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Bundesversammlung.

Die eidgenössischen Kammern sind am 2. Dezember 1929, um 18 Uhr, zur fünften Tagung der 28. Legislaturperiode zusammengetreten.

In beiden Räten gedachten die Präsidien bei der Sessionseröffnung in ehrenden Worten des am 14. November verstorbenen Herrn Bundesrat Karl Scheurer und würdigten bei Bekanntgabe des Rücktrittes des Herrn Dr. Haab aus dem Bundesrat die Verdienste des Scheidenden (siehe hiernach).

Im N a t i o n a l r a t ist der bisherige Vizepräsident, Herr Ernest Paul G r a b e r , von La Chaux-de-Fonds und Langenbruck, in Neuenburg, zum Präsidenten gewählt worden.

Am 4. Dezember ist Herr Dr. Hans S t r ä u l i , von und in Winterthur, zum V i z e p r ä s i d e n t e n des Nationalrates ernannt worden.

Im S t ä n d e r a t ist der bisherige Vizepräsident, Herr Anton M e s s m e r, von Thal, in St. Gallen, zum P r ä s i d e n t e n , und Herr Paul Charmillot, von Rebeuvelier, in St. Immer, zum Vizepräsidenten gewählt worden.

Als Stimmenzähler sind die Herren Andreas L a e l y und Antonio R i v a bestätigt worden.

In den N a t i o n a l r a t ist neu eingetreten : Herr Dr. Ernst W e t t e r , Vizepräsident des Vorortes des schweizerischen Handels- und Industrie-Vereins, von Winterthur, in Zürich, an Stelle des zurückgetretenen Herrn Heinrich Baumann.

In den S t ä n d e r a t ist neu eingetreten : Herr Albert Z u s t, alt Regierungsrat, von Sursee und Luzern, in Luzern, an Stelle des verstorbenen Herrn Josef Winiger.

Ansprachen des Präsidenten des Nationalrates, Herrn Dr. Walther: Nachruf für Herrn Bundesrat Karl Scheurer.

Während des Jahres, da ich die Ehre hatte, an der Spitze Ihres Rates zu stehen, haben Parlament und Volk eine Reihe hervorragender Persönlichkeiten verloren. Es sind schwere Lücken, die der Hinscheid der Nationalräte Maillefer und Maunoir und des Ständerates Josef Winiger hinterlassen hat. Und heute trennen uns nur wenige Tage von der Stunde, da auch Bundesrat K a r l S c h e u r e r seine Seele ihrem Schöpfer zurückgegeben hat.

422 Für viele kam die Nachricht vom Tode des Chefs des schweizerischen Militärdepartementes völlig unerwartet. Manchem mochte scheinen, es wäre ein Sturmwind durch das Land gebraust und hatte eine starke, mit allen Wurzeln und Fasern in der heimischen Erde tief verankerte Eiche zum Falle gebracht. Wer aber Bundesrat Scheurer näher stand, der wusste, dass seine körperliche Kraft seit längerer Zeit starker Bedrohung ausgesetzt war. Er hat das offenbar auch selbst gefühlt. Als der Sprechende nach Schluss der letzten Bundesversammlung in einer Unterredung über die Luzerner Kasernenverhältnisse dem Wunsche nach einer baldigen konferenziellen Verhandlung Ausdruck gab, antwortete Bundesrat Scheurer mit einer auffallenden Resignation, die nächsten Wochen würden darüber entscheiden, ob er überhaupt noch Zukunftsdispositionen zu treffen habe.

Der Sinn jener damals unverständlichen Andeutung wurde klar, als die Kunde kam von der Notwendigkeit des erfolgten operativen Eingriffs und dessen katastrophaler Folge. Der H i n s c h e i d von B u n d e s r a t K a r l S c h e u r e r b e d e u t e t f ü r L a n d u n d Volk, f ü r d i e e n g e r e und w e i t e r e H e i m a t e i n e K a t a s t r o p h e . Manner von der hervorragenden Tüchtigkeit, der Höhe des Geistes und der Lauterkeit des Charakters, wie sie Karl Scheurer eigen waren, sind schwierig zu ersetzen. Es ist daher auch das g a n z e Volk, das an seinem Grabe trauert, ohne Unterschied der Stände, der Parteien und der Konfessionen. Die eidgenössischen Räte, die mit ihm in der gemeinsamen Arbeit für das Wohl des Landes verbunden waren, können nur mit wahrem Herzeleid des allzu früh dahingegangenen Magistraten gedenken.

