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2482 Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über das Postulat des Nationalrates betreffend die Frage der Wiedergutmachung der von Schweizerbürgern im Weltkrieg erlittenen Kriegsschäden.

(Vom 30. September 1929.)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

In den Gebieten, die von den Kämpfen des Weltkrieges heimgesucht worden sind, waren bei Beginn der Feindseligkeiten auch zahlreiche Schweizerburger ansässig, von denen nicht wenige blühende geschäftliche Unternehmungen innehatten. Die bedeutendste dieser Siedlungen war wohl in Nordfrankreich, wo sich u. a. eine ganze Anzahl schweizerischer Textilfirmen niedergelassen hatte. Doch auch im Elsass und in Belgien, im Südtirol und in Venetien, in Ostpreussen und Polen, ja sogar im fernen Afrika hatten zahlreiche Landsleute sich eine neue Heimstätte geschaffen und durch Fleiss und Arbeit für unser Land Ehre eingelegt. Der Krieg brachte dann für Person und Eigentum vieler von ihnen die verschiedensten Bedrängnisse und Verluste mit sich, in welche die Neutralitäts- und Geschäftsberichte des Bundesrates aus den Kriegs- und Nachkriegsjahren Einblick geben. Es findet sich dort auch ausgeführt, welche Massnahmen jeweilen getroffen wurden, um die Wiedergutmachung der Polgen von Gewaltakten gegenüber Schweizern zu erreichen, sei es, dass diese widerrechtlich das Opfer einer Ausweisung, Verurteilung, Internierung, Vermögensbeschlagnahme geworden, sei es, dass ihr Eigentum zu Land oder zur See durch ein kriegerisches Ereignis zerstört worden war. In allen Fällen war vorab der Nachweis zu erbringen, dass die eingetretene Schädigung den Staat, dem. sie zur Last gelegt wurde, zur Leistung eines Schadenersatzes verpflichte. Diese Beweisführung war oft recht schwierig, und wir waren denn auch genötigt, bei unsern Schritten vielfach mehr auf Erwägungen der Billigkeit als des Bechts abzustellen. Begreiflicherweise wird aber eine Eegierung sich nicht leicht dazu bereit finden, eine Entschädigungsfordernng anzuerkennen

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die auf einen Bechtssatz sich zu stützen nicht in der Lage ist, indem ein freiwilliges Entgegenkommen in einem Einzelfalle für sie von weitreichender grundsätzlicher, oft ganz unberechenbarer Tragweite sein kann.

Es ergab sich die Sachlage, dass das Einschreiten der schweizerischen Behörden häufig nicht den von den betroffenen Landsleuten sehnlichst erwarteten Erfolg hatte und dass die Enttäuschung weite Kreise der Geschädigten ergriff. Ihre Unzufriedenheit richtete sich aber nicht so sehr gegen die fremden Eegierungen wie gegen den Bundesrat, da sie glaubten, ihre Ansprüche seien nicht mit der erforderlichen Festigkeit vertreten worden. Der bittersten Not wurde allerdings durch die Zuwendungen zu steuern gesucht, die auf Grund des Bundesbeschlusses vom 21. Juni 1923 über Hilfeleistung an unverschuldet notleidende Auslandschweizer ausgerichtet worden sind. Doch war mit solchen Unterstützungen namentlich jenen Auslandschweizern kaum gedient, die der nötigen Mittel entbehrten, um ihre in Schutt liegenden Gebäude und verwüsteten Felder wieder herstellen zu können. Wir hatten während der letzten zehn Jahre verschiedentlich Gelegenheit, im Verlauf Ihrer Beratungen die traurige Lage dieser Landsleute zu berühren und Ihnen darzutun, aus welchen Gründen unsere nachhaltigen Anstrengungen, die Aufenthaltsstaaten zur Gleichbehandlung unserer Mitbürger mit ihren eigenen Staatsangehörigen hinsichtlich der Kriegsschädenvergutungen zu veranlassen, fruchtlos geblieben sind. Es war uns dabei allerdings nicht möglich, auf die sich stellenden Rechtsfragen, sowie auf die von. uns unternommenen Schritte in aller Ausführlichkeit einzutreten, ohne unerwünschte Eückwirkungen und Missverständnisse hervorzurufen. Diese Bedenken bestehen heute kaum mehr oder müssen verstummen vor dem Verlangen der Geschädigten, rückhaltlos Aufschluss darüber zu erlangen, ob nicht das internationale Eecht die nötigen Grundlagen enthält, um eine Forderung zu verwirklichen, die menschlichem Empfinden und vernünftiger Billigkeit so sehr zu entsprechen scheint.

Durch ein am 15. März dieses Jahres vom Nationalrat angenommenes Postulat wird der Bundesrat eingeladen, zu prüf en, «wie die Wiedergutmachung der Schäden zu erlangen sei, welche Schweizerbürger zufolge des Weltkrieges durch Beschlagnahmung und Zerstörung erlitten haben, soweit dies auf
Grund des Völkerrechts und der Staatsverträge geschehen kann; sofern über die Schadenersatzpflicht mit den beteiligten Staaten keine Einigung zustande kommen sollte, wie diese Kriegsschädenfrage zur schiedsgerichtlichen Austragung zu bringen oder wie durch den Völkerbund eine gutachtliche Entscheidung (avis consultatif) des Ständigen Internationalen Gerichtshofes herbeizuführen sei».

Wir haben es als zweckmässig erachtet, die zu beantwortenden Eechtsfragen einem Eechtsgelehrten zu unterbreiten, der ihnen frei und vorurteilslos gegenübersteht und anderseits durch sein internationales Ansehen volle Gewähr für die Eichtigkeit der von ihm vertretenen Anschauungen bietet. Herr Dr. W. Burckhardt, Professor an der Berner Hochschule, erfüllt diese Bedingungen in ausgezeichneter Weise, und er hat sich auch in sehr dankens-

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I.

Die durch Beschlagnahme schweizerischen Privateigentums entstandenen Kriegsschäden.

Die während der Dauer des Weltkrieges vorgekommenen Beschlagnahmen schweizerischen Eigentums in den kriegführenden Staaten können aus verschiedenen Eechtsgründen von den Behörden veranlasst worden sein. Soweit diese Eingriffe in die Vermögensrechte eine Massnahme darstellen, die, wie z. B. die strafrechtliche Konfiskation, mit der Kriegführung nicht unmittelbar in Verbindung steht, glauben wir sie in diesem Zusammenhange nicht besonders berücksichtigen zu sollen. Wir haben uns hier vielmehr mit jenen Beschlagnahmen zu befassen, die entweder darauf zurückzuführen sind, dass schweizerisches Vermögen als feindliches betrachtet und behandelt (sequestriert und liquidiert) worden ist oder dass Schweizerwerte für die Bedürfnisse der Kriegführung eines Staates mit Beschlag belegt bzw. requiriert wurden. Wenn der Bundesrat in solchen Angelegenheiten um seinen Beistand angerufen wurde, so haben wir vor allem genau untersucht, ob den Betroffenen in dem fremden Staate der Eechtsschutz in gehöriger Weise gewährt worden ist, und wir haben, wo immer die Umstände es erforderten, uns dafür eingesetzt, dass unsere Landsleute ihre Eechte gebührend haben wahrnehmen können.

A. Hinsichtlich der ersten der beiden soeben erwähnten Kategorien^ von Beschlagnahmen hat eine während des Krieges sich vollziehende Wandlung ·der Eechtsanschauungen, die in dem Gutachten Burckhardt näher geschildert wird, oft alle unsere Bemühungen vereitelt. Man darf sich keiner Täuschung darüber hingeben, dass nach der Entwicklung, welche die Praxis der Staaten mit Beziehung auf die Behandlung des feindlichen Privateigentums genommen hat, nicht mehr davon gesprochen werden kann, dass auf diesem Gebiet eine

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einheitliche völkerrechtliche Auffassung besteht. Daraus ergibt sich aber wohl ohne weiteres, welchen Schwierigkeiten die diplomatische Inschutznahme des schweizerischen Eigentums begegnete. Da allgemein anerkannte Kegeln des internationalen Eechts, auf welche die schweizerischen Ansprüche in fraglicher Hinsicht sich hätten stützen können, nicht mehr vorhanden waren und die von uns vorgebrachten Argumente oft nicht als beweiskräftig angesehen wurden, sahen wir uns veranlasst, besondern Nachdruck auf Billigkeitserwägungen zu legen. Es ist auch sowohl in der grundsätzlichen Einstellung der verschiedenen Staaten wie in der Behandlung der Einzelfälle von Seiten eines und desselben Staates die grösste Mannigfaltigkeit festzustellen. Wir können z. B. auf die Behandlung gewisser schweizerischer Gesellschaften verweisen, welche wegen eines mehr oder weniger bedeutenden Bestandes an Gesellschaftern, die einem dem beschlagnehmenden Staate feindlichen Land angehörten, als feindliche Gesellschaften behandelt und deren Vermögenswertedeshalb sequestriert und liquidiert wurden; in andern ähnlichen Fällen ist es dagegen gelungen, die gerichtlichen oder administrativen Behörden davon zu überzeugen, da ss es sich um Eigentum nicht feindlicher Gesellschaften handle, das dann auch freigegeben wurde. Ferner hat in einigen Staaten eine während des Krieges eingetretene Änderung der Nationalität des Eigentümers der beschlagnahmten Sache, d. h. der Verlust der Staatsangehörigkeit eines feindlichen Staates und die Erwerbung des Bürgerrechts ein'es neutralen Staates, oder der legale Übergang des beschlagnahmten Gutes, z. B. durch Erbfolge auf den Angehörigen eines neutralen Staates, die Aufhebung der Beschlagnahme nach sich gezogen, in andern Staaten wieder nicht. In dem häufig vorkommenden Falle, dass Schweizerbürger Werttitel bei einer deutschen oder österreichischen Bankfiliale in einem alliierten Staate auf den Namen der deutschen oder österreichischen Bank hinterlegt hatten, verlangten die gerichtlichen oder administrativen Behörden einzelner Staaten die Angabe der Nummern der Titel, die meistens nicht beigebracht werden konnten. Doch haben anderseits Gerichte der gleichen Staaten wie and ere Staaten überhaupt sich mit dem Nachweise begnügt, dass die betreffende Bank vor dem Krieg einen bestimmten Betrag der angegebenen
Titelgattung von dem schweizerischen Titeleigentümer zur Aufbewahrung erhalten hatte. Alle Staaten haben aber, auch wenn sie die Freigabe des beschlagnahmten Eigentums oder des Liquidationserlöses zugestanden haben, es abgelehnt, eine Entschädigungspflicht für den Schaden anzuerkennen, der den Betroffenen aus der Beschlagnahme durch Wertverminderung. Zinsverlust, entgangenen Gewinn usw. erwachsen ist. Die Staaten haben damit ausnahmslos den Standpunkt vertreten, dass die Tatsache, dass eine Beschlagnahme nachträglich sich als nicht gerechtfertigt herausstellt, keinen Anspruch auf einen Ersatz der Einbussen begründet, die sich als Folge' der vorübergehenden Entziehung der Verfügung über das Vermögen ergeben haben.

Wenn somit völkerrechtlich die Haftbarmachung eines Staates für alle> Schäden, die auf die Beschlagnahme schweizerischen Eigentums als feind-

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liehen Eigentums zurückzuführen sind, auf grosse Schwierigkeiten stiess, so konnte lediglich noch versucht werden, den Nachweis zu erbringen, dass die verantwortlichen Behörden sich mit der Beschlagnahme gegen ihre Landesgesetzgebung vergangen hatten und dass der Staat hierfür einzustehen habe.

Es war aber in den wenigsten Fällen möglich, darzntun, dass die beanstandete Massnahme von der verantwortlichen Stelle nicht in guten Treuen veranlasst und durchgeführt worden ist; und selbst dort, wo offenkundig schuldhaftes Verhalten gegeben war, liess sich nicht mehr erreichen, als dass der fehlbare Beamte persönlich auf strafrechtlichem "Wege belangt wurde, während der Staat eine Haftung fiir dessen Handlungen ablehnte. Wenn eine solche Haltung befremdend erscheinen mag, so ist zu bedenken, dass auch unser Bundesstaatsrecht, einige Ausnahmen vorbehalten, nur eine persönliche Verantwortlichkeit des Beamten und keine Haftung des Staates für die Folgen eines rechtswidrigen Verhaltens des Beamten kennt (vgl. Gutachten Burckhardt, L, Ziffer 2, a. E.).

Wir haben übrigens mit Erfolg darauf bestanden, dass die schweizerischen Eigentümer von Vermögenswerten, die gemäss den Bestimmungen der Friedensverträge liquidiert worden sind, von den Staaten entschädigt werden, denen der Liquidationserlös gutgeschrieben wird. Da die Schweiz an den Friedensvertragen nicht beteiligt ist, war es ihr auch nicht möglich, über deren Auslegung sich mit den Vertragsstaaten auseinanderzusetzen. Der Versuch eines Vertragsstaates, einem auf Grund des Friedensvertrages eingesetzten gemischten Schiedsgericht eine der oben erwähnten Eechtsfragen zur Entscheidung zu unterbreiten, scheiterte, indem die angerufene Instanz sich als nicht zuständig erklärte.

B. Die Unsicherheit, die durch das Verhalten der kriegführenden Machte und durch die Bestimmungen der Friedensverträge von Versailles, St. Germain, Trianon und Neuilly hinsichtlich der Behandlung des feindlichen Privateigentums ini Völkerrechte Platz gegriffen hat, sollte ausgeschlossen erscheinen in bezug auf jene Beschlagnahmemassnahmen, die nicht die Einziehung feindlichen Gutes, sondern die Zwangslieferung von Privatvermögen für den Kriegsbedarf bezwecken, ob dieses nun im Eigentum von Angehörigen eines feindlichen Staates oder von solchen anderer Staaten steht. Indessen hat sich
gezeigt, dass trotz der internationalen Abmachungen, welche die Hechte und Pflichten der Staaten auf diesem Gebiete regeln sollen und trotz der von den Landesgesetzgebungen erlassenen Vorschriften, in den Kreisen der von solchen Massnahmen Betroffenen grosse Unklarheit darüber herrscht, wieweit ein fremder Staat zu Eequisitionszwecken in ihre Vermögensrechte eingreifen kann und welche Entschädigungsanspruche sie ihm gegenüber zu stellen berechtigt sind.

Es handelt sich um dauernde oder vorübergehende Eigentumsentziehungen, die ein kriegführender Staat für den Heeresbedarf oder überhaupt im allgemeinen Landesinteresse vornimmt. Soweit sie im Weltkrieg auf dem Gebiete des beschlagnehmenden Staates stattgefunden und sich gleicherweise gegen das

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Vermögen der eigenen wie der fremden Staatsangehörigen gerichtet haben, sind uns, wenigstens was die grundsätzliche Frage der Berechtigung von solchen Massnahmen gegenüber schweizerischem Eigentum betrifft, kaum Beschwerden zugegangen. Wir hatten allerdings auch in solchen Fällen häufig Gelegenheit, Schweizerbürgern gegenüber fremden Behörden unsern Beistand zu gewähren, ·etwa um die Freigabe der requirierten Sache, die Beschleunigung des Ent.schädigungsverfahrens oder die Erhöhung der zugebilligten Vergütung zu erreichen, aber die Beteiligten haben doch jeweilen eingesehen, dass ihr Begehren sich darauf beschränken musste, dass die bestehenden staatsvertraglichen Abmachungen und landesgesetzlichen Vorschriften in gerechter und billiger Weise auf sie angewendet würden, und dass die der einheimischen Bevölkerung zu diesem Zwecke zur Verfugung stehenden Eechtsmittel auch ihnen zugute kämen. Die rechtliche Zulässigkeit des Vorgehens, auf schweizerisches Vermögen zu greifen und für den entstehenden Verlust den Eigentümer in Landeswährung zu entschädigen, ist dagegen nie ernstlich bestritten worden.

Anders verhält es sich aber mit jenen Beschlagnahmen, die auf -fremdein Staatsgebiete von den militärischen Organen der Macht durchgeführt \\ urden, die das Territorium mit ihren Truppen besetzt hielt. Es ist behauptet worden, dass gemàss den Bestimmungen der Ordnung über die Gesetze und Gebräuche des Landkrieges, die dem vierten Haager Abkommen vom 18. Oktober 1907 lieigegeben ist, das neutrale Privateigentum in besetzten Gebieten überhaupt xmantastbar und der beschlagnehmende Staat zur vollen Ersetzung des durch seine widerrechtliche Beschlagnahme bzw. Aneignung angerichteten Schadens -verpflichtet sei. Diese Auffassung ist gänzlich unhaltbar und lässt sich nicht vereinen mit den Absichten, von denen sich die Staaten bei Annahme der Landkriegsordnung haben leiten lassen (vgl. Actes et documents de la IIe conférence de La Haye, vol. I, p. 163, et III, p. 40. 75, 82, 90, 191, 268). Wir gehen hier auf die im Gutachten Burckhardt berührte Frage, ob die Landkriegsordnung ini Weltkrieg überhaupt Geltung besessen habe, nicht näher ein, da wir annehmen dürfen, dass ihre Grundsätze, unbekümmert um die Frage ihrer rechtlichen Verbindlichkeit, von den kriegführenden Mächten anerkannt wurden. Wir haben uns denn auch,
wenn wir uns zu einem Einschreiten bei fremden Regierungen in solchen Angelegenheiten veranlasst sahen, auf die Bestimmungen der Landkriegsordnung berufen, ohne ihnen allerdings die weitreichende Bedeutung zuzuerkennen, von der eben die Bede war. Da der Verlauf des Weltkrieges es mit sich brachte, dass Bequisitionen schweizerischen Gutes auf besetztem feindlichem Gebiete namentlich von deutschen Behörden vorgenommen wurden, so lassen wir nachstehend eine Darstellung der Schritte folgen, die wir zugunsten der Ausrichtung angemessener Vergütungen an unsere requigitionsgeschädigten Landsleute bei der deutschen Begierung unternommen haben.

Schon wenige Monate nach Kriegsausbruch hatte sich das Politische Departement mit Kequisitionen schweizerischen Eigentums, die durch deutsche Stellen in den von deutschen Heeren besetzten Gebieten veranlasst worden

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"waren, zu befassen. Wir gingen dabei davon aus, dass nicht bestritten werden Isonne, dass die deutschen Instanzen auch das Eigentum Neutraler in den besetzten Gebieten anzufordern berechtigt seien. Indessen haben wir von Anfang an daran festgehalten, dass bei diesen Massnahrnen die in Artikel 52 und 53 der Haager Landkriegsordnung vom 18. Oktober 1907 enthaltenen Grundsätze beobachtet werden müssen. Artikel 52 sieht vor, dass Naturalleistungen für die Bedürfnisse des Besetzungsheeres zu Verbrauchszwecken gefordert werden können, und dass sie, «soviel wie möglich», bar zu bezahlen seien. «Andernfalls sind dafür Empfangsbestätigungen auszustellen; die Zahlung der geschuldeten Summen soll möglichst bald bewirkt werden.» Artikel 53 dagegen bestimmt, dass Kriegsvorräte jeder Art. selbst wenn sie Privatpersonen gehören, mit Beschlag belegt werden können; sie müssen aber zurückgegeben werden, können also nur zum vorübergehenden Gebrauch beschlagnahmt werden; die Entschädigungen sind bei Friedensschluss zu regeln.

Es kann schon im Hinblick auf den Wortlaut dieser Bestimmungen nicht wohl in Abrede gestellt werden, dass auch das Eigentum der Neutralen in den besetzten Gebieten requiriert bzw. beschlagnahmt werden kann. Dies geht mit aller Deutlichkeit auch aus ihrer Entstehungsgeschichte hervor, indem im Verlaufe der Beratungen der Haager Konferenz von 1907 ein deutscher Vorschlag auf Befreiung der neutralen Personen von den Fahrhaberequisitionen -abgelehnt worden ist, in der Erwägung, dass das A7ölkerrecht die Vornahme von Requisitionen, auch unter der Bevölkerung besetzter Gebiete, ohne Bück·sicht auf die Staatsangehörigkeit der Bewohner zulasse. Wenn Artikel 46 der gleichen Landkriegsordnung bestimmt, dass das Privateigentum nicht eingezogen werden dürfe, so erleidet dieses Prinzip durch andere Bestimmungen der Ordnung (Art. 23 g und Art. 51 ff.) so erhebliche Einschränkungen, «dass -- leider -- häufig nicht viel mehr übrig bleibt, als der nackte Grundsatz» (Dr. Karl Strupp, Das internationale Landkriegsrecht, Prankfurt a. M. 1914, S. 103f.).

Schon die Haager Landkriegsordnung gibt also einen genügenden Eechtsboden für die Bequirierungen von Vermögenswerten Neutraler ab. Zudem ist in Betracht zu ziehen, dass die Behörden eines Staates, der ein Gebiet zum Teil mehrere Jahre lang besetzt hält, das Eecht
der Zwangsleistung nicht nur auf ·die Landkriegsordnung, sondern auch auf die Erfordernisse gründen kann, die mit der ordnungsgemässen Verwaltung des Gebiets verbunden sind. Denn es ist offensichtlich, dass die Vorschriften der Landkriegsordnung nicht ausreichen für die Durchführung einer mehrjährigen Verwaltung eines besetzten Gebiets und dass der besetzenden Macht zur Erfüllung ihrer Obliegenheiten eingeräumt "werden muss, u. a. alle Beschlagnahmen anzuordnen, die im Interesse des besetzten Territoriums geboten erscheinen.

Wenn wir somit gegen die Bequisitionen schweizerischen Eigentums als solche nicht Einsprache erhoben haben, so legten wir indessen verschiedentlich Verwahrung dagegen ein, dass die Auszahlung der Entschädigungen allzu lange auf sich warten lasse. Es liege, wie wir ausführten, nicht im freien Er-

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messen des Requirierenden, den Zeitpunkt zu wählen, wann es ihm möglich sei zu bezahlen. Wenn die Verhältnisse es gestatteten, eine Feststellung des Wertes der requirierten Gegenstände vorzunehmen, dann müsse diese erfolgen, und der Feststellung habe die Bezahlung auf dem Fusse zu folgen.

