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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung zum Abkommen mit dem Deutschen Reich über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen und Schiedssprüchen.

(Vom 9. Dezember 1929.)

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Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren !

Im Oktober 1920 hatte die Deutsche Beichsregierung die Anbahnung eines Staatsvertrages über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von Zivilurteilen angeregt. Eine Umfrage bei den Kantonsregierungen ergab, dass diese Anregung günstige Aufnahme fand. Der Bundesrat erachtete grundsätzlich eine staatsvertragliche Regelung als wünschbar, und sein Justizdepartement nahm die internen Vorarbeiten an die Hand. Mit der Einleitung von Verhandlungen wurde zunächst noch zugewartet, da in Aussicht stand, dass die Frage der zwischenstaatlichen Urteilsvollstreckung an der V. Haager Konferenz für internationales Privatrecht behandelt werde. Diese trat dann im Oktober 1925 zusammen und arbeitete den Entwurf eines Abkommens über die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen aus (vgl. unsere Botschaft vom 21. März 1927 über die Vollstreckungsverträge mit der Tschechoslowakei und mit Österreich. Bundesbl. 1927, I, 369). Nach Prüfung dieses Haager Entwurfes unterbreitete der Bundesrat im Mai 1926 der Deutschen Eeichsregierung den Vorschlag, Verhandlungen über ein schweizerisch-deutsches Vollstreckungsabkommen aufzunehmen und ihnen im wesentlichen den Haager Entwurf zugrunde zu legen. Auf schriftlichem Wege wurde in verschiedenen wichtigen Punkten eine Übereinstimmung über den Inhalt der Begelung erzielt; dann fanden im April 1929 in Berlin mündliche Verhandlungen statt, die am 1. November 1929 in Bern fortgesetzt wurden und am folgenden Tage zur Unterzeichnung eines Abkommens führten.

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Das Abkommen mit dem Deutschen Reich weicht vom Haager Entwurf mehr ab, als unsere Verträge mit der Tschechoslowakei und mit Österreich.

Der Kreis der unter die vertragliche Anerkennungs- und Vollstreckungspflicht fallenden gerichtlichen Entscheidungen ist enger gezogen. Insbesondere erstreckt sich das Abkommen nicht auf Entscheidungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Ferner fallen Entscheidungen in nicht vermögensrechtlichen Streitigkeiten nur dann unter das Abkommen, wenn die Parteien schweizerische oder deutsche Staatsangehörige sind, nicht wenn eine Partei oder beide Parteien dritten Staaten angehören. Bei Entscheidungen über vermögensrechtliche Streitigkeiten ist die Zuständigkeit des "üiteilsstaates im andern Staate dann anzuerkennen, wenn eine im Art. 2 bezeichnete Zuständigkeitsvoraussetzung erfüllt ist; ist keine solche gegeben, so fällt die Entscheidung nicht unter die vertragliche Anerkennungs- und Vollstreckungspflicht. Bezüglich der Schiedssprüche knüpft Art. 9 an das Genfer Abkommen zur Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 26. September 1927 unter zweckentsprechender Erweiterung seines Anwendungsgebietes an. Zurückhaltend ist das schweizerisch-deutsche Abkommen in zeitlicher Beziehung: Gerichtliche Entscheidungen, die vor dem Inkrafttreten des Abkommens, rechtskräftig geworden sind, und vor diesem Zeitpunkt zustande gekommene Vergleiche fallen nicht unter das Abkommen (Art. 10, Abs. 2).

Indem das Abkommen nur bezüglich der durch seine Bestimmungen umfassten Entscheidungen (bzw. Schiedssprüche und Vergleiche) eine Anerkennungs- und Vollstreckungspflicht aufstellt, will es selbstverständlich die Anerkennung und Vollstreckung der nicht unter seine Bestimmungen fallenden Entscheidungen (z. B. solche der freiwilligen Gerichtsbarkeit oder Entscheidungen in nicht vermögensrechtlichen Streitigkeiten betreffend Angehörige dritter Staaten) keineswegs verbieten, sondern der Landesgesetzgebung anheimstellen; denn diese Entscheidungen bleiben einfach ausserhalb der vertraglichen Eegelung. Ebenso kann kein Zweifel darüber bestehen, dass Bestimmungen von Kollektivverträgen, die wie z. B. Art. 18 der Haager Zivilprozessübereinkunft vom 17. Juli 1905 und Art. 55 der beiden Übereinkommen vom 23. Oktober 1924 über den Eisenbahnfrachtverkehr und über den Eisenbahn-Personen- und Gepäckverkehr
für bestimmte Materien eine Vollstreckungspflicht aufstellen, neben dem neuen Abkommen weiterhin in Geltung bleiben. Dagegen fällt die Übereinkunft, die der Kanton Aargau am 21. Mai 1867 mit Baden abgeschlossen hatte (AS. a. F, IX, 185) dahin, soweit sie sich auf unter Art. l--3 des neuen Abkommens fallende gerichtliche Entscheidungen bezieht.

Das Abkommen enthält 10 Artikel. Art. l--3 umschreiben den Kreis der gerichtlichen Entscheidungen, die unter das Abkommen fallen. Art. 4 regelt die Versagungsgründe und Art. 5 die Stellung des Bichters des Vollstreckungsstaates gegenüber den tatsächlichen Feststellungen der Entscheidung, sowie den Ausschluss der revision au fond. Art. 6 und 7 enthalten Verfahrensbestimmungen und betreffen nur die Vollstreckung (im Gegensatz zur blossen

533 Anerkennung). Art. 8 befasst sich mit den gerichtlichen Vergleichen und Art. 9 mit den Schiedssprüchen und schiedsrichterlichen Vergleichen. Art. 10 enthält die Schluss- und Übergangsbestimmungen.

Ein von beiden Delegationen gemeinsam, erstelltes Sitziuigsprotokoll stellt das Einverständnis über einige Erläuterungen des Abkommens fest.

Die wesentlichen Stellen dieses Sitzungsprotokolls zitieren wir im folgenden Lei der Besprechung der einzelnen Artikel.

Das Abkommen sieht als Exekutionstitel vor: a. die in Artikel l--3 bezeichneten Entscheidungen der streitigen Gerichtsbarkeit, b. gerichtliche Vergleiche (Art. 8) und c. Schiedssprüche und schiedsrichterliche Vergleiche (Art. 9).