Ich darf es mir versagen, Ihnen, meine verehrten Herren Kollegen, den Lebensgang des Dahingeschiedenen in seinen Einzelheiten vor Augen zu führen. Sie alle wissen, mit welcher Gründlichkeit und welchem Erfolge er seine Gymnasial- und juristischen Fachstudien betrieben hat, um sich das Rüstzeug für die künftige Lebensarbeit zu schaffen. Uns allen ist bekannt, wie er sich zum führenden Politiker und zum Regierungschef des machtvollsten Schweizerkantons entwickelt und in welcher ausgezeichneten Weise er sich als kantonaler Pinanzchef das Vertrauen seiner Mitbürger erwarb. Auf dem Boden dieses Vertrauens trat er im Jahre 1914 in den
Nationalrat ein. In blühendem Mannesalter und doch schon gereift durch seine bisherige verantwortungsvolle Tätigkeit auf kantonalem Gebiete trat er an die neue Aufgabe des schweizerischen Parlamentes heran. Auch hier stellte er sofort seinen ganzen Mann. Seine Arbeit wurde rasch hoch bewertet. Dabei war es weniger das Hervortreten im Parlament selbst als die auf pflichtbewusstes, reiches Wissen und grosse Erfahrung sich stützende Arbeit in den Kommissionen, die ihm in kurzer Zeit eine einflussreiche Position gab. Das Ansehen des kraftvollen Berners war so gross, dass im Jahre 1919 beim Hinscheide von Bundesrat Müller, jenes hochverdienten Förderers des schweizerischen Militärwesens, die Augen der Berner und der Kollegen in den eidgenös-

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Bischeri Ratea sich auf Karl Scheurer richteten. In seiner ehrenvollen Wahl lag eine unbestreitbare grosse Vertrauenskundgebung, deren er sich auch in der Ausübung seines verantwortungsvollen Amtes in höchstem Masse würdig erwiesen hat. Es waren geradezu sehicksalschwere Stunden, als im Jahre 1919 die Leitung des Militarwesens in die Hand Karl Scheurers gelegt wurde. Die wirtschaftliche Lage des Bundes gebot Z u r ü c k h a l t u n g hinsichtlich der Ausgaben auf allen Verwaltungsgebieten. Dazu kamen p r i n z i p i e l l e Meinungsdifferenzen bezüglich der Ausgestaltung unseres Heerwesens. Auf der einen Seite konsequente Ablehnung a l l e r Heeresausgabe D, auf der andern Seite opportunistische Forderungen, die der Lage des Bundes und der Nachkriegsstimmung keinerlei Konzession machen wollten. Es war für Bundesrat Scheurer eine grosse Aufgabe, zwischen diesen sich scharf gegenüberstehenden Forderungen den Weg zur Versöhnung zu finden. Er ist dieser Aufgabe in hervorragender Weise gerecht geworden. Er blieb der Sparer, der er als kantonaler Finanzchef geworden .war, und faud den Mut, allzu weitgehende Forderungen für das Heer zu beschneiden. Anderseits vergass er aber nie die gewaltige Verantwortlichkeit, die ihm gebot, die Armee so um- und auszubauen, dass sie zu jeder Zeit ihrer Aufgabe -- Erhaltung der Neutralität und Unabhängigkeit des Landes -- gerecht zu werden imstande ist. Wir sehen ihn im Geiste vor uns, wie er vom Sitze des Bundesrates aus mit echter staatsmännischer Begabung, natürlichem, praktischem Verstand und ebenso grossern, sachlichem Können seinen Standpunkt zu vertreten verstand. Dabei kam ihm.

dem echten Sohn des Volkes, zu statten, dass er den Charakter des Volkes verstand. Leicht fand er die Unterschiede zwischen wirklich tiefergehenden Bewegungen und Begehren um A u s b a u oder A b b a u unserer Armee.

