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1862

Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung über die bundesrechtliche Regelung von Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer.

(Vom 2. Juni 1924.)

In. seiner Sitzung vom 19. Dezember 1923 hat der Ständerat folgendes Postulat des Herrn Ständerat Wettstein angenommen: «Der Bundesrat wird eingeladen, der Bundesversammlung Bericht und Antrag über die bundesgesetzliche Regelung der Niederlassung der Ausländer einzubringen.» Die einstimmige Annahme dieses Postulates erfolgte in unmittelbarem Anschluss an die Beratung über die Massnahmen gegen die Überfremdung, insbesondere über die Neuregelung des Einbürgerungsrechtes ; der Ständerat.-will demnach die beiden Seiten des Überfremdungsproblems, die Einbürgerungs- und die fremdenpolizeiliche Frage, nebeneinander und im Zusammenhang behandelt sehen.

Unerlässliche Voraussetzung bundesgesetzlicher Regelung ist, dass der Bund die Gesetzgebungskompetenz besitze oder sich diese durch Verfassungsänderung verschaffe. Der Beschluss des Ständerates ist offenbar in dem Sinne aufzufassen, der Bundesrat solle auch diese Frage prüfen und Vorschläge darüber vorlegen, wie überhaupt eine bundesgesetzliche Regelung herbeizuführen sei.

Dass nach den geltenden Verfassungsvorschriften der Bund zur Gesetzgebung auf dem Gebiet der Fremdenpolizei befugt sei, kann nicht behauptet werden. Art. 45 und 47 der Bundesverfassung beziehen sieh ausdrücklich nur auf die Schweizer; die einzige Bestimmung, die dem Bund eine fremdenpolizeiliche Kompetenz verleiht, Art. 70 der Bundesverfassung, handelt nur von der Landesverweisung und wäre überflüssig, wenn dem Bund die Regelung des gesamten Fremdenpolizeirechtes zustünde. Dass letzteres nicht der Fall sei, hat auch dio Praxis stets angenommen. Es besteht daher die Notwendigkeit einer Verfassungsänderung, durch welche

494 dem Bund die erforderlichen Gesetzgebungskompetenzen übertragen werden. Dem Beschluss des Ständerates glauben wir nun in der Weise nachkommen zu sollen, dass wir den Erlass eines neuen Verfassungsartikels vorschlagen, der dem Bund die nötige Gesetzgebungskompetenz erteilt und indem wir uns in grossen Zügen darüber aussprechen, wie wir uns die auf Grund dieser Kompetenz zu erlassende Bundesgesetzgebung denken. Dem müssen wir aber einen kurzen Überblick über die Entwicklung des Fremdenpolizeirechtes im letzten Jahrzehnt vorausschicken.

Die Fremdenpolizei vor dem Weltkriege.

Mit einer im Verhältnis zum Ganzen unbedeutenden Ausnahme (Art. 70, 102, Ziff. 8 und 9, der Bundesverfassung) ist die Fremdenpolizei Sache der Kantone. Der Bund ist nicht befugt, sie gesetzlich zu regehi. Nur auf dem Wege über die Niederlassungsverträge vermag er einen Einfluss auf ihre Gestaltung auszuüben. Von dieser Möglichkeit wurde nun allerdings weitgehend Gebrauch gemacht, je mehr der Personenverkehr von Staat zu Staat zunahm; bei der Volkszählung von 1910 gehörten nur noch 1--2 % der in der Schweiz niedergelassenen Ausländer Staaten an, mit welchen kein Niederlassungsvertrag bestand. In Wirklichkeit hatte der Bund durch diese Verträge das Fremdenpolizeirecht in einem Masse geregelt, dass Anlass und Raum für eine fruchtbringende Gesetzgebungatätigkeit der Kantone wesentlich herabgesetzt waren. Es musa aber auch festgestellt werden, dass dies von den Kantonen keineswegs als erheblicher Eingriff in ihre Bewegungsfreiheit empfunden wurde. Sie hätten auch ohne Niederlassungsverträge nicht daran gedacht, die Niederlassungsfreiheit zu beschränken, und haben dies auch dort nicht getan, wo aie es hätten tun können : bei den vertragslosen Ausländern. Man besah sich wohl den Ausländer mehr oder weniger genau, wie das übrigens auch bei denen mit Niederlassungsvertrag zulässig war; der Gedanke aber, man könnte mit fremdenpolizeilichen Mitteln planmässig und wirksam der Überfremdung entgegentreten, tauchte gar nicht auf. Bezeichnend ist in dieser Hinsicht, dass der Bericht des eidgenössischen politischen Departements vom 80. Mai 1914 über die Überfremdungsmassnahmen, der doch das Überfremdungsproblem in seinem ganzen Ernste erfasste, sich mit dem Hinweis begnügen musste, die Kantone könnten «von den Nie dorlassungsbewilligungen
an sohriftenlose Ausländer einen etwas bescheideneren Gebrauch machen», natürlich mit dem Zusatz, dass dies keinerlei erheblichen Einfluss auf die Überfremdung auszuüben vermöchte.

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Die Umgestaltung der Fremdenpolizei im Weltkrieg setzte verhältnismässig spät ein, in der Hauptsache gegen Ende 1917, erst nachdem eine Umgestaltung der tatsächlichen Verhältnisse von grundlegender Bedeutung sich vollzogen hatte: die Aufhebung der fremdenpolizeilichen Freizügigkeit. Unsere im Kriege stehenden Nachbarstaaten führten eine strenge Grenzkontrolle ein, deren Wirkungen sich zuweilen bis zur Sperre steigerten. Trotz der Niederlassungsverträge wurde die Freizügigkeit der Schweizer nach dem Ausland und im Ausland, sowie die Niederlassungsfreiheit weitgehenden Beschränkungen unterworfen, wie auch der Entzug der Niederlassung durch Landesverweisung nicht selten ohne zureichende Gründe erfolgte. Immer mehr wurde die Aufenthaltsund Niederlassungsfreiheit, wie man sie vor dem Kriege verstanden hatte, faktisch einfach aufgehoben.

Als der Weltkrieg 1917 seinen Höhepunkt erreicht hatte, war klar geworden, dass ohne Regelung der Fremdenpolizei durch den Bund nicht mehr auszukommen sei. Allerdings hatte der Krieg schon bisher wesentliche Veränderungen in uneern Ausländerverhältnissen bewirkt; zahlreiche Ausländer waren dem Rufe ihres Heimatstaates zum Kriegsdienste gefolgt, an ihre Stelle waren teilweise Deserteure und Internierte getreten. Im weitern Verlaufe stellten sich dann der Fremdenpolizei schwer zu lösende Aufgaben.

Auf politischem Gebiet machten die ausländische Propaganda im Werben um die Seele der Neutralen und die Spionagetätigkeit eine strenge Kontrolle der Ausländer nötig. Die Leiden der vom Kriege betroffenen Bevölkerungen und Kriegsmüdigkeit trieben immer mehr Ausländer nach der schweizerischen Friedensinsel, andere wieder lockte der infolge der wirtschaftlichen Absohnürung winkende Spekulatiöns- und Wuchergewinn. Gleichzeitig machte die immer schärfer auftretende Knappheit an Lebensmitteln und Gebrauchsgegenständen die Niederhaltung der Ausländerzahl zum Gebote. Darüber, dass das Nötige nur durch den Bund mit der unerlässlichen Einheitlichkeit und Kraft geschehen könne, bestand kein Zweifel. Man begriff allseits, dass es sich hier um eine Abwehr nach aussen handelte, bei welcher die Schweiz geeint dastehen müsse. Auf Grund seiner ausserordentlichen Vollmachten schritt daher der Bundesrat mit der Verordnung vom 21. November 1917 betreffend die Grenzpolizei und die Kontrolle der
Ausländer zur bundesmässigen Regelung eines grossen Teils des Fremdenpolizeirechtes. Dabei hielt er sich an die damaligen, dringenden Bedürfnisse, von denen, allerdings nur teilweise mit Recht, angenotamen wurde, sie seien vorübergehender Natur. -- Die schon in der Schweiz niedergelassenen Ausländer

496 beliess die Verordnung unter der Herrschaft des kantonalen Rechtes (sie erleichterte nur die Ausweisung) und stellte ihnen die neu hereingekommenen Ausländer gleich, sobald sie regelrechte Niederlassung erhalten hatten. Zweck der Verordnung war: Feststellung, welche Ausländer (ohne erworbene Niederlassung) da sind, kommen und gehen und Eegelung der Bedingungen des Kommens und Daseins.

