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Bundesblatt

76. Jahrgang.

Bern, den 6. August 1924.

Band II.

Erscheint wöchentlich. Prêts 20 Franken im Jahr, 10 Franken im Halbjahr, zuzüglich ,,Nachnahme- und Postbestellungsgebühr".

Einrückungsgebühr: 60 Rappen die Petitzeile oder deren Raum. -- Inserate franto an die Buckdruckerei Stämpfli A Cie, in Bern.

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Nachtragsbericht des

ßundesrates an die Bundesversammlung betreffend die , Alters-, Invaliden- und Hinterlassenenversicherung.

(Vom 23. Juli 1924.)

Hierdurch beehren wir uns, Ihnen einen Nachtragsbericht zu unserer Botschaft vom 21. Juni 1919 zu unterbreiten.

Die Hemmnisse, die anlässlich der Behandlung dieses Traktandums aufgetaucht sind, sind zum Teil auf das Problem selbst, zum Teil auf die Schwierigkeiten der Finanzierung zurückzuführen.

Dazu kommt, dass wir seit dem Jahre 1919 in eine wirtschaftliche Krise getreten sind, die an den Staat gewaltige Anforderungen stellte und auch die Tragfähigkeit unserer Wirtschaft verminderte. Ist auch nicht zu leugnen, dass die Verhältnisse heute noch nicht konsolidiert sind und dass unsere Produktion mit grossen Schwierigkeiten zu kämpfen hat, so glauben wir trotzdem, dass nun der Moment gekommen sei, um in der Behandlung des Gegenstandes ein rascheres Tempo anzuschlagen und eine möglichst baldige Lösung anzustreben. Die Erweiterung der bestehenden Einrichtungen unserer Sozialversicherung ist ein Programmpunkt aller Parteien und auch der Bundesrat hat sich zum Willen bekannt, in diesem Sinne zu wirken.

Soll jedoch in absehbarer Zeit etwas erreicht werden, so ist es notwendig, Maas zu halten, sich auf das Erreichbare zu beschränken und selbst Erstrebenswertes und Nützliches, für den Moment wenigstens, fallen zu lassen. Die Realisierung ist weiter auf möglichst einfachem Wege anzustreben und die Lösung soll eine klare und einfache sein. Befriedigt sie uns vielleicht nicht vollständig in allen Teilen, so bietet sie doch einen bemerkenswerten Fortschritt und ist geeignet, einer spätem Entwicklung und Ausdehnung die Wege zu ebnen.

Im folgenden werden wir nun zunächst den (rang der Dinge seit Einreichung der Botschaft rekapitulieren, um nachher dieBundesblatt. 76. Jahrg. Bd. II.

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jenigen Fragen kür/ zu behandeln, die von uns noch speziell nachgeprüft worden sind. Dabei beschäftigen wir uns zunächst mit den Versicherungezweigen und speziell mit der Invalidenversicherung. Wir prüfen sodann die Frage des Obligatoriums und versuchen, uns Rechenschaft zu geben, wie die Versicherung organisatorisch gestaltet werden könnte, welche Leistungen in Aussicht zu nehmen wären und welche finanziellen Opfer hierfür notwendig sind. Im Anschluss an diese Erörterungen sollen sodann die Anträge für die Verfassungsvorlage bereinigt werden.

I. Der Stand der Beratungen.

Mit Botschaft vom 21. Juni 1919 haben wir Ihnen den Entwurf eines Bundesbeschlusses betreffend Ergänzung der Bundesverfassung durch Zusätze bezüglich des Gesetzgebungsrechtes über Invaliditäts-, Alters- und Hinterlassenenversicherung und betreffend die Beschaffung der für die Sozialversicherung erforderlichen Bundesmittel unterbreitet. Der Bund sollte durch einen neuen Art. 34iu!"er der Bundesverfassung ermächtigt werden, auf dem Wege der Gesetzgebung die genannten Versicherungszweige einzuführen. Es wurde ihm anheimgegeben, die Versicherung allgemein oder für einzelne Bevölkerungsklassen obligatorisch zu erklären und für ihre Durchführung die Mitwirkung der Kantone oder auch von öffentlichen und privaten Versicherungskassen vorzusehen.

Gemäss weiteren Zusatzartikeln 41tct und 41qBatM zur Bundesverfassung sollte die Gesetzgebung über die Erzeugung, die Einfuhr, den Verkauf und die Besteuerung von Tabak, Tabakfabrikaten und Bier, sowie diejenige über die Erhebung von Nachlass-, Erbschafts- und Schenkungsateuern zur Bundessache werden; während gleichzeitig als Zusatz zum geltenden Art. 42 BV die Vorschrift aufgestellt wurde, dass Einnahmen des Bundes aus der fiskalischen Belastung von Genussmitteln, mit Ausnahme der Grenzzölle, und ebenso die Einnahmen des Bundes aus der Nachlass-, Erbschafts- und Schenkungssteuer ausschliesslich zur Deckung der dem Bunde zufallenden Kosten der Sozialversicherung zu verwenden seien.

Für die Durchführung der Versicherung hatte dio Botschaft auf Grund der Beratungen einer aus allen Interessentenkreisen zusammengesetzten Expertenkommission eine Reihe von Richtlinien aufgestellt. Auf der Grundlage des Versicherungsprinzipes sollte die neue Gesetzgebung wenn möglich gleichzeitig die Fürsorge für Invalidität, Alter und die Hinterbliebenen regeln, und.

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zwar in obligatorischer Form für die ganze Bevölkerung zwischen zwei Altersgrenzen oder dann zum mindesten für gewisse Klassen derselben. Die Mittel der Versicherung sollten durch Beiträge der Versicherten und der Arbeitgeber im Deckungskapitalverfahren mit Prämien, sowie durch Zuschüsse des Bundes, der Kantone und der Gemeinden aufgebracht werden.

Während der Erlasa der materiellen Vorschriften ausschlieaslich dem Bunde zugedacht wurde, war eine Durchführung der Versicherung für Rechnung eines zentralen Versicherungsträgers unter Leitung einer zentralen Stelle durch territoriale Organe und, dem Entwurfe zur Verfassungsbestimmung entsprechend, unter Mitwirkung der Kantone und Gemeinden, sowie von Versicherungskassen in Aussicht genommen.

Als Anhang waren der Botschaft Berechnungen über die voraussichtlichen Kosten der Versicherung beigegeben. In Anlehnung an die allgemeinen Mitteilungen der Botschaft über den in Aussicht genommenen Umfang und den Inhalt der Versicherung gaben sie auf Grund bestimmter zahlenmässiger Annahmen eine rohe Berechnung der Versicherungsprämie auf den Kopf der Versicherten, sowie der Belastung von Bund und Kantonen durch die Versicherung.

Dem Nationalrat fiel die Priorität für die Behandlung der Vorlage zu. Die Beratungen seiner Kommission veranlassten uns mittelst Nachtragsbotschaft, vom 14. Juni 1920 eine Abänderung des Entwurfes zu Art. 41 v»'« vorzuschlagen, dahingehend, dass an Stelle des Bundes die Kantone die Erbschaftssteuer zu erheben und dem Bunde an die ihm auffallenden Kosten der Alters-, Invaliden- und Hinterlassenenversicherung einen nach Massgabe bundesrechtlicher Normativbestimmungen über die Ansätze und die Einschätzung berechneten Beitrag abzuliefern hätten.

Der Nationalrat stimmte beiden Vorlagen am 5. Oktober 1920 mit folgenden materiellen Änderungen zu : Dem Art. 34'TM'er wurde die ausdrückliche Ermächtigung beigefügt, die Versicherungszweige gleichzeitig oder nacheinander einzuführen. Die in Art. 41tei' des bundesrätlichen Entwurfes vorgesehene Biersteuer wurde eliminiert und für die fiskalische Belastung des Tabaks, unter Ausschluss .des Monopols, bloss die Steuererhebung auf dem rohen und dem verarbeiteten Produkt zugelassen. Zugleich wurde bestimmt, dass die bezüglichen Einnahmen vom Jahre 1925 an ausschliesslich 7,ur Deckung der dem Bunde zufallenden Kosten der Alters-, Invaliden- nnd Hinter^ lassenenversicherung dienen sollten. Entsprechend wurde der vor^

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geschlagene Zusatz zu Art. 42 BV betreffend die Verwendung von Abgaben auf den Grenussmitteln für die Sozialversicherung gestrichen.

Die Beratung der Vorlage durch den Ständerat, welche in den Beschlüssen vom 8. Dezember 1922 ihren Absohluss fand, zeitigte auch in bezug auf Art. 34 i"at« einschneidende Änderungen, Die Vollziehung des Verfassungsartikels wurde in dem Sinne verbindlich geregelt, dass zuerst die Altersversicherung einzurichten und erst nachher die beiden andern Versicherungszweige gleichzeitig oder nacheinander einzuführen seien. Im weitern nahm der Ständerat in der Verfassung selber eine Verteilung der Versicherungslast vor. Die Mittel für die Versicherung sollten aufgebracht werden durch Beiträge der Versicherten, eventuell auch durch solche der Arbeitgeber, worüber das G-esetz entscheiden sollte, endlich durch Beiträge des Bundes, und, unter Mitwirkung der Gemeinden, durch solche der Kantone. Die Leistungen des Staates (Bund und Kantone mit Gemeinden) sollten einen Drittel des Gesamtbedarfes für die obligatorische Versicherung nicht übersteigen. Die Kantone sollten die Beteiligung der Gemeinden an den kantonalen Beiträgen festsetzen.

Der fiskalischen Belastung des Tabaks in der vom Nationalrat vorgesehenen Form wurde zugestimmt, dagegen wurden die daherigen Einnahmen nicht ausschliesslich, sondern nur in erster Linie für Versicherungszwecke, und zwar allgemein für die Sozialversicherung, bestimmt, in der Meinung, dass ein allfälliger Überschuss andern sozialen Zwecken zu dienen hätte.

· Die in Art. 41111*'61" in Aussicht genommene Erbsehaftsbesteuernng wurde auf die Schenkungen unter Lebenden ausgedehnt, zugleich aber das "jährliche Kontingent der Kantone auf ungefähr 8 °/o des dem Erbgang unterliegenden Vermögens und der Schenkungen limitiert und kleine Vermögen, sowie kleine Schenkungen ausdrücklich von der Steuer befreit. Auch die Erträgnisse dieser Besteuerung sollten der Sozialversicherung im allgremeinen und nicht der Alters-,' Invaliden- und HinterbliebenenO Versicherung allein zuflieasen.

Mit diesen Beschlüssen hat sich die Kommission des Nationalrates unter zwei Malen befasst. Eine Beratung durch den Nationalrat ist noch nicht erfolgt.

Der bisherige Gang der parlamentarischen Behandlung der Vorlage zeigt mit aller Deutlichkeit den Einfluss der tiefgreifenden Änderung
der wirtschaftlichen Verhältnisse seit dem Erscheinen der Botschaft vom 21. Juni 1919. Dieser Einfluss musste sich umso stärker geltend macheu, als es sich um eine Vorlage

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von einer Tragweite handelt, die nur wenige erreichen und die, wie selten eine, in grundlegende soziale, wirtschaftliche und staatsrechtliche Verhältnisse unseres Landes einzugreifen bestimmt ist.

II. Die Yersicherungszweige. Verzicht auf die Invalidenversicherung. Einführung der Alters- und HinterbliebenenVersicherung.

Schon in unserer Botschaft vom 21. Juni .1919 haben wir uns nur unter der Bedingung für die gleichzeitige Einführung aller drei Versicherungszweige ausgesprochen, dass die zur Verfügung stehenden Mittel es erlauben werden. Es darf wohl gesagt werden, dass unter don heutigen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnissen diese Voraussetzung nicht zutrifft und daher auch der ausgesprochene Gedanke aufgegeben werden muss.

Legen schon die allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse, besonders bei der bestehenden Unsicherheit über ihre weitere Entwicklung, Zurückhaltung auf, so muss heute vor allem auch darnach getrachtet werden, die Belastung des Einzelnen wie die des Staates und der Gemeinden durch die Versicherung in bescheidenen Grenzen zu halten.

Wenn man sieh unter dea obwaltenden Verhältnissen für eine Reduktion des ursprünglichen Programms und für einen stufenweisen Ausbau der Sozialversicherung entsehliessen muss, so tritt sogleich der Gedanke eines vorläufigen Verzichtes auf die Invalidenversicherung in den Vordergrund. Gewiss bestehen zwischen der Alters- und der Invaliden Versicherung Zusammenhänge in dem Sinne, dass z. B. die Altersinvalidität als Sonderfall der Invalidität im allgemeinen Sinne angesprochen werden kann.

Gegenüber den durchaus verschiedenen Anforderungen an die Durchführung der beiden Versicherungszweige und der fühlbaren Erleichterung, welche die Zurückstellung der Invalidenversicherung bringt, fallen sie aber nicht ins Gewicht. Bedeutet der Verzicht auf die Invalidenversicherung schon angesichts des au* der Volkszählung von 1920 ermittelten Bestandes von etwa 25 000 vollinvaliden Personen im Alter von 22--65 Jahren eine erhebliche Verminderung des Kostenaufwandes, so darf die Entlastung wesentlich höher, vielleicht auf einen Drittel des Gesamtaufwandes eingeschätzt werden, wenn man an die Auswirkungen einer Invalidenversicherung auf den Invalidenbestand denkt. Denn während bei der Altersversicherung die Erreichung eines bestimmten

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Alters, mit dem die Invalidität vermutet wird, bei der Hinterbliebenenversicherung der Tod des Versicherten, somit einfache Zivilstandstatsaehen den Versicherungsansprueh auslösen, muss dieser hei der Invalidenversicherung auf Grund eingehender, vielfach zeitraubender und kostspieliger Erhebungen festgestellt werden, wobei es erst noch wesentlich auf das subjektive Ermessen der dazu berufenen Personen ankommt. Während in der Unfallversicherung wenigstens der geforderte Nachweis des Unfalles als eines konkreten, fest umrissenen Ereignisses die Inanspruchnahme der Versicherung noch einzudämmen vermag, fehlt es in der allgemeinen Invalidenversicherung an klaren und eindeutig feststellbaren Tatbostandsmerkmalen. Alles ist hier persönlicher Würdigung und damit einer gewissen Willkür anheimgegeben. Schon die Feststellung, ob eine Krankheit vorliege oder nicht, stösst häufig auf Schwierigkeiten. Noch schwieriger ist es aber zu beurteilen, ob die festgestellte Krankheit wirklich eine. Invalidität bedinge oder ob nicht durch geeignetes Verhalten des Versicherten und durch entsprechende Massnahmen die Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit durch die Krankheit auf ein Minimum reduziert werden könne. Dabei kommt man mit einer bloss medizinischen Würdigung des Tatbestandes häufig nicht zum Ziele. Nur eine genaue Kenntnis der Anforderungen, welche die verschiedenen Berufe an die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit stellen, vermag zu einem sachgemässen Urteil zu führen.

Der Feststellung des Tatbestandes und der Beurteilung des Falles hat daher oft eine langandauernde Behandlung und Beobachtung des Versicherten voranzugehen mit dem ganzen ungünstigen, psychischen Einfluss, den eine solche auf zahlreiche Personen ausübt. Um diese Beobachtung und die Beurteilung vorzunehmen, bedarf es geeigneter Einrichtungen, Anstalten, sowie zahlreicher Ärzte, zahlreicher Fachleute aus den verschiedensten Berufen und administrativer Hilfskräfte. Trotz alledem gehen oft die Auffassungen kompetenter Beurteiler auseinander. Eine grosse Zahl von Streitigkeiten und Prozessen sind die notwendige Folge dieser Verhältnisse, wie die Erfahrungen der Militäryersicherang beweisen, die ja zum guten Teil Krankeninvalidenfürsorge ist. Auf der Seite der Versicherten aber wird die Sucht nach einer Abfindung in Geld für eine bloss vermeintliche
oder oft geringfügige Schädigung geweckt. Der Wille des Kranken, zu gesunden, der wesentlich zum Genesungsprozess beiträgt, erlahmt im Kampfe mit dem Wunsche nach Entschädigung und macht oft einem weichlichen Sichgehenlassen und sogar aggravierenden Tendenzen Platz. All dies sind Schattenseiten der

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Sie legen gegenüber einer allgemeinen Invalidenversicherung für grosse Teile unseres Volkes und für alle Invaliditätsursachen eine gewisse Zurückhaltung auf, ganz besonders heute, wo es gilt zu rechnen und sich nicht in Experimente einzulassen, deren finanzielle Auswirkung nicht überblickt werden kann. Angesichts der zahlreichen Faktoren, welche auf den Verlauf der Versicherung einwirken, vor allem weil nicht vorausgesehen werden kann, wie Ärzte, Gerichte und andere zur Anwendung des Gesetzes berufene Personen den Invaliditätsbegriff handhaben werden, kann auch den aus der Bevölkerungsstatistik ermittelten Invalidierungswahrscheinlichkeiten keine ausschlaggebende Bedeutung beigemessen werden. Die Zahl der zufolge der Gesetzesanwendung invaliden Personen dürfte jedenfalls eine erhebliche Vermehrung bringen.

Die Wirkungen der geschilderten Imponderabilien dürften wiederum durch die Erfahrungen, der Militärversicherung am besten illustriert werden. Diese hat es im Jahre 1922 bei einem Truppenaufgebot, das ungefähr demjenigen des Jahres 1913 entsprach, auf eine Jahresausgabe von rund 8 Millionen Franken gebracht, oder auf ein Mehrfaches der Belastung des Jahres 1913.

Auf diesen Imponderabilien beruht auch das nicht zu leugnende Misstrauen grosser Kreise gegenüber der Invalidenversicherung, auf welches besonders in einem Lande Rücksicht genommen werden muss, in dem das Volk berufen ist, sich letzten Endes über die Gesetzgebung auszusprechen.

Gewiss ist im Auslande vielfach mit der Altereversicherung die Invalidenversicherung verbunden worden. Doch so sehr auf das Beispiel des Auslandes für die Ausbreitung und die Berechtigung des Sozialversicherungsgedankens an sich verwiesen werden darf, so verfehlt wäre es, sich bei der Auswahl der einzuführenden Versicherungszweige einseitig an jenes Beispiel anzulehnen.

Denn gerade in dieser Beziehung fallen politische, wirtschaftliche und soziale Unterschiede im Aufbau des Staates massgebend ins Gewicht, So ist im Ausland die Sozialversicherung bis heute im wesentlichen Arbeiterversicherung geblieben, während sie sich bei uns, wovon im besondern die Krankenversicherung Zeugnis ablegt, ausgesprochen zu einer Volks Versicherung entwickelt, der Leute aus allen Berufs- und Bevölkerungsschichten angehören.

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Gerade die Interessen und die Wünsche unserer Kleingewerbetreibenden und unserer kleinen Landwirte, denen die Sozialversicherung ebenfalls dienen soll, dürften aber eher auf eine Altersund Hinterlassenenversicherung statt auf eine Invalidenversicherung gehen. Auch die Durchführung der Invalidenversicherung als Volksversicherung dürfte sich nicht unerheblich schwieriger gestalten, als es bei einer Arbeiter- und At>gestelltenversieherung der Fall ist, Sehliesslich darf auch gesagt werden, dass mit der Unfallversicherung und der Militärversicherung ein Teil des Invaliditätsrisikos gedeckt ist und dass durch einen entsprechenden Ausbau der Krankenversicherung sowie der Tuberkulosegesetzgebung in der Vorbeugung gegen Invalidität ein Mehr ères erreicht werden kann.

Eine Trennung der Invalidenversicherung von der Altersund Hinterlassenenversicherung ist auch vom organisatorischen Gesichtspunkte aus durchaus unbedenklich, da be! der Verscbiedenartigkeit des Risikos eine Einheiteorganisation ohnehin auf Schwierigkeiten stiesse. Denn bei aller Einheit des Zweckes der Sozialversicherung fordern eben doch die verschiedenen Risiken verschiedene Organisation sformen. Was in der Altersünd Hinterlassenenversicherung mit einfachen und einwandfrei feststellbaren Versicherungstatbeständen möglich und zweckmässig sein mag, kann sich für die Kranken- und für die Invalidenversicherung als untauglich erweisen, deren Inanspruchnahme, wie dargetan, stark vom Gemeinschaftsbewusstsein des Versicherten abhängt und in denen bei der Bearbeitung der Versicherungsfälle vieles der subjektiven Würdigung überlassen bleibt. So würden gewisse Vereinfachungen und Ersparnisse, die sich vielleicht bei einer Einheitsorganisation erzielen Hessen, durch die Mehrbelastung aus einer schematischen Behandlung ganz verschiedenartiger Risiken mehr als aufgewogen werden.

