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2083 Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend den Bundesratsbeschluss vom 23. März 1926 über den Abbau der Beitragsleistung an den Unterhalt bedürftiger kranker Russen.

(Vom 16. April 1926.)

Am 8. November 1918 hat der Bundesrat gestützt auf Art. 8 des Bundesratsbeschlusses vom 8. August 1914 betreffend Massnahmen zum Schutze des Landes und zur Aufrechterhaltung der Neutralität beschlossen, dass den in der Schweiz sich aufhaltenden kranken und bedürftigen Bussen Beiträge des Bundes in der Höhe von 5 Franken auf den Kopf und den Verpflegungstag, rückwirkend auf 1. August 1918, ausgerichtet werden sollen. Die Beiträge wurden den Kantonen ausgerichtet,, die solche Bussen beherbergten und auf öffentliche Kosten verpflegen mussten. Am 13. April 1920 wurde der erwähnte Beschluss dahin modifiziert, dass die Bundesbeiträge ab 15. April 1920 dem Schweizerischen Eoten Kreuz ausbezahlt werden sollten, das sich bereit erklärt hatto, durch seine kantonalen Organisationen für Verteilung und richtige Verwendung der Gelder zu sorgen. Die Höhe des Beitrages blieb unverändert.

Die Aufwendungen des Bundes seit dem ersten Bundesratsbeschluss vom 8. November 1918 bis Ende Dezember 1925 betrugen für die Unterstützung der kranken, bedürftigen Bussen insgesamt Fr. 3,428,758. 67.

Auf die einzelnen Jahre verteilt, ergibt sich folgendes Bild : 1918--1919: Fr. 185,902.-- 1920: » 297,307. --bei 158 Unterstützten im Durchschnitt.

» » )) 1921: » 432,068. 85 » 286 » » )) 1922: » 399,971. 40 » 218 3) )) » 1928: » 399,990. 55 » 221 )) » )) 1934: » 385,610. 33 » 209 » )) » 1925: » 377,903. 54 » 228 Aus diesen Zahlen ist zu entnehmen, dass sowohl die Anzahl der Unterstützten wie auch die Höhe der Aasgaben seit 1922 sich ungefähr gleichgeblieben sind. Die Zahl der Unterstützten betrug im Monat Januar 1926 «och zirka 10 % der überhaupt in der Schweiz lebenden Bussen.

Die bisherigen Aufwendungen des Bundes für die Bussen dürfen füglich als ganz bedeutend bezeichnet werden. Sie sind jedenfalls höher, als man es zur

539 Zeit des ersten Bundesratsbeschlusses voraussehen konnte, wo man noch auf eine Änderung der Verhältnisse in Bussland hoffte, die, wenn sie eingetreten wäre, wohl den meisten Bussen in der Schweiz die Möglichkeit der Heimkehr verschafft hätte. Diese Möglichkeit besteht jedoch für den Grossteil der vom Bunde unterstützten russischen Flüchtlinge auch heute nicht, und es muss mit ihrem weitern Verweilen in der Schweiz, aber auch mit ihrer andauernden Mittellosigkeit und Hilfsbedürftigkeit gerechnet werden.

Das kann nun aber nicht den Sinn haben, dass die Bundeshilfe in infinitum in gleichem Masse weiterdauern musß. Nicht, dass man jetzt daran denken könnte, die Aufhebung der Bussenunterstützung schlechtweg ins Auge zu fassen ; dies wäre unmöglich und unmenschlich zugleich, da es leider noch viele Bussen bei uns gibt, die zur Fristung ihres Daseins der Unterstützung tatsächlich bedürfen. Auch geht es kaum an, die Lasten dieser Unterstützung ohne weiteres auf die Kantone abzuladen, da die Not der Bussen auf die bekannten ausserordentlichen Umstände zurückzuführen ist, die Kantone am Verweilen der Bussen auf ihren Gebieten meist keine Schuld trifft und ihre Armenlasten durch den Krieg und dio Nachkriegszeit ohnehin ganz wesentlich gestiegen sind. Die Gründe, die den Bund im Jahre 1918 zur Nothilfo voranlassten, liegen daher auch heute noch vor. Dagegen erschien angesichts der bereits gebrachten und noch zii bringenden Opfer ein Abbau, soweit er unter Beachtung menschlicher Bücksichten verantwortet werden konnte, durchaus am Platze zu sein. Dies sowohl, um für den Bundesfiskus Ersparnisse zu erzielen, wie auch, um die Unterstützung auf das heute sachlich als gerechtfertigt zu bezeichnende Mass zurückzuführen. Der Abbau hat sich nach zwei Biohtungen zu gestalten: in erster Linie musste und muss auch künftighin danach getrachtet werden, die Zahl der Unterstützten zu vermindern, was durch eine strenge Revision der bisherigen Einzelfälle und durch straffe Anwendung der bestehenden Vorschriften bis zu einem gewissen Grade zu erreichen ist. Sodann musste aber auch der Abbau des Tagcsbeitrages in Aussicht genommen werden.