Für die Einreise wurden einlässüche Erfordernisse aufgestellt, deren Vorhandensein durch die Konsulate vor Erteilung des Visums zur Einreise geprüft werden musste. "Wie das Aufenthalts Verhältnis sich weiter gestalten und allfällig in Niederlassung übergehen sollte, wurde dagegen nicht ausdrucklich gesagt. Die Praxis fand hierfür, nicht ohne Zögern, unter dem Zwang der Verhältnisse den Weg, indem sie an die Befristung des Visums anknüpfte; daraus, dass der Ausländer mit befristeter Erlaubnis des Bundes hereinkam, und dass die Ausdehnung der Aufenthaltsfrist durch den Bund erfolgte, wurde die Konsequenz gezogen, dass auch dauernder Aufenthalt oder Niederlassung nur mit Zustimmung des Bundes erteilt werden könnten (Rekursentscheid des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartementes vom 4. Juni 1919).

Die Verordnung vom 21. November 1917 hat zwei Jahre lang in Geltung gestanden. Da ziemlich genau in die Mitte dieser Frist die Beendigung des Krieges fiel, hat sie also während der schweren Zeit des letzten Kriegsjahres und der fremdenpolizeilich ebenso kritischen Periode der Demobilrnachung der Kriegsheere den Schutzwall der Schweiz gegen eine Überflutung durch Ausländer gebildet, die ohne sie unfehlbar eingetreten wäre.

Mit der Verordnung vom 17. November 1919 beginnt der Abbau. Er konnte allerdings zunächst nur ein langsamer sein, weil die massgebenden Verhältnisse sich nur langsam besserten, ja auf dem Gebiete der Wohnungsnot und der Arbeitslosigkeit sich zunächst noch verschlimmerten. Immerhin konnten aber die Kontrollvorschriften vereinfacht und mit dem Abbau des Bundesapparates begonnen werden. Die scharfe Kontrolle unter der "VO von 1917 hatte bewirkt, dass die Ausländer in dem praktisch erreichbaren Höchstmasse erfasst worden waren, und sie hatte anderseits die Kantone an genaues Zusehen und Zusammenarbeiten gewöhnt. -- An der eidgenössischen Aufenthaltsbewilligung musste festgehalten werden, und das bisher
nur interpretationsweise gefolgerte Einspracherecht der Zentralstelle wurde ausdrücklich geregelt (Art. 19 der VO).

Nach abermals zwei Jahren wurde mit der Verordnung vom 29. November 1921 das Fazit der bisherigen Entwicklung gezogen.

Weit mehr, als dies äusserlich in die Erscheinung tritt, brachte diese

497 dritte Novemberverordmmg eine tiefgreifende Umgestaltung. Der eidgenössische Aufenthalt wurde fallen gelassen, der Entscheid über den vorübergehenden Aufenthalt vollständig und ausschlieeslich in die Hand der Kantone gelegt. Das Visum hat folgerichtig seine Bedeutung als Aufenthaltsbewilligung verloren, es bleibt nur noch Grenzübertrittsbewilligung. Scheinbar ist damit eine Lücke entstanden; der Ausländer kann das Visum erhalten, ohne schon die Aufenthaltsbewilligung zu besitzen; mit dem Visum kann er einreisen und sich nun einige Zeit ohne besondere Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz aufhalten. (Art. H und 17, Abs. l, der VO.) Dieser Aufenthalt, für welchen eine individuelle Anwesenheitsbewilligung iehlt, bedeutet natürlich nicht einen unberechtigten, sondern einen von Rechts wegen bewilligungsfreien Aufenthalt. -- Wie der Kanton vollständig frei über den vorübergehenden Aufenthalt entscheidet, so entscheidet ebenfalls er über die Bewilligung oder Verweigerung der Niederlassung (dauernder Aufenthalt und Niederlassung), hier aber unter Vorbehalt des Einspracherechts der Zentralstelle für Fremdenpolizei, des Bundesvetos, gegen die erteilten Bewilligungen. Das war die vielfach sogenannte «Bückgabe » der Kompetenzen an die Kantone. Es darf aber nicht übersehen werden, dass die Bedeutung dieser Kompetenzen heute eine durchaus andere ist als vor dem Kriege. Während die Kantone früher nur in einer verschwindenden Minderzahl der Fälle wirklich freie Hand hatten, sind sie heute frei in der Niederlassungsverweigerung, und der Bund kontrolliert nur, ob sie von dieser Freiheit 'auch ausreichenden Gebrauch machen. ·--· Die VO von 1921 hat einen weitgehenden Abbau der eidgenössischen Fremdenpolizei gebracht. Durch die Trennung der Aufenthaltsbewilligung vom Visum (Einreisebewilligung) wurde der Abbau der Einreisevorschriften ermöglicht. Dieser kann, soweit nur sonst die Verhältnisse ihn gestatten, bis zum Nullpunkt weitergehen, ohne dass im übrigen das geltende Eecht geändert werden müsste. Ferner sind die Fälle, wo eidgenössische Behörden materielle Entscheide zu fällen haben, möglichst eingeschränkt worden. Die Zentralstelle ist bis auf 80 Funktionäre abgebaut.

Die im bisherigen besprochene Entwicklung hat den Schwerpunkt des Fremdenpolizeirechtes vollständig verschoben. Anfangs, als es sich nur um
einen akuten Überandrang von Ausländern zu handeln schien, ruhte er ganz auf den Einreisevorschriften, insbesondere dem Visum, heute liegt er beim Bundesveto gegen die Niederlassung, während die Einreisobeschränkungen ssum Teil schon abgebaut sind und für den Best der Abbau vorbehalten bleibt.

Bundesblatt,

76. Jahrg. Bd. II.

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498 Die künftige Gestaltung der Fremdenpolizei.

Das Fremdenpolizeirecht ist heute in der Hauptsache Recht des Bundes und beruht als solches auf den außerordentlichen Vollmachten; es muss also entweder wieder aufgegeben oder dann in bundesgesetzliche Form übergeführt werden. Ersteres scheint uns ausgeschlossen zu sein. Gewiss muss rechtlieh das Notverordnungsrecht eine Episode bleiben, und die weitere Gestaltung muss daher an den vorher bestehenden Eechtszustand anknüpfen. Die seitherige Entwicklung der Verhältnisse und die gewonnenen Erfahrungen können aber nicht ausser Betracht fallen; bei der materiellen Gestaltung muss daher vom heutigen Zustand ausgegangen werden. Während formalrechtlich die Notwendigkeit einer Umgestaltung auf der Hand liegt, weil das Notverordnungsrecht verschwinden soll, ist damit die Notwendigkeit materieller Neuformung noch nicht gegeben, sie muss vielmehr im einzelnen untersucht werden. Wir schicken dieser Untersuchung voraus, dass uns die gegenwärtige materiellrechtliche Eegelung zwar einiger Verbesserungen und eines methodischen, erschöpfenden Aufbaues fähig, nicht aber einer grundlegenden Eeform bedürftig erscheint. Dies soll im folgenden näher begründet werden.

Die Eechtsvereinheitlichung besteht heute schon, ist aber nur im Notverordnungsrecht begründet. Mehr als es zunächst bei Prüfung der Verordnung vom 29. November 1921 über die Kontrolle der Ausländer den Anschein hat, sind alle Hauptpunkte bundesrechth'ch geordnet. Allerdings ist das Bundesrecht zum grossen Teil stark formaler Natur, indem es sich nur mit der Zuständigkeit der Behörden und dem Verfahren beschäftigt. Wie aber noch auszuführen sein wird, müssen die fremdenpolizeilichen Entscheide zumeist ganz oder doch in sehr hohem Masse dem pflichtgemässen behördlichen Ermessen anheimgestellt werden, so dass in dieser Eichtung dem Gesetzgeber wenig zu tun bleibt. -- Einheit des Eechts ist heute ebenso ein Gebot der Billigkeit gegenüber dem Ausländer, wie sie auch in unserm eigenen Interesse liegt. Wir müssen gegenüber dem Ausländer in vielem ungleich strenger und namentlich in der Bewilligung von Niederlassungen zurückhaltender sein, als vor dem Kriege. Um so weniger dürfen wir ihm die Empfindung beibringen, einer Zwickmühle von 25 kantonalen Rechten ausgeliefert zu sein, in denen er sich natürlich nicht
zurechtzufinden vermöchte ; vielmehr muss es ihm leicht gemacht werden, bei gutem Willen sich rechtgemäss zu verhalten. Den Schaden des Gegenteils hätten unsere Landaleute im Ausland zu tragen. -- Die kantonalen Fremdenpolizeigesetze sind aus den Verhältnissen vor dem Kriege erwachsen

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and den seither eingetretenen tiefgreifenden Veränderungen in vielem nicht angepasst. Dazu kommt, -wie noch zu zeigen sein wird, dass eine auch nur halbwegs befriedigende Lösung der fremdenpolizeilichen Aufgaben auf ausschliesslich kantonalem Boden heute nicht mehr möglich wäre. Es geht nicht mehr an, dass die Kantone fremdenpolizeilich dem Ausländer wie eben so viele selbständige Staaten gegenübertreten, schon deshalb nicht, weil dann der Ausländer unter Umständen nur durch das Mittel von 25 kantonalen Entscheiden wieder aus der Schweiz hinausgebracht werden könnte.