Freunde und Gegner mussten anerkennen, dass das Militärdepartement durch Karl Scheurer mit Einsicht und Tatkraft, gleichzeitig aber auch mit vernünftigem Sparsinn geleitet wurde. Seine Ruhe und Sachlichkeit mussten imponieren, um so mehr, als man nie den Eindruck hatte, dass er durch Opportunitätspolitik sich Gunst und Popularität zu schaffen suchte.

Dankbar möchte ich besonders anerkennen, dass Karl Scheurer den festen Willen hatte, mit dem Parlament zu arbeiten und sich,
so weit er es glaubte verantworten zu können, der Meinung der Volksvertretung anzupassen. Die Bundesversammlung hatte den Rahmen abgesteckt, in dem sich die Ausgaben für die Landesverteidigung bewegen sollten. Er bat sich an diese Absteckung gehalten, so schwer es ihm geworden sein mag, im Rahmen der 85 Millionen denjenigen Ausbildungs- und Ausrüstungsstand sicherzustellen, der für die Armee und für eine kriegsbrauchbare Verteidigung des Landes notwendig ist. Er hat es verstanden, die Armee auf der Höhe zu halten Fast wie ein Vermächtnis möchte ich die gross angelegte Vorlage betrachten, welche dem Bunde auch eine wirklich einwandfreie F l i e g e r w a f f e schaffen sollte.

424 Karl Scheurer war aber nicht einseitig auf das ihm übertragene Departement eingestellt. Mit weitem Blick, staatsmännischer Auffassung und tiefem Sinn für Gerechtigkeit bekümmerte er sich um alle grossen Fragen, die dem Bundesrate in so reichem Masse zur Entscheidung zufallen. Sein Urteil war für das bundesrätliche Kollegium um so wertvoller, weil es stets auf ernster sachlicher Prüfung beruhte. Karl Scheurer war ein treuer Sohn der Berner Heimat. Einfach, gerade und schlicht, mit Festigkeit und Zähigkeit sich einsetzend für das, was er als gut und recht erkannt hatte. Wie ungemein sympatisch musste es berühren, wie er sich jedes äussere Gepränge für die Trauerfeierlichkeiten verbeten hat.

Wie menschlich nahe musste es den Magistraten auch dem einfachen Manne aus dem Volke bringen, wenn er sah, wie Scheurer in rührender Liebe dem greisen Mütterlein ergeben war, wie er seine liebsten Erholungen auf der Scholle des heimatlichen Dorfes und im Schatten des elterlichen Hauses suchte und wie er auch an der Seite seiner Eltern in der heimatlichen Erde bestattet sein wollte.

,,Salus rei publicae suprema lexa galt in besonderem Masse für Karl Scheurer. Dem Wohl der engern und weitern Heimat, des ganzen Landes und Volkes galt seine unermüdliche Arbeit, seine wahrhaft vorbildliche Pflichterfüllung.

Redaktor Welti hat in der Neuen Zürcher Zeitung davon geschrieben, wie Karl Scheurer am Grabe seines Freundes Hirter, unseres ehemaligen hochangesehenen Berner Kollegon, von den Erfolgen sprach, die dem Dahingeschiedenen scheinbar mühelos zugefallen seien. ,,In Tat und Wahrheit aber"-, so habe er betont, ,,beruhten auch sie wie alles Menschliche, das Bestand haben soll, auf ehrlicher Arbeit und selbstloser Hingabe an die übernommenen Pflichten.10 Diese Worte gelten sicher auch in besonderem Masse für Karl Scheurer selbst. Als ein Mann ehrlichster Arbeit und vorbildlicher, selbstloser Hingabe an die übernommenen Pflichten wird er in unserer Erinnerung fortleben.

' Ich bitte Sie, sich zu Ehren des Dahingeschiedenen von Ihren Sitzen zu erheben.

EücTdrüi des Herrn Bundespräsidenten Dr. Robert Haab.