Bei den gerichtlichen Entscheidungen wird unterschieden, je nachdem sie über vermögensrechtliche Streitigkeiten (Art. l und 2) oder über nichtvermögensrechtliche Streitigkeiten (Art. 3) ergehen. Der Kreis der vermögensrechtlichen Ansprüche reicht erheblich weiter als der der persönlichen Ansprachen im Sinne von Art. 59 BV; er umfasst beispielsweise auch die erbrechtlichen Ansprüche sowie diejenigen Ansprüche aus Pamilienrecht, die eine Vermögenswerte Leistung zum Gegenstand haben (wie die bloss auf Geldleistungen gerichtete Vaterschaftsklage). Zu den nicht Vermögensrecht liehen Streitigkeiten gehören namentlich die Statussachen, laut Artikel 3 mit Einschluss der in der gleichen Entscheidung enthaltenen Dispositive über vermögensrechtliehe Nebenfolgen.

Zu Art. l stellt das gemeinsame Sitzungsprotokoll fest: «Dos Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit (z. B. Erbauseinandersetzung, Verfahren der Aufwertungsstelle) ist nicht als Prozessverfahren im Sinne des Art. l anzusehen.

Neben den ordentlichen bürgerlichen Gerichten sind jedoch auch bürgerliche Sondergerichte, wie z. B. in Deutschland die Arbeitsgerichte, in der Schweiz die Gewerbegerichte (gewerbliche Schiedsgerichte) als bürgerliche Gerichte anzusehen.» Da sich das Abkommen nur auf Entscheidungen der bürgerlichen Gerichte erstreckt; sind die Adhäsionsurteile ausgeschlossen. Ebenso bleiben Entscheidungen administrativer Behörden ausserhalb des Vertrages. Zu den gerichtlichen «Entscheidungen» gehören ausser den Urteilen auch Beschlüsse (z.B. Erledigungsbeschlüsse auf Grund einer Abstandserklärung) und auch die deutschen Vollstreckungsbefehle. Im Gegensatz zu
den schweizerischen Eechtsöffnungsentscheiden sind die deutschen Vollstreckungsbefehle (§§ 699 und 700 der deutschen ZPO) Entscheidungen über den materiellen Anspruch. Arreste und einstweilige Verfügungen sind im Art. l ausdrücklich ausgenommen. Da laut Art. l die Entscheidung rechtskräftig sein muss, genügt es nicht, wenn sie bloss «vorläufig vollstreckbar» ist (vgl. z. B. §§ 708--710 der deutschen ZPO).

Bundesblatt. 81. Jahrg. Bd. III.

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Wie nach dem Haager Entwurf und nach unsern neuen Verträgen ist im Vollstreckungsstaat *) nicht nachzuprüfen, ob das urteilende Gericht örtlich und sachlich zuständig war, sondern nur, ob die Gerichtsbarkeit des Urteilsstaates begründet war. Letzteres ist nach Massgabe des Abkommens nur dann der Fall, wenn ein im Art. 2 bezeichneter Zuständigkeitsgrund gegeben war und zudem nach dem Rechte des Vollstreckungsstaates für dessen eigene Gerichte keine ausschliessliche Zuständigkeit besteht. Als Beispiel einer ausschliesslichen Zuständigkeit kann der dingliche Gerichtsstand erwähnt werden (vgl. § 24 der deutschen ZPO und entsprechende kantonale Bestimmungen).

Art. 2 führt einerseits den Fall an, dass die Zuständigkeit der Gerichte des Urteilsstaates auf einer staatsvertraglichen Bestimmung beruht. Gegenwärtig bestehen nur vereinzelte staatsvertragliche Bestimmungen über die zwischenstaatliche Abgrenzung der Gerichtsbarkeit (z. B. über den Gerichtsstand in Erbschaftssachen Art. 6 des schweizerisch-badischen Staatsvertrages vom C.Dezember 1856); eine weitere Ausdehnung wird die künftige Entwicklung bringen (z. B. internationale Konventionen über das Luftprivatrecht).

Anderseits zählt Art. 2 noch fünf Zuständigkeitsgründe auf, die den Grundsätzen entsprechen, die die bundesgerichtliche Praxis zum Art. 59 B V herausgebildet hat; jedoch beziehen sich diese Zuständigkeitsgründe gemäss dem Abkommen auf alle vermögensrechtlichen Ansprüche, nicht nur auf «persönliche Ansprachen gegen den aufrechtstehenden Schuldner». Zu betonen ist, dass Art. 2 nicht etwa einheitliche Gerichtsstandsnormen aufstellt, die den Landesgesetzen des Urteilsstaates vorgehen würden, sondern lediglich die Frage regelt, unter welchen Voraussetzungen die Zuständigkeit der Gerichte des Urteilsstaates seitens des Vollstreckungsstaates anzuerkennen ist. Liegt ein Zuständigkeitsgrund des Art. 2 vor, so wird im Vollstreckungsstaat anerkannt, dass der Beklagte für den Eechtsstreit der Gerichtsbarkeit des Urteilsstaates unterworfen war (vorbehalten bleibt, wie oben erwähnt, der Fall, dass die Gerichte des Vollstreckungsstaates nach dem Becht ihres Landes ansschliesslich zuständig sind).

Unter Nr. l führt Art. 2 als Zuständigkeitsgrund den Wohnsitz des Beklagten im. Urteilsstaate an. Hatte der Beklagte seinen Wohnsitz im Urteilsstaate, so ist
es für die Anerkennung oder Vollstreckung des Urteils im andern Staat unerheblich, ob der Wohnsitz gerade im Bezirk des erkennenden Gerichts oder in einem andern Bezirk desselben Staates begründet war. Auch eine z. B. im Gerichtsstand des Erfüllungsortes ergangene Entscheidung ist im *) Der Kürze halber bezeichnen wir mit Urteilsstaat den Staat, dessen Gerichte die Entscheidung gefällt haben, und mit Vollstreckungsstaat den Staat, in dem die Anerkennung oder Vollstreckung der im andern Staate ergangenen Entscheidung nachgesucht wird.