Die Einreisevorschriften stehen nicht mehr in organischem Zusammenhang mit dem übrigen Fremdenpolizeirecht; dieses kann daher unverändert bleiben, auch wenn die Einreisevorschriften gemildert oder ganz aufgehoben werden. Die Beibehaltung dieser Anordnung scheint uns geboten. Es ist zurzeit noch nicht möglich, die Einreisevorschriften völlig aufzuheben, anderseits wäre es aber auch nicht angezeigt, ihnen in einem Bundesgesetz definitiven Bestand zu geben, es muss vielmehr die Möglichkeit ihres weitern Abbaues bei im übrigen unverändertem Bestehen des Bundesrechtes offengehalten werden; dies kann dadurch geschehen, dass sie durch das Bundesgesetz bundesrätlicher Verordnung vorbehalten werden. Der übrige Inhalt des Bundesgesetzes niuss dann allerdings so gestaltet werden, dass es auch unabhängig von den Einreisevorschriften seinen Aufgaben genügen kann.

Das Anwesenheitsrecht und seine Formen.

Die Anwesenheit des Ausländers, sei sie kurz oder lang, muss stets durch den Gaststaat bewilligt sein. Die Ermächtigung zur Anwesenheit beruht entweder auf allgemeiner Vorschrift des Gesetzes oder aber auf einer individuellen Bewilligung, Wir haben zurzeit 4 Por me n des Anwesenheitsrechtes: 1. Bewilligungsfreier Aufenthalt, 2,Befristeter Aufenthalt, S.Niederlassung, 4.Toleranz, Die letztern drei bedürfen einer individuellen Bewilligung.

Die Toleranz ist eine ausserordentliche Form des Anwesenheitsrechtes. Wer nicht ausreichende Ausweisechriften besitzt, kann nur sie erhalten, unter Vorbehalt des bundesbehördlichen Einspracherechtes.

Von den drei ordentlichen Anwesenheitsrechten ist der bewilligungsfreie A u f e n t h a l t schon besprochen worden. Er hat seinen Grund darin, dass dem Ausländer nicht oder nur ausnahmsweise zugemutet werden kann,
die Bewilligung beim oder vor dem Grenzübertritt einzuholen; es wird daher eine Frist zur Anmeldung und zum Nachsuchen der Bewilligung gegeben, während welcher der

500 Ausländer von Gesetzes wegen präsumptiv anwesenheitsberechtigt ist.

Der Schwerpunkt dieser Regelung liegt in der "Anmeldepflicht.

Natürlich dauert der bewilligungsfreie Aufenthalt nach der Anmeldung fort, bis der Ausländer einen Entscheid der Fremdenpolizeibehörde erhält, -- Der bewilligungsfreie Aufenthalt ist keine Neuerung, er hat auch vor dem Kriege stets bestanden. Neu ist nur die einheitliche Regelung der Anmeldepflicht und -frist.

Der b e f r i s t e t e (vorübergehende) A u f e n t h a l t und die Niederlassung («dauernder Aufenthalt und Niederlassung»). Eine vergleichende Zusammenstellung des kantonalen Eechtes kann hier nicht gegeben werden, da sie im Verhältnis zur Bedeutung dieses groseenteils veralteten Rechtes zu viel Raum beanspruchen würde. -- Die Unterscheidung von Aufenthalt und Niederlassung hat ihr besonderes Schicksal gehabt. Sie ist praktisch um so bedeutsamer und wird darum rechtlich um so mehr berücksichtigt, je mehr man dem Fremden gegenüber Zurückhaltung übt, und sie verwischt sich oder wird bedeutungslos, je mehr die Zuwanderung begünstigt wird. Für beide Extreme finden sich Beispiele sowohl in der Behandlung der kantonsfremden Schweizer wie in derjenigen der Ausländer. Für die erstem sieht unsere Bundesverfassung (Art. 47) don Erlass eines Bundesgesetzes über den Unterschied zwischen Niederlassung und Aufenthalt vor; man war zur Zeit der Entstehung der Bundesverfassung noch nicht so sehr auf die Gleichbehandlung der Kantonsfremden mit den Kantonsangehörigen eingestellt, dass man es als gleichgültig hinnahm, ob die erstem nur Aufenthalt oder Niederlassung besassen. In der Folge wurde dann immer weniger Gewicht auf diesen Unterschied gelegt, und hauptsächlich darum unterblieb der Erlass jenes Bundesgesetzes. Dieser Entwicklung ging eine ähnliche parallel mit Bezug auf die Ausländer. Sie führte, über die Niederlassungsverträgo, dahin, dass keinem Ausländer mehr die Niederlassung verweigert wurde, sofern nicht Erhebliches gegen ihn vorlag. Es war daher (abgesehen von dem hier ausser Betracht fallenden Steuerrecht) eigentlich nur noch von statistischem Interesse, ob der Ausländer Aufenthalt oder Niederlassung erwarb. Das kommt besonders deutlich zum Ausdruck in einer Bestimmung des Kantons St. Gallen, wonach der Ausländer unter Umständen zwischen Aufenthalt und
Niederlassung zu wählen berechtigt war. Weil aber die Unterscheidung von Aufenthalt und Niederlassung selbst beim Ausländer nur noch geringe praktische Bedeutung hatte, war auch die sehr verschiedene Ausgestaltung dieses Unterschiedes in den kantonalen Rechten kein besonderes Übel.

An die Unterscheidung von Aufenthalt und Niederlassung hat auch die seitherige Entwicklung im Notverordnungsrecht ange-

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knüpft. Dabei hat sie aber dieser Unterscheidung eine wesentlich andere Grundlage gegeben. An den Aufenthalt knüpft sie die Erwartung und Pflicht, dass der Ausländer die Schweiz wieder verlasse, während als Niederlassung das Anwesenheitsrecht des Ausländers dann aufgefasst wird, wenn ihm diese Pflicht nicht auferlegt ist. Damit werden die Ausländer eingeteilt nach einem neuen, der Überfremdungsabwehr entnommenen Merkmal; der Aufenthalter kommt, eben weil er das Land wieder verlässt, für die Überfremdung weniger, der Niedergelassene aber voll in Anrechnung. Eine Unterscheidung unter diesem Gesichtspunkt konnte vor dem Kriege schon deshalb gar nicht in Frage kommen, weil zu jener Zeit überhaupt nicht daran gedacht wurde, die Fremdenpolizei der Überfremdungsabwehr dienstbar zu machen.

Ohne näher auf das Ü b e r f r e m d u n g s p r o b l e m einzugehen, muss hier doch mit Nachdruck darauf verwiesen werden, dass es sich dabei nicht etwa ausschliesslich, ja nicht einmal vorwiegend um ein Problem der Kriegsverhältnisse handelt. Zum Beweise dessen genügt es, auf den schon erwähnten Bericht des politischen Departementes vom Mai 1914 hinzuweisen. Die Statistik hat bis zur Volkszählung von 1910 ein unaufhaltbares Ansteigen des ausländischen Bevölkerungsbestandteils gezeigt, und einfache Berechnung ergab, dass diese ansteigende, 1910 bei 14,7 % angelangte Kurve binnen ungefähr 77 Jahren die 50 % erreichen musste (also bis ca. 1990).

Die Kriegs- und Nachkriegsverhältmsse haben nun allerdings dieser chronischen Überfremdung noch eine sehr akute Überfremdungsgefahr hinzugefügt, und sie haben ausserdem auch die Nachteile der schon bestehenden Überfremdung in ein grelles Licht gesetzt. Der Krieg gab aber zugleich die Möglichkeit, der Überfremdung mit fremdenpolizeilichen Mitteln entgegenzutreten, und der hiervon gemachte Gebrauch half mit, eine Herabsetzung der Ausländerquote auf ungefähr 10% % bei der Volkszählung von 1920 zu bewirken. Wir wissen nicht, wann und auf welcher Höhe die Ausländerkurve ihren tiefsten Stand erreicht hatte, wohl aber wissen wir mit Bestimmtheit, dass sie wieder im Anstieg ist. Niemand wird sich denn auch Illusionen hingeben wollen über die offenkundige Tatsache, dass sowohl der chronische wie der akute Überandrang weiterbesteht. Selbst wenn der letztere schneller, als man heute zu
hoffen berechtigt ist, abflauen sollte, selbst wenn wir ihn hnrwegdenken und nur mit den chronischen Überfremdungsursachen rechnen wollten, bliebe uns doch die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass unser Land nicht die Bilanz dieses Jahrhunderts mit einer 50 %igen Ausländerquote abschh'esse.

