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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über die ausserordentliehe Völkerbundsversammlung, die vom 8. bis 17. März 1926 in Genf tagte.

(Vom 16. April 1926.)

Einleitimg.

Montag, den 8. März 1926, nachmittags 8 Uhr, vereinigte sich die Völkerbundsversammlung zum ersten Male zu einer ausserordenWichen Session.

Diese sollte vor allem der Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund gewidmet sein. Kurz darzulegen, unter -welchen Umständen die deutsehe Regierung sich entschloss, den Eintritt Deutschlands in den Völkerbund za beantragen und zufolge welcher Ereignisse seine Aufnahme vortagt werden musate, das ist der wesentliche Zweck des vorliegenden Berichtes.

Die Frage des Beitritts Deutschlands zum Völkerbünde, die besonders, von der schweizerischen Delegation anlässlich der ersten Völkerbundsversammlung aufgeworfen -worden war, trat im September 1924 ins Stadium der Vorverhandlungen. Bei den Besprechungen, die im Juli und August des betreffenden Jahres in London stattfanden, wurden, wie der Bericht des Bundesrates über die V. Völkerbundsversammlung auseinandersetzt, die neuen Grundsätze für die Lösung desEeparationsproblems festgelegt, was eine starke Reinigung der europäischen Atmosphäre bedeutete. Die V. Völkerbundsversammlung, die am 1. September 1924 eröffnet wurde, d. h. zwei Tage nach der Unterzeichnung der Londoner Abkommen, förderte die Sache des Friedens beträchtlich zufolge des Impulses, die sie dem Gedanken einer friedlichen Erledigung der zwischenstaatlichen Streitigkeiten verheb. Die V. Völkerbundsversammlung arbeitete nicht nur das Genfer Protokoll aus, sondern liess auch einen wirklichen Buf an Deutschland ergehen. Die wichtigen Erklärungen, die in der Vollversammlung von den ersten Delegierten Grossbritanniens und Frankreichs am 4. und 5. September 1924 abgegeben wurden, fanden in Deutschland Widerhall.

Die Versammlung hatte ihre Geschäfte noch nicht erledigt, als auch schon die deutsche Begierung beschloss, den baldigen Eintritt in den Völkerbund ins Auge zu fassen. Sie glaubte indessen, einen bezüglichen Antrag nicht ohne weiteres stellen zu können. Vorgängig ihrem Eintrittsgesuch unternahm sie

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Schritte, deren erster darin bestand, dass sie sich am 29. September 1924 an alle im Bäte vertretenen Staaten wandte. Der Zweck war, gewisse Sicherheiten zu erhalten und einige Punkte aufzuklären. Es war Deutschland zunächst daran gelegen, die Gewisshoit zu haben, dass man ihm gleich bei seiner Aufnahme in den Völkerbund einen ständigen Sitz im Eate gewähren werde und dass es auf dem Fusse der Gleichberechtigung in den andern Bundesorganen, insbesondere im Generalsekretariate, mitarbeiten könne. Deutschland legte sodann grosses Gewicht darauf, dass festgestellt werde, welches seine Lage wäre, falls Artikel XVI der Satzung zur Anwendung kommen sollte. Es wandte dabei seine Aufmerksamkeit besonders den im zweiten Absatz dieses Artikels vorgesehenen militärischen Massnahmen zu und fragte sich, wie weit die Verpflichtungen, die ihm diese Bestimmung auferlegen würde, mit den Vorschriften des V, Kapitels des Versailler Vertrages vereinbar seien. Drittens wollte die deutsche Begierung im klaren sein über eine der Bedingungen; die Artikel I der Satzung für die Aufnahme neuer Mitglieder aufstellt, d. h. über die wirksame Gewähr, die sie zu bieten haben hinsichtlich ihrer redlichen Absicht, ihren internationalen Verpflichtungen nachzukommen. Endlich verlangte Deutschland zu wissen, ob es in seiner Eigenschaft als Völkerbundsfuitglied gegebenenfalls ein Mandat im Sinne dos Artikels XXII der Satzung ausüben könnte.

Die Antworten, die Deutschland von den Batsmächten erhielt, entsprachen seinen Wünschen in mehreren Punkten. Die deutsche Begierung konnte sehen, dass man ihre Absicht, dem Völkerbunde beizutreten, allseitig billigte.

Sie glaubte, aus den Antworten auch schliessen zu können, dass die Begierungen der im Eate vertretenen Staaten ihr Begehren, dem genannten Organe ständig anzugehören, berücksichtigen würden. Was dagegen die Präge des Artikels XVI betrifft, so stellte Deutschland fest, dass die Begierungen in diesem Punkte ihrer Auffassung nicht genügend Rechnung getragen hatten. Sie entschloss sich daher, nicht mehr an die einzelnen Begiei'ungen der Batsmächte zu gelangen, sondern an den Bat selbst. Dies war der zweite Schritt; er wurde am 12. September 1921 ausgeführt. Der Bat antwortete am 14. März daraufhin. Er bemerkte einleitend, dass er nicht eine Antwort erteilen könne, die im Widerspruch
stehe mit den von seinen Mitgliedern abgegebenen Einzelantworten; trotzdem gab er Deutschland hinsichtlich des.

Artikels XVI beruhigende Zusicherungen, soweit die im Jahre 1921 daran vorgenommenen Abänderungen und die von der Versammlung im gleichen Jahre angenommenen auslegenden Besolutionen solche erlaubten.

Inzwischen, d, h. am 9. Februar 1925, hatte die deutsche Begierung der französischen den Entwurf zu einem Abkommen unterbreitet, das in Verbindung mit einem gegebenenfalls abzuschliessenden Schiedsgerichtsvertrage die kontrahierenden Mächte verpflichten sollte, nicht zuro Kriege zu schreiten, und gemäss welchem sie sich gegenseitig den jetzigen territorialen Besitzstand im Bheingebiete verbürgen würden. Man kennt die Aufnahme, die dieser Vorschlag fand, sowie den Notenwechsel und die Verhandlungen, die er ver-

540 anlasste. Als sich die Vi. Völkerbundsversammlung vereinigte, waren die Besprechungen so weit gediehen, dass am 25. September eine Resolution angenommen werden konnte, welche die beteiligten Regierungen ermutigte, auf dem eingeschlagenen "Wege fortzuschreiten. Es wird darin erklärt, dass «die Versammlung ..., überzeugt, dass zurzeit das dringendste Bedürfnis die Wiederherstellung des gegenseitigen Vertrauens zwischen den verschiedenen Nationen ist, und, indem sie neuerdings verkündigt, dass der Angriffskrieg ein internationales Verbrechen darstellen soll, mit Befriedigimg die von gewissen Staaten gemachten Bemühungen sieht, um diese Zwecke durch den Abschluss von S^chiedsverträgen und gegenseitigen Sicherheitsverträgen zu erreichen, die im Geiste des Völkerbundsvertrages und inÜbereinstimmungg mit den Bestimmungen des Protokolls (Schiedsgericht, Sicherheit und Abrüstung) abgeschlossen werden».