Gestatten Sie mir, an das eröffnete Entlassungsgesuch einige Worte anzuknüpfen. Herr Bundespräsident Haab wird noch bis Ende des Jahres in seinem Amt bleiben. Die formelle Entlassung wahrend der Amtsdauer wird durch
die Bundesversammlung in ihrer Sitzung vom 12. ds. Mts. zu erledigen sein. Nachdem jedoch beiden Räten die offizielle Mitteilung des Rücktrittes zugekommen ist, halten es die beiden Ratspräsidenten für angezeigt, schon heute dem Bedauern über den Rücktritt des hochverdienten Magistraten und dem Gefühle der Dankbarkeit und Anerkennung Ausdruck zu geben. Herr Dr. Haab hat sich schon frühe in den Dienst der Öffentlichkeit gestellt.

425 Nahezu vier Jahrzehnte stellte er seine ganze Kraft dem Volke zur Verfügung. Zuerst diente er seiner engern Heimat als Gemeindepräsident, Oberrichter und Regierungsrat, für das ganze Schweizerland wirkte er als Generaldirektor der Bundesbahnen, schweizerischer Gesandter in Berlin und in ganz besonderem Masse als Mitglied unserer obersten Landesbehorde.

Wenn er heute aus Gesundheitsrücksichten sich glaubt zurückziehen zu müssen, so ist das Bedauern über diesen Rücktritt im ganzen Lande ein allgemeines. Gross sind die Verdienste, die sich Herr Dr. Haab um Land und Volk erworben hat. Dem Post- und Eisenbahndepartement, das ihm seit seinem Eintritt in den Bundesrat anvertraut war, kommt für den Bund, sein Ansehen und seinen Kredit sowie für die ganze schweizerische Volkswirtschaft gewaltige Bedeutung zu. Das Volk wendet daher auch diesem Unternehmen seine besondere Aufmerksamkeit zu. Herr Dr. Haab hat sein Wissen und Können, seine in leitender Stellung bei den Bundesbahnen erworbenen reichen Erfahrungen auf die Förderung und Sicherstellung der Bundesbahnen eingestellt. Sein grosses Reformwerk, seine Bestrebungen auf Rationalisierung des Betriebes, zu der auch das grosse Werk der Elektrifikation gehört, sind von Erfolg begleitet gewesen.

Die Bundesbahnen sind, wenn nicht alle Zeichen trügen, heute so gesichert, dass sie in der Zukunft den an sie zu stellenden Aufgaben gewachsen sein werden. Mit der gleichen Aufmerksamkeit und Pflichttreue wie auch mit dem gleichen Verständnis widmete er sich dem Ausbau und der Rationalisierung der Postverwaltung mit Telegraph und Telephon. Auch auf diesem Gebiete kann er bei seinem Rücktritt auf reiche Erfolge zurückblicken. Herr Dr. Haab war als Magistrat stets ein moderner Mensch mit einem gewissen konservativen Einschlag, eine Mischung, die der Sprechende, gestatten Sie mir diese persönliche Bemerkung, als eine besondere, glückliche Magistratsmischung betrachtet. Dabei verstand er es, speziell bei den grossen Betrieben -- Bundesbahn und Post -- sich hervorragende Persönlichkeiten als Mitarbeiter auszuwählen.

Das Parlament wird Herrn Dr. Haab schwer vermissen. Seine gluckliche Art, mit uns zu verkehren, sein ganzes, offenes Wesen, sein senkrechter auf keine Popularitätshascherei eingestellter Charakter, sein Bestreben, nur den geraden Weg des Rechtes zu gehen,
und seine Meinung frisch und frei, oft mit einem glücklichen Unterton von Humor zu sagen, haben ihm die grösste Verehrung und Hochachtung der eidgenössischen Räte geschaffen. Der Beweis dieses Vertrauens lieferten stets seine glanzenden Wahlen zum Mitgliede und Pràsiaenten des Bundesrates. Gleich wie im Parlament ist ihm auch draussen im Volk ungesucht grosse Popularität zuteil geworden.