Das Ansteigen dieser Quote muss einmal gestoppt werden um den Preis jeder vernünftigerweise möglichen Anstrengung. Die beiden

502 uns hierzu vornehmlich zur Verfügung stehenden Mittel, Einbürgerung und Fremdenpolizei, werden selbst dann kaum ausreichen, wenn sie Hand in Hand mit gleicher Energie zur Anwendung kommen.

Dass die Einbürgerung allein Ausreichendes leisten könnte -- es sei denn, sie würde sich mit blosser «Umstempelung» der Ausländer ohne Rücksicht auf ihre Assimilierung begnügen --, erscheint als ausgeschlossen; das ist offenbar auch die Ansicht, welcher der Ständerat durch die Annahme des Postulates Wettstein Ausdruck geben wollte.

Die Fremdenpolizei im Dienste der tftberfremdungsabwehr musste ihre eigene Form annehmen und muss diese beibehalten, wenn sie jenem Dienste erhalten bleiben soll. Einer Abwehr diente sie allerdings schon vor dem Kriege: der kriminal- und armenpolizeilichen.

Was aber nicht unter diesen Gesichtspunkten anfechtbar war, liess sie passieren ohne Eücksicht auf die Stärke des Zustroms im Verhältnis zur schweizerischen Bevölkerung. Die Überfremdungsabwehr verlangt Einführung eines ganz neuen Massstabes: desjenigen der Aufnahmefähigkeit des Landes. Man kann sich nicht mehr darauf einlassen, nur gewisse Anforderungen zu stellen und bei deren Erfüllung Niederlassung zu erteilen, man darf, mit einem Wort, die Zulassung nicht mehr vom Zudrang abhängig machen, muss sie vielmehr nach der Aufnahmefähigkeit des Landes regulieren. Dies bedingt aber eine ganz veränderte Auffassung und Behandlung der Begriffe von Aufenthalt und Niederlassung. Der wesentliche Sinn der frühern Unterscheidung war der, dass unter gewissen Voraussetzungen der Ausländer auf Aufenthalt, unter andern auf Niederlassung Anspruch habe. Die Umschreibung der beiden Begriffe wollte sagen, wann Aufenthalt und Niederlassung bewilligt werden sollten oder verweigert werden konnten. Es hegt aber auf der Hand, dass ein Anspruch auf Niederlassung mit Überfremdungsabwehr unvereinbar ist; denn damit würde wieder nur auf die Grosse des Zudranges statt auf diejenige der Aufnahmefähigkeit abgestellt. Ein Anspruch auf Niederlassung könnte heute nur noch dann in Frage kommen, wenn zugleich die Zulassung kontingentiert würde. Da uns aber Kontingentierung der Ausländer, etwa nach dem Beispiel der Vereinigten Staaten, als ausgeschlossen erscheint -- einmal, weil die Motive der nordamerikanischen Kontingentierung für uns nicht ausschlaggebend sind, dann, weil die eidgenössische Festsetzung der Einwanderungsquote die besondere Überfremdung einzelner industrieller Zentren nicht verhindern könnte --, ergibt sich mit Notwendigkeit, dass dem Ausländer ein Rechtsanspruch auf Niederlassung nicht eingeräumt werden kann. -- Nicht mehr, ob der Aus-

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läöder als Aufenthalter oder Niedergelassener (im frühern Sinn) da bleibe, ist die Frage für ein nach der Überfremdungsabwehr orientiertes Recht, sondern: ob er wieder gehe. Nach diesem Merkmal müssen die Ausländer gruppiert werden: in Niederlassungskandidaten und solche, die es nicht sind.

» Da die Überfremdungsabwehr zwar das Schwergewicht auf die Erschwerung der Niederlassung legt, anderseits aber alle Teile des Fremdenpolizeirechts mehr oder weniger beeinflusst, sei hier ein Überblick über ihre Erfordernisse und deren Wirkungen eingeschaltet.

Die Schaffung eines der Überfremdungsabwehr dienenden Hechtes wäre sehr einfach, wenn nur dieser Abwehrzweck zu bedenken wäre.

Das die Anwesenheit der Ausländer regelnde Eecht hat aber ausserdem die verschiedensten anderweitigen Interessen zu berücksichtigen, so diejenigen von Handel und Verkehr, die Interessen des Hotelgewerbes, der Bildungsanetalten und so weiter. Das ihnen Gemeinsame besteht darin, dass sie möglichst freien Verkehr der Ausländer wünschbar machen. Damit treten aber diese Verkehrsinteressen in einen gewissen Gegensatz zum Interesse der Überfremdungsabwehr, und dieser musß überbrückt werden, wenn nicht die eine Interessengruppe der andern geopfert werden soll. Die Versöhnung dieser Interessengegensätze ist, bei richtigem Verhalten, wenn auch nicht einfach, so doch in sehr weitgehendem Masse möglich, da einerseits der Fremdenverkehr wenig Interesse an der Niederlassung der Ausländer hat, während anderseits die Überfremdungsabwehr nicht die Femhaltung der nur vorübergehend Aufenthalt nehmenden Ausländer erfordert. Gegen den Zudrang ist aber unter dem Gesichtspunkt der Überfremdungsabwehr nur dann nichts einzuwenden, wenn der Ausländer nicht Niederlassung beabsichtigt, und aus dieser Einschränkung ergeben sich nun Aufgaben der Fremdenpolizèi, die keinesfalls ungelöst bleiben dürfen. Eine sehr wesentliche dieser Aufgaben besteht darin, keine falschen Hoffnungen aufkommen zu lassen, vielmehr dem Ausland immer wieder klar zu machen, dass trotz Freigabe des Fremdenverkehrs an entschiedener Zurückhaltung in der Niederlassung fortdauernd festgehalten wird, und dass wir uns die Niederlassungsbewilligung auch nicht auf Umwegen ablisten oder abtrotzen lassen. Jede andere Haltung, jede leiseste Zweideutigkeit in dieser Richtung wäre ebenso unehrlich
wie unklug.

Es ist klar, dass ein sehr starker latenter Einwanderungswille vorhanden ist, der sogleich zu einem waren Run führen würde, wenn er nicht mehr durch die allerorts bekannte Schwierigkeit, Niederlassung zu erlangen, niedergehalten würde. Noch immer drängen wirtschaf tlioho und politische Not in vielen Ländern zur Auswanderung, und Volksmassen von der heterogensten Zusammensetzung werden

504 nur durch die geringe Aussicht, anderswo anzukommen, an ihrem Standort festgehalten. Zu der vermehrten Auswanderungslust hat sich auf der ganzen Erde eine wesentliche Verminderung der Einwanderungsmöglichkeit gesellt. Wir haben unter diesen Verhältnissen kein Eecht, Hoffnungen zu erwecken und dadurch Leute in Bewegung zu setzen, um sie enttäuscht wieder heimzuschicken.

Unklug wäre eine solche Haltung, weil sie uns neben berechtigtem Unwillen auch eine Menge unnützer Behördenarbeit zuziehen würde.

-- Neben den offenen und verkappten Niederlassungskandidaten muss eine weitere Kategorie von Ausländern möglichst ferngehalten werden: die Schriftenlosen. Es sind deren viele in Europa, viele von ihnen fallen ihrem derzeitigen Gaststaat zur Last und würden gern abgeschoben. Wir müssten befürchten, unser Land zum Sammelpunkt aller Entwurzelten zu machen, wenn wir diese Leute nicht schon an der Grenze zurückwiesen; denn wenn sie einmal da sind, muss damit gerechnet werden, dass sie nicht wieder fortgebracht werden können. Der heutige Bestand der Einreise- und Grenzkontrollvorschriften entspricht nun der doppelten Aufgabe, einerseits den Fremdenverkehr nach Möglichkeit freizugeben und anderseits die Niederlassungskandidaten zu entmutigen oder wenigstens sie zum offenen Bekennen ihrer Absicht zu veranlassen (bzw. sie für den Fall der Umgehung ins Unrecht zu setzen) und den unbewilligten Eintritt Schriftenloser zu verhindern.