Einige Tage später, am 16. Oktober 1925, wurden die sogenannten Locarno-Verträge, Übereinkünfte und Abmachungen paraphiert, und Deutschland erhielt von den Vertretern Belgiens, Prankreichs, Grossbritanniens, Italiens, Polens und der Tschechoslowakei eine Note in der diese Staaten, «ohne sich im Namen des Völkerbundes aussprechen zu wollen», angaben, wie sie ihrerseits den Artikel XVI des Paktes auslegen.

Das Inkrafterwachsen der Vereinbarungen von Locamo wurde abhängig gemacht von deren [Ratifikation durch dio zuständigen Behörden und vom Eintritte Deutschlands in den Völkerbund. So war die Verbindung hergestellt zwischen dem Völkerbund und dem Versöhnungswerk, an dem bisher ohne unmittelbare Mitwirkung des Völkerbundes gearbeitet worden war. Der Beitritt Deutschlands zum Völkerbunde sollte zum Schlusstein des Gebäudes werden.

Am 8. Februar 1926 übermittelte die deutsche, Regierung dem Generalsekretariate des Völkerbundes den Antrag auf Zulassung Deutschlands zum Völkerbunde. Der Völkerbundsrat wurde auf den 12. desselben Monats einberufen, und im Verlaufe einer kurzen Sitzung beschloss er, eine ausserordentliche Session der Vorsammlung anzuberaumen. Ausserdem wurde eine vorläufige Tagesordnung aufgestellt, die folgende vier Fragen enthielt: 1. das Gesuch der deutschen Begierung um Aufnahme in den Völkerbund; 2. Beschluss der Versammlung auf Antrag des "Rates in Anwendung des Artikels IV der Völkerbundssatzung; 3. Budgetfragen; 4. Bau eines Konferenzsaales.

Die Völderbundversammlung Der Bundesrat bestimmte in seinen Sitzungen vom 23. und 26. Februar die Zusammensetzung der schweizerischen Delegation für die ausserordentliehe Versammlung. Als Delegierte wurden ernannt: Herr Bundesrat Motta,

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Herr Ständerat Oberßt Bolli und Herr Nationalrat Gaudard. Herr Secretan vom Politischen Departemente begleitete die Delegation als Sekretär.

Wie gewohnt hatte die Delegation des Bundesrates für auswärtige Angelegenheiten zusammen mit der schweizerischen Delegation für die Völkerbundsversammlung einige Tage vor Eröffnung der Session eine Vorprüfung der Tagesordnung vorgenommen. Die Ihstniktionen des Bundesrates an die Delegation haben folgenden Wortlaut: «1. Die schweizerische Delegation soll für den Eintritt Deutschlands in den Völkerbund stimmen.

2. Der Bezeichnung Deutschlands als Mitglied des Völkerbundsrates durch den letztern soll sie zustimmen. Hingegen hat sich die Delegation, sofern kein neues Ereignis eine tiefgreifende Änderung der gegenwärtigen Lage herbeiführt, einer darüber hinausgehenden Erweiterung des Eates entgegenzusetzen, und zwar gegebenenfalls durch ihre Stimmabgabe, möge es sich um Zuteilung von neuen ständigen oder nichtständigen Sitzen handeln.

Nötigenfalls soll sie die prinzipiellen Gründe für ihre Haltung darlegen.

8. Die Delegation ist ermächtigt, der Aufstellung eines Zusatzbudgets für 1926 und der Eröffnung der vom Generalsekretariate vorgeschlagenen Kredite zuzustimmen.

4. Was den Bau eines Konferenzsaales, sowie eventuell eines neuen Generalsekretariatos betrifft, so soll die Delegation mit den Genfer Behörden in Verbindung treten. Falls sich die Versammlung ernstlich für einen Vorschlag interessieren sollte, der gegenüber jedem andern wirkliche Vorteile besitzt, dessen Ausführung aber auf Schwierigkeiten stossen würde, zu deren Beseitigung die Schweiz-mitzuwirken hätte, so hat die Delegation dem Bundesrat Bericht zu erstatten und Instruktionen zu verlangen.» Wie dies je länger desto mehr Gepflogenheit wird, so umfassten auch diesmal die Delegationen zahlreicher Staaten das für die auswärtige Politik besonders verantwortliche Begierungsmitglied. Ungefähr zwanzig Chefs von Eegierungen und Minister des Auswärtigen vertraten ihre Länder.

Die Versammlung wurde durch den ersten Delegierten Japans, den Vicomte Ishii, in seiner Eigenschaft als amtierender Präsident des Eates eröffnet.

Der Bericht der Kommission zur Prüfung der Vollmachten stellte fest, dass 48 Staaten ordnungsgemäss vertreten waren und dass die Delegierten von sieben Staaten fehlten, nämlich die von
Argentinien, Bolivien, Costa Eica, Haiti, Honduras, Panama und Peru.

Der erste Delegierte Portugals, Affonso da Costa, wurde zum Vorsitzenden der Versammlung gewählt.

Die Tagesordnung der Session wurde daraufhin so angenommen, wie sie vorn Völkerbundsrat am 12. Februar aufgestellt worden war.

Da nur vier Fragen zu behandeln waren, beschränkte sich die Versammlung auf die Bestellung von zwei Kommissionen. An die erste, in der die Schweiz

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durch Herrn Motta (Ersatzmann Herr G-audard) vertreten war, überwies die -Versammlung den die Aufnahme Deutschlands betreffenden Punkt der Traktandenliste. Der zweiten, in der Herr Bolli (Ersatzmann Herr Gaudard) sass, übertrug sie die Prüfung der Angelegenheiten finanzieller Natur, sowie die auf den Bau eines Versammmngssaales bezüglichen. Die Prüfung des Punktes 2, d. h. der Frage der Erweiterung des Rates, wurde keiner Kommission übertragen, da der Bat, der gomäss den Bestimmungen der Satzung sich zuerst hierüber auszuspreehen hat, noch zu keinem Beschlüsse gekommen war.