Durch die schweizerische Gesandtschaft in Berlin hatten wir diese Auffassung der deutschen Eegierung im Sommer 1915 zur Kenntnis bringen lassen. Die im September 1915 erteilte Antwort lautete im wesentlichen wie folgt: «Die Entschädigung für beschlagnahmte Güter an deutsche Verbündete und Neutrale wird alsbald nach ihrer Feststellung durch Zahlung bei einer Eeichskasse in deutschem Gelde den Beteiligten überwiesen werden, ohne Bücksicht darauf, ob sie in Deutschland, im neutralen Ausland oder im Okkupationsgebiete wohnen. Es darf indessen darauf aufmerksam gemacht werden, dass bei der Fülle der zu bearbeitenden Entschädigungsgesuche die endgültige Eegelung der Ansprüche trotz des Bestrebens tunlichster Beschleunigung voraussichtlich einige Zeit in Anspruch nehmen wird. Wo immer möglich, werden, um den Beteiligten entgegenzukommen, schon vor Abschluss des Verfahrens Teilentschädigungen gewährt.» Hinsichtlich der in Deutschland bestehenden gesetzlichen Grundlagen des Beschlagnahmerechts und der Behandlung der Entschädigungsansprüche waren zu unterscheiden: l.In Deutschland selbst beschlagnahmte Güter auf Grund der ('Bekanntmachung des Eeichskanzlers vom 24. Juni 1915 über die Sicherstellung von Kriegsbedarf». Die infolge solcher Beschlagnahmen entstehenden Ersatzansprüche sind vom Reichsschiedsgericht für Kriegsbedarf behandelt worden.

Solche Fälle haben uns nicht sehr häufig beschäftigt.

2. Im Feindesland beschlagnahmte Güter. Ersatzansprüche aus solchen Requisitionen sind von der Reiehsentschädigungskommission geprüft und entschieden worden, deren Befugnisse durch die «Anordnung des Reichskanzlers betreffend das Verfahren vor der Reichsentschädigungskommission vom 25. April 1915» bestimmt waren.

Fälle dieser Art sind uns in grosser Zahl unterbreitet worden, und zwar handelt es sich hauptsächlich um zwei Punkte, in denen unsere Intervention nachgesucht wurde: a, Nach den für die Reichsentschädigungskommission massgebencleu Vorschriften waren für die Wertermittlung der beschlagnahmten Güter die Preise grundlegend,
die am 25. Juli 1914 galten. Berücksichtigt wurde nur der «wirkliche Schaden», während eine Vergütung für entgangene Kriegsgewinne abgelehnt wurde. Zu den in dieser Weise berechneten Grundentschädigungen sind für anderweitige Verluste, Zinsen und Auslagen gewisse Zuschläge gewährt worden. Die Einzahlung von Entschädigungen auf «gesperrte Konti» kam, nachdem wir dagegen vorstellig geworden waren, nicht mehr vor. Ferner wurden

45 in Anbetracht des Umstandes, dass die definitiven Entscheide über die auszurichtenden Gesamtentschädigungen sehr lange Zeit beanspruchten, vorgängig gewisse Teilentschädigungen zugesprochen und ausbezahlt.

l>) Die Beichsentschädigungskommission hat ihre Entschädigungen in Mark ausgerichtet. Dies hatte zur Eolge, dass durch das Sinken der deutschen Valuta schon während des Krieges sehr erhebliche Verluste für die Entschädigungsberechtigten eintraten.

In einer grossen Zahl von Einzelfallen haben wir uns bei der deutschen Eegierung darum bemüht, eine Erhöhung der gewährten Entschädigungen zu erwirken. Diese Vorstellungen zeitigten im allgemeinen nicht den gewünschten Erfolg, indem man in Berlin glaubte, von den für die Beichsentschädigungskommission massgebenden Grundsätzen nicht abweichen zu können. Dies geht z. B. aus folgenden Mitteilungen, die das Auswärtige Amt der schweizerischen Gesandtschaft in Berlin zugehen liess, hervor: «Die Keichsentschädigungskommission macht darauf aufmerksam, dass sie bestimmungsgemäss für die im Feindesland beschlagnahmten Güter nur den Friedenswert verguten kann. Ausnahmen hiervon können weder Deutschen, noch Verbündeten und Neutralen gegenüber gemacht werden.» «Den Ersatz von Kursverlusten muss die Kommission grundsätzlich ablehnen, da für das Deutsche Reich eine Mark nach wie vor eine Mark "wert ist.» Im Laufe des Jahres 1917 wurde angesichts des fortschreitenden Sinkens der Markwährung die Frage eingehend erwogen, ob nicht in Verbindung mit den Wirtschaftsverhandlungen die Eequisitionsangelegenheiten einer Lösung entgegengeführt werden könnten. Obwohl der Bundesrat mit Genugtuung jeden Anlass ergriffen hätte, um die Interessen der schweizerischen Geschädigten nach Möglichkeit wahrzunehmen, musste darauf verzichtet werden, weil die Entschädigungsfrage sich nicht dafür eignete, in die Wirtschaftsverhandlungen einbezogen zu werden, und im übrigen mit den bisher vorgebrachten Einwänden nichts erreicht werden konnte.

Die in Mark bewerteten Eequisitionsentschädigungen haben somit das Los der Markentwertung erfahren, und es ist im besondern diese Tatsache, mit der sich die Eequisitionsgeschädigten nicht glauben abfinden zu können, indem sie immer wieder geltend machen, dass sie einen Anspruch auf volle Entschädigung in Goldmark besitzen. Eine sichere Eechtsgrundlage,
auf die sich ein solches~Verlangen stutzen könnte, besteht nun leider nicht. Denn so sehr es auch eine Forderung der Billigkeit i«t, dass die Vergütung dem dem requirierten Gegenstande zur Zeit der Eequisition innewohnenden Wert entspreche, so ist doch nicht zu übersehen, dass eine formelle Basis, die Zahlungen im Goldwerte fordern zu können, nicht vorhanden ist. Die Haager Landkriegsordnung enthält zwar den Grundsatz der Entschädigungspflicht, überlässt aber die Aufstellung der Grundsätze und das Verfahren zur Feststellung des Schadensumfanges und zur Bemessung der Entschädigung den beteiligten Staaten. Nachdem die deutsche Eegierung gemäss den für sie massgebenden

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deutschen Vorschriften daran festgehalten hat, dass nur der auf Grund der Preise vom Juli 1914 sich ergebende Schaden ohne Berücksichtigung späterer Preissteigerung gewährt werden könne, und dass die Entschädigung in Landeswährung zu bemessen und zu zahlen sei, war keine unanfechtbare rechtliche G-rundlage vorhanden, gestützt auf welche den schweizerischen Forderungen hätte zum Erfolge verhelfen werden können. Die schweizerischen Réquisitionsgeschädigten wurden im übrigen jedenfalls nicht schlechter behandelt als ihredeutschen Leidensgefährten. Es ist auch, vom Standpunkte der deutschen Eegierung aus betrachtet, nicht so ganz unbegreiflich, dass sie die Möglichkeit nicht als gegeben erachtete, unsern Landsleuten eine Vorzugsbehandlung: zu gewähren. Die nachträgliche volle Aufwertung aller Entschädigungen hätte?

anderseits für Deutschland derartige finanzielle Folgen, dass die Reichsregierung sie nicht glaubte verantworten zu können.

Wir haben uns hingegen mit Erfolg dafür verwendet, dass die Nachund Schlussentschädigungen, welche die deutsche Gesetzgebung für die deutschen Geschädigten vorsieht, auch unsern Mitbürgern zugute kamen. Dies, hat dazu geführt, dass nachträglich einzelne der Beteiligten unter Hinweis auf die steigenden Angebote der deutschen Behörden vermeinten annehmenzu können, dass die Erhöhung ohne Einwirkung von unserer Seite erfolgt sei und dass bei besserer Wahrnehmung ihrer Interessen mehr zu erreichert gewesen wäre. Sie haben allzu rasch vergessen, wie unsicher die Beurteilung entwerteter Forderungen in Zeiten der Inflation gewesen ist und haben auch ausser acht gelassen, dass die neuen Entschädigungsangebote im Grunde nur Aufwertungen der frühern Vergütungen darstellen und in ihrem Ausmass im grossen und ganzen mit den Forderungen der Billigkeit übereinstimmen. Wir mussten es grundsätzlich den Berechtigten anheimstellen, die Angebote anzunehmen oder abzulehnen, da der Entscheid hierüber oft von ihren persönlichen.

Verhältnissen abhing. Auf Grund der Ansätze aber, die nach den Richtlinien des Kriegsschädenschlussgesetzes vom 30. März 1928 ausgezahlt werden und die für die Verluste bis zu 5000 Mark eine 100 %ige Vergütung und auch für die höhern Schadenssurnmen eine annehmbare Entschädigung vorsehen, zögern wir nicht, die Annahme der auf ihnen fussenden Angebote zu empfehlen^
da das genannte deutsche Gesetz eine endgültige Regelung der Kriegs- und Liquidationsschäden bezweckt und eine weitere Aufwertung, namentlich mit Rücksicht auf die Lasten, die die Reparationsverpflichtungen dem Deutschen Reich auferlegen, wohl nicht zu erwarten ist.

Es bleibt hinzuzufügen, dass die eben entwickelte Auffassung der deutschen Regierung über die rechtliche Natur der Requisitionsforderungen so ziemlich derjenigen der übrigen kriegführenden Staaten entspricht, die durchwegs ihre Requisitionsverpflichtungen in Landeswährung einlösten und keinen Ersatz für Kursverluste gewährt haben, die zwischen dem Tage der Requisition und dem Tage der Zahlung eingetreten sind. Voraussetzung zur Geltendmachung einer Requisitionsentschädigung gegenüber jeder Regierung bleibt immer, dass die Forderung sich auf eine mit der Unterschrift der requirierenden Stella

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versehene Bescheinigung zu stützen vermag. Die Eintreibung von Bequisitionsausständen, die durch keine solchen schriftlichen Unterlagen nachgewiesen werden können, ist in der Eegel von vornherein aussichtslos.

II.

Die durch Zerstörung schweizerischen Privateigentums entstandenen Kriegsschäden.

Zu den Kriegsschäden im engern und eigentlichen Sinne gehören alleSchädigungen, die durch die völkerrechtlich zulässige Kriegsfuhrung, z. IL durch Beschiessung von Gebäuden, durch Truppenbewegungen, durch Anlegenvon Befestigungen usw. oder auch durch völkerrechtswidrige Handlungenr begangen von Militärpersonen, z. B. durch Plünderung oder Brandstiftung, herbeigeführt worden sind. Es ist unbestritten, dass bei Kriegsschäden, diedurch das Völkerrecht verletzende Handlungen verursacht wurden, der Staat, zu dessen Heeresverbande die Bechtsbrecher gehören, für die Folgen ihres Tuns haftbar ist, aber die Erfahrung hat auch gezeigt, dass es nur in den wenigsten Fällen gelingt, die Schuldigen ausfindig zu machen und sie der verübten Bechtsverletzung zu überführen. Wo die Erbringung eines solchen Nachweises nicht möglich ist, da können die Ersatzforderungen für die Schäden, auch wenn ihr völkerrechtswidriges Entstehen an sich offenkundig ist. nicht anders geltend gemacht werden, als für die gewohnlichen, durch die völkerrechtlich erlaubten kriegerischen Handlungen hervorgerufenen Verluste.

Solange der Krieg währte, hat sich unsere Verwendung zugunsten unserer kriegsgeschädigten Mitbürger im allgemeinen darauf beschränken müssen, dass die Feststellung ihrer Schäden durch die Behörden ihres Aufenthaltsstaates in gleicher Weise wie gegenüber den Einheimischen vorgenommen wurde.

Diese vorsorgliche Massnahme, die übrigens von den in Frage kommenden Staaten bereitwillig zugestanden wurde, musste getroffen werden, um den Ansprüchen unserer Landsleute die tatsächliche Grundlage zu geben, auf den Zeitpunkt hin, wo über ihre Schadenersatzforderungen zufolge der inzwischen erlassenen Schädengesetzgebung materiell entschieden werden sollte. Die amtlichen Schätzungen und Feststellungsbescheide haben nun, wie unschwer zu verstehen ist, bei den schweizerischen Geschädigten vielfach die Ansicht aufkommen lassen, dass ihnen auch ein gesetzlicher Anspruch auf Entschädigung in gleicher Weise zustehe wie den Angehörigen ihres Aufenthaltsstaates.

Ohne Zweifel hat diese irrige Auffassung viel dazu beigetragen, in den kriegsgeschädigten Schweizern Hoffnungen zu erwecken und wach zu erhalten, diesich nicht erfüllen sollten.

D e u t s c h l
a n d hat es in den Kriegsjahren nicht bei der Feststellung der Kriegsschäden bewenden lassen, sondern einzelne Bundesstaaten sind bereits zur Ausrichtung sogenannter Vorentschädigungen geschritten, die dazu bestimmt waren, bis zum Erlass eines endgültigen Schädengesetzes durch daa

48 Eeich die dringendsten Bedürfnisse der Geschädigten zu befriedigen. Die zuständigen deutschen Behörden haben sich bereit gefunden, den Schweizern wie den übrigen Angehörigen neutraler oder mit Deutschland verbündeter Staaten einen auf deutschem Gebiet entstandenen Kriegsschaden zu ersetzen, unter dem Vorbehalte, dass die Geschädigten mit dem deutschen Wirtschaftsleben verwachsen seien und gewisse Sicherheiten dafür bieten, dass die Entschädigungen auch der deutschen Volkswirtschaft zugute kämen. In grundsätzlicher Hinsicht hat aber die deutsche Eegierung schon damals jede Verpflichtung zur Entschädigung von Nichtdeutschen abgelehnt und im besondern auch nicht anerkannt, dass die in Artikel 5 des schweizerisch-deutschen Niederlassungsvertrages vom 13. November 1909 vereinbarte Gleichstellung der beiderseitigen Landesangehörigen in Ansehung von Entschädigungen im Kriegsfalle sich auch auf «Liberalitäten» beziehe, wie sie an die in Ostpreussen und im Elsass Geschädigten ausbezahlt würden. Bei der Abfassung des Artikels habe man wohl nur an Vergütungen für Eequisitionen und für solche Schäden gedacht, die von den Vertragsstaaten selbst verursacht worden seien, nicht aber an treiwillige Zuwendungen, die ein Staat zur Linderung der Kriegsfolgen seinen eigenen Angehörigen wolle zukommen lassen. In den deutschen Niederlassungsverträgen mit andern Staaten befinde sich keine ähnliche Bestimmung; doch hätte kraft der in ihnen enthaltenen Meistbegünstigungsklausel die Anerkennung einer Gleichstellung von Schweizern und Deutschen in bezug auf Ersetzung von Kriegsschaden ohne weiteres auch die Gleichbehandlung der Angehörigen anderer Staaten in fraglicher Hinsicht zur Folge, was für das Deutsche Eeich ganz beträchtliche finanzielle Konsequenzen hätte Auf diese Argumentation wurde von uns entgegnet, dass der Wortlaut des Artikels 5 allgemein nur von Entschädigungen irn Kriegsfälle spreche und keinerlei Einschränkung enthalte und dass auch die Entstehungsgeschichte des Artikels keine Anhaltspunkte dafür gebe, dass er in dem von der deutschen Eegierung verstandenen Sinne auszulegen sei.

Durch die Vereinigung des Elsasses mit Frankreich verlor dann aber die ganze Frage an Bedeutung, da die dort wohnenden schweizerischen Kriegsgeschädigten nicht mehr dem deutschen Reichsgebiet angehörten und die verhältnismässig
geringe Anzahl in Ostpreussen angesiedelter Schweizerbürger durch die von den deutschen Behörden gewährten Entschädigungen einigermassen befriedigt wurden, wenn sie Sicherheit dafür boten, dass die ausbezahlte Vergütung für die Wiederherstellung der zerstörten Werte in Deutschland verwendet werde. Eine grundsätzliche Lösung hat die Eechtsfrage nicht erfahren, weil die deutsche Eegierung anlässlich der Verhandlungen, die zu dem Abschlüsse des schweizerisch-deutschen Schiede- und Vergleichsvertrages vom 3. Dezember 1921 führten, von allem Anfang an den Standpunkt eingenommen hat, dass Deutschland kein Schiedsgericht annehmen könne für Fragen, die mit dem Weltkrieg unmittelbar zusammenhängen, da Schiedssprüche in solchen Angelegenheiten mittelbar auch für die Beziehungen zu andern Neutralen und selbst zu den ehemaligen Kriegsgegnern von grossier

49 Tragweite sein könnten. Auch betonte sie, dass sie in ernste Schwierigkeiten käme, wenn die für die Entschädigung von Inländern und Ausländern gleicherweise geltenden Grundsätze zugunsten der letztern durchbrochen würden.

Wenn wir der deutschen Auffassung nicht Kechnung getragen und von dem Abschluss eines Schiedsvertrages Umgang genommen hätten, so wäre für uns damit kaum etwas gewonnen gewesen, denn die Möglichkeit einer schiedsgerichtlichen Lösung der Frage hätte nach wie vor nicht bestanden, wogegen aber dermit dem Schiedsvertrage verfolgtepolitische Zweckvereitelt worden wäre.

Wir haben deshalb, wie übrigens auch alle andern Staaten, die mit Deutschland Schiedsvertrage abgeschlossen haben, auf die schiedsgerichtliche Geltendmachung von Kriegsschadensforderungen aus demWeltkriege gegenüber Deutschland im ganzen Umfange verzichtet, womit wir uns u. a. auch verpflichtet haben, die Frage der Ersetzung der durch die deutsche Seekriegsführung entstandenen Schäden von schweizerischem Leben und Eigentum nicht einem Schiedsgerichte zu unterbreiten. Wie im Geschäftsberichte des Bundesrates für das Jahr 1926 erwähnt ist, haben wir weiterhin versucht, auf diplomatischem Wege die deutsche Eegierung dazu zu bestimmen, für eine Anzahl mit dem Unterseebootkriege zusammenhängender Verluste Schadenersatz zu gewähren. Die Eeichsregierung hat es indessen nicht als möglich erachtet, ihren Standpunkt aufzugeben, dass die Blockadeerklärung vom 31. Januar 1917 mit den Eegeln des Völkerrechts im Einklänge stehe und eine Haftpflicht des Eeichs für die aus ihrer Durchführung den Neutralen erwachsenen Schäden nicht gegeben sei, und hat lediglich aus Gründen der Billigkeit bezüglich einiger Schadensfälle, die sich vor der Einleitung des uneingeschränkten Unterseebootkrieges ereignet haben, eine gewisse Vergütung ausgerichtet. Andern neutralen Staaten, die wie die Schweiz gegen die Unterseebootblockade seinerzeit Verwahrung eingelegt hatten und mit denen wir bezüglich gemeinsamer Wahrung der Schadenersatzansprüche Fühlung genommen hatten, blieb auch nichts anderes übrig als über ihre Forderungen, die z. T. viel bedeutender waren als die unsern, mit der deutschen Eegierung langwierige Verhandlungen zu führen, deren Ergebnis ebenfalls kaum den gehegten Erwartungen entsprochen haben dürfte.

Die in Frankreich wohnhaften,
durch die Kriegsereignisse geschädigten Schweizerbürger haben, wie erwähnt, in den Kriegsjahren gleich den französischen Staatsangehörigen ihre Verluste anmelden und amtlich einschätzen lassen können. Unsere Gesandtschaft in Paris hat schon während der Ausarbeitung und Beratung des Kriegsschädengesetzes bei den ,zuständigen Stellen sich auch dafür verwendet, dass die Schweizer von den Vorteilen der zu erlassenden Bestimmungen nicht ausgeschlossen würden. Das am 17. April 1919 erschienene französische Gesetz über die Wiedergutmachung der Kriegsschäden hat dann aber die Unterstellung der Ausländer unter das Gesetz davon abhängig gemacht, dass zwischen Frankreich und deren Heimatstaaten hierüber ein Abkommen getroffen werde. Das französische Ministerium des Äussern wurde im Juli 1919 durch unsern diplomatischen Vertreter in Paris unter Überreichung eines Aide-mémoire darüber unterrichtet, dass nach unserer Bundeeblatt. 81. Jahrg. Bd. III.

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50 Auffassung sämtliche Voraussetzungen zum Abschluss eines solchen Gleichbehandlungsabkommens gegeben seien. Es wurde hervorgehoben, dass der im schweizerisch-franzosischen Niederlassungsvertrage vom 23. Februar 1882 enthaltene Grundsatz der Gleichbehandlung der in einem Vertragsstaate niedergelassenen Angehörigen des andern Vertragsstaates mit den eigenen Staatsangehörigen genügen sollte, um die Anwendung des Kriegsschädengesetzes auf die in Frankreich wohnhaften Schweizerbürger zu sichern, dies um so mehr, als die Schweiz ihrerseits diesen Grundsatz stets streng beobachtet habe und z. B. anlässlich der Fliegerbombenwürfe in Pruntrut die französischen Geschädigten in gleicher Weise wie die schweizerischen berücksichtigt habe; zudem hätten französische Staatsangehörige in der Schweiz in weitgehendem Mass an wirtschaftlichen Unterstützungsmassnahmen, wie z. B. an der Verbilligung des Milchpreises, teilgehabt, nicht zu reden von den Leistungen zugunsten der französischen Kriegsgefangenen, Evakuierten usw., die allein den eidgenössischen Verkehrsanstalten etliche Millionen Franken Einbusse verursacht haben. Die Ausrichtung von Entschädigungen an Schweizerbürger komme im übrigen nur wieder der französischen Volkswirtschaft zugute, da die zur Wiederherstellung des zerstörten Eigentums aufgewendeten Gelder im wesentlichen in Frankreich ausgegeben werden müssten. Auch wäre es eine Unbilligkeit, die Schweizer nicht zu entschädigen, die in den Schreckensjahren des Krieges die gleichen Leiden wie die Bewohner französischer Nationalität haben durchmachen müssen und im Frieden wie im Kriege die finanziellen Lasten des Staates mit ihnen getragen haben.

Schon bei dieser ersten Unterredung wurde von französischer Seite ein Entgegenkommen davon abhängig gemacht, dass von der Schweiz tatsächliche Gegenleistungen angeboten würden, indem die unbedeutenden, an die durch Bombenwürfe geschädigten französischen Staatsangehörigen ausgerichteten Vergütungen für die Beurteilung des Vorliegens einer Eeziprozität nicht in Betracht kämen. Welcher Art die verlangten Kompensationen sein müssten, wurde nicht gesagt. Es fiel auch die Bemerkung, dass die Schweiz sich an Deutschland wenden könne, worauf unser Vertreter nicht unterliess, darauf hinzuweisen, dass eine eventuelle Schadenersatzleistung der deutschen Eegierung eine
Verminderung der deutschen Beparationsfähigkeit gegenüber Frankreich nach sich ziehen würde, so dass für dieses die Belastung sich gleich bliebe. Es ist hervorzuheben, dass Artikel 248 des Versailler Friedensvertrages statuiert, dass der gesamte Besitz und alle Einnahmequellen des Deutschen Reichs und der deutschen Staaten an erster Stelle haften für die Bezahlung der Kosten der Wiedergutmachung und aller andern Lasten, die sich für Deutschland aus dem Friedensvertrag und den ihn ergänzenden Übereinkommen ergeben. Die alliierten Mächte können somit von Deutschland verlangen, dass es vorerst seine Verpflichtungen aus dem Friedensvertrag erfülle, bevor es gegenüber Dritten sich zu ähnlichen Leistungen bereit finde. Deutschland hat sich übrigens auf Grund des Artikels 231, sowie von Artikel 232, Anlage I, Ziffer 9. des Friedensvertrages nur verpflichtet, diejenigen Eigentumsschäden

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gutzumachen, die den alliierten oder assoziierten Mächten oder ihren Staatsangehörigen unmittelbar aus den Kriegshandlungen erwachsen sind. Angehörige von Staaten, die an dem Friedensvertrage nicht beteiligt sind, haben deshalb keine Möglichkeit, sich auf die in dem Friedensvertrage von Deutschland anerkannte Schadenersatzpflicht zu berufen.