035 andern Staate anzuerkennen und zu vollstrecken, sofern sich der Wohnsitz des Beklagten im Urteilsstaate befand. Das Abkommen stellt auf den Wohnsitz «zur Zeit der Klagerhebung oder zur Zeit der Erlassung der Entscheidung» ab. Darin hegt insofern eine Abweichung von der Praxis zum Art. 59 BV, als dort schlechthin der Zeitpunkt der Klageerhebung als massgebend betrachtet wird, während es gemäss dem Abkommen genügt, wenn der Beklagte entweder bei der Klageerhebung oder bei der Urteilsfällung im Urteilsstaate Wohnsitz hatte. Dieser Erweiterung stehen keinerlei Bedenken entgegen; hat nämlich ein Beklagter, der erst während des Prozesses seinen Wohnsitz in den Urteilsstaat verlegt, sich auf die Klage eingelassen, so hat er seine Verteidigungsmittel vorgebracht, und es liegt kein Grund vor, die Vollstreckung des Urteils im andern Staate zu verhindern. Im Falle aber, dass er sich nicht eingelassen hat, könnte bloss eine Wohnsitzverlegung wahrend der Einlassungsfrist in Betracht fallen, da nach Ablauf dieser Frist das Urteil ergeht.

Laut Nr. 2 des Art. 2 ist die Kompetenz des Urteilsstaates gegeben, wenn sich der Beklagte durch eine ausdrückliche Vereinbarung der Zuständigkeit des erkennenden Gerichts unterworfen hatte. Wie bei den schriftlichen Verhandlungen festgestellt wurde, ist auch nach deutscher Eechtsauffassung als Vereinbarung eines Gerichtsstandes zwar nicht eine Fakturenklausel oder die blosse Vereinbarung eines Erfüllungsortes, wohl aber jede Vereinbarung anzusehen, aus der der Parteiwille, die aus einem bestimmten Rechtsverhältnis sich ergebenden Streitigkeiten der Entscheidung eines bestimmten Gerichts zu unterwerfen, mit ausreichender Deutlichkeit hervorgeht.

Zu Nr. 3 des Art. 2 (vorbehaltlose Einlassung) wird im Sitzungsprotokoll festgestellt : K Ein n Vorbehalt" des Beklagten im Sinne dieser Vorschrift liegt nicht nur dann vor, wenn er die formelle Einrede der Unzuständigkeit erhoben hat. Es genügt vielmehr, wenn er in den Fällen, in denen nach dem Rechte des Urteilsstaates die Zuständigkeit des Prozessgerichts begründet ist, vor der Einlassung zu erkennen gibt, dass er sich dem Verfahren nur für den Urteilsstaat unterwerfe und einer Durchführung des Urteils in dem andern Staate widerspreche.n Als weitere Zuständigkeitsgründe werden unter Nr. 4 die Geschäftsniederlassung in bezug auf
Ansprüche aus dem Betriebe dieser Niederlassung und unter Nr. 5 der Fall der Widerklage angeführt.

Art. 3 betrifft die in nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten zwischen Angehörigen eines der beiden Staaten oder beider Staaten ergangenen Entscheidungen. Mit Bezug auf diese Entscheidungen findet im Vollstreckungsstaat eine Überprüfung der Zuständigkeit der Gerichte des Urteilsstaates nur dann statt, wenn eine Partei oder beide Parteien Staatsangehörige des Vollstreckungsstaates sind. In diesem Falle wird nachgeprüft, ob nach dem Hechte des Vollstreckungsstaates die Zuständigkeit eines Gerichts des andern

536 Staates begriindet war. Im gemeinsamen Sitzungsprotokoll haben die beiden Delegationen festgestellt : «Die im Art. 3 enthaltene Zuständigkeitsbestimmung bedeutet, dass der Richter des Staates, in dem das Urteil geltend gemacht wird, nachzuprüfen hat, ob eine der in seinem Rechte für den in Frage kommenden Rechtsstreit aufgestellten Zuständigkeitsvoraussetzungen im Gebiete des andern Staates erfüllt war.» Werden z. B. deutsche Eheleute, die in der Schweiz ihren Wohnsitz haben, hier geschieden, so ist die Zuständigkeit des schweizerischen Gerichts bei Anwendung der Grundsätze des § 606, Abs. l, in Verbindung mit § 18 der deutschen ZPO gegeben, denn der Ehemann hatte in der Schweiz seinen allgemeinen Gerichtsstand. Daraus ergibt sich, dass in diesem Falle der Scheidungskläger den von Art.7ft des B G betreffend die zivilrechtlichen Verhältnisse der Niedergelassenen und Aufenthalter geforderten Nachweis erbringen kann/dass nach dem Eecht seiner Heimat der schweizerische Gerichtsstand anerkannt ist.

Wenn dagegen ein deutscher Ehemann, der früher in der Schweiz wohnte, seinen Wohnsitz wieder in Deutschland genommen hat und die in der Schweiz zurückgebliebene Ehefrau die Scheidungsklage erheben will, so kann der im Art. 7/1 des zit. B G geforderte Nachweis nicht erbracht werden, weil nach deutschem Eecht, wenn der Ehemann in Deutschland wohnt, die Scheidungsklage nur am Gerichtsstand seines Wohnsitzes durchgeführt werden kann.

Hat ein deutsches Gericht schweizerische Ehegatten geschieden, so hat der schweizerische Eichter, bei dem die Anerkennung oder Vollstreckung des Urteils nachgesucht wird, gemäss Art. 3 des Abkommens nachzuprüfen, ob nach Art. 7g, Abs. 3, des erwähnten B G oder, falls nicht beide Ehegatten im gleichen Staate wohnen, nach dem Grundsatz des Art. 144 ZGB die Zuständigkeit eines deutschen Gerichts begründet war. Demnach ist ein solches Urteil anzuerkennen und zu vollstrecken, wenn beide Ehegatten oder der klagende Ehegatte ihren Wohnsitz in Deutschland hatten.

Gemäss dem letzten Satz von Art. 3 wird eine mit der Entscheidung einer nichtvermögensrechtlichen Streitigkeit verbundene vermögensrechtliche Entscheidung (z. B. die in einem Scheidungs- oder Trennungsurteil ausgesprochene Unterhaltsregelung) insoweit im andern Staate anerkannt und vollstreckt, als dies für die Entscheidung
in der Hauptsache der Pali ist.