Die erste Kommission wählte zu ihrem Vorsitzenden den ersten Delegierten des Britischen Reiches, Sir Austen Chamberlain. Die zweite Kommission wählte den dritten Delegierten Frankreichs, Herrn Loucheur. Der VersammJungspräsident und die Präsidenten der beiden Kommissionen, denen die Versammlung reglementsgemäss noch sechs Vizepräsidenten beigab, bildeten das Bureau. Die sechs von der Versammlung bezeichneten Vizepräsidenten waren: die Herren Scialoja, Vertreter Italiens, Vicomte Ishii, Vertreter Japans, Sir James Allen, Vertreter von Neuseeland, Caballero, Vertreter von Paraguay, Titulesco, Vertreter von Rumänien, und Morales, Vertreter der Dominikanischen Republik.

Die Eröffnung der Session, die Ernennung der Kommission für die Prüfung der Vollmachten, die Berichterstattung dieser Kommission, die Wahl des Versammlungspräsidenten, die Annahme der Tagesordnung, die Bestellung der Kommissionen sowie die Bildung des Bureaus konnten, dank der Anlehnung an die frühern Fälle, an einem einzigen Nachmittage vorgenommen werden.

a. Die Frage der Aufnahme Deutschlands.

Wenn man an die Frage der Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund herantritt, so ist zu unterscheiden zwischen den Problemen, die in den Kompetenzbereich der Versammlung fallen, und denjenigen, die der Rat zu behandeln hat.

Der Versammlung kommt die Aufgabe zu, sich über den Antrag der deutschen Regierung betreffend die Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund auszusprechen. Vorerst hatte sie zu untersuchen, in welchem Masse die deutsehe Kandidatur den in Artikel I, zweiter Absatz, der Satzung aufgestellten Bedingungen entspreche. Wie bereits gesagt, wurde mit dieser Untersuchung die erste Kommission betraut. Wie dies auch in frühern Fällen geschehen war, setzte die
Kommission eine Unterkommission ein. Zwölf Staaten wurden eingeladen, sich in ihr vertreten zu lassen : Belgien, das Britische Reich, Bulgarien, Kuba, Frankreich, Griechenland, der Irische Freistaat, Italien, Japan, Norwegen, die Niederlande und das Serbisch-Kroatisch-Slowenische Königreich. Nach Prüfung der üblichen Fragen bescLloss die Unterkommission einstimmig, der ersten Kommission zu empfehlen, « der Versammlung die Aufnahme Deutschlands in den "Völkerbund gemäss Artikel I der Satzung vorzuschlagen)).

548 Die Kommission machte die Sohlussfolgerungen des TJnterkommissionijberichtes zu den ihrigen und erklärte sich einstimmig mit der Zulassung Deutschlands einverstanden, " Auf seilen der Versammlung bestand also keinerlei Hindernis für den Eintritt Deutschlands.

Nicht ebenso vorhielt es sich rnit dem Kate. Da Deutschland ein Giossstaat ist, machte es seine Bezeichnung als ständiges Ratsmitglied zur Bedingung für den Eintritt in den Völkerbund. Tatsächlich besitzen die dem Völkerbund angehörigen Grossmachte alle einen ständigen Sitz im BäteGemftss der Satzung ist es nun Sache des letztem, durch einen einstimmigen Beschluss irgendein Völkerbundsmitglied zu bezeichnen, dessen Vertretung von da an eine ständige sein soll. Die Versammlung kann durch eiûen Mehrheitsbeschluss diese Bezeichnung genehmigen oder sich ihr widersetzen. Da die notwendige Einstimmigkeit im Kate nicht erreicht werden konnte, hatte sich die Versammlung über diese Frage nicht auszusprechen.

Indessen konnte die Versammlung der sonderbaren Lage gegenüber, in der sie sich befand, nicht Stillschweigen bewahren, ohne gegen ihre wichtigsten Pflichten zu verstossen. Sie hatte Sich zu einem bestimmten Zwecke vereinigt ; es lag ein Bericht vor, der von der ersten Kommission einstimmig genehmigt worden war und der die Aufnahme Deutschlands verlangte ; und doch hinderte sie eine von ihrem Willen unabhängige Schwierigkeit, diese Aufnahme auszusprechen. Daher traten denn auch anlässlich der Sitzung, -- der letzten dieser Session, ·-- in deren Verlauf es offenkundig wurde, dass die Vertagung der deutschen Kandidatur der einzige Ausweg sei, mehrere Delegationen auf, darunter auch die schweizerische, um sehr deutlich ihrem Erstaunen odor ihrer Bestürzung Ausdruck zu geben. Vom ersten Delegierten Frankreichs wurde eine Resolution eingebracht, deren Annahme, wenn sie auch nicht rechtlich den Eintritt Deutschlands in den Völkerbund bedeutet, doch, wiegesagt wurde, einer moralischen Aufnahme gleichkommt. Diese Resolution besitzt zufolge der Tatsache, dass &ie vom Chef der franzosischen liegierungvorgeschlagen wurde, eine Wichtigkeit, die weit über jene hinausgeht, die ihr nach dem blossen Wortlaute zukäme.

Die Schweiz hat die Universalität von Anfang an als eine der wesentlichen Bedingungen für den Bestand des Völkerbundes angesehen. Dem
Bundesbeschlusse vom 5. März 1920. der am darauffolgenden 16. Mai von der Mehrheit des Volkes und der Kantone angenommen wurde, hatte man im Vertrauen darauf zugestimmt, dass sich der Völkerbund in nicht ferner Zukunft zu einem allgemeinen Völkerbund erweitere. In seiner Kede, die er an der Eröffnungssitzung der ersten Völkerbunds Versammlung hielt, hatte der Führer der schweizerischen Delegation, der damals Bundespräsident war, dieser Hoffnung und damit don Gefühlen des Landes Ausdruck gegebenSeither machten es die Instruktionen des Bundesrates der Delegation Jahr iür Jahr zur Pflicht, die Sache der Universalität zu verteidigen, und zwar nicht

549 nur dureh ihre Stimmabgabe für die Aufnahme neuer Mitglieder, sondern auch durch ihr Eintreten für eine weitherzige Auslegung der Eintrittsbedingungen.

