie das Übereinkommen selbst im gesamten Gebiete des bei-tretenden Staates in Kraft tritt.

1062 .Doch wird durch die vorhergehende Bestimmung der Artikel 7 ·des erwähnten Abkommens vom 18. Mai 1904 nicht berührt; er bleibt iür de'n Fall anwendbar,, dass ein Staat es vorziehen sollte, nur dem Abkommen beizutreten.

Artikel 9.

Dieses Übereinkommen, das durch ein Schlussprotokoll ergänzt ·wird, das einen wesentlichen Bestandteil von ihm bildet, soll ratifiziert und die ^Ratifikationsurkunden sollen in Paris hinterlegt werden, sobald sechs der Vertragsstaaten hierzu in der Lage sind.

Über jede Hinterlegung von Eatifikationsurkunden wird ein Protokoll aufgenommen ; von diesem ist eine beglaubigte Abschrift auf diplomatischem Wege einem jeden der Vertragsstaaten mitzuteilen, . Dieses Übereinkommen tritt sechs Monate nach dem Tage der Hinterlegung der Eatifikationsurkunden in Kraft.

Artikel 10.

Falls einer der Vertragsstaaten das Übereinkommen kündigen sollte, würde die Kündigung nur in Ansehung dieses Staates wirksam werden.

Die Kündigung soll durch eine Urkunde angezeigt werden, die im Archive der Eegierung der Französischen Eepublik hinterlegt wird. Diese wird beglaubigte Abschrift davon auf diplomatischem Wege einem jeden der Vertragsstaaten übersenden unter gleichzeitiger Benachrichtigung von dem Tage der Hinterlegung.

Das Übereinkommen tritt zwölf Monate nach diesem Tage im gesamten Gebiete des Staates, der es gekündigt hat, ausser Kraft.

Die Kündigung des Übereinkommens zieht nicht ohne weiteres die gleichzeitige Kündigung des Abkommens vom 18, Mai 1904 nach sich, es sei denn, dass solches in der die Anzeige enthaltenden Urkunde ausdrücklich erwähnt wird; ist dies der Fall, so muss der Vertragsstaat, um das erwähnte Abkommen zu kündigen, nach dessen Artikel 8 verfahren.

Artikel 11.

.

: Wünscht der Vertragsstaat die Inkraftsetzung dieses Übereinkommens in einer oder mehreren seiner Kolonien oder Besitzungen oder in einem oder mehreren seiner Konsulargerichtsbezirke, so hat er seine hierauf gerichtete Absicht durch eine Urkunde anzuzeigen, die im. Archive der Eegierung der Französischen Eepublik hinterlegt wird. Diese wird beglaubigte Abschrift davon auf diplomatischem Wege einem jeden der Vertragsstaaten übersenden unter gleichzeitiger Benachrichtigung von dem Tage der Hinterlegung..

1063 "Für diese Kolonien, Besitzungen oder Konsulargerichtsbesdrke soïï in der die Anzeige enthaltenden Urkunde von den Gesetzen Mitteilung gemacht werden, die dort mit Beziehung auf den Gegenstand dieses Übereinkommens erlassen sind. Die Gesetze, die in der Folge dort noch erlassen werden, sollen den Vertragsstaaten gemäss Artikel 4 gleichfalls mitgeteilt werden.

Sechs Monate nach dem Tage der Hinterlegung der die Anzeige enthaltenden Urkunde tritt das Übereinkommen in den in der Anzeige bezeichneten Kolonien, Besitzungen oder Konsulargerichtsbezirken in Kraft.

Der nachsuchende Staat wird durch eine Mitteilung an einen jeden der andern Vertragsstaaten diejenige oder diejenigen der Übermittlungsarten bekannt geben, die er für die Ersuchungsschreiben nach solchen Kolonien, Besitzungen oder Konsulargerichtsbezirken zulässt, welche den Gegenstand der im Absatz l dieses Artikels vorgesehenen Anzeige gebildet haben.

Die Kündigung des Übereinkommens durch einen der Vertragsstaaten für eine oder mehrere seiner Kolonien oder Besitzungen oder Konsulargerichtsbezirke soll in den Formen und unter den Bedingungen bewirkt werden, wie sie im Absatz l dieses Artikels bestimmt sind. Sie wird zwölf Monate nach dem Tage wirksam, an dem die Kündigungsurkunde im Archive der Regierung der Französischen Bepublik hinterlegt worden ist.