Der Personenabbau wurde bereits im letzten Jahre an die Hand genommen.

Die kantonalen Behörden wurden ersucht, die Lage der vom Schweizerischen Roten Kreuz unterstutzten Bussen auch
ihrerseits einer Untersuchung zu unterwerfen. Das Besultat war, dass bis jetzt 16 Fälle gänzlich und 12 Fälle teilweise, d.h. durch Herabsetzung des Tagesbeitrages, abgebaut werden konnten.

Im Monat Januar 1926 erhielten den Bundesbeitrag noch 285 Personen, welche Zahl im März dieses Jahres auf 211 zurückging. Ausser der Verminderung durch die Abbaumassnahmen erfuhr die Liste eine weitere Herabsetzung der Personenzahl infolge natürlichen Abgangs durch Tod, Wiedererlangung der Erwerbsfähigkeit oder Wegreise. Betrug die Gesamtsumme der für den Monat Januar dieses Jahres auszurichtenden Unterstützungen noch 30,500 Franken, s>o ging aie dank der Pwsoneuverminderuug für den Monat März auf 27,600 Franken zurück. Im Monat April wird die Zahl der Unterstützten auf 204 heruntergehen.

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Was sodann den Abbau des durch den Bandesratsbeschluss vom 8. November 1918 auf ö Franken festgesetzten Tagesbeitrages anlangt, so ist zunächst darauf hinzuweisen, dass von den 211 im Monat März noch Unterstützten den vollen, resp. den maximalen Beitrag von 5 Pranken per Pflegetag noch 112 Personen bezogen, 2 Personen erhielten Fr. 4. 50, 40 bezogen 4 Pranken, 43 erhielten 3 Pranken, 13 bekamen 2 Franken und l Person bezog l Franken per Tag. Von den 112 mit 5 Franken täglich Unterstützten befinden sich 20 in Irrenanstalten, 18 in Sanatorien, der Best wohnt privat, leider meist in grös&eren und ziemlich teuren Ortschaften wie Genf, Lausanne, Montreux, Locamo, Bern, Basel und Zürich. Nur wenige halten sich in kleineren und billigeren Ortschaften auf.

Wir waren der Meinung, dass das Maximum des Bundesbeitrages von 5 auf 4 Franken im Tag herabzusetzen sei, wobei allerdings vorbehalten wurde, in Fällen, in denen eine Herabsetzung aus besonderen Gründen sich als unmöglich'oder besonders hart erweisen würde, den Tagesbeitrag von 5 Franken beizubehalten oder ihn wieder auf diesen Betrag heraufzusetzen. Die Reduktion auf 4 Franken Tagesbeitrag rechtfertigte sich einmal, weil bei bescheidenen Ansprüchen mit einem Betrag von 4 Pranken heute auszukommen ist, besonders wenn nicht die teuersten Plätze als Aufenthaltsorte erkoren werden.

Dann musste bei der Herabsetzung des Beitrages auch in Betracht gezogen werden, dass die schweizerischen Armen, ganz besonders die in staatlichen Versorgungsanstalten Untergebrachten, aber auch die im Ausland lebenden oder von dort, speziell aus Bussland heimgekehrten Landsleute in zahlreichen Fällen nicht in so reichem Masse bedacht werden, wie die Küssen es bisher wurden. Letztere können nicht erwarten, weiterhin besser gestellt zu sein, als viele unserer eigenen verarmten und erwerbsunfähigen Angehörigen. Soweit da und dort der Bundesbeitrag für den Unterhalt nicht mehr völlig ausreicht, darf der Bund, der die Bussen ja ohne rechtliche Verpflichtung unterstützt und weitere Opfer zu bringen bereit ist, erwarten, dass auch Kantone, Gemeinden und Private einige Opfer bringen. Die Kantone können übrigens zuerst die von zahlreichen Bussen geäufneten Fremdenkautionen, die der Bund zumeist unangetastet Hess, zu allfallig nötigen Unterstützungen heranziehen.