Der Widerstand auf französischer Seite ging namentlich vom Finanzministerium aus, das unerbittlich daran festhielt, dass ein Entgegenkommen nur bei Gewährung von Kompensationen durch die Schweiz möglich sei. Wir haben unter grundsätzlicher Wahrung unseres Eechtsstandpunktes eingehend geprüft, ob irgendwelche Möglichkeit vorliege, der französischen Auffassung Rechnung zu tragen. Indessen ergab sich, dass die in Aussicht genommenen Lasten für die Schweiz so gross wären, dass sie mit den gleichen Mitteln ihren geschädigten Bürgern selbst Hilfe bringen könnte. Gegenüber dem französischen Einwand, dass bei einem Eingehen auf das schweizerische Begehren die in Frankreich entstandenen Schäden der Angehörigen anderer Staaten, von denen z. B. diejenigen der britischen Staatsangehörigen die Summe von etwa einer Milliarde Franken ausmachen, ebenfalls berücksichtigt werden müssten, wiesen wir darauf hin, dass andere Staaten im Hinblick auf die bereits vorhandenen schweizerischen Gegenleistungen eine Gleichstellung unserer Geschädigten mit den französischen nicht ohne weiteres als Präzedenzfall für sich in Anspruch zu nehmen berechtigt seien. Die wiederholten Vorstellungen unseres Gesandten in Paris fanden aber kein Gehör. Der Vorsteher des Politischen Departements hat auch dem französischen Botschafter in Bern unsere Auffassung dargelegt und ihm ein Aide-mémoire, datiert vom 20. Juli 1920, überreicht, das unsern Standpunkt in eindringlicher Form nochmals verficht (s. Anlage 2). In diesem Schriftstücke gehen wir nicht v,ie in dem frühern, von unseren Gesandten überreichten Aidemémoire von der Gleichbehandlungsklausel des schweizerisch-französischen Niederlassungsvertrags von 1882, deren Anwendungsmöglichkeit allzu bestritten war, aus, sondern lassen unsere Begründung auf allgemein völkerrechtlichen Erwägungen fussen, die zwar nicht Bestandteil der herrschenden Doktrin bilden, jedoch im besten Einklänge stehen mit den Traditionen der französischen Republik. Aber auch diese
Intervention zeitigte keinen Erfolg.

und nach weiteren Schritten unseres Vertreters in Paris wurde diesem im November 1920 mündlich eröffnet, dass das französische Ministerium beschlossen habe, keine Staatsverträge mehr abzuschliessen, wie sie das Kriegsschädengesetz vorsehe. Das bezügliche Abkommen mit Belgien sei nur deswegen, getroffen worden, weil die Interessen der beiden Staaten in fraglicher Hinsicht sich ungefähr die Wage hielten. Im übrigen wurde namentlich hervorgehoben, dass Frankreich seine Kriegsschäden von Deutschland auch noch nicht ersetzt erhalten habe.

Die schriftliche Stellungnahme der französischen Regierung erfolgte in der Note vom 10. November 1920, die sich darauf beschränkte, zu bemerken,» dass es der französischen Regierung nicht möglich sei, die Ausnahmebestim-1

52 mungen, die mit Bücksicht auf den Grundsatz nationaler Solidarität die Wiedergutmachung der Kriegsschäden der Franzosen auf französischem Staatsgebiet vorsehen, auf Ausländer in Anwendung zu bringen. Es gelangt in dieser Note (Anlage 3) zum Ausdrucke, dass die französische Eegierung die von uns angerufene Bestimmung des Niederlassungsvertrages bezüglich der Gleichbehandlung der Angehörigen der beiden Vertragsstaaten auf den gegebenen Fall nicht als anwendbar erachtet, weil die Schadenersatzleistungen als Kundgebung nationaler Solidarität zu betrachten seien (Artikel l des Gesetzes vom 17. April 1919 lautet: «La Bépublique proclame l'égalité et la solidarité de tous les Français devant les charges de la guerre.») und deshalb Staatsfremden nicht zukommen könnten.

Durch diese vorbehaltlose Ablehnung hat sich der Bundesrat nicht entmutigen lassen und sich weiterhin bei der französischen Eegierung für unsere unglücklichen Mitbürger in Nordfrankreich und Elsass-Lothringen verwendet.

Die schweizerische Gesandtschaft in Paris bemühte sich beim französischen Ministerium für eine entgegenkommendere Behandlung der geschädigten Schweizer in Steuerfragen, erreichte die Auszahlung der allerdings unbeträchtlichen Summe von französischen Fr. 15,000 für die Hinterbliebenen von Schweizern, die durch Kriegsereignisse in Frankreich ihr Leben eingebüsst hatten und kam auch neuerdings auf die Frage der Wiedereröffnung von Verhandlungen über den Abschluss eines Abkommens zurück. Letzterer Schritt zeitigte aber wieder kein Ergebnis, und unser Gesandter wurde vom französischen Aussenministerium u. a. darauf hingewiesen, dass die finanzielle Lage Frankreichs nicht einmal gestatte, den französischen Kriegsgeschädigten im Auslande die Hilfe zuzusichern, die den Franzosen im Inlande gewährt werde.

Der Bundesrat hatte sich angesichts dieser Haltung Frankreichs, die mit derjenigen der übrigen ehemals kriegführenden Staaten sich deckte, veranlasst gesehen, den eidgenössischen Bäten vorzuschlagen, unsern Kriegsgeschädigten durch eine Aktion des Bundes zu Hilfe zu kommen, die ursprünglich so gedacht war, dass den Geschädigten Darlehen zu gewähren seien gegen hypothekarische Sicherstellung der Vorschüsse. Die französische Begierung schien nicht abgeneigt, bei Durchführung dieses Planes ihrerseits durch Bereitstellung gewisser
Mittel mehr Entgegenkommen an den Tag zu legen; doch ist dann infolge des Umstandes, dass die Eidgenossenschaft den Plan der Darlehensgewährung aufgab und sich auf reine Unterstützungsmassnahmen beschränkte, auch die Möglichkeit einer gemeinsamen Aktion mit Frankreich dahingefallen.

Unser Gesandter in Paris hat trotz des negativen Ausgangs aller dieser Schritte seine Anstrengungen fortgesetzt und sich im Jahre 1922 noch verschiedentlich bei den zuständigen Ministerien persönlich bemüht, eine Änderung der bisher von der französischen Begierung in der Frage bekundeten Haltung zu erreichen. Indessen endigten diese letzten Versuche mit der Antwort, dass die gespannte Finanzlage Frankreichs ein Eingehen auf unsere Wünsche besonders deshalb ausschliesse, weil Grossbritannien und Italien nicht zögern

53 würden, der Schweiz gewährte Vorteile auch für ihre kriegsgeschädigten Angehörigen in Anspruch zu nehmen.

Diese endgültige Absage liess keine Hoffnungen auf etwaige spätere Verhandlungen mehr übrig. Die andern im Kriege neutralen Staaten hatten in bezug auf Landkriegsschäden nicht ganz das gleiche Interesse wie die Schweiz an der Sache, und es ist nach dem vorher Gesagten wohl auch einleuchtend, dass die Aussicht auf einen Erfolg geringer gewesen wäre, wenn die von uns für Schweizerbürger verlangte Gleichbehandlung mit den Einheimischen in gemeinsamer Aktion mit andern Staaten auch für deren Angehörige beansprucht worden wäre. Von den belgischen Kriegsgeschädigten abgesehen, hat übrigens Frankreich auch die Angehörigen der alliierten Staaten für auf französischem Boden erlittene Kriegsverluste nicht entschädigt. Es ist allerdings behauptet worden, dass hierüber Geheimabkommen beständen; doch ist hierfür auch nicht der geringste Beweis erbracht worden, und gewiss hätte sich auf die Dauer das Vorhandensein solcher Abmachungen nicht wohl verheimlichen lassen. Sollten Entschädigungen an geschädigte alliierte (nicht belgische) Staatsangehörige ausbezahlt worden sein, so sind sie von den Heimatstaaten ausgerichtet worden und zu ihren Lasten gegangen.

Es ist die Ansicht geäussert worden, dass anlässlich der Verhandlungen über die Beparationsleistungen Deutschlands Gelegenheit zur Wahrnehmung unserer Forderungen vorhanden gewesen wäre. Als am Weltkrieg unbeteiligter Staat ist nun aber die Schweiz weder zu den Friedenskonferenzen noch zu den Eeparationsverhandlungen eingeladen worden, und so ist Deutschland gegenüber den alliierten Staaten, wie oben erwähnt, nur zur Ersetzung der den Angehörigen alliierter Staaten erwachsenen Kriegsschäden verpflichtet worden: dass Frankreich über die von seinen eigenen Angehörigen erlittenen Schäden hinaus auch für von Ausländern erlittene einen Ersatz bekommen habe oder bekommen werde, lässt sich kaum nachweisen. Es hat vielmehr bisher den Standpunkt vertreten, dass die deutschen Eeparationsleistungen nicht einmal die französischen Aufwendungen für die zerstörten Gebiete erreicht haben.

Bei dieser Sachlage mussten wir namentlich auch mit Eücksicht auf die mangelnde Unterstützung seitens der übrigen Staaten in der Frage davon absehen, die zwischenstaatlichen
Verhandlungen mit Frankreich in dem Gegenstande weiter zu verfolgen. Eine schiedsgerichtliche Erledigung der Angelegenheit stand, auch wenn man die materiellen Voraussetzungen als gegeben erachten würde, schon deswegen ausser Frage, weil der schweizerisch-französische Vergleichs- und Schiedsvertrag noch nicht in Kraft getreten ist.

Ungefähr die gleichen Erwägungen wie gegenüber der französischen Begierung haben wir auch gegenüber Belgien ins Feld geführt, dessen Kriegsschädengesetz, wie das französische und italienische, die Berücksichtigung der Ausländer von dem Abschluss eines Staatsvertrages mit dem Heimatstaat abhängig macht. Das belgische Aussenministerium hat in seiner Erwiderung vom 10. Februar 1920 das Vorliegen eines schweizerischen Eechtsanspruches verneint und seine Stellungnahme einlässlich begründet (s. Anlage 4). Dass

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in der Note versucht wurde, die Schadenersatzpflicht für die schweizerischen Kriegsschäden in Belgien Deutschland aufzuerlegen, ist nicht unverständlich, und es wäre auch kaum am Platze gewesen, mit der belgischen Regierung hierüber in Erörterungen einzutreten. Es ist schon weiter oben ausgeführt worden, dass Deutschland in den Friedensverträgen nur zur Entschädigung der kriegsgeschädigten Bürger alliierter Staaten verpflichtet worden ist, und dass wir keine rechtliche Handhabe besitzen, um von Deutschland Ersatz für Kriegsschäden zu fordern, die sich nicht auf deutschem Gebiet ereignet haben.

Italien, dem gegenüber wir uns ebenfalls auf die im Niederlassungsvertrage (vom 22. Juli 1868) stipulierte Gleichbehandlung der beiderseitigen Staatsangehörigen berufen haben, hat ähnlich wie Belgien geantwortet und seinen Standpunkt begründet. Indessen haben wir uns damit nicht abfinden lassen und auch erreicht, dass die italienischen Ministerien in der Folge von ihrer grundsätzlichen negativen Einstellung etwas abgerückt sind. Auf unsere Anregungen hin ist untersucht worden, ob nicht auf dem Wege gewisser Kompensationen eine Lösung gefunden werden könnte. Dass die Möglichkeit eines solchen Ausgleichs anlässlich der Verhandlungen über Gegenseitigkeit in der Arbeitslosenversicherung vorgelegen hätte, wie etwa behauptet worden ist, muss allerdings bestritten werden. Es ist zuzugeben, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung auf diesem Gebiet Italien etwas grössere Vorteile bringt ; allein die Leistungen der Schweiz in dieser Hinsicht dürfen auch nicht überschätzt werden. Von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen haben wir eine freiwillige Arbeitslosenversicherung, von der ohne weiteres die italienischen Saisonarbeiter ausgeschlossen sind. Die in der Schweiz niedergelassenen Italiener benützen im allgemeinen die freiwilligen Versicherungseinrichtungen nicht, und so dürfte die Zahl der gegen Arbeitslosigkeit versicherten Italiener in der Schweiz jedenfalls nicht gross sein. Italien hätte somit keinen besondern Grund gehabt, uns Konzessionen auf anderm Gebiete zu machen, dies um so weniger, als wir durch Annahme des Washingtoner Arbeitslosenabkommens von 1919 zur Anwendung der Gegenseitigkeitsbehandlung gegenüber Italien, das dem Abkommen ebenfalls beigetreten ist, verpflichtet gewesen wären.

Wir haben indessen,
als sich uns eine Gelegenheit dazu bot, der italienischen Begierung einen nach unserer Ansicht sehr annehmbaren Kompensationsvorschlag unterbreitet, der aber letztes Jahr von ihr abgelehnt worden ist. Wir haben nämlieh, unter der Voraussetzung, dass unsern kriegsgeschädigten Landsleuten in Italien eine angemessene Vergütung ausgerichtet werde, uns dazu bereit erklärt, den italienischen Arbeitern auf dem Gebiete der Unfallversicherung Gleichbehandlung mit den Schweizerarbeitern angedeihen zu lassen, was den italienischen Arbeitern die Vorteile der schweizerischen Unfallversicherungsgesetzgebung gebracht hätte. Wir können es uns versagen, näher zu untersuchen, aus welchem Grunde man in Eom auf diesen Plan nicht glaubte eintreten zu sollen. Jedenfalls müssen damit etwaige Hoffnungen auf Kompensationsmöglichkeiten und auf eine Wiederaufnahme der Verhandlungen mit Italien, die von unserm Gesandten in Eom während zehn Jahren mit unermüd-

55 licheni Eifer und grosser Hingebung geführt worden sind, endgültig begraben werden.

Wir können wohl darauf verzichten, unsere bei den übrigen Staaten in der Kriegsschadensangelegenheit unternommenen Schritte ebenfalls darzulegen, denn sie bieten für die Beurteilung der Präge nichts Neues. Es ist aber bemerkenswert, dass sämtliche Staaten, soweit sie überhaupt Kriegsschäden ersetzt haben, die zur Wiedergutmachung der Kriegsschäden vorgesehenen Vergütungen nur den eigenen Staatsangehörigen vorbehalten und geschädigte Ausländer davon ausgeschlossen haben. Schon diese einmütige Stellungnahme lässt die grossen Schwierigkeiten erkennen, die einem Unternehmen begegnen müssten, das darauf abzielen würde, im Gegensatze zu der allgemein herrschenden Auffassung die Staaten dazu zu verhalten, bei Ausrichtung von Entschädigungen für Kriegsverluste Inländer und Ausländer gleich zu behandeln. Es bleibt uns noch übrig, anhand der Ergebnisse der von Herrn Professor Burckhardt vorgenommenen Untersuchung zu prüfen, ob, von rechtlichen und praktischen Gesichtspunkten aus betrachtet, die Möglichkeit eines solchen Vorgehens vorhanden wäre.

III.

Die Frage der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit der Staaten für Kriegsschäden und ihrer schiedsgerichtlichen Geltendmachung.

Aus den vorhergehenden Darlegungen ergibt sich, dass wir als Ausgangspunkt und Grundlage für unsere Schadenersatzansprüche die mit Belgien, Deutschland, Frankreich und Italien geschlossenen Niederlassungsverträge gewählt haben, die nach unserer Ansicht eine Auslegung zulassen, durch welche der Grundsatz der Gleichbehandlung der Angehörigen der Vertragsstaaten auch auf die staatlichen Ersatzleistungen für Kriegsschäden angewendet wird.

Wir haben uns indessen auch Eechenschaft darüber geben müssen, dass eine solche Auslegung nicht zwingend ist und dass anderseits die allgemeinen Eegeln des Völkerrechts keinen Boden zur einwandfreien Begründung unserer Forderung abgeben. Unsere Auffassung in diesen beiden Punkten ist nunmehr auch, wie uns scheint in schlüssiger Form, bestätigt worden durch die Ausführungen, die Herr Professor Burckhardt ihnen gewidmet hat und denen wir in allen Endergebnissen durchaus beipflichten können. Diese lassen sich in folgender Weise zusammenfassen : a. Liegt eine Beschlagnahme schweizerischen Eigentums vor, bei welcher der Eigentümer als ein dem beschlagnehmenden Staate feindlicher Staatsangehöriger behandelt wird, so gewährt die gegenwärtige internationale Eechtsordnung keine Möglichkeit, anhand allgemein anerkannter Eechtsnormen die Freigabe des schweizerischen Eigentums zu verlangen; hingegen können Billigkeitsgrundsätze angerufen werden.

i). Die Beschlagnahme bzw. Enteignung privaten Eigentums im besetzten Gebiet ist gegen Entschädigung grundsätzlich zulässig. Bei Beschlagnahme schweizerischen Eigentums zu Eequisitionszwecken während des Weltkrieges

56 können die Bestimmungen der Haager Landkriegsordnung vom 18. Oktober 1907 nicht angerufen werden, da die formelle Gültigkeit der Ordnung für diesen Krieg zum mindesten bestritten ist; inwieweit ihr Inhalt zum Besitz des allgemein geltenden (ungeschriebenen) Völkerrechtes gehört, erscheint nicht ganz abgeklärt. Unter gleichen Voraussetzungen können Ausländer keine höhern Entschädigungen beanspruchen als Inländer.

c. Hinsichtlich der eigentlichen Kriegsschäden lässt sich ein Anspruch der niedergelassenen Ausländer auf gleichmässige Berücksichtigung mit den Inländern mit Bezug auf die den letztern ausgerichteten Entschädigungen nicht auf den allgemeinen Grundsatz der Niederlassungsvertràge über die Gleichbehandlung der Niedergelassenen mit den Staatsangehörigen gründen: auch die allgemeinen Völkerrechtsgrundsätze lassen keine solche Begründung zu.

Der Nachweis dafür, dass der Gebietsstaat für den durch Zerstörung neutralen Eigentums erwachsenen Schaden aufzukommen habe, lässt sich völkerrechtlich nicht erbringen.

d. Ein schiedsgerichtliches Vorgehen kann nicht in Betracht kommen und auch ein Versuch, den Völkerbund mit der Angelegenheit zu befassen, wäre aussichtslos.

Auf Grund dieser Peststellungen gelangen wir dazu, bezüglich der Wahrnehmung der Interessen der durch Massnahmen kriegführender Staaten an ihrem Eigentum geschädigten schweizerischen Privatpersonen folgende Stellung einzunehmen : a. Der Schutz der Eechte schweizerischer Personen, deren Eigentum in kriegführenden Staaten als feindlich behandelt wird, kann nicht in anderer Weise wahrgenommen werden, als es bisher geschehen ist: nämlich durch Benützung der Rechtsmittel, die die staatliche Gesetzgebung den Betroffenen zur Verfügung stellt, sowie durch diplomatische Unterstützung bei den in Präge kommenden Regierungen. Im übrigen wird der Bundesrat, soweit es an ihm liegt, alle Bestrebungen fördern, die eine Abkehr von den Methoden bezwecken, die seit Ausbruch des Weltkrieges und infolge der Bestimmungen der Friedensverträge in der Behandlung 'des feindlichen Privateigentums zur Anwendung gelangt sind.

b. Da bei Requisitionen im eigenen Land oder in Feindesland das Verfahren zur Bemessung des Schadens und der Entschädigung durch die Landesgesetzgebung des requirierenden Staates geregelt wird, sind auch für die geschädigten Schweizerbürger
dessen Vorschriften verbindlich, soweit sie im Einklang mit den staatsvertraglichen Abmachungen stehen. Eine diplomatische Intervention zugunsten der Geschädigten von Seiten der schweizerischen Behörden kommt dann in Betracht, wenn sich bei Durchführung der erwähnten Bestimmungen Unbilligkeiten ergeben oder die Verletzung eines Staatsvertrages vorliegt. Die völkerrechtliche Verbindlichkeit zur Bezahlung einer Entschädigung schliesst aber nicht die Pflicht zur Bemessung dieser Entschädigung in einer wertbeständigen Währung in sich.

G. Eine Rechtspflicht der Staaten auf Ersetzung der Kriegsschäden der auf ihrem Gebiete niedergelassenen Schweizerbürger lässt sich begründen

57 1. weder nach den Niederlassungsverträgen, da diese in der Eegel die Friedensverhältnisse und nicht die aussergewöhnlichen Umstände des Krieges im Auge haben. Nur die in Artikel 5 des Niederlassungsvertrages mit Deutschland enthaltene Bestimmung über Entschädigungen, die im Falle eines Krieges ausgerichtet werden, kann uns berechtigen, die Gleichstellung unserer kriegsgeschädigten Landsleute mit den deutschen Staatsangehörigen zu verlangen; aber diese Gleichbehandlung liegt in der Praxis im wesentlichen auch vor, und wo der Grundsatz nicht durchgeführt werden sollte, wird der Bundesrat nach wie vor bereit sein, sich für dessen Anwendung einzusetzen.

2. noch nach den Normen des Völkerrechts. Die herrschende Doktrin des Völkerrechts kennt den Grundsatz nicht, dass der Staat zur Ersetzung der auf seinem Gebiete vorgekommenen Kriegsschäden verpflichtet wäre. Der Bundesrat hat übrigens schon anlässlich der Ausrichtung von Vergütungen an die durch Bombenwürfe auf Pruntrut, Kalmach und Merishausen geschädigten Eigentümer ausdrücklich erklärt, dass die geleistete Entschädigung nur aus Gründen der Billigkeit erfolgt sei und nicht die Anerkennung einer rechtlichen Verpflichtung zu einer solchen Leistung in sich schliesse (vgl. XI. Neutralitätsbericht vom 2. Dezember 1918). Es kann sich somit nur die Frage stellen, ob ein Staat, wenn er eine Entschädigung ausrichten will, diese nicht nur seinen Angehörigen auszurichten braucht, sondern sie auch den auf seinem Gebiete wohnhaften Ausländern ausrichten m u s s. Einen solchen Satz findet man indessen im geltenden Völkerrecht ebenfalls nicht, und es sprechen, auch von schweizerischen Gesichtspunkten aus gesehen, gewichtige Gründe dagegen, dass eine derartige Eechtspflicht festgesetzt werde.