Der Beitritt eines Vertragsstaates zu dem Übereinkommen für eine oder mehrere seiner Kolonien oder Besitzungen oder für einen oder mehrere seiner Konsulargerichtsbezirke zieht ohne weiteres und ohne besondere Anzeige den gleichzeitigen und vollständigen Beitritt zu dem Abkommen vom 18. Mai 1904 nach sich; dieses Abkommen tritt dort an demselben Tage wie das Übereinkommen selbst in Kraft. Doch zieht die Kündigung des Übereinkommens durch einen Vertragsstaat für eine oder mehrere seiner Kolonien oder Besitzungen oder für einen oder mehrere seiner Konsulargerichtsbezirke dort nicht ohne weiteres die gleichzeitige Kündigung des Abkommens vom 18. Mai 1904 nach sich, es sei denn, dass solches in der die Anzeige enthaltenden Urkunde ausdrücklich erwähnt ist ; im übrigen bleiben die Erklärungen aufrechterhalten, welche die Signatarmächte des Abkommens vom 18. Mai 1904 hinsichtlich des Beitritts ihrer Kolonien zu dem Abkommen abzugeben in der Lage waren.

Doch sollen, vom Tage des Inkrafttretens
dieses Übereinkommens an, die zu dem. Abkommen ergehenden Beitrittserklärungen oder Kündigungen, die sich auf die Kolonien, Besitzungen oder Konsulargerichtsbezirke der Vertragsstaaten beziehen, nach Massgabe der Bestimmungen dieses Artikels erfolgen.

1064 Artikel 12.

Dieses Übereinkommen, welches das Datum vom 4. Mai 1910 tragen soll, kann durch die Bevollmächtigten der auf der Zweiten Konferenz zur Bekämpfung des Mädchenhandels vertretenen Mächte bis zum 81. Juli dieses Jahres in Paris unterzeichnet werden.

Geschehen in Paris am 4. Mai 1910 in einer einzigen Ausfertigung, wovon beglaubigte Abschrift einer jeden der Signatarmächte übermittelt werden wird.

Schlussprotokoll.

Im Begriffe, zur Unterzeichnung des Übereinkommens von heute zu schreiten, halten es die unterzeichneten Bevollmächtigten für angezeigt, darauf hinzuweisen, in welchem Sinne die Artikel l, 2 und 8 dieses Übereinkommens zu verstehen sind und wie es demzufolge wünschenswert ist, dass die Vertragsstaaten bei der Ausübung ihrer Gesetzgebungshoheit für die Ausführung der getroffenen Abreden oder deren Ergänzungen Vorsorge treffen.

A. Die Bestimmungen der Artikel l und 2 sollen als ein Mindestmass'in dem Sinne angesehen werden, dass selbstverständlich die vertragschliessenden Eegierungen völlig unbehindert bleiben, andere strafbare Handlungen gleicher Art zu bestrafen, wie beispielsweise die Anwerbung einer Volljährigen, auch wenn weder Täuschung noch Zwang vorliegt.

B. Bei der Bekämpfung der in den Artikeln l und 2 vorgesehenen strafbaren Handlungen sind die Worte «minderjährige Frau oder minderjähriges Mädchen und volljährige Frau oder volljähriges Mädchen» so zu verstehen, dass sie die Frauen und Mädchen bezeichnen, die das zwanzigste Lebensjahr noch nicht vollendet oder die es bereits vollendet haben. Doch kann ein Gesetz ein höheres Schutzalter unter der Bedingung festsetzen, dass es für die Frauen und die Mädchen jeder Staatsangehörigkeit zu gelten hat.

C. Bei der Bekämpfung dieser strafbaren Handlungen sollte das Gesetz in allen Fällen eine Freiheitsstrafe androhen, unbeschadet aller sonstigen Haupt- oder Nebenstrafen; es sollte auch, unabhängig von dem Alter des Opfers, den einzelnen erschwerenden Umständen Rechnung tragen, die im Einzelfalle zusammentreffen können, wie diejenigen, welche in dem Artikel 2 vorgeehen sind oder wie die Tatsache, dass das Opfer wirklich der Unzucht zugeführt worden ist.

D. Der Fall, dass eine Frau oder ein Mädchen gegen ihren Willen in einem öffentlichen Hause zurückgehalten wird, hat trotz seiner

1065 Schwere in dem vorliegenden Übereinkommen nicht Aufnahme finden tonnen, weil er ausschliesslich unter die innere Gesetzgebung fällt.

Dieses Schlussprotokoll soll als ein wesentlicher Bestandteil des heutigen Übereinkommens angesehen werden und gleiche Kraft, Geltung und Dauer haben.

Geschehen und unterzeichnet in einer einzigen Ausfertigung in Paris am 4. Mai 1910.