Fällt eine Entscheidung nach Massgabe der Art. l--3 unter das Abkommen, so ist sie im andern Staate anzuerkennen und zu vollstrecken, sofern nicht ein Versagungsgrund des Art. 4 entgegensteht.

Den ersten der drei Versagungsgründe bildet die ordre public-Klausel des Abs. 1. Durch ihre enge Fassung wird der Gefahr einer übermässigen Ausdehnung des ordre public-Vorbehaltes vorgebeugt. Auch durch diesen Wortlaut wird u. a. der Fall mitumfasst, dass der anzuerkennenden Entscheidung nach dem Eechte des Vollstreckungsstaates die Eechtskraft einer

537 andern Entscheidung entgegenstellt ; denn da die Vorschriften über die Bechtskraft in erster Linie zu denen gehören, die im Interesse der öffentlichen Ordnung erlassen sind, würde es sich hier um einen Fall handeln, wo im Vollstreckungsstaate «die Klagbarkeit des Anspruchs aus Gründen der öffentlichen Ordnung versagt» ist.

Abs. 2 von Art. 4 stellt einen Versagungsgrund auf, den unsere Vollstreckungsverträge mit andern Staaten nicht vorsehen; er lehnt sich an Art. 25, Abs. 8, Nr. 1. des österreichisch-deutschen Eechtshilfevertrages vom 21. Juni 1923 an (vgl. auch § 328, Nr. 3, der deutschen ZPO). Ist ein Beteiligter Staatsangehöriger des Vollstreckungslandes und ist im Urteil auf massgebende personen-, familien- oder erbrechtliche Verhältnisse nicht das Becht angewendet worden, das gema ss déni internationalen Privatrecht des Vollstreckungsstaates anzuwenden wäre, PO wird geprüft, ob daraus für den beteiligten Bürger dieses Staates ein Nachteil resultiert. Dabei kommt es darauf an, ob das Urteil für diese Partei gunstiger ausgefallen wäre, wenn das gemäss dem internationalen Privatrecht des Vollstreckungsstaates massgebende Eecht zur Anwendung gelangt wäre. Nach den internationalen privatrechtlichen Normen beider Staaten ist für die Handlungsfähigkeit und für Statusfragen in der Eegel das Heimatrecht massgebend; im einzelnen bestehen jedoch Abweichungen hinsichtlich des anwendbaren Eechts. Wesentliche Unterschiede weisen die Kollisionsnormen für das Erbrecht auf (vgl. z. B.

bezüglich der Erbfolge in den Nachlass eines in der Schweiz domizilierten Deutschen einerseits Art. 32 imd 22 unseres BG vom 25. Juni 1891 und anderseits Art. 24 des deutschen EG zum B GB).

Abs. 3 von Art. 4 betrifft die Überprüfung der gehörigen Ladung des Beklagten im Falle eines Säumnisurteils. Die Anerkennung und Vollstreckung eines Säumnisurteils ist zu versagen, wenn die den Bechtsstreit einleitende Ladung den Beklagten oder seinen zur Empfangnahrne berechtigten Vertreter nicht rechtzeitig (d. h. nicht so zeitig, dass ihm zugemutet werden konnte, seine Verteidigungsmittel geltend zu machen) zugestellt worden ist. Ferner ist die Anerkennung oder Vollstreckung zu versagen, wenn diese Ladung lediglich im Wege der öffentlichen Zustellung oder im Auslande, nämlich im Vollstreckungsstaat oder in einem dritten Staat, auf
einem andern Wege als dem der Eechtshilfe bewirkt worden ist.

Art. 5 bestimmt, das der Eichter des Vollstreckungsstaates bei der Prüfung der die Zuständigkeit der Gerichte des andern Staates begründenden Tatsachen und der Versagungsgründe an die tatsächlichen Feststellungen der Entscheidung nicht gebunden ist. Eine weitere Nachprüfung der Gesetzjuässigkeit der Entscheidung ist ausgeschlossen.

Art. 6 betrifft das Verfahren und gilt nur für die Vollstreckung, nicht tur die blosse Anerkennung. Dadurch, dass im Art. 6. wie übrigens auch im Art. 7, von einer «Vollstreckbarerklärung» die Eede ist, wird nicht etwa

538 vorgeschrieben, dass ein besonderes Delibationsverfahren stattfinden müsse.

Das Abkommen will vielmehr es der Landesgesetzgebung überlassen, das Verfahren zu bestimmen, in dem die Peststellung erfolgen soll, dass die Entscheidung gemäss dem Abkommen vollstreckbar ist. Jede Feststellung der Vollstreckbarkeit ist eine «Vollstreckbarerklärung» im Sinne des Art. 6. Insbesondere will das Abkommen nicht etwa vorschreiben, dass vor der Durchführung des schweizerischen Beehtsöffnungsverfahrens ein besonderes Exequaturverfahren zu erfolgen hätte. Deshalb ist im gemeinsamen Sitzungsprotokoll ausdrücklich festgestellt worden: «Der im schweizerischen Bechtsöffnungsverfahren ergehende Entscheid über die Vollstreckbarkeit fällt unier den Ausdruck ,,Vollstreckbarerklärung'''.« Das Verfahren für die Vollstreckung der unter das Abkommen fallenden deutschen Entscheidungen bestimmt sich in der Schweiz nach dem SchKG, wenn die Vollstreckung auf eine Geldzahlung oder eine Sicherheitsleistung gerichtet ist. In diesen Fällen hat, falls der Schuldner Eechtsvorschlag erhebt und der Gläubiger das Begehren um definitive Eechtsöffnung stellt, der Eechtsöffnungsrichter zu prüfen, ob die Entscheidung gemäss dem Abkommen vollstreckbar ist. Ist die Vollstreckung nicht auf Geldzahlung oder Sicherheitsleistung gerichtet, so bestimmt sich das Verfahren nach dem Eechte des Kantons, in dem die Vollstreckung erfolgen soll. Sowohl unser Bechtsöffnungsverfahren als auch die kantonalen Exequaturverfahren entsprechen dem Erfordernis, dass die Vollstreckbarkeit in einem möglichst einfachen und schleunigen Verfahren festgestellt werden soll. Art. 6, Abs. l, bestimmt noch, dass vor der Vollstreckbarerklärung der Vollstreckungsbeklagte zu hören sei; nach unserem Eechtsöffnungsverfahren ist dies der Fall; für die kantonalen Exequaturverfahren gilt jene Bestimmung ohne weiteres auch dann, wenn bisher die Anhörung des Vollstreckungsbeklagten nicht vorgeschrieben sein sollte.

