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Bundesblatt

8l. Jahrgang.

Bern den 9. Januar 1929.

Band I.

Erscheint wöchentlich. Preis 30 Franken im Jahr, IO Franken im Halbjahr, zuzüglich Nachnahme- und Postbestellungsgebühr.

EinrückungsgebÜhr : 60 Kappen die Petitzelle oder deren Kaum, - Inserate franko an Stämpfli & de. In Bern.

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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über das Postulat Zurburg vom 16. Oktober 1924.

(Vom 4. Januar 1929.)

Herr Präsident! . .

Hochgeehrte Herren !

Am 16. Oktober 1924 reichte Herr Zurburg im Nationalrat folgendes Postulat ein: «Nachdem die Vereinheitlichung des Zivilrechtes durchgeführt und eingeleitet ist, wird der Bundesrat eingeladen, zu prüfen und den Bäten Bericht zu erstatten, ob ein Fähigkeitsausweis zur Ausübung des Anwaltsberufes zu schaffen sei.

An die durch eidgenössisches Gesetz aufgestellten Normen über Kenntnis des eidgenössischen Eechtes sollten die kantonalen Prüfungsinstanzen ausdrücklich gebunden sein, wenn das von denselben im Sinne des Art. 5 der Übergangsbestimmungen zur Bundesverfassung ausgestellte Fähigkeitszeugnis auch ausserhalb des Prüfungskantons für Ausübung des Anwaltsberufes Gültigkeit haben soll.« Dieses Postulat wurde vom Nationalrat in seiner Sitzung vom 18. Juli 1925 angenommen. Wir beehren uns, Ihnen darüber folgenden Bericht zu erstatten : .

Herr Nationalrat Zurburg und seine Mitunterzeichner haben mit ihrem Postulat einem Begehren neuen Ausdruck verliehen, das, allerdings in anderer Form, vom eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement bereits einmal zum Gegenstand einer einlässlichen Prüfung gemacht worden ist. Veranlassung dazu bot eine Eingabe des schweizerischen Anwaltsverbandes vom 25. Mai 1901, worin dem Departement ein ausgearbeitetes Programm zur Schaffung eines eidgenössischen Befähigungsausweises auf Grund eines eidgenössischen Examens vorgelegt "wurde.

Die Hauptpunkte dieses Programms waren: 1. Die eidgenössischen Befähigungsausweise sollen das unumschränkte Recht verleihen, den Anwaltaberuf in der ganzen Schweiz auszuüben.

2. Der Befähigungsausweis soll vom Bundesgericht erteilt werden, dem auch die oberste Aufsicht über die schweizerischen Anwälte übertragen wäre.

Bundesblatt. 81. Jahrg. Bd. I.

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8. Der Kandidat muss sich über das schweizerische Aktivbürgerrecht und über einen guten Leumund ausweisen.

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4. Er muss das Maturitätsexamen eines humanistischen Gymnasiums mit Erfolg bestanden haben oder einen gleichwertigen Ausweis besitzen.

5. Er muss während mindestens 2 Jahren bei einem praktizierenden schweizerischen Anwalte anhaltend praktisch gearbeitet haben und sowohl das theoretische Examen als das praktische Schlussexamen mit Erfolg bestanden haben.

6. Die Zulassung zum theoretischen Examen ist an den Nachweis gebunden, dass der Kandidat während mindestens 8 Jahren an einer juristischen Fakultät studiert hat und während dieser Zeit regelmässig immatrikuliert war.

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7. Jedes der beiden Examen besteht aus einem schriftlichen und einem mündlichen Teile. Als Prüfungsfächer werden vorgesehen: Rechtsgeschichte, Rechtsphilosophie, Nationalökonomie, allgemeines eidgenössisches und kantonales Staatsrecht, Völkerrecht, vergleichendes internationales, eidgenössisches und kantonales Privatrecht, allgemeines eidgenössisches und kantonales Strafrecht, gerichtliche Medizin, allgemeine eidgenössische und kantonale Gerichtsorganisation, Zivil- und Strafprozessrecht, Schuldbetreibungs- und Konkursrecht.

8.

D i e Anordnung u n d Vollziehung d e r Prüfungen i s t einer werdesollte::" a. aus 3 vom Bundesgericht zu ernennenden und dem schweizerischen Richterstand zu entnehmenden Mitgliedern; " b. aus 3 vom Bundesrate zu ernennenden Mitgliedern aus der Zahl der Rechtslehrer an den schweizerischen Hochschulen; . G. aus · 3 praktizierenden Anwälten, die der Vorstand des schweizerischen Anwaltsverbandes z u bezeichnen hätte.

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Der auf diese Weise zusammengesetzten Prüfungskommission müsste das Recht eingeräumt werden, die erforderliche Anzahl von Experten zur Prüfung der Kandidaten im kantonalen Recht und in allfälligen andern, bespndern Hechtsgebieten beizuziehen.