Pur Deutschland:

Albrecht Lentze Curt Joel

(Unter Vorbehalt des Art. 6).

Pur Österreich und Ungarn: A. Nemes, Geschäftsträger.

Pur Österreich:

J. Eichhoff, k. k. österr. Sektionsrat.

Pur Ungarn:

G. Lers, k. ungar. Ministerialrat.

Pur Belgien:

Jules Lejeune.

Isidore Maus.

Für Brasilien:

J. C. de Souza Bandeira.

Pur Dänemark:

C. E. Gold.

Pur Spanien:

Octavio Cuartero.

Pur Prankreich:

R. Bérenger.

Pur Grossbritannien:

Francis Bertie.

Pur Italien:

J. C. Buzzarti.

Gerolamo Calvi.

Für die Niederlande:

A. de Stuers.

Rethaan Macare.

Für Portugal:

Comte de Souza Roza.

Für Russland:

Alexis de Bellegarde.

Wladimir Déruginsky.

Pur Schweden:

F. de Klercker.

1066

Internationales Übereinkommen zur

Unterdrückung des Frauen- und Kinderhandels vom 30. September 1921.

Vom Wunsche geleitet, die Bekämpfung des Frauen- und Kinderhandels, der in den Eingangsformeln zu dem Abkommen vom 18. Mai 1904 und dem Übereinkommen vom 4. Mai 1910 als «Mädchenhandel» bezeichnet ist,, in vollkommenerer Weise zu sichern; nach Kenntnisnahme von den Vorschlägen, die in der Schlussakte der auf Einberufung des Eates des Völkerbundes vom 80, Juni bis zum 5. Juli 1921 in Genf abgehaltenen internationalen Konferenz niedergelegt sind; in dem Entschlüsse, zu dem oben erwähnten Abkommen und dem dort bezeichneten Übereinkommen ein Ziisatzübereinkoininen zu schliessen; haben zu diesem Zwecke zu ihren Bevollmächtigten ernannt: (siehe Unterschriften des Übereinkommens) die nach Mitteilung ihrer in guter und gehöriger Form befundenen: Vollmachten folgende Bestimmungen vereinbart haben: Artikel 1.

Die Vertragsstaaten verpflichten sich, soweit sie noch nicht Vertragsteile des Abkommens vom 18. Mai 1904 und des Übereinkommens vom 4. Mai 1910 sind, ihre Eatifikationen oder ihre Beitrittserklärungen in bezug auf diese Akte möglichst bald in der in.

den Abkommen und dem Übereinkommen vorgesehenen Form. zu.

übermitteln.

Artikel 2.

Die Vertragsstaaten verpflichten sich, alle Massnahmen zu; treffen, die zur Ermittlung und zur Bestrafung von Personen erforderlich sind, welche sich mit dem Handel mit Kindern beiderlei Geschlechts befassen, wobei als solche Handlungen strafbare Handlungen der im Artikel l des Übereinkommens vom 4. Mai 1910 bezeichneten Art zu verstehen sind.

1067 Artikel 8.

Die Vertragsstaaten verpflichten sich, alle Massnahmen zu treffen, um den Versuch einer strafbaren Handlung und in den gesetzlichen Grenzen auch die vorbereitenden Handlungen zu den in den Artikeln l und 2 des Übereinkommens vom 4. Mai 1910 vorgesehenen strafbaren Handlungen unter Strafe zu stellen, Artikel 4.

Die Vertragsstaaten verpflichten sich, falls keine Auslioferungsverträge zwischen ihnen bestehen, alle ihnen möglichen Massnahmen zur Auslieferung solcher Personen zu treffen, welche der in den Artikeln l und 2 des Übereinkommens vom 4. Mai 1910 vorgesehenen strafbaren Handlungen beschuldigt oder wegen solcher Handlungen verurteilt worden sind.

Artikel 5.

Im Abschnitt B des Schlussprotokolls des Übereinkommens von 1910 werden die Worte ((vollendetes zwanzigstes Lebensjahr» ersetzt durch die Worte «vollendetes einundzwanzigstes Lebensjahr».

Artikel 6, Die Vertragsstaaten verpflichten sich, falls noch keine gesetzlichen oder Verwaltungsmassnahrnen wegen der Zulassung und Überwachung der Agenturen und Bureaux für Stellenvermittlung ergangen sind, derartige Bestimmungen zu erlassen, um Frauen und Kinder, die in einem andern Lande Arbeit suchen, zu schützen.

Artikel 7.