Wir haben während Jahren vergeblich versucht, die in Frage kommenden Staaten davon zu überzeugen, dass entscheidende Erwägungen der Billigkeit es erforderten, die niedergelassenen geschädigten Schweizerbürger auf gleichem Fusse wie die eigenen Staatsangehörigen hinsichtlich der Gewährung von Entschädigungen zu behandeln. Nachdem wir keine Möglichkeit einer Lösung unversucht gelassen und die Staaten es endgültig abgelehnt haben, auf unsere Vorschläge einzugehen, ist dem Bundesrate der Weg zu weitern diplomatischen Verhandlungen tatsächlich verschlossen.

d. Dem Bundesrate
wäre nur gegenüber Italien die Möglichkeit gegeben, die Kriegsschädenfrage auf dem Wege des schiedsgerichtlichen Verfahrens zu einer gerichtlichen Lösung zu bringen; aber es ist nicht zu bestreiten, dass ein vom Ständigen Internationalen Gerichtshof im Haag in einem schweizerischitalienischen Streitfalle gefälltes Urteil auch für die einschlägigen Verhältnisse der Schweiz zu den übrigen Staaten, ja sogar der übrigen Staaten unter sich, Bedeutung erlangen würde. Es ist nun nicht zum wenigsten die gewaltige Tragweite, die dem Ausgang eines solchen Schiedsverfahrens beigenaessen werden müsste, die uns dazu bestimmt, von dessen Einleitung Umgang zu nehmen. Bei den ganz unberechenbaren Summen, die angesichts der grundsätzlichen Bedeutung des Urteils für die Staaten auf dem Spiele stehen und die wohl in die Milliarden gehen würden, hätten unsere Ansprüche nur dann irgendwelche Aussicht auf Erfolg, wenn ihre rechtliche Begründetheit sich einwandfrei nachweisen liesse. Wenn man sich nun vergegenwärtigt, welche Schwierig-

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keiten während eines Prozesses auftauchen können, auch wenn die rechtliche Stellung beinahe unangreifbar zu sein scheint, so wird sich eine Kegierung nicht dazu verleiten lassen, gegenüber einem Staat ein Verfahren zur Geltendmachung von Forderungen anzuheben, die rechtlich so unsicher sind wie die Ersatzansprüche für Kriegsschäden. Eine Aussicht auf Erfolg wäre möglicherweise vorhanden, wenn unser Anspruch eine Forderung zum Inhalte haben würde, deren Verwirklichung das internationale Eecht sich zur Aufgabe gesetzt hätte.

Aber auch das ist hier nicht der Fall. Die Vertreter des internationalen Eechts, die unter der Führung des Völkerbundes gegenwärtig gewisse Teile des Völkerrechts, zu denen auch die Verantwortlichkeit der Staaten für auf ihrem Gebiete vorgekommene Schädigungen von Ausländern gehört, einer Kodifikation unterziehen und die zu den hervorragendsten Eechtsgelehrten zählen, haben bei dieser Arbeit der Frage der Schadenersatzpflicht der Staaten für Kriegsschäden nicht einmal Erwähnung getan. Es geht auch aus den Darlegungen von Herrn Professor Burckhardt genügend hervor, welche Erwägungen gegen die Anerkennung des Grundsatzes einer solchen Schadenersatzpflicht sprechen, so dass wohl Klarheit darüber herrscht, dass in der nächsten Zukunft den Staaten eine so folgenschwere Verpflichtung durch die internationale Rechtsordnung nicht auferlegt werden wird.

Von diesen Überlegungen lässt sich der Bundesrat leiten, wenn er es ablehnt, auf die Anregung eines schiedsgerichtlichen Verfahrens einzutreten, das unter den gegebenen Umständen eine Gefährdung des Ansehens der Eidgenossenschaft und ihrer guten Beziehungen zu andern Staaten zu bedeuten hätte.

Der Vorschlag, an den Völkerbund zu gelangen, erweist sich ebenfalls als untauglich, denn dessen Ausführung wäre kaum in anderer Form als in der Einholung eines Eechtsgutachtens durch den Völkerbundsrat denkbar, dessen Mitglieder aber mehrheitlich in der Frage als befangen angesehen werden müssten, da sie Vertreter von Staaten sind, gegen die sich das geplante Vorgehen richtet. Welche Folge unter diesen Umständen dem beabsichtigten Schritte gegeben würde, ist leicht ersichtlich.

In der Erwartung, dass unsere Ausführungen Sie davon überzeugt haben, dass die in dem Postulat enthaltenen Anregungen nicht ausführbar erscheinen, beantragen wir Ihnen,
den vorstehenden Bericht gutzuheissen.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 30. September 1929.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t : Dr. Haab.

Der Bundeskanzler: Kaeslin.

59 Anlage I,

Rechtsgutachten des Herrn Prof, Dr. W. Burckhardt, vom 5. Juni 1929,

Hochgeachteter Herr Bundesrat!

Sie haben mich mit Schreiben vom 26. März 1929 ersucht, mich über «die Verantwortlichkeit des Staates für Kriegsschäden auf Grund des geltenden internationalen Kechts» zu äussern. Ich beehre mich, hiermit Ihrem Wunsche nachzukommen.

Die Anfrage ist veranlasst worden durch die nachträglich in ein Postulat umgewandelte Motion von Herrn Nationalrat Duft und 88 Mitunterzeichnern, die den Bundesrat einladet, zu prüfen und zu berichten: 1. Wie die Wiedergutmachung der Schäden zu verlangen sei, welche Schweizerbürger zufolge des Weltkrieges durch Beschlagnahmen und Zerstörung erlitten haben, soweit dies auf Grund des Völkerrechts und der Staatsverträge geschehen kann.

2. Sofern über die Schadenersatzpflicht mit den beteiligten Staaten keine Einigung zustande kommen sollte, wie diese Kriegsschädenfrage zur schiedsgerichtlichen Austragung zu bringen oder wie durch den Völkerbund eine gutachtliche Entscheidung (avis consultatif) des Ständigen Internationalen Gerichtshofes herbeizuführen sei.

Ich möchte mir gestatten, zunächst die materielle Frage zu behandeln, ob die Schweiz auf Grund des Völkerrechts und der Staatsverträge Anspruch auf Wiedergutmachung der Kriegsschäden im weitern Sinne hat, und sodann die formelle Frage, ob sie diesen Anspruch durch einen Schiedsspruch oder ein Gutachten des Ständigen Internationalen Gerichtshofes zur Anerkennung bringen könnte.

I.

Hat die Schweiz Anspruch auf Wiedergutmachung der von ihren Angehörigen im Ausland erlittenen Kriegsschäden?

Das Postulat macht zwei Arten von Schäden namhaft: diejenigen, die die Folge von Beschlagnahmen, und diejenigen, die die Folge von Zerstörungen waren. Ich möchte mich zuerst über die Beschlagnahme,, der ich die Eequisition im besetzten Gebiet anfüge, und nachher über die Zerstörungsschäden aussprechen.

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1. Die Beschlagnahme feindlichen Eigentums war eine der Massnahmen, die man als Wirtschaftskrieg bezeichnet und die darauf ausgingen, die Volkswirtschaft des Feindes zu schwächen; es gehörten dazu ausser der Beschlagnahme das Verbot, mit dem Feind Handel zu treiben, die Ungültigkeit oder Unklagbarkeit der Forderungen der feindlichen Staatsangehörigen, die Auflösung der mit ihnen geschlossenen Verträge, die Aufhebung der Patentrechte und anderes mehr; im weitern Sinne gehörten auch dazu, weil demselben Zwecke dienend, die den Feinden und Neutralen auferlegten Beschränkungen des Verkehrs zur See und zu Land (z. B. Post und Telegraph), welche die kleinen neutralen Staaten in die Abhängigkeit der die See beherrschenden Alliierten brachten und weitere Beschränkungen nach sich zogen (vgl.

W. Burckhardt, Das Eecht der Neutralen auf Verkehr mit andern Staaten, Politisches Jahrbuch 1915, S. l ff.).

Um die Berechtigung einer dieser Massnahmen richtig zu beurteilen, müsste man sie im Bahmen des Ganzen betrachten, was hier nicht möglich ist; wir beschränken uns auf die Beschlagnahme; aber in einem Streit vor Schiedsgericht würde sicher der ganze Wirtschaftskrieg erörtert werden müssen.

Die Beschlagnahme war, wie auch die andern Massnahmen des eigentlichen Wirtschaftskrieges, gegen das Vermögen feindlicher Staatsangehöriger im eigenen Gebiet des beschlagnahmenden Staates gerichtet; nicht gegen Angehörige neutraler Staaten. Und man darf wohl sagen, dass sie gegenüber den «Neutralen» nicht gerechtfertigt gewesen wären, auch wenn sie es gegenüber den «Feindlichen» gewesen wären. Praktisch aber macht es einen erheblichen Unterschied aus, ob auch letzteres der Fall war oder nicht; denn wenn das Vermögen der Feindlichen beschlagnahmt werden durfte, wird z. B. auch das ihrer neutralen Gesellschafter und Gläubiger betroffen: im Falle, wo Neutrale mit Feindlichen zu einer Gesellschaft (auch Aktiengesellschaft) verbunden waren oder den Feindlichen kreditiert hatten; wenn als feindlich der B e wohn e r des feindlichen Gebietes betrachtet wird, wie es der englischen, spater von den andern Staaten rezipierten Lehre entsprach, so muss sich auch der Angehörige eines neutralen Staates als feindlich behandeln lassen, der im Feindesland niedergelassen ist und im Gebiete des Gegners Vermögen hat: z. B. der in Deutschland
niedergelassene schweizerische Kaufmann, der in London eine Filiale oder Warenvorräte hat; ja sogar die Erzeugnisse einer Liegenschaft, die ein in der Schweiz wohnender Schweizer in Feindesland hat (vgl. Oppenheim-Boxburgh, International Law, III. Auflage 1921, IL, S. 129); und namentlich wird sich der beschlagnahmende Staat, wenn aus Versehen ein Neutraler für feindlich angesehen und behandelt wurde, leichter auf Irrtum berufen können, als wenn jede Beschlagnahme, auch die des feindlichen Vermögens, als rechtswidrig anzusehen ist.

Nun war es zweifellos bis zum Krieg, wenigstens auf dem europaischen Kontinent, die herrschende Auffassung, dass auch feindliches Privatgut nicht eingezogen, beschlagnahmt oder sonstwie verletzt und Verträge nicht un-

61 gültig erklärt werden dürften, mit Ausnahme gewisser den Feind besonders begünstigender Verträge, wie Versicherungsverträge gegen Kriegsschaden, welche ungültig erklärt wurden und nicht weiter erfüllt werden durften. Allein Grossbritannien hatte diese Lehre nie angenommen, sondern war bei seinem alten Grundsatze verblieben, dass es verboten ist, mit dem Feinde des Königs Handel zu treiben, es wäre denn mit besonderer Erlaubnis (licence) der Regierung, und dass der Angehörige des feindlichen Staates keine persona standi in judicio habe, obschon er selbst beklagt werden konnte (Oppenheim, International Law, II. Aufl., 1911, I, S. 133). Und ebenso Kordamerika. Es ist bekannt, dass auch Artikel 23, lit.Ä, des Haager Beglements über die Gesetze und Gebräuche des Krieges von 1907, der die Aufhebung oder zeitweilige Ausserkraftsetzung der Eechte und Forderungen der Angehörigen der Gegenpartei oder die Ausschliessung ihrer Klagbarkeit verbot, von Grossbritannien und Nordamerika nur auf die militärischen Massnahmen im besetzten Gebiete bezogen wurden, nicht auf das Verhalten gegenüber Feindlichen im eigenen Lande (worüber Sauser-Hall, Les traités de paix et les droits privés des neutres, 1924, S. 20, berichtet). Die lit. g des Art. 23 war wohl wirklich nur für diesen Fall verstanden worden, da damals niemand annahm, dass «die Zerstörung oder Wegnahme feindlichen Eigentums» im eigenen Lande und hinter dem Operationsgebiet erlaubt sein könnten (Garner, International Law and thè World War I, 1920, S. 58). Das Haager Eeglement war aber im letzten Kriege auch für diejenigen Staaten, die es angenommen, und auch in seinem anerkannten Inhalte, formell nicht verbindlich, weil nicht sämtliche kriegführenden Staaten das Abkommen unterzeichnet hatten (Art. 2 des Abkommens).

Ob das Abkommen von 1899 verbindlich war, ist nicht ganz klar; Garner I, S. 19--20, und andere bejahen es; ich würde es verneinen.

Immerhin hatte vor dem Kriege auch Grossbritannien das Eigentum der feindlichen Staatsangehörigen (im Gegensatz zur Geltendmachung der Forderungsrechte) als unverletzlich betrachtet (Spaight, War rights on land, 1911, S. 31). Und noch mehr galt das in den Staaten des europäischen Festr landes (vgl. z. B. Despagnet-de Boek, Cours de droit international public, IV. Aufl. 1910, S. 822; Bonfils-Fauchille, Traité de
droit international public, VI. Aufl. 1912, S. 697 ff.; Nys, Le droit international, III. 1912, S. 61/62; Diena, Diritto internazionale, I, 1914, S. 500. Etwas früher sagte Bivier, Principes du droit des gens, II, 1896, S. 232 : «Le respect de la propriété privée durant la guerre est un principe acquis, à l'exception, toutefois, de celle qui flotte sur mer»). Manche Schriftsteller erwähnen den Grundsatz nur bei der Okkupation feindlichen Gebietes, weil sie es als selbstverständlich betrachten, dass im eigenen Lande das Privateigentum der feindlichen Staatsangehörigen geschützt bleiben muss; z. B. Pasquale Fiore, Le droit international codifié, 1911, Nr. 1560, 1692.

Dass die Kriegsführenden im Weltkriege unter Englands Führung zum alten längst überwunden geglaubten Grundsatz zurückgekehrt sind, dass das Privateigentum der Feindlichen beschlagnahmt, d. h. tatsächlich eingezogen werden

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kann, ist ein grosser Bückschritt (es sind allerdings nicht a l l e Verträge von feindlichen Ausländern ungültig oder unwirksam, erklärt worden und auch nicht alle Ansprüche, aus Eigentum z. B., unklagbar; den im Lande wohnenden feindlichen Ausländern sind manche Ausnahmen bewilligt worden; vgl. Oppenheim-M cN air, IV. Aufl., II, S. 213 ff.). Aber dieser Bückschritt ist in so breiter Front vorgenommen worden, dass es schwer hält, zu sagen, ob die bisherige Achtung vor dem Privateigentum noch Geltung hat. Es ist ja auch nicht zu verkennen, dass der bis vor kurzem allgemein anerkannte Grundsatz, dass der Krieg nur unter Staaten und nicht unter den Einzelnen geführt werde, auf einer kaum mehr durchführbaren Unterscheidung beruht und uns schon beinahe wie eine juristische Fiktion vorkommt; in gewissem Sinne auch mit Recht; denn in wirtschaftlicher Beziehung kann zwischen Staat und Einzelnen nicht so scharf unterschieden werden, wie man es früher tat und vielleicht tun konnte, als der Staat noch gewissermassen aus seiner eigenen Wirtschaft lebte und mit der Volkswirtschaft viel weniger eng verbunden war als heute.

Und zu verkennen ist auch nicht, dass die früher allgemein angenommene Doktrin der Unverletzlichkeit des Eigentums nie methodisch durchdacht worden ist, z. B. in ihrem Verhältnis zu der ebenfalls allgemein (obschon in verschie-.

denem Umfang) anerkannten Befugnis der Kriegsführenden, den Handel mit dem Feind zu verbieten: Wie können die Privatrechte der feindlichen Staatsangehörigen unverletzt bleiben, wenn bestehende Gesellschafts-, Versicherungsoder andere Verträge nicht mehr erfüllt werden dürfen? Man hatte in der Doktrin die ganze Tragweite der Frage nicht erfasst, was sich schon daraus ergibt, dass man sie meist im Zusammenhang mit dem Kriegsanfang, als Folge des Kriegsausbruches, oder sogar nur im Zusammenhang mit der Besetzung feindlichen Gebietes behandelte. Im letzten Krieg und heute stellt sich die Frage in viel weiterem Eahmen, und in diesem, bisher kaum geahnten weiten Bahmen des Wirtschaftskrieges hat sie von den Alliierten und dann auch von den Zentrahnächten die der bisherigen Lehre widersprechende Antwort gefunden. Was heute «gilt», ist daher schwer zu sagen.

Man wird heute allerdings schwerlich zur Auffassung der alten Zeit zurückkehren, dass jeder Untertan des feindlichen
Staates ein Feind ist, der persönlich bekämpft werden darf; insofern wird der Satz bestehen bleiben, dass der Krieg ein Verhältnis von Staat zu Staat ist. Aber man wird ebenso schwerlich den Zusammenhang zwischen der Volkswirtschaft eines Landes und seiner Widerstandskraft übersehen können und den Satz gelten lassen, dass das Vermögen der Privatpersonen unverletzlich ist; denn die Volkswirtschaft eines Landes beruht in der Hauptsache im Privatvermögen seiner Angehörigen und sie wird durch private Bechtsgeschäfte betätigt. Der Kampf gegen die feindliche Volkswirtschaft wird also kaum vor dem privaten Eigentum und den privaten Vermögensrechten halt machen. Es werden wahrscheinlich viele Eingriffe in diese Bechte als zulässige Mittel der Kriegsführung betrachtet werden, die es früher nicht waren; nur werden sie anders begründet werden, als in der alten Zeit, d. h. bis zum neunzehnten Jahrhundert, die Konfiskation

63 des feindlichen Privateigentums: nicht aus dem Eecht, jedem Angehörigen des feindlichen Staates, sondern aus dem Eecht, der Volkswirtschaft des feindlichen Staates Schaden zuzufügen. Ob das im eigenen Lande befindliche Vermögen, z. B. ein gewerbliches oder Handelsunternehmen, eines Angehörigen des Feindes der feindlichen Volkswirtschaft angehöre, ist allerdings zweifelhaft und eher zu Verneinen; aber es kann nur unter der Bedingung ganz verneint werden, dass dem feindlichen Eigentümer die Verfügung über sein Vermögen entzogen wird, wie es im Weltkrieg durch die Beschlagnahme, die Zwangsverwaltung und dgl. geschehen ist; sonst kann der Eigentümer immer Nutzen für sein Land daraus ziehen, z. B. durch die Erhöhung seines Kredites; ja wenn er das nicht soll tun können, muss ihm sogar die Aussicht, sein Vermögen wieder zu erlangen, entzogen werden, also das Eigentum selbst. Es ist möglich, dass wenn die Staaten wieder einmal zur «Kodifizierung» des Kriegsrechts zusammentreten oder wenn der Völkerbund diese Arbeit vinternimmt, was er ungern tun wird, dem Kriegsführenden nicht a l l e s erlaubt wird, was er sich im Weltkrieg gegen das in seinem Bereich befindliche feindliche Privateigentum herausgenommen hat und dass man ihn auf gewisse Kontrollmassregeln beschränkt. Das ist eine Sache vernünftiger Abwägung; eine Sache, die man um so vernünftiger abwägen wird, je mehr Zeit seit dem letzten Kriege verstrichen sein wird. Jedenfalls herrscht jetzt darüber die grösste Unklarheit.

Von den seit dem Krieg erschienenen Darstellungen des Völkerrechts stellen die einen die neue Praxis unvermittelt neben die alte Lehre, als ob sie miteinander übereinstimmten; so Bonfils-Fauchille in der 8. Auflage seines Werkes, Bd. II, 1921, S. 69 ff. und S. 73; Oppenhevm-Roxburgh, III. Aufl., 1921, II, S. 157 und 158; denn es ist natürlich keine Versöhnung der beiden Auffassungen, wenn erklärt wird, der alte Grundsatz sei eingehalten worden, indem man den Feindlichen das Eigentum an ihrem Vermögen nicht abgesprochen, sondern ihnen nur die Verfügung darüber genommen habe. Das erkennen auch andere Schriftsteller an, wie Oppenheim-McNair, a. a. 0. S. 221, ohne sich darüber auszulassen, was eigentlich gelte; und ebensowenig wird der dem Privatgut zugefugte Schaden dadurch wieder gutgemacht, dass man im Friedensvertrag den besiegten
Heimatstaat zur Entschädigung verpflichtet (wie Sauser-Hall, a. a. 0. S. 34, richtig bemerkt). Von Liszt sagt daher nicht mit Unrecht in der XI. Auflage seines Völkerrechts, 1920, S. 287: «Es muss mithin eine tiefgreifende Meinungsverschiedenheit in dieser Frage innerhalb des Staatenverbandes festgestellt werden. Und diese genügt zwar, um den alten Eechtssatz aufzuheben, nicht aber, um einen neuen in Geltung zu setzen.

Sollte es nach dem Kriege zu einer Ausgleichung der Meinungsverschiedenheit nicht kommen, so behält jeder Staat die volle Freiheit in der Behandlung der feindlichen Staatsangehörigen während des Krieges. Dieser Zustand würde aber notwendig einen starken Einfluss auf die rechtliche Stellung der Staats-: fremden in Friedenszeiten ausüben und den Wiederaufbau des Völkerrechts auf das äusserste gefährden.» Ebenso in der 12. von Fleischmann besorgten

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Auflage, S. 463. Die z u k ü n f t i g e Verständigung müsste sich übrigens auch über die Beschränkungen der persönlichen Freiheit erstrecken, die ein Staat den Angehörigen des Feindes auferlegen darf; denn es nützt natürlich dem Eigentümer nicht viel, das E echt zu haben, über sein Vermögen zu verfügen, wenn er dieses Eecht nicht ausüben kann. Auch hierin verzeichnet der Weltkrieg einen grossen Kückschritt, und man wird den liberalen früheren Standpunkt nicht so bald wieder einnehmen (Garner, a. a. 0. I, S. 59).