Wie in der Unfallversicherung die Unfallverhütung, so ist auch in der Invalidenversicherung die Invaliditätsverhütung das Wertvollste. Sie besteht in einer umfassenden Krankenpflege und einer zweckmässigen Krankheitsverhütung. Daher ist zu prüfen, ob nicht die Invalidenversicherung an die Krankenversicherung .anzugliedern oder ob nicht ihren Trägern zum mindesten eine Tätigkeit im Gebiete der Volksgesundheit zur Pflicht zu machen sei. Es ist aber zu sagen, dass solches entweder
einen Stand der Krankenversicherungsgesetzgebung voraussetzt, über den wir heute und in näherer Zukunft nicht verfügen, oder dann eine verzweigte Organisation der Invalidenversicherung selber, die heute nicht

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wohl realisiert werden kann. Endlich ist nicht zu vergessen, dass in der Invalidenversicherung ganz besonders und jedenfalls mehr als in der Alters- und Hinterlassenenversicherung nicht die Geldleistungen, sondern die Katuralleistungen sozial wertvoll sind.

Nicht Abfindung mit einer Rente oder einem Kapital, sondern Erleichterung der Verwertung der restlichen Arbeitskraft, unterstützt durch Geldbeträge, ist das Erstrebenswerte. Dies zu erreichen dürfte aber besonders unter den heutigen Verhältnissen schwierig sein.

Gelangt man aus allen diesen Überlegungen entschieden dazu, die Invalidenversicherung unter den gegenwärtigen Verhältnissen an die zweite Stelle zu verweisen, so wird man sich auch leichter dazu entschließen, sie ganz aus der Verfassungsvorlage zu eliminieren und fürs erste dem Bunde bloas die Zuständigkeit zur Gesetzgebung im Gebiete der Alters- und Hinterlassenenversicherung zu übertragen. Ein solches Verfahren empfiehlt sich in der Tat aus den verschiedenartigsten Gründen. Die Übertragung einer Gesetzgebungszuständigkeit an den Bund wird verlangt, wenn die Umstände eine bundesrechtliche Regelung fordern. Sie eriolgt in der Meinung, dass der Bund von der ihm erteilten Zuständigkeit auch baldmöglichst Gebrauch mache. Es ist daher in gewissem Sinne ein Widerspruch, wenn nach der Fassung des Ständerates zwar an der vollen Gesetzgebungskompetenz des Bundes festgehalten, zugleich aber bestimmt wird, es soll in einem Teile des Gebietes vorerst nicht legiferiert werden. Wir haben einleitend bemerkt, dass die gegenwärtig in Beratung stehende Vorlage in soziale, wirtschaftliche und staatsrechtliche Verhältnisse des Landes eingreifen wird. Im weiteren ist nicht zu verkennen, dass gerade die Invalidenversicherung auch in Kreisen auf Misstrauen stösst, die der Idee der Sozialversicherung an sich durchaus zugänglich sind. Es erscheint deshalb nicht zweckmässig, durch formelles Festhalten an einem Versicherungszweige im Verfassungserlasse, über dessen Zurückstellung in bezug auf die Durchführung man einig ist, auch diö baldige Verwirklichung der andern Versicherungszweige zu gefährden.

Auch die blosse Realisierung einer umfassenden Altersversicherung wird, gar wenn sie, wie wir es befürworten, mit der Hinterlassenenversicherung verbunden wird, grosse Anstrengungen und allseitig guten Willen
fordern. Sie dürfte somit schliesslich von einer Pause in der Verwirklichung weiterer Zweige auf dem Roden des Bundes gefolgt sein. Mit dor blosaen Zurückstellung dor Invalidenversicherung gegenüber ihrer völligen Eliminierung Avird somit praktisch nichts gewonnen, während sie vielmehr, wie

690 bereits erwähnt, die Verfassungsvorlage belastet und sie gefährden kann. Sollte aber nach Einführung der Alters- und Hinterlassenenversicherung der Mangel einer Invalidenversicherung sich wirklich ernstlich fühlbar machen, und sollte die Möglichkeit ihrer rationellen Verwirklichung in organisatorischer und finanzieller Hinsicht bestehen, so kann die Lücke jederzeit durch eine weitere Verfassungsrevision ausgefüllt werden.

Wenn uns so überwiegende Gründe zum vorläufigen Verzicht auf die bundesrechtlicho Ordnung der Invalidenversicherung führen, so sind wir anderseits ebenso entschieden der Auffassung, dass die beiden Versicherungszwcige, für welche heute die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes gefordert wird, gleichzeitig und organisch miteinander verbunden zur Durchführung gelangen sollen, Die Ausführung der Altersversicherung für sich allein allem andern voranzustellen, wie es in der öffentlichen Meinung vielfach erörtert wird und in dem einleitend erwähnten Beschlüsse des Ständerates zur Verfassungsvorlage zum Ausdruck gekommen ist, würde sich in verschiedenen Beziehungen als Fehler erweisen.

Gewiss ist der Gedanke einer sozialen Fürsorge für die Alten, als Versicherung organisiert, oder in anderer Form, der Öffentlichkeit besonders vertraut. Nach einem langen arbeitsreichen und oft mühevollen Leben mittellos dazustehen und der Armenpflege oder andern zur Last zu fallen, wird sicherlich von jedermann als besonders hart empfunden, die Ungunst des Schicksals wird hier besonders sichtbar in Erscheinung treten. Dazu kommt, dass die Altersversicherung für sich allein, der Natur des Gegenstandes nach, technisch am wenigsten Schwierigkeiten bietet und den geringsten Aufwand fordert. So stellt sich beispielsweise in der Privatversicherüng die Prämie einer von einem Manne im Alter 20 eingegangenen gemischten Versicherung von Fr. 1000 auf den Todesfall oder auf das 65. Altersjahr, in welchem Alter sie in eine Rente von Fr. 117 jährlich umgewandelt werden kann, auf jährlich rund Fr. 15, während eine reine Versicherung auf Altersrente ohne Kapitalabfindung unter den nämlichen Voraussetzungen jährlich nur rund Fr. 5 an Prämie verlangt.

Dass trotzdem die freiwillige Altersversicherung nicht stärker entwickelt ist, beruht auf einer leicht verständlichen psychischen Einstellung der Versicherungsbedürftigen,
die auch der Staat bei der Einrichtung einer Sozialversicherung nicht übersehen darf.

Die Altersversicherung schafft Rücklagen der Versicherten, auf denen im Erlebensfalle die Versicherungsleistungen ausgerichtet

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werden. Nun ist aber gerade die Wahrscheinlichkeit, ein höheres Alter zu erreichen und in den Genuas der Altersversicherungsleistungen zu gelangen, eine relativ beschränkte. Man möge bedenken, dass nach der Volkszählung von 1920 etwa 3,270,000 Schweizern und Schweizerinnen von weniger als 65 Jahren anr etwa 210,000 mehr als 60 Jahre alte Personen gegenüberstehen, und dass z. B. von 100,000 jungen Männern im 20. Altersjahr nur etwa 49,000 odor nicht ganz die Hälfte das 65, Altersjahr erreichen. Das natürliche Gefühl des Einzelnen für die Unwahrscheinlichkeit, in den Genuss einer solchen Versicherung zu gelangen, während anderseits seine Prämienzahlungen bei Vorversterben verloren sind, halten ihn daher trotz der Geringfügigkeit der Prämie von der reinen Altersversicherung ab und lassen ihn die teurere gemischte Versicherung vorziehen, in der er gegen die Prämio noch das Risiko eines vorzeitigen Todes decken kann.

Hat er an letzterem kein Interesse, so wird er es doch noch vorziehen, durch individuelles Sparen sich Mittel für die alten Tage zurückzulegen, die zum mindesten bei Vorversterben seinen Erben zufallen. Deshalb müsste eine reine Altersversicherung als Sozialversicherung durchgeführt eine Prämienrückgewähr bei vorzeitigem Tode vorsehen. Aber abgesehen davon, dass damit die Organisation der ganzen Versicherung in bestimmtem Sinne präjudiziert würde, würde die Versicherung dadurch nicht unerheblich verteuert, ohne dass die bedeutenden ethischen und sozialen Vorzüge einer gemischten, auf Tod oder _Erlebensfall gestellten Versicherung geboten würden und die Widerstände gegen eine reine ErlebensfallVersicherung beseitigt werden könnten.

Ist dagegen die Hinterbliebenenversicherung mit der Altersversicherung verbunden, so wird die Institution nicht nur dem Überlebenden, sondern auch dem Vorversterbenden in der Form der Versorgung seiner Familie zugute kommen. Der Prätnienleistung wird bei der Kombination der beiden Risiken in der Regel eine Versioheruugsleistung entsprechen und nur die, welche ohne Hinterlassung rentenberechtigter Angehöriger versterben, werden Prämien bezahlen, ohne selbst oder in ihren Familien eine Gegenleistung zu erhalten, Wohl kein Zweig vermag daher auch die Bedeutung und den Nutzen der Versicherung so vor Augen zu führen, wie die Hinterlassenenversicherung dies tut,
angesichts des Todesrisikos, das den Menschen in viel höherem Masse beunruhigt als die Invalidität, In der Hinterlassenenversicherung stellt der Mann als Familienvater oder als zukünftiges Haupt einer Familie deren Schicksal nach seinem Tode sicher. Diese Einrichtung wird so zur Stärkung

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des Verantwortlichkeitsbewussteeins und des Gedankens der Familierigemeinschaft beitragen.

Man wird dem vielleicht entgegenhalten, dass die private Lebensversicherung einen Teil des Versicherungsbedürfnisses im Gebiete der Hinterlassenenfürsorge befriedige und dass sie gerade bei uns erfreulich entwickelt sei. Dies ist nur zum Teil richtig. Mögen auch zahlreiche private Policen bestehen, so lauten diese zum grössten Teil auf ganz geringe Kapitalbeträge, neben denen eine Hinterlassenen Versicherung auf Renten nicht überflüssig ist, sondern als wertvolle Ergänzung erscheint. Ein grosser Teil unserer Bevölkerung, und zwar gerade die Schichten, für welche die Sozialversicherung in erster Linie bestimmt ist, entbehrt aber heute noch jeder Lebensversicherung.

III. Das Obligatorinm der Alters- und Hinterlassenenversicherung in Form einer allgemeinen YolfcsYersicherung.

Möchten wir also auf der einen Seite die Invalidenversicherung zurücklegen, BÖ soll anderseits aus Gründen, die schon entwickelt worden sind, die Idee einer obligatorischen Volksversicherung aufrecht erhalten werden. Das Obligatorium sollte ein allgemeines sein, in dem Sinne, dass es innert durch Geschlecht und Alter gezogenen Grenzen sämtliche Personen ohne Rücksicht auf Beruf, Stellung im Erwerbsleben, Einkommen und Vermögen umfassen soll. Wir haben uns bereits in der Botschaft vom 21. Juni 1919 unter einlässlicher Begründung für ein solches Versicherungsobligatorium ausgesprochen, sodass hier für Einzelheiten auf die bezüglichen Ausführungen auf Seite 120 ff. verwiesen wird. Es sei nur daran erinnert, dass die Freiwilligkeit in der Sozialversicherung fast überall versagt hat, indem bei ihr gerade die Bevölkerungsschichten nicht erfasst werden, für welche die Versicherung in erster Linie geschaffen wird. Das Obligatorium schafft auch die grossen Versichernngsbestande, mit denen zufolge Ausgleichung der Risiken und besserer Ausnützung der Verwaltungseinrichtung sieh der Betrieb der Versicherung erheblich verbilligt. Auch Wohlhabende sind heute vielleicht mehr denn früher der Gefahr der Verarmung ausgesetzt. Mag ihnen in einem gegebenen Zeitpunkt eine Alters- und Hinteiiassenenversiehening entbehrlich scheinen, so sind vielleicht im Alter sie selber oder im Falle ihres Todes ihre Angehörigen mehr oder weniger auf die bescheidene Rente aus einer solchen Versicherung angewiesen.

Ein nachträglicher Beitritt zu einer Alters- und HinterlassenenVersicherung ist zufolge des stark steigenden Risikos nur unter

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grossén Opfern möglich, anders als z. E, bei der Krankenversicherung, wo die relative Geringfügigkeit und die viel grössere Konstanz der versicherten Gefahr bis ins höhere Alter hinauf einen solchen noch gestatten.

Sollen demnach Einkommen und Vermögen, auf die Versicherungspflicht ohne Einfluss bleiben, so wird es gegeben sein, diese auf das erwerbsfähige Alter zu beschränken. Auch dürfte es sich empfehlen, die Einbeziehung der Ausländer davon abhängen zu lassen, ob ihr Heimatstaat den in ihm niedergelassenen Schweizern ähnliches zu bieten vermag. Daher wird im folgenden in diesem Berichte bloss mit der Zähl der Schweizerbürger gerechnet. Endlich wird noch geprüft werden müssen, ob nicht die VersioheruDgspflicht für die verschiedenen Geschlechter verschieden geordnet, im besondern, ob nicht auf die zwangsweise Versicherung der Ehefrau zur Entlastung des Familienhauptes verzichtet werden soll.

Ein erheblicher Teil der Versicherungslaet wird durch Beiträge der Versicherten aufgebracht -werden müssen. Wir werden noch Gelegenheit haben darzutun, wie rasch diese Beiträge mit den Versicherungsleistungen ansteigen und wie im Hinblick auf das geringe Einkommen grosser Teile unseres Volkes darnach getrachtet worden muss, sie in bescheidenen Grenzen zu halten.

In der Regel sollte jeder Versicherte nur einen Beitrag zur Versicherung bezahlen müssen. Man wird somit ein Eintrittsalter wählen müssen, in.welchem die Kinder in der Regel selbständig erwerbstätig sind,, beispielsweise das zurückgelegte 22. Altersjahr. Das Ausscheiden aus der Versicherungspflicht und in Verbindung damit das Aufhören der Beitragspflicht, wird auf das Jahr vorgesehen, in dem die AUersrentenberechtigung einsetzt.

Als Grenzalter nehmen wir das 65. Altersjahr in Aussicht. Ein tieferes Alter wird man nicht wählen dürfen, weil sonst die Versicherung zu sehr verteuert würde. Wählt man ein höheres Alter, so ist speziell beim Fehlen einer Invalidenversicherung zu befürchten, dass der Versicherte vor dem Beginn des Rentenlaufes der Armengenössigkeit anheimfalle.

Die Altersversicherung will dem Erwerbstätigen nach Erreichung eines bestimmten höheren Alters, mit welchem ordentlicherweise die Arbeitskraft erheblich zurückgeht, an Stelle des ausfallenden Einkommens eine minimale Versorgung gewähren.

Mit der Hinterlassenenversioherung soll
für den Fall des Todes und der daherigen Vernichtung der Arbeitskraft des Familienhauptes ein bescheidener Unterhalt seiner nächsten Angehörigen, von Ehefrau und Kindern, sichergestellt werden. Daher ist heute,

694 wo Beschränkung auf das durchaus Zweokgebotene not tut, nur der Mann auf eine kombinierte Altera- und HinterlassenenVersicherung zu versichern. Denn für die Ehefrau ist ja auch in ihren alten Tagen durch das Einkommen oder die Altersrente des Mannes, sofern sie Witwe ist aber durch die bis zu ihrem Ableben laufende Witwenrente gesorgt. Gewiss mögen in den Fällen Härten entstehen, da beide Ehegatten betagt und dann ohne weitere Einnahmen auf die Rente des Mannes angewiesen sind. Sie werden aber selten sein, leben doch nach der Volkszählung von 1920 von 210,000 mehr als 65 Jahre alten Personen nur 40,000 als Ehepaare zusammen. Die Beschränkung wird aber dem Familienhaupte eine weitere fühlbare Erleichterung der Beitragszahlung bringen. Die ledigen Frauen dagegen haben der Altersversicherung beizutreten.

IY. Die Durchführung der Alters- und Hinterlassenenversicherung. Allgemeines. Die Versicherungsleistung.

Wir haben im vorstehenden die Gründe dargelegt, welche uns veranlassen, um der Entlastung des Programms willen, uns unter Verzicht auf die Invalidenversicherung, vorläufig auf die Alters- und Hinterlassenenversicherung zu beschränken. Anschliessend daran haben wir uns für eine Durchführung dieser beiden Zweige sozialer Fürsorge auf dem Boden des Volksobligatoriums ausgesprochen. Im folgenden soll in Kürze die Gestaltung einer solchen Alters- und Hinterlassenenversicherung nach Inhalt und Organisation behandelt werden. Wenn auch in dieser Hinsicht der Verfassungsartikel der Auslührungsgesotzgebung nicht vorgreifen, sondern ihr tunlichst Freiheit lassen soll, so erscheint es doch gegeben, schon im Zeitpunkte, da die Zuständigkeit des Bundes für ein so bedeutendes Werk verlangt wird, sich über die verschiedenen Möglichkeiten der Durchführung klar zu werden.

80 allein wird man sich auch über die finanziellen Anforderungen, die heute mehr denn je von Bedeutung sind, Rechenschaft geben können.

Es ist selbstverständlich, dass die vorgeschlagene Alters- und Hinterlassenenversicherung für grosse Personenbestände, wenn sie ihren sozialen Zweck erreichen soll, einen ganz erheblichen Aufwand fordert. Er wird in erster Linie durch den Umfang der Versicherungsleistung bestimmt. Diese ist somit zunächst in Betracht zu ziehen. Dabei gehen wir von vornherein davon aus,.

69& dass es aieh um Rentenleistungen handeln muss ; eine Versicherung auf Kapitalleistungen würde in vielen Fällen ihrem Zwecke nicht gerecht. Im weiteren sollen die verschiedenen Organisationsmögliohkeiten, insbesondere auch nach der Seite der Mittelbeschaffung hin, gewürdigt werden.

Es ist klar, dass der bedeutende Aufwand nur durch Zusammenwirken der Versicherten einerseits, gegebenenfalls mit Hilfe der Arbeitgeber, sowie des Bundes, der Kantone und Gemeinden anderseits, aufgebracht werden kann. Die Art und Weise der Verteilung dieses Aufwandes hängt eng mit der ganzen Organisation des Werkes zusammen. Vor allem wird geprüft werden müssen, ob die Einrichtung nach streng versicherungstechnischen Grundsätzen, d. h. nach dem sogenannten Prämiendeckungskapitalverfahren finanziert werden soll, bei dem durch Kapitalisierung eines Teiles der Beiträge der Versicherten, allenfalls unter Zuhilfenahme anderer Mittel, der volle Wert der zukünftigen Versicherungsleistungen bereitgestellt wird. Daneben kann in einer obligatorischen Alters- und Hinterlassenenversicherung an das Umlageverfahren gedacht werden, bei welchem unter Verzicht auf die Bildung von Deckungskapitalien der jeweilige jährliche Aufwand an Versicherungsleistungen auf sämtliche im betreffenden Jahre Beitragspflichtigen verteilt wird. Wenn auch, rein volkswirtschaftlich gesprochen, die Gesaratbelastung beim einen wie beim andern Verfahren die gleiche bleibt, ist sie doch durch den Umfang der Versicherung und die gewählte Versicherungsleistung gegeben, so ist der finanzielle Verlauf für die Beitragspflichtigen ein ganz verschiedener. Was beim Prämiendeckungskapitalverfahren aus den Erträgnissen der geäufneten Kapitalien und den Beiträgen des laufenden Jahres geschöpft wird, muss beim Umlageverfahren ausschliesslieh aus letztern bestritten werden. Diese Beiträge werden demnach beim Umlageverfahren, wenn die Versicherung ihre volle Wirkung entfaltet, höher sein und etwa das Doppelte der Beiträge im andern Verfahren erreichen. Die Würdigung der verschiedenen Verfahren wird schliesslioh zeigen, in welcher Weise man unter den gegebenen Verhältnissen am ehesten zu einer Lösung des Problems gelangen kann.