Die Vertragsstaateii verpflichten sich, im Ein- und Auswauderungsdienste Verwaltungs- und gesetzliche Massnahmen zur Bekämpfung des Frauen- und Kinderhandels zu treffen. Insbesondere werden sie Bestimmungen erlassen, um die auf Auswandererschiffen reisenden Frauen und Kinder nicht nur bei der Abfahrt und boi der Ankunft, sondern auch wahrend der Überfahrt zu schützen ; ferner werden sie dafür sorgen, dass auf den Bahnhöfen und in den Häfen Bekanntmachungen angebracht werden, die Frauen und Kinder vor den Gefahren des Mädchenhandels warnen und zugleich die Stellen angeben, wo sie Unterkunft, Hilfe und Beistand finden können.

Artikel 8.

Dieses Übereinkommen, dessen französischer und englischer Wortlaut in gleicher Weise massgebend sind, trägt das heutige Datum und kann bis zum 81, März 1922 unterzeichnet werden.

1068 Artikel 9.

Dieses Übereinkommen bedarf der Ratifikation. Die Batifikationsurkunden sind dem Generalsekretär des Völkerbundes zu übermitteln, der von ihrem Empfang den andern Mitgliedern des Völkerbundes und den zur Unterzeichnung des Übereinkommens zugelassenen Staaten Kenntnis gibt. Die Ratifikationsurkunden sollen im Archiv des Sekretariates hinterlegt werden.

Gemäss den Vorschriften des Artikels 18 des Völkerbundsvertrages wird der Generalsekretär dieses Übereinkommen eintragen, sobald die Hinterlegung der ersten Eatifikationsurkunde erfolgt ist.

Artikel 10.

Mitglieder des Völkerbundes, die dieses Übereinkommen nicht vor dem 1. April 1922 unterzeichnet haben, können ihm beitreten.

Das gleiche gilt für die nicht dem Bunde angehörenden Staaten, denen dieses Übereinkommen auf Beschluss des Völkerbundsrats amtlich mitgeteilt werden kann.

Die Beitrittserklärungen sind dem Generalsekretär des Bundes anzuzeigen, der alle beteiligten Mächte unter Angabe des Tages der Anzeige davon verständigen wird.

Artikel 11.

Dieses Übereinkommen tritt für jeden Teil mit dein Tage der Hinterlegung seiner Eatifikationsurkunde oder seiner Beitrittserklärung in Kraft, Artikel 12.

Dieses Übereinkommen kann von jedem Bundesmitgliede oder von jedem Staate, der Vertragsteil dieses Übereinkommens ist, unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von zwölf Monaten gekündigt werden. Die Kündigung hat durch schriftliche Anzeige an den Generalsekretär des Völkerbundes zu erfolgen. Dieser wird sogleich Abschriften dieser Anzeigen an alle andern Vertragsteile unter Angabe des Empfangstages übermitteln.

Die Kündigung wird wirksam nach Ablauf eines Jahres, gerechnet von dem Tage der Anzeige an den Generalsekretär, und gilt nur für den Staat, der sie erklärt hat.

Artikel 18.

Der Generalsekretär des Völkerbundes wird ein Verzeichnis aller Vertragsteile führen, die dieses Übereinkommen unterzeichnet, ratifiziert oder gekündigt haben oder ihm beigetreten sind.

1069 Dieses Verzeichnis wird jederzeit den Bundesmitgliedern zugänglich Sein, es wird gemäss den Weisungen des Rates so oft als möglich veröffentlicht werden.

Artikel 14.

Jedes Mitglied oder jeder Vertragsstaat kann erklären, dass seine Unterschrift für die seiner Hoheit oder seinem Machtbereich unterworfenen Kolonien, überseeischen Besitzungen, Protektorate oder Gebiete insgesamt oder für einzelne von ihnen nicht gilt, und kann namens der durch diese Erklärung ausgeschlossenen Kolonien, überseeischen Besitzungen, Protektorate oder Gebiete dem Übereinkommen später gesondert beitreten.

Die Kündigung kann ebenfalls für die einzelnen seiner Hoheit oder seinem Machtbereich unterworfenen Kolonien, überseeischen Besitzungen, Protektorate oder Gebiete je gesondert erfolgen; die Bestimmungen des Artikels 12 finden auf diese Kündigung Anwendung.

Geschehen in Genf am 30. September neunzehnhunderteinundzwanzig in einer einzigen Ausfertigung, die in den Archiven des Völkerbundes hinterlegt wird.