Ist der Ausländer eingereist, dann stellt sich die Aufgabe seiner Wiederentfernung, falls er nicht Niederlassung erhält (oder ohne unser Zutun wieder geht). Wir kommen damit wieder zur Frage von Aufenthalt und Niederlassung zurück und knüpfen an die Darlegung an, dass jeder eingereiste Ausländer mit der Pflicht zur Wiederausreise belastet ist, mit einziger Ausnahme derjenigen, denen Niederlassung bewilligt wurde. Nur um den Preis dieser Auflage können Fremdenverkehr und Überfremdungsabwehr miteinander vereinbart werden. Dabei besteht unverkennbar eine gewisse Wechselwirkung; je sicherer wir sein können, alle nicht zur Niederlassung zuzulassenden Ausländer wieder fortzubringen, um so weniger brauchen wir in der Freigabe des Verkehrs bedenklich zu sein --- und umgekehrt: die Überfremdungsabwehr ist um so schwerer richtig KM führen, je freier der Ausländer einreisen und sich bewegen
kann. Man stellt sich das Wiederfortbringen meist viel zu einfach vor, und wir müssen daher etwas näher auf die daraus erwachsenden Anforderungen eingehen. Die unerlässhche Grundlage des Wiederfortbringens bildet die fremdenpolizeiliche Erfassung der Ausländer; wir können sie nur eine gewisse Zeit im Interesse des Fremdenverkehre unbehelligt lassen; je länger sie da sind, um so mehr wird Wiederausreise ohne

505 Nachhilfe unwahrscheinlich. Daher die Anmeldepflicht. Diese aufzustellen, genügt aber nicht, es rauss dafür gesorgt sein, dass über kurz oder lang auch diejenigen erfasst werden, die sich ihr entziehen.

Ist der Ausländer durch die Kontrolle erfasst, dann folgt der Entscheid über Aufenthalt und Niederlassung (oder gegebenenfalls Toleranz). Mit der Anmeldepflicht wird der Ausländer bewüligungsbedürftig, auch der Kurfremde, bei welchem aber die Meldepflicht erst mit Ablauf des dritten Monats seit der Einreise eintritt. Die angemeldeten Ausländer bieten nun der Behörde (abgesehen von den Toleranzfällen) folgendes Bild: Eine Gruppe von ihnen ersucht unumwunden um Niederlassung; die Behörde bewilligt entweder diese (unter Vorbehalt des noch zu besprechenden Bundesvetos) oder sie verweigert, und dann muss sie dem Bewerber eine Ausreisefrist ansetzen. -- Bei einer andern Gruppe ist nach den Umständen ohne weiteres klar, dass der Ausländer es nicht auf dauernden Aufenthalt abgesehen hat, vom Gesichtspunkt der Überfremdung aus kann ihm der befristete Aufenthalt ohne weiteres bewilligt werden, um so unbedenklicher, je kürzer die nachgesuchte Frist ist. -- Die dritte Gruppe, die man recht eigentlich die Überfremdungsgruppe nennen könnte, enthält die vorkappten Niederlassungsreflektanten, die offen nur befristeten Aufenthalt verlangen. Zu ihr stossen immer noch ab und zu Ausländer der zweiten Gruppe, indem sie sich bei längerm Aufenthalt nachträglich doch als Niederlassungsreflektanten entpuppen. Im Verhältnis zu unserer Aufnahmefähigkeit ist nun aber die Zahl der dieser Gruppe angehörenden Ausländer sehr beträchtlich und bedeutet, wenn nicht richtig behandelt, eine grosse Gefahr.

Dazu kommt, dass diese Gruppe boi falscher Behandlung unfehlbar stark an Zahl zunimmt, denn sobald eine Hoffnung aufglimmt, um die Vorschriften herumzukommen, finden sich bald viele bereit, den Versuch zu unternehmen. Die richtige Behandlung dieser Gruppe muss darin bestehen, die Umgehungskünstler möglichst frühzeitig *) zu erkennen und fortzubringen. So vielgestaltig die Mittel und Wege *) ,,Dies ist notwendig sowohl um des Ausländers willen -- für ihn ist es weniger hart, wenn er nach kurzem Aufenthalt gezwungen wird, das Land zu verlassen und sich eine andere Wirkungsstätte zu suchen, ab wenn er bereits Wurzel gefasst hat --
als auch um unserer Interessen willen. Die Erfahrung hat gezeigt, daes es weitaus leichter .ist, zwölf Ausländer nach einem Monat als einen Ausländer nach zwölf Monaten wegzubringen. Dazu kommen die Auswirkungen, die die Wegweisungen nach längerm Aufenthalt auf das Ausland haben. Wenn es im Ausland auch ·verstanden werden muss und verstanden wird, dass die Schweiz im Hinblick auf die Zahl der Ausländer, die sie beherbergt, sich in der Zulassung zugeknöpft zeigt, so wird doch jede Wegweisung, die erst nach einer gewissen Aufenthaltszeit erfolgt, als Ausweisung empfunden, auch wenn die erstmalig erteilte Aufenthaltsbewilligung abgelaufen ist und der Ausländer

506 dieser «Künstler» sind, so geht doch ihr Zweck stets dahin, eine Zwangslage zu schaffen. Meist suchen sie möglichst lang in der harmlosen Gesellschaft der befristeten Aufenthalter unbemerkt zu bleiben; sie wissen, dass die Zeit für sie arbeitet; sie tun aber auch selbst das Ihre, schaffen sich Verbindungen, machen sich an einflussreiche Leute, suchen schweizerische Interessen mit den ihrigen zu verflechten und bereiten alles so vor, dass im kritischen Moment, wo es mit der Wiederausreise ernst werden soll, ihr Fall für unsere Behörden eine möglichst grosse Verlegenheit bedeute, ihre Wegweisung möglichst als hart hingestellt werden könne. Sie wissen und spekulieren darauf, dass wir lieber unnötiger Härte aus dem Wege gehen; sie wissen, und spekulieren darauf, dass wir auf mancherlei Interessen Rücksicht zu nehmen haben, dass wir ungern den Anschein der Xenophobie erwecken, dass wir uns vor Fehlgriffen auf wirklich harmlose Aufenthalter hüten müssen; sie spekulieren auch auf eine gewisse Bequemlichkeit der Beamten, die vielleicht eine Zeitlang lieber nachgeben und temporisieren, statt einem verdächtigen Fall mit grosser Mühe und unter Unannehmlichkeiten aller Art auf den Grund zu gehen. Wenn die Aufrechterhaltung der Fiktion vom vorübergehenden Aufenthalt, leider oft reichlich spät, ihnen unmöglich gemacht wird, lassen sie Anwälte und ärztliche Zeugnisse aufmarschieren, schweizerische Interessenten bestätigen, dass sie unentbehrlich geworden sind, Konsulat und Gesandtschaft werden mobil gemacht, gerade in den am meisten überfremdeten Grenzkantonen kommen die Rücksichten auf grenznachbarliche Verhältnisse hinzu, und zum Schluss wird auch darauf spekuliert, dass der diensttuende Beamte sich sagen muss, er riskiere weniger Unannehmlichkeiten, wenn er einmal zu viel «ja» als einmal zu viel «nein» sage. Niemand, der sich in der Sache auskennt, wird behaupten wollen, es handle sich da nur um gelegentliche Erscheinungen, wie das mannigfaltige Leben sie eben hervorzubringen pflegt. In der elementaren Energie des Umgehungswillen kommt vielmehr einfach der Staudruck der gehemmten Einwanderung zum Vorschein, der nach dem schwächsten Punkte sucht, wo er durchbrechen könnte. Hier-vermag blosser Buchstabe der Vorschriften nicht zu wehren, der lebendigen Kraft des Andranges muss ein entsprechender Energieaufwand
der Behörden entgegengestellt werden. Kampf ist unausbleiblich, und er muss in der Hauptache im Grenzgebiet zwischen Aufenthalt und Niederlassung ausgefochten werden. Das Recht erhält nun seine keine Aufenthalteberechtigung mehr hat, Bedenken wir stets, dass eine ungeschickte Ausländerpolitik schlimme Folgen haben wird für die Schweker im Ausland."

Siehe Wegleitung vom 23. Dezember 1921, S. 4.

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l'orni von den Verhältnissen und Bedürfnissen dieses Kampfes.

Es kann dem Beamten, dessen Aufgabe es ist, aus den vorübergehenden Aufenthaltern die Umgehungskünstler möglichst früh und möglichst sicher herauszugreifen, direkt nicht wesentlich zu Hilfe kommen.

Ins einzelne gehende Weisungen, wo und wann zuzufassen sei, sind undenkbar; es handelt sieh um Ausländer, die sich vorstecken, wie und wo, das lernt sich nicht aus dem Gesetz, und das weiss der Beamte nach einiger Übung besser als der Gesetzgeber. Allerdings gibt es zahlreiche mehr oder minder schlüssige Anzeichen für den Aufenthalts- oder Niederlassungswillen, Für-Aufenthalt: Chronische Erkrankung, Besuch einer Schule oder Studienanstalt, Beibehaltung des ordentlichen Wohnsitzes im Ausland und so weiter;'für Niederlassung: Antritt einer festen Stelle, Hauskauf, Geschäftsgründung, Umgeburigsmanöver aller Art und Vorbringen aller möglichen Ausreden, um die Wiederausreise hinauszuschieben. Ob es aber Wert hätte, diese Anzeichen im Gesetz aufzuzählen, ist sehr fraglich.