Wir haben oben bereits erwähnt, dass eine auf dem Obligatorium weiter Volkskreise aufgebaute Alters- und Hinterlassenenversicherung nur eine
Mindestfürsorge gewähren kann und soll.

Ein erheblicher Teil der Versichernngslast wird durch Beiträge der Versicherten aufgebracht werden müssen. Vielen davon dürfte die Zahlung jedes Beitrages von einiger Bedeutung schwer fallen.

696 Es darf im besondern nicht übersehen werden, dass die Versicherung zahlreiche kleine Gewerbetreibende, Landwirte und andere selbständig Erwerbende umfassen wird, für die ein Arbeitgeberbeitrag nicht in Betracht kommt und deren knappe Mittel vielfach noch durch andere Aufwendungen für Versicherungseinriehtungen, wie die Krankenversicherung, die Immobiliar- und Mobiliarversicherung, die Viehversicherung in Anspruch genommen sind. "Wenn auch in mehr städtischen Verhältnissen mit vorwiegender Geldwirtschaft ein in massigen Grenzen gehaltener Beitrag zur Alters- und Hinterlassenenversicherung in der Regel unschwer wird aufgebracht werden können,, so dürfte die Aufbringung auch relativ bescheidener Beiträge, speziell in unseren Voralpen- und Alpengebieten, häufig auf Schwierigkeiten stossen.

Ist derart bei der Bemessung der Versicherungsleistung auf die Verhältnisse der grossen Masse der Versicherten Rücksicht zu nehmen, so darf jene anderseits auch nicht auf einen Betrag sinken, bei dem sie ihrem sozialen Zwecke nicht mehr gerecht zu werden vermag.

Berechnungen haben ergeben, dass eine Alters- und Hinterlassenenversicherung, unter den vorgesehenen Bedingungen als reine Versicherung bei einem einzigen Versicherungsinstitute durchgeführt, schon für je Fr, 100 lebenslänglicher Alters- und Witwenrente und einer Waisenrente bis zum zurückgelegten 18. Altersjahre in der Versicherung des Mannes eine Prämie von Fr. 15 jährlich fordert, wovon annähernd zwei Drittel allein auf die Hintorlassenenversicherung entfallen. Für je Fr. 100 lebenslänglicher Altersrente in der Versicherung der Frau beträgt die Prämie Fr, 3 jährlieh.

·Verhältnismässig bescheidenen Rentenleistungen stehen somit nicht unbeträchtliche Prämienbeträge gegenüber. Dazu kommen noch die Verwaltungskosten. Der Verzicht auf die Invalidenversicherung wird zwar auch in dieser Beziehung zur Verbilligung beitragen. Eine schadenverhütende Tätigkeit und ein Heilverfahren, wie sie eine zweckentsprechende Invalidenversicherung fordert, kommen nicht in Betracht, ebensowenig Rentenrevisionen und Kontrolluntersuchungen. Dagegen werden auch bei einer obligatorischen Alters- und Hinterlassenenversicherung die erste Aufnahme des Versicherungsbestandes und des jeweiligen Neuzuwachses, die Kontrolle über die fortgesetzte Erfüllung der Versicherungspflicht,
der Einzug der Beiträge . und die Ausrichtung der Versicherungsleistungen, einen gewissen "V erwaltungsaufwaud verlangen. In Anlehnung an Erfahrungen der privaten Versicherungsunternehmungen sowie der Krankenversicherung wird man

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die Verwaltungskosten vorsichtigerweise mit Fr. 3 bis 4 auf den Kopf des Versicherten einschätzen.

Von der allgemeinen Ausschüttung von Alters- und Hinter« lassenenrenten im Betrage von Fr. 1000, aber auch von Fr. 800 oder von bloss Fr. 600, wie vielfach geglaubt und gefordert wird, kann deshalb nicht die Eede sein. Es würde mit Einschluss der Verwaltungskosten zu Prämien von Fr. 80 bis 100, ja von Fr. 120 bis zu Fr. 150 jährlich führen, die, wie. bereits hervorgehoben, vom gröasten Teil der Versicherten nicht oder nur mit weitgehender Hilfe des Staates bezahlt werden könnten. Auch soweit die Prämie ganz oder zum bedeutendsten Teil noch vom Versicherten aufgebracht werden könnte, würde es meist mit Widerwillen geschehen. Mit einer Abwälzung wesentlicher Teile der Prämienlast auf Staat und Gemeinden kann aber, zumal beim heutigen Stand der öffentlichen Finanzen, das Problem nicht gelöst werden.

Eine Alters- und eine Hinterlassenenrente von je Fr. 400 dürfte deshalb u. E. unter den heutigen Verhältnissen das Mögliche und Angemessene darstellen und auch im allgemeinen den gewollten Zweck erreichen. Sie wird als Altersrente unsere Greise und Greisinnen vor Not schützen und als Hinterlasseuenrente für unsere zahlreichen Witwen und Waisen zum mindesten eine wertvolle Unterstützung darstellen. Bei Erlass des Ausführungsgesetzes kann geprüft werden, ob allenfalls für Stadt und Land verschieden hohe Renten festgesetzt werden oder ob, je nach der gewählten Organisationsform, Zusatzversicherungen vorgesehen werden sollen.

Schliesslich sollen aber neben der Sozialversicherung wie bis anhin die Selbsthilfe und die private Versicherungs- und Arbeitgeberfürsorge ihren Pktz haben und durch jene nicht ersetzt, sondern vielmehr gefördert werden.

Mit einer Rente von jährlich Fr. 400 bewegen wir uns noch durchaus im Rahmen dessen, was anderwärts durch ähnliche soziale Versicherungswerke geleistet wird. Speziell dort, wo diese als Volksversicherung ausgestaltet worden sind, halten sich die Renten ebenfalls in massigen Grenzen. So gewährt die Alters- und Invalidenversicherung des Kantons Glarus laut Gesetz vom 7. März 1916, bei maximaler Versicherungsdauer und bei Rentenbezug vom zurückgelegten 65. Altersjahre an, Altersrenten von Fr. 180 jährlich für männliche und von Fr. 140 für weibliche Versicherte, ansteigend
um Fr. 20 bis 40 für jedes Jahr, um das der Rentenbezug später beginnt, bis auf Fr. 300 bei den Männern, auf Fr. 250 bei den Frauen im zurückgelegten 70. Altersjahre. Rentenzuschüsse aus öffentlichen Bundesblatt. 76. Jahrg Bd. II.

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698 Mitteln werden nicht gewährt. In der schwedischen Volksversicherung auf Alter und Invalidität nach dem mehrfach abgeänderten Gesetze vom 30. Juni 1913 beläuft eich die maximale Altererente für Versicherte, die nur den Grundbeitrag von 3 Kronen leisten, auf 105 Kronen oder etwa Fr. 145 für die Männer .und auf 84 Kronen oder auf etwa Fr. 115 für die Frauen, Durch staatliche Zuschüsse an bedürftige dauernd arbeitsunfähige Rentner können diese Renten bis auf 330 Kronen oder Fr. 460 für die Männer und bis auf 294 Kronen oder Fr. 410 für die Frauen gebracht werden. Entsprechend bescheiden sind in beiden Gesetzen auch die Invalidenrenten, Appenzell A.-Rh. nimmt bei seinen Vorarbeiten für eine Altersversicherung als Höchstbetrag der Altersrente im zurückgelegten 65, Altersjahre Fr. 200, im 70. Altersjahre Fr. 400 jährlich in Aussicht.

Die englische unentgeltliche Rentenfürsorge für bedürftige Greise endlich richtet je nach dem Grad der Notlage Jahresleistungen von £ 2/12 bis £ 26 oder von Fr. 65 bis 650 aua.

In Deutschland betrug vor dem Kriege die Invalidenrente bei minimaler Beitragsdauer in der niedrigsten Lohnklasse 66 Mark, in der höchsten Lohnklasse 100 Mark ; bei maximaler Beitragsdauer in der niedrigsten Lohnklasse 135 Mark, in der höchsten Lohnklasse 400 Mark; die Altersrente belief sich entsprechend auf Beträge zwischen 60 und 180 Mark und die Witwenrente bei minimaler Beitragsdauer auf solche von 19. 80 bis 30 Mark, bei maximaler Beitragsdauer auf solche von 40. 50 bis 120 Mark, wozu noch Waisenrenten von 9. 90 bis 15 Mark kamen. Diese Leistungen erhöhten sich um den Reichszuschuss, der jährlich 50 Mark für jede Invaliden-, Alters- und Witwenrente und 25 Mark für jede Waisenrente betrug.

Besonderes Interesse dürfte hier der belgische Entwurf eines Gesetzes über Alters- und Hinterlassenenversicherang vom 26. November 1922 bieten. Er verpflichtet die unselbständig erwerbenden Männer auf eine Alters- und Hinterlassenenversicherung von jährlich Fr. 720 an Altersrente und von Fr. 360 an Witwen- und Waisenrente. Die Witwenrente ist lebenslänglich, die Waisenrente wird nach der Zahl der Doppelwaisen abgestuft und bis zum 16. Altersjahr ausgerichtet. Zur Witwenrente kommt ein Zuschlag von Fr. 60 für jede einfache Waise von weniger als 16 Jahren. Ferner sind die unselbständig erwerbstätigen Frauen
auf eine Altersrente von Fr, 720 jährlich versichert. Für verheiratete Frauen, die nicht auf eine solche Rente versichert sind, hat der Mann eine Altersrente von Fr. 360 zu versichern.

Es sind dies Beträge, die, in die Kaufkraft unserer Währung

699 umgesetzt, sich stark den von uns vorgeschlagenen nähern. Nur wenige moderne Gesetze oder Entwürfe für die Alters- und Invalidenversicherung der Angestellten und der Lohnarbeiter sehen für die höchst salarierten Gruppen von Versicherten entsprechend höhere Renten 'vor, denen dann aber auch entsprechend hohe Prämien gegenüberstehen.

Auch bei einer bescheidenen Alters- und einer Hinterlassenenrente von je Fr. 400 gelangt man, unter Zugrundelegung der oben mitgeteilten Prämiensätze für je Fr. 100 Versi cherungsleistung, bei den Männern zu einer Prämie von etwa Fr. 60, ohne die Verwaltungskosten. Mag auch diese Prämie für zahlreiche Versicherte erträglich sein, so dürfte sie nach' dem vorstehend Gesagten für zahlreiche andere Versicherte, speziell auf dem Lande, immer noch zu hoch sein. Nach vorgenommenen Erhebungen und weitverbreiteter Auffassung dürfte in solchen Verhältnissen dem einzelnen Manne durchschnittlich höchstens ein Beitrag von Fr. 30--35 jährlich zugemutet werden. Da an eine weitere Reduktion der Rente nicht gedacht werden kann, so werden Staat und Gemeinde einen erheblichen Teil der Versicherungslast auf sich nehmen müssen. In welcher Weise dies zu geschehen hat, hängt von der Organisation der Versicherung ab, auf welche wir im folgenden eintreten werden.

V. Die Durchführung der Alters- und Hinterlassenenversicherung auf streng versichernngstechnischer Grundlage.

Wird das in Aussicht genommene Werk sozialer Fürsorge auf dem Boden der reinen Versicherung durchgeführt, sei es durch private Unternehmungen oder durch eine öffentliche Anstalt, so hat der Beitragszahlung der Versicherten grundsätzlich in allen Fällen ein Anspruch auf Versicherungsleistungen gegenüberzustehen. Die Mittel für die Befriedigung dieses Anspruches können in verschiedener Weise beschafft werden. Bei Anwendung des reinen Versicherungsprinzips wird man das sogenannte Prämiendeckungskapitalverfahren wählen. Es besteht, wie bereits erwähnt, darin, dass aus den jährlich gleichbleibenden Prämien der Versicherten durch Verzinsung allmählich die Gelder zur vollen Befriedigung der späteren Rentenansprüche der betreffenden Versicherten geäufnet werden. Der Kapitalbedarf wird auf Grund der aus den Volkszählungen abgeleiteten Überlebensordnung und, der andern massgebenden Wahrscheinlichkeiten, sowie unter Annahme eines bestimmten gleichbleibenden Zinsfusses berechnet,

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Es ist klar, dass bei diesem System die Prämie vor allem vom Alter abhängt, in welchem der Versicherte in die Versicherung eintritt und im allgemeinen um so niedriger sein wird, je jünger der Versicherte ist. Gewöhnlich wird für das gegebene Alter, in dem die Versicherung abgeschlossen wird, die Prämie für eine bestimmte Einheit der Versicherungsleistung festgesetzt.

Wer sich erst in einem höheren Alter versichert, hat entweder eine entsprechend höhere Prämie zu bezahlen oder sich mit einer entsprechend niedrigeren Versicherungsleistung zu begnügen.

Das skizzierte Verfahren weist unzweifelhaft grosse Vorzüge auf. Bei vorsichtiger Wahl des der Prämienbestimmung zugrunde gelegten Zinsfusses gewährleistet es eine gleichbleibende, und speziell dem Jüngern Versicherten zufolge des starken Kapitalanwachses durch Verzinsung, eine relativ niedrige Prämie. Es bietet die grösstmögliche Sicherheit für die Erfüllung der Vergicherungsansprüche und garantiert in der Möglichkeit den Versicherten mit seiner Anwartschaft auszukaufen, eine gewisse Freizügigkeit. Da jede Generation selber die zukünftigen Kosten ihrer Versicherung aufbringt, so bleiben Schwankungen im Versicherungsbestande auf einmal festgesetzte Ansprüche und Verpflichtungen ohne Einfluss. Das versicherungstechnische Verfahren wird daher gewählt werden müssen, wenn die Versicherungspflicht auf ausgewählte Versicherungsbestände beschränkt, oder wenn die Durchführung der Versicherung einer Mehrheit von Versicherungsinstitutionen übertragen wird.

Die Mängel dieses Verfahrens bestehen einmal darin, dass wesentliche Bedingungen des Erfolges, ein stabiler Zinsfuss und eine langandauernde Stabilität des Geldwertes, ungewiss sind.

Bei grossen Versicherungsbeständen, mit denen speziell die Sozialversicherung rechnen muss, kommt es sodann mit der Zeit zur Anhäufung ganz gewaltiger Kapitalien, die, in den Händen eines einzelnen oder weniger Versicherungsträger oder in denen eines Verbandes solcher konzentriert, eine nicht zu unterschätzende Gefahr bedeuten können. Auf der andern Seite sind die Kapitalien Entwertungen ausgesetzt, wobei unter Umständen nicht nur grosse der Volkswirtschaft früherer Zeiten entzogene Bestände verloren gehen, sondern auch das Prinzip der vollen Deckung der Versicherungsleistung nicht verwirklicht werden kann. Es darf auch nicht
ausser Acht gelassen werden, dass für die Prämienberechnung auf Wahrscheinlichkeiten abgestellt werden muss, z. B. verheiratet oder ledig zu sein, Doppelwaisen zu hinterlassen u. s. w., für deren tatsächliches Eintreffen ebenso-

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wenig Sicherheit besteht, wie für die Richtigkeit des angenommenen technischen Zinsfusses.

Bei der Einführung einer allgemeinen Volksversicherung, wie wir sie beabsichtigen, stellt sich der Anwendung des Prämiendeckungskapitalverfahrens eine weitere fast unüberwindliche Schwierigkeit entgegen.

Im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Versicherung steht neben den jüngsten Jahrgängen die grosse Masse der altern Versicherungspflichtigen Männer und Frauen, die ihrem höhern Alter entsprechend ein höheres Risiko bieten und daher mit einer höhern Prämie belegt werden sollten. Wir haben aber oben gesehen, dass bereits die Prämie des Mindesteintrittsalters bei der beabsichtigten Versicherungskombination speziell für die Männer einen Betrag erreicht, der vielfach ohne staatliche Hilfe nicht wird entrichtet werden können. Für die altern Jahrgänge würde sich unter den gleichen Versicherungsbedingungen jene mit zirka Fr. 60 berechnete Prämie des Mindesteintrittsalters noch bedeutend erhöhen und schon bei Versicherung im zurückgelegten 30. Altersjahre den Betrag von zirka Fr. 87 jährlich, bei einein Eintritt in die Versicherung im 40. Altersjahre den Betrag von zirka Fr, 143 und bei einem solchen im 50. Jahre gar den Betrag von zirka Fr. 260 jährlieh erreichen. Eine derartige Mehrbelastung mit Prämien ist ausgeschlossen. Vielmehr wird man, auch der Einfachheit halber, die Prämie des Mindesteintrittsalters als Einheitsprämie wählen müssen. Dadurch entsteht aber, da für die altern Versicherten bisher keine Prämien bezahlt worden sind und daher keine Kapitalien angehäuft werden konnten, ein Ausfall, das sogenannte Eintrittedeflzit. Dieser Ausfall muss gedeckt, zum mindesten verzinst werden, entweder durch Leistungen des Staates oder dann durch die Erhöhung der Prämien des Mindestalters zur Durchschnittsprämie des ganzen Versicherungsbestandes. Beides würde ebenfalls angesichts der bedeutenden Höhe dieses Ausfalls, der Fr. 1,5--2 Milliarden erreicht, zu einer unerträglichen Belastung führen. Es bleibt somit nur die Kürzung der Leistungen unter entsprechender Berücksichtigung des höhern Eintrittsalters. Dann aber bemessen sich die Renten derer, welche mit 30 Jahren in di& Versicherung eintreten, auf nur noch zirka Fr. 270, die Renten des Eintrittsalters von 40 Jahren auf zirka Fr. 160 und die des Eintrittsalters 50 auf
zirka Fr. 90 jährlich. Durch Zusammenfassung von Altersgruppen und durch ihre Versicherung zu mittleren Prämiensätzen kann eine gewisse Ausgleichung getroffen werden. Jedenfalls wird man aber die mehr als 50 Jahre alten.

702 Personen der Eintrittsgeneration bei diesem Vorgehen von der Versicherung ausschliessen müssen, da für eine Rente, die nicht mehr Fr. 100 erreicht, niemand die Bezahlung eines Beitrages von Fr. 30--35, geschweige denn der vollen Prämie von etwa Fr. 60 zugemutet werden kann.

Es liegt auf der Hand, dass eine solche Versicherung immer noch erhebliche öffentliche Mittel fordern würde. Einmal hätte die öffentliche Hilfe dort einzugreifen, wo der Versicherte aus eigener Kraft nicht die volle Prämie aufbringen kann. Diese Aufgabe ·wäre den Kantonen in Verbindung mit don Gemeinden zuzuweisen. Dies dürfte um so eher geschehen, als eine Alters- und Hinterlassenenveraicherung jedenfalls eine erhebliche Verminderung der Armenlasten bringen wird. Die Kantone und besonders die Gemeinden stehen dem Versicherten auch örtlich am nächsten und sind am ersten mit seinen Verhältnissen vertraut.

Wie hoch die daherige Belastung sich stellen würde, kann nicht genau gesagt werden. Bei einer Prämiensumme von insgesamt etwa Fr. 50--60 Millionen für die Männer, die Versicherung der Frauen kann im Hinblick auf die relativ geringe Höhe der Prämie dahingestellt bleiben, dürfte die Annahme, dass etwa 25 % oder Fr. 12--15 Millionen zu Lasten der* Kantone und Gremeinden gehen, nicht allzusehr sich von der Wirklichkeit entfernen. Dabei ist hervorzuheben, dass bei Weglassung der altern Jahrgänge der Eintrittsgeneration, etwa vom zurückgelegten 50.

Altersjahre an, die Gesamtprämiensumme und damit auch der Anteil von Kantonen und Gemeinden daran nur allmählich zu den oben genannten Beträgen ansteigen würde.

Der Bund hätte sich in der Form von Zuschüssen an die bedürftigen Rentner finanziell zu beteiligen und denjenigen Greisen, vom zurückgelegten 65. Altersjahr an, sowie den Witwen derjenigen Männer bescheidene Fürsorgerenten zu gewähren, die nicht mehr in die Versicherung einbezogen werden können.