Die Polgen des Abbaues
des Tagesbeitrages werden, da der Bundesratsbeschluss am 1. April in Kraft trat, von diesem Zeitpunkt hinweg in Erscheinung treten. Es ist angeordnet worden, dass dieser Abbau allen 112 Bussen gegenüber, die bisher noch 5 Franken pro Tag erhielten, durchgeführt wird, ausgenommen den 17 in Leysin und' Davos sich aufhaltenden gegenüber, die vorläufig weiterhin Fr. 4. 50 resp. Fr. 5 pro Tag erhalten werden. Es handelt sich hier um Tuberkulosekranke, die ohne Schädigung ihres Gesundheitszustandes nicht in tiefer gelegenen Eegionen leben können und an den beiden teuren Orten zu verweilen gezwungen sind.

Die Ausgabenverminderung infolge der Herabsetzung des Tagesbeitrages wird monatlich zirka 3000 Franken ausmachen. Zusammen mit der durch

541 den Persoilenabbau erzielten Einsparung wird sich insgesamt eine Ausgabenreduktion ergeben, die die Einhaltung des gegenüber dem Jahre 1925 um 50,000 Franken herabgesetzten Kredites für die Unterstützung der Russen ermöglichen wird.

Um den Abbau zu überwachen und soweit möglich weiterzuführen, hielten wir eine etwas engere Zusammenarbeit des Zentralsekretariates des Schweizerischen Koten Kreuzes mit dem Justiz- und Polizeidepartement (Polizeiabteilung) für nötig. Untersuchung der Fälle, Antragstellung, Ausrichtung der Gelder und Aufsicht über die zweckmässige Verwendung derselben soll weiterhin beim Boten Kreuz und seinen Organen verbleiben. Dagegen ist der Entscheid über die Unterstützungsgcsuche, über die Gesuche um Erhöhung von Beiträgen, über die Frage des Entzuges oder der Kürzung der Unterstützung dem Departement bzw. der Polizeiabteilung vorbehalten worden, der das Kote Kreuz alle Mutationen anzuzeigen haben wird.

"Wir ersuchen Sie, von diesem Berichte gefälligst Vormerk nehmen zu ·wollen.

Bern, den 16. April 1926.

Im Namen des Schweiz, Bundesrates, Der Bundespräsident:

Häberlin.

Der Bundeskanzler:

Kaeslin.

Beilage.

Bundesratsbeschliiss über

den Abbau der Beitragsleistung an den Unterhalt bedürftiger kranker Russen.

(Vom 23. März 1926.)

Der schweizerische Bundesrat, auf Antrag seines Justiz- und Polizeidepartements, beschließet: Bundesblatt.

78. Jahrg.

Bd. I.

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I. Die Bundearatsbeschlüsse vom 8. November 1918 *) und 13. April 1920 **) betreffend Unterstützung bedürftiger kranker Russen sind aufgehoben und werden durch folgenden neuen Beschluss ersetzt: 1. Der Bund leistet an den Unterhalt bedürftiger kranker Russen in der Schweiz Beiträge bis zur Höhe von 4 Franken auf den Kopf und den Tag. Sofern besondere Umstände es rechtfertigen, kann der tägliche Beitrag auf 5 Franken festgesetzt werden.

2. Die Beiträge werden auf Monatsende, auf Grund der dem eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement einzureichenden Listen der Unterstützungsbedürftigen, dem Zentralsekretariat des schweizerischen Roten Kreuzes ausbezahlt, das durch seine kantonalen Organisationen für die Verteilung und zweckenteprechende Verwendung der Gelder zu sorgen hat.

3. Über Unterstützungsgesuche, über Gesuche um Erhöhung des Beitrages, sowie über Entzug oder Kürzung der Unterstützung entscheidet das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (Polizeiabteilung), dem das Rote Kreuz alle Mutationen anzuzeigen hat.

II. Die nähere Durchführung dieses Beschlusses wird dem eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement (Polizeiabteilung) übertragen, das dem Bundesrat über einen allföllig weitergehenden Abbau, sowie über nötig erscheinende Änderungen in der Organisation der Russenunterstützung Bericht und Antrag einbringen wird.

III. Dieser Beschluss tritt auf 1. April J926 iu Kraft.

B e r n , den 23. März 1926.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident; fläberlin.

Der Bundeskanzler : Kaeslin.

*) Siehe Gesetzsammlung, Bd. 34, S. 1143.

**) Siehe Gesetzsammlung, Bd. 36, S. 225.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend den Bundesratsbeschluss vom 23. März 1926 über den Abbau der Beitragsleistung an den Unterhalt bedürftiger kranker Russen. (Vom 16. April 1926.)

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1926

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Volume Volume Heft

16

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2083

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

21.04.1926

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538-542

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