Die Schweiz hätte nun einen festeren Eechtstitel, wenn sie sich, statt auf die unsicher gewordenen allgemeinen Grundsätze des Kriegsrechtes, auf ihre geschriebenen Verträge berufen könnte, namentlich auf die Niederlassungsverträge. Die Niederlassungsverträge mit Grossbritannien vom 6. September 1855, mit Frankreich vom 23. Februar 1882, mit Belgien vom 4. Juli 1887 und mit Italien vom 22. Juni 1868 stehen den obenerwähnten Ansprüchen der Schweiz nicht entgegen; sie ergeben aber auch keine positive Begründung dafür. Sie gewähren allerdings den Schweizern in diesen Staaten die Niederlassung und den niedergelassenen Schweizern in mancher Beziehung die Gleichstellung mit den Landesbürgern. Der Vertrag mit Grossbritannien gewährleistet sogar ausdrücklich die Achtung der Wohnung und Magazine der Bürger und verbietet, darin Durchsuchungen und Untersuchungen vorzunehmen, ohne schriftlichen und gesetzmässigen Befehl der zuständigen Behörde (Art. III) ; es wird auch das Eecht zugesichert, Eigentum frei zu erwerben und zu besitzen und darüber zu verfügen; die Angehörigen dieses Landes sind nach demselben Vertrag von jedem Militärdienst, von allen Geld- und Naturalleistungen, welche als Ersatz für den persönlichen Militärdienst auferlegt werden, sowie von militärischen Eequisitionen befreit, mit Ausnahme der Einquartierung und der Lieferungen, welche nach Landesgebrauch von Bürgern und Ausländern gefordert werden (Art. V); endlich soll weder in Friedens- noch in Kriegszeiten auf das Eigentum irgendeine andere oder höhere Gebühr, Taxe, Auflage oder Abgabe gelegt werden, als auf das Eigentum eines Bürgers (Art. VI).

Aber sicher wollten sich die beiden Staaten keine Einschränkungen auferlegen in der Behandlung der Person und des Vermögens der Feinde im Falle des Krieges; was hier zulässig sei, wollte
nach allgemeinem Kriegsrecht bestimmt bleiben, und wenn damit eine lästige Überwachung auch der neutralen Ausländer verbunden war, so war das noch keine Verletzung des Niederlassungsvertrages, etwa weil die Engländer selbst nicht überwacht worden wären; denn in Kriegszeiten sind selbstverständlich besondere Sicherheitsmassregeln gegen alle, auch die neutralen Ausländer, zulässig. Dass aber die neutralen Ausländer nicht wie Feinde behandelt würden, ist wiederum eine selbstverständliche Forderung, die begründet ist, auch wenn sie im Niederlassungsvertrage nicht besonders vorgesehen ist. Und ob Grossbritannien, wenn es dieser Forderung zuwiderhandelt, zu Schadenersatz verpflichtet sei, beurteilt sich in ähnlicher Weise wie die Folgen anderer Eechtswidrigkeiten in Kriegsoder Friedenszeiten. Sollten Inländer wegen solcher Eingriffe einen Anspruch auf Schadenersatz haben, so könnten ihn allerdings auch die Schweizerbürger

65 unter Berufung auf die zugesicherte Gleichbehandlung geltend machen ; aber gerade die Eingriffe, die Ausländer geschädigt haben, wird man Inländern gegenüber nicht vorgenommen haben; und da man Inländern daher auch keine Entschädigung auszurichten hat, nützt es dem Ausländer nichts, Anspruch auf Gleichbehandlung zu haben. Dasselbe ist für die andern weniger einlässlichen Niederlassungsverträge zu sagen.

Auch Art. 5 des Niederlassungsvertrages mit Deutschland vom 13. November 1909 wird in unserm Falle nicht viel helfen: «Im Falle eines Krieges oder einer Enteignung zum öffentlichen Nutzen sollen in Ansehung der Entschädigung die Angehörigen jedes vertragschliessenden Teiles, die sich im Gebiete des andern niedergelassen haben oder aufhalten, den Landesangehörigen gleichgestellt werden.» Wenn Inländer wegen Beschlagnahme ihres Vermögens oder ähnlichen Eingriffen eine Entschädigung beanspruchen können, können es unter gleichen Voraussetzungen die in Deutschland niedergelassenen Schweizer auch; aber jener Fall wird gegenüber Inländern nicht oft zutreffen und mehr als die Inländer können die Schweizer auf Grund der erwähnten Bestimmung nicht beanspruchen.

Die Ausländer müssen sich also doch auf die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts berufen, d. h. auf die Grundsätze der Billigkeit; nach diesen Grundsätzen können sie, wie oben ausgeführt, mit gutem Grund Anspruch auf Schadenersatz erheben, wenn sie unbegründeterweise wie Feindliche behandelt worden sind.

2. Die Schäden, die Schweizer in besetztem Gebiete infolge Bequisitionen und anderen Massnahmen der Besetzungsmacht erlitten haben, sind nach andern Grundsätzen zu beurteilen, als die soeben betrachteten: Hier waren es Massnahmen gegen Feindliche (der Wirtschaftskrieg), welche zur Beschädigung der Neutralen geführt haben, während die Neutralen Anspruch darauf hatten, nicht als Feindliche behandelt zu werden; dort, im besetzten Gebiet dagegen, ist der Schaden entstanden aus Massnahmen, denen Neutrale wie nationale Bewohner gleichmässig unterworfen sind, die aber nur gegen Entschädigung zulässig, oder die überhaupt weder gegenüber Landeskindern noch gegenüber neutralen Fremden zulässig sind.

Über die Besetzung feindlichen Gebietes hat die im 4. Haager Abkommen enthaltene Ordnung über die Gesetze und die Gebräuche des Landkrieges Eegeln aufgestellt,
die, «soweit es die militärischen Interessen gestatten, den Kriegführenden als allgemeine Eichtschnur für ihr Verhalten in den Beziehungen untereinander und mit der Bevölkerung dienen» sollen, in der Meinung, dass in den Fällen, die in diesen Bestimmungen nicht Inbegriffen sind, «die Bevölkerung und die Kriegsführenden unter dem Schutz und der Herrschaft der Grundsätze des Völkerrechtes bleiben, wie sie sich ergeben aus den unter gesitteten Völkern feststehenden Gebräuchen, aus den Gesetzen der Menschlichkeit und aus den Forderungen des öffentlichen Gewissens», wie der Eingang des Abkommens sagt. Obschon dieses Abkommen im Weltkrieg gemäss der schon erwähnten Allbeteiligungsklausel (Art. 2) nicht verbindlich Bundesblatt. 81. Jahrg. Bd. III.

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war, können Wir Uns doch vergegenwärtigen, was es vorgeschrieben hätte; denn die Grundsätze, die es wiedergibt, sind doch einmal von zahlreichen Staaten anerkannt worden. Es empfiehlt sich, zunächst die Pflichten des Besetzenden darzustellen, und sodann die Folgen der Verletzung dieser Pflichten, a. In der ersten Beziehung sind folgende Bestimmungen zu erwähnen: Art. 43. «Nachdem die gesetzmässige Gewalt tatsächlich in die Hände des Besetzenden übergegangen ist, hat dieser alle von ihm abhängenden Vorkehren zu treffen, um nach Möglichkeit die 'öffentliche Ordnung und das öffentliche Leben wieder herzustellen und aufrechtzuerhalten, und zwar, soweit kein zwingendes Hindernis besteht, unter Beachtung der Landesgesetze.» Art. 46. «Die Ehre und die Bechte der Familie, das Leben der Bürger und das Privateigentum, sowie die religiösen Überzeugungen und gottesdienstlichen Handlungen sollen geachtet werden. -- Das Privateigentum darf nicht eingezogen werden.» Art. 47. «Die Plünderung ist ausdrücklich untersagt.» Art. 32. «Naturalleistungen und Dienstleistungen können von Gemeinden und Einwohnern nur für die Bedürfnisse des Besetzungsheeres gefordert werden.

Sie müssen im Verhältnisse ZVL den Hilfsquellen des Landes stehen und solcher Art sein, dass sie nicht für die Bevölkerung die Verpflichtung enthalten, an Kriegsunternehmungen gegen ihr Vaterland teilzunehmen. -- Derartige Naturai- und Dienstleistungen können nur mit Ermächtigung des Befehlshabers der besetzten Örtlichkeit gefordert werden. --. Die Naturalleistungen sind soviel wie möglich bar zu bezahlen. Andernfalls sind dafür Empfangsbestätigungen auszustellen; die Zahlung der geschuldeten Summen soll möglichst bald bewirkt werden.» Art. 53. «Das ein Gebiet besetzende Heer kann nur mit Beschlag belegen: das bare Geld und die Wertbestände des Staates, sowie die dem Staate zustehenden eintreibbaren Forderungen, die Waffenniederlagen, Beförderungsmittel, Vorratshäuser und Lebensmittelvorräte, sowie überhaupt alles bewegliche Eigentum des Staates, das geeignet ist, den Kriegsunternehmungen zu dienen. -- Alle Mittel, die zu Lande, zu Wasser oder in der Luft zur Weitergabe von Nachrichten und zur Beförderung von Personen oder Sachen dienen, mit Ausnahme der durch das Seerecht geregelten Fälle, sowie die Waffenniederlagen und überhaupt jede Art von
Kriegsvorräten können, selbst wenn sie Privatpersonen gehören, mit Beschlag belegt werden. Beim Friedensschluss müssen sie aber zurückgegeben und die Entschädigungen geregelt werden.» Diesen Bestimmungen liegen zwei Leitgedanken zugrunde: 1. der Gedanke, dass der Besetzende zwar seine militärischen Interessen im besetzten Gebiete wahren kann, dass er sich aber nicht auf Kosten dieses Gebietes bereichern soll; 2. der Gedanke, dass er mit der tatsächlichen Gewalt auch die Verwaltung des Gebietes übernehmen soll und dafür verantwortlich ist.

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Dem ersten Gedanken entspricht es, dass der Besetzende sich alles bewegliche Eigentum des Staates aneignen (saisir) darf, das geeignet ist, den Kriegsunternehmungen zu dienen; dass er aber das kriegsdienliche Gut von Privatpersonen nur unter Vorbehalt der Eückgabe und der Entschädigung in Besitz nehmen (saisir) darf. (Das Wort «saisir» hat hier diesen zweifachen Sinn; vgl. Max Huber, Jahrbuch des öffentlichen Eechts, II, 1908, S. 584; Strupp, Das internationale Landkriegsrecht, 1914, S. 115.) Und ferner, dass das Beuterecht verboten ist und Eequisitionen (Art. 58) grundsätzlich nur gegen Entgelt gefordert werden sollen; grundsätzlich sage ich, weil die Bezahlung nicht bestimmt vorgeschrieben und nicht einem bestimmten Staate auferlegt ist.

« . . . thè right of indemnity is problenaatical. It is true, that receipts évidence thé exaction of goods, but no promise to pay is implied, either by thè occupant or thè occupied country», sagt Borchard, Diplomatie protection of citizen abroad, S. 268; ähnlich Heilfron, Die rechtliche Behandlung der Kriegsschäden, Bd. I, 1916, S. 116. Dem zweiten Gedanken entspricht es, dass der Besetzende die gesetzmässige Gewalt übernimmt und für die öffentliche Ordnung und das öffentliche Leben zu sorgen hat (Art. 43). Dieser zweite Gedanke ist aber mangelhaft ausgebaut. Die folgenden Bestimmungen haben vorwiegend die Stellung des Heeres zur Zivilbevölkerung im Auge. Dem Heer ist es verboten, die Person und das Eigentum der Privatpersonen zu verletzen, zu plündern; ihm sind Schranken gesetzt in der Ausübung des Eequisitionsrechtes. Wenn aber der Besetzende die ganze Verwaltung des Gebietes übernimmt, wie er es muss, handelt er nicht mehr im Interesse des Besetzungsheeres, sondern im Interesse des Gebietes selbst ; er muss nun «alle Vorkehren treffen, um nach Möglichkeit die öffentliche Ordnung und das öffentliche Leben wieder herzustellen und aufrechtzuerhalten» (Art. 43), d. h. er muss die verschiedenartigsten Massnahmen treffen, um unter ganz veränderten Umständen die öffentliche Ordnung und das Wirtschaftsleben aufrechtzuerhalten. Zu diesem Zwecke wird er auch expropriieren, requirieren, Einschränkungen auferlegen, Geld erheben dürfen; er soll sich soviel als möglich (vgl. Art. 48 und 48) an die Landesgesetze halten; aber er kann nicht schlechthin daran gebunden sein. Auf
solche Forderungen können aber die Bestimmungen des Art. 52 nicht bezogen werden; Art. 52 hat die nach militärischer Art und durch das Militär erhobenen Naturai- und Dienstleistungen im Auge, nicht Forderungen, die von der Verwaltungsbehörde, auch wenn sie unter militärischem.

Oberbefehl steht, gestellt werden. Man scheint bei der Abfassung dieser Bestimmungen nur vorübergehend an die Bedürfnisse der Zivilverwaltung gedacht zu haben, z. B. in Art. 49, wo vorgesehen ist, dass vom Besetzenden andere Auflagen in Geld (als die ordentlichen Abgaben) nur für die «Bedurfnisse des Heeres oder der Verwaltung dieses Gebietes» erhoben werden dürfen; aber ganz vergessen hat man sie in Art. 58, wo der Armee gestattet wird, sich Geld und Wertbestände des Staates anzueignen, die doch auch, nach der Besetzung, für die Verwaltung des besetzten Gebietes verwendet werden sollten.

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Das Gesagte genügt, um zu zeigen, dass diese Bestimmungen keineswegs klar sind, und dass es namentlich unklar ist, was für diejenigen Eingriffe in das Eigentum der Bewohner gelten soll, die nicht in Ausübung des militärischen Eequisitionsrechtes vorgenommen worden sind. Gewiss sollte im Grundsatz auch hier der Eigentümer, der in besonderer Weise in Anspruch genommen und nicht nach einem allgemeinen Verteilungsplan belastet worden ist (z. B. durch die gelegentliche Anforderung von Waren oder die gerade benötigte Benutzung von Grundstücken oder industriellen Anlagen) entschädigt werden. Aber ob darauf Art. 53 Anwendung findet, scheint mir sehr zweifelhaft. Und wenn es nicht für die Bedürfnisse des Heeres, sondern der Bevölkerung geschehen ist, ist es wiederum fraglich, ob nach Beendigung des Krieges der besetzende Staat für die Entschädigung haftbar gemacht werden muss oder der Gebietsstaat.

Ich will diese Schwierigkeiten nur andeuten, um zu zeigen, dass solche Entschädigungsansprüche nicht auf feste Eechtsnormen begründet werden könnten, auch wenn das Haager Abkommen im Weltkriege Geltung gehabt hätte.

Auch ohne dieses Abkommen ist, wie mir scheint, der besetzende Staat verantwortlich für die Bezahlung der von ihm vorgenommenen eigentlichen Eequisitionen (für die Bedürfnisse des Heeres), und er kann dafür vom Heimatstaate der neutralen Bewohner in Anspruch genommen werden; für andere Eingriffe lässt sich auch die Ansicht vertreten, dass nicht er, sondern der Gebietsstaat verantwortlich sei (Heilfron II, S. 397).

o. In der zweiten Beziehung fragt es sich, ob der Heimatstaat Ersatz des Schadens verlangen kann, den seine Angehörigen infolge Verletzung der Pflichten des Besetzenden erlitten haben.

Art. 3 des 4. Abkommens, welches die «Ordnung der Gesetze und Gebräuche des Landkrieges» enthält, sagt in der Tat: «Die Kriegspartei, welche die Bestimmungen der bezeichneten Ordnung verletzen sollte, ist gegebenenfalls (s'il y a lieu) zum Schadenersatze verpflichtet. Sie ist für alle Handlungen verantwortlich, die von den zu ihrer bewaffneten Macht gehörenden Personen begangen werden.» Es kann also der besetzende Staat haftbar gemacht werden für den Schaden, den seine Armee z. B. durch rechtswidrige Eingriffe in das Privateigentum zugefügt hat, und nach der Entstehungsgeschichte dieser Bestimmung ist
anzunehmen, dass gerade auch neutrale Bewohner des besetzten Gebietes sich darauf berufen können (Slrupp, a. a. O.S. 30); anzunehmen ist auch, dass der Heimatstaat dieser Geschädigten den Anspruch geltend machen kann, eher als der Aufenthaltsstaat (vgl. Kuno Hofer, Der Schadenersatz im Landkriegsrecht, Zürcher Dissertation 1910, S. 53). Aber es fallen, wie mir scheint, nur darunter Eingriffe, die als solche rechtswidrig sind, d. h. gar nicht hätten vorgenommen werden dürfen, z. B. Plünderungen und Beschädigungen durch Soldaten, unzulässige Eequisitionen durch Militärpersonen, nicht aber regelmässige Eequisitionen, die unbezahlt geblieben sind. Ob auch Verwaltungshandlungen der Besetzungsbehörde, (die in der «Ordnung» des Abkommens nicht ausdrücklich geregelt sind, wie die Beschlagnahme von Privatgut, dar-

69 unter fallen, scheint mit zweifelhaft, weil man kaum die gesamte Verwaltung des besetzten Gebietes nach den paar Sätzen der «Ordnung» beurteilen kann.

Die Grundsätze, die die besetzende Macht (oder ihr Generalgouverneur) selbst aufgestellt hat, sind allerdings noch weniger massgebend. Wenn ein neutraler Staat wegen solcher Eingriffe Schadenersatz verlangen will, muss er sich auf die allgemeinen von den gesitteten Völkern anerkannten Eechtsgrundsätze oder die Lehre der bewährtesten Schriftsteller (wie das Statut des Ständigen Gerichtshofes, Art. 38, sieh ausdrückt) berufen; ich furchte aber, dass das eine unsichere Grundlage ist. Ist die Kriegsrechtsordnung selbst verletzt worden, so könnte der neutrale Staat allerdings vom Besetzenden Ersatz des Schadens beanspruchen.

Da aber die Kriegsrechtsordnung von 1907 während des Weltkrieges keine Geltung hatte, wird man sich nicht darauf berufen können. Man kann allerdings erklären, sie behalte, trotz formeller Unverbindlichkeit, ihre moralische Autorität und könne als der Ausdruck der allgemeinen Bechtsuberzeugung gelten. Das ist richtig, sofern man in einer solchen Abmachung die Bestätigung einer allgemeinen Eegel und nicht die Statuierung einer Ausnahme von der gegenteiligen Eegel zu erblicken hat. Die in Art. 3 vereinbarte Vorschrift wird aber als das eine oder das andere erscheinen, je nachdem man die Pflicht des Staates, für Verletzungen des Kriegsrechtes durch seine Streitkräfte Ersatz zu leisten, oder den umgekehrten Satz, als die Eegel ansieht, welche ohne Vertrag zu gelten hat (Borchard, Diplomatie protection, S. 193, nimmt z. B. an, dass ein Staat für die unerlaubten Handlungen der gemeinen Soldaten nicht haftet, wenn die Offiziere kein Verschulden trifft, und er führt eine Eeihe von Schiedssprüchen dafür an; es sei denn, dass der Staat aus widerrechtlich genommenem Eigentum Nutzen gezogen hätte). Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Vertragsstaaten von 1907 in der Tat jene weitgehende Verantwortlichkeit als die Eegel ansahen; aber auffällig bleibt doch, dass sie diese Eegel nur für die Verletzungen der Landkriegsordnung bestätigt haben und nicht für die Verletzung der andern Abkommen, z. B. des 5. Abkommens betreffend die Eechte und Pflichten der neutralen Mächte, des 8. Abkommens betreffend die Legung von Minen, und des 9. Abkommens
betreffend Beschiessung durch Seestreitkräfte oder auch des 11. Abkommens betreffend Beschränkungen des Beuterechts im Seekriege und des 13. Abkommens betreffend die Eechte und Pflichten der Neutralen im Seekriege, trotzdem im Alabamafalle sowohl Grossbritannien wie Nordamerika grundsätzlich die Haftbarkeit des fehlbaren Staates für den dem andern dadurch verursachten Schaden in den Washingtoner Eegeln angenommen hatten.

Einige Publizisten nehmen allerdings an, der Grundsatz der Ersatzpflicht gelte für das ganze Kriegsrecht, z. B. Borchard a. a. 0., S. 248; aber das scheint mir nicht zutreffend.

Wir haben bis jetzt vorausgesetzt, dass die schädigende Massnahme völkerrechtswidrig sei, dass sie aber dem Landesrecht entspreche, so dass der Beamte, der sie vornimmt, nicht rechtswidrig handle im Sinne seines Landes-

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rechts und sich die Frage nicht stellt, ob der Staat für seine rechtswidrige Handlung seiner Beamten hafte. Es kann aber auch sein, dass die völkerrechtswidrige Massnahme auch dem Landesrecht widersprach; dass der Beamte also seine Amtspflicht verletzt hat. Der in Anspruch genommene Staat wird das in nicht wenigen Fällen geltend machen können. Wie weit aber ein Staat für die Folgen rechtswidrigen Verhaltens seiner Beamten gegenüber Ausländern, abgesehen von besonderen Verträgen, hafte, ist nicht so einfach zu entscheiden. Wenn der in Anspruch genommene Staat die Haftung für die Folgen rechtswidrigen Verhaltens seiner Beamten anerkennt, wird der Heimatstaat von Ausländern meist verlangen können, dass der andere Staat diese Ausländer gleich behandle wie die Inländer, wenigstens wenn er selbst materielle Eeziprozität übt, d. h. einen Ausländer in solchem Falle auch entschädigen würde. Aber wenn der beklagte Staat seine eigenen Angehörigen nicht entschädigt, wie es z. B. nach dem Bundesgesetz über die Verantwortlichkeit der Beamten vom 9. Dezember 1850 der Fall ist, fragt es sich, ob er Ausländer (niedergelassene oder andere) besser behandeln müsse als seine Landeskinder.

Nordamerika, dessen eigene Gesetzgebung in dieser Beziehung sehr rückständig ist (vgl. Borchard. Government liability in tort; Yale Law Journal, Bd. 34, S. 1), hat es mitunter verlangt, insofern nämlich, als es die Gleichstellung mit den Landeskindern des verantwortlich gemachten Staates nicht anerkannte, wenn dessen Justiz und Verwaltung unter dem durchschnittlichen Stand der gesitteten Völker war (Borchard, Diplomatie protection, S. 28, 89, 179); aber die Eegel ist, dass der Staat den Ausländern gegenüber nicht strenger haftet als den Inländern gegenüber.

3. Als eigentliche Kriegsschäden betrachtet man die Schäden, die Private als unmittelbare Folge kriegerischer Handlungen erleiden, z. B. die Zerstörung von Gebäuden infolge Beschiessung einer verteidigten Ortschaft, die Verwüstung von Anpflanzungen infolge von Truppenbewegungen, aber auch die Niederlegung eines Waldes zur Öffnung des Schussfeldes, die Vernichtung von Vorräten, die sonst dem Feinde in die Hand fallen würden, und anderes mehr. Dass die begriffliche, d. h. grundsätzliche Abgrenzung dieser Schäden von den andern, auch von den vorhin erwähnten, nicht leicht ist,
sei nur nebenbei bemerkt (vgl. Heilfron II, S. l ff., 435). Hier wollen wir annehmen, es seien Schäden, die weder zum Wirtschaftskriege hinter der Front (Ziff. 1) noch zu den Amtshandlungen der Behörden oder des Heeres im besetzten Gebiete gehören, und wir fragen uns: Ist der n e u t r a l e Staat berechtigt, Ersatz des eigentlichen Kriegsschadens zu verlangen, den seine Angehörigen erlitten h a b e n 1 und wer ist v e r p f l i c h t e t , ihnen den Schaden zu ersetzen?