Das Parlament wird ßundespräsident Haab nicht vergessen. Der Sprechende, der mit dem Scheidenden in jahrzehntelanger ungetrübter Freundschaft verbunden ist, weiss, dass Herr Dr. Haab auch uns in gutem Andenken behalten wird. Unsere innigsten Wünsche begleiten ihn für alle

426 kommenden Jahre. Mögen diese Jahre ungezählte sein. Möge der liebe Gott neben dem Danke und der Anerkennung des Volkes und des Parlamentes dem hochverdienten Magistraten noch einen recht langen und sonnigen Lebensabend gewähren.

Ansprachen des Präsidenten des Ständerates, Herrn Dr. Wettstein : Nachnif für Herrn Tiwtidesrai Karl Scheurer.

,,Die Glocken klingen viel anders, wenn einem ein lieber Freund gestorben ist", sagt Martin Luther. So haben sie uns geklungen, die Glocken des Berner Münsters, bang und schwer, als wir am 18. November unsern Freund Karl Scheurer zu Grabe geleiteten ; uns war zumute, als hätten wir ein Stück unseres besten Selbst verloren. Nicht sein geliebtes Bernbiet und seine Berner nur, das ganze Schweizerland und alle Eidgenossen standen im Schatten tiefer Trauer um einen wertvollen Menschen und untadeligen Bürger, um einen Mann, der als Magistrat und Persönlichkeit gleich stark und gross war, ein Bild volkstümlicher Kraft und unwandelbarer, selbstloser Treue zu seinem Land und Volk.

Viel zu früh hat ein unbarmherziges Schicksal diesen so natürlich, so schlicht und stolz zugleich aus dem heimatlichen Erdreich emporgewachsenen Baum gefällt 5 Karl Scheurer hat nur ein Alter von 57 Jahren erreicht; mitten aus einer reichen Tätigkeit riss ihn die grausame Hand des Todes. Und wir hatten noch so viel von ihm erwartet, hatten ein so unbegrenztes Vertrauen auf seine Schaffenskraft. Wohl hatte er die schwere Kropfoperation am letzten Tage des Oktobers glücklich überstanden, und eine zwar langsam, doch scheinbar stetig fortschreitende Kräftigung gab Hoffnung auf baldige völlige Genesung. Allein das Herz, durch eine vor einigen Jahren durchgemachte allzu radikale Jodkur geschwächt, hielt nicht stand ; vierzehn Tage nach der Operation, am 14. November, trat die tödliche Krisis ein.

Karl Scheurer war ein Kind des bernischen Seelandes. In Erlach, seinem Heimatort, war sein Vater aufgewachsen, in engen und drückenden Verhältnissen ; als kleiner Bub sammelte er doch Holz, um der Eltern Bäckerrechnung zu bezahlen. Aber mit zäher Kraft und ungewöhnlicher Intelligenz arbeitete er sich empor zum Gerichtsschreiber, Bezirksstatthalter und endlich zum bernischen Regierungsrat und zum National- und Ständerat. Sein Sohn Karl war in Sumiswald geboren ; die Stellung, die sein Vater sich errungen, erlaubte ihm ein sorgenfreies Studium an den Universitäten Neuenburg, Bern und Berlin. 1897 liess er sich in Bern als Anwalt nieder. Seine Mitbürger wurden bald auf ihn aufmerksam, sie wählten ihn in den Grossen Rat, wo sich der
kluge und besonnene Mann, obwohl kein glänzender Redner, bald eine starke Stellung schuf. 1910 erfolgte seine Wahl in die Berner Regierung, wo er die früher von seinem Vater verwaltete Finanzdirektion

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übernahm. Dieser hatte sich inzwischen auf seinem Landgute in Gampelen nicht etwa zur Ruhe gesetzt, sondern zu der lang ersehnten bauerlichen Arbeit niedergelassen. War der Vater die verkörperte Sparsamkeit, aus einem Geiste heraus, den ein harter Kampf ums Dasein ausgebildet hatte, und unter dem Druck einer bösen staatlichen Finanzlage, die dazu zwang.