Solche Zuschüsse wären um so notwendiger, als wegen der starken Abstufung der Renten der Eintrittsgeneration noch auf Jahrzehnte hinaus mit zahlreichen reduzierten Leistungen zu. rechnen wäre.

Während die Prämie, und damit auch die daherige Belastung, eine durch den Umfang der Versicherung gegebene Grosse darstellt, an der nicht zu rütteln ist, könnte die Belastung durch Hentenzuschüsse mittelst entsprechender Festsetzung der Höhe
des einzelnen Zuschusses und der Umschreibung der Bedingungen seiner Ausrichtung beliebig goregelt werden. Die Belastung des Bundes wäre von der Höhe des einzelnen Zuschusses, sowie von der Zahl der Zuschussberechtigten abhängig, Faktoren, die von

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der GesetzgebuDg frei bestimmt würden. Bei der grossen Zahl der bedürftigen Personen dürfte sie aber einen erheblichen Betrag erreichen. Um nur einem Viertel der Greise und Greisinnen, sowie der Witwen, eine bescheidene Fürsorgerente oder einen Zuschuss von Fr. 200 durchschnittlich zu gewähren, bedürfte es einer jährlichen Leistung des Bundes von Fr. 15 bis 20 Millionen. Dieser Betrag dürfte aber durch die wirkliehen Anforderungen wesentlich übertroffen werden. Dazu kämen die Schwierigkeiten bei der Ermittlung der Fürsorgeberechtigten.

Die ganze Organisation könnte deshalb nicht recht befriedigen, zumal es wegen der starken Abstufung der Renten zur Tilgung des Eintrittsdefizites über vier Jahrzehnte dauern würde, bis die Versicherung ihre volle Wirksamkeit entfaltet.

Die Gesamtbelastung von Bund, Kantonen und Gemeinden würde nach dem Gesagten bei dieser Organisation, schon bei grösster Beschränkung der Zuschüsse, Fr. 27--35 Millionen jährlich erreichen.

Tl. Die Mitwirkung der privaten Yersicherungsunternehmnngen bei der Durchführung der Alters- und UinterlässenenYersickerung.

Um ein zuverlässiges Bild der Durchführung der Versicherung auf streng versicherungstechnischer Grundlage zu gewinnen, zugleich aber auch um alle Organisalionsmöglichkeiten zu prüfen, haben wir das Problem den konzessionierten Versicherungsunternehmungen unterbreitet und diese um ihre Mithilfe bei der Lösung angegangen. Daneben wollten wir im besondern auch untersuchen, ob und wie man dem vielfach geäusserten Wunsche nach freier Wahl des Versicherungsträgers im Rahmen des versicherungstechnisoh und organisatorisch Möglichen entgegenkommen könnte. Die Durchführung der Versicherung war zu diesem Zwecke in einem Diskussionsentwurfe des Volkswirtschaftsdepartements in der Weise vorgesehen, dass jede obligatorisch versicherte Person verpflichtet gewesen wäre, sich bei einer konzessionierten schweizerischen Lebens- und Rentenversicherungsunternehmung auf gesetzlieh bestimmte Leistungen zu versichern. Die Versicherungsunternehmungen sollten für den Betrieb dieser Versicherung eine besondere Abteilung errichten, deren Vermögen dem Zugriff anderer Gläubiger der Unternehmung entzogen sein sollte. Durch eine verschärfte Aufsicht des Bundes über die betreffende Abteilung, ferner durch Vorschriften über die Anlage und die Verwaltung der Gelder und über die Rechnungsführung der Abteilung sollte für die volle Sicherheit sowie dafür gesorgt werden,

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dass die Versicherung nicht zur Quelle von Unternehmungsgewinnen und nicht mit Verwaltungskosten belastet werde, die nicht unbedingt zu ihrem Betriebe gehören.

Als Versicherungsleistungen waren Altersrenten für die Männer und die ledigen Frauen, sowie Hinterlassenenrenten für die Witwe und für die Kinder des Versicherten vorgesehen.

Die Prämien sollten als Durchschnittsprämie, für Männer und Frauen getrennt, in der Höhe des dem Mindesteintrittsalter entsprechenden Prämiensatzes erhoben und dafür die Versicherungsleistungen entsprechend abgestuft werden. Im übrigen war die Festsetzung der Prämie im Rahmen der gesetzlichen Rechnungsvorschriften den einzelnen Versicherungsunternehmungen überlassen. Den Gemeinden war eine Mitwirkung bei der Aufnahme des Versicherungsbestandes und beim Prämieninkasso zugedacht.

Die Ausrichtung der Versicherungsleistungen sollten die Versicherungsunternehmungen unmittelbar besorgen. Die Kantone und Gemeinden hätten gegenüber den Versicherungsunternehmungen die Haftung für die uneinbringlichen Prämien übernehmen müssen, während der Bund zunächst den wegen ihres hohen Alters nicht mehr versicherungsfähigen Personen und dann den minderbemittelten Rentnern bescheidene Zuschussrenten ausgerichtet hätte.

Der Diskussionsentwurf wurde nach einer ersten konferenziellen Aussprache zwischen dem Departemente und den Leitern der grössern Versicherungsunternehmungen durch eine aus Vertretern des Departements und Vertretern der Unternehmungen bestellte Kommission, im Herbst 1923 einer einlässlichen Beratung unterzogen und sodann anfangs Oktober der Direktorenkonferenz der konzessionierten schweizerischen Versicherungsunternehmungen mit dem Ersuchen übermittelt, sich über die Möglichkeit der Durchführung einer obligatorischen Alters- und Hinterlassenonversicherung mit Hilfe der Unternehmungen und über die allfälligen Modalitäten dieser Durchführung, in welcher Beziehung der Entwurf nur als unverbindliches Beispiel gelten sollte, auszusprechen.

Es ist ohne weiteres verständlich, und bedarf wohl keiner näheren Erläuterung, dass eine Durchführung der Versicherung mit Hilfe der privaten Gesellschaften nur auf der Grundlage des Prämiendeckungskapitalverfahrens in Frage kommen könnte. Nur die Bereitstellung sämtlicher Mittel für die Erfüllung aller zukünftigen Verpflichtungen kann bei
dieser Organisation die Garantien bieten, -welche erforderlich sind, wenn der Staat die Durchführung des Versicherungswerkes nicht selber in die Hand nimmt.

Beim Nebeneinanderwirken verschiedener Versicheruugsträger ist

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auch die erforderliche Konstanz der Prämie am ehesten mit dem Prämiendeckungskapitalverfahren zu erreichen. Die Benützung verschiedener Verfahren durch die einzelnen Versicherungsträger endlich würde zu allzu bedeutenden Unterschieden in der Belastung der Versicherten führen.

Wie der Diskussionsentwurf, so ging denn auch die den Versicherungsunteraehmungen unterbreitete Anfrage vom Prämiendeckungskapitalverfahren aus. · Die Direktorenkonferenz der Versicherungsunternehmungen hat mittelst Schreiben vom 30. Mai abhin zu den ihr unterbreiteten Fragen Stellung genommen. Das Schreiben ist dieser Botschaft als Anhang beigegeben.

Daa Antwortschreiben stellt zunächst fest, dass nach der Auffassung mehrerer Mitglieder der Konferenz die Versicherung wohl am besten auf der Grundlage des Umlageverfahrens durchgeführt würde, wobei eine Mitwirkung der privaten Versicherungsunteruehmungen nicht in Aussicht zu nehmen wäre. In bezug auf die ihr unterbreitete Frage betreffend die Durchführung der Versicherung mit Hilfe der Unternehmungen auf der Basis des versicherungstechnischen Verfahrens spricht sich sodann die Diroktorenkonferenz entschieden gegen die Besorgung der Versicherung durch eine Mehrzahl von Versicherungsgesellschaften aus, gegen welche schwerwiegende versicherungstechnische und organisatorische Bedenken geltend gemacht werden. Wollte man jedem Versicherungspflichtigen die freie Wahl der Versicherungsgesellschaft überlassen, so wäre nach der Auffassung der Direktorenkonferenz ein Wettbewerb der Versicherungsgesellschaften in Aussicht zu nehmen.

Ein solcher wäre noch unbedenklich, wenn es anginge, von jedem Versicherten die nach Massgabe der individuellen Gefahr, also unter Berücksichtigung des Alters, des Gesundheitszustandes, des Zivil- und Familienstandes, festzustellende Prämie erhältlich zu machen. Weil aber die Sozialversicherung mit Durchschnittsprämien rechnen müsse, so könne darauf nicht abgestellt werden.

Bei der Durchschnittsprämie seien aber für den einzelnen Versicherten die Werte der von ihm zu zahlenden Prämien einerseits und der von ihm zu beziehenden Versicherungsleistungen anderseits nicht gleich. Der Gesunde bezahle in diesem Falle für den Kranken, der Ledige für den Verheirateten, der Kinderlose für den Kinderreichen. Unter diesen Umständen müssten hei einer obligatorischen Versicherung unter den Versicherungsbeständen der verschiedenen Versicherungsgesellschaften grosse Unterschiede hinsichtlich der Belastung entstehen, womit in der

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Sozialversicherung einem System der obligatorischen Versicherung mit freier Wahl des Versicherungsträgers, wie es einzelne Kantone für die Mobiliarversicherung gewählt haben, der Boden entzogen sei. Jedenfalls würde eine Vereinbarung mit den Versicherungsgesellschaften behufs gemeinsamer Tragung der Gefahr notwendig, wofür aber Normen aufzustellen nicht leicht sei, und wodurch in allen Fällen die Geschicke der Gesellschaften auf die Dauer untrennbar verknüpft würden. Die gleichen Bedenken bestehen nach dem Berichte der Direktorenkonferenz auch bei einer Aufteilung des Versicherungsbestandes unter die Gesellschaften so. B. nach dem Wohnsitze des Versicherten als dem naheliegendsten Aufteilungskriterium. Mit einer solchen Aufteilung wäre aber die weitere Schwierigkeit verknüpft, dass wegen der Wanderungen der Bevölkerung standig Zugänge und Abgänge mit den damit in Verbindung stehenden Abrechnungen zu gewärtigen wären, oder dass, wenn es bei der einmal erworbenen Zugehörigkeit zu einer Versicherungsgesellschaft sein Bewenden hätte, der Versicherungsbestand jeder Gesellschaft sich trotz der territorialen Abgrenzung bald auf das ganze Gebiet der Schweiz ausdehnen würde. Auch die Direktorenkonferenz geht davon aus, dass in einer obligatorischen Versicherung eine öffentliche Korporation, voraussichtlich die Gemeinde, dafür sorgen und einstehen müsste, dass für alle Versicherungspflichtigen die Prämien bezahlt werden. Die Notwendigkeit für die Gemeinden, mit einer Mehrheit von Versicherungsgesellschaften in einen Abrechnungsverkehr einzutreten, würde eine wesentliche Erschwerung der Organisation mit sich bringen. Demgemäss schlägt die Direktorenkonferenz als Grundlage, auf der die privaten Lebens Versicherungsgesellschaften bereit sind, an der Durchführung der öffentlichen Alters- und Hinterlassenenversicherung mitzuwirken, die Errichtung einer besondern privaten Anstalt, sei es als Aktiengesellschaft, sei es als Genossenschaft, durch die bestehenden Versicherungsunternehmungen vor, wozu diese mit ihrer Erfahrung, ihrer durchgebildeten Organisation und den technischen Einrichtungen ihrer Auffassung nach wohl in der Lage wären. Die Versicherungsunternehmungen hätten das erforderliche Kapital aus eigenen Mitteln aufzubringen. Die zu errichtende Anstalt, welche sich auf die obligatorische Versicherung zu
beschränken hätte, müssto unter der Führung und Leitung der privaten Anstalten stehen, denen in der Organisation und Verwaltung namentlich in bezug auf die Feststellung dor Prämio und die Bestellung der Reserven die notwendige Bewegungsfreiheit einzuräumen wäre.

Dagegen wäre die Aktien- oder Genossenschaftsdividende auf

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6 °/o au beschränken und ein allfälliger Überschuss über diese Dividende hinaus dem Bunde auf Rechnung seiner Leistungen an die Sozialversicherung zu vergüten. Das öffentliche Interesse wäre durch eine besonders strenge Aufsicht und besondere Auflagen, insbesondere bezüglich der Anlage der Gelder, gegenüber der neuen Anstalt zu wahren. Sollte der Bund später die Anstalt übernehmen, so wäre den Versicherungsunternehmungen das Anlagekapital zu vergüten.

Die Direktorenkonferenz wirft sodann noch die Frage der Ersatzversicherung bei einer der bestehenden privaten Versicherungsgesellschaften auf, mit deren Eingehung die Befreiung vom Beitritt zur Monopolanstalt verbunden wäre. Solches dürfte aber bei der vorgeschlagenen Lösung nicht möglich sein, weil sonst zufolge der Selektion der Monopolanstalt wohl nur noch die ungünstigen Risiken zufliessen würden, womit die Versicherung gerade für diese, und so auch für die Bedürftigen, in unzulässiger Weise verteuert würde.

Die Verhandlungen mit den privaten Versicherungsunternehmuugen haben, möge nun ihr Ergebnis als Grundlage für weitere Arbeiten in derselben Richtung dienen oder nicht, in hohem Masse zur Abklärung des ganzen Problems, besonders in organisatorischer und finanzieller Beziehung beigetragen. Sie gaben insbesondere auch Veranlassung, die Höhe der Prämien rechnerisch festzustellen und die verschiedenen möglichen Lösungen zu prüfen. Wenn sich auch die Direktorenkonferenz schliesslich mehrheitlich bereit erklärt, der Durchführung der Sozialversicherung durch das Mittel der privaten Versicherungsunternehmungon näher zu treten, so geht doch aus dem ganzen Inhalt ihres Schreibens hervor, dass sie grosse Bedenken hegt und eigentlich eine andere Lösung für die richtigere ansieht. Eine Minderheit scheint von vornherein die Mitwirkung abgelehnt zu haben. Bemerkenswert sind sodann der Rat, die geplante Alters- und Hinterbliebenenversicherung auf dem Wege des Umlageverfahrens durchzuführen, und die sehr ernsten Bedenken, welche gegen die freie Wahl des Versicherungsträgers bei der Alters- und Hinterlassenenversicherung auf Renten erhoben werden. Ist die erste Bemerkung geeignet, den Verzicht auf eine Versicherung mit voller technischer Deckung zu rechtfertigen, so dürfte die zweite vollends die Unzweckmässigkeit der etwa vertretenen Auffassung dartun, als
ob ein Konglomerat von kantonalen Anstalten, Verbands- und Betriebskassen die obligatorische Versicherung für eigene Rechnung und auf eigenen Namen für die ihnen beitrotenden Personen übernehmen könnte. Hier wurden

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sich zu den von den Gesellschaften erwähnten Schwierigkeiten noch die der Aufsicht und der Erfüllung der nötigen Anforderungen gesellen.

Anderseits rnuss gesagt werden, dass nach dem bisherigen Gange der Besprechungen und. der Antwort der Gesellschaften auch die Möglichkeit der Durchführung der Versicherung mit ihrer Hilfe zweifelhaft wird, denn nach ihrem Bescheide, den wir zugleich als Gutachten sachverständiger Kreise betrachten dürfen, musate der billigen und rationellen Durchführung der Versicherung halber gleichsam eine private Monopolanstalt ge.gründet werden. Besteht ohnehin eine Abneigung gegen eine Monopolanstalt des Bundes, so wird sie sich wohl noch entschiedener gegenüber einer, privaten Monopolisierung der Sozialversicherung äussern. Eine solche private Anstalt würde im wesentlichen gegenüber den bei ihr obligatorisch versicherten Personen die nämlichen Rechte ausüben, wie eine öffentliche Anstalt. Ferner wäre es sicherlich nicht unbedenklich, die gewaltigen Deckungskapitalien einer umfassenden obligatorischen Versicherung in den Händen einer privaten Anstalt zu konzentrieren.

Ist aber die Durchführung einer Versicherung im technischen Sinne mit Hilfe der privaten Versicherungsunternehmungen nicht möglich, so bliebe, wenn die Lösung trotzdem grundsätzlich auf diesem Boden gesucht werden wollte, nur noch die Einsetzung einer eidgenössischen Zentralanstalt übrig, der mit Rücksicht auf die von den Versicherungsgesellschaften entwickelten Gründe die Durchführung der geplanten Versicherung ausschliesslieh übertragen werden müsste. Eine solche Anstalt würde, wenn sie auch im Interesse der billigen Durchführung ihrer Aufgabe die Hilfe der kantonalen Verwaltung in Anspruch nehmen müsste, doch einen grösseren selbständigen Verwaltüngsapparat notwendig machen und in ihren Händen Deckungskapitalien konzentrieren, die sich auf Milliarden belaufen würden, und die daher, wie schon oben ausgeführt wurde, ein erhebliches Risiko bergen. Neben ihr und in Konkurrenz mit ihr die Versicherung bei privaten Anstalten zuzulassen, wäre, wie dies die Versicherungsgesellschaften, die doch sicherlich unverdächtige Zeugen sind, anführen, irrationell und deshalb unmöglich.

Unter solchen Umständen muss nun wohl gänzlich auf den Gedanken verzichtet werden, die Alters- und HinterbliebenenVersicherung» nach dem Prämiendeckungskapitalverfahren oder einem diesem verwandten Verfahren durchzuführen.

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TIT. Die Durchführung der Alters- und Hinterlassenenversicherung nach dem Umlageverfahren.

Angesichts der besonderen Umstände, unter denen eine umfassende obligatorische Volksversioherung in Wirksamkeit zu treten hat, und der speziellen Bedingungen, unter denen sie durchgeführt werden kann, wird für eine solche Versicherung häufig das bereite oben erwähnte Umlageverfahren als die geeignete Form für die Aufbringung der Versicherungslast empfohlen. Der grosse und im ganzen konstante Bestand an versicherungspflichtigen Personen aus allen Kreisen der Bevölkerung, der einer solchen allgemeinen Versicherung eigen ist, sowie die öffentlichrechtliche Grundlage lassen in der Tat das Umlageverfahren als geeignet erscheinen. Die Notwendigkeit, auch den altern Versicherten eine angemessene Versicherungsleistung zu gewähren, stellt zugleich der Anwendung des Grundsatzes voller Deckung der Versicherungsansprüche durch angesammelte Kapitalien die grössten Schwierigkeiten entgegen. Nur unter grossen Opfern, sei es des Staates oder der Versicherten selber, können diese Kapitalien für die altern Versicherten beschafft werden.

Daher liegt der Gedanke nahe, auf ihre Beschaffung überhaupt zu verzichten und mit Beschränkung auf die Äufnung eines Reserve- und Ausgleichungsfonds von Anfang an den gesamten Aufwand für die angenommene Versicherungsleistung auf die Gesamtheit der Beitragspflichtigen jährlich zu verteilen. Ein Eintrittsdefizit gäbe ee daher beim Umlageverfahren der Natur der Sache nach nicht. Vorbehaltlich einer gewissen Herabsetzung der Renten bei den ältesten Versicherten zur Äufnung eines gewissen Fonds, würde die Versicherung bei diesem System sogleich in vollem Umfange wirksam werden. Eine neben der Versicherung einherlaufende Fürsorge würde vermieden oder höchstens in ganz bescheidenem Umfange und für kurze Dauer notwendig, wenn die mehr als 65 Jahre alten Personen nicht in die Versicherungsgemeinschaft eingeschlossen werden. Die Alters- und Hinterlassenenversicherung würde sich bei diesem Verfahren im wesentlichen als Einrichtung darstellen, bei der die Jungen für die Alten und die jeweils lebenden Männer für die Witwen und Waisen der vorverstorbenen Männer sorgen.

