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Kreisschreiben des

Bundesrates an die Regierungen der Kantone über die Aufhebung des Passvisums für Ausländer.

(Vom 23. Mai 1929.)

Getreue, liebe Eidgenossen!

Vom 1. Juni dieses Jahres an werden die Italiener, die Deutschen, die Österreicher, die Danziger, die Estländer, die Litauer, die Finnländer und die Inhaber von Saarpässen, wie heute schon die Angehörigen von Andorra, Belgien, Dänemark, Grossbritannien, Holland, Liechtenstein, Luxemburg, Monaco, Portugal, Spanien, sowie diejenigen der aussereuropäischen Länder, zur Einreise in die Schweiz zu irgendwelchem Zweck, also auch zum Stellenantritt, kein konsularisches Visum mehr benötigen. Wenn wir uns auch bewusst sind, ·dass der Abbau dieser den stellensuchenden Ausländern bisher auferlegten Formalität gewisse Nachteile im Gefolge haben wird, so haben wir ihn trotzdem beschlossen, da wir die den Eeiseverkehr noch einschränkenden Vorschriften so bald wie möglich gänzlich abbauen möchten und das Interesse unserer Landsleute, die besonders zu ihrer weiteren Ausbildung eine Stelle im Auslande antreten wollen, diese Massnahme erfordert.

Um zu verhüten, dass sich ausländische Arbeitskräfte in zu grosser Zahl auf unsern Arbeitsmarkt drängen, haben wir den Begierungen der Staaten, denen wir eine Vereinbarung auf gegenseitiges Fallenlassen des Visums vorgeschlagen haben, für ihre Angehörigen auch weiterhin die Dienste unserer Konsulate angeboten, die nach wie vor Gesuche zur Übersiedelung und zum Stellenantritt entgegennehmen und an die Inländsbehörden weiterleiten werden.

Die einheimischen Arbeitgeber, die eine ausländische Arbeitskraft einstellen wollen, werden auf die Vorschriften über die Inlandskontrolle aufmerksam gemacht. Diese Massnahmen werden aber die vermehrte Zureise von ausländischen Arbeitskräften, die auf gut Glück einreisen, nicht gänzlich zu verhindern vermögen. Diese werden künftig nur von der Inlandskontrolle erfasst werden können.- Immer mehr liegt somit das Schwergewicht der Ausländerkontrolle auf den Schultern der Kantone. Wenn wir uns zu der neuen Abbaumassnahme auch erst nach Aussprache unseres Justiz- und Polizeidepartementes mit den in diesen Fragen in erster Linie zuständigen kantonalen Polizeidirektoren entschlossen haben und diese Aussprache unser Vertrauen in die Wirksamkeit der kantonalen Ausländerkontrolle gestärkt hat, so halten wir «s doch für notwendig, Sie..auf einige Punkte besonders aufmerksam zu machen.

Eine umsichtige Fremdenkontrolle erfordert ständige Zusammenarbeit der Fremdenpolizei mit dem Arbeitsnachweis. Die Arbeitsnachweisstellen müssen in möglichst viele Aufenthaltsgesuohe von Ausländern zum

789 Zwecke des Stellenantrittes Einsicht nehmen können, damit sie einen Überblick über die Bewegungen auf dem Arbeitsmarkt erhalten. Nur dann sind sie in der Lage, die einheimischen Stellensuchenden-und die mit der Berufsberatung betrauten Stellen zweckmässig zu beraten, sowie die Bedürfnisse -der Arbeitgeber kennen zu lernen. Die Arbeitsnachweisstellen sollen aber nicht auf der Unterbreitung jedes einzelnen Gesuches beharren, sondern generelle Begutachtungen abgeben, wenn die Erfahrung gelehrt hat, dass in bestimmten Berufen dauernd oder für eine gewisse Zeit Mangel an ·einheimischen Arbeitskräften besteht. Kurz gesagt: der Verkehr zwischen Fremdenpolizei und Arbeitsnachweis soll nicht nach einem sich immer bureaukratisch auswirkenden Schema geregelt werden, sondern nach den praktischen Bedürfnissen. Denn der einheimische Arbeitgeber und der Ausländer haben -einen Anspruch darauf, den Entscheid über ihr Gesuch binnen nützlicher Frist zu erhalten. Das ist aber auch nur dann möglich, wenn die Behandlung des Gesuches von Anfang an zweckmässig an Hand genommen wird. So ist eine Stelle, die nur von einer hochqualifizierten Arbeitskraft besetzt werden kann, nicht bloss im Bulletin des eidgenössischen Arbeitsamtes, sondern von Anfang an auch in den Zeitungen und Fachblättern auszuschreiben. Auch sind die für den Entscheid notwendigen Unterlagen sofort zu verlangen; namentlich Arbeitszeugnisse, wenn für die zu besetzende Stelle besondere Eignung des Bewerbers notwendig ist. Der Entscheid über die Aufenthaltsgesuche wird von der Fremdenpolizei getroffen, die sich an den Antrag der Arbeitsvermittlungsstelle halten soll, wenn nicht besondere Gründe ein Abweichen notwendig machen. In diesen Fällen soll die Fremdenpolizei aber der begutachtenden Stelle Kenntnis geben von ihrem Entscheid. Nur dadurch kann das gegenseitige Vertrauen, das Voraussetzung für eine zweckmässige Zusammenarbeit der Tjeiden Stellen ist, hergestellt werden.