Die Schriftsteller, die diese Frage erörtern, weisen in der Eegel darauf hin, dass zwei entgegengesetzte Grundsätze angewendet worden seien. Nach dem einen werde der Krieg mit seinen Folgen als ein Unglück, ein Fall höherer Gewalt, betrachtet, für den niemand hafte, namentlich nicht der Staat gegenüber seinen Angehörigen; wenn er ihnen einen Teil ihres Verlustes vergüte, so

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sei es als freiwillige Leistung und zur Milderung der durch den Krieg verur· sachten Not. Nach dem andern sei der Staat verpflichtet, den Schaden zu ·ersetzen, der einige Volksgenossen infolge einer nationalen Angelegenheit wie der Krieg betroffen habe, und die Betroffenen hätten ein Eecht darauf, dass dieser Schaden auf das ganze Volk verteilt, d. h. von dem Staat auf gemeine Kosten vergütet werde. In beiden Fällen ist der Angehörige jedes kriegsführenden Staates von seinem Staate zu entschädigen, und Sache des Heimatstaates ist es, im Friedensvertrage vom Gegner in Form der Kriegsentschädigung für seine Aufwendungen sich Ersatz zu verschaffen. Als Beispiel für die erste Auffassung führt man etwa die französischen Gesetze vom 23. und 24. September 1814 und vom 28. April 1816 und die Gesetze von 1871 an, sodann das deutsche Gesetz vom 14. Juni 1871 und das vom 3. Juli 1916 und auch die englische Indemnity Act von 1920; als Beispiele der zweiten Auffassung die französischen Gesetze vom 11. August 1792 und 27. Februar 1793 und das vom 17. April 1919, sowie das belgische vom 10. Mai 1919 und das italienische Gesetzesdekret vom 27. März 1919 (vgl. Heilfron II, S. 438). Ich halte diese Gegenüberstellung nicht für entscheidend und namentlich nicht für anwendbar auf das Verhältnis der kriegführenden Staaten zu den neutralen Staaten.

Nicht für entscheidend, weil die Frage, ob ein Staat gegenüber seinen Angehörigen verpflichtet sei zum Ersatz dieses Schadens, nicht darnach beantwortet werden kann, ob er ihnen in einem Spezialgesetze einen Anspruch auf Ersatz (gewisser) Verluste zuspreche oder ob er ihnen diesen Ersatz nur als freiwillige Leistung zur Verfügung stelle; wenn sich ein Staat einmal entschliesst, seinen Kriegsgeschädigten Hilfe zu leisten, ist es eine ganz nebensächliche und untergeordnete Frage, ob er diese Hufe rechtstechnisch in die Form eines «Anspruches» kleide oder in die einer «freiwilligen» Unterstützung; denn wenn das Gesetz die Unterstützung gewisser Geschädigter einmal vorschreibt, sind die Behörden verpflichtet, diese Personen zu entschädigen, und der Unterschied zwischen einem Eecht auf Entschädigung und einer blossen Wohltat wird nur darin bestehen, dass der Geschädigte in ersterm Falle ein Eechtsmittel hat gegen die Verweigerung und im zweiten nicht; aber die Behörden sollen
immer nach Grundsätzen verfahren, auch wenn sie nach freiem Ermessen entscheiden. Damit man aber annehmen könnte, ein Staat sei grundsätzlich verpflichtet, seine Kriegsgeschädigten zu entschädigen, müsste man annehmen können, er sei verpflichtet, ein solches Gesetz zu erlassen, was nur der Fall wäre, wenn es seine Verfassung verbindlich für den Gesetzgeber vorschriebe; das ist meines Wissens nirgends der Fall (es wäre gänzlich unmöglich, sagt Heilfron II, S. 442, ein Kriegsschädengesetz für alle Zukunft zu schaffen). Solange das nicht der Fall ist, kann man nicht behaupten, dieser Staat sei verpflichtet, im Fall eines Krieges die Kriegsschäden zu vergüten; er ist dazu gegenüber seinen Angehörigen nicht mehr verpflichtet, als zum Erlass irgendeines Gesetzes. -- Namentlich aber ist dieses Entgegenkommen, das ein Staat zufolge seiner Landesgesetzgebung (oder auch seiner Verfassung) gegenüber seinen Angehörigen übt, nicht entscheidend für die

72 völkerrechtliche Frage, ob er den neutralen Staaten gegenüber verpflichtet sei, ihre Angehörigen zu entschädigen. Diese Frage kann sich grundsätzlich' nicht nach dem Landesrecht jedes Staates beurteilen, sondern nur nach internationalen Grundsätzen (was nicht ausschliesst, dass ein Staat völkerrechtlich verpflichtet sein kann, die Landesfremden zu entschädigen, wenn er seine Angehörigen entschädigt).

Wenn man also von einer Praxis in dieser Frage reden kann, so ist es eine Praxis der gesetzgebenden Behörden der Staaten in der Anerkennung gewisser Grundsätze des Landesrechts; eine übrigens ziemlich unbeständige Praxis.

Aber eine Praxis des Völkerrechtes liegt noch keineswegs darin, dass kriegführende Staaten mitunter sich verpflichtet fühlten, ihre vom Krieg betroffenen Angehörigen teilweise zu entschädigen; denn eine völkerrechtliche Pflicht wollten sie damit nicht erfüllen.

Wir müssen also die eigentlich völkerrechtliche Frage stellen: Ist der neutrale Staat berechtigt, für seine Angehörigen Ersatz des Kriegsschadens zu verlangen ?

Es fragt sich zunächst: W e l c h e m andern Staate gegenüber?

Man könnte daran denken, den Staat haftbar zu machen, dessen Streitkräfte den Schaden, schuldhafterweise oder schuldlos, zugefügt haben (Urheberstaat), oder aber den Staat, auf dessen (nachmaligem) Gebiet der Schaden eingetreten ist (den Gebietsstaat). Wenn Schaden in rechtswidriger Weise, insbesondere durch Verletzung der Kriegsordnung von 1907, zugefügt worden ist, so wäre nach eben diesem Abkommen der Staat haftbar zu machen, dessen Truppen die Verletzung begangen und den Schaden zugefügt haben. Wenn das Abkommen im Weltkrieg zur Anwendung gekommen wäre, hätten sich die neutralen Staaten an den Urheberstaat wenden können mit ihrem Ersatzanspruch. Mangels solcher vertraglicher Abrede aber, und dieser Fall ist wohl der unsrige, scheint mir dieser Grundsatz nicht zuzutreffen: Er setzt voraus, dass die Tatfrage abgeklärt sei und dass feststehe oder doch ermittelt werden könne, welche Verletzungen des Kriegsrechtes von jeder Partei begangen worden sind und welcher Schaden dadurch verursacht worden ist. Das steht aber keineswegs fest (vgl. Max Huber a. a. 0.. S. 575), und der neutrale Staat ist auch nicht in der Lage, dieses sein Klagefündament herzustellen. Wie sollte er diese ausserordentlich verwickelten
Vorgänge nachweisen (man denke z. B. an Vergeltungshandlungen) und die oft sehr schwierigen Kausalzusammenhänge entwirren ? Auch wenn alle Beteiligten dazu gebracht werden könnten, an einem kontradiktorischen gerichtlichen Verfahren mitzuwirken, wäre das kaum zu erreichen (ganz abgesehen von der politischen Zweckmässigkeit eines solchen Verfahrens). Und der neutrale Staat kann ja nicht alle beteiligten Staaten zu einer solchen Auseinandersetzung zwingen. Wenn man sich auf diesen Boden stellte, dass jeder Staat für den Schaden zu haften hat, den seine Streitkräfte r echt s widrig erweise angerichtet haben, müsste man ja auch zugeben, dass der Schaden, der in rechtmässiger Ausübung

73

des Kriegsrechts zugefügt worden ist, und das ist nicht wenig, nicht zu ersetzen ist. Wäre das gerecht ?

Praktischerweise muss man also den neutralen Staat an den Gebietsstaat verweisen; den Gebietsstaat somit dem neutralen gegenüber für allen Schaden, auch für den durch rechtswidrige Kriegsführung des Gegners verursachten haftbar erklären, in der Meinung allerdings, dass er auch legitimiert wäre, den durch den Gegner rechtswidrig verursachten Schaden von diesem, gewissermassen im Begresswege sich selbst ersetzen zu lassen, was er natürlich nur tun könnte, wenn er den Krieg gewinnt. Der Bundesrat hat auch, soviel ich sehe, diesen allein gangbaren Weg eingeschlagen und sich jeweilen an den Gebietsstaat gehalten mit seinen Ersatzbegehren; nach dem Weltkrieg wie nach dem Siebzigerkrieg. Der Gebietsstaat ist es immer gewesen, der den geschädigten Privaten, zunächst seinen Angehörigen, zu Hilfe gekommen ist und an ihn haben sich die dort niedergelassenen Neutralen gewendet, um ebenfalls entschädigt zu werden (man vergleiche die geschichtliche Darstellung im mehrerwähnten Werke von Heilfron). Aber sicheres irgendwie anerkanntes Eecht darüber gibt es nicht: der Grundsatz, dass für den rechtswidrig zugefügten Schaden der Urheberstaat haftet, ist keineswegs unvernünftig (vgl. den Fall des Engländers Lawrence-Smith, der 1870 von preussischen Truppen in Prankreich widerrechtlich geschädigt worden war und wo England angenommen zu haben scheint, Preussen hätte für solchen Schaden zu haften: Calvo, Bd. 4, § 2251). Verschiedene Schriftsteller sprechen sich grundsätzlich für die Haftpflicht des schuldigen Staates aus; z. B. LisztFleischmann, Völkerrecht. S. 450; Heilfron, II. S. 397. Meine Bedenken beruhen auf der Schwierigkeit der praktischen Durchführung.

Nimmt man als richtig an. dass von den beiden, dem Urheber- und dem Gebietsstaat, eher dieser letztere haften solle, so ist damit noch keineswegs gesagt, dass dieser Staat auch %\ irklich für den auf seinem Gebiet eingetretenen Schaden hafte. Diese Präge, die Hauptfrage, ist noch zu untersuchen; ob nämlich nach geltendem Völkerrecht der Gebietsstaat dafür hafte.

Aber welche Eechtssätze gelten denn im Völkerrecht, wenn keine Verträge bestehen?

Im Staat gelten die Rechtssätze, denen der Gesetzgeber Verbindlichkeit verliehen hat durch seinen autoritativen
Ausspruch. Über den Staaten gibt es keinen Gesetzgeber, der erklären könnte, was für einmal als das Gerechte und Billige zu befolgen ist. Man verweist auf die Praxis der Staaten oder aut ihre ausdrückliche oder stillschweigende Anerkennung. Allein was die Staaten tatsächlich tun oder anerkennen, kann doch unmöglich ein Masstab dafür sein, was sie tun oder anerkennen sollen. Die Frage bleibt doch immer offen, ob ihre bisherigen Entschliessungen und Äusserungen rechtswidrig oder rechtsmässig waren; eine Forderung ist doch nicht weniger richtig, weil sie selten befolgt wird und was bis jetzt vielleicht richtig war, kann, unter veränderten Umständen, auch einmal unrichtig werden; das Kriegsrecht hat diese Notwendigkeit beinahe nach jedem grösseren Kriege zugeben müssen. Die Praxis

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allein, d. h. das tatsächliche Verhalten der Staaten, vermag sicher noch kein Gewohnheitsrecht zu erzeugen, auch -wenn es widerspruchslos und konstant wäre. Was im Staat das Gewohnheitsrecht bildet, ist die Praxis der Gerichte und der staatlichen Behörden, die z u s t ä n d i g sind, dasEecht in verbindlicher Weise anzuwenden. Das Verhalten der Eechtsgenossen selbst ist nie entscheidend (vgl. Die Organisation der Eechtsgemeinschaft 1927, S. 226 ff.); und in der Völkerrechtsgemeinschaft gibt es solche Gerichte nicht; alle Gerichte sind Schiedsgerichte, die im Auftrage der Staaten Eecht sprechen; die Gründe ihrer Entscheidungen sind für andere Fälle nur insofern verbindlich, als sie richtig sind. Sie mögen ein grosses moralisches Ansehen haben; rechtliche Verbindlichkeit haben sie pro futuro nicht. Auch wenn von dem Internationalen Ständigen Gerichtshofe regelmässig in einem Sinne entschieden worden wäre, bliebe die Frage offen, ob es richtig war und ob es heute noch richtig ist, so zu entscheiden. Die bisher ergangenen Entscheidungen wirken (abgesehen vom entschiedenen Falle selbst) durch die Überzeugungskraft ihrer Gründe, nicht durch die formelle Verbindlichkeit der einmal getroffenen Entscheidung. Nicht anders als die Lehre der Wissenschaft: Was sie zu begründen vermag, wird als verbindlich erscheinen, weil es als richtig erscheint. Eine formaljuristische Autorität gibt es nicht. Wo keine Verträge vorliegen, bleibt im Völkerrecht die Frage immer offen, welche Normen unter den gegenwärtigen Umständen die gerechten sind. Die muss man befolgen.

Aber man muss sie eben vorher begründen.

Lässt sich nun unser Satz begründen ? Kann der neutrale Staat im Falle des Krieges begründeterweise beanspruchen, dass der Gebietsstaat seine dort niedergelassenen Angehörigen entschädige? Kann man von einem Staate verlangen, dass er diesen Grundsatz anerkenne und einen Vertrag unterzeichne, der ihn festsetzt? Wären wir bereit, einen solchen Vertrag einzugehen? Als die deutsche Eegierung im Jahre 1871 vom Bundesrate die Erklärung verlangte, dass die Schweiz in einem ähnlichen Falle die Deutschen in bezug auf Fahrnisschäden (für Grundstücke wurde die Gegenseitigkeit nicht verlangt) nicht nur wie die eigenen Angehörigen behandeln, sondern so behandeln würde, wie die Schweizer damals nach dem Eeichsgesetz vom 14. Juni
1871 behandelt wurden, also nach materieller Gegenseitigkeit (vgl. Heilfron, II, S. 287 ff.), konnte sich der Bundesrat dazu nicht entschliessen (Bundesratsbeschluss vom 6. Dezember 1871 in Sachen Stephany). Kein Staat, das ist meine vollendete Überzeugung, kann die Verpflichtung eingehen, im Falle eines Krieges die Ausländer für den infolge des Krieges erlittenen Schaden zu entschädigen; der Bundesrat kann dem für die Kodifikation des Völkerrechts gebildeteten Ausschuss diesen Vorschlag nicht machen, weil er sich selbst nicht dazu verpflichten kann. Der Krieg ist ein Würfelspiel und der Ausgang des Krieges ein unberechenbarer Zufall. Wer Sieger ist und wer Besiegter, weiss man nicht ; vvas der Besiegte noch imstande ist zu leisten, weiss man auch nicht; man weiss es nicht einmal vom Sieger. Wie sollte ein Staat schuldig erklärt werden, allen Kriegsschaden der Neutralen zu ersetzen, wo er doch nicht weiss, ob

75 er nicht, als Besiegter, dem Sieger eine unerschwingliche Kriegsentschädigung zu zahlen haben wird und ausserstande sein wird, seine eigenen Schäden auszubessern ? Selbst für den Fall des Sieges wird sich ein Staat, nach den Lehren des letzten Krieges, nicht dazu verpflichten wollen. Und was man nicht selbst zu übernehmen bereit ist, soll man auch nicht von andern fordern.

Ist diese Zurückhaltung übertriebene Ängstlichkeit oder berechnender Egoismus ? Ist es die interessierte Ablehnung der Folgen einer evidenten Forderung der Gerechtigkeit ? Mir scheint, dass nur kurzsichtiger Doktrinarismus solches behaupten kann. "Wer sich vergegenwärtigt, dass keine Macht einen Staat, auch den bestgesinnten, gegen kriegerische Verwicklungen sichern kann und dass die Folgen des Krieges unberechenbar sind, was beides mit der Tatsache notwendig gegeben ist, dass es über den Staaten keine staatliche Macht mehr gibt, der muss zugeben, dass kein Staat vernünftigerweise verpflichtet werden kann, den Neutralen die Schäden aus einem Kriege zu vergüten, der für ihn ein unverschuldetes Unglück, ja ein erlittenes Unrecht sein kann, und den er jedenfalls nie wird als ein selbstverschuldetes und verdientes Unglück gelten lassen. Soll nun der Staat, dessen Hilfsquellen erschöpft sind, infolge eines unverschuldeten Unglücks, noch tiefer herabgedrückt werden, damit kein Neutraler zu Schaden komme? Wenn man gerecht verfahren wollte, müsste man den Staat zum Ersatz des Schadens verhalten, der den Krieg verschuldet hat (wie es Bonfils-FaucMle 8. Aufl., Bd. II, 1921, S. 309, als «theoretisch» richtige Lösung postuliert, nicht ohne zu bemerken, dass sich diese Forderung praktisch nicht durchführen lasse) und die Ersatzpflicht von einem Urteil abhängig machen, für das den Zeitgenossen des Krieges die Unbefangenheit, für das vielleicht überhaupt ein gerechter Masstab fehlt. Und wenn man unter Kriegsführenden und Neutralen einmal anfangen will zu rechnen, darf man sich nicht scheuen, die ganze Eechnung auf zutun: Warum soll nur der materielle und unmittelbare Sachschaden vergütet werden und nicht, wie im Zivilrecht, der ganze durch den Krieg verursachte Schaden? Warum nicht auch der Schaden, den die Volkswirtschaft des neutralen Landes erleidet ? Und wenn der Neutrale Vorteile gehabt hat, soll er sie nicht verrechnen mit seinen
Nachteilen? Die Schweiz z. B. hat doch neben dem unberechenbaren Schaden, den sie erlitten hat, auch einige hundert Millionen «verdient» an Munitionslieferungen, also an einem Geschäft, dessen sie sich nicht rühmen kann (Politisches Jahrbuch 19Ï5, S. 72; 1916, S- 112 ff.). Das alles gehört zu einer vollständigen und wirklich gerechten Auseinandersetzung zwischen neutralen und kriegsführenden Ländern. Aber weil eine solche Abrechnung im ganzen nicht möglich ist, darf man auch nicht kurzsichtig auf der Liquidation einzelner Posten bestehen. Die Beziehungen der Staaten untereinander können nicht nach den Normen beurteilt werden, die unter Privaten gelten.

Die Frage stellt sich vielleicht anders im Falle eines Bürgerkrieges: Hier kann nur der Gebietsstaat haftbar sein, wenn Haftbarkeit überhaupt besteht, und man kann die Unordnung eines Bürgerkrieges, wenn nicht auf ein Verschulden, so doch auf einen Mangel der inneren Organisation dieses Landes

76

zurückführen. Ob -wirklich der Gebietsstaat den Schaden, den die Angehörigen anderer Staaten bei solchen Störungen der öffentlichen Ordnung erleiden, zu ersetzen hat und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen, sei hier nicht untersucht (vgl. die Verhandlungen des Institut de droit international von 1900, Annuaire, Bd. 18, S. 254; Strupp, Das Völkerrechtliche Delikt, 1920, S. 96). Es sollte nur hervorgehoben werden, dass was für den einen Fall gilt, nicht für den andern zu gelten braucht.

Der Grundsatz, dass der Kriegsführende den Neutralen den Schaden ersetzen soll, den die Angehörigen des neutralen Staates auf seinem Gebiet erlitten haben, lässt sich als Bechtssatz nicht formulieren, d. h. b e g r i f f l i c h formulieren, so dass er folgerichtig angewendet werden kann (ohne zu Ungerechtigkeit und Widersinn zu führen). Man kann den Gebietsstaat nicht grundsätzlich für den auf seinem Gebiete eingetretenen Schaden völkerrechtlich haftbar machen. In diesem Sinn ist es richtig, zu sagen, der Schaden sei für die Betroffenen ein Zufall, ein Ereignis höherer Gewalt; weil er rechtlich so behandelt werden muss; nicht weil er tatsächlich die Folge eines ungewollten zufälligen Ereignisses wäre. -- In manchen Fällen mag bei Abwägung aller "Umstände die Entschädigung der neutralen Privaten durch den Gebietsstaat als ein Gebot der Billigkeit erscheinen; für die schweizerischen Ansprüche mag das sogar zutreffen. Aber wenn man solche Ansprüche rechtlich begründen will, muss man sie auf einen fassbaren, d. h. in feste Begriffe gefassten Satz, zurückführen. Und das ist hier nicht möglich, weil die Voraussetzungen, von denen die Ersatzpflicht gerechterweise abhängig gemacht werden müsste, die Berücksichtigung des Verschuldens und aller wirtschaftlichen Folgen des Krieges, wohl gefühlsmässig empfunden und abgeschätzt, aber nicht nach Eechtsbegriffen dargestellt werden können. Mit andern Worten, man kann je nach Umständen den Anspruch auf Schadenersatz für moralisch begründet halten, wenn man nämlich die volle Eigenart, die Individualität des Falles in Betracht zieht; aber nicht für rechtlich begründet. Denn das ist ja der Unterschied zwischen sittlicher und rechtlicher Bewertung, dass die zweite sich stets auf begrifflich formulierte Sätze berufen muss, während die erste unmittelbar aus der Idee des Guten das
individuelle Urteil fällt und jeder Kodifizierung, jeder Festlegung in abstraktenSätzen widerstrebt.

Die Schweiz hat denn auch mit Eecht diesen Grundsatz der unbedingten Ersatzpflicht nicht geltend gemacht. Sie hat im wesentlichen nur verlangt, dass wenn die kriegsführenden Staaten ihre Angehörigen für die erlittenen Verluste entschädigten, sie auch die dort niedergelassenen Schweizer entschädigen mussten; sie hat also den Grundsatz der Gleichbehandlung der niedergelassenen Ausländer mit den Staatsangehörigen angerufen.

Es fragt sich, ob diese Forderung in den Niederlassungsverträgen begründet ist oder ob sie .sich auf die «allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts» stützen lässt, d. h. ob sie sachlich begründet ist.

77

Was die Niederlassungsverträge betrifft, so enthält nur der mit Deutschland abgeschlossene Vertrag vom 18. November 1909 in Art. 5 die schon oben erwähnte Bestimmung, dass «im Falle eines Krieges .... in Ansehung der Entschädigung die Angehörigen jedes vertragschliessenden Teiles, die sich im Gebiete des andern niedergelassen haben oder aufhalten, den Landesangehörigen gleichgestellt werden.» Es scheint mir, dass diese Bestimmung die Schweiz berechtigt, zu verlangen, dass ihre Angehörigen im gleichen Masse entschädigt werden wie die Deutschen selber, und zwar ohne Eücksicht darauf, ob die Vergütung, welche die deutschen Staatsangehörigen im deutschen Gesetz erhalten, als Gegenstand eines Rechtes dargestellt wird oder bloss als freiwillige Gabe, da diese Unterscheidung auf ganz sekundären formaljuristischen Momenten beruht, wie oben S. 71 ausgeführt. Deutschland hat aber auch die Gleichbehandlung, soviel mir bekannt, den Schweizern nicht verweigert.