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In einem zuhanden des eidgenössischen Justiz- und Pòlizeidepartemente erstatteten Gutachten hat sich das Bundesgericht zu den Vorschlägen des Anwaltsverbandes im wesentlichen folgendermassen ausgesprochen: : Art. 88 der Bundesverfassung, der als Grund läge für den Erlass eines Bundesgesetzes über die Ausübung der wissenschaftlichen Berufsarten für das Gebiet der Eidgenossenschaft diene, finde, wie die bundesgerichtliche
Rechtsprechung stets angenommen habe, zweifellos auch Anwendung auf die Advokatur. Der Umstand, dass mit dem Berufe eines Anwalts auch die Ausübung öffentlicher Funktionen verbunden sei und der Beruf sich da und dort einer öffentlichen .

Beamtung sehr nähere, schliesse nicht aus, dass er als «wissenschaftliche-Beruf sart» im Sinne der Bundesverfassung zu.betrachten sei; denn das Kriterium hierfür liege nicht so sehr in der freien Betätigung als in der Vorbildung; dass

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diese für den Anwalt eine «-wissenschaftliche» sei,brauche nicht weiter ausgeführt zu worden. Dabei sei indessen festzuhalten, dass nach dem gegenwärtigen Verfassungsrecht die Bundesgesetzgebung nur insoweit in die Regelung der Advokatur eingreifen könne, als es die Gültigkeit der Befähigungsausweiße für das ganze Gebiet der Schweiz betreffe, während im übrigen die Stellung der Anwälte Sache des öffentlichen Rechts der Kantone -- Gerichtsorganisation und Prozessrecht -- sei.

Der Tendenz der Verfassung entsprechend müsse nun der Grundgedanke eines Bundesgesetzes über einen eidgenössischen Befähigungsausweis für die Ausübung der Advokatur. der sein, die Freizügigkeit möglichst zu gewährleisten. Nur ein Gesetz, das. diesen Grundgedanken zu verwirklichen suche, halte sich im Rahmen der Verfassung. Wenn hiervon ausgegangen werde, so müsse der vorgelegte Entwurf des Anwaltsverbandes von vornherein als in seiner Tendenz verfassungswidrig abgelehnt werden; denn er beruhe offenbar nicht auf dem Gedanken, die durch Art. 33 BV vorgesehene Freizügigkeit der Advokatur, die vorläufig auf dem Wege der Anwendung des Art. 5 der Übergangsbestimmungen durchzuführen gesucht wird, gesetzlich zu regeln, sondern er verfolge vielmehr den Zweck, die Ausübung des Anwaltsberufes mit Schranken zu umgeben. .Es könne nicht zweifelhaft sein, dass Art. 33 BV dem Bunde die Kompetenz zum Erlasse eines derartigen Gesetzes nicht gebe. Ein Gesetz, das den Gedanken des Art. 83 BV zur Ausführung bringen solle, dürfe die Bedingungen, unter denen auf die Freizügigkeit Anspruch gemacht werden könne, nicht zu hoch schrauben. Für das Hecht auf Freizügigkeit sei nicht die Kenntnis des kantonalen, sondern des für alle Kantone gleichmässig geltenden eidgenössischen Bechtes das ausschlaggebende Moment. Ein eidgenössisches Freizügigkeitsgesetz sei nur denkbar in 4er Form, dass der Ausweis, über die Kenntnis der allgemeinen Rechtslehren und des eidgenössischen Bechtes als zur Ausübung der Praxis berechtigend erklärt werde. Hier könnte sich ein Examen zurzeit .aber nur noch auf einem relativ beschränkten Gebiet bewegen. Es scheine richtiger, mit-einem Bundesgesetz.über-einen eidgenössischen Befähigungsausweis für Anwälte zuzuwarten bis nach Erlass der grossen eidgenössischen Kodifikationen des eidgenössischen Zivil- und des eidgenössischen
Strafgesetzbuchs.

Dem Vorsehlage von Professor Gmür, die kantonalen Examina unter dei: Bedingung, dass sie gewissen vom Bunde aufzustellenden Minimalanforderungen entsprechen, als zur Freizügigkeit berechtigend zu erklären, könne deshalb nicht beigepflichtet werden, weil es sich dabei ja wiederum nur darum handeln könnte, die höchsten kantonalen Anforderungen zu reduzieren. Dies wurde aber dem. von den Initianten angestrebten Zwecke widersprechen. Durch ein solches Gesetz würde nichts weiter erreicht, als was gegenwärtig ungefähr schon auf Grund der Übergangsbestimmungen zuRechtt bestehe; es könnesomitt ernstlich an eine solche Normierung auch nicht gedacht werden.

Die nationalrätliche Gesehäf tsprüfungskommission hat im Jahre 1906 sich diesen Ausführungen des Bundesgerichts im vollen Umfang angeschlossen und somit die Frage der Opportunität eines Bundesgesetzes.-über., die Frei-

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zügigkeit der Advokatur bis nach Erlass des eidgenössischen Zivil- und Strafgesetzes verneint.