Was insbesondere die Kandidatur Deutschlands betrifft, so liess der Standpunkt des Bundesrates keine Zweifel zu. Hinsichtlich der von der deutschen Eegierung für den Eintritt Deutschlands aufgestellten Bedingung, nämlich Zuerteüung eines ständigen Eatssitzes an diesen Staat, war der Bundesrat "von jeher der Meinung, dass es sich um eine gerechte Forderung handle.

Die der Delegation für die fünfte Völkerbundsversammmng mitgegebenen Instruktionen schrieben dieser vor, ihre Zustimmung dazu zu geben, dass die noch ausserhalh des Völkerbunde« stehenden Grossmächte «wenn tunlich bei ihrem Eintritt in den Bund oder jedenfalls sobald als möglich» als ständige Eatsmitglieder bezeichnet wurden. Die Instruktionen von 1925 drücken den gleichen Standpunkt aus. Es bereitete daher der schweizerischen Delegation Genugtuung, die öffentlichen Erklärungen zu hören, welche die ersten Delegierten Prankreichs und Grossbritanniens am 17. März abbin abgaben; der eine betonte, dass er das Verlangen Deutschlands als «einen wohlbegründeten Wunsch», der andere, dass er es als «eine natürliche und vernünftige Bedingung» ansehe.

Es berührte in der Schweiz angenehm, als man vernahm, dass das Inkrafttreten der Locamo-Abkommen von der Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund abhängig gemacht worden war und desgleichen, als man einige Monate später erfuhr, dass die deutsche Eegierung. entschlossen, den Erfolg der Verträge vom 16. Oktober 1925 sicherzustellen, die Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund beantrage. Unser Land konnte tatsächlich in dieser Kandidatur eine Eechtfertjgung der Politik sehen, die es im Völkerbunde stets befolgt hat.

Man sah im Eintritte Deutschlands einen wichtigen Schritt auf dem Wege zur Universalität. Er zeigte ausserdem die stets wachsende Bedeutung, welche die Staaten dem Gedanken einer auf das Becht gegründeten Organisation der zwischenstaatlichen Gemeinschaft beimessen.

Es war daher eine grosso Enttäuschung für dio Schweiz, als sich die Versammlung vor die Notwendigkeit gestellt sah, die Aufnahme Deutschlands in den Völkerhund auf die ordentliche Herbstsession zu vertagen. Diesem Gefühle lag die Befürchtung zugrunde, das Werk"der Friedenssicherung
in Europa, an dem in Locamo so gedeihlich gearbeitet worden war, sei gefährdet und damit alles, was der Völkerbund aufgebaut habe. Dazu gesellte sich die Sorge darüber, dass nun der Völkerbund eine konstitutionelle und politische Krise von unberechenbaren Polgen durchzumachen habe.

b. Die Frage der Ratsarweiterung.

Die Satzung gibt dem Eate das Eecht, die Zahl der Sitze zu erhöhen.

Palls es sich um einen ständigen Sitz handelt, ist es Sache der Versammlung, die Wahl des vom Eate bezeichneten Inhabers zu genehmigen, und wenn es sich um einen nichtständigen Sitz handelt, den Inhaber zu ernennen. Einige nichtständige Mitglieder des Rates benutzten die Gelegenheit der Erweiterung dieses

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Kollegiums durch den dauernden Eintritt Deutschlands, um die Umwandlung ihrer gegenwärtigen Vertretung in eine endgültige zu verlangen. Andere Völkerbundsmitglieder wiederum forderten das Becht, gleichzeitig mit Deutschland in den Bat einzutreten und daselbst wenigstens einen nichtständigen Sitz au erhalten. Die Versammlung hatte nichts zu tun mit diesen Begehren und den langen Verhandlungen, die sie veranlassten. Die letzte Vollversammlung i'and sich einfach der Tatsache gegenüber, dass sich Brasilien endgültig weigerte, Deutschland eine dauernde Vertretung im Eate zu gewähren, falls ihm nicht gleichzeitig eine ebensolche Stellung zugesichert würde.

Unter diesen Umständen bot sich dem Eate keine andere Möglichkeit, als der Versammlung die Vertagung der deutschen Kandidatur vorzuschlagen. Damit sich indessen die ordentliche Session im September nicht einem unveränderten Sachverhalte gegenüber befinde, gab der Vorsitzende des Eates der Versammlung Kenntnis von der Absicht, seinen Kollegen einen Vorschlag zu unterbreiten, wonach eine Kommission zu beauftragen wäre, das Problem der Zusammensetzung des Bates, der Zahl und Wahlart seiner Mitglieder zu prüfen. Diese Kommission, fügte Vicomte Ishii bei, soll angewiesen werden, ihren Bericht so zeitig einzureichen, dass die Völkerbundsmitglieder vor der nächsten Versammlung davon Kenntnis nehmen können. Der Gedanke, die Frage der Batserweiterung einer Kommission zu überweisen, rührt bekanntlich von der deutschen Delegation her.

Dieser Vorschlag fand bei der Versammlung gute Aufnahme. Da indessen die Schwierigkeiten, die sich dem Eintritte Deutschlands entgegengesetzt hatten, im Bäte aufgetaucht waren und es diesem nicht gelungen war, sie zu beseitigen, drangen einige Delegationen, insbesondere die schwedische, norwegische und niederländische, darauf, dass der Bat auch unbeteiligte und unparteiische Mitglieder der Versammlung in die Kommission wähle.

Der Bat fasste tags darauf Beschluss über die Zusammensetzung der Kommission und deren Aufgabe. Folgende Staaten wurden eingeladen, sich darin vertreten zu lassen: die zehn Batsmächte, dazu Deutschland, Argentinien, China, Polen und die Schweiz. Die Kommission soll sich am 10. Mai in Genf vereinigen. Ihre Aufgabe wird, wie erwähnt, darin bestehen, die mit der Zusammensetzung des Bates, der Zahl und "Wahlart
seiner Mitglieder verknüpften Probleme gründlich zu prüfen.