Eine Zusammenarbeit ist aber auch notwendig zwischen Gewerbcpolizei und Fremdenpolizei. Wir haben oft feststellen müssen, dass Ausländer ·das Hausierpatent, die Bewilligung zur Betätigung als Schausteller, zum Betrieb eines Hotels oder einer Pension, die Karte für Handelsreisende einheimischer Firmen, die sanitätspolizeiliche Bewilligung für Zahnarztassistenten oder Assistenzärzte
usw. erhalten haben, ohne im Besitze einer Aufenthaltsbewilligung zum Zwecke der Erwerbstätigkeit zu sein. Es können sehr wohl die Voraussetzungen für die Erteilung einer solchen gewerbepolizeilichen Bewilligung gegeben sein, während die Fremdenpolizei den Aufenthalt verweigern muss. Hat der Ausländer aber die gewerbepolizeiliche Bewilligung vorher «rhalten, so beschwert er sich nicht ohne Unrecht über die Ablehnung des Aufenthaltsgesuches; meist glaubt er, er müsse gar kein solches einreichen.

Die Gewerbepolizei sollte sich deshalb stets mit der Fremdenpolizei in Ver-

Bundesblatt. 81. Jahrg. Ed. I.

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bindung setzen, bevor sie einem Ausländer eine solche Bewilligung ausstellt.

Dies gilt jedoch nicht für Handelsreisende im Ausland domizilierter Firmen, Besondere Sorgfalt ist notwendig bei der Regelung des Aufenthaltsverhältnisses der Saisonarbeiter und deren Eintrag in den Pass. Wenn auch im vergangenen Jahre von einer eigentlichen Arbeitslosigkeit nicht mehr gesprochen werden konnte und wir hoffen dürfen, die Arbeitsmarktlage werde sich in absehbarer Zeit nicht wieder verschlechtern, so sind doch in den Wintermonaten -- hauptsächlich im Baugewerbe -- und im Frühling und Herbst --- im Hotelgewerbe und in den von ihm abhängigen Berufen -- regelmässig.

eine nicht kleine Zahl von Arbeitskräften ohne Arbeit. Die ausländischen: Saisonarbeiter müssen auf diese Jahreszeiten den Einheimischen Platz machen.

Im Jahre 1928 sind von den Kantonen insgesamt über 30,000 Saisonarbeiter zugelassen worden!

Wie wir uns im Interesse unserer Ausländerkontrolle und der stellensuchenden Ausländer bemühen, diese zu veranlassen, trotz der Aufhebung des obligatorischen Passvisums erst einzureisen, wenn ihnen die Aufenthaltsbewilligung zugesichert ist, so müssen wir auch auf unsere Landsleute, die im Ausland eine Stelle antreten wollen, einwirken, damit sie sich vordem Verlassen unseres Landes die im Zureisestaat notwendige Bewilligung verschaffen. Unsere Konsulate im Ausland haben sich oft darüber beschwert,, dass arbeitslose Schweizer von der Gemeindebehörde auf gut Glück ins Ausland abgeschoben wurden, wo sie in Not gerieten und den Konsulaten und den schweizerischen Hilfsgesellschaften zur Last fielen. Abgesehen davon, dass ein solches Vorgehen unwürdig ist, hat es zur Folge, dass unsere Hilfsgesellschatten, die von unseren im Ausland wohnenden Landsleuten in uneigennützigster Weise mit Mitteln zur Unterstützung hilfsbedürftig werdender Auslandschweizer versehen werden, in Anspruch genommen werden von Schweizern, deren Unterstützung den Inlandsbehörden obliegt. Die eidgenössische Fremdenpolizei wird den mit der Ausstellung von Schweizerpässen, betrauten Inlandsbehörden zum Zwecke der Aufklärung unserer Landsleutedie fremdenpolizeilichen Vorschriften der wichtigsten Staaten bekanntgebenWir haben allen europäischen Staaten Vereinbarungen über die gegenseitigeVisumsaufhebung vorgeschlagen, so dass zu erwarten ist,
dass zu den erwähnten.

Ländern in absehbarer Zeit noch weitere hinzukommen werden, deren Angehörige zu jedem Zweck ohne Visum einreisen können. Die Verantwortung für die Durchführung der Ausländerkontrolle liegt also, wie eingangs erwähnt, immer mehr bei den Kantonen, was eine vermehrte Arbeitslast für die kantonalen Fremdenpolizeibehörden zur Folge haben wird. Wir bitten Sie, beim Erlass Ihrer aus unserem Kreisschreiben sich ergebenden Instruktionen auch dies, nicht zu übersehen.

791 Wir benützen den Anlass, Sie, getreue, liebe Eidgenossen, samt uns in Gottes Machtschutz zu empfehlen.

Bern, den 23. Mai 1929.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Dr. Haab.

Der Bundeskanzler: Kaeslin.

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Kreisschreiben des Bundesrates an die Regierungen der Kantone über die Aufhebung des Passvisums für Ausländer. (Vom 23. Mai 1929.)

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