Es ist nun aber leicht verständlich, dass eine solche Einrichtung, bei der die jährlichen Ausgaben sozusagen vollständig im gleichen
Jahre aufgebracht werden müssen, ganz erhebliche Lasten bedingen würde. Eia ungefähres Bild vermögen die nachfolgenden Angaben aus der Volkszählung des Jahres 1920 zu

710 geben. Darnach steht einer Zahl von 870 000 Männern im Alter von 22--65 Jahren eine solche von 90 000 mehr als 65 Jahre alten Männern gegenüber. Auf 280 000 ledige Frauen im versieherungspflichtigen Alter kommen 20 000 solcher im rentenberechtigten Alter von 65 und mehr Jahren. Zu diesen beiden Altersrentnerkategorien von zusammen HO 000 Personen treten rund 150000 Witwen jeden Alters, deren verstorbener Mann mehr als 22 Jahre alt war und rund 4000 Doppelwaisengruppen.

Die Ausstattung der männlichen Altersrentner und der Witwen sowie der Doppelwaisengruppen mit einer Rente von bloss Fr. 100 würde einen Aufwand von rund Fr, 24,5 Millionen im gesamten, oder von rund Fr. 28 auf den versicherten Mann erfordern.

Die Gewährung einer Altersrente von Fr. 100 an die ledigen Frauen würde eine Ausgabe von Fr, 2 Millionen im ganzen oder von Fr. 7 im Durchschnitt auf die einzelne versicherte Frau verlangen. Für Fr. 400 Rente ergäben sich somit ein Betrag der Gesamtbelastung von Fr. 108 Millionen und Umlagebeiträge von Fr. 112 für die Männer und Fr. 28 für die Frauen. Rein volkswirtschaftlich gesprochen wäre, wie bereits oben hervorgehoben wurde, die Belastung beim Umlageverfahren nicht höher als bei jedem andern Verfahren. Sie ergibt sich aus der Zahl der Renten und der Rentenhohe, und ob der erforderliche Aufwand bestritten wird zum Teil aus laufenden Einnahmen, zum Teil aus den Erträgnissen der allmählich geäufneten Deckungskapitalien, oder ob er direkt aus dem Volkseinkommen des einzelnen Jahres geschöpft werde, kommt für die Volkswirtschaft als ganzes aufs gleiche heraus. Man darf aber nicht vergessen, dass beim Umlageverfahren der Aufwand für die Rentenleistungen eines Jahres, wenn er sich auch in der Folge auf die ganze Wirtschaft verteilt, doch zunächst unmittelbar beim einzelnen Beitragspflichtigen erhoben wird. Nun wird man aber auch beim Umlageverfahren dem einzelnen Beitragspflichtigen keine grössere Leistung zumuten dürfen, als sie für ihn auch bei jedem andern Verfahren noch möglich und erträglich ist. Daher wird man bei im übrigen gleichen Versicherungsbedingungen auch im Umlageverfahren für einen grossen Teil der Versicherten den jährlichen Beitrag nicht auf mehr als Fr. 30--35 festsetzen dürfen. Damit würde aber die Belastung des Staates auf etwa Fr. 60--70 Millionen jährlich, oder auf
einen Betrag ansteigen, der ganz besonders heute nicht ertragen werden kann. Endlich musate die Versicherung, wenn sie nach dem Umlageverfahren aufgebaut wird und somit der Garantie der Deckungskapitalieii eulbehrl, durch deii Staat oder durch eine zentrale Anstalt mit staatlicher Garantie durchgeführt

711 werden. Auch eine Durchführung der Versicherung nach dem Umlageverfahren, mag dieses auch die ganze Organisation vereinfachen, wird so auf sehr bedeutende Hindernisse, vor allem finanzieller Natur, stossen.

Wenn auch die vorstehenden Erörterungen die mannigfaltigen, zum Teil schior unüberwindlichen Schwierigkeiten ins Licht gerückt haben dürften, welche sich der Durchführung des geplanten Werkes entgegentürmen, so dürfen wir uns doch mit.der Feststellung dieser Schwierigkeiten nicht begnügen. Vielmehr ist es Pflicht nach Mitteln und Wegen zu suchen, welche ihre Überwindung gestatten, um derart baldigst aus dem Stadium der Vorbereitung in das der Verwirklichung und zu positiven Schlüssen zu gelangen, welche eine bescheidene aber doch noch zweckentsprechende Realisierung verbürgen. Dabei wird man auch von Gedankengängen etwas anderer Art nicht absehen dürfen, sofern sie gestatten, dem Ziele näher zu kommen.

Der Versicherung liegt im allgemeinen das Prinzip zugrunde, dass der Prämienleistung in jedem Versicherungsfalle unbedingt die Versicherungsleistung zu entsprechen habe, d. h. dass jeder Versicherte mit Eintritt des versicherten Ereignisses leistungsberechtigt sei. Angesichts der bedeutenden Opfer des einzelnen oder des Gemeinwesens, welche die Einführung der in Aussicht genommenen sozialen Fürsorge bei strikter Anwendung des genannten Grundsatzes fordert, ist die Frage ernstlicher Prüfung wert, ob nicht durch etwelche Beschränkung der Bezugsberechtigung aus der Versicherung eine wesentliche, die Einführung erleichternde finanzielle Entlastung erzielt werden könnte. Die Alters- und Hinterlassenenversicherung würde grundsätzlich auf dem Boden des Umlageverfahrens unter Verteilung des jährlichen.

Aufwandes auf die im betreffenden Jahre Beitragspflichtigen aufgebaut. Dagegen würden bei Eintritt des Versicherungsfalles nicht in allen Fällen Rentenleistungen zur Ausrichtung gelangen, sondern es hätten je nach der ökonomischen Lage des Versicherten oder seiner Angehörigen gewisse Einschränkungen Platz zu greifen.

Wir haben oben dargelegt,, dass in grossen Kreisen unserer Bevölkerung höchstens ein Beitrag von Fr. 30--35 an eine Altersund Hinterlassenenversicherung erhoben werden kann. Zugleich haben wir gesehen, dass eine Alters- und Hinterlassenenrente von je Fr. 400, wenn sie auch im Vergleich
zu ähnlichen Einrichtungen im In- und Auslande sich durchaus sehen lassen darf, doch wohl ein Minimum darstellt, unter welches man nicht hinuntergehen sollte. Den Einnahmen steht dann aber, wie wir

712 bereits nachgewiesen haben, schon wenn man auf die aus der Volkszählung des Jahres .1920 ermittelten Ziffern abstellt, ein Überschuss der Ausgaben von etwa Fr. 60--70 Millionen gegenüber. Da eine weitere Reduktion der Leistungen nicht wohl möglich ist, so könnte zunächst daran gedacht werden, den jährlichen Ausfall durch eine Erhöhung der Beiträge in Verbindung mit Zuschüssen aus öffentlichen Mitteln oder durch volle Übernahme seitens des Staates zu decken. Eine solche Erhöhung der Beiträge könnte aber nach unsern obigen Feststellungen nur für eine relativ geringe Zahl der Versicherten in Frage kommen und müsste sich zudem in angemessenen Grenzen halten. Jedenfalls dürfte die Erhöhung auch für diese Versicherten nicht über den Betrag hinausgehen, den sie als Versicherungsprämie bei einer Versicherung auf der Basis des Prämiendeckungskapitalverfahrens für die gleichen Leistungen zu entrichten hätten. Durch eine Erhöhung des Beitrages würde somit jedenfalls nur ein geringer Teil des Ausfalles eingebracht, während der Rest zu Lasten des Staates und eventuell der Gemeinden bliebe. Die Belastung des Gemeinwesens würde auch dann noch ein Mass erreichen, das ihm nicht zugemutet werden kann, besonders nicht, weil es ohnehin noch für die Versicherten einzutreten hat, welche das eine oder andere Mal auch den ihnen zugedachten bescheidenen Einzelbeitrag nicht bezahlen können. "Wir halten deshalb dafür, dass am Einheitsbeitrag festzuhalten sei.

Unter solchen Verhältnissen drängt sich wie erwähnt der Gedanke auf, die Entlastung im Wege einer gewissen Einschränkung des Kreises der rentenberechtigten Personen zu suchen. Dieser Gedanke liegt um so näher, als hier auch bei einer bescheidenen Reduktion nicht unerhebliche Beträge gespart werden können. Statt dass alle Personen, die das 65. Altersjahr erreicht haben oder die verwitwet oder verwaist sind, die Versicherungsleistungen erhalten, sollen die wohlhabenderen Kreise der Bevölkerung, welche der Renten entbehren können, von deren Bezug ausgeschlossen werden.

Dem Einwände, dass ein solches Verfahren dem strengen Versicherungsprinzip, nach welchem jeder, der Beiträge bezahlt, auch eine Gegenleistung erhalten soll, widerspreche, kann entgegnet werden, dass jeder Sozialversicherung, anders als der Privatversicherung, in eminentem Masse der Gedanke des sozialen
Ausgleiches zwischen den verschiedenen Volksschichten innewohne, Bei der Durchführung des Werkes auf dem Boden der Versicherung kommt dieser Gedanke vor allem in den Leistungen des Staates und der Gemeinde zum Ausdruck, mittelst welcher minderbemittelten Versicherten die Bezahlung der Prämien erleichtert

713 oder ihnen, ihrem höhern Bedürfnisse entsprechend, eine etwas höhere Rente zugehalten werden soll. Musa unter der Macht der für uns massgebenden Verhältnisse auf das reine Versicherungsprinzip verzichtet werden, so entfällt auch das diesem Prinzip innewohnende Erfordernis, dass jeder, welcher Beiträge bezahlt, bei Eintritt des Versicherungsfalles auch Leistungen aus der Versicherung erhalte. Der Ausgleich zwischen den wohlhabenderen und minderbemittelten Volksschichten kann dann wohl in der.

bereits erwähnten Weise erfolgen, dass jene zwar an die Einrichtung im gleichen Masse wie alle beizutragen haben, jedoch nur dann die Renten erhalten, wenn sie ihrer wie die andern bedürfen.

Die Einrichtung behält auch für die wohlhabenderen Schichten ihren Wert, indem auch sie, wenn sich ihre Verhältnisse ungünstiger gestalten sollten, ohne weiteres die vollen gesetzlichen Leistungen erhalten. Jedermann ist somit in gewissem Sinne auf den Erlebensfall oder auf Ableben mit Hinterlassung einer Witwe oder von Waisen vuter der Bedingung versichert, dass sich zum Eintritt des Versicherungsfalles noch das Bedürfnis auf den Bezug der Renten gesellt. Auch bei dieser Form der Durchführung wird man . noch in bedeutendem Masse auf die finanzielle Mithilfe des Gemeinwesens angewiesen sein. Die Inanspruchnahme des Staates wird aber, wie wir noch zeigen werden, ohne dass der Kreis der Rentenberechtigten fühlbar eingeengt werden muss, gegenüber den Anforderungen speziell einer auf das Umlageverfahren gegründeten Versicherung erheblich gemindert und dem Erträglichen näher gebracht.

Behufs Erleichterung der Finanzierung gehen wir davon aus, dass neben.dem Staate und den einzelnen Versicherten bei den unselbständig erwerbenden Personen auch der Arbeitgeber in bescheidener Weise zu Beiträgen herangezogen werde. Diese Heranziehung rechtfertigt sich wohl ohne weiteres aus der Benützung und dem Verbrauch der Arbeitskraft des Versicherten.

Doch gebieten Billigkeit und Klugheit, diese Beiträge der Arbeitgeber in sehr bescheidenem Rahmen zu halten. Wir haben einleitend bemerkt, dass, wenn auch der Höhepunkt der Wirtschaftskrise überschritten sein mag, wir aus den wirtschaftlichen Schwierigkeiten noch nicht heraus sind und daher bei der Auferlegung neuer Lasten sehr zurückhaltend verfahren müssen. Eine stärkere Inanspruchnahme
der Arbeitgeber dürfte mit Rücksicht auf die allgemeine wirtschaftliehe Lage erhebliche Widerstände anglösen.

Wir glauben jedoch, dass mit einem Ansatz, der für den einzelnen kaum ins Gewicht fällt, doch eine Gesamtsumme beschafft werden Bundesblatt. 76. Jahrg. Bd. II.

51

714

kann, welche die Finanzierung des Werkes erheblich zu erleichtern vermag. Dabei gehen wir von der Voraussetzung aus, dass die Arbeitgeber aller Stände und Berufe, handle es eich bei den Dienstpflichtigen um Arbeiter und Angestellte in Beirieben oder um in der Hauswirtschaft beschäftigte Personen, herbeigezogen werden. Wir stellen dabei den sehr massigen Betrag von einem Franken für den Monat und die Arbeitskraft in Rechnung, Danach würde sich die Finanzierung des Werkes folgendermassen gestalten : Von sämtlichen Versicherungspflichtigen Schweizerbürgern im Alter von 22 bis 65 Jahren würde ein jährlicher Beitrag von Fr. 32 erhoben und ein solcher von Fr. 10 von den ledigen weiblichen Personen des gleichen Alters. Des weitern nehmen wir ohne jegliche Verbindlichkeit und unter Vorbehalt der Nachprüfung an, es sei vom Arbeitgeber für die von ihm beschäftigten Angestellten, Arbeiter und Dienstboten ein Beitrag von Fr. l für den Monat und für die Arbeitskraft, also Fr. 12 pro Jahr zu bezahlen. Würde man allen Versicherten Versicherungsleistungen gewähren, so ergäbe sich bei Fr. 400 Altersrente. an Männer und ledige weibliche Personen vom 65. Altersjahre an und bei einer Hinterlassenenrente in derselben Höhe an die Witwen der versicherten Männer, sowie an Hinterlassenengruppeu von drei Doppelwaisen unter 18 Jahren auf Grund der Ergebnisse der Volkszählung von 1920 folgendes Budget: In Millionen Fr.

E i n n a h m e n : Beiträge der Versicherungspflichtigen Männer . .

28 Beiträge der Versicherungspflichtigen ledigen Frauen 3 Beiträge d e r Arbeitgeber . . . .

14 Im gesamten 45 Ausgaben:

Altersrenten a n Männer . . . .

Altersrenten an ledige Frauen . .

Witwenrenten .

Doppelwaisenrenten Verwaltungskosten pro Memoria . .

Im gesamten

36 8 60 2 · .

-- 106

Die Differenz zwischen den Ausgaben und den Einnahmen beliefe sich somit auf Fr. 61 Millionen. Durch eine relativ bescheidene Einschränkung des Kreises der Rentenberechtigten schon, kann sie auf ein erträgliches Mass verringert werden.

715 Über den Ausschluss gewisser Personenkategorien aus der Rentenbereohtigung wird die Ausführungsgesetzgebung bestimmen, wobei auf bestimmte Einkommens- und Vermögensverhältnisse abgestellt werden wird. Hier mögen nur beispielsweise folgende Annahmen gemacht werden.

Schliesst man von den in Betracht kommenden greisen Personen und Hinterlassenen einen Drittel vom ßentengenuss aus, so wird die ungedeckte Differenz zwischen Ausgaben und Einnahmen auf 25,6 Millionen Franken herabgemindert, zu deren Deckung Bund und Kantone gemeinsam heranzuziehen wären. Würde man Altersrenten nur an zwei Drittel, Hinterlassenenrènten an drei Viertel der Berechtigten ausrichten, so würde sich der vom Bund und den Kantonen aufzubringende Betrag auf Fr. 32,6 Millionen belaufen.

Zu diesen Aufwendungen tritt die Belastung aus der Übernahme der uneinbringlichen Beiträge, welche aber, bei der geringen Höhe des Beitrages, 10 % der Gesamtsumme oder etwa Fr, 3 Millionen nicht übersteigen dürfte.

Tragt die vorgeschlagene Lösung schon in Hinsicht auf die finanzielle Fundierung und ihre ganze Anlage den Vorzug grosser Einfachheit in sich, so gilt dies ganz besonders auch von ihrer Organisation. Grundsätzlich muss natürlich, da es an jeder andern Form der Sicherung der Ansprüche fehlt, der Staat der Träger der Einrichtung sein. Dagegen bedarf es zur Durchführung des Werkes in dieser Art keiner besondern Versicherungsanstalt.

Eine solche ist um so weniger notwendig, als die Fürsorgetatbestände, Tod und Erreichung eines bestimmten Alters, mit grösster Leichtigkeit aus den Zivilstandsurkunden eindeutig ermittelt werden können, und es keiner Untersuchungen nnd Entscheidungen bedarf, wie es etwa bei der Unfallversicherung der Fall ist, und in gewissem Masse auch bei einer Invalidenversicherung notwendig wäre. Damit ist aber auch zugleich gegeben, dass der Schwerpunkt der Durchführung in die Kantone und Gemeinden verlegt werden kann. Der Bund hätte sich auf die Aufsicht Über die Durchführung zu beschränken. Eine direkte Verwaltung durch den Bund kann schon deshalb nicht in Frage kommen, weil ihm eigene lokale Organe, auf deren Mitwirkung man in erster Linie angewiesen ist, fehlen. Zu prüfen wird bloss sein, wie etwa eine Zusammenarbeit der Poststellen mit den Gemeinden und Kantonen in die Wege geleitet werden kann.

· Wenn auch die Organisation durch die Ausführungagesetzgebung in ihren Einzelheiten wird geregelt werden müssen, so

716 können wir heute schon von folgender G-rundlage ausgehen.

Jeder Kanton würde den auf seinem Gebiete wohnenden jeweiligen Bestand an beitragspflichtigen und rentenberechtigten Personen aufnehmen und von erstem den Beitrag zuhanden einer kantonalen Kasse einziehen, letzteren die Renten aus dieser Kasse ausrichten, ohne Rücksicht darauf, wo die Leiatungsberechtigten früher die Beiträge gezahlt haben. Den Kantonen würde insbesondere zur Berücksichtigung der besondern Bedürfnisse städtischer und ländlicher Verhältnisse innert bestimmter Grenzen eine Erhöhung oder Herabsetzung der Beiträge und entsprechend auch der Renten gestattet. Wenn auch unsere Bevölkerung stark wandert, so gleichen sich doch die Wanderungen, im ganzen zwischen den Kantonen in natürlicher Weise aus. Kantonen, die zufolge der Zuwanderung stärker belastet würden, hätte der Bund Ausgleichungszuschüsse zu gewähren.

Der einfachen Anlage der ganzen Einrichtung entsprechend wäre auch die Bundesaufsicht eine einfache. Im weitern würde der Bund auf Grund der kantonalen Ausweise den Kantonen die Bundeszuschüsse ausrichten. Es ist ohne weiteres verständlich, dass: der Bund für diese Funktionen keiner neuen Dienststellen bedürfte, sondern diese Aufgaben bestehenden Verwaltungseinrichtungen übertragen könnte.

Wir sind uns darüber völlig klar, dass die entwickelte Lösung keine ideale ist. Dabei werden im besondern der niedrige Betrag der Rente und die Beschränkung der Rentenberechtigung Kritik finden. Was das erstere betrifft, so glauben wir dargetan zu haben, dass wir uns mit unseren Vorschlägen immer noch auf der Höhe dessen halten, was anderwärts durch ähnliche Einrichtungen geboten wird. Im Verhältnis zu der Beitragsleistung, die wir dem Versicherten zumuten, handelt es sich aber um ganz bedeutende Rentenleistungen, wobei vor allem die wertvolle Sicherung von Witwe und Kindern in Berücksichtigung zu ziehen ist. Gewiss können die Renten erhöht werden. Unsere Angaben dürften aber gezeigt haben, dass bei dem umfassenden Risiko, das zu decken ist, schon ein Rentenmehrbetrag von Fr. 100 ganz bedeutende Summen fordert. Was sodann die Einschränkung der Rentenberechtigung betrifft, die wir in der Weise vorsehen, dass Versicherte, welche der Rente im Versicherungsfalle nicht bedürfen, von ihrem Bezüge ausgeschlossen wären, so geben wir gern zu,
dass dagegen grundsätzliche Bedenken geltend gemacht werden können. Wir sind uns bewusst, dass es bis zu einem gewissen Grade den Anschauungen über das Wesen der Versicherung widerspricht, bei -der jedermann bei Eintritt des Ver-

. · - . . '

7 1 7

sieherungsfalles Leistungen erhalten soll, Gewiss wäre es.vorzuziehen, wenn jedermann, der an die in Aussicht genommene Einrichtung Beiträge leistete, auch auf Rente berechtigt wäre.