Da die Versammlung nicht dazu kam, die Frage der Batserweiterung zu behandeln, hatte die schweizerische Delegation von ihren Instruktionen in diesem Punkte keinen Gebrauch zu machen. Es ist vielleicht nicht überflüssig, sie in diesem Berichte kurz zu besprechen.

Namentlich drei Grundsätze waren bisher massgebend für die Haltung, die der Bundesrat und seine Delegierten in den Fragen betreffend den Eat einnahmen. Dor Bundosrat hat in seinen Instruktionen und die Delegation durch ihr Auftreten versucht, vorerst zu erreichen, dass die Versammlung die Vorschriften über die Wahl der nichtständigen Batsmitglieder, und ins-

551 besondere jene über die Dauer ihres Mandats und die Bedingungen für die "Wiederwahl, festlege. Die Schweiz ratifizierte denn aucb unverzüglich die im Jahre 1921 votierte Abänderung des Artikels IV, die jedoch leider noch nicht in Kraft erwachsen ist. Sodann betrachtet es die Schweiz als wichtig, dass die Anzahl der Eatsmitglieder nicht zu gross sei. Daher wurde es der Delegation etwas schwer, der ira Jahre 1922 beschlossenen Ratserweiterung um zwei nichtständige Mitglieder zuzustimmen. Ein zu umfangreicher Eat wird mehr als ein kleiner durch die Eegel der Einstimmigkeit gehemmt. Es werden sich in seinem Innern Gruppen bilden. Die Tatsache, dass er sich zufolge seiner Funktionen gewöhnlich viermal jährlich vereinigen muss, während die Versammlung ein einziges Mal tagt, ist ohnehin geeignet, ihm eine Eolle zu verachaffen, die eine Erhöhung seiner Mitgliederzahl noch verstärken würde; es wäre zu befürchten, dass dieses Übergewicht im gleichen Masse das Ansehen der Versammlung vermindern würde, die das einzige Kollegium ist, in dem alle Mitgliedstaaten vertreten sind. Und schliesslich ist die Schweiz der Meinung, «o sehr sie auch dem Grundsatze der Gleichheit der Staaten zugetan ist, dass.

den tatsächlichen Unterschieden, die zwischen den Grossmächten und den übrigen Staaten bestehen, unter gewissen Umständen auch rechtliche Unterschiede entsprechen müssen und dass es ein politischer Irrtum wäre, diesen Unterschieden nicht Eechnung zu tragen. Daher hat sich die Schweiz, vom Wunsche beseelt, die Grossmächte aktiv am Werke des Völkerbundes mitarbeiten zu sehen, für den in der Satzung niedergelegten Grundsatz ausgesprochen, gemäss welchem einzig den Grossmächten eine standige Vertretung im Bäte zukommen eoli. Wir glauben jedoch unsere Ausführungen nicht weiter ausdehnen zu müssen, da diese schwierigen und heiklen Prägen Gegenstand der bevorstehenden Diskussionen in der Kommission sein werden, die der Völkerbundsrat eingesetzt hat und der beizutreten wie wir gesehen die Schweiz eingeladen wurde.

c. Zusatzbudget Wenn Deutschland im Laufe der März-Session in den Völkerbund eingetreten wäre, so hätte es während ungefähr 10 Monaten des Jahres 1926 beim Tragen der Völkerbundsausgaben mitgeholfen. Nun aber war der Voranschlag für dieses Jahr, sowie der Verteilungsplan der Kosten von der VI. Versammlung bereits festgelegt. Das Generalsekretariat schlug daher vor, ein dem Beitrage Deutschlands entsprechendes Zusatzbudget aufzustellen. Zur Eechtfertigung seines Gedankens wies es auf die durch die ausserordentliche Versammlung verursachten Auslagen hin, sowie auf die beträchtliche Vermehrung der Arbeit, welche die Anstellung ziemlich vieler neuer Beamter nötig mache. Die Kontrollkommission, die vom Eate aufgefordert worden war, zuvor ihre Meinung über dieses Budget abzugeben, weigerte sich dessen und stützte sich dabei auf einige interessante Gründe, für deren Vorbringen man ihr zu Dank verpflichtet ist : Das Finanzreglement des Völkerbundes sieht nur ein einziges Budget vor; Fristen müssen innegehalten werden, um den Mitgliedstaijten die Prüfung der

552 in Aussicht genommenen Ausgaben zu ermöglichen; das von der VI. Vei'-sammlung für 1926 aufgestellte Budget enthält hereits eine Kubrik für unvorhergesehene Ausgaben: vielleicht werden sie genügen; die im Musatzbudget aufgeführten Posten besitzen nicht alle den gleichen Charakter der Notwendigkeit und Dringlichkeit. Die Kontrollkommission verlangte, von der Versamnv lung ausdrücklich mit der Untersuchung des vom Generalsekretariat eingereichten Projekte» beauftragt zu werden. Die Versammlung übertrug ihr diese Aufgabe durch eine Besolution vom 13. März*).

Das Ergebnis der Beratungen der Kontrollkommission und der zweiten Kommission war, dass das vom Generalsekretariate vorgeschlagene Budget auf die Hälfte herabgesetzt wurde. Übrigens hat dann, wie der Berichterstatter der Versammlung gegenüber erklärte, die Tatsache, dass Deutschland nicht in den Völkerhund aufgenommen wurde, die Präge der Eröffnung neuer Kredite aus der Welt geschafft.

d. Die Gebäudefrage.

Der Völkerbund besa&s in Genf zur Zeit, da sich die Versammlung vereinigte, drei Liegenschaften: das Generalsekretariat, die anstossende «propriété Armleder» und das neue Internationale Arbeitsamt. Was ihm besonders fehlt, ist ein Saal, in dem die Versammlungen, die allgemeinen Arbeitskonferenücn und andere grosse internationale Zusammenkünfte abgehalten werden, können. Die Versammlungen tagten bis jetzt im Beformationssaale, der aber ernsthafte Nachteile besitzt. Er ist weit entfernt vom Generalsekretariate ; seine Akustik ist mangelhaft ; dazu fehlt es an Platz ; auch sind die Ausgängeungenügend; die Miete verursacht dem Völkerbund jedes Jahr Verhältnismassig hohe Kosten.