Vollständig könnte die Aufzählung niemals sein; ausserdem würde sie, als Vorschrift aufgefasst, den Beamten eher ablenken von seiner hauptsächlichen Aufgabe, den Einzelfall in seiner stets wechselnden besondern Gestaltung möglichst gründlich zu erfassen. -- Über die Erteilung von Aufenthalts- und Niederlassungsbewilligungen gilt die Itegel, dass der Niederlassungsreflektant nur «auf Niederlassung» behandelt werden soll. Wird ihm diese verweigert, dann darf ihm nur noch der nötigste Aufenthalt und nur in Form einer Ausreisefrist gewährt werden. Umgehungsmanöver dürfen nicht dadurch prämiert werden, dass man sie ihr Ziel erreichen lässt. -- Im übrigen ist zu beachten, dass die VO keine ausdrücklichen Vorschriften über die Ausscheidung von Aufenthalt und Niederlassung enthält, vielmehr lediglich Kompetenzausscheidungs-Vorschriften (Art, 18 und 19). Das entspricht aber nur den tatsächlichen Verhältnissen. Man kann im Gesetz nicht eine Photographie des Niederlassungsreflektanten geben, nach welcher er unter seinen verschiedenartigsten Verkleidungen zu erkennen wäre. Und anderseits kann man, wie schon ausgeführt, ebenso unmöglich Merkmale von Aufenthalt und Niederlassung aufstellen, bei deren Vorhandensein dem Ausländer ein Rechtsanspruch auf das eine oder andere zustehen würde.
Die Überfremdungsabwehr kann nicht mit dem Machtwort gesetzlicher Bestimmungen, sie muss vielmehr durch behördliche Einzelarbeit bewirkt werden. Diese ist (wie dies schon seit der VO vom 29. November 1921 über die Kontrolle der Ausländer geschieht) den Kantonen zu überlassen. Schon der jetzige Zustand ist auf dem Grundsatz aufgebaut, dass zwar das Hecht in seinen Grund&ügeii vereinheitlicht, die Behandlung des einzelnen Falles aber dezentrali-

508 siert, den kantonalen Behörden übertragen sein solle. Hieran sollte unseres Erachtens auch das zu schaffende Bundesgesetz festhalten, und zwar im bisherigen Umfange, das heisst unter Beibehaltung des Bundesvetos (Art. 19 der VO). Wir sind bei Erlass der VO vom 29. November 1921 von der Auffassung ausgegangen, dass der Bund im Einzelfalle nur dann mitsprechen solle, wenn die Überfromdungsabwehr dies erheischt. Letzteres ist nicht der Fall, wenn dor Kanton Aufenthalt oder Niederlassung nicht bewilligen will; der negative Entscheid ist daher den Kantonen in allen Fällen freigegeben; es wird ihnen kein Ausländer vom Bunde aufgedrängt. Auch die Bewilligung ist ihnen überlassen, und zwar ohne Mitspräche des Bundes, sofern diese nicht auf dauernden Aufenthalt oder Niederlassung (oder auf Toleranz) lautet. Nicht erwerbstätigen Ausländern (und Dienstboten) kann der Kanton heute ohne Mitsprache des Bundes bis auf 2 Jahre, von der Einreise ab gerechnet, befristeten Aufenthalt erteilen, Saisonarbeitern für eine Saison. Hiervon abgesehen, musste allerdings Erwerbstätigkeit als regelmässig mit Niederlassungswillen verbunden behandelt werden, wie dies den tatsächlichen Verhältnissen entspricht. Mit dieser Kompetenzausscheidung haben wir erreicht, dass die fremdenpolizeiliche Behandlung der Ausländer individualisiert werden kann; solange der Ausländer nicht Anstalten macht, sich ansässig zu machen -- zugleich also auf dem ganzen Gebiete der oben von uns so genannten Verkehrsinteressen --, haben die Kantone freie Hand. Sie können, weil den tatsächlichen Verhältnissen des Einzelfalles näherstehend, auch richtiger individualisieren, als eine zentrale Behörde dies vermöchte. Zu beachten ist aber, dass den Kantonen mit dem Gebiet des befristeten Aufenthalts zugleich auch der Tummelplatz der verkappten Niederlassungskandidaten freigegeben ist; wir müssen also darauf zählen können, dass sie diese herausfinden und sachgemäss behandeln.

Das B u n d e s v e t o besteht darin, da&s eine Bundesbehörde gegen die von den Kantonen bewilligten Niederlassungen (dauernder Aufenthalt und Niederlassung) und gegen Toleranzbewilligungen Einsprache erheben und diese damit aufheben kann. Wir halten es für unentbehrlich, weil es das einzige Mittel darstellt, die Überfreradungsabwehr seitens des Bundes zu beeinflussen, und weil wir
eine solche Einwirkungsmöglichkeit für durchaus unerlässlich halten. Gewiss wäre es vorzuziehen, wenn diese Einwirkung nur durch das Mittel von Vorschriften ausgeübt werden könnte, ohne dass sich der Bund mit dem einzelnen Fall noch zu befassen hätte.

Allein wir glauben, dargetan zu haben, dass gerade am entscheidenden Punkte der Überfremdungsabwehr materiell verbindliche Vorschriften gar nicht erlassen werden können. Da die Mitsprache jetzt schon auf

509 das Minimum reduziert ist, sehen wir für ein Bundesgesetz nur die Möglichkeit, entweder das Einspracherecht einer Bundesbehörde beizubehalten oder einen Zustand zu schaffen, bei welchem zwar das formale Kecht vereinheitlicht, die Überfremdungsabwehr aber vollständig den Kantonen überlassen und nicht mehr als eine eidgenössische Angelegenheit behandelt würde. Bei der Beurteilung des Bundesvetos darf vor allem nicht übersehen werden, dass das zu erlassende Bundesgesetz auf normale Verhältnisse zugeschnitten werden muss, das heisst solche, die sich wieder den Vorkriegsverhältnissen nähern.

Man wird nun leicht zu dem Schlüsse neigen, das Mitspracherecht des Bundes sei eine Kriegserscheimtng, welche beim Eintritt normaler Verhältnisse wieder verschwinden müsse. Dem könnte man nur unter der Voraussetzung beipflichten, dass dasselbe auch von der Überfremdungsabwehr zu sagen wäre; will man auch diese den «normalen Verhältnissen» opfern, will man wieder in die zwangsläufig ansteigende Ausländerkurve einschwenken und deren Anwachsen auf 20--80 und mehr Prozent als normal hinnehmen, dann allerdings ist auch die Abschaffung des Bundesvetos gegeben. Wir wollen jedoch die Überfremdungsabwehr auch unter wieder normal werdenden Verhältnissen beibehalten. Dann müssen wir aber damit rechnen, dass sich ihr immer grössere Schwierigkeiten entgegenstellen werden. Wir hoffen, die Einreise- und Grenzkontrollvorschriften abbauen zu können; damit wird aber bei sicher stark zunehmendem Andrang die Niederlassungsverweigerung zur alleinigen Waffe der Überfremdungsabwehr werden. Ausserdem wird sich der Druck des Auslandes, das seine Auswanderung bei uns unterzubringen wünscht, um so mehr verschärfen, je mehr die Verhältnisse zu einer gewissen Norm zurückkehren. Schweren Nebenfolgen der Überfremdungsabwehr oder aber deren Versanden und Versagen kann unter diesen umständen nur eine einheitlich und gleichmässig gehandhabte Zulassungspolitik begegnen. Eine von Kanton zu Kanton verschiedene Zulassungspolitik fände beim Ausland kein Verständnis, und ihre Folgen würden auf unsere Landsleute im Ausland zurückfallen. Das gleiche gilt von einer stossweise betriebenen Zulassungspolitik, die zeitweise die Zügel schleifen lassen und dann, wenn die Polgen sich bemerkbar machen, ruckmässig um so energischer zufassen würde. Einheitlichkeit
und Stetigkeit der Zulassungspolitik ·erfordern aber eine gewisse Leitung von zentraler Stelle aus, dies ·um so mehr, als auch die Wirkungen der geplanten Eeform unseres Einbürgerungsrechtes auf diese Politik von Einfluss sein werden.