Die Niederlassungsverträge mit den andern Staaten dagegen scheinen mir die Gleichbehandlung in diesem Punkte nicht zu gewährleisten. Sie beziehen sich doch vor allem auf den Verkehr in Friedenszeiten, nicht in Kriegszeiten.

Eine Formel, wie sie der schweizerisch-britische Vertrag vom 6. September 1855 und der schweizerisch-italienische Vertrag vom 22. Juli 1868 enthalten, wonach die Schweizer auf dem gleichen Fusse aufgenommen und behandelt werden wie die Landesangehörigen, kann sich doch nur auf die Friedenszeit beziehen; und ebenso die Zusicherung der Verträge mit Frankreich vom 23. Februar 1882 und mit Belgien vom 4. Juni 1887, wonach die Angehörigen dieser Staaten in jedem Kanton wie die Angehörigen eines andern Kantons aufgenommen werden sollen. Das Recht auf Niederlassung ist ja auch während des Krieges in allen diesen Staaten sehr prekär geworden. Aber auch die Gleichbehandlung der Niedergelassenen mit den Staatsangehörigen bezieht sich nicht auf Ausnahmefälle, wie den Kriegszustand. Dass hier gewisse Diskriminationen zwischen allen Ausländern und den Inländern erlaubt sind, bedarf, wie schon bemerkt, keiner Begründung. Auf diesen allgemeinen Grundsatz der Niederlassungsverträge lässt sich meines Erachtens der Anspruch der niedergelassenen Ausländer auf gleichmässigen Anteilen an den den Inländern ausgerichteten Entschädigungen nicht gründen.
Die «allgemeinen G r u n d s ä t z e des Völkerrechts», d. h. die Besinnung auf das, was unter Staaten mangels Vertrages gerecht und billig ist, führt meines Erachtens zu keinem andern Ergebnis. Wenn man, wie wir, vom Satze ausgeht, dass ein kriegführender Staat nicht verpflichtet ist, die Kriegsschäden der neutralen Personen wieder gutzumachen, kann man nicht wohl aus dem Umstände, dass er sie seinen Angehörigen vergütet, die Pflicht ableiten, sie auch den niedergelassenen Angehörigen der neutralen Staaten zu vergüten. Wenn er nichts leistete, wäre das rechtmässig; aber weil er seinen Landeskindern etwas austeilt, soll er auch verpflichtet sein, diese Spende den Ausländern zukommen zu lassen. Ich muss gestehen, dass mir diese Gleichstellung eine übertriebene Forderung zu sein scheint. Der Gebietsstaat kann doch etwas für seine Angehörigen tun, ohne es auch für die Landesfremden

78 tun zu müssen. Die Ausländer haben ja auch in Friedenszeiten trotz der Gleichbehandlungsklausel der Niederlassungsverträge nicht Anspruch darauf, aller Vorteile teilhaftig zu werden, die die Inländer gemessen, z. B. der Benützung öffentlicher Anstalten, wie Schulen, Spitäler, Versicherungskassen, von der Armenunterstutzung ganz zu schweigen. Um so weniger haben sie Anspruch auf die ausserordentlichen Leistungen, die ein Staat für seine Angehörigen in Kriegszeiten aufbringt.

Auch hier ist zuzugeben, dass in einzelnen Fällen die Grundsätze so beschaffen sein können, dass ein Staat die Angehörigen eines andern billigerweis© entschädigen sollte; wer dem Sohn seines Gläubigers das Leben rettet, hat gewiss moralisch Anspruch auf einige Eücksicht in der Bezahlung seiner Schuld, aber einen Eechtsanspruch hat er nicht. Die Schweiz kann zweifellos solche moralische Momente geltend machen, aber einen Eechtssatz kann man nach meinem Dafürhalten nicht annehmen.

Von einer Praxis der Staaten kann in dieser Frage kaum gesprochen werden.

Die neutralen Staaten haben es mitunter erreicht, dass Staaten, die ihren eigenen Angehörigen teilweise Ersatz gewährten, die Angehörigen des neutralen Staates gleich behandelten; oft haben sie es aber auch nicht erreicht, z. B. weil die kriegführenden Staaten ihnen die allerdings unbegründete Einrede entgegenhielten, sie würden ihren eigenen Angehörigen gegenüber auch keine Kechtspflicht anerkennen. Die die Schweiz betreffenden Fälle sind zusammengestellt in den Eeferaten der Herren Sauser-Hall und von Waldkirch an die Schweizerische Vereinigung für internationales Eecht; Zürich, Orell-Füssli 1924; die Praxis einer grössern Zahl von Staaten bis zum Weltkriege ist dargestellt bei Heilfron, II, S. 236.

Ebensowenig kann von einer festen Lehrmeinung in der Literatur gesprochen werden. Eine ganze Anzahl von Schriftstellern, es sind wohl die meisten, behandeln unsere Frage gar nicht; z. B. Calvo, Pradier-Fodéré, Hall, Bivier, üllmann, F. von Härtens, Morin, Les lois relatives à la guerre 1872, Pillet, Les lois de la guerre 1901, Spaight, War rights, 1911; oder sie sprechen nur von dem obenerwähnten Art. 3 des 4. Haager Abkommens von 1907, z. B. Oppenlieim-Roxburgli und Oppenheim-McNair. Mehrere Schriftsteller lehnen die Pflicht des Gebietsstaates, seine eigenen Angehörigen für
Kriegs Schäden zu entschädigen, ab, woraus zu folgern ist, dass sie diesen Staat auch nicht verpflichten werden, die Angehörigen neutraler Staaten zu entschädigen, so Mérignhac, Les lois et coutumes de la guerre sur terre, 1903, S. 270; Despagnet-de Boek, 1910, Nr. 590; Fiore, § 1961; Bonfils-Fauchille, wenigstens für Schäden aus rechtmässiger Kriegsführung in gerechtem Kriege, 8. Aufl., II, S. 309 ff.

Piédetièvre, Précis de droit international public, Bd. II, § 1046, bemerkt in einer Note, dass die Doktrin im allgemeinen die Gleichstellung der Neutralen mit den Nationalen des Gebietsstaates verlange, und er zitiert Bluntschli.

Droit international codifié, 1886, Art. 662, und Bouard de Card, La guerre continentale et la propriété, S. 147. Aber Bluntschli, wenigstens in der 3. Auf-

79 läge von 1881, bemerkt sehr vorsichtig: Die Beantwortung der Frage hänge ab von den Gegenseitigkeitsbedingungen, die sich die Staaten zugestehen.

Bentwich, The law of thè private property in war, London 1907, ist auch dieser Ansicht, ohne aber zwischen Landesrecht und Völkerrecht zu unterscheiden.

Herr Nationalrat Duft meint (S. 5 der Broschüre), das ungeschriebene Völkerrecht sichere dem Landesangehörigen wie dem Fremden die Erhaltung seiner mit der menschlichen Person verbundenen unveräusserlichen Grundrechte; es garantiere die Unverletzlichkeit der Person und des Domizils; es gewährleiste den Schutz der Familie und des Eigentums; und er findet die dokumentarische Bestätigung dieser Völkerrechtsgrundsätze in der Seerechtsdeklaration von 1856, in der Genferkonvention von 1864, der Brüsseler Kriegsrechtsdeklaration vom 27. August 1874, in den Prisenordnungen und dem Abkommen von 1907 über die Prisengerichtsbarkeit. Allein aus einigen besondern Eegeln über den Schutz des Privateigentums, insbesondere des neutralen, im.

Seekrieg oder im Landkrieg, darf man nicht den viel weiter gehenden Satz ableiten, dass das Privateigentum überhaupt gegen jede Zerstörung oder Wegnahme geschützt sei und dass der Gebietsstaat den Neutralen für diese Verluste hafte.

Gewisse Eingriffe in das private Eigentum, speziell in das neutrale, sind in neueren Abkommen verboten oder nur gegen Entschädigung zugelassen worden; wir haben sie oben gesehen; aber man muss diese Fragen im einzelnen prüfen, und auch prüfen, ob jene Abkommen in unserm Falle anwendbar sind. Wir haben das getan und sind zum Ergebnis gelangt, dass für Beschlagnahmen hinter der Front und für Eequisitionen im besetzten Gebiet Entschädigung verlangt werden kann, dass aber auch hier die darauf bezüglichen Abkommen formell nicht angerufen werden können. Die Niederlassungsverträge gewähren meines Erachtens in diesen beiden Fällen keinen Schutz. Was die eigentlichen Kriegsschäden betrifft, so hat zwar die Landkriegsordnung von 1907 die im Weltkriege nicht verbindlich war, für die Folgen der Verletzungen des Kriegsrechts die Pflicht zur Entschädigung stipuliert; im übrigen aber kann meines Erachtens geschriebenes Völkerrecht nicht angerufen werden, abgesehen von Art. 5 des deutsch-schweizerischen Niederlassungsvertrages. Das geschriebene Völkerrecht gibt
also nur eine sehr schmale Grundlage für unsere Ersatzansprüche. Herr Nationalrat Duft erwähnt noch den Art. 232 des Versailler Vertrages, der Deutschland verpflichtet, alle Schäden wieder gutzumachen, die der Zivilbevölkerung jeder der alliierten und assoziierten Eegierungen und ihrem Eigentum zugefügt worden sind. Ob die alliierten Mächte von Deutschland (und den andern besiegten Staaten) die Wiedergutmachung des der neutralen Zivilbevölkerung ihres Gebietes zugefügten Schadens verlangen können, scheint mir. wie Herrn E. von Waldkirch, im oben zitierten Eeferate, S. 36, fraglich. Belgien hat es auch in seiner Note vom 10. Februar 1920 unter Hinweis auf Art. 231 des Versailler Vertrages ausdrücklich bestritten. Jedenfalls können die neutralen Staaten daraus kein Forderungsrecht gegen Deutschland und seine Verbündeten ableiten, da sie ja sonst der Gläubigergemeinschaft angehören würden, die mit Deutschland über die Eeparationen

80 verhandelt; und wenn die Friedensverträge für die Schweiz ein solches Eecht stipuliert hätten, als Vertrag zugunsten Dritter (dessen Möglichkeit Frankreich gerade jetzt im Zonenprozess bestreitet), so würde es der Würde der Schweiz widersprechen, sich darauf zu berufen; denn wenn sie im Krieg neutral gewesen ist, kann sie sich nicht an den Früchten des Krieges beteiligen und aus der Hand der Sieger Vorteile empfangen, die sie nicht nach eigenem Eecht beanspruchen kann.

Wenn daher Herr Duft (S. 19) meint, der Gebietsstaat habe für den durch Zerstörung neutralen Eigentums den neutralen Personen erwachsenen Schaden aufzukommen, so ist dieser Anspruch völkerrechtlich nicht begründet.

II.

Kanu die Schweiz ihre Schadenersatzansprüche schiedsgerichtlich entscheiden lassen?

Um ein Schiedsgericht anrufen zu können, muss der klagende Staat mit dem beklagten durch einen (allgemeinen oder besondern) Schiedsvertrag verbunden sein. Die Schweiz hat nun besondere S c h i e d s v e r t r ä g e mit Deutschland, Belgien und Italien. Der erste vom 3. Dezember 1921 erklärt im Schlussprotokoll, der Vertrag sei nicht anwendbar auf Streitigkeiten, die mit Ereignissen des Weltkrieges in unmittelbarem Zusammenhange stehen; dazu würden offenbar die hier behandelten Entschädigungsansprüche gehören.

Der Vertrag mit Belgien vom 5. Februar 1927 kommt nach Art. 23 nur zur Anwendung bei Streitigkeiten, die sich nach seinem Abschluss erheben und Verhältnisse und Tatsachen betreffen, die nach diesem Zeitpunkt entstanden sind. Anwendbar wäre nur der Vergleichs- und Schiedsvertrag mit Italien vom 20. September 1924, der für alle Streitigkeiten, die nicht auf diplomatischem Wege beigelegt werden können, das Vergleichs- oder Schiedsverfahren vorsieht; zu entscheiden hätte der Ständige Gerichtshof im Haag. Einem allgemeinen Schiedsvertrag, den die Schweiz unterschrieben hätte, wie etwa das fakultative Protokoll zu Art. 36 des Statutes des Ständigen Gerichtshofes, sind weder die genannten Staaten noch Frankreich und Grossbritannien (wenigstens für Fälle aus der Kriegszeit) beigetreten.

Die Schweiz hätte daher nur gegenüber Italien die Möglichkeit, den Anspruch auf Ersatz der Kriegsschäden im weiteren Sinne gerichtlich entscheiden zu lassen. Angenommen aber auch, die Schweiz könnte die andern Staaten ebenfalls vor Gericht laden, so wäre doch noch zu prüfen, ob dieser Weg zu empfehlen ist.

Ich will es dahingestellt sein lassen, ob es notwendig und angezeigt ist, ein gerichtliches Urteil über die Schäden aus Beschlagnahmen (oben I, 1) oder aus Eequisitionen im besetzten Gebiet (I, 2) zu erwirken.

Es scheinen gerade hier, wie Herr Bundesrat Motta ausgeführt hat, mit den andern Staaten keine grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten

81 über die Entschädigungspflicht entstanden zu sein. Was dagegen die eigentlichen Kriegsschäden betrifft (oben 1,3), über welche grundsätzliche Meinungsverschiedenheit besteht, so schiene mir die gerichtliche Geltendinachung, auch wo sie formell möglich wäre, gänzlich verfehlt, und zwar nicht etwa vom politischen Standpunkt aus, den ich hier nicht zu vertreten habe, sondern vom juristischen, vom Standpunkte des Anwaltes aus, der die Schweiz in einem solchen Prozess zu vertreten hätte.

Vorerst muss man sich vergegenwärtigen, dass auch das schiedsgerichtliche Verfahren und das Verfahren vor dem Ständigen Gerichtshof, trotzdem es einen Streit beilegen soll und in gerichtlichen Formen vor sich geht, doch ein Streit ist, wie jeder Prozess. Wer angegriffen wird, verteidigt sich mit allen zulässigen Mitteln. Alles wird herbeigezogen, um die rechtlichen und tatsächlichen Behauptungen des Klägers zu Fall zu bringen. Und hier ist das Becht unsicher und der Tatbestand wird es oft auch sein. Es wird also eine sehr umfangreiche und mühsame Erörterung sein, mit unsicherem Ausgange für die Schweiz.

Unsere Streitfrage hängt eng zusammen mit der ganzen Kriegsführung und der Entstehung des Krieges; es ist unvermeidlich, dass alle diese Fragen und auch die Stellung der Neutralen zu den Kriegsführenden in Erörterung gezogen werden ; das ist um so eher zu erwarten, als die anzuwendenden Bechtsgrundsätze nicht feststehen und daher alle möglichen moralischen Erwägungen angestellt würden zur Begründung der beiden Thesen. Die objektive Darstellung der Kriegsführung und die gerechte Beurteilung der Schuld am Kriege wären gewiss zu wünschen, aber ein Gerichtshof ist kaum imstande dazu und ein Prozess um Geld wäre sicher ein ungeeigneter Anlass dazu. Ich möchte fast meinen, dass die Bücksicht auf den Gerichtshof und die in der ersten Entwicklung stehende internationale Gerichtsbarkeit einen Staat abhalten sollte, eine solche Frage ohne dringende Notwendigkeit zum Gegenstand eines Bechtsstreites zu machen. Es ist unklug, einem kleinen Kinde Bissen zu geben, die es mit seinen Zähnchen nicht bewältigen kann.

Herr Duft meint, die Frage, die uns beschäftigt, könnte auch dem Völkerbund unterbreitet werden; der Bundesrat könnte entweder das Verfahren des Art. 15 des Paktes einschlagen oder die juristische Sektion des Völkerbundes
um die Entscheidung der Bechtsfrage ersuchen oder endlich Bat oder Versammlung ersuchen, die Frage dem Ständigen Gerichtshof zur Begutachtung zu unterbreiten.

Keiner dieser drei Wege scheint mir gangbar.

Das Verfahren vor dem Bat nach Art. 15 ist ein Vergleichsverfahren, das zu einem unverbindlichen Vorschlag führt. Hier würde aber dieser Vorschlag gemacht von einem Bat, dessen einflussreichste Mitglieder beinahe alle an der Lösung unmittelbar oder mittelbar interessiert wären; auch würde sich das sehr freie Verfahren vor dem Bat zur Lösung einer so komplexen Kechtsfrage nicht eignen; es ist in erster Linie doch vorgesehen für akute Fälle, die «geeignet sind, zu einem Bruche zu führen». Dass die Versammlung dazu nicht geeignet ist, bedarf keiner Erörterung.

Bundesblatt. 81. Jahrg. Bd. III.

6

82 Die juristische Sektion des Sekretariates des Völkerbundes kann allerdings Eechtsfragen begutachten (nicht entscheiden); aber sie mtisste von einer Behörde des Völkerbundes selbst dazu aufgefordert -werden; die Mitglieder können ihr keine Fragen vorlegen. Hier könnte sie wohl nur durch den Bat oder die Versammlung dazu aufgefordert werden. Allein wenn eine so wichtige Frage vom Völkerbund begutachtet werden sollte, müsste es die höchste juristische Instanz sein, der Standige Internationale Gerichtshof.

Dieses Gericht könnte zweifellos nach Art. 14 vom Eat oder von der Versammlung ersucht werden, ein Gutachten abzugeben; aber die Versammlung kann darum nicht angegangen werden und der Eat, d. h. die Vertreter von Staaten, die keine Entschädigungspflicht anerkennen, würde kaum geneigt sein, den Ständigen Gerichtshof anzufragen, ob sie nicht Unrecht haben.

Die Schweiz hat j a an der letzten Versammlung selbst erfahren, wie zurückhaltend der Eat in diesem Punkte ist, da sich fast alle Grossmächte dagegen erhoben, auch nur die formelle Frage begutachten zu lassen, ob der Beschluss, ein Gutachten zu verlangen, vorn Eat mit Mehrheit gefasst werden könne. Es würde schon über die Fass mg der zu begutachtenden Frage eine langwierige Diskussion entstehen.

Der Versuch, den Völkerbund zu einer Äusserung zu veranlassen, ist in allen drei Formen aussichtslos; und ich wüsste auch keinen andern Weg, der Erfolg verspräche.

Die obigen Bemerkungen erschöpfen die sehr verwickelte Frage, die zu erörtern war. nicht ; sie berühren nur einige Seiten davon und nur in allgemeinen Umrissen. Wenn man die Frage weiter ergründen wollte, würde man noch auf manche Schwierigkeiten stossen. Aber das Gesagte wird genügen, um zu zeigen, dass die gegenwärtig anerkannten Grundsätze des Völkerrechts die Schadenersatzansprüche der Schweizer an die kriegführenden Staaten nur in sehr beschränktem Masse schützen.

Genehmigen Sie, hochgeachteter Herr Bundesrat, die Versicherung meiner vollkommenen Hochachtung.

sig. Prof. W. Burckhardt.

83

Anlage II.

Aide-Mémoire vom 20, Juli 1920, vom Vorsteher des Eidgenössischen Politischen Departements dem Französischen Botschafter in Bern übergeben.

Das schmerzliche Los der kriegsgeschädigten Schweizerbürger beunruhigt seit langem die schweizerische Eegierung. Es erfüllt sie mit um so ernstlicherer Besorgnis, als zur Stunde noch keine sicheren Anzeichen vorliegen, die den Tag zu bestimmen erlaubten, wo es eine Besserung erfahren wird. Diese unglücklichen Landesangehörigen haben sich vorübergehend dem Glauben hingeben können, dass die tapfer ertragenen Leiden, nun der Krieg beendet ist, nach und nach verschwinden würden. Aber ihre Illusion ist von kurzer Dauer gewesen. Die Jahre sind vergangen, ohne dass dem Übel, das auf ihnen lastet, wirksam abgeholfen worden wäre.

Nachdem sie ihre Habe infolge von Kriegsereignissen oder von Massnahmen des ins Land eingedrungenen Feindes ganz oder teilweise verloren haben, müssen sie gegenwärtig gegen unüberwindliche materielle Schwierigkeiten ankämpfen, die ihre französischen Leidensgenossen nicht kennen, weil diesen die weitherzigen Bestimmungen des Eeparationsgesetzes vom 17. April 1919 zugute kommen. Auf ihre eigenen Kräfte angewiesen, sind diese Schweizerbürger, nachdem sie die bekannten schrecklichen Prüfungen über sich haben ergehen lassen müssen, völlig ausserstande, die Lebensstellung auch nur annähernd wiederzuerobern, die der grausame Krieg ihnen geraubt hat. Ja, ihre äusserst schwierige Lage hat sich sogar infolge des Mangels irgendwelcher Hilfsmittel mit der Zeit nur verschlimmert, wie gross der gute Wille und der Arbeitseifer der meisten von ihnen auch immer sein mögen.

Die schweizerische Regierung konnte angesichts von so viel Ungemach nicht teilnahmslos zuschauen. Leider hat der lebhafte Wunsch, der sie beseelte, gegenüber einer so beunruhigenden Sachlage Abhilfe zu bringen, vor der Unvollkommenheit der Normen des Völkerrechts über die Wiedergutmachung der Kriegsschäden zurücktreten müssen. Der Bundesrat konnte denn auch nicht daran denken, Deutschland dazu zu bewegen, dass es ganz allgemein für die Kriegsschäden aufkomme, die Schweizerbürger erlitten haben. Notgedrungen hat er seine Intervention auf die sehr seltenen Fälle beschränken müssen, wo es möglich war, den Beweis für den Kausalzusammenhang zwischen einer offensichtlichen Verletzung der Gesetze
und Gebräuche des Landkrieges und der eingetretenen Schädigung zu erbringen. Wo eine solche Völkerrechtsverletzung nicht bestand oder nicht einwandfrei nachgewiesen werden konnte, hat sich der Bundesrat nur an den Grundsatz halten können, wonach die Pflicht zur Wiedergutmachung der Kriegsschäden dem Staate zufällt, auf dessen Gebiet sie verursacht worden sind.

Diese Auffassung ist nicht neu. Grotius hat sie schon in seinem «Jus belli ac pacis» vertreten. Auch Vattel hat in seinem Werke «Droit des gens» diese Wiedergutmachungspflicht des Staates anerkannt. Der Gedanke hat sich behauptet und ist durch die französische Eevolution gewissermassen zum

84 unantastbaren Grundsatz erhoben worden. Das unglückliche und besiegte Frankreich des Jahres 1871 liess sich gleichfalls von ihm leiten; es hat, was heute noch seine sinnvolle Bedeutung behält und als nachahmenswertes Beispiel dasteht, die drückende Last der Wiedergutmachung der Schäden, welche die Einwohner der besetzten Departements erlitten hatten, mutig auf sich genommen, ohne irgendwelchen Unterschied zu machen zwischen seinen eigenen Staatsangehörigen und den auf seinem Gebiete niedergelassenen Ausländern.