Südafrika :

E. H. Walton.

Albanien :

F. S. Noli.

Australien :

S. H. Brace.

Ich erkläre hiermit, dass meine Unterschrift Papua, die Insel Norfolk und das unter Mandat gestellte Gebiet von Neu-Guinea nicht verpflichtet,

Österreich :

Albert Mensdorfi.

Belgien :

Michel Levie.

Brasilien :

Gastao Da Cunha.

Grossbritannien :

Arthur James Balfour.

Ich erkläre hiermit, dass meine Unterschrift die Insel Neufundland, die Britischen Protektorate, die Insel Nauru oder irgendein unter der Mandatsverwaltung von Grossbritannien stehendes Gebiet nicht verpflichtet.

Kanada :

Charles J. Doherty.

Chili:

Augustin Edwards.

Manuel Rivas Vienna.

Bundesblatt.

76. Jahrg.

Bd. III.

1070 Columbien :

Costa-Rica : Estland: Griechenland : Italien :

Japan:

Lettland : Litauen : Norwegen : Persien : Portugal : Siam:

Schweiz:

Neuseeland :

Francisco José Urrutia.

A. J. Restrepo.

. Unter Vorbehalt der späteren Genehmigung; durch den Kongress von Columbien.

Manuel M. de Peralta.

Ant. Piip.

Vassili Dendramis.

Vorbehaltlich einer neuen Erklärung der könighohen Regierung erkläre ich, dass meine Unter schrift die italienischen Kolonien nicht verpflichtet.

Imperiali.

Der Unterzeichnete Delegierte von Japan behält sich im Namen seiner Regierung das Recht vor, die Bestätigung des Art. 5 des gegenwärtigen Übereinkommens zu verschieben und erklärt, dass seine Unterschrift Chosen, Taiwan und das.

Gebiet von Kwantung nicht verpflichtet.

Hayashi.

M. V. Salnais.

Galvanauskas.

Fridtjof Nansen.

Prinz Arfa-ed-Dowleh.

A. Freire D'Andrade.

Mit Vorbehalt hinsichtlich der im Paragraph b des Schlussprotokolls des Übereinkommens von 1910 vorgesehenen Altersgrenze und hinsichtlich.

Art. 5 des gegenwärtigen Übereinkommens, soweit es die siamesischen Staatsangehörigen betrifft.

Charoon.

Motta.

Unter Vorbehalt der Batifikation durch die Bundesversammlung.

J. Allen.

Ich erkläre hiermit, dass meine Unterschrift das Mandatgebiet von West-Samoa nicht verpf lichtet.

1071

Schlussakte.

Die gestützt auf den Beschluss des Völkerbundsrates vom 22. Februar 1921 einberufene internationale Konferenz zur Bekämpfung des Frauen- und Kinderhandels ist. am.80. Juni 1921 am Sitz des Völkerbundes in Genf zusammengetreten.

Die Konferenz ist durch Beschluss der Völkerbundsversammlung vom 15. Dezember 1920 beauftragt worden, die. Auffassung der verschiedenen Staaten zu vereinheitlichen, um ein gemeinsames Vorgehen zu ermöglichen.

.i ' Der Völkerbundsrat hat als Vorsitzenden der Konferenz Herrn Staatsminister Michel Lévie bezeichnet. Die Konferenz hat zur Vizepräsidentin-Fräulein Henni Forchhammer gewählt. Der Generalsekretär des -Völkerbundes hat Frau Rachel Crowdy als GeneralSekretärin des Kongresses und Herrn Georges Kàeckenbeeck als Rechtsbeirat bezeichnet. Die Generalsekretärin und. der Rechtsbeirat sind von der Konferenz dem Präsidenten und der Vizepräsidentin zur Bildung des Bureaus beigegeben -worden.

Die folgenden Staaten haben an der Konferenz teilgenommen und als Bevollmächtigte und Sachverständige bezeichnet: Südafrika : Albanien : Deutschland : Österreich : Belgien : Brasilien : Bulgarien : Kanada : Chili: China : Dänemark : Spanien Estland: Frankreich :

Bevollmächtigte Bevollmächtigter Bevollmächtigter Sachverständiger Bevollmächtigter Bevollmächtigter Sachverständiger Bevollmächtigter Sachverständiger Bevollmächtigter Bevollmächtigter Bevollmächtigter Bevollmächtigter Sachverständiger Bevollmächtigte Bevollmächtigter, Manuel de Cossio, Bevollmächtigter Charles Pusta, Bevollmächtigter S. E. Regnault, Frau de Witt-Schlumberger, Ersatzbevollmächtigte Sachverständiger Barbier, Lady Phyllis Ponsonby, M. Frasheri, Dr, Th. Lewald, Pfr. L. Hoppe, Emmerich Pflügl, Senator H. Lafontaine, Dullaert, Joao Baptista Lopes, S. Rangel de Castro, S. Poménow, Obed Smith, Manuel Rivas Vicuna, Suntchou Wei, Hoo-Chi-Tsai, Henni Forchhammer,