Was die Vollstreckung schweizerischer Entscheidungen in Deutschland anbelangt, so hat die Deutsche Eeichsregierung in Aussicht gestellt, dass sie in einer Ausführungs^ erordnung ein vereinfachtes Verfahren, nach dem Muster des irn deutsch-österreichischen Eechtshilfevertrage vom 21. Juni 1923 vorgesehenen, einführen wird.

Im Anschluss an Art. 6 wird im Sitzungsprotokoll
folgendes festgestellt : «Der Umfang der Wirkungen des Urteils bestimmt sich nach dem Rechte des ürteilsstaates. Es können daher in dem Vollstreckungsstaate nur solche Einwendungen (Zahlung, Aufrechnung und dgl.) geltend gemacht werden, die nach dem Rechte des Urteilsstaates nicht schon durch die Rechtskraft des Urteils ausgeschlossen sind. Ebenso bestimmt sich nach dem Rechte des Urteilsstaates, inwieweit das Urteil für und gegen Dritte (Rechtsnachfolger und dgl.) wirksam ist.

539 In den Fällen, in denen die Vollstreckung nach dem Inhalt der Entscheidung von dem AUauf einer Frist oder von dem Eintritt einer anderen Tatsache abhängt, bestimmt sich die Frage, inwieweit die Bewilligung der Zwangsvollstreckung von dem Nachioeis bestimmter Voraussetzungen abhängig ist, gleichfalls nach dem Bechte des Urteilsstaates. Hiernach würde sich u. a. auch nach dem deutsciien Sechte beurteilen, welche Nachweisungen ein Gläubiger erbringen rnuss, der ein in Deutschland zur Leistung Zug um Zug verurteilendes Erkenntnis in der Schweiz zur Vollstreckung bringen ivül.» Art. 7 bezeichnet die Ausweise, die von der Partei, die die Vollstreckbarerklärung nachsucht, beizubringen sind. Es sind dies eine vollständige Ausfertigung der Entscheidung nebst Eechtskraftbescheinigung, sowie bei Säumnisurteilen ein Beleg über die gehörige Ladung des Beklagten, ferner gegebenenfalls eine Übersetzung in die amtliche Sprache der Behörde, bei der die Vollstreckbarerklärung beantragt wird. Auf Verlangen dieser Behörde muss eine Übersetzung vorgelegt werden; sie muss von einem diplomatischen oder konsularischen Vertreter oder einem beeidigten Dolmetscher eines der beiden Staaten als richtig bescheinigt sein.

Hinsichtlich der Frage, ob die Entscheidung und die übrigen einzureichenden Urkunden einer Beglaubigung bedürfen, ist auf den schweizerischdeutschen Beglaubigungsvertrag vom 14. Februar 1907 (AS. 23, 397) zu verweisen. Danach ist bei Urkunden, die von Gerichten des einen Staates aufgenommen, ausgestellt oder beglaubigt sind, zum Gebrauch im Gebiete des andern Staates keine Beglaubigung erforderlich, wenn sie mit dem Siegel oder Stempel des Gerichts versehen sind. Zu diesen Urkunden gehören auch die vom Gerichtsschreiber (der jetzt in Deutschland «Urkundsbeamter der Geschäftsstelle» heisst, vgl. AS. 44, 395) unterschriebenen Urkunden, sofern diese Unterschrift nach den Gesetzen des Staates genügt, dem das Gericht angehört. Auch Urkunden, die von einer im Anhang zum Beglaubigungsvertrag aufgeführten Verwaltungsbehörde *) aufgenommen, ausgestellt oder beglaubigt und mit dem Siegel oder Stempel der Behörde versehen sind, bedürfen zum Gebrauch im Gebiete des andern Staates keiner Beglaubigung.

Laut Art. 8 steht der im einen Staate abgeschlossene gerichtliche Vergleich hinsichtlich seiner Vollstreckbarkeit im
andern Staate einer gemäss dem Abkommen vollstreckbaren Gerichtsentscheidung gleich; immerhin bleibt auch bei einem gerichtlichen Vergleich die ordre public-Klausel des Art. 4, Abs. l, vorbehalten.

*) Nachträgliche Abänderungen des Anhangs: Das ursprüngliche Verzeichnis der in Betracht fallenden deutschen Verwaltungsbehörden ist durch ein neues ersetzt worden, das in der AS 44, 395 veröffentlicht ist. Berichtigungen des ursprünglichen Verzeichnisses der schweizerischen Verwaltungsbehörden: AS.27, 604 und 28, 581.

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In der Behandlung der Schiedssprüche folgt Art. 9 einem andern System, als unsere Vollstreckungsverträge mit andern Staaten. Während diese Verträge die gleichen Grundsätze, die sie für die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen aufstellen, auch auf Schiedssprüche anwenden, wurde deutscherseits Wert darauf gelegt, an das Genfer Abkommen zur Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 26. September 1927 unter Erweiterung seines Anwendungsbereichs anzuknüpfen. Wir konnten diesem Vorschlag zustimmen.