. : Nachdem das schweizerische Zivilgesetzbuch am 1. Januar 1912 in Kraft getreten war, wurde am schweizerischen Anwaltstag in Bern vom 23. Juni gleichen Jahres die Frage der Schaffung eines eidgenössischen Anwaltspatentes neuerdings behandelt und beschlossen, mit Energie alle Schritte zu tun, um dem Gedanken zum Durchbruch zu verhelfen. Diesen Beschluss brachte der Anwaltsverband mit Schreiben vom 11. Dezember 1912 dem eidgenössischen Justiz- und Pplizeidepartement zur Kenntnis und verwies zur Begründung vornehmlich darauf, dass die Anwendung der Übergangsbestimmung sich zum Nachteil des Ansehens des schweizerischen Anwaltsstandes auswirke. Die strengen Anforderungen einiger Kantone, in denen das Anwaltspatent nur erteilt werde, nachdem der Kandidat ein schwieriges Examen bestanden und sich überdies in moralischer Beziehung genügend ausgewiesen habe, -würden ihrer Bedeutimg beraubt, wenn bei den gegenwärtigen Verhältnissen mittelmässig qualifizierte Leute auf dem Umwege über einen andern Kanton sich das Anwaltspatent verschaffen könnten. Nicht selten komme es vor, dass Kandidaten, denen die Bewilligung zur Ausübung des Anwaltsberufes in ihrem Heimatkanton nicht habe erteilt werden können, triumphierend als patentierte Anwälte heimkehrten, nachdem sie den Titel in einem andern Kanton mit weniger strengen Anforderungen leicht hätten erwerben können. Derartigen Missbräuchen sollte die eidgenössische Gesetzgebung abhelfen.

Das eidgenössische Justizdepartement stellte hierauf den schweizerischen Anwaltsverband vor die Frage, auf welcher Grundlage er ein Bundesgesetz ausgearbeitet wissen möchte.

Gestützt auf die Verhandlungen am schweizerischen Anwaltstag in Zermatt vom 14. September 1913 teilte der schweizerische Anwaltsverband dem Departement mit Schreiben vom 14. Dezember 1915 mit, dass an den Vorschlägen von Ì9Ó1 im allgemeinen festgehalten werde. In dem zu erlassenden Bundesgesetze möchten ausserdem noch die folgenden Postulate Berücksichtigung finden: 1. dasa das eidgenössische Diplom nur an Schweizerbürger erteilt werde, welche in bürgerlichen Buchten und Ehren stehen und einen unbescholtenen Leumund besitzen ; .

2. dass der Kandidat sich über eine wenigstens 2jährige praktische Tätigkeit auf einem
Advokaturbureau oder bei einem Gerichte ausweisen.müsse; 3. dass die gänzliche oder länger dauernde Entziehung des eidgenössischen Diploms durch eine kantonale Aufsichtsbehöide dem Bekurs an das Bundesgericht unterliege.

Mit allgemeiner Zustimmung sei auch als wünschenswert bezeichnet worden, dass der Organisation der schweizerischen Anwaltschaft Disziplinarbefugnisse über ihre Mitglieder eingeräumt würden.

Wegen des Krieges und nicht zuletzt auch mit Bücksicht darauf, dass die nationalrätliche Geschäftsprüfungskommission im Jahre 1906 den Erlass eines

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Freizügigkeitsgesetzes bis nach der Einführung des schweizerischen Zivilund Strafgesetzbuches hinausgeschoben wissen wollte, wurde vorläufig der Angelegenheit keine weitere Folge gegeben.

Durch das Postulat Zurburg ist die Frage neu in Fluss gekommen. Bevor wir auf seinen Inhalt eintreten, erscheint es angezeigt, kurz die gegenwärtige Rechtslage darzustellen : Art. 81 BV gewährleistet die Handels- und Gewerbefreiheit ira ganzen Gebiet der Eidgenossenschaft. Einschränkend bestimmt dazu der Art. 88, dass es den Kantonen anheimgestellt sei, die Ausübung der wissenschaftlichen Berufsarten von einem Befähigungsausweis abhängig zu machen; doch solle, wie das zweite Alinea des gleichen Artikels vorschreibt, auf dem Wege der Bundesgesetzgebung dafür gesorgt werden, dass derartige Ausweise·: für die ganze Eidgenossenschaft gültig erworben werden, .könnten.

Nach Art. 5 der Übergangsbestimmungen BV sollen Personen, die den wissenschaftliehen Berufsarten angehören, und die bis zum Erlass des in Art. 38 vorgesehenen Bundesgesetzes von einem Kanton oder von einer mehrere Kantone repräsentierenden Konkordatsbehörde den Befähigungsausweis erlangt haben, befugt sein, ihren Beruf in der ganzen Eidgenossenschaft auszuüben.

Der Bundesrat und seit 1898 das Bundesgcricht haben in konstanter Praxis festgestellt, dass der Anwalt eine wissenschaftliche Berufsart ausübe und dass daher sowohl Art. 88 BV als auch Art, 5 der Übergangsbestimmungen Anwendung finde. Dabei hat sich der Grundsatz herausgebildet, dass'gestützt auf einen kantonalen Ausweis dann das Becht zur freien Berufsausübung in der ganzen Schweiz beansprucht werden könne, wenn er in Erfüllung der vom ausstellenden Kanton geforderten Bedingungen erworben worden sei.

In verschiedenen Entscheiden hat sich das Bundesgericht auf den Standpunkt gestellt, dass ihm die angeführten Vcrfassungsbestimmungen keine Handhabe böten, um die tatsächlich vorkommende Umgehung strenger kantonaler Examen zu verhindern. Auch dann gebe Art. 5 der Übergangsbestimmungen das Becht zur Ausübung des Berufes in der ganzen Schweiz, wenn der Ausweis absichtlich in einem Kanton erworben worden sei, der in bezug auf Vorbildung und Wissen anerkannt geringe Anforderungen stelle. Eine solche Umgehung sei möglich, da es für die Freizügigkeit im Sinne von Art. 5 der Übergangsbestimmungen auf
den Zweck, zu welchem ein kantonales Patent erworben werde, nicht ankomme. (BGE i. S. Hurter c. Obergericht Luzern 30 I 28 ff.; ferner 30,1,18 ff. Wolhauser c. Begierungsrat Freiburg, und 41,1, 54 ff.. Lifschitz c. Obergericht Bern.)