1072 Grossbritannien: Griechenland : Ungarn : Indien : Italien : Japan : Litauen : Monaco Norwegen :

S. W. Harris, V. Dendramis, Prof. Zoltan Baranyai, S. M. Edwardes, S. E. Marquis B. Paulucci de Calboli, Kunitoshi Xamaoka, Shigetomo Sayegusa, Vaclovas Sidzikauskas, Roussel, Enevold Borch, Elise Sem,

Panama : Niederlande :

R. A. Amador, A. de Graaf, F. H. G. van Walsem, Polen undDanzig : 3, Perlowski, Dr. Zum Busch,

Bevollmächtigter Bevollmächtigter Bevollmächtigter Bevollmächtigter Bevollmächtigter Bevollmächtigter Sachverständiger Bevollmächtigter Bevollmächtigter Bevollmächtigter Ersätzbevollmächtigte und Sachverständige Bevollmächtigter Bevollmächtigter Sachverständiger Bevollmächtigter Sachverständiger.

Bevollmächtigter Bevollmächtigter

Portugal: Bartholomeu Ferreira, Rumänien : Margaritesco Greciano, Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen: Dr. Miloutine Yovanovitch, Bevollmächtigter Bevollmächtigter Siam: S. H. Prinz Charoon, Bevollmächtigter Schweden Johann Baath, Frau Bugge-Wicksell, Sachverständige Bevollmächtigter Schweiz : Ernest Béguin, F. Stämpfli, Sachverständiger Bevollmächtigter Tschechoslowakei :Dr. C. Dusek, Bevollmächtigter Uruguay : Alfredo de Castro, Nachdem die Konferenz in einem dieser Schlussakte beigegebenen Berichte die Antworten der Staaten auf die Umfrage des Völkerbundssekretariates vom 16. Februar 1921 vereinigt hatte, hat sie nach den in den Sitzungsprotokollen enthaltenen Beratungen folgende Beschlüsse und Wünsche angenommen: 1. Die Konferenz, in Erwägung, dass eine wirksame Bekämpfung des Frauen- und Kinderhandels durch die Annahme gemeinsamer Grundsätze und gleicher Massnahmen in einer möglichst grossen Zahl von Staaten erleichtert wird, . . .

1073 dasB hierzu insbesondere notwendig Ist, dass diese Verbrechen von allen Gesetzgebungen mit Strafe bedroht werden; dass das Abkommen vom 18. Mai 1904 und das Übereinkommen vom 4. Mai 1910 die Grundsätze und die wesentlichen Maßnahmen auf diesem Gebiete enthalten und dass eine möglichst vollständige und allgemeine Ausführung dieser Vereinbarungen zur Verbesserung der gegenwärtigen Sachlage beitragen würde, empfiehlt dem Völkerbundsrat: Die Mitglieder des Völkerbundes und die andern Staaten, die das Abkommen vom 18, Mai 1904 und das Übereinkommen vom 4, Mai 1910 noch nicht genehmigt haben oder ihnen noch nicht beigetreten sind, zur Ratifikation oder zum Beitritt aufzufordern.

2. Die Konferenz, im Bestreben, den Schutz der Frauen und Kinder, welches auch ihre Easse und Farbe sei, zu sichern, spricht den Wunsch aus, dass der Völkerbundsrat die den Vereinbarungen betreffend den Frauen- und Kinderhandel vom 18. Mai 1904 und vom 4. Mai 1910 angehörenden Staaten wie auch die Staaten, die diesen Vereinbarungen noch nicht beigetreten sind, einladen möchte, ihren Beitritt auch für ihre Kolonien, überseeischen Besitzungen, Protektorate oder Territorien zu erklären.

3. Die Konferenz spricht den Wunsch aus, der Völkerbundsrat möge die Regierungen einladen, Massnahmen zu treffen, um den Versuch und in den gesetzlichen Grenzen auch die Vorbereitungshandlungen zu den in den Artikeln l und 2 des Übereinkommens vom 4. Mai 1910 vorgesehenen strafbaren Handlungen unter Strafe zu stellen.

4. Die Konferenz wünscht, dass der Völkerbundsrat die Staaten, die den Vereinbarungen von 1904 und 1910 angehören oder zum Beitritt bereit sind, ersucht, das unter lit. B des Schlussprotokolls von 1910 genannte Schutzalter auf das vollendete 21. Lebensjahr zu erhöhen und dieses Alter als Minimum zu betrachten und ihnen empfiehlt, es noch zu erhöhen.