jeden Steuerbatzen umzukehren, bevoi man ihn ausgab, so war der Sohn haushälterisch ; er musste nicht mehr wie der Vater mit dem Notwendigen kargen, er fand die Mittel auch für Nützliches und Angenehmes, aber er wog weise und behutsam ab, was man vom Staate verlangen durfte, und was er ohne Zukunftssorgen geben konnte. Er wäre zweifellos auch ein ausgezeichneter eidgenössischer Finanzminister geworden. Das Schicksal hatte es anders bestimmt. Im Oktober 1919 verzichtete Scheurer unter dem Eindruck der Trennung der Bauern von den Freisinnigen, die begleitet war von der Einführung der Verhältniswahl, auf die weitere Übernahme des ihm 1911 anvertrauten Nationalratsmandates. Im Herzen gut bäuerlich gesinnt, in seinen Überzeugungen freisinnig, wenn auch keiner von den Radikalsten, überwand er das Dilemma, in das ihn die Trennung brachte, dadurch, dass er zwar der freisinnigen Sache treu blieb, aber in das zweite Glied zurücktrat. Er sollte nicht lange dort bleiben. Als wenige Wochen nach den Nationalratswahlen Bundesrat Eduard Müller starb, verlangten Freisinnige und Bauern von ihm die Annahme der Bundesratskandidatur. Am 11. Dezember 1919 wurde er gleichzeitig mit den Herren Chuard und Musy gewählt, und da durch den Rücktritt Decoppets, der zwei Tage vor Eduard Müllers Tode zum Weltpostdirektor gewählt wurde, das Militardepartement verwaist war, übertrug ihm der Bundesrat dieses Amt. Sie wissen alle, unter welch schwierigen Verhältnissen er es antrat.

Aus dem verwüsteten Boden des von dem grauenhaften Kriege zertretenen und gequälten Europa stieg eine heisse Sehnsucht der Völker nach einem dauerhaften Frieden auf, die alle militärischen Einrichtungen als neue Kriegsdrohungen empfand. Auch in unserm Lande wehte der Wind der Militärverdrossenheit. In den letzten Jahren der Mobilisation war manches in unserer Armee aus den Fugen gegangen. Es galt, wieder aufzubauen, unser Milizheer wieder auf die Höhe seiner Aufgabe zu bringen, es wieder zum zuverlässigen
Mittel der Wahrung unserer völkerrechtlich anerkannten Neutralität zu machen. Scheurer war kein Militarist, seine Friedensliebe war so warm und stark wie die jedes andern ; aber er wusste, dass wir wehrhaft bleiben müssen, soll unsere Neutralität nicht Papier bleiben.

So ging er an die Arbeit, gewissenhaft, klug und unerschütterlich fest in dem, was er als notwendig erkannt hatte. Und seiner zähen Tatkraft, seiner in alle Details eindringenden Sachkenntnis gelang es, das Gefüge der Armee wieder zu festigen, ihre Ausbildung und Bewaffnung den neuen Bedürfnissen anzupassen. Und dabei blieb er doch der gute Haushalter.

Er verstand 63, die Militärausgaben in erträglichen Grenzen zu halten, nicht ohne dass er auf manches, was ihm noch notwendig geschienen,

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verzichten musste. Auch hier zeigte sich der Meister des klugen Wagens der Mittel und der Bedürfnisse. Aus dieser Meisterschaft wuchs ihm das unbedingte Vertrauen zu, das nicht nur seine Mitarbeiter, sondern alle vaterländisch Gesinnten zu seiner Leitung hatten. Wir wussten, dass hinter dem schlichten Manne ein eiserner Wille stand, aber auch eine unverrückbare Ehrlichkeit, die nichts vertuschte, die Schäden und Mängel offenherzig zugab, aber auch fest entschlossen war, sie zu beseitigen. Mit tiefer Dankbarkeit erfüllt uns das Werk seiner zehnjährigen unermüdlichen Arbeit im Dienste unseres Wehrwesens.