Dann aber musate ein Betrag von Fr. 28--35 Millionen jährlich mehr aufgebracht werden. Wir haben bereits auf die Notwendigkeit hingewiesen, die Beiträge der Versicherten auf bescheidener Höhe zu halten, soll nicht die ganze Einrichtung als drückend empfunden werden und so schliesslich die beabsichtigte soziale Wohltat in eine Last verkehrt werden. Daher musate der Mehraufwand, der erforderlich ist, um jedermann die volle Rente zu gewähren, auf Versicherte, Arbeitgeber, sowie Bund und Kantone verteilt werden.

Eine Belastung der Versicherten mit nur einem Drittel des erforderlichen Mehrbetrages von 9--12 Millionen Franken würde ihren jährlichen Beitrag auf Fr. 40--47 erhöhen oder auf eine Summe, die vielen von ihnen nicht zugemutet werden darf. Dazu käme dann erst noch die ganz bedeutende Mehrbelastung der Arbeitgeber, and von Bund und Kantonen, gegen welche die grössten Bedenken bestehen. Dem gegenüber bedeutet schon eine relativ unerhebliche Einschränkung der Zahl der Rentenberechtigten bei einer Rentenhöhe von Fr. 400 eine ganz erhebliche Ersparnis, während die Notwendigkeit, diesen Betrag für die .Versicherung aufzubringen, dem Beitragspflichtigen eine ganz erhebliche Mehrbelastung verursacht. Endlich darf nicht vergessen werden, dass jede Sozialversicherung dem sozialen Ausgleich dienen soll. Wollte man daher in einer Volksversicherung alle Versicherten im Versicherungsfalle auf Renten berechtigen'^ so müsste dieser Ausgleich auf andere Weise gesucht werden, sei es durch eine gewisse Abstufung der Leistungen oder der Beiträge an die Versicherung. Beides erschwert aber, wie wir bereite ausgeführt haben, die Verwaltung. Unter diesen Umständen scheint es uns zweckmässiger, diesen Ausgleich in der Form vorzusehen, dass der Wohlhabende in gleichem Masse wie jeder andere an die Versicherung beizutragen habe, dass er aber auf die Rente verzichten soll, wenn er ihrer irn Zeitpunkte des Versicherungsfalles und in der Folge nicht bedarf. Auch vom Standpunkte des wohlhabendem Versicherten aus dürfte es vorzuziehen sein, jährlich einen geringen Beitrag zu leisten, dafür aber nur für den Fall des Bedürfnisses versichert zu sein,
als während der ganzen Zeit der Zugehörigkeit zur Versicherung wesentlich höhere Beiträge zahlen zu müssen, um dafür eine Rente zu erhalten, die in bescheidenen Verhältnissen zwar ihren vollen Wert hat, deren Nutzen aber für wohlhabende Leute ein beschränkter

718 ist. Endlich bedeutet der Ausschluss der wohlhabenderen Kreise aus der Rentenberechtigung eine zugleich einfache und gerechte Form der Heranziehung des Besitzes zur Bestreitung der Versicherungslasten, wie sie vielfach gefordert wird.

Wir fassen nochmals kurz zusammen : Dem, der sich wirtschaftlichen Realitäten nicht verschliesst, dürften unsere Ausführungen gezeigt haben, dass auch eine bescheidene Fürsorge für unsere zahlreichen greisen Personen, unsere Witwen und Waisen einen ganz bedeutenden Aufwand verlangt. Berücksichtigt man im weitern, dass angesichts der Erwerbsverhältnisse unseres Volkes im ganzen nur mit geringen Beiträgen der einzelnen Versicherten gerechnet werden kann, und dass beim heutigen Stand der öffentlichen Finanzen auch die Zuschüsse des Staates in bescheidenen Grenzen gehalten werden müssen, soll nicht der Kredit des Staates und damit die ganze Wirtschaft schwer leiden, so wird man ohne Opfer nicht auskommen. Sie bestehen in der Beschränkung auf das absolut Notwendige an Fürsorgezweigen und .Fürsorgeleistungen, sowie darin, dasa die wohlhabenderen Kreise durch den Verzicht auf die ihren Beitragsleistungen entsprechende Rentenleistung das ihrige zum sozialen Ausgleiche in einem Werke nationaler Solidarität beifügen.

YI1I. Die vorläufige Altersfürsorge.

Die Schwierigkeiten, welche sich der Fertigstellung der Verfassungsvorlage entgegenstellten, führten, zunächst in Kreisen der Schweizerischen Armenpflegerkonferenz, zur Anregung, es möchte, um der baldigen Erzielung einer praktischen Wirkung willen, der Bund in einer Übergangsbestimmung zum neuen Verfassungsartikel ermächtigt werden, nach seiner Annahme bis zum Inkrafttreten eines Versicherungsgesetzes den bedürftigen greisen Schweizern und Schweizerinnen bescheidene unentgeltliche Fürsorgebeiträge zu gewähren. Die Anregung ging davon aus, dass auch ein Altersversicherungsgesetz die wegeo hohen Alters nicht mehr versicherungsfähige Generation mit bescheidenen Fürsorgerenten werde bedenken müssen, so dass es sich gewissermassen bloss um die Vorwegnahme einer gegebenen Massnahme handle.

Sie wurde in einer Eingabe der Studienkommission der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft zur Sozialversicherung vom 8. März 1921 an den Präsidenten der ständerätlichen Kommission für die Verfassungsvorlage in den konkreten Vorschlag gefasst, der Bund solle jährlich den Kantonen den Betrag von Fr. 10 Millionen für den erwähnten Zweck zur Verfügung stellen, wobei dem Bundesrat vorbehalten bliebe, den Verteiler der Summe und

719 die Grundsätze ihrer Verwendung durch die Kantone festzusetzen.

Aus der Begründung des Vorschlages geht hervor, dass er nur für den Fall erfolgte, dass auch die Verwirklichung der Altersversicherung allein sich noch um Jahre verzögern sollte und dass man sich die Durchführung dieser Fürsorge in der Form der Gewährung jährlicher Renten von Fr. 300--400 an die bedürftigen Greise und Greisinnen schweizerischer Nationalität dachte. Die Kommission verhielt sich zunächst im Einverständnis mit uns ablehnend. Unterm 1. Juni 1921 sprach sie sich einstimmig, dahin aus, dass einer übergangsweiaen Altersfürsorge im Sinne des gefallenen Vorschlages die ausdrückliche Einräumung der Priorität der Ausführung an die Altersversicherung im Verfassungsartikel vorzuziehen sei. In der Folge kam die Kommission jedoch in dem Sinne auf ihre frühere Meinungsäusserung zurück, als sie beschloss, dem Bundesrate die Frage einer solchen provisorischen Altersfursorge zu näherem Studium anheimzugeben. Bei aller Würdigung der Notlage, wie sie aus inzwischen angestellten Erhebungen der eidgenössischen Steuerverwaltung über die Zahl der bedürftigen Greise und Greisinnen hervorging, glaubten wir doch in einem Schreiben an die ständerätliche Kommission vom l, September 1922 an der Ablehnung der vorläufigen Altersfürsorge aus prinzipiellen Erwägungen festhalten zu sollen, vor allem weil sie die Einführung der auf der Beitragsleistung der Beteiligten aufgebauten und daher u. a. in der Förderung des Sparsinna ungleich wertvollem Versicherung erheblich erschweren würde, aber auch wegen der Zurückhaltung, welche die Finanzlage des Bundes bei der Verwendung der öffentlichen Gelder auferlegt. In Übereinstimmung mit unserer Meinungsäusserung und der Mehrheit seiner Kommission lehnte der Ständerat darauf in der Dezembersession des Jahres 1922 einen Antrag des Herrn Ständerat Schöpfer ab, wonach der Bund aus der fiskalischen Belastung des Tabaks einen jährlichen Beitrag von Fr. 10 Millionen für die Gewährung von Unterhaltsbeiträgen an die mehr als 70 Jahre alten, bedürftigen, nicht almosengenössigen Schweizer und Schweizerinnen hätte zur Verfügung stellen sollen.

Die Frage der vorläufigen Altersfürsorge wurde dann in der nationalrätlichen Kommission für die Verfassungsvorlage neuerdings aufgegriffen und verschiedene Anträge über die
Gestaltung einer solchen Fürsorge dem Bundcsrate zur Prüfung überwiesen.

In einem Bericht, den wir der nationalrätlichen Kommission am 9. November 1923 über die ganze Versicherungsfrage erstatteten, nahmen wir erneut Anläse, auf die Gefahren hinzuweisen, die eine solche Fürsorge in jeder Form dem Hauptziel der Ver-

720 fassungsrevision, der Verwirklichung der Versicherung, bringen muss. Die Kommission beschloss hierauf nach eingehender Würdigung der Angelegenheit in ihrer Sitzung vom 20. November 1923, die Frage der vorläufigen Altersfürsorge aus den Verhandlungen über die Verfassungsvorlage auszuscheiden, in der Meinung, däss der Bundesrat unabhängig davon einer allfälligen Hilfsaktion fi.lr bedürftige alte Leute bis zur Inkraftsetzung einer Altersversicherung seine Aufmerksamkeit zuwenden solle. Zugleich wurde beschlossen, an die Kommission des Nationalrates für die Arbeitslosenversicherung mit dem Ersuchen zu gelangen, in den Übergangsbestimmungen über diese Versicherung Fürsorgemassnahmen für die gegenwärtig arbeitslosen Arbeiter vorzusehen, die zufolge ihres Alters keine Arbeit mehr finden können.

In der Nationalratssitzung vom 27. März 1924 wurde ein von Herrn Nationalrat Mächler eingereichtes Postulat angenommen, das den Bundesrat einlädt, zu prüfen und darüber Bericht zu erstatten, wie der Bund in Verbindung mit den Kantonen und wohltätigen Gesellschaften bedürftigen und würdigen alten Schweizern und Schweizerinnen helfen könnte.

Gegen die Einführung auch einer bloss übergangsweisen, der Versicherung vorausgehenden Altersfürsorgc in Verbindung mit der Verfassungsvorlage sprechen in der Tat sehr ernsthafte Gründe. Sie ist, wenn auch als provisorische Einrichtung gedacht doch der erste Schritt auf einem Wege, der nicht als der richtige angesehen werden kann. Eine solche Fürsorge, mag man sio anfänglich noch so bescheiden gestalten, würde Begehrlichkeiten wecken. Der weitere Schritt zu ihrem Ausbau wäre nicht weit. Sobald sie aber einmal eine gewissse Bedeutung erlangt hätte, wäre es ausserordentlich schwer, sie durch eine Einrichtung zu ersetzen, die, an das Prinzip der Versicherung sich anlehnend, von den 1 Beteiligten direkte Beiträge verlangt. Das Ende der Entwicklung wäre dann wohl dieses, dass die Schweiz im Besitz einer Altersversorgung wäre, die wegen der Bindung bedeutender öffentlicher Mittel und ihrer eigenartigen Organisation eine zweckmässige Fürsorge für die Hinterlassenen, die nur im Wege der Versicherung oder einer versicherungsahnliehen Einrichtung erfolgen kann, für lange ausschliessen würde.

Um der raschen Erlangung einseitiger Vorteile willen müssten dergestalt letzten Endes ebenso
gewichtige, wenn, nicht noch gewichtigere soziale Interessen Not leiden.

Die provisorische Altersfürsorge sollte nach der ursprünglichen Absicht, wie die Versicherung, auf eine.ausdrückliche Verfassungs-

721

Vorschrift gestützt werden. Bei dem ursprünglich gedachten Umfange konnte ein anderer Weg nicht in Frage kommen. Zu ihrer Ausführung hätte es eines Bundesbeschlusses bedurft. Deshalb hätte sie, unter Berücksichtigung der für die Vorbereitung und die Beratung des Vollziehungserlasses durch die Bundesversammlung erforderlichen Zeit ohnehin nicht vor Ablauf einer gewissen Zeitspanne nach Annahme der Verfassungsrevision durch Volk und Stände ins Werk gesetzt werden können. Nun dürften unsere neuen Vorschläge über die Durchführung und die Organisation der Versicherung geeignet sein, wenn die Verfassungsvorlage angenommen wird, deren Ausführung erheblich zu erleichtern und zu fördern. Sollten sich die eidgenössischen Räte dannzumal der von uns in diesem Berichte skizzierten Lösung anschliessen, so ist auch mit einer raschen Fertigstellung der Gesetzes vorläge durch die Räte zu rechnen. Eine auf ein Bundesgesetz oder auf einem Bundesbeschluss gestützte vorläufige Altersfürsorge durfte deshalb, abgesehen von allen schwerwiegenden Bedenken, die gegen die Beschreitung dieses Weges sprechen, auch keine Beschleunigung wirklicher Hilfe mehr bedeuten.

MUSS demnach, vor allem um nicht der Schaffung einer umfassenden Alters- und Hinterlassenenversicherung zu schaden, von einer iibergangsweisen unentgeltlichen Fürsorge für bedürftige Greise in Verbindung mit der Verfassungsrevision abgesehen werden, so ist doch der Gedanke ernstlicher Erwägung wert, ob nicht solchen -Personen bis zum Inkrafttreten eines Versicherungsgesetzes aus Bundesrnitteln eine bescheidene Hilfe gewährt werden könnte. Es könnte, allenfalls in Verbindung mit den Kantonen, in der Form einer Subventionierung gemeinnütziger Institutionen, wie z. B. der Stiftung für das Alter, geschehen, die dadurch in die Lage versetzt wurden, ihre schon jetzt wertvolle Unterstützungstätigkeit zu verbessern. Eine solche auf die allgemeine Subventionszuständigkeit des Bundes gegründete Massnahme müsste sich natürlich in ganz bescheidenen Grenzen halten, könnte aber dafür baldigst in Wirksamkeit gesetzt werden und in der Zeitspanne von einigen Jahren, welche auch im günstigsten Falle bis zum Inkrafttreten der Alters- und Hinterlassenenversicherung noch verfliessen wird, doch sehr wohltätig wirken. In diesem Sinne werden wir den dem Postulate des Herrn Mächler zugrunde liegenden Gedanken in nächster Zeit in Verbindung mit den Kantonen auf seine Realisierung prüfen.

722

IX. Die Finanzierung..des Projektes.

Will man die Opfer berechnen, die Bund und Kantone für die Versicherung zu bringen haben, so muss man natürlich von einem positiven Vorschlage ausgehen. Wir haben vorstehend ein Projekt entwickelt, das uns realisierbar erscheint und das, unter Vorbehalt aller Freiheit in der Ausgestaltung, unseres Erachtens geeignet sein dürfte, die Grundlage für das Ausführungsgesetz, zu bieten. Der Verfassuogsartikel läset natürlich auch andere Lösungen zu und legt den Gesetzgeber nicht von vornherein in der angedeuteten Richtlinie fest. Unsere Ausführungen dürften immerhin bewiesen haben, dass es möglich ist, bei weiser Beschränkung eine Alters- und Hinterbliebenenversicherung ins Leben zu rufen, weun die Kantone und Gemeinden die Verwaltung der kantonalen Kassen, namentlich den Einzug der Beiträge und die Ausrichtung der Renten, übernehmen, wenn sie die uneinbringlichen Beiträge decken und wenn endlich Bund und Kantone Zuschüsse leisten, die mit 28 bis 35 Millionen jährlich zu veranschlagen sind. Ohne einer Verteilung dieser Aufwendungen zwischen Bund und Kantone vorzugreifen, wollen wir, um ja nicht zu optimistisch zu sein, davon ausgehen, dass der Bund ein jährliches Opfer von etwa 22 bis 25 Millionen zu bringen hätte, wogegen das der Kantone und Gemeinden im ganzen auf 6 bis 10 Millionen zu veranschlagen wäre.

Wie sollen die nötigen Mittel des Bundes aufgebracht werden?

Wir haben seinerzeit in der Botschaft vom 21. Juni 1919 gleichzeitig mit dem Versicherungartikel und verbunden mit diesem, Vei'fassungsbestimmungen über die Finanzierung vorgelegt. Von diesen Vorschlägen ist die Biersteuer von den Räten abgelehnt worden. Was die Besteuerung des Tabaks betrifft, die ferner in Art. 41"!1- vorgesehen war, so haben wir uns seither mit Ihrer Zustimmung entschlossen, sie auf dem Wege der Zölle durchzuführen. Ein Verfassungsartikel ist also nicht notwendig, und ein bezügliches Gesetz kann auf Grund der Art. 28 und 29 BV erlasseu werden. Wir glauben also auf eine besondere Verfassungsbestimmung über die Tabakbesteuerung verachten zu können.

Der Art. 41iuator, der von der Erhebung von Nachlass-, Erbschafts- und Schenkungssteuern handelt, hat verschiedene Entwicklungen durchgemacht. Er begegnete sowohl in seiner ursprünglichen Fassung, nach welcher die Gesetzgebung über diese
Steuern Bundessache werden sollte, als in seiner heutigen amendierten Form, wonach die Kantone als Kontingent zur Deckung der dem Bunde zulallenden Kosten der Versicherung eine Abgabe

723 auf Erbschaften und Vermächtnissen beziehen, grossen Schwierigkeiten. Heute ist man allgemein der Ansicht, dass die Erbschaftssteuern in jeder Form restlos von den Kantonen beansprucht werden und dass angesichts der Haltung der öffentlichen Meinung die Einführung von Erbschaftssteuern zugunsten des Bundes in irgendeiner Form keine Aussicht auf Annahme hätte. Man mag diese Tatsache bedauern, aber man muss damit rechnen. Würde man mit dem Versicherungsartikel eine Bestimmung, wie die soeben erwähnte, in Verbindung bringen, so wäre das gesamte Projekt verloren. Es ist daher ein Gebot der Notwendigkeit, auf die Bestimmungen von Art. 4 H118'«, d. h. auf den Bezug von Erbschafts- oder Nachlassteuern für die Bundeskasse zurzeit zu verzichten.

Die Bestimmung von Art. 42, Abs. 2, des Projektes, die die Einnahmen des Bundes aus der fiskalischen Belastung von Genussmittoln mit Ausnahme der Grenzzölle, ferner aus den Nachlass-, Erbschafts- und Schenkungssteuern für die Sozialversicherung binden sollte, wurde bereits vom Nationalrate abgelehnt und im Ständerate nicht wieder aufgegriffen. Darauf zurückzukommen wäre nutzlos.

So stehen wir heute vor der Tatsache, dass die Finanzierungsartikel der Vorlage teils gegenstandslos sind, teils fallen gelassen werden müssen. Wir entschliessen uns nicht leichten Herzens, diese Notwendigkeit zu registrieren und auf die erwähnten Projekte zu verzichten. Wir tun es aber ganz besonders auch im Interesse der Annahme der Verfassungsbestimmung über die Versicherung, die wir Ihnen heute in etwas veränderter Form vorlegen.

Die Einnahmen und Ausgaben der Eidgenossenschaft haben sich im letzten Jahre dem Gleichgewicht genähert. Immerhin wird auch, die Staatsrechnung für 1924 noch mit einem erheblichen Fehlbetrag abschliessen und ob es möglich ist, in Voranschlag und Rechnung für 1925 einen Ausgabenüberschuss zu vermeiden, lässt sich mit Sicherheit noch nicht voraussagen. So viel ist unbestreitbar, dass der Bund für die Deckung seiner Ausgaben ohne Versicherung keiner seiner bisherigen Einnahmequellen ëntraten kann, und dass es ihm daher auch nicht möglich ist, ohne die Erschliessung neuer Finanzquellen grosse und dauernde Belastungen seiner Finanzen vorzunehmen. Gerade ein Werk wie das einer Alters- und Hinterhliebenenversichernng muss gesichert und vor Zufälligkeiten bewahrt sein und mit den nötigen Zuschüssen aus festen Einnahmen rechnen können. Es

724 geht nicht an, die nötigen Mittel auf dem Wege des Kredites zu beschaffen und Sozialpolitik mit geliehenem Gelde zu betreiben.

Anderseits darf erwähnt werden, dass die Versicherungsvorlage in. ihrer nunmehrigen beschränkten Form bedeutend weniger Opfer erheischt als das frühere Projekt, so dass die Finanzierung sich erheblich leichter gestalten dürfte.