Daher geht Art. 9 vom Genfer Abkommen aus, dessen Genehmigung wir Ihnen mit Botschaft vom 26. August 1929 (Bundesbl. 1929, II, 145 f.) beantragt haben. Er erweitert aber im Verhältnis zwischen den beiden Staaten den Anwendungsbereich des Genfer Abkommens und bringt zugleich eine willkommene Vereinfachung, indem er bestimmt, dass die im Art. l, Abs. l, des Genfer Abkommens enthaltenen Beschränkungen wegfallen. Somit soll jeder in einem der beiden Staaten ergangene Schiedsspruch im andern Staate vollstreckt werden, sobald die positiven Voraussetzungen des Art. l, Abs. 2, des Genfer Abkommens erfüllt sind und die negativen Voraussetzungen von Art. 2 des nämlichen Abkommens nicht entgegenstehen. Da die Beschränkungen, die im Art. l, Abs. l, daselbst enthalten sind, wegfallen, ist bei der Vollstreckung deutscher Schiedssprüche in der Schweiz oder schweizerischer Schiedssprüche in Deutschland nicht zu untersuchen, ob die Schiedsabrede oder -klausei, auf der der Schiedsspruch beruht, unter das erste Genfer Protokoll über die Schiedsklauseln vom 24. September 1923 (AS. 44, 405 f.) fällt, ebensowenig ob der Schiedsspruch zwischen Personen ergangen ist, die der Gerichtsbarkeit eines dem Genfer Abkommen vom 26. September 1927 angehörenden Staates unterstehen.

Eine Vereinfachung führt auch Abs. 2 des Art. 9 herbei, wonach zum Nachweis, dass der Schiedsspruch eine endgültige Entscheidung im Sinne von Art. l, Abs. 2, lit. d, des Genfer Abkommens darstellt, eine Bechtskraftbescheiniguiig genügt. Sie wird in Deutschland von der Geschäftsstelle des Gerichts, bei dem der Schiedsspruch niedergelegt ist, und in der Schweiz von der zuständigen Behörde des Kantons ausgestellt, in dem der Schiedsspruch ergangen ist. Eine Bescheinigung, dass der Schiedsspruch im Ursprungsland auch vollstreckbar sei,, ist nicht erforderlich,
da das Genfer Abkommen überhaupt nicht auf die Vollstreckbarkeit des Schiedsspruches im Ursprungsland abstellt.

Das Genfer Abkommen vom 26. September 1927 findet laut seinem Art. 6 nur auf Schiedssprüche Anwendung, die nach dem Inkrafttreten des in Genf seit dem 24. September 1923 aufgelegten Protokolls über die Schiedsklauseln ergangen sind. Dieser Stichtag ist im Verhältnis zwischen der Schweiz und Deutschland der 22. Juni 1928, da mit diesem Tage das Protokoll, dem Deutschland schon vorher beigetreten war, für die Schweiz in Kraft getreten ist. Der Art. 9 des schweizerisch-deutschen Vollstreckungsabkommens gilt, da er auf das Genfer Abkommen vom 26. September 1927 und somit auch

541 auf dessen Art. 6 verweist, für alle Schiedssprüche, die nach dem 22. Juni 1928 in der Schweiz oder im Deutschen Eeich ergangen sind.

Durch Abs. 3 des Art. 9 werden die vor einem Schiedsgericht abgeschlossenen Vergleiche in die vertragliche Begelung einbezogen; sie sind in derselben Weise wie die Schiedssprüche zu. vollstrecken.

Art. 10 enthält ausser den üblichen Bestimmungen über Batifikation, Inkrafttreten und Kündigung des Abkommens, in Abs. 2 noch eine wichtige Vorschrift, die die sogenannte Bückwirkung des Abkommens auf die vor dessen Inkrafttreten rechtskräftig gewordenen Gerichtsentscheidungen und auf die vor diesem Zeitpunkt zustande gekommenen Vergleiche ausschliesst.

Die Schiedssprüche sind im Art. 10 nicht genannt, weil mit Bezug auf si& der zeitliche Anwendungsbereich, wie oben erwähnt, schon durch Art. 6 des Genfer Abkommens festgesetzt ist.

Der Ausschluss der sogenannten Rückwirkung auf vor dem Inkrafttreten des Abkommens rechtskräftig gewordene gerichtliche Entscheidungen bedeutet eine Enttäuschung für allfällige schweizerische Interessenten, die ein schweizerisches Urteil gegen einen Schuldner in Deutschland erwirkt haben und hofften, es nach dem Inkrafttreten des Abkommens in Deutschland vollstrecken zu können. In den Entwürfen war zunächst nur für Säumnisurteile ein Ausschluss \on der Bückwirkung vorgesehen. In den weiteren Verhandlungen gelangte man dazu, von der Bückwirkung auch die Fälle auszunehmen, in denen eine Zuständigkeit nur auf Grund vorbehaltloser Einlassung des Beklagten (Art. 2, Kr. 3) begründet war. Ferner dachte man daran, in Art. 2, Nr. 2, Geriehts&tandsvereinbarungen aus der Zeit vor einem bestimmten Stichtag auszuschliessen. Es zeigte sich jedoch, dass sogar gegen eine derart beschränkte Bückwirkung Bedenken geltend gemacht wurden, wie sie sich auch gegen die Vollstreckungsverträge mit Österreich und mit der Tschechoslowakei in starkem Masse gezeigt hatten. Angesichts dieses Widerstandes war damit zu rechnen, dass das Abkommen, wenn es die sogenannte Bückwirkung nicht allgemein ausschliesse, in der parlamentarischen Beratung auf unüberwindliche Schwierigkeiten stossen würde. Diese Erwägung veranlasste uns, den gänzlichen Ausschluss der Rückwirkung zu fordern.

Dass die Bückwirkung auch für Vergleiche ausgeschlossen ist, hat nur eine beschränkte praktische
Bedeutung, da der Gläubiger auch unter dem vertragslosen Zustand die Möglichkeit hatte, die Forderung aus dem im einen Staat abgeschlossenen Vergleich im andern Staat einzuklagen; er kann also ohnehin den Vergleich im andern Staate geltend machen.

Seitens schweizerischer Interessenten wurde die Frage aufgeworfen, ob deutsche Urteile, durch die ein in der Schweiz wohnender früherer Eigentümer eines Grundstücks in Deutschland zur Aufwertung der früheren persönlichen Hypothekarschuld verurteilt wird, auf Grund des Abkommens in der Schweiz vollstreckbar sind. Die Entscheidungen der deutschen Aufwertungsstellen gehören zur freiwilligen Gerichtsbarkeit und fallen deshalb nicht unter

542 das Abkommen. Wenn aber der Aufwertungsschuldner den Aufwertungsbetrag nicht bezahlt und der Gläubiger deshalb vor den ordentlichen Gerichten Klage auf Leistung des Aufwertungsbetrages erhebt, so fallt das in einem solchen Prozess ergehende Urteil an sich unter Art. l des Abkommens; wohnt jedoch der Schuldner zur Zeit des Prozesses in der Schweiz, so kommt kaum eine andere Zustàndigkeitsvoraussetzung in Betracht als Nr. 3 des Art. 2.