Nicht weniger dankbar sind wir für das, was uns der Mensch und Freund gegeben hat. Wir wussten, dass hinter der kühlen, klugen Überlegung, der Besonnenheit des Urteils, der Beharrlichkeit seines Willens ein warmes Herz schlug, auch wenn er es nicht auf den Händen jedem entgegentrug. Unsere Blicke folgen ihm, wenn er, von Sehnsucht nach der heimatlichen Scholle getrieben, in sein geliebtes Gampelen, in den Schoss seiner Familie zurückkehrt, der er so treu bleibt, dass er es versäumt, einen eigenen Herd zu gründen. Und wir gedenken der 84jährigen Mutter, deren Kind, im schönsten und edelsten Sinne des Wortes, er bis zum letzten Atemzuge geblieben ist. Wir trauern mit ihr um den unersetzlichen Verlust ihres Sohnes und wissen ihr Dank über das Grab hinaus, dass sie dem Lande diesen Sohn geschenkt hat. Eine starke Persönlichkeit, ein treuer Sohn, ein selbstloser Führer in der Gemeinschaft, dieser Dreiklang schwebte über diesem so schlichten und doch so reichen Leben -- ein Vorbild jedes guten Demokraten und Republikaners.

Das Scheiden war bitter, aber Karl Scheurer hinterlässt uns als köstliches Gut die lebendige Erinnerung an einen Eidgenossen, den wir zu den besten unserer Geschichte zählen dürfen.

Rücktritt des Herrn Bundespräsidenten Dr. Robert Haab.

Wir mussten von einem Toten scheiden -- der Abschied von einem Lebendigen steht uns bevor. Mit Ende dieses Jahres verlässt Bundespräsident Dr. Robert Haab sein hohes Amt. Zwölf Jahre hat er dem ßundesrat angehört, nachdem er vorher schon als Mitglied der Generaldirektion der Bundesbahnen und als ausserordentlicher Gesandter in Berlin dem Lande wertvolle Dienste geleistet. Als 1917 Ludwig Forrer wieder zum internationalen Eisenbahnamt übertrat, richteten
sich die Blicke sofort auf den damaligen diplomatischen Vertreter der Schweiz in Berlin. Es war ungewöhnlich, dass ein Kandidat ausserhalb der eidgenössischen Räte gesucht wurde, aber was Haab an parlamentarischer Praxis abging, ersetzte er reichlich durch die grosse administrative Erfahrung, die er als Regierungsrat des Kantons Zürich, als Generaldirektor und als Gesandter erworben. Man kannte und schätzte die Klarheit seines Denkens, die Festigkeit seines Wollens und seine hohe Intelligenz. Und

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diese vortrefflichen Eigenschaften hat er in seiner Amtstätigkeit als Vorsteher des Post- und Bisenbahndepartementes iu allen Situationen gezeigt.

Seiner zielsichern Leitung gelang es, die eidgenössischen Regiebetriebe, die der Krieg schwer erschüttert hatte, wieder zu festigen. Scharfblick und Menschenkenntnis verliehen ihm eine glückliche Hand in der Wahl seiner Mitarbeiter ; mit ihrer Hilfe brachte er die Post-, Telegraphen- und Telephonverwaltung durch weise Ökonomie, die aber die Erfüllung zeitgemasser, berechtigter Anforderungen nicht ausschloss, wieder zur vollen Blüte. Und wir haben es mit Bewunderung erlebt, wie zielsicher und geschickt er die Reorganisation der Bundesbahnen zu Ende und damit diese für das Land so lebenswichtige Unternehmung aus der schweren Krisis der Kriegs- und Nachkriegsjahre hinausführte. Dabei verstand er es ausgezeichnet, im Parlament übertriebene Ansprüche an die Staatsbetriebe, gleichgültig, woher sie kamen, durch seine gründliche Sachkenntnis in die Schranken zu weisen 5 gelegentlich bekamen ungestüm Fordernde das Fleuret des gewandten Fechters, die Ironie, kräftig zu spüren.

Robert Haab hat sich in den langen Jahren seines eidgenössischen Wirkens unsern und des Landes warmen Dank verdient. Mit tiefem BeL dauern sehen wir ihn von uns scheiden, hoffen aber, dass wir jederzeit an seinen wohlerfahrnen Rat appellieren können. Dem hochverdienten Staatsmann wünschen wir von Herzen eine recht stattliche Reihe sorgenloser Jahre im Abendsonnenscheine seines Lebens.

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