Angesichts dieser Sachlage muss es als begreiflich erscheinen, wenn der schweizerische Anwaltsverband es auch heute noch als seine Pflicht erachtet, zur Wahrung des Ansehens des Anwaltsstandes eine Lösung anzustreben^ die diesem unerwünschten Rechtszustande ein Ende setzt. Das lebhafte Interesse, das er der Frage entgegenbringt, zeigte sich darin, dass am schweizerischen Anwaltstage in Aarau am 7. Juni 1925 die Herren Fürsprecher Dr. Otto Meyer

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in Àâraù als Befürworter und Dr. Charles Secretan, Advokat in Lausanne, als Gegner das Postulat Zurburg zum Gegenstand eingehender Eef erate machten.

Fürsprecher Dr, Meyer war bei diesem Anlasse in der Lage, eine ihm von Herrn Nationalrat Zurburg zugegangene Erklärung wiederzugeben, worin" letzterer sich über die mit dem Postulat befolgten Absichten folgendermassen ausspricht: «Das Postulat entspringt tatsächlich dem Umstände, dass einzelne Kantone gegenüber andern in bezug auf den Fähigkeitsausweis im Anwaltsberuf vollständig ungleiche Normen haben und dass dann, wenn an einem Orte der Fähigkeitsausweis erteilt wird, gestützt auf Art. 5 der Übergangsbestimmungen die andern Kantone gezwungen sind, diesen Ausweis anzuerkennen.

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Man ist nach reiflicher Überlegung dazugekommen, den Bundesrat einzuladen, ein Gesetz zu schaffen, welches das Mindestmass der Normen aufstellen soll über die Kenntnisse des eidgenössischen Eechts, an welche dann die kantonalen Prüfungsinstanzen gebunden wären, wenn gestützt auf das kantonale Fähigkeitszeugnis die Ausübung des Anwaltsberufs auch ausserhalb des Prüfungskantons Gültigkeit haben soll. Die Prüfung über das kantonale Recht stände vollständig frei ini Ermessen der Prüfungskommission. Es hat also das Postulat nur den Sinn, dass einem Gesetze gerufen werde, das verbindliche Vorschriften für die kantonalen Prüfungsinstanzen enthalten soll.» In seinen Schlussfolgerungen führt Dr. Meyer u. a. aus, dass die Verwirklichung des Postulates Zurburg das Mindeste sei, was der Anwaltsverband erwarten dürfe. Da der Bund den Kantonen keine Vorschriften darüber machen könne, welche Anforderungen sie an die eigenen praktizierenden Anwälte zu stellen haben, könne auch für einmal ein eidgenössisches Anwaltsdiplom nicht eingeführt werden. Eine einheitliche eidgenössische Prüfung müsste auch an der Tatsache scheitern, dass erst das Zivilrecht -- und dieses nur relativ -- vereinheitlicht sei, dass aber alle andern Eechtsgebiete noch kantonaler Gesetzgebung unterstellt seien. Auch die vor der Tür stehende Vereinheitlichung des Strafrechtes werde die Einführung des schweizerischen Anwaltsexamens nicht ermöglichen, sondern es werde erst dann daran gedacht werden können, wenn man zu einem einheitlichen Prozessrecht und zu einer einheitlichen Gerichtsorganisation gelangt sei.

Trotzdem sei
es heute möglich, das Ansehen des Anwaltsstandes gleichzeitig mit seiner Qualität zu heben, indem nach dem Postulat Zurburg gesetzlich festgelegt werde, welche Eequisite vorhanden sein müssten, damit ein in einem Kanton patentierter. Anwalt der Freizügigkeit teilhaftig werden könne. Wenn Vorschriften über die Minimalanforderungen für die Freizügigkeit, aufgestellt würden, so würden, sich ähnliche. Früchte zeigen, wie sie seinerzeit das Bundesgesetz über die Freizügigkeit des Medizinalpersonals gezeitigt habe, zumal dann, wenn bundesreehtlich normiert werde, dass nur ein patentierter

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Anwalt, sich dieses Titels bedienen dürfe. Das werde :zur Folge haben, dass diejenigen Kantone, die noch kein Anwaltspatent kennen oder nur ein ausserordentlich leichtes Examen vorschreiben und jeden beliebigen Kandidaten ohne Ausweis genügender allgemeiner Vorbildung und ausreichender Fachbildung zum Examen zulassen, im Interesse ihres eigenen Anwaltsstandes eich den hundesrechtlichen Vorschriften anpassen werden. Dafür werde auch die Anwaltschaft in solchen Kantonen sorgen; denn die Zeiten seien vorbei, da der Anwalt seine Betätigung auf das Gebiet seines Kantons beschränken könne; wolle er sie aber auf das Gebiet anderer Kantone ausdehnen, die ein Patent nach eidgenössischer Vorschrift besitzen, so müsse er sich dem notgedrungen anpassen und seine Vorbildung und Ausbildung danach einrichten.