5. Die Konferenz spricht, unter Bezugnahme auf Art. 5 des Übereinkommens vom 4. Mai 1910 und im Bestreben, die Bekämpfung der in Art. l und 2 dieses Übereinkommens vorgesehenen strafbaren Handlungen in möglichst vollständiger Weise zu sichern, den Wunsch aus, dass die Vertragsstaaten, falls keine Auslieferungsverträge zwischen ihnen bestehen, alle ihnen möglichen Massnahmen zur Auslieferung solcher Personen, die der genannten strafbaren Handlungen beschuldigt oder wegen solcher
Handlungen verurteilt worden sind, treffen mögen.

6. Di© Konferenz wünscht, dass alle Staaaten im Ein- und Auswanderungsdienste Verwaltungs- und gesetzliche Massnahmen zur

Ï074 Bekämpfung des Frauen- und Kinderhandels treffen. Sie macht die Regierungen insbesondere auf die Notwendigkeit aufmerksam, den Schutz der allein reisenden Frauen und Kinder zu sichern, und zwar sowohl bei der Abreise als bei der Ankunft und während der Dauer der Reise.

6bis. Die Konferenz lenkt die Aufmerksamkeit der internationalen Auswanderungskommission auf die Frage des Frauen- und Kinderhandels und auf die Wichtigkeit der Annahme bestimmter Vorschriften, die eventuell in ein internationales Abkommen aufgenommen werden können.

7. Die Konferenz wünscht, dass die zuständigen internationalen Vereinigungen eingeladen werden,.sich über die Massnahmen zu verständigen, die sie zu treffen haben, um die Reise bis zum Bestimmungsort der Frauen und Mädchen, die von den Behörden eines Landes ausgewiesen wurden oder keine Aufenthaltsbewilligung erhalten haben, zu sichern.

8. Unter Bezugnahme auf. Art. 2 des Abkommens von 1904 spricht die Konferenz den Wunsch aus, dass die Regierungen bei den Verwaltungen der Verkehrsanstalten bewirken, dass auf den Bahnhöfen und in den Häfen unentgeltlich Bekanntmachungen angebracht werden, die Frauen und Kinder vor den Gefahren des Frauen- und Kinderhandels warnen und zugleich die Stellen angeben, wo sie Unterkunft, Hilfe und Beistand finden können: 9. Die Konferenz spricht den Wunsch aus, dass die Staaten, die noch keine gesetzlichen oder Verwaltungsmassnahmen über die Bewilligung und die Beaufsichtigung der Agenturen und Bureaux für Stellenvermittlung getroffen haben, derartige Bestimmungen erlassen, um Frauen und; Kinder, die in einem andern Lande Arbeit suchen, zu schützen.

. ;..,..'

10. Die Konferenz ersucht den Völkerbundsrat, das Völkerbundssekretariat gestützt auf Art..23, lit. c, des Völkerbundsvertrages zu beauftragen, von allen Mitgliedern des Völkerbundes und allen dem Abkommen von 1904 und dem Übereinkommen von 1910 angehörenden Staaten einen jährlichen Bericht über die von ihnen zur Bekämpfung des Frauen- und Kinderhändeis getroffenen oder in Aussicht genommenen Massnahmen zu verlangen. Diese Berichte «ollen vollständig oder in Auszügen ari alle Mitglieder des Völkerbundes und die den genannten Vereinbarungen angehörenden Staaten gesandt werden, damit jedes Land aus den Erfahrungen der andern Länder Nutzen ziehen kann. Das Generalsekretariat kann zu diesem Zwecke einen Fragebogen entwerfen.und an alle Regierungen senden.

1075 Die Konferenz wünscht, dass auch die internationalen Vereinigungen zur Bekämpfung des Frauen- und Einderhandels eingeladen ·werden, dem Geueralsekretariat einen jährlichen Bericht über ihre Tätigkeit, einzusenden. Diese Berichte werden in gleicher Weise wie diejenigen der Regierungen bekanntgegeben.

11. Die Konferenz wünscht, dass eine aus fünf oder sechs Vertretern der Staaten und drei bis fünf Beisitzern bestehende Kommission als beratendes Organ beim Völkerbund eingesetzt werde, um dem Rat Gutachten zu erstatten «in bezug auf die allgemeine Kontrolle der Vereinbarungen zur Bekämpfung des Frauen- und Kinder.handeis» wie auch über alle andern internationalen Fragen aus diesem Gebiete, die ihm zur Prüfung unterbreitet werden. Dieser Kommission kommen weder Amtsgewalt noch unmittelbare Befugnisse zu.