Da aber diese Einheitlichkeit durch Vorschriften nicht erzielt werden kann, ist eine im einzelnen Niederlassungsfall mitsprechende Bundesbehörde unerlässlich. Diese hat dafür zu sorgen, dass die Auslese

510 der zur Niederlassung zuzulassenden Ausländer auf gleichmässig gründlicher Prüfung der Verhältnisse im einzelnen Falle beruhe und nach einheitlichen Gesichtspunkten erfolge. Sie hat den Überblick über das Ganze, der es ermöglicht, zu beurteilen, ob wirklich der Ausländer unentbehrlich sei, sie hat Fühlung zu halten mit den Bestrebungen (Arbeitsnachweis, Berufsberatung, Umstellung der Schweizer auf neue Berufe etc.), die darauf abzielen, die stets behauptete Unentbehrlichkeit von Ausländern herabzusetzen und Schweizer nach jenen Berufen zu lenken, wo man etwa geneigt wäre,, dem Ausländer zu leicht den Vorzug zu geben. -- Die Bundesinstanz kann und soll anderseits kraft ihres Überblicks über die gesamte Zulassungspolitik und ihrer Kenntnis der Fälle das Material liefern,, das bei ausländischen Interventionen zur Aufklärung und Rechtfertigung zu dienen hat; sie verteidigt unsere Zulassungspolitik dem Ausland gegenüber, im Ganzen wie im Einzelfalle. Sie soll schliesslich auch da, wo einmal wichtige politische Erwägungen ein über das Normale hinausgehendes Öffnen der Grenzen rechtfertigen, wo z. B. grosse, unsern einheimischen Auffassungen entsprechende geistige Strömungen, im Ausland bekämpft, den Übertritt hochwillkommener geistiger Potenzen nicht bloss im rechtlichen Eahmen von vorübergehendem Asyl und von Toleranz rechtfertigen, das Mass einer solchen Ausnahmenotwendigkeit, die wir nicht in nationalem Hochmut zum vornherein verneinen wollen, regulieren.

Die Bundesinstanz; gewährt den kantonalen Amtsstellen einen unentbehrlichen Bückhalt. Diese sind einem auf die Dauer zermürbenden Drucke ausgesetzt. Bis dahin haben ihnen Arbeitslosigkeit und Wohnungsnot noch mehr Rückhalt gegeben; diese Erscheinungen nehmen aber glücklicherweise ab, und doch muss die Überfremdungsabwehr auch weiterhin ihre Pflicht tun, unter mit der Zeit für sie immer ungünstiger werdenden Bedingungen. Es ist natürlich nicht jedermanns Sache, jahraus, jahrein den bösen Mann zu spielen gegenüber Ausländern, die abgewiesen werden müssen, es mit deren Fürsprechern aller Art, mit Interessentenverbänden und oft auch mit Gemeindebehörden zu verderben, im Falle eines vielleicht begreiflichen Fehlgriffs Unannehmlichkeiten aller Art ausgesetzt zu sein, dies alles mit der ständigen Perspektive, sich durch eine etwas laxere Pflichtauffassung
das Leben um so viel leichter machen zu können..

Auch der pflichttreue und charakterfeste Beamte ist daher froh, wenn er das Odium des Neinsagern nicht allein zu tragen braucht oder wenigstens nicht enden wollendem Drängen und Debattieren mit dem Hinweis auf « Bern » begegnen kann. -- Einen mehr indirekten, aber auf die Dauer ebenfalls unentbehrlichen Einfluss übt die Bundesinstanz auch auf die Rechtzeitigkeit der Behandlung aus, deren.

511 Wichtigkeit oben hervorgehoben wurde. Die Notwendigkeit, den Fall binnen kurz oder lang der Bundesinstanz unterbreiten ssü müssen, hält die kantonalen Instanzen von allzu -weitgehendem Temporisieren ab.

Das Bundesveto ist dem Ausland gegenüber der Ausdruck unseres einheitlichen, eidgenössischen Abwehrwillens und in seiner Beschränkung auf die Niederlassung zugleich der Ausdruck dafür, dass dieser sich nur auf die Niederlassung bezieht. Fällt es weg, dann erscheint die Abwehr trotz Einheitlichkeit des formalen Eechts nur noch als kantonale Angelegenheit, und die Ausländer werden sich in der naheliegenden Annahme, dass nicht alle 25 Kantone gleich streng sein können, auf die Suche nach dem punotum minoris resistentiae begeben.

Gegen das Bundesveto wird hauptsächlich eingewendet werden, dass es einen Beamtenapparat erfordere und dass es die Souveränität der Kantone beschränke. Zum erstem Einwand ist zu sagen, dass die Zentralstelle für Fremdenpoh'zei heute mit 80 Funktionären auskommt ; eine weitere Herabsetzung, vielleicht auf 25, dürfte der Abbau der Einreisevorschriften ermöglichen. Ein Teil dieser Funktionäre müsste nun aber auch bei Fallenlassen des Bundesvetos beibehalten werden ; anderseits würden dann voraussichtlich die Kantone wesentlich mit Mehrarbeit belastet. -- Dem Einwand, der sich auf die Gebietshoheit der Kantone beruft, ist entgegenzuhalten, dass die Kantone faktisch im Vergleich zürn Zustande vor dem Kriege einen sehr erheblichen Zuwachs an Kompetenzen erfahren haben; sie entscheiden heute frei, wo ihnen vordem überall die Hände gebunden waren.

Ausserdem soll die Bundesgesetzgebung die Wirkungen ihrer Fjntscheide über die Kantonsgrenzen hinaus auf das ganze Gebiet der Schweiz ausdehnen. In der Notwendigkeit, dies zu tun, offenbart sich aber gerade die Unmöglichkeit, die Aufgaben der Fremdenpolizei auf dem Boden der kantonalen Gebietshoheit zu lösen. -- Die Kantone werden es in der Praxis vielfach begrüssen, -wenn sie sich zu ihrem eigenen Schutz nicht auf 24 Brüder stützen müssen, sondern sich an die eine Mutter wenden können.

Festzustellen ist noch, dass das Bundesveto auf alle Fälle dem Fremdenverkehr nicht im Wege steht. Der Ausländer kann, wenn er nicht erwerbstätig ist, vom Kanton bis auf 2 Jahre befristeten Aufenthalt bewilligt erhalten, ohne dass die Bundesbehörde mit* spricht.

Dei Rechtsinhalt von Aufenthalt und Niederlassung, das heisst die dem Ausländer aus der Bewilligung des einen oder andern entstehenden Hechte, ist ausschliesslich fremdenpolizeilicher

512 Natur; es ist immer nur ein Recht auf Anwesenheit, das die Bewilligung erteilt. Dabei unterscheidet sich die Niederlassung vom Aalenthalt im wesentlichen dadurch, dass sie nur durch das Mittel der Ausweisung wieder entzogen werden kann. Allerdings kann das Recht dem Unterschied von Aufenthalt und Niederlassung auch anderweitige Bedeutung geben, zum Beispiel auf dem Gebiete des Steuerwesens ; eine notwendige Auswirkung dieses Unterschiedes bedeutet dies aber nicht, und es steht daher nichts im Wege, dass sich das Bundesgesetz auf die fremdenpolizeiliche Regelung beschränke. -- Wohl aber wird man sich mit der Frage auseinanderzusetzen haben, welche Rechte der Ausländer auf Grund der Bewilligung ausserhalb des Bewilligungskantons besitzen soll,

Die Beendigung von Aufenthalt und Niederlassung.

Hier sind die beiden Formen der Wegweisung und der Ausweisung zu unterscheiden. Die Wogweisung ist die Konsequenz der Verweigerung weiterer Aufenthaltsbewilligung und daher nur möglich bei Ausländern, die keine Niederlassung besitzen; ihre Wirkung besteht darin, dass der Ausländer das Gebiet des wegweisenden Kantons verlassen muss; sie gilt zunächst nur für diesen Kanton, kann aber heute auf dessen Antrag durch die Zentralstelle auf dio ganze Schweiz ausgedehnt werden. Im letztern Falle ist Wiedereinreise nur mit Zustimmung der Zentralstelle möglich. Man kann sich fragen, ob dieses Verfahren nicht dadurch noch erheblich vereinfacht werden könnte, dass dem kantonalen Entscheid ohne besondere Ausdehnungsverfügung die Wirkung für die ganze Schweiz verliehen würde, mit einer auf besondere Ausnahmefälle beschränkten Rekursmöglichkeit.

Die Ausweisung aus der Schweiz bedarf kaum tiefgreifender Umgestaltung. Dagegen wird bei Schaffung eines Bundesgesetzes, möglicherweise der Inhalt der interkantonalen Übereinkunft vom 22. März 1913 über die Ausweisung der wegen eines Verbrechens oder Vergehens gerichtlich verurteilten Auslander mit zu verarbeiten sein.