In unserer Botschaft vom 21. Juni 1919 haben wir zur Deckung der Ausgaben Konsumsteuern und eine Belastung des Vermögens (Erbsehaftssteuer) in Vorschlag gebracht. Nachdem die letztere als nicht realisierbar betrachtet werden.muss, erscheint es nicht mehr möglich, diesem Gedanken der Zweiteilung in der Aufbringung der Mittel Rechnung zu tragen. Die Kantone beanspruchen das Gebiet der Steuern auf Vermögen und Erwerb vor allem für sich, und es wäre nicht ersichtlich, wie neben die Kriegssteuev, die bis etwa 1934 bezogen werden muss, noch eine weitere Steuer des Bundes gesetzt werden könnte.

Die gegebene Lösung scheint uns in der Erweiterung der Besteuerung der gebrannten Wasser zu liegen. Diese ist geeignet, sehr erhebliehe Einnahmen abzuwerfen, die teilweise den Kantonen überlassen .werden könnten, wie dies auch in der verworfenen Vorlage vorgesehen war. Die Einnahmen würden, nach den Berechnungen des Finanzdepartementes, ausreichen, um die Opfer des Bundes für die Alters- und Hinterbliebenenversicherung zu decken und den Kantonen noch Beträge zukommen zu lassen, die sie in den Stand setzen würden, ihre Finanzen zu verbessern und die aus der Versicherung sich ergebende Belastung auf sich zu nehmen. Es sind aber namentlich auch die Rücksichten auf die schwierige Lage der Alkoholverwaltung, die angesichts der veränderten Verhältnisse mit dem heutigen System nicht mehr auskommt, welche eine Neuordnung der Besteuerung der gebrannten Wasser dringend fordern. Wir gedenken, Ihnen in kurzer Zeit den Entwurf eines bezüglichen Verfassungsartikels zugehen zu lassen.

Möchten wir also die Vorlage der Alkoholbesteuerung beschleunigen und erblicken wir in ihr eine Finanzquelle, die geeignet und genügend ist, um die Opfer des Bundes für die Versicherung zu decken, so glauben wir jedoch davon absehen zu sollen, diesen neuen Vorschlag mit dem Artikel über die Versicherung zu einer Vorlage zu verschmelzen, die dem Volke in einer Fragenstellung vorgelegt würde, Die bisherigen Erfahrungen haben gezeigt, wie schwer es ist, verschiedene Materien in einer Partialrevisionsvorlage zu. ver-

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binden. Den Vorteilen, die eine solche Kombination bieten kann, steht die Gefahr der Kumulierung der Widerstände und der Übertragung derselben von der einen Materie auf die andere gegenüber. Deshalb schon scheint es angemessen, das Volk über Versicherung und Alkoholbesteuerung getrennt entscheiden zu lassen.

Dazu kommt, dass os zu Bedenken Anlass gäbe, dem Versicherungsprojekt nachträglich ganz andere neue Finanzierungsvorschlage anzuhängen und die immer lebhaft diskutierte Verkuppelung mit ihnen vorzusehen. Endlich würde durch einen solchen Vorschlag die Verabschiedung des Versicherungsartikels neuerdings verzögert, während dessen rasche Erledigung insbesondere im Hinblick auf die noch anhängige Volksinitiative sehr wünschenswert ist, .

Gelangen wir demnach dazu, die beiden Verfassungsartikel in Beziehung auf ihre Behandlung vor den Räten und vor dem Volk zu trennen, so muss trotzdem ein gewisser Zusammenhang aufrecht erhalten werden. Im Vorsicherungsartikel sollte zum Ausdruck gebracht werden, dass die Einführung der Altera- und Hinterbliebenenversicherung erfolgen solle, sobald die finanziellen Verhältnisse des Bundes es gestatten. Jede unbegründete Verzögerung ist also zu vermeiden, anderseits soll darin auch der Hinweis liegen, dass die Finanzierung des Werkes rasch zu erfolgen hat. In dieser Beziehung möchten wir noch einen weiteren Schritt tun. Es soll in der Verfassungsvorlage jetzt schon festgelegt werden, dass das Produkt der erweiterten Besteuerung der gebrannten Wasser für die Deckung der Auslagen des Bundes für die Alters- und Hinterbliebenenversicherung reserviert werden soll. Mag vielleicht eine solche Bestimmung, welche die Verwendung einer noch nicht verfassungsmässig begründeten neuen Einnahme bindet, der Kritik rufen, so halten wir sie doch für zulässig und angebracht. Sie soll den Willen, die Versicherungsprojekte zu verwirklichen, in konkrete Formen kleiden und ihn so besonders entschieden zum Ausdruck bringen. Der weitere Schritt, bestehend in der Annahme eines neuen Verfassungsartikels über die Besteuerung der gebrannten Wasser, bleibt dann allerdings noch zu tun, und man soll sich darüber klar sein, dass die Zustimmung zum Versicherungsartikel nicht genügt, sondern dass der Wille zur Verwirklichung der Versicherung noch in der Schaffung der Einnahmenquelle zum Ausdruck
kommen muss.

Nach diesen Ausführungen fallen also die Finanzierungsbestimmungen der frühereu Vorlage, Art. 41ter, Art. 41iuater und Art. 42, Abs. 2 dahin. Art. 34tcï aber erhält den Zusatz, von dem wir soeben gesprochen haben.

726

X. Die Redaktion des Verfassungsartikels über die Versicherung.

Die seinerzeit eingebrachte Vorlage hat bereits die Behandlung des Nationalrates und des Ständerates passiert. Es bestehen jedoch erhebliche Differenzen, so dass es unseres Erachtena heute noch möglich ist, auf der ganzen Linie die Änderungen anzubringen, die den Verhältnissen entsprechen und die nach unseren bisherigen Ausführungen wünschenswert sind. Wir gehen in der folgenden Besprechung von den letzten Beschlüssen des Ständerates aus, die nachstehend auch abgedruckt sind.

Art. 34quater. Der Ingress ist nunmehr unseren Ausführungen gemäss anders zu fassen und soll lauten : Bundesbeschluss betreffend die Ergänzung der Bundesverfassung vom 29. Mai 1874 in bezug auf das Gesetzgebungsrecht des Bundes über die Altersund Hinterlassenenversicherung.

Im 1.Absatz wäre die Invalidenversicherung aus den Gründen, die wir oben entwickelten, zu streichen.

A b s a t z 2 bliebe unverändert. Diese Bestimmung erlaubt es, ein allgemeines Obligatorium oder bloss ein solches für einzelne Bevölkerungsklassen einzuführen. Diese Vorschrift wurde von beiden Räten genehmigt und bietet eine gewisse Elastizität. Wir möchten nicht beantragen, die Frage des allgemeinen Volksobligatoriums, wenn wir ein solches auch für wünschenswert halten, im Verfassungsartikel als einzige Lösung vorzusehen.

In A b s a t z 3 hat der Ständerat die Vorschrift aufgenommen, dass zuerst die Altersversicherung einzurichten sei und nachher die beiden andern Versicherungszweige gleichzeitig oder nacheinander. Mit Rücksicht auf die vorgeschlagenen Änderungen, den Wegfall der Invaliditätsversicherung und die Verbindung der Alters- und Hinterlassenenversicherung ist diese Bestimmung zu streichen.

A b s ä t z e . Diese Bestimmung lautet : ,,Die Durchführung (der Alters- und Hinterbliebenenversicherung) erfolgt unter Mitwirkung der Kantone ; es können öffentliche und private Versicherungskassen beigezogen werdend Diese Vorschrift ist von beiden Räten angenommen und wir möchten daher eine Änderung nicht beantragen. Immerhin darf gesagt werden, dass nach unserer Ansicht die Rolle der Kantone eine wichtigere und stärker hervortretende sein dürfte als vielleicht ursprünglich angenommen wurde. So werden unter Umständen direkt Kantone Kassen schaffen müssen.

Anderseits dürfte die Mitwirkung privater Kassen problematisch

727 sein. Die vorliegende Bestimmung erlaubt indessen auch die Lösung, die wir im Auge haben und wir möchten deshalb zur Vermeidung aller Komplikationen nicht darauf zurückkommen.

Sollten die Räte eine. dem nunmehrigen Projekte augepasste, etwas veränderte Fassung wünschen, die speziell die Stellung der Kantone näher umschreiben würde, so würden wir hiegegen keine Einwendungen erheben.

A b s a t z 5 des ständerätlichen Beschlusses handelt von den aufzubringenden Mitteln. Hier möchten wir verschiedene Änderungen vorschlagen. Zunächst möchten wir an der Bestimmung, wonach die finanziellen Leistungen des Bundes und der Kantone im Verhältnis zum Gesamtbedarf limitiert werden, grundsätzlich festhalten. Um jedoch Strömungen, die auch in der nationalrätlichen Kommission zutage getreten sind, Rechnung zu tragen und die Freiheit der Gesetzgebung nicht ^mehr als notwendig einzuschränken, würden wir uns damit begnügen, dass die finanziellen Leistungen des Bundes und der Kantone im Maximura auf die Hälfte des Gesamtbedarfes statt eines Drittels beschränkt werden; Das soll natürlich nicht heissen, dass der Bund die Hälfte des Gesaintbedarfes übernehmen müsse, wohl aber, dass mindestens die Hälfte durch Beiträge der Beteiligten, und darunter speziell der Versicherten, aufzubringen sei. Deshalb schlagen wir als nunmehrigen Absatz 4 den folgenden Wortlaut vor: ,,Die finanziellen Leistungen des Bundes und der Kantone dürfen sich zusammen auf nicht mehr als die Hälfte des Gesamtbedarfes der Versicherung belaufen."

In einer neuen Bestimmung, nunmehr als Absatz 5, möchten wir festlegen, dass die beiden Versicherungszweige gleichzeitig und sobald die finanziellen Mittel des Bundes es gestatten, einzuführen seien. Die Gründe, die uns bewegen, die gleichzeitige Einführung vorzusehen, haben wir entwickelt. Der Zusatz, dass die Einführung geschehen soll sobald die finanziellen Mittel es gestatten, soll unsera Willen zum Ausdruck bringen, die Erledigung der Angelegenheit zu fördern, anderseits aber . auch für die nötige Finanzierung zu sorgen, Schliesslich folgt noch die oben entwickelte Bestimmung über die Reservierung .der Einnahmen aus einer erweiterten Besteuerung der gebrannten Wasser, die ausschliesslieh für die Zwecke der Alters- und Hinterbliebenenversicherung zu verwenden sind.

Aus diesen Änderungen ergibt eich der nachstehend abgedruckte neue Text von Art. 34i«'»6r_ ^lle andern Bestimmungen, speziell die über die Finanzierung, würden also dahinfallen.

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XI. Schliissbemerkungen.

Unsere nunmehrigen Vorschläge haben, wie zu erwarten, lebhafter Kritik gerufen, die indessen zum guten Teil ungerechtfertigt ist. Es muss unterschieden werden zwischen den Neuerungen, welche am früheren Vorschlage angebracht worden sind und welche im neuen Projekt ihren Ausdruck finden, und denjenigen, die wir als Möglichkeit der Ausführung erwähnt haben.

In die erste Gruppe gehört vor allem aus die Weglassung der lavaliditätsversicherung. Wir haben diesen Vorschlag eingehend begründet, und sind der Überzeugung, dass durch Einschränkung des Projektes die Möglichkeit der Verwirklichung sich steigert und dass eine ganze Reihe von Widerständen ideeller und praktischer Art fallen, wenn der Verfassungsartikel sich für einmal auf die Alters- und Hinterbliebenenversicherung beschränkt.

Wir wollen nicht auf Einzelheiten zurückkommen, sondern nur · erwähnen, dass der Vorwurf des Missbrauchs und der Simulation, der von den Gegnern der Sozialversicherung dieser mit Vorliebe gemacht wird, in Beziehung auf die Alters- und HinterbliebenenVersicherung der Natur der Dinge nach nicht erhoben werden kann, und dass die Weglassung der Invaliditätsversicherung die Möglichkeit einer sicherea Berechnung der notwendigen Opfer steigert und diese bedeutend beschränkt. Auch die Alters- und Hinterbliebenenversicherung ist noch ein grosses Werk. Gewiss wäre es auch für uns eine grössere Genugtuung gewesen, die Invaliditätsversicherung damit zu verbinden. Allein wir sind der Überzeugung, dass wir dem Prinzip der Sozialversicherung durch die Beschränkung den besten Dienst erweisen. Die Invaliditätsversicherung erfordert auch eine andere Organisation und könnte in dem einfachen Verwaltungsrahmen, in den die Alters- und Hinterbliebenenversicherung eingefugt werden kann, keinen Platz finden. Wir sind der Meinung, es sei besser, einer Alters- und .Hinterbliebenenversicherung die Wege zu ebnen, als das ganze Projekt der Alters-, Invaliditäts- und Hinterbliebenenversicherung auf Jahre hinaus zu begraben.

Die zweite Neuerung, die der nunmehrige Vorschlag bringt, ist die Weglassung der Finanzierung. Gewiss wäre es auch hier wünschenswert gewesen, gleichzeitig mit dem Prinzip der Sozialversicherung durch einen Verfassungsartikel eine ergiebige, aussichtsreiche und vom Volke gebilligte Finanzquelle eröffnen
zu können. Allein wir erinnern daran, dass die Idee der Verbindung der Finanzierungsbestimmungen mit denjenigen der Versicherung gerade auch von vielen Freunden der Sozialversicherung kritisiert

729

worden ist. Wer aber einen Blick wirft auf die Geschichte unserer Volksabstimmungen und deren Verlauf seit Jahrzehnten beobachtet hat, wird nicht leugnen können, dass solche Verbindungen Bedenken rufen und vielfach geeignet sind, allen Neuerungen zu schaden, indem der eine das, der andere jenes um keinen Preis will und sie sich so in einer Verwerfungsparole begegnen. Die Frage der Erweiterung einer Alkoholbesteuerung ist an und für eich ein schwieriges Problem, das unseres Erachtens der Volksabstimmung besser besonders unterbreitet wird.

Als dritten Punkt möchten wir noch erwähnen die Beschränkung der öffentlichen Leistungen auf die Hälfte des Gesamtbedarfes. Diese Vorschrift ist begründet. Wer sie verwirft, will keine Versicherung mehr, sondern bloss eine einseitige Fürsorge der Öffentlichkeit.

So sind also die Neuerungen, die im Verfassungsartikel ihren Ausdruck finden, wohl begründet, und der Ausfluss der bitteren Notwendigkeit. Diejenigen, die die Invaliditätsversicherung verfassungsmässig festlegen möchten, haben die Möglichkeit, dies in gesonderter Abstimmung anzustreben, wenn einmal die Verhältnisse es erlauben und die Volksmeinung es billigt.

Was die zweite Gruppe unserer Vorschläge anbetrifft, so sind diese im Rahmen der Verfassungsbestimmung möglich. Neben ihnen haben aber, innerhalb des Verfassungsartikels, andere Lösungen Platz, Wer also bessere, praktischere und zugleich realisierbare Vorschläge zu machen in der Lage ist, hat Gelegenheit, seinen Erßndungsgeist spielen zu lassen und die Ergebnisse seiner Arbeit Parlament und Volk zu unterbreiten. Wir haben gefunden, es sei- unsere Pflicht zu zeigen, dass und wie, organisatorisch und bezüglich der Versicherungsleistungen und der Aufbringung der Mittel, das Problem gelöst werden könne. Wir erheben nicht den Anspruch, das einzig Mögliche und einzig Richtige gefunden zu haben. Wir begrüssen eine fruchtbare Kritik, die besseres bietet, und die Wege zu dessen Erreichung weist. Wir lassen uns anderseits nicht durch die blosse Verneinung beeinflussen und halten dafür, dass unsere Vorschlage eine diskutierbare Grundlage bieten.

Was zunächst das Organisatorische betrifft, so hatten wir eine Form zu suchen, die die Verwaltungskosten möglichst beschränkt und die tunlichst billig arbeitet. Gerade diese Aufgabe wurde durch die Ausschaltung der
Invaliditätsversicherung erleichtert. Wir haben alles erwogen, die privaten und die öffentlichrechtlichen Lösungen, solche auf dem Boden einer Bundesanstalt, Bundesblatt. 76. Jahrg. Bd. ti.

52

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wie die anderen, bei denen der Schwerpunkt in die Kantone verlegt wird. Wir glauben, dass die materielle Lösung bundesrechtlich zu erfolgen habe. Wir meinen also, dass einheitliche Vorschriften, immerhin vielleicht unter Vorbehalt. gewisser Kompetenzen.an die Kantone, die Grundlage des Werkes bilden sollen.

Die Verwaltung aber werden die Kantone zu übernehmen haben.

Der Bund kann zu diesem Zwecke nicht einen eigenen Organismus schaffen, der viel zu teuer zu stehen käme. Die Kantone aber können ihre Verwaltung mit der der Gemeinden in den .Dienst des Werkes stellen. In Beziehung auf die Einzelheiten der Ausführung bleibt auch nach unserer Ansieht alles offen, und wir nehmen insbesondere auch hier die guten Ratschläge von jedermann an, der solche vorzulegen haben wird.

: Es bleibt die Frage der Versicherungsleistungen und in Verbindung damit die der Zuschüsse der Öffentlichkeit. Wir haben oben dargelegt, welches die Kosten des ganzen Werkes bei Annahme einer Rente von 100 Franken sein wurden. Diese Ziffer kann jedermann, der Lösungen sucht, mit der ihm beliebigen Zahl multiplizieren und er wird so den Gesamtbedarf für sein Projekt finden. Solche Vorschläge werden dann mit den nötigen finanziellen Mitteln auszustatten sein. Als solche kommen einzig in Betracht Beiträge der Versicherten bis auf einen gewissen Betrag, solche der Arbeitgeber und die Zuschüsse der Öffentlichkeit. Alle diese finanziellen Faktoren können nur in einem gewissen Ausmasse dem Projekte dienstbar gemacht werden. Der Verfassuogsartikel legt die Höhe der Versicherungsleistungen nicht fest.

Allein die Mittel für die Deckung müssen gefunden .werden, Die Beiträge haben wir absichtlich tief gehalten. Man kann der Meinung sein, dass sie in bescheidener Weise erhöht werden durften. Wir möchten uns darüber ein abschliessendes Urteil nicht erlauben, immerhin aber zur Vorsicht mahnen. Das gleiche gilt für die Beiträge der Arbeitgeber. . Diese werden nicht so leicht durchgesetzt werden können. Je bescheidener man sie bemisst, um so grösser ist die Aussicht, auch hier eine Quelle zur Speisung der Versicherung zu erschlossen. Wer zu weit geht, schadet dem Grundsatz und riskiert dazu beizutragen, die ganze Idee zu beerdigen. Die Zuschüsse der Öffentlichkeit richten sich nach den Mitteln, über die der Staat, Bund, Kantone und Gemeinden
verfügen.- Alle diese Gemeinwesen machen, soweit sie sich nicht noch in der Krisis befinden, einen Gesundungsprozess durch, der noch nicht abgeschlossen ist* Ihnen zu viel zumuten, heisst die Dinge verunmöglichen, und besonders muss es eigentümlich berühren, wenn die, welche die naheliegendsten und sichersten

731

Einnahmequellen stets in ihrem Bestände bedrohen, anderseits nicht mehr darnach fragen, woher die Mittel kommen, wenn es sich um die Zuschüsse der Öffentlichkeit an die Versicherung handelt.