Um dem Völkerbunde die Niederlassung in Genf zu erleichtern, schenkten ihm die Eidgenossenschaft, der Kanton und die Stadt Genf im Jahre 1923, wie erinnerlich, zwei Liegenschaften. Die Eidgenossenschaft trat die Besitzung abj auf welchem gegenwärtig das Internationale Arbeitsamt steht; der Kanton und die Stadt Genf gaben ein im Süden an das gegenwärtige Generalsekre^ tariat angrenzendes Grundstuck. Der Stand der Völkerbundsfinanzen erlaubte nicht, sogleich an den Bau eines Konferenzsaales heranzutreten. Mit Genugtuung stimmte man dann von Seiten der schweizerischen Delegation für die V. Völkerbundsversammlung (1924) dem Berichte der vierten Kommission zu, dessen
Schlussfolgerungen dahin gingen, dass der Beginn der Arbeiten eine dringende Notwendigkeit sei, und die vorsahen, dass zu diesem Zwecke während vier Jahren, nämlich von 1926 bis 1929, ein Betrag von je 1,125,000 Franken, insgesamt also 4,500,000 Franken, ins Budget aufzunehmen sei. Man dachte damals, dass der Versammlungssaal das einzige vom Völkerbunde zu errichtende neue Gebäude sei und das« ea auf dem vom Kanton und der Stadt Genf geschenkten Grundstück erstellt werde, was dem Völkerbunds*) Siehe Beilage.

553 Sekretariate gestattet hätte, im ehemaligen Hotel National zu verbleiben. Die internationale Architekten-Jury* die vom Völkerbundsrat ernannt worden -war, um die Bedingungen für die Konkurrenz zu bestimmen und die sich vor der VI. Völkerbundsversammlung vereinigte, kritisierte die Platzwahl und hielt die in Aussicht genommenen Kredite für ungenügend. Die VI. Versammlung pflichtete der Meinung der Architekten bei und erhöhte die Kredite auf 11,700,000 Franken, wobei es die Meinung hatte, dass 2 Millionen iür den Ankauf von Land, 8 Millionen für den Versammlungssaal und 1,700,000 Franken für einen Anbau an das Generalsekretariat verwendet ·werden sollten. Man sah damals vor, dass der Versammlungssaal höchst wahrscheinlich auf dem im Norden -- nicht mehr auf dorn im Süden -- an das Hotel National anstossenden Gebiete gebaut würde und dass das GeneralSekretariat an seinem jetzigen Orte bliebe, aber vergrössert werden sollte.

Angesichts dieser Beschlüsse stellte die Jury im letzten Januar zwar fest, dass in der Gebäudefrage ein Fortschritt erzielt worden sei, erklärte 'aber einstimmig, dass der Platz, zu dessen Gunsten sich die VI. Versammlung entschieden hatte, immer noch nicht der geeignete sei. Sie sprach sich für den Erwerb anderer Grundstücke aus, die am See zwischen dem Park Mon Eepos und dem neuen Internationalen Arbeitsamt gelegen sind.

Was den Preis für den Baugrund betrifft, so näherten sich die beiden Lösungen, die schliesslich der ausserordentlichen Versammlung unterbreitet wurden, nach der Einschätzung eines Sachverständigenausschusses gegenseitig bis auf 15,000 Franken; dabei aber bestand der Unterschied, dass die Besitzungen am E>ee -- es sind deren drei (die Liegenschaften Moynier, Perle du Lac und Bartholoni) -- den Vorteil hatten, dass der Völkerbund für den gleichen Preis Land erhielt, das um mehr als siebentausend m2 .grössev "war als die in der ersten Lösung in Aussicht genommenen Grundstücke (das Gelände Pictet-Forget, die Liegenschaften des Zentralbureaus für Wohltätigkeit und die Parzelle Weil und Levaillant). Ausdehnung, Lage, Charakter dos Terrains, Neigung, alles dies führte die Jury zugunsten des Baugrundes in Sécheron ins Feld. Geringerer Umfang, unregelmässige Grenzen, die eine zweckmässige Ausnützung schwierig, wenn nicht unmöglich gestalten, dazn die Tatsache,
dass sich dahinter ein Industriequartier befindet, und endlich die stärkere Abschüssigkeit, das waren die Nachteile, welche die Liegenschaften der ersten Losung boten.

Der Präsident der Jury legte vor der zweiten Kommission der Völkorbundsversammlung den Standpunkt der Architekten dar; seme Ausführungen machten Bindruck auf die Kommission, und diese erklärte einstimmig, dass sie seine Meinung teile. Eine beträchtliche Schwierigkeit rausste indessen noch überwunden werden, bevor man die Kommission und hernach die Versammlung dazu bringen konnte, die zweite Lösung anzunehmen.

Die in den verflossenen sechs Jahren gemachten Erfahrungen zeigen» dass es notwendig ist, den Versammlungssaal möglichst nahe beim General-

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Sekretariate zu erstellen. Wenn man den Saal gemäss dem von der VT. Versammlung festgelegten Plane baute, so war diese Forderung verwirklicht. Siegtedie zweite Lösung ob, so wurde es unerlässlich, ein neues Sekretariat zu errichten und demzufolge sich des gegenwärtigen Sekretariates zu entäussern,, Diese Liegenschaft war vom Völkerbund im Jahre 1920 zum Preise von.

5,500,000 Franken erstanden worden. Als man es am Ende des letzten Jahres verkaufen wollte, fand es keinen Erwerber zum festgesetzten Preise, der damals 4,500,000 Franken betrug. Der Völkerbund erklärte sich nun einverstanden, sein Angebot auf 4 Millionen herabzusetzen; er nahm damit einen weitem Verlust von einer halben Million auf sich; tiefer gehen konnte er jedoch nicht. Die Kommission, die zwischen der Lösung I und der Lösung II zu wählen hatte, glaubte sich nicht zur Annahme der zweiten entschliessen zu können, falls sie nicht die Sicherheit habe, dass das aus dem Verkaufe des Hotels National sich ergebende Defizit nicht höher als 1,500,000 Franken sein werde.

Der Bundesrat und die Behörden des Kantons und der Stadt Genf, die mit Aufmerksamkeit die Gebäudefrage verfolgt hatten, waren schon vor der Versammlung zur Überzeugung gekommen, dass das grösste Hindernis, das sich der Annahme der Lösung II entgegenstellen werde, die Veräusserung desHotels National sei. Sie gaben sich auch Bechenschaft darüber, dass der Völkerbund, im Begriffe beträchtliche Kapitalien für Bauten in Genf zu verausgaben, von unserm Lande erwarte, dass es neuerdings durch sein Entgegenkommen die einzige Schwierigkeit beseitige, die es dem Völkerbünde verunmöglichen könnte, die erforderlichen Gebäulichkeiten an dem Orte zu errichten, den jedermann als den geeignetsten ansieht. Sollten die Eidgenossenschaft, der Kanton und die Stadt Genf tun,, worauf man zu zählen schien?