Die Bezeichnung der Mitglieder liegt dem Völkerbundsrat ob.

Die Konferenz erachtet es als angezeigt, folgendes Vorgehen zu empfehlen: Der Rat möge bei der Bezeichnung der vertretenen Staaten, soweit möglich, die allgemeinen Interessen berücksichtigen und für eine gerechte Verteilung in geographischer Beziehung sorgen; eines der Mitglieder soll der Vertreter Frankreichs sein, welches Land nach den Vereinbarungen von 1904 und 1910 bestimmte Aufgaben übernommen hat und dem Generalsekretariat die von ihm gestützt auf die Vereinbarungen gesammelten Urkunden -zur Verfügung Stellen wird.

Die Beisitzer sollen vertreten: 1. das internationale Bureau zur Bekämpfung des Frauenhandels ; . . . . ' · · 2. eiiie internationale Frauenvereinigung; 8. die folgenden internationalen Vereinigungen, einzeln oder insgesamt: a. die jüdische Vereinigung zum Schutsse junger Mädchen ; b. die internationale katholische Vereinigung zum Schutze des jungen Mädchens; c. der Bund der nationalen Vereinigungen der Freundinnen junger Mädchen.

Die beratende Kommission tritt je nach Bedürfnis auf Einladung des Völkerbundsrates zusammen.

Die Auslagen jedes Vertreters trägt der Staat oder die Vereinigung, den oder die er vertritt.

Die Kommission soll durch die Vermittlung der Beisitzer in enger Fühlungnahme mit den nationalen und internationalen Ver-

1076 einigungen stehen, um die Verbindung und das Zusammenarbeiten der amtlichen und nichtamtlichen Bestrebungen zur Bekämpfung des Frauen- und Kinderhahdels zu sichern.

12. Die Konferenz wünscht, dass die Regierungen die Frage des Kinderhandels prüfen und die Massnahmen zur Ermittlung und Überweisung der Händler an die Strafgerichte treffen.

Sie spricht auch den Wunsch aus, dass die Regierungen die Bestimmungen ihrer Zivilgesetze über die Kindesannabme abändern, falls diese Bestimmungen zu Missbräuchen führen können.

18. Die Konferenz wünscht, dass das Wort «Mädchenhandel» im Wortlaut der internationalen Vereinbarungen durch den Ausdruck «Frauen- und Kinderhandel» ersetzt wird.

14. Nachdem die Aufmerksamkeit der Konferenz auf die Folgen, die sich aus den politischen oder militärischen Deportationen in bezug auf den Frauen- und Kinderhandel ergeben, gelenkt worden ist, erachtet sie es als ihre Pflicht, den Völkerbund um seine Intervention anzugehen, damit diese den Gesetzen der Menschlichkeit widersprechenden Machenschaften aufhören.

15. Die Konferenz ersucht das Generalsekretariat des Völkerbundes, in ihrem Namen den verschiedenen Vereinigungen, deren Wünsche ihr übermittelt worden sind, zu danken und ihnen mitzuteilen, dass diese Wünsche einer besondern Kommission zur Prüfung überwiesen worden sind und dass die Fragen, worauf sie sich beziehen, Gegenstand der Beratung und von Beschlüssen gebildet haben.

Die Konferenz beschliesst, dass zwei Originalausfertigungen der Schlussakte, unterzeichnet von den Bevollmächtigten, hergestellt werden sollen. Eine Ausfertigung wird im Archiv des Völkerbundssekretariates hinterlegt und die andere dem Rate zurVerfügung gestellt.

Die Konferenz wünscht, daes der Völkerbundsrat die zweite Originalausfertigung der französischen Regierung übermittle, die in ihren Archiven das Abkommen von 1904 und das Übereinkommen von 1910 aufbewahrt.

Beglaubigte Abschriften werden den Mitgliedern des Völkerbundes und den an der Konferenz vertretenen Staaten zugestellt.

Zu Urkund dessen haben die Bevollmächtigten diese Schluseakte unterzeichnet.

Geschehen in Genf am 5. Juli 1921, in zwei Originalausfertigungen.

(Folgen die Unterschriften.)

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend den Beitritt der Schweiz zum internationalen Übereinkommen vom 4. Mai 1910 zur Bekämpfung des Mädchenhandels und die Genehmigung des internationalen Übereinkommens vom 30.

September 1921 z...

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03.12.1924

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1036-1076

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