Mehr und mehr müsse danach getrachtet werden, dass sich die schweizerische Anwaltschaft zu einem vornehmen Stande auswachsei vornehm nicht im Sinne einer gesellschaftlichen Kaste, sondern vornehm in der Gesinnung und vornehm in der Auffassung und in der Ausführung der ihr obliegenden Pflichten. Dazu gehöre neben der moralischen Integrität eine ordentliche allgemeine Bildung und eine, tüchtige wissenschaftliche Ausbildung, abgeschlossen durch ein seriöses Examen. Den ersten Schritt zur Erreichung dieses Zieles strebe das Postulat Zurburg an ; es sollte ihm daher freudig zugestimmt werden.

Der Korreferent, Dr. Charles Secretali, nimmt in seinen Ausführungen zunächst Stellung gegen den eidgenössischen Befähigungsausweis, für dessen Schaffung seiner Ansicht nach die verfassungsmässige Grundlage nicht vorhanden sei. Art. 33, AI. l BV, gebe wohl den Kantonen, nicht aber dem Bunde das Eecht, die Ausübung-.wissenschaftlicher Berufsarten von einem Ausweis der Befähigung abhängig zu machen. Aber auch aus praktischen Gründen dürfte dem eidgenössischen Examen kein Erfolg beschieden sein. Als Prüfungsfächer könnten wohl Enzyklopädie, BechtsgeschichteV römisches Hecht,, deutsches Privatrecht und eidgenössisches Becht vorgesehen werden. Trotzdem bliebe das Examen unvollständig, weil es die kantonalen Materien : Zivilprozess, Gerichtsorganisation, Verwaltungsrecht, Straf rech t und Straf prozess nicht in sich schliesse. Der zweckmässigen Aufstellung und Zusammensetzung eidgenössischer Prüfungskommissionen würden sich
grosso praktische Schwierigkeiten entgegenstellen. Befriedigende Ergebnisse könnten wohl erst dann erreicht werden, wenn einmal nicht nur das Strafrecht, sondern auch das Prozessrecht und die Gerichtsorganisation in der Schweiz vereinheitlicht sein werden.

Gleiches gelte aber auch in bezug auf das Postulat Zurburg. Seine Verwirklichung würde allerdings dazu führen, dass der Anwalt ein Minimum von Kenntnissen im .eidgenössischen Becht besässe, sie würde jedoch nicht verhindern, dass er seine Tätigkeit in einem andern Kanton ausüben könnte, dessen .Zivil-' und Straf prozess, Strafrecht, Gerichtsorganisation und Verwaliungsrecht ihm nicht geläufig wären.

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Man könne sich fragen, ob die Praxis des Bundesgerichtes: wirklich so schwerwiegende Nachteile mit sieh bringe, wie man beim Lesen einiger tyv pischer aber nichtsdestoweniger ausnahmsweiser Entscheide anzunehmen ge-

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neigt sein möge. Tatsächlich kämen die Umgehungen nur selten vor; unter 60 im Kanton Waadt praktizierenden Anwälten befänden sich einzig 8, die auf Grund von Art. 5 der "Übergangsbestimmungen haben zugelassen werden müssen.

-- Unter diesen Umständen erhebe sich die Frage, ob es wirklich der Mühe wert sei, den eidgenössischen Gesetzgebungsapparat in Bewegung zu setzen, wenn sich von vornherein erkennen lasse, dass das Ergebnis doch nur ein ungenügendes sein werde, und wenn gleichzeitig zu befürchten sei, dass durch die vom Bund aufzustellenden Durchsclmittsbedingungen das Niveau des Anwaltsstandos in den Kantonen mit strengen Anforderungen herabgesetzt werde. Es sei deshalb nicht erwünscht, dem Postulat Zurburg zurzeit Folge zu geben.

Nach einer auf diese beiden Keferate folgenden Diskussion wurde vom schweizerischen Anwaltstag mit 48 gegen 6 Stimmen beschlossen, dem Postulat Zurburg grundsätzlich zuzustimmen mit der Ergänzung, dass eine gewisse Semesterzahl und ein Eeifozeugnis unter allen Umständen Voraussetzung zur Ausübung der Advokatur sein müssten. Eine vorausgegangene Umfrage bei de» kantonalen Sektionen des schweizerischen Anwaltsverbandes hatte nicht eine entsprechende überwiegende Mehrheit ergeben. Von 12 eingelangten Antworten hatten sich 7 für, 5 gegen das Postulat Zurburg ausgesprochen. Dabei mag allerdings der Umstand mitgewirkt haben, dasa da und dort der Wortlaut des Postulats derart verstanden worden war, als ob im gegenwärtigen Zeitpunkt die Einführung des eidgenössischen Anwaltdiploms beabsichtigt wäre.