Bevor sie einen Entsehlus» fassten, taten die eidgenössischen und kantonalen Behörden alles, um die Kreise, die sich für einen allfälligen Erwerb des Hotels National interessieren könnten, zu einem Kaufsangebote zu veranlassen, Sie mussten sich jedoch bald überzeugen, dass die Umstände gegenwärtig zu ungünstig sind, als dass man daran denken könnte, ein festes und annehmbares Angebot zu erhalten. "\Venn man das Hotel National verkaufen will, muss mau sich dazu entschliessen, es wieder zum
Hotel werden zu lassen, wie dies seine ursprüngliche Bestimmung war. Obwohl Genf ein neues Hotel nötig hat, würde der Verkauf des Hotels National auf ein Hindernis stossen: Es werden drei oder vier Jahre vergehen, bis das neue Generalsekretariat beendet sein wird. Bevor sie der zweiten Lösung zustimmte, verlangte die Versammlung, die unmittelbare Sicherheit zu besitzen, dass das Hotel National für 4 Millionen losgeschlagen werden könne. Nun wollte aber keine Finanzgruppe so lange voraus das nötige Kapital garantieren.

DÌP eidgenössischen und kantonalen Bshördan wollten sich nicht vorgängig der Session verpflichten. Man wusste nicht, ob die Versammlung wirklich für die Lösung II Partei nehmen und ob sie bejahendenfalls tatsächlich ein Entgegenkommen unsererseits erwarten werde.

555 Die Verhandlungen über diesen Gegenstand in der zweiten Kommission schlössen von vorneherein jeden Zweifel aus. Einerseits hatten die Gründe der Architekten-Jury Eindruck auf die Kommission gemacht; andererseits jedoch weigerte sie sich, die Lösung II anzunehmen, falls sie nicht die Zusicherung habe, dass das gegenwärtige Generalsekretariat für vier Millionen verkauft werden könne. Sie schien auch einstimmig der Ansicht zu sein, dass es Sache der Schweiz sei, die Beseitigung der Schwierigkeiten zu versuchen, indem sie einen Verkaufspreis von 4 Millionen verbürge. Die Diskussion zeigte ausserdem, dass der Völkerbund in einem Anerbieten unsererseits nicht nur ein Mittel zur Verhinderung eines empfindlichen Verlustes sehe, sondern auch einen greifbaren Beweis für unsern Wunsch, den Sitz in Genf zu festigen.

Eine Weigerung wäre leicht als ein Zeichen dafür aufgefasst worden, dass wir dem Völkerbund und seiner dauernden Niederlassung auf unserm Boden wenig Interesse entgegenbringen. Von diesem Standpunkt aus nimmt die Frage eine andere Gestalt an, und im Hinblick auf die eventuellen Polgen wurde es notwendig, den Eindruck, dass die Schweiz dieser Frage gleichgültig gegenüberstehe, sofort zu beseitigen. Im Einverständnisse mit dem Bundesrat und dem Begierungsrate des Kantons Genf-verpflichtete sich daher die schweizerische Delegation unter Vorbehalt der « Genehmigung durch die gesetzgebenden Behörden, den Völkerbund beim Verkaufe dea Hotels National, der sogleich nach der Übersiedlung in die neuen Gebäude stattfinden wird, für jenen Betrag zu decken, um den der vom Käufer bezahlte Preis gegehenenfalls unter 4 Millionen zu stehen kommen sollte». Diese Erklärung erweckte den besten Eindruck; die Kommission nahm von ihr Kenntnis und sprach bei dieser Gelegenheit den eidgenössischen und kantonalen Behörden ihren lebhaften Dank aus.

Nach Beseitigung der Schwierigkeit, welche die Kommission verhindert hatte, sich auszuspreehen, wurden die nötigen Kredite für die neuen Gebäude ohne weiteres sowohl von der Kommission wie von der Versammlung bewilligt, Der Gesamtbetrag, der einstweilen für den Erwerb des Geländes und die Errichtung der Gebäude bestimmt ist, beläuft sich auf ungefähr 17 Millionen (16,968,000 Franken), wovon 8 Millionen für den Versammlungssaal, ein wenig mehr als 6 Millionen (6,138,000 Franken)
für die dauernden Dienstzweige, ungefähr 2,s Millionen (2,580,000 Franken) für den Ankauf des Baugrundes und 800,000 Franken für einen provisorischen Anbau an das gegenwärtige Sekretariat Verwendung finden sollen *).

Zufolge eines Übereinkommens zwischen dem Bundesrat und dem genferischen Eegierungsrate soll das Eisiko, das die Schweiz auf diese Weise auf sich genommen, von der Eidgenossenschaft und dem Kanton zu gleichen Teilen getragen werden. Ist zu befürchten, dass dieses Eisiko gross sei ? -- Es wäre verfrüht, schon jetât auf disse Frage antworten zu wollen. Der Wert des Hotels National, zu dem noch jener der « propriété Armleder » kommt, -- letzterer *) Der Wortlaut der,Resolution ist aus der Beilage ersichtlich.

556 wird auf 600,000 Franken geschätzt, -- hängt von mehreren Umständen ab, wobei in Betracht zu ziehen ist, dass die Veräusserung der genannten Liegenschaften durch den Völkerbund in drei oder vier Jahren geschehen soll. In welchem Sinne wird sich die gegenwärtige Wirtschaftskrise entwickeln ?

Welches wird die Lage Genfs und insbesondere seiner Hotelindustrie im Jahre 1929 oder 1930 sein? -- All das ist unbestimmt.