-- Dass der Ausgewiesene drei Instanzen anrufen kann, das heisst in manchen Kantonen zwei kantonale und ausserdem das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement, erscheint allerdings als etwas reichlich. -- Am Rekurs an die eidgenössische Instanz müssen wir festhalten. Die Ausweisungsgründe versagen sich präziser gesetzlicher Umschreibung, wenn wirklich der des Gastrechts Unwürdige soll erfasst werden können. Um so notwendiger ist es, dass eine Bundesinstanz für eine gewisse Gleichmässigkeit der Praxis sorge. Ausserdem ist die Ausweisung von so weittragender Wirkung für den Ausländer und berührt oft unsere Beziehungen zum Ausland so nahe,

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dâss auch aus diesen Gründen der Eekurs an den Bund offengehalten werden musa.

Wie aus unsero, bisherigen Ausführungen hervorgeht, stellen wir der Bundesgesetzgebung die Aufgabe, das IVemdenpolizeirecht in seinen Hauptzügen materiell zu vereinheitlichen (respektive die bestehende Einheitlichkeit beizubehalten) und ausserdem eine administrative Mitsprache des Bundes in dem durch die bisherige Erfahrung als unerlässlich erkannten Umfang weiterhin zu ermöglichen, nämlich bei der Niederlassungsbewilligung (Bewilligung von dauerndem Aufenthalt, Niederlassung und Toleranz) und bei der Ausweisung.

Was -- verglichen mit dem Vorkriegszustand -- neu ist an dieser Anordnung, entspricht nur, in Art und Umfang, den veränderten Verhältnissen und Anschauungen. Der Ausländerzudrang ist stark angestiegen, und es besteht keine Aussicht, dass er in absehbarer Zeit wieder zur Norm zurückkehre. Die Bahn ist freigeworden für Abwehr dieses Zudranges, und an diesem Freiwerden ist zu nicht geringem Teil die selbst bei den andern Staaten vorhandene Erkenntnis schuld, dass die Einnahme einer Abwehrstellung für die Schweiz zu einer Lebensnotwendigkeit geworden ist; betrachten doch andere Staaten eine Überfremdung, die kaum ein Zehntel der unsrigen beträgt, schon mit besorgter Miene. Anderseits haben die im Kriege und seither gemachten Erfahrungen in weitesten Kreisen der Schweiz die- Überzeugung geschaffen, dass die Überfremdungsabwehr eine eidgenössische Angelegenheit sei, die den Zweck des Bundes: «Behauptung der Unabhängigkeit des Vaterlandes gegen aussen, Handhabung von Buhe und Ordnung im Innern» (Art/ 2 der Bundesverfassung), sehr nahe berührt und die ausserdem auf lediglich kantonalem Boden unmöglich richtig behandelt werden könnte. Unsere Anschauungen vom Wesen und der Wichtigkeit der Aufgabe und die Leitgedanken über ihre Lösung decken sich denn auch weitgehend mit den Ergebnissen, zu denen die im September 1920 vom eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement nach Solothurn einberufene Expertenkommission und neuerdings der schweizerische Juristenverein in seiner Hauptversammlung vom September 1928 in Frauenfeld gelangt sind.

Während zurzeit ein Zwang, Ausländer aufzunehmen, von seiten des Bundes auf die Kantone nicht ausgeübt wird, glauben wir doch, dass für den besondern Fall der Asylsuchenden eine Ausnahme gemacht werden sollte. Ein Asylrecht, ein Eechtsanspruch des Ausländers auf Asylgewährung, besteht in der Schweiz nicht und Bundesblatt. 76. Jahrg. Bd. II.

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514 sollte nicht geschaffen werden. Was gemeinhin Asylreoht genannt wird ist lediglich eine Gewohnheitsregel der schweizerischen Politik; sie gilt nur unter gewissen Bedingungen und Ausnahmen, und bei ihrer Handhabung müssen natürlich auch die Überfremdungsverhältnisse berücksichtigt werden. Die Besonderheit der Asylfälle besteht nur darin, dass sie ihrer Natur nach, eben weil es sieh um politische Flüchtlinge handelt, die Interessen der Eidgenossenschaft und ihr Verhältnis zu andern Staaten oft ungleich näher berühren als diejenigen des Zufluchtkantons. Unser Verhalten in einzelnen dieser Fälle kann, wie das letzte Jahrfünft gelehrt hat, von erheblicher politischer Tragweite sein. Wir glauben daher, dass für diese Asylfälle der Bund sich nicht bloss mit einer Vetomöglichkeit begnügenkönne, dass er vielmehr ein verstärktes Mitspracherecht beanspruchen müsse; neben der Einsprache gegen die Zulassung sollte ihm, da er kein eigenes Bundesterritorium besitzt, die Möglichkeit offen gehalten werden, gegebenenfalls einen Kanton auch zur Asylgewährung verhalten zu können; der letzte Entscheid würde also in diesen Fällen positiv und negativ in die Hand des Bundes gelegt.

Dass der Bund über Aufenthalt oder Niederlassung der Ausländer zu legiferieren zurzeit die Kompetenz noch nicht besitzt und dass ihm daher diese auf dem Wege einer Verfassungsänderung zuerst erteilt werden müsste, ist allseits unbestritten. Der neue Verfassungsartikel kann entweder ganz allgemein dem Bund die Gesetzgebungskompetenz erteilen, oder er kann diese Kompetenz zugleich auf das beschränken, worauf sich voraussichtlich auch der Gesetzgeber beschränken wird. Im erstem Falle könnte zum Beispiel bloss gesagt werden: «Dem Bunde steht die Gesetzgebung über Aufenthalt und.

Niederlassung von Ausländern zu.» Damit würde aber weit über das hinausgegangen, was der Bund nötig hat. Ist man mit uns der Auffassung, dass der Bund die Fremdenpolizei nicht etwa zur ausschliessliohen Bundessache machen, sich vielmehr nur für gewisse Fälle ein Mitspracherecht sichern solle, dann wird man eher dazu neigen, den Verfassungsartikel nicht mit Kompetenzen zu überladen.

Wir haben uns daher bemüht, eine Formulierung zu finden, welche die Leitsätze der zu treffenden Eegelung und Kompetenzausscheidung enthält; damit würde der Bund nicht mehr an Kompetenzen
erhalten, als er wirklich braucht, und anderseits ist schon aus dem Verfassungsartikel in grossen Zügen ersichtlich, wie die Neuerung' gemeint ist. -- Als Ort für den neuen Verfassungsartikel kommt in erster Linie die Einschaltung nach Art. 47 in Betracht, also Erlass eines Art. 47W>. Andere Stellen, welche in Frage kommen könnten,

515 wären zwischen den Art. 68 und 64 und bei Art. 68. -- Anknüpfung an Art. 63 erscheint uns aber vor allem deshalb nicht angebracht, weil der in seinem Wortlaut zweideutige Art. 68 damit eine Bedeutung erhielte, die ihm keineswegs zukommt. Eher noch liesse sich der Vorschlag hören, Art. 63 durch den neuen Artikel zu ersetzen. Zu Art. 68 besteht eine gewisse sachliche Beziehung insofern, als hier ebenfalls von einer Kompetenz des Bundes in Ausländersachen die Rede ist.

Die Anknüpfung an Art. 47 empfiehlt sich, weil hier und in den vorhergehenden Artikeln die gleiche Rechtsmaterie für die (kantonsfremden) Schweizer geregelt ist.

Gestützt auf vorstehende Ausführungen beehren wir uns, Ihnen zu beantragen, nachstehenden Entwurf eines Bundesbeschlusses zu genehmigen.

Bern, den 2. Juni 1924.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Chuard Der Bundeskanzler: Steiger.

516

(Entwurf.)

Bundesbeschluss betreffend

die Aufnahme eines Art. 47bis in die Bundesverfassung (Aufenthalt und Niederlassung von Ausländern).

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft beschliesst: I. Die Bundesverfassung vom 29, Mai 1874 erhält folgenden Zusatz : Art. 47 bis «Die Bundesgesetzgebung wird die Bedingungen der Ein- und Ausreise, des Aufenthaltes und der Niederlassung der Ausländer ordnen.

Die Kantone entscheiden grundsätzlich nach Massgabe des Bundesrechtes über Aufenthalt und Niederlassung.

Dem Bunde steht gegenüber kantonalen Niederlassungs- und Toleranzbewilligungen, kantonalen Ausweisungen aus dem Gebiete der Eidgenossenschaft, Verletzung von Niederlassungsverträgen und Verweigerung des Asyls das endgültige Entscheidungsrecht zu.» II. Dieser Zusatzartikel wird dem Volke und den Ständen zur Abstimmung unterbreitet.

III. Der Bundesrat ist mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über die bundesrechtliche Regelung von Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer. (Vom 2. Juni 1924.)

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