Dazu kommt, dass Urteile, die vor dem Inkrafttreten des Abkommens in Eechtskraft erwachsen, durch Art. 10, Abs. 2. überhaupt ausgeschlossen sind.

Dass das vorliegende Abkommen wichtigen praktischen Bedurfnissen ·entspricht, liegt auf der Hand. Die schweren Nachteile de« vertragslosen Zustandes haben sich schon seit etlichen Jahrzehnten fühlbar gemacht. Wir erinnern bloss daran, dass schon im Jahre 1873 die beiden Begierringen in dieser Frage Fühlung genommen hatten, sowie dass die eidgenossischen Eäte schon am 30. Juni 1882 den Bundesiat eingeladen hatten, den Abschluss eines Vertrages mit dem Deutschen Eeich betreffend gegenseitige Anerkennung der Zivilurteile möglichst zu fördern. Damals scheiterten diese Bestrebungen. Bei der heutigen Entwicklung des Verkehrs und dem ausgedehnten Umfang der rechtlichen Beziehungen zwischen den beiden Staaten ist eine vertragliche Ordnung der gegenseitigen Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen dringend notwendig geworden. Wir beantragen Ihnen, das Abkommen vom 2. November 1929 durch Annahme des nachstehenden Beschlussentwurfs zu genehmigen.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 9. Dezember 1929.

Im iNanien des Schweiz. Bundesrates, Der B u n d e s p r â s i d e n t : Dr. Haab.

Der Bundeskanzler: Kaeslin.

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(Entwurf.)

Bimdesfoeschluss betreffend

das Abkommen mit dem Deutschen Reich über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen und Schiedssprüchen.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 9. Dezember 1929, beschliesst:

Ait. 1.

Das Abkommen zwischen der Schweiz und dem Deutschen Keich vom 2. November 1929 über die Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen und Schiedssprüchen wird genehmigt.

Art. 2.

Der Bundesrat wird mit dem Vollzuge dieses Beschlusses beauftragt.

544

Abkommen zwischen

der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Deutschen Reich über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen und Schiedssprüchen.

Der Schweizerische Bundesrat und der Deutsche Reichspräsident, von dem Wunsche geleitet, zur Forderung der rechtlichen Beziehungen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Deutschen Eeich die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen und Schiedssprüchen zu regeln, haben beschlossen, hierüber ein Abkommen zu schliessen.

Zu diesem Zwecke haben zu Bevollmächtigten ernannt: Der Schweizerische Bundesrat den ausserordentlichen Gesandten und bevollmächtigten Minister in Berlin Herrn Dr. Karl Hermann R u f e n a c h t , den Chef der Justizabteilung des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements Herrn Dr. Hans Kühn, den Adjunkten der Justizabteilung des eidgenössischen Justiz- und Polizeidépartements Herrn Dr. Emil Alexander: der Deutsche Reichspräsident

den Vortragenden Legationsrat im Auswärtigen Amt Herrn Dr. Georg Mär tius> und den Ministerialrat im Eeichsjustizministerium Geheimen Eegierungsrat Herrn Dr. Erich Volkmar; die nach Prüfung ihrer Vollmachten, die in guter und gehöriger Form befunden worden sind, folgendes vereinbart haben:

545 Artikel 1.

Die im Prozessverfahren über vermögensrechtliche Ansprüche ergangenen rechtskräftigen Entscheidungen der bürgerlichen Gerichte des einen Staates ·werden ohne Unterschied ihrer Benennung (Urteile, Beschlüsse, Vollstreckungsbefehle), jedoch mit Ausnahme der Arreste und einstweiligen Verfügungen, und ohne Hücksioht auf die Staatsangehörigkeit der an dem Rechtsstreit beteiligten Parteien im Gebiete des andern Staates anerkannt, wenn für die Gerichte des Staates, in dessen Gebiet die Entscheidung gefällt wurde, eine Zuständigkeit nach Massgabe des Artikel 2 begründet war und nicht nach dem Eechte des Staates, in dessen Gebiet die Entscheidung geltend gemacht wird, für dessen Gerichte eine ausschliessliche Zuständigkeit besteht.

Artikel 2.

Die Zuständigkeit der Gerichte des Staates, in dem die Entscheidung gefällt wurde, ist im Sinne des Artikel l begründet, wenn sie in einer staatsvertraglichen Bestimmung vorgesehen oder eine der folgenden Voraussetzungen erfüllt ist: 1. wenn der Beklagte zur Zeit der Klagerhebung oder zur Zeit der Erlassung der Entscheidung seinen Wohnsitz oder die beklagte juristische Person ihren Sitz in diesem Staate hatte; 2. wenn sich der Beklagte durch eine ausdrückliche Vereinbarung der Zuständigkeit des Gerichts, das die Entscheidung gefällt hat, unterworfen hatte; 3. wenn der Beklagte sich vorbehaltlos auf den Eechtsstreit eingelassen hatte ; 4. wenn der Beklagte am Orte seiner geschäftlichen Niederlassung oder Zweigniederlassung für Ansprüche aus dem Betriebe dieser Niederlassung belangt worden ist; 5. für eine Widerklage, wenn der Gegenanspruch mit dem in der Klage geltend gemachten Anspruch oder mit den gegen diesen vorgebrachten Verteidigungsmitteln in rechtlichem Zusammenhange steht.

Artikel 8.

Die in nicht vermögensrechtlichen Streitigkeiten zwischen Angehörigen eines der beiden Staaten oder beider Staaten ergangenen rechtskräftigen Entscheidungen der bürgerlichen Gerichte des einen Staates werden im Gebiete des anderen Staates anerkannt, es sei denn, dass an dem Eechtsstreit ein Angehöriger des Staates, in dem die Entscheidung geltend gemacht wird, beteiligt war und nach dem Eechte dieses Staates die Zuständigkeit eines Gerichts des anderen Staates nicht begründet war. Dies gilt auch insoweit, als die in einer nichtvermögensrechtlichen Streitigkeit ergangene Entscheidung

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sich auf einen vermögensrechtlichen Anspruch mit erstreckt, der von dem in ihr festgestellten Eechtsverhältnis abhängt.