Zur Abklärung der Frage hat das eidgenössische Justiz!- und Polizeidepartement sowohl das Bundesgericht als auch die obersten kantonalen Gerichtsbehörden eingeladen, sich über die Wünschbarkeit der von Nationalrat Zurburg vorgeschlagenen Massnahmen zu äussern. Bern, Luzern, Uri, Obwalden, Nidwaiden, Glarus, Zug, Basel-Stadt und -Landschaft, Schaffhausen und Thurgau begrüssen die Neuerung, während die übrigen Kantone, meistens mit der Begründung, dass der Zeitpunkt verfrüht sei, sich ablehnend verhalten. Eine Sonderstellung nimmt in seiner Antwort das Appellationsgericht des Kantons Tessin ein, das an Stelle der Verwirklichung des Postulates Zurburg das in der Bundesverfassung vorgesehene Bundesgesetz über ehe Ausübung der Advokatür unverzüglich ausgearbeitet sehen möchte.
Das Bundesgericht seinerseits stellt fest, dass ihm das Postulat Zurburg, aufgefasst im Sinne seines Urhebers, nicht mehr zu den verfassungsrechtlichen Bedenken Anlass gebe, die dem frühem Vorschlag des schweizerischen Anwaltsverbandes gegenüber hätten angebracht werden müssen. Trotzdem könne es sich auch von ihm keinen nennenswerten praktischen Erfolg versprechen. Nach wie vor würde es für Anwälte, die in einem üanton mit freier Advokatur niedergelassen seien, unmöglich sein, sich durch eine daselbst abgelegte Prüfung einen.Fähigkeitsausweis zu verschaffen, der sie zur Berufgausübung auch in andern Kantonen berechtige. Nach wie vor würde aber auch der Übelstand bestehen bleiben, dass ein Bewerber die schwierigere Prüfung seines Wohnsitzkantons durch Erwerbung des Fähigkeitsausweises in einem andern Kanton mit weniger strengen Anforderungen, umgehen könne. Das Bundesgesetz,

25 dem das Postulat rufe, würde nur die Gewähr schaffen, dass der Anwalt auf einem bestimmten beschränkten Bechtsgebiete diejenigen Kenntnisse besitze, deren er zur gehörigen Ausübung seines Berufes bedürfe. Hinsichtlich aller übrigen Kechtsgebiete -- Strafrecht, Zivilprozess- und Strafprozessrecht, kantonales Staats- und Verwaltungsrecht -- würde am gegenwärtigen Zustande und damit auch an der Möglichkeit nichts geändert, dass ein Bewerber zur Advokatur in irgendeinem Kanton gestützt auf ein Fähigkeitszeugnis zugelassen werden müsse, das nach den im Prüfungskanton für die Erteilung geltenden Voraussetzungen eine wirklich gründliche Vorbildung in diesen Materien nicht zu gewährleisten vermöge. Gerade die Kenntnis des Verfahrensrechtes sei aber zum Schutze des Klienten mindestens ebenso wichtig, häufig sogar noch wichtiger als diejenige des materiellen Eechts (das der Bichter ohnehin auf den vorgetragenen Tatbestand von Amtes wegen anzuwenden habe), um zu verhüten, dass begründete Ansprüche oder Einwendungen gegen einen Anspruch durch Fehler in der Prozessführung verwirkt würden. Auch der Wert der Prüfung im eidgenössischen Hecht würde zudem, je nach der Zusammensetzung der Prüfungskommissionen, sehr verschieden sein, solange diese von den Kantonen bestellt würden und dem Bunde darauf kein Einfluss zukomme. Es könnte ferner dadurch nur ein gewisses Mass theoretischer Kenntnisse, nicht auch die .Fähigkeit zu ihrer praktischen Verwertung in der besondern Stellung eines Parteiberaters und -Vertreters gewährleistet werden. Dazu müsste für die Zulassung zur Prüfung eine Lehrzeit (stage) von gewisser Dauer, bestanden an einem dazu geeigneten Orte, verlangt werden. Dieses Erfordernis könne aber der Bund nicht vorschreiben, solange die Geiichtsorganisation und damit auch die öffentlich-rechtlichen Pflichten, welche mit der Ausübung des Anwaltsberufes verbunden sind, durch das kantonale Kecht bestimmt werden; infolgedessen sei er nicht befugt, die Gerichte und Anwälte eines Kantons zur Annahme von Volontären (stagiaires) anzuhalten.

Anderseits sei zu befürchten, dass gerade durch den Erlass eines solchen Gesetzes die -- bisher doch noch verhältnismässig seltenen -- Fälle sich häufen würden, wo ein Bewerber, die strengern Bedingungen seines Wohnsitzkantons durch Ablegung der Prüfung in einem andern Kanton
umgeht. Wenn der Bund für die Prüfung in bestimmten Disziplinen einheitliche Anforderungen aufstelle, so; erkläre er damit auch, dass wer sie erfüllt, als tauglich zur Ausübung des Anwaltsberufes nach der bezeichneten Eichtung angesehen werden dürfe.

Die Ablegung der Prüfung ausserhalb des Wohnsitzkantons bzw. des Kantons, in dem der Bewerber wirklich den Anwaltsberuf ausüben will, werde daher nicht mehr in dem Grade den Charakter einer Umgehung tragen wie jetzt, und es werde ihr damit ein Teil des damit verbundenen Makels genommen werden, womit sich auch der Anreiz dazu erhöhen müsse.