Für die Aufbringung der Mittel in ihrer Gesamtheit aber ist schliesslich massgebend die Tragfähigkeit der Wirtschaft. Hier stehen wir aber vor grundlegend andern Verhältnissen als noch vor wenigen Jahren. Eine Krise schwerster Art hat die Grundlagen unserer Wirtschaft erschüttert. Macht sich auch in der letzten Zeit eine gewisse Besserung geltend, so ist es doch noch ungewiss, ob die Entwicklung weiter aufwärts führt oder ob neue Rückschläge eintreten. Es wäre daher eine Unklugheit, und es würde sich in seinen Folgen gegen diejenigen richten, die es in Verkennung der Lage verlangen, wenn die Belastung zu hoch ausfiele. Entweder würde das zu stark beladene Schiff sinken und die Versicherung nicht realisiert werden können oder aber die Rückschläge zu starker Belastungen würden unser ganzes Wirtschaftsleben schädigen und so auch diejenigen, die speziell von der Sozialversicherung profitieren sollen, in ihren Erwerbsverhältnissen treffen. Die Sozialpolitik kann nicht aus vollen und unerschöpflichen Töpfen schöpfen. Sie muss ihre Kraft aus dem täglichen Ertrage des Wirtschaftslebens ziehen und sich daher nach dem Stande desselben richten, wenn sie nicht toter Buchstabe bleiben oder wenn sich ihr Segen nicht in Schaden verwandeln soll.

Wir möchten heute über die Rentenziffer von 400 Franken kein abschliessendes urteil fällen, aber soviel sei gesagt, dass bei deren Annahme bereits eine Summe von über 100 Millionen erforderlich ist und dass, wenn der wohlhabendste Viertel der Bevölkerung wohl Beiträge bezahlt, aber keine Renten bezieht, die übrigen drei Viertel von einem Gesamtbedarf der Versicherung von 75 bis- 80 Millionen im Jahr nicht einmal den Drittel, somit weniger als. 25 Millionen aufbringen müssten. Die anderen 50 Millionen flössen aus den Beiträgen des wohlhabendsten Viertels, denen der. Arbeitgeber und aus den Zuschüssen der Öffentlichkeit. Wir geben zu bedenken, ob es im Interesse der Verfolgung einer Sozialpolitik liege, eine jährliche Zuwendung von über 50 Millionen, die so den Kreisen der Bevölkerung gemacht wird, die, ohne bedürftig zu sein, immerhin eine Versicherung als Wohltat empfinden, als nichts
zu bezeichnen.

Es wird leicht sein, durch übertriebene Forderungen den Widerstand gewisser Bevölkerungskreise gegen eine bescheidene Lösung -zu mobilisieren, und es steht ausser Zweifel, dass dann auch die, die nur bezahlen sollen und keine Aussicht auf Lei-

732 stiiDgen haben, sich gerne der Verwerfungsparole anschliessen.

Ob dann aber etwas Besseres und Positives erreichbar ist, ist eine andere Frage. Wir möchten es nicht nur bezweifeln, sondern direkt verneinen.

Alle diese Diskussionen werden seinerzeit, wenn an die Ausführung des Gesetzes geschritten wird, auszufechten sein.

Heute können sich alle die, welche die Sozialversicherung ernstlich und redlich wollen, die auf der einen Seite bereit sind, Opfer zu bringen und auf der anderen Seite sich mit dem Möglichen zu begnügen, auf dem Boden des Verfassungsartikels finden. Geschähe dies nicht, dann werden daraus für die Sozialversicherung Folgen entstehen, für die wir die Verantwortlichkeit ablehnen. Andere mögen dem Volke grosse, unerreichbare Projekte vorspiegeln. Unsere Aufgabe ist es nicht, von ferne ein gelobtes, nie erreichbares Land zu zeigen, sondern entschiedenen, wenn auch bedächtigen Schrittes vorwärts zu schreiten, das Mögliche KU bieten und es zu empfehlen, zumal dann, wenn seine Verbesserung und Entwicklung ohne Schwierigkeiten eintreten kann, sobald die Rücksichten auf private und staatliche Wirtschaft es erlauben.

Das sind die Gründe, aus denen wir Ihnen empfehlen, die Prüfung des Projektes auf der Grundlage unserer Vorschlage vorzunehmen und diese zum Beschluss zu erheben.

B e r n , den 23. Juli 1924.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Chuard.

Der Bundeskanzler: Steiger.

733 (Entwurf.)

Bundesbeschluss

t

betreffend

die Ergänzung der Bundesverfassung vom 29. Mai 1874 in bezug auf das Gesetzgebungsrecht des Bundes über die Alters- und Hinterlassenenversicherung.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht einer Botschaft des Bandesrates vom 21, Juni 1919, einer Ergänzungsbotschaft des Bundesrates vom 14. Juni 1920, sowie eines Nachtragsberichtes des Bundesrates vom 23. Juli 1924, beschliesst: I. Die Bundesverfassung vom 29. Mai 1874 erhält folgenden Zusatz : Art. 3434quater. Der Bund wird auf dem Wege der Gesetzgebung die Alters- und Hinterlassenenversicherung einführen.

Er kann sie allgemein oder für einzelne Bevölkerungsklassen obligatorisch erklären.

Die Durchführung erfolgt unter Mitwirkung der Kantone; es können öffentliche und private Versicherungskassen beigezogen werden.

Die finanziellen Leistungen des Bundes und der Kantone dürfen sich zusammen auf nicht mehr als die Hälfte des Gesamtbedarfes der Versicherung belaufen.

Die beiden Versicherungszweige sind gleichzeitig, und sobald es die finanziellen Mittel des Bundes gestatten, einzuführen. Die Einnahmen des Bundes aus einer erweiterten Besteuerung der gebrannten Wasser sind ausschliesslich für die Zwecke der Altersund Hinterlassenenversicherung zu verwenden.

II. Dieser Zusatz ist der Abstimmung des Volkes und der Stände zu unterbreiten.

III. Der Bundesrat ist mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

734 Anhang I.

Beschluss des Ständerates vom 8. Dezember 1922.

Bundesbeschluss botreffend die Ergänzung der Bundesverfassung vom 29. Mai 1874 in bezug auf das Gesetzgebungsrecht des Bundes über die Alters-, die Invaliden- und die Hinterlassenenversicherung. sowie in bezug auf die Schaffung von Bundeseinnahmen für die Durchführung der Sozialversicherung.

Die Bundesversammlung derschweizerischenEidgenossenschaft, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 21. Juni 1919,

beschliesst: I. Die Bundesverfassung vom 29. Mai 1874 erhält folgende Zusätze : , Art. 34quater. Der Bund wird auf dem Wege der Gesetzgebung die Alters-, Invaliden- unHinterlassenenversicherungng einführen.

Er kann sie allgemein oder für einzelne Bevölkerungsklassen obligatorisch erklären.

Zuerst ist die Altersversicherung einzurichten. Nachher sind die beiden andern Versicherungszweige gleichzeitig oder nacheinander einzuführen.

Die Durchführung erfolgt unter Mitwirkung der Kantone ; es können öffentliche und private Versicherungskassen beigezogen werden.

Die Mittel sind aufzubringen : a. von den Versicherten; das Gesetz bestimmt über die Beitragspflicht der Unternehmer ; b. durch Beitrage des Bundes und, unter Mitwirkung der Gemeinden, durch Beiträge der Kantone, zusammen bis zur Höhe eines Drittels des Gesamtbedarfes für die obligatorische Versicherung. Die Kantone setzen die Beteiligung der Gemeinden an den Beiträgen der Kantone fest.

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·, Art. 41'". Der Bund ist befugt, den rohen und den verarbeiteten Tabak zu besteuern.

Die Einnahmen des Bundes aus der Belastung des Tabaks sind vom 1. Januar 1925 an vor allem zur Deckung der dem Bunde zufallenden Kosten der Sozialversicherung zu verwenden.

Ein allfälliger Überschuss ist für andere soziale Zwecke bestimmt, Art. 41iMter. Die Kantone erheben auf den Zeitpunkt der Einführung der Invaliden- oder der HinterlassenenVersicherung als Kontingent zur Deckung der dem Bunde zufallenden Kosten der Sozialversicherung eine Abgabe auf Vermögen, dag dem Erbgang unterliegt, und von Schenkungen unter Lebenden.

Die Ansätze und die Einschätzung für diese Abgabe werden einheitlich durch die Bundesgesetzgebung geregelt.

Die jährlichen Kontingente sollen zusammen ungefähr 3 °/o des Gesamtbetrages der dem Erbgang unterliegenden Vermögen und der Schenkungen ausmachen.

Kleine Vermögen, die dem Erbgang unterliegen, und kleine Schenkungen sind von der Abgabe freizulassen.

II. Diese Zusätze sind der Abstimmung des Volkes und der Stände zu unterbreiten.

III. Der Bundesrat ist mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

.

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736 Anhang II.

Direktorenkonferenz der schweizerischen LebensVersicherungsgesellschaften.

~ Z ü r i c h , den 30. Mai 1924.

An das

Bundesamt für Sozialversicherung, Bern.

Betrifft Alters- und Hinterlassenenversicherung.

Sehr geehrter Herr Direktor!

Am 13. Oktober 1923 haben Sie uns ersucht, die Frage zu beantworten, ob und unter welchen Voraussetzungen für die schweizerischen Lebensversicherungsgesellschaften eine Übernahme der öffentlichen Alters- und Hinterlassenenversicherung in Frage kommen könnte.

Als Grundlage für die Prüfung der Frage standen uns zur Verfügung die Protokolle: 1. der K o n f e r e n z vom 4. J u l i 1923, zu der das eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement die Vertreter der hauptsächlichsten schweizerischen Unternehmungen auf dem Gebiete der Lebens- und Rentenversicherung eingeladen hatte ; 2. der K o m m i s s i o n , bestehend aus den Herren Direktor Dr. Giorgio, Direktor Dr. Schaertlin, Direktor Dr. Renfer, Professor Dr. Dumas, Direktor Dr. Zollinger, Direktor E.

Jestor und Professor Dr. Bohren, und ferner 3. der B e r i c h t des B u n d e s r a t e s über den Stand und die weitere Entwicklung der gesetzgeberischen Arbeiten für die Einführung der Alters-, Invaliden- und Hinterlassenenversicherung vom 9. November 1923.

Die Direktorenkonferenz setzte zum Studium der Angelegenheit eine Kommission ein, bestehend aus den Herren Direktor Dr. Renfer als Präsidenten, Professor Dr. Dumas, Dr. Hans Müller, Direktor Dr. Schaertlin und Direktor Dr. Zollinger, und befassté sich mit deren Anträgen in ihrer Sitzung vom 23. Mai 1924.

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Der Berichterstattung über ihre Erwägungen und Beschlüsse vorgängig, entsprechen wir dem Wunsche mehrerer Mitglieder, welche darauf halten, festzustellen, dass nach ihrer Auffassung die beste Lösung durch das Umlageverfahren gegeben würde.

Dabei wäre eine Mitwirkung der privaten Anstalten nicht in Aussicht zu nehmen. Die Gründe, die im genannten Bericht vom 9. November 1923 gegen das Umlageverfahren geltend gemacht werden, scheinen ihnen nicht schlüssig. Da die Direktorenkonferenz aber damit nicht befasst, sondern vor eine bestimmte Frage gestellt wird, welche das Umlageverfahren der Natur der Sache nach zum vornherein ausschliesst, ist eine Erörterung darüber hier müssig.

Was nun die uns gestellte Frage selbst betrifft,' so halten wir dafür, es sei darauf eine bestimmte Antwort zu geben, die unabhängig ist davon, welche Teile der Sozialversicherung in erster Linie verwirklicht und in welcher Form und in welcher Höhe die Versieberungsleistungen geboten werden. Sie muss, mit anderen Worten gesagt, gelten, gleichviel ob früher oder später auch die Invalidenversicherung eingeführt wird, ob Kapitalabfindung oder Renten gewährt werden, ob der Bund und die Kantone ihre Leistungen in die Form von Prämien oder von Zuschüssen an die Renten kleiden.

Die Schwierigkeiten nun, die zu überwinden sind, wenn die privaten schweizerischen Lebensversicherungsgesellschaften die öffentliche Versicherung übernehmen sollen, sind teils technischer, teils organisatorischer Art, rühren aber der Hauptsache nach davon her, dase eine Vielheit von Gesellschaften heranzuziehen ist. Die private Versicherung hat auf Grund ihrer Erfahrungen sich dagegen ausgesprochen, dass die in Frage stehende Sozialversicherung, sofern sie mit öffentlichen Anstalten durchgeführt wird, einer Vielheit von Versicherungsträgero übertragen werde. Wenn es nun aus naheliegenden Gründen, deren Erörterung wir uns wohl ersparen können, ein Nachteil ist, dass zum Beispiel von Kantonen zu errichtende Anstalten Versicherungsträger werden, so gilt das in erhöhtem Masse für private Anstalten.

Die lückenlose Versicherung, welche durch die Sozialversicherung geboten werden muss, führt unter anderem dazu, dass eine öffentliche Korporation -- voraussichtlich die Gemeinde -- dafür sorgen und einstehen TTIUSS, dase für alle Pflichtigen dio Prämien bezahlt werden. Die Gemeinde hätte demnach mit jeder Gesellschaft in einen Abrechnungsverkehr einzutreten, wodurch

738

eine wesentliche Erschwerung der Organisation herbeigeführt würde.

.

Die nähere Prüfung stellt überdies fest, dass eine Lösung noch andern schwer überwindlichen Hindernissen begegnet, wenn eine Vielheit von p r i v a t e n Anstalten in Betracht fällt. Wir erwähnen als solche nur die Notwendigkeit der Aufteilung des Versicherungsbestandes und der Gefahrenausgleichung. Wenn mehrere Versicherungsgesellschaften sich an der öffentlichen Versicherung beteiligen sollen, so müss, soll nicht ein Wirrwarr entstehen, eine Teilung des Versicherungsbestandes erfolgen. Am nächsten liegt die territoriale Abgrenzung des Gebietes. Sie wäre recht schwer und .musste wegen der Wanderungen dazu führen.

dass ständig Zugänge und Abgänge mit den damit in Verbindung stehenden Abrechnungen zu gewärtigen wären. Im andern Fall, ;wenn es bei der einmal erworbenen Zugehörigkeit zu einer Anstalt sein Bewenden hätte, würde sich trotz der territorialen Abgrenzung der Versicherungsbestand jeder Gesellschaft zufolge der Wanderungen bald auf das ganze Gebiet der Schweiz ausdehnen.

Wollte man von einer Aufteilung des Versicherungsbestandes absehen uud jedem Versicherungspflichtigen die Wahl der Gesellschaft überlassen, so wäre ein Wettbewerb der Gesellschaften um den Versicherungsbestand in Aussicht zu nehmen. Ein solcher wäre hinzunehmen und unbedenklich, wenn es anginge, von jedem Versicherten die nach Massgabe der individuellen Gefahr, also unter Berücksichtigung des Alters, des Gesundheitszustandes, des Zivil- und Familienstandes festzustellende Prämie erbältlich zu machen. Darauf kann aber, weil voraussichtlich Durchachnittsprämien erhoben werden, nicht abgestellt werden. lu diesem Falle sind für den einzelnen Versicherten die Werte der von ihm zu zahlenden Prämien einerseits und die von ihm zu beziehenden Versicheruugaleistungen anderseits nicht gleich; deun: der Gesunde zahlt für den Kranken, der Ledige für den Verheirateten, der Kinderlose für den Kinderreichen. Damit ist einem System der :. obligatorischen Versicherung mit freier Wahl der Versicherungsgesellschaft, so wie es z. B. auf dem Gebiet der MobiliarversicheruQg in einzelnen Kantonen besteht, der Boden entzogen. Dieser Boden musste durch eine besondere Massnahme -- d i e A u s g l e i c h u n g der G e f a h r --<· neu geschaffen werden.

Da die Versicherung
obligatorisch sein soll und voraussichtlich mit Durchschnittsprämien rechnen muss, ohne Kucksicht auf die Unterschiede der Versicherungsleistungen für Versicherte desselben Alters, so können unter den Versicherungsbeständen der

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Gesellschaften grosse Unterschiede hinsichtlich der damit verbundenen Belastungen entstehen. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Wahl des Versieherungsträgers dem Versicherten freigestellt und ein Wettbewerb eingreifen wird. Um diese Gefahr zu verhüten, könnten die Gesellschaften eine Vereinbarung zur gemeinsamen Tragung der Gefahr treffen. Die Normen dafür sind aber nicht leicht aufzustellen. Auf alle Fälle würden dadurch die Geschicke der Gesellschaften auf die Dauer untrennbar verknüpft.

Alle diese Schwierigkeiten und noch weitere, die besonders namhaft zu machen sich erübrigt, fallen weg, wenn die Gesellschaften zur Übernahme der Sozialversicherung eine besondere private Anstalt, sei es als Aktiengesellschaft, sei es als Genossenschaft, bilden. Dazu sind die schweizerischen Gesellschaften mit ihrer Erfahrung, ihrer durchgebildeten Organisation und den erforderlichen technischen Einrichtungen wohl in der Lage. Sie hätten das Gesellschaftskapital mit ihren Mitteln aufzubringen.

Die zu errichtende Anstalt hätte unter der Führung und Leitung der privaten Anstalten zu stehen ; ihnen müsste in der Organisation und Verwaltung der Anstalt, namentlich auch in der Feststellung der Prämien und Bestellung der Reserven, die notwendige Bewogungs- und Verfügungsfreiheit gewahrt werden. Anderseits wäre die Aktien- oder Genossenschaftsdividende auf 6 °/o zu beschränken und ein allfälliger Überschuss über diese Dividende hinaus dem Bund auf Rechnung seiner Leistungen an die Sozialversicherung zu vergüten. Bei einem allfälligen späteren Übergang der Öffentlichen Versicherung an eine Bundesanstalt wäre den schweizerischen Gesellschaften lediglich das Aktienkapital -- oder das Genossenschaftskapital -- auszuweisen. Dafür könnte allenfalls der Bund als Garant für die Verpflichtungen der Anstalt eintreten. Diese hätte besondern strengen Auflagen und Kontrollen hinsichtlich ihrer Geschäftsführung, namentlich auch hinsichtlich der Anlage der Gelder, zu genügen. Damit würde sie eine halb öffentliche, halb private. Wir gehen davon aus, dass sie sich auf die obligatorische Minimalversicherung zu beschränken hätte.

Ob und inwiefern der Versicherte seine Pflicht zur Versicherung bei einer der bestehenden privaten Gesellschaften erfüllen (Ersatzversicherung) und vom Beitritt zur ,,Nationalversicherungsanstälttt entbunden
werden kann, bedarf der nähern Prüfung.

Auf dieser. Grundlage sind schweizerische private LebensveraioherungsgeBellsohafton bereit, an der Lösung der öffentlichen Alters- und Hinterlassenenversicherung mitzuwirken, und in diesem Sinne bejahen sie die an die Direktorcnkonferenz gestellte Frage.

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Eine Minderheit der in der Direktorenkonferenz vertretenen Gesellschaften vertritt die Auffassung, dass dieser Vorschlag nicht zum Ziele fuhren kann und glaubt, auch aus Gründen politischer Natur, die in der Sozialversicherung eine überwiegende Rolle spielen, Zurückhaltung üben zu sollen.

Mit diesen Ausführungen glaubt die Direktorenkonferenz Ihre Frage erledigt zu haben. Wenn wir es vermeiden, ins Einzelne einzugehen und alle Fragen zu besprechen, die sich aufdrängen, so -dürfen wir darauf hinweisen, dass es sich in der Hauptsache um dieselben Fragen handeln wird, die auch bei der Lösung durch eine zentrale Bundesanstalt zu beantworten sind. Sie sind unserem Vorschlage nicht eigen, brauchen also auch nicht in Verbindung damit erledigt zu werden.

Wie man sich zu unserem Vorschlage stellt, ob man ihm oder einer Monopolanstalt des Bundes den Vorzug geben will, hängt davon ab, ob man Aufgaben mit wirtschaftlichem Einschlag besser dem Bund oder privater Tätigkeit und Organisationskraft anvertraut. Die Lösung wird von der Art des besonderen Falles und von der Auffassung dessen abhängen, der die Antwort zu geben hat. Wir wollen uns zurzeit damit bescheiden, einen Weg zu zeigen, der gangbar ist und zum Ziel führt.

Hochachtungsvoll Namens der Direktorenkonferenz der schweizerischen Lebensversicherungsgesellschaften, Schweizerische Lebensversicherungs- und Rentenanstalt

0. Schaertlin.

-~ss--

Eoenig.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Nachtragsbericht des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Alters-, Invaliden- und Hinterlassenenversicherung. (Vom 23. Juli 1924.)

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