Artikel 4.

Die Anerkennung ist zu versagen, wenn durch die Entscheidung ein Eechtsverhältnis zur Verwirklichung gelangen soll, dem im Gebiete des Staates, wo die Entscheidung geltend gemacht wird, aus Rücksichten der öffentlichen.

Ordnung oder der Sittlichkeit die Gültigkeit, Verfolgbarkeit oder Klagbarkeit versagt ist.

Sie ist ferner zugunsten eines inländischen Beteiligten zu versagen, wenn in der Entscheidung bei Beurteilung seiner Handlungsfähigkeit oder seiner gesetzlichen Vertretung oder bei Beurteilung eines für den Anspruch massgebenden familien- oder erbrechtlichen Verhältnisses oder der dafür rnassgebenden Feststellungen des Todes einer Person zu seinem Nachteil andere als die nach dem Bechte des Staates, wo die Entscheidung geltend gemacht wird, anzuwendenden Gesetze zugrunde gelegt sind.

Hat sich der Beklagte auf den Rechtsstreit nicht eingelassen, so ist die Anerkennung zu versagen, wenn die Zustellung der den Eechtsstreit einleitenden Ladung oder Verfügung an den Beklagten oder seinen zur Empfangnahme berechtigten Vertreter nicht rechtzeitig oder lediglich im Wege der öffentlichen Zustellung oder im Auslande auf einem anderen Wege als dem der Rechtshilfe bewirkt worden ist.

Artikel 5.

Das Gericht des Staates, wo die Entscheidung geltend gemacht wird, ist bei der Prüfung der die Zuständigkeit eines Gerichts des anderen Staates begründenden Tatsachen und der Versagungsgründe an die tatsächlichen Feststellungen der Entscheidung nicht gebunden. Eine weitere Nachprüfung der Gesetzmässigkeit der Entscheidung findet nicht statt.

Artikel 6.

Die Entscheidungen der Gerichte des einen Staates, die nach den vorstehenden Bestimmungen im Gebiete des anderen Staates anzuerkennen sind, werden auf Antrag einer Partei von der zuständigen Behörde dieses Staates für vollstreckbar erklärt. Vor der Entscheidung ist der Gegner zu hören. Die Vollstreckbarerklärung hat in einem möglichst einfachen und schleunigen Verfahren zu erfolgen.

Die Vollziehung der für vollstreckbar erklärten Entscheidung bestimmt sich nach dem Rechte des Staates, in dem die Vollstreckung beantragt wird.

Artikel 7.

Die Partei, die für eine Entscheidung die Vollstreckbarerklärung nachsucht, hat beizubringen:

547 1. eine vollständige Ausfertigung der Entscheidung; die Eechtskraft der Entscheidung ist, soweit sie sich nicht schon aus der Ausfertigung ergibt, durch öffentliche Urkunden nachzuweisen; 2. die Urschrift oder eine beglaubigte Abschrift der Urkunden, aus denen sich die der Vorschrift des Artikel 4 Abs. 3 entsprechende Ladung der iiichterschienenen Partei ergibt.

Auf Verlangen der Behörde, bei der die Vollstreckbarerklärung beantragt wird, ist eine Übersetzung der im Abs. l bezeichneten Urkunden in die amtliche Sprache dieser Behörde beizubringen. Diese Übersetzung muss von einem diplomatischen oder konsularischen Vertreter oder einem beeidigten Dolmetscher eines der beiden Staaten als richtig bescheinigt sein.

Artikel 8.

Die in einem gerichtlichen Güteverfahren (Sühneverfahren) oder nach Erhebung der Klage vor einein bürgerlichen Gericht abgeschlossenen oder von einem solchen bestätigten Vergleiche stehen, vorbehaltlich der Bestimmung des Artikel 4 Abs. l hinsichtlich ihrer Vollstreckbarkeit anzuerkennenden gerichtlichen Entscheidungen im Sinne der Artikel 6 und 7 gleich.

Artikel 9.

Hinsichtlich der Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen gilt im Verhältnis zwischen den beiden Staaten das in Genf zur Zeichnung aufgelegte Abkommen zur Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 26. September 1927 mit der Massgabe, dass es ohne Rücksicht auf die im Artikel l Abs. l das. enthaltenen Beschränkungen auf alle in einem der beiden Staaten ergangenen Schiedssprüche Anwendung findet.

Zum Nachweis, dass der Schiedsspruch eine endgültige Entscheidung im Sinne des Artikel l Abs. 2 lit. d des vorbezeichneten Abkommens darstellt, genügt in Deutschland eine Bescheinigung der Geschäftsstelle des Gerichts, bei dem der Schiedsspruch niedergelegt ist, in der Schweiz eine Bescheinigung der zuständigen Behörde des Kantons, in dem der Schiedsspruch ergangen ist.

Vor einem Schiedsgericht abgeschlossene Vergleiche werden in derselben Weise wie Schiedssprüche vollstreckt.

Artikel 10.

Dieses Abkommen soll ratifiziert werden. Die Ratifikationsurkunden sollen sobald als möglich in Berlin ausgetauscht werden.

Das Abkommen tritt drei Monate nach dem Austausch der Ratifikationsurkunden in Kraft. Es findet keine Anwendung auf Entscheidungen, die* vor seinem Inkrafttreten rechtskräftig geworden sind, und auf Vergleicher die vor diesem Zeitpunkt zustande gekommen sind.

548 Das Abkommen kann von jedem der vertragschliessenden Staaten gekündigt werden. Es bleibt jedoch nach erfolgter Kündigung noch sechs Monate in Kraft.

Zu Urkund dessen haben die Bevollmächtigten dieses Abkommen unterzeichnet.

Ausgefertigt in doppelter Urschrift in Bern, am 2. November 1929.

sig. Rüfenacht sig. Kühn sig. Alexander

sig. Martius sig. Volkmar

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung zum Abkommen mit dem Deutschen Reich über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen und Schiedssprüchen. (Vom 9. Dezember 1929.)

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