Sollte der Ubelstand, dass auf diesem Wöge sachlich ungenügend vorbereitete Elemente in den Anwaltsstand eines Kantons Eingang finden, sich wirklich in erheblichem Masse fühlbar gemacht haben, so bedürfte es, um ihn zu heben, einschneidenderer Massnahmen, als das Postulat sie vorsehe. Es müsste, damit

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ein kantonaler Fähigkeitsausweis Anspruch auf Anerkennung auch in andern Kantonen besitzt, von Bundes wegen eine Prüfung nach gewissen Mindesterf ordernissen nicht nur im eidgenössischen Recht sondern auch in den übrigen, dem kantonalen -Recht verbliebenen Disziplinen verlangt werden (wobei immer noch die Kenntnis eines bestimmten kantonalen Rechts keine Gewähr für.die Fähigkeit zur Handhabung auch anderer kantonaler Gesetzgebungen bieten .

würde), oder es müssten -- als ein allerdings noch unzulänglicherer Behelf -- wenigstens für die Prüfung im eidgenössischen Recht eidgenössische, zum.

mindesten vom Bund kontrollierte Prüfungsinstanzen eingesetzt werden. Da das Postulat selbst so weit nicht gehen wolle, stehe auch die Frage der Opportunität eines solchen Eingriffes und der Schranken, welche sich dafür: allenfalls aus dem geltenden Verfassungsrecht, insbesondere aus der ihm zugrunde liegenden Kompetenzabgrenzung zwischen Bund und Kantonen, ergeben könnten, gegenwärtig nicht zur Erörterung. Wenn das Bundesgericht auf solche Lösungen hinweise, so geschehe es denn auch nicht, um sie zu befürworten, sondern ausschliesslich um darzutun, dass jedenfalls auf dem von Nationalrat Zurburg ins Auge gefassten Wege der von ihm beklagte Übelstand nicht .beseitigt werden könne.

· Auf Grund der vorliegenden Darstellung gelangen wir zu nachstehenden Erwägungen und Schlussfolgerungen: Ì. Das Postulat bezweckt nicht die Schaffung eines obligatorischen eidgenössischen Staatsexamens, das Voraussetzung für die Zulassung zur Advokatur in allen Kantonen wäre. Eine solche Regelung würde dem-ersten Alinea von Art. 33 BV widersprechen, welches zweifellos den Kantonen die Freiheit einräumt, auf einen Befähigungsausweis ganz zu verzichten, Können die Kantone aber nicht gezwungen werden, überhaupt einen Ausweis zu fordern, so ist daraus a fortiori abzuleiten, dass sie auch nicht dazu angehalten werden können, die von ihnen verlangten Ausweise auf ein bestimmtes höheres Minimalniveau zu erheben.

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II. Eine andere Frage ist die, ob die Kantone berechtigt seien, ihre Anforderungen für den Befähigungsausweis beliebig hoch zu stellen. Hier ist zu unterscheiden. Zu bejahen ist die Frage ohne weiteres gegenüber allen denjenigen, welche sich um die Bewilligung zur Advokatur bewerben, ohne einen in einem andern Kanton erworbenen
Ausweis vorlegen zu können. In diesen.

Fällen kommt nur das autonome Recht des Kantons, kerne Freizügigkeit, in Frage; der erste Absatz .von Art. 33 BV ist vorbehaltlos massgebend, III. Anders stellt sich die Rechtslage," wenn ein Bewerber sich meldet mit dem Ausweis aus einem fremden Kanton. Hier kommen nun Art. 83, AI. 2, und Art. 5 der Übergangsbestimmungen BV in Betracht. Art. 38, AI. 2, will die Möglichkeit der Freizügigkeit schaffen, und zwar auf dem Wege der Bundes-, gesetzgebung. Welches, die bundesrechtlichen Voraussetzungen für die Freizügigkeit sein sollen, ist nicht gesagt. Die Grenze nach unten ist nur in der Form gesetzt, dass es eben doch ein Bef ähigungsausweis sein muss und-'nicht

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etwa bloss eine Bescheinigung darüber, dass im Kanton, aus dem der Bewerber kommt, die Advokatur freigegeben sei. D e n k b a r ist die Lösung, dass die Bundesgesetzgebung eigentliche eidgenössische Prüfungen schaffe, deren:Bestehen das Anrecht auf Zulassung in jedem Kanton gibt. Denkbar ist ferner, -- und das ist das Ziel des Postulates Zurburg --, dass die Bundesgesetzgebung gewisse Mimmalanforderungen an die kantonalen Prüfungen stellt, welche dann die Freizügigkeit in allen andern Kantonen gewährleisten. Endlieh ist auch d e n k b a r , -- und darin besteht die Übergangslösung des Art. 5 --, dass j e d e r kantonale Befähigungsausweis, beruhe er nun auf einem eigentlichen Examen oder auf der Bewertung bisheriger praktischer Betätigung, als Grund-.

läge für die Freizügigkeit genüge.