Der Bundesrat hat pflichtgemäss die Genehmigung durch die eidgenössischen Räte vorbehalten : die vorstehenden Ausführungen haben gezeigt, welcher Art die fragliche Verpflichtung ist. Es handelt sich gegenwärtig nicht darum, einen neuen Betrag im Budget der Eidgenossenschaft aufzunehmen, sondern grundsätzlich für den ins Auge gefassten Fall einem Kredite zuzustimmen, dessen Höhe erst später genau festgesetzt werden kann. Zu gegebener Zeit wurde der Bundesrat durch eine Botschaft die Bundesversammlung um Bewilligung des notigen Kredites ersuchen. Der Bundesrat gibt sich Bechenschaft über den besonderen Charakter der Angelegenheit, die er hiermit der Bundesversammlung unterbreitet. Er hofft jedoch, dass sie gleich ihm erkenne, dass es kaum möglich gewesen wäre, anders vorzugehen.

Wollte man eine Bilanz betreffend den Wert der Zusicherung aufstellen so wiirde man auf der Passivenseite eine ungefähre Zahl finden, deren Bedeutung man nicht überschätzen soll. Auf Seiten der Aktiven wurde man besonders einen neuen Grund dafür haben, dass der Völkerbundssitz weiterhin in der Schweiz bleibe, was einen Vorteil sowohl für die Schweiz wie den Völkerbund bedeutet. Wir haben auch die Überzeugung, im wohlverstandenen Interesse Genfs gehandelt zu haben. Dieser Kanton, der schwierige Zeiten durchlebt, war kaum in der Lage, allein zu unternehmen, was der Völkerbund zu erwarten schien. Indem die Eidgenossenschaft dazu beitrug, das's die Organe des Völkerbundes weiterhin auf. genferischem Gebiete bleiben, handelte sie gemäss dem Grundsätze der Solidarität, der ihre Beziehungen mit den Kantonen beherrschen soll.

Schiiissfolgerungen.

Die ausserordentliche März-Session schloss mitten in einer Krise. Die "Ursachen hierfür sind zahlreich. Es ist bedauerlich, dass die schon im Jahre 1921 angenommene Abänderung des Artikels IV der Satzung noch nicht in Kraft treten konnte. Ware die Versammlung anlässlich ihrer dritten oder vierten Session in der Lage gewesen, die Mandatsdauer der nichtständigen Batsmitgheder zu bestimmen, so wären die gegenwärtigen Schwierigkeiten vielleicht nicht aufgetreten. Gewisse Methoden, die sich im Laufe der Session zeigten, sowie insbesondere die Tatsache, dass es der Eat nicht für nötig hielt, die Schwierigkeiten, denen er begegnet war, der Versammlung zu, unterbreiten, halfen zweifellos den schliesslichen Misserfolg herbeiführen, Es wäre unnütz, sich hier in Vorwürfen zu ergehen. Dagegen sei es gestattet, offen zu sagen,

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dass der Völkerbund nur dann lebten und gedeihen kann, wenn die Staaten gewisse nationale Interessen, die nicht wesentliche Interessen sind, den hohem Interessen der internationalen Gesamtheit unterordnen können.

Indem wir Ihnen beantragen, von den vorstehenden Ausführungen Kenntnis nehmen zu wollen, benützen wir den Anlass, um Sie unserer ausgezeichneten Hochachtung zu versichern.

Bern, den 16. April 1926.

Im Namen des Schweiz, Bundesrates, Der Bundespräsident:

Häberlin.

Der Bundeskanzler:

Kaesliu.

Beilage.

Resolutionen.

Die Frage der Aufnahme Deutschlands.

«Die Versammlung bedauert, dass die Schwierigkeiten, denen man bisher begegnete, die Erreichung des Zieles, um dessentwillen sie einberufen worden war, nicht erlaubten ; sie drückt den Wunsch aus, dass diese Schwierigkeiten bis zur ordentlichen Session im September 1926 beseitigt werden können, auf dass in jenem Zeitpunkte der Eintritt Deutschlands in den Völkerhund möglich sei.»

Budgetfragen.

«Die Versammlung dankt dem Kontrollausschusse für seinen Bericht.

Sie beschliesst, ihn zur Prüfung des Entwurfes eines Zusatzbudgets für 1926 zu ermächtigen, und lädt ihn ein, ihr so bald als möglich einen Bericht über dieses Budget zu unterbreiten. Die Versammlung ist der Ansicht, dass das Znsatzbudget kerne Ausgabe enthalten sollte, die ohne Nachteil bis zur ordentlichen Prüfung des Budgets für das Eechnungsjahr 1927 vertagt werden kann.» Bundesblatt. 78. Jahrg. Bd. I.

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Die Gebäudefrage.

«Die Versammlung ändert im Hinblick auf die einstimmige Meinungsäusserung der vom Kate bezeichneten Architektenkommission die Resolution ab, die sie am 23. September 1925 betreffend den Bau eines Versammlungssaales und von Nebengebäuden zum Sekretariate des Völkerbundes gefasst hatte; sie genehmigt den Bericht dor zweiten Kommission über den Bau eines Versammlungssaales und von Nebengebäuden zum Sekretariate ; sie genehmigt den Voranschlag für das Unternehmen. Dieser beläuft sich nach Abzug eines Betrages von 4,000,000 Franken, der den verbürgten Verkaufspreis für das Hotel National darstellt, auf 12,968,000 Franken, d. h.

8,000,000 Franken für den Bau eines Versammlungssaales, 6,138,000 Franken für den Bau eines neuen Sekretariates, 800,000 Franken für den Bau eines einstweiligen Nebengebäudes und 2,580,000 Franken tur den Ankauf des Baulandes »

Ablauf der Referenumsfrist : SO. Juli 1926.

Bundesbeschluss betreffend #ST#

die Genehmigung der Erklärung, derzufolge die Schweiz dem Protokoll über die obligatorische Gerichtsbarkeit des Ständigen Internationalen Gerichtshofes, wie sie in Artikel 36, Absatz 2, seines Statuts vorgesehen ist, für eine weitere Zeitdauer von zehn Jahren beitritt.

(Vom 15. April 1926.)

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 16. März 1926, beschliesst: I. Die im Namen des Bundesrates am 1. März 1926 in Genf unterzeichnete Erklärung, durch welche die Schweiz die obligatorische Gerichtsbarkeit des

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die ausserordentliche Völkerbundsversammlung, die vom 8. bis 17. März 1926 in Genf tagte. (Vom 16. April 1926.)

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Bundesblatt

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Jahr

1926

Année Anno Band

1

Volume Volume Heft

16

Cahier Numero Geschäftsnummer

2081

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

21.04.1926

Date Data Seite

543-558

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