Demzufolge ist das Ministerium für die Auswärtigen Angelegenheiten in der Lage gewesen, in seiner Note vom 2. September 1872 der schweizerischen Gesandtschaft in Paris unter anderm zu schreiben: «Indessen glaube ich Ihnen jetzt schon zur Kenntnis bringen zu können, dass für die Verteilung der von der Nationalversammlung bewilligten Entschädigung von 100 Millionen keinerlei Unterscheidung gemacht worden ist zwischen den Ausländern und den eigenen Staatsangehörigen, die beide auf dem Fusse der Gleichberechtigung behandelt worden sind.» So hat Frankreich es unternommen, die Lehre der Wiedergutmachung der Schäden, die unter der Herrschaft des Naturrechts ausgebildet worden war. zu erweitern, und es hat damit auch anerkannt, dass in gewissem Sinne die Ausländer der durch die eigenen Angehörigen gebildeten Familie beizuzählen sind.

Diese Gleichstellung zeugte von einem Edelmute, für den die Schweiz nicht unempfänglich geblieben ist. Aber es darf doch dabei nicht verkannt werden, dass sie sich auch auf Grund rein vernünftiger Überlegung aufdrängte.

Denn abgesehen von der Pflicht, am Kriege mit bewaffneter Hand teilzunehmen, haben die Ausländer die Heimsuchungen des Krieges in gleichem Masse zu erdulden wie die Einheimischen. Ihre Person und ihr Eigentum sind den nämlichen Zufällen ausgesetzt. Die nämlichen Gefahren umgeben sie; die nämlichen Leiden bedrücken auch sie. Eigene und fremde Staatsangehörige bilden gewissermassen nur noch ein einziges und unteilbares Ganzes. Es ist demnach ein Gebot der Gerechtigkeit, wenn man nach Friedensschluss die Augen vor der Tatsache dieser fast homogenen Gemeinschaft nicht verschliesst, die sich als Folge der genieinsam erduldeten Qualen langer Kriegsjahre ergeben hat.

Es verdient hervorgehoben zu werden, dass diese vorbehaltlose Gleichbehandlung des
Einheimischen und des Ausländers auch vom wirtschaftlichen Gesichtspunkt aus gerechtfertigt ist, haben doch die Ausländer mindestens soviel zum allgemeinen Wohlstande beigetragen wie die eigenen Staatsangehörigen. Zahlreich sind jene, die seit langen Jahren im Lande niedergelassen sind, das sie als ihre zweite Heimat zu betrachten berechtigt sind. Durch ihre Betriebsamkeit, durch die Einsetzung ihres Vermögens haben sie zur Vermehrung des nationalen Eeichtums beigetragen. Bei Wegnahme oder Vernichtung ihrer Güter bleibt dieser Reichtum um so viel vermindert. Es zeigt sich also, dass der Staat, auf dessen Gebiet sie niedergelassen sind, nicht nur die sittliche Pflicht, sondern auch und vor allem ein materielles Interesse daran hat, diese Kräfte, die ausschliesslich zu seinem eigenen Nachteile verloren

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wären, wiederzugewinnen, um sie mitarbeiten zu lassen am grossen Werke des nationalen Wiederaufbaues.

Die schweizerische Regierung hat sich während des Krieges beständig vom oben dargelegten Grundsatze leiten lassen. Nie hat sie sich die Frage gestellt, ob der auf dem Gebiete der Eidgenossenschaft niedergelassene Fremde die gleichen Vorteile gemessen solle wie die Schweizerbürger. Und der am 30. September 1918 von ihr gefasste Beschluss zur Wiedergutmachung der infolge der Kriegsereignisse auf dem Gebiete der Eidgenossenschaft entstandenen Schäden enthält nicht einmal einen Hinweis auf dieses Problem, das sich eben für sie gar nicht stellte. Sie ist infolgedessen, ohne je die Frage der Staatsangehörigkeit der Geschädigten aufzuwerfen, für alle Zerstörungen aufgekommen, die fremde Militärflieger, deren Nationalität nicht hatte festgestellt werden können, verursacht haben. So sind, um nur ein Beispiel anzuführen, neunzehn französische Staatsangehörige für die Verluste voll entschädigt worden, die sie anlässlich der Bombenabwürfe auf Pruntrut, vom 28, März 1918, und auf Bonfol, vom 30. September gleichen Jahres, erlitten hatten. Allerdings sind die Summen, die die eidgenössische Staatskasse zu diesem Zwecke hat entrichten müssen, verhältnismässig bescheiden. Aber die Eidgenossenschaft hätte nicht gezögert, ein grösseres Opfer zu bringen, um nicht von der freigewählten Richtschnur abzuweichen, wenn das Unglück es gewollt hätte, dass diese französischen Staatsangehörigen beträchtlicheren Schaden erlitten.

Frankreich scheint übrigens tatsächlich einen abweichenden Standpunkt nicht einzunehmen, sieht doch sein Gesetz vom 17. April 1919 die Wiedergutmachung der von seinen Landesangehörigen in fremden Staaten erlittenen Schäden nicht vor. Es ist mit Recht der Ansicht gewesen, dass diese Sorge dem Staat überlassen werden solle, auf dessen Gebiet die Beschädigten niedergelassen sind. Wie die Schweiz hat es kein unmittelbares Interesse daran, dass die jenseits seiner Grenzen verursachten Verluste gutgemacht werden, da diese letzten Endes nur die Volkswirtschaft desjenigen Landes beeinträchtigen, wo sie erlitten worden sind.

Indem es die Wohltat seines Reparationsgesetzes auch den Schweizerbürgern gewähren würde, erwiese Frankreich nicht der Schweiz eine Gunst.

Es ergriffe damit nur eine Massnahme, die vor
allem dazu bestimmt wäre, seinen eigenen Vorteil zu wahren. Die Schweiz, der bekannt ist, in welch bedauernswerter Lage die meisten ihrer dem Krieg ausgesetzt gewesenen Landesangehörigen sich befinden, konnte indessen nicht darauf verzichten, die französische Regierung für deren Schicksal zu interessieren und sie darum anzusuchen, dass sie ihnen ermögliche, sich eine neue Lebensstellung zu schaffen. Die schweizerische Gesandtschaft in Paris ist demzufolge beauftragt Worden, mit der französischen Regierung im Hinblick auf den Abschluss der im Art. 3 des vorgenannten Gesetzes vorgesehenen Vereinbarung Verhandlungen anzuknüpfen. Leider haben die wiederholten Schritte der Gesandtschaft bis jetzt zu keinem greifbaren Ergebnis geführt. Das Ministerium für aus-

86 wärtige Angelegenheiten hat einen anerkennenswerten Eifer darauf verwendet, die Lösung einer Frage zu beschleunigen, deren Dringlichkeit ihm nicht entgangen ist. Aber die Aufforderungen, die es in dieser Sache an das Finanzministerium gerichtet hat, haben alle nicht die erwartete Wirkung erzielt.

Die schweizerische Eegierung zweifelt keinen Augenblick daran, dass die bedauerlichen Verzögerungen, unter denen die Verhandlungen leiden, nur unter der Herrschaft ganz besonderer Verhältnisse eintreten konnten. Aber sie legt mit Bücksicht auf die wachsenden finanziellen Schwierigkeiten, denen ihre Staatsangehörigen ausgesetzt sind, ganz besonders grossen Wert darauf, dass die Eegierung der Bepublik sich dazu bereit finde, binnen kurzer Frist zu untersuchen, was zu ihren Gunsten geschehen kann.

Der Bundesrat gibt sich vollkommen Eechenschaft darüber, dass die französische Eegierung zaudern mag, eine Entschliessung zu fassen, die unmittelbar zur Folge hätte, die bereits sehr schweren finanziellen Lasten noch zu vermehren, die Frankreich schon zu tragen hat. Aber er glaubt nicht, dass diese Erwägung geeignet sei, einer günstigen Lösung der Frage ernstliche Schwierigkeiten zu bereiten. Die Gesamtheit der in Frankreich erlittenen und dem Politischen Departement angemeldeten Kriegsschäden erreicht keine zwanzig Millionen Franken. Im Vergleiche zu dem vom französischen Eigentum im Krieg erlittenen Verlust ist diese Summe ganz unbedeutend. Es ergibt sich daraus, dass die Wiederaufrichtung der schweizerischen Heimstätten nicht dazu führen würde, in wirklich bemerkenswerter Weise die Schuld zu vergrössern, die Frankreich gegenüber seinen eigenen Landesangehörigen hochherzig übernommen hat.

Die schweizerische Begierung hat mit aufrichtiger Genugtuung gesehen, wie grosse Teilnahme die Xot ihrer Landesangehörigen in den parlamentarischen Kreisen Frankreichs erweckt hat. Sie war sich dessen bereits bewusst, dass die Sache der ausländischen Kriegsopfer in Frankreich nur warme Befürworter finden würde; sie hat sich auch davon überzeugen können, dass diese Sympathien nicht rein platonisch zu bleiben, sondern sich in die Tat umzusetzen begehrten. So hat im verflossenen Februar der Abgeordnete Einguier der Deputiertenkammer einen Beschlussesentwurf vorgelegt, der die Eegierung auffordern sollte, «sich mit den fremden,
verbündeten oder neutralen Eegierungen im Hinblick auf die Anwendung von Art. 3 des Gesetzes vom 7. April 1919 über die Kriegsschäden zu verständigen». Im Bericht an die Kammer über diesen Beschlussesentwurf hat der Abgeordnete Philippoteaux, Berichterstatter der Kommission für die befreiten Gebiete, unter anderm erklärt : «Es ist unsere Pflicht, zum mindesten Ansprüche nicht zu gefährden, zu denen die Ausländer so berechtigt sind wie die eigenen Staatsangehörigen.

Es hiesse, unsere Schutz- und Unterstützungspflicht nicht erfüllen, und unsere Gleichgültigkeit käme Deutschland allein zugute.» Es steht ausser Zweifel, dass diese unmissverständlichen Worte allen jenen Geschädigten tief ins Herz gedrungen sind, die angstvoll die Stunde der Befreiung erwarten, welche für sie leider noch nicht geschlagen hat.

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Im Verlaufe seiner Darlegung hat Herr Philippoteaux ein Wort ausgesprochen, das die Aufmerksamkeit der schweizerischen Regierung ganz besonders auf sich ziehen musste. Er hat gesagt: «Die Kammer wird es also für angezeigt erachten, dass ganz allgemein und ohne Aufschub Vereinbarungen herbeigeführt werden, um Kompensationskredite zu erhalten oder, wie für Dänemark, das Vorhandensein bereits erfolgter Kompensationen festzustellen.» Es ist offenkundig, dass eine derartige Erklärung nicht vereinbar ist mit der Auffassung, die der Bundesrat auf dem Gebiete der Wiedergutmachung der Kriegsschäden unentwegt vertreten hat. Wenn er glaubt, darauf hinweisen zu müssen, dass die Schweiz ebenfalls Kompensationen geleistet zu haben vermeint, die der Bedeutung des Opfers angemessen waren, das der Abschluss einer Vereinbarung im Sinne von Art. 3 des Gesetzes vom 17. April 1919 mit sich brächte, so tut er es daher, ohne deswegen die Anschauung zu verlassen, die der schweizerische Gesandte in Paris dem Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten in allen ihren Einzelheiten auseinandergesetzt hat. Er sieht sich so veranlasst, nicht ohne ein gewisses Widerstreben auf die Leistungen hinzuweisen, welche die Schweiz das Vorrecht gehabt hat, zugunsten der Kriegsopfer zu erbringen, sowie auf die sehr schweren Lasten, welche die Staatskasse aus diesem. Grunde zu tragen hatte und die in einer Ausgabe von mehr als 80 Millionen Pranken zum Ausdrucke kommen.

, Wenn sich Prankreich dazu verstehen könnte, die auf seinem Gebiete von Schweizerbürgern erlittenen Schäden wiedergutzumachen, so würde es damit seine Stellung gegenüber andern Staaten, die derartige Kompensationen nicht erbracht haben, in keiner Weise schwächen. Ausser dieser tatsächlichen Voraussetzung wird es geltend machen können -- und dies lässt die Eechtmässigkeit des schweizerischen Standpunktes noch stärker hervortreten -- dass mit Eücksicht auf die von der Eidgenossenschaft getroffenen Massnahmen zur Schadloshaltung der vom Kriege geschädigten französischen Staatsangehörigen, gewichtige Vorbedingungen erfüllt gewesen seien, die an und für sich schon den Abschluss eines Vertrages auf der Grundlage der gewährten Gegenseitigkeit erlaubt hätten.

Wie er dargetan zu haben glaubt, hat der Bundesrat bloss ein rein moralisches Interesse daran, dass es seinen unglücklichen
Landesangehörigen ermöglicht wird, sich aus ihrem Zusammenbruch emporarbeiten zu können.

Aber dieses Interesse ist mächtig genug, um ihn zu veranlassen, Seine Exzellenz den französischen Botschafter auf die Lage hinzuweisen, in der sich diese Schweizer befänden,, falls der französische Gesetzgeber sein Gesetz streng im Eahmen einer engnationalen Solidarität halten wollte. Er würde sich glücklich schätzen, wenn Seine Exzellenz sich dazu bereit finden wollte, den Einfluss geltend zu machen, über den sie verfügt, damit einem Zustand ein Ende bereitet werde, der die schweizerischen Kriegsgeschädigten schmerzlich trifft und die Interessen beider Länder, so verschieden sie sein mögen, gleicher massen beeinträchtigt.

88 Anlage III.

Note des Französischen Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten an den Schweizerischen Gesandten in Paris vom 10. November 1920.

Herr Minister, Wiederholt haben Sie die Aufmerksamkeit meines Departements darauf hingelenkt, dass die Bundesregierung auf den Abschluss einer Vereinbarung Gewicht lege, die den in Frankreich niedergelassenen Schweizern die Vorteile des Gesetzes vom 17. April 1919 über die Wiedergutmachung der Kriegsschäden sichern wurde. Zur nahern Begründung dieser Anregung haben Sie ein Aide-mémoire übergeben, das die von Ihren Landsleuten erlittenen Verluste schildert.

Die Frage der allfälligen Erstreckung des Anwendungsbereichs des vorerwähnten Gesetzes auf die Ausländer war als Ganzes Gegenstand eingehender Prüfung durch die Regierung der Eepublik. Nun hat die Eegierung aber auf Grund dieser Untersuchung gefunden, dass es unmöglich sei, auf die Angehörigen irgendwelcher fremden Macht die außerordentlichen Bestimmungen auszudehnen, die um des Grundsatzes der nationalen Solidarität willen die vollständige Wiedergutmachung vorsehen zugunsten der Franzosen, die auf französischem Gebiete das Opfer von Kriegsschäden geworden sind.

Ich habe die Ehre, Sie von der in diesem Sinne gefassten Entschliessung in Kenntnis zu setzen, wobei es mir daranliegt, Sie auf deren allgemeine. Gültigkeit aufmerksam zu machen.

Genehmigen Sie, Herr Minister, die Versicherung meiner ausgezeichneten Hochachtung.

Für den Minister und in dessen Ermächtigung Der Direktor: (sig.) Maurice Herbette.

Bevollmächtigter Minister.

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Anlage IV.

Note des Belgischen Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten an den Schweizerischen Gesandten in Brüssel vom 10, Februar 1920.

Herr Geschäftsträger,

Mit Noten vom 21. Juni und 5. Dezember abbin haben Sie die königliche Begierung gebeten, den Anwendungsbereich des belgischen Gesetzes iiber die Wiedergutmachung der Kriegsschäden auf die Schweizerbürger auszudehnen, und Sie rufen zur Begründung dieses Ansuchens namentlich den im Jahre 1887 zwischen Belgien und der Schweiz abgeschlossenen Niederlassungsvertrag sowie Art. 232 des Friedensvertrages an.

Die königliche Begierung hat dieses Ansuchen aufs wohlwollendste geprüft, indem sie den freundschaftlichen Beziehungen, die unsere beiden Länder verbinden, wie auch der wertvollen Sympathie Bechnung trug, welche die Schweiz während des Krieges Belgien erwiesen hat und für die die königliche Begierung hier gerne von neuem ihre Erkenntlichkeit bezeugt. Zu ihrem Bedauern vermag sie jedoch in den von Ihnen geltend gemachten Bechtstiteln nicht die Möglichkeit zu finden, die Schweizer für die Wiedergutmachung der Kriegsschäden den Belgiern gleichzustellen.

Der Vertrag von 1887 begründet meiner Meinung nach für Ihre Mitbürger keinen Anspruch auf die Anwendbarkeit des belgischen Gesetzes vom 10. Mai 1919. Denn die Art. l und 2 des Vertrages von 1887 gewähren den Schweizern in Belgien bloss den Anspruch, hinsichtlich ihrer Niederlassung keiner Ausnahmeordnung, sondern dem gemeinen Becht unterstellt zu werden und demgemäss ab- und zugehen, sich aufhalten, Handel und Gewerbe treiben zu können wie die Belgier. Art. 5 bestimmt, dass jeder Vorteil, den einer der vertragschliessenden Teile bezüglich der Niederlassung der Bürger und der Ausübung der gewerblichen Berufsarten in irgendeiner Weise einer andern Macht gewährt hätte oder noch gewähren sollte, in gleicher Weise und zu gleicher Zeit auch gegenüber dem andern Vertragsteile zur Anwendung kommen wird, ohne dass hierfür der Abschluss einer besondern Übereinkunft nötig wäre.

Dieser Artikel bezieht sich nur auf die Anwendung der Polizeigesetze und Verwaltungsverordnungen auf dem Gebiete der Niederlassung, des Verkehrs und des Gewerbes : er ist seiner Tragweite nach genau begrenzt und kann nicht als auf die Kriegsschäden anwendbar betrachtet werden.

Das Sondergesetz über die Kriegsschäden ist im Gegensatz dazu ein Ausn a h m e g e s e t z ; es bricht den Satz des gemeinen Rechts, dass der Staat nicht

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verantwortlich sei für die vom Krieg erzeugten Schäden; es beruht auf der Solidarität der Belgier sowohl in der Verteidigung ihres Landes als auch in der Wiederherstellung des gemeinsam erlittenen Schadens; es will nur die Belgier schadlos halten, und nicht einmal sie alle, wie eine Bestimmung es ausdrücklich sagt. Es nimmt die Schäden aus, die seine Angehörigen im Ausland erlitten haben; es gewährt die Anwendbarkeit seiner Bestimmungen Ausländern «nur unter den durch Verträge f e s t z u s e t z e n d e n Bedingungen» (Art. 8 des Gesetzes vom 10. Mai 1919).

Die Vorarbeiten zum Gesetz erläutern den Sinn dieses Satzes : Es lag nicht in der Absicht des belgischen Gesetzgebers, diese ausserordentliche Vergünstigung den Ausländern ohne Gegenleistung zu gewähren. Er hat sie für diejenigen Staaten vorbehalten wollen, die sich dazu verpflichten würden, den auf ihrem Gebiete wohnhaften Belgiern Gegenrecht zu gewähren, oder die ihnen andere Vorteile dagegen bieten wurden.

Wenn die belgische Eegierung der Schweiz diese Vergünstigung ohne Kompensation einräumen wollte, würde sie gegen den Geist des Gesetzes verstossen und einen Präzedenzfall schaffen, der von den andern Staaten angerufen werden könnte, um den gleichen Vorteil zu erlangen.

Belgien würde sich so des hauptsächlichsten Mittels begeben, das es besitzt, um seinen Angehörigen in den fremden Ländern die Wiedergutmachung der Kriegsschäden zu sichern. Die Gegenseitigkeits- oder Kompensationsklausel ist übrigens in zahlreiche einschlägige Gesetzgebungen aufgenommen worden, so namentlich auch in Frankreich.

Nach Ihrer Note vom 5. Dezember abbin setzt die Bundesregierung voraus, dass Art. 232 des Friedensvertrages Belgien ermächtige, von Deutschland die Ersetzung der Schäden zu verlangen, welche die in unserm Lande wohnhaften Angehörigen neutraler Staaten erlitten haben, und dass wir demnach, indem wir die Schweizer für die Anwendung des Gesetzes vom 10. Mai den Belgiern gleichstellen, eigentlich bloss einen Vorschuss auf der von Deutschland zu erwartenden Entschädigung zugestünden.

Dem ist aber nicht so. Denn lässfc auch Art. 232, welcher die Wiedergutmachung der Schäden betrifft, «die der Zivilbevölkerung j e d e r der alliierten und assoziierten Mächte» zugefügt worden sind, einigen Zweifel über die Frage bestehen, ob die Zivilbevölkerung auch
die im Lande niedergelassenen Ausländer umfasst, so schliesst der Wortlaut des Art. 231 jegliche Ungewissheit aus, denn er sagt ausdrücklich, dass die Verantwortlichkeit Deutschlands sich nur auf die Verluste erstrecke, welche die alliierten und assoziierten Eegierungen «und ihre Staatsangehörigen» erlitten haben.

Den neutralen Staatsangehörigen soll somit diese Verantwortlichkeit Deutschlands, soweit sie sich aus dem Versailler Vertrag und insbesondere aus dem Wortlaute des Art. 232 in Verbindung mit demjenigen des Art. 231 ergibt, nicht zugute kommen.

Zum Schluss erlaube ich mir, Ihre Aufmerksamkeit auf den Umstand hinzulenken, dass Belgien für die den Schweizerbürgern widerfahrenen Schäden

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keine Verantwortung trifft. Diese Schäden rühren von dem gegen das Becht und die Verträge verstossenden deutschen Angriff auf unser Land her. Die Verantwortung für die daraus entstandenen Folgen fällt auf Deutschland.

Sie setzen mich in Ihrem Briefe vom 5. Dezember davon in Kenntnis, dass die Bundesregierung beschlossen habe, die Ausrichtung von Entschädigungen für die zu Lasten von Schweizerbürgern vorgenommenen Bequisitionen in Belgien unmittelbar von Deutschland zu verlangen. Dieses Vorgehen scheint mir am zweckmässigsten zu sein und es ist nach meiner Meinung auch am ehesten angezeigt für die Wiedergutmachung der Kriegsschäden.

Genehmigen Sie, Herr Geschäftsträger, die Versicherung meiner vorzüglichsten Hochachtung, Für den Minister Der K a b i n e t t s v o r s t e h e r : (sig.) de Ramaix.

--»·Ss*--

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über das Postulat des Nationalrates betreffend die Frage der Wiedergutmachung der von Schweizerbürgern im Weltkrieg erlittenen Kriegsschäden. (Vom 30. September 1929.)

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