IV. Gegenüber frühern Äusserungen des Bundesgerichtes ist wohl zu.betonen,, dass allerdings diese Übergangslösung eine starke Herabsetzung des Niveaus der Anforderungen an die Advokatur bedeutet, dass .aber die darin liegende Abschwächung der Bedeutung des Befähigungsausweises für die wissenschaftlichen Berufsarten, also diese Entwicklung in der Eichtung der freien Berufsausübung nicht ohne weiteres als Absicht des Verfassungsrechtes dargestellt werden darf, die nun bei der zukünftigen Verwirklichung von Art. 33, AI. 2 BV, für die Ausgestaltung der Bundesgesetzgebung massgebend sein müsste. Zweifellos stand man anlässlich der Verfassungsrevision von 1874 dem Grundsatze der uneingeschränkten Freizügigkeit naher, als dies in der gegenwärtigen Zeit der Fall ist. Heute wird aber anerkannt, dass der durch Art. 5 geschaffene Übergangszustand nicht befriedigend ist, dass er die Möglichkeit öffnet, die berechtigten Anstrengungen einzelner Kantone zur Schaffung eines seriösen Anwaltsstandes durch Umgehung zu durchkreuzen. Dass diese Kantone wenigstens geschützt werden -- wogegen die andern Kantone, welche ihre eigenen Prozessführenden und ihre Gerichte minderwertigen Advokaten ausliefern wollen, auf ihrem Kantonsgebiete eben Meister bleiben---, wäre doch ein erstrebenswerter Fortschritt.

V. Nun stellt sich aber die Frage, ob die Notwendigkeit, die Wünschbarkeit, die Möglichkeit einer Besserung besteht, welche den Versuch einer Bundesgesetzgebung und den hierzu erforderlichen Aufwand in heutiger Zeit rechtfertigt. Das wird
verschieden beantwortet. Das Bundesgericht verneint die Frage, glaubt mit dem zweiten Referenten des Anwaltstages, dass die eigentlichen Uingehungsmanöver nur in sehr beschränkter Zahl vorkommen und sogar vielleicht eher anwachsen würden, wenn man durch ein quasi eidgenössisches Examen diesen Umgehungen noch ein legales Mäntelcben umhängen würde; Der Anwaltstag hat zwar eine starke Mehrheit zur Unterstützung des Postulates Zurburg ergeben, die aber nicht ganz den Äusserungen der kantonalen Sektionen des schweizerischen Anwaltsverbandes entspricht. Die Antwort der kantonalen Gerichtsinstanzen lautet mehrheitlich ablehnend.. Die welsche Schweiz ist fast durchwegs gegen das Postulat eingenommen.

VI. Zahlenmässig lassen sich die vorgekommenen Umgehungen nur schwer erfassen. Auszugehen ist von der Zahl der gegenwärtig in den verschiedenen

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Kantonen, gestützt auf einen aussérkantonalen Befähigungsausweis, berufstätig niedergelassenen Anwälte. Eine vom Justiz- und Polizeidepartement .durchgeführte Umfrage ergibt für diejenigen Kantone, die überhaupt ihre Anwälte zur :Ablegung eines Examens verhalten, folgendes Bild : Anwälte mit ausserkantonalem Ausweis

Zürich .. . · 49 Bern 27 Luzern 5 Schwyz 0 .

Obwalden . . . . . . .

l Nidwaiden . 0 Freiburg 4 Solothurn . ' 2 .

Baselstadt . . . . . . .

12 Baselland 2 Appenzell I.-Rh 0 St. Gallen 7 Aargau 11 Thurgau 3 Tessin . . . . . . . . .

5" Waadt. . .

4 Wallis 3 Neuenburg l Genf.

o Insgesamt 141 Auf den 6. Juli 1928 belief sich laut Rechenschaftsbericht des Obergerichts die Gesamtzahl der im Kanton Zürich wohnenden praktizierenden Eechtsanwälte auf 807. Von diesen sind 49 als Nichtinhaber des zürcherischen Patentes gestützt auf Art. 5 der Übergangsbestimmungen BV zugelassen worden, und zwar mit Patent des Kantons Thurgau .

14 Aargau 8 St. Gallen 6 Bern 6 Schwyz . . . . . . . .

3 Luzern 2 Nidwaiden 2 Solothurn 2 Appenzell I.-Eh 2 Genf 2 Baselstadt l Obwalden .

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29 Diese beiden Übersichten lassen unzweideutig erkennen, dass von einer Überhandnähme der Umgehungen kaum gesprochen werden kann. Es darf wohl nicht zu Unrecht angenommen werden, dass die meisten der Anwälte mit ausserkantonalem Ausweis aus wirtschaftlichen Gründen oder Familienrücksichten, aber jedenfalls nicht in illoyaler Absicht von der Freizügigkeit Gebrauch machten. Sieht man von diesen ab, dann bleibt angesichts der überhaupt geringen Gesamtzahl für die Fälle wirklich beabsichtigter Umgehung strenger Prüfungsanforderungen wenig Kaum. Dass Umgehungen vorkommen, ist unbestritten; doch scheint es sich dabei um vereinzelte Ausnahmeerscheinungen zu handeln.

VII. Die Hemmungen gegen die Verwirklichung des Postulates Zurburg kommen nicht von ungefähr. Während die Ausübung z. B. der medizinischen Wissenschaft auf allgemeiner Grundlage beruht, nicht an kantonale Schranken, nicht an sprachliche Kenntnisse gebunden ist, stellen sich die Verhältnisse in der Advokatur ganz anders dar. Wir haben erst in beschränktem Masse eidgenössisches materielles Eecht, im wesentlichen das Zivilrecht und das Vollstreckungsrecht. Diese b e i d e n Gebiete stehen aber --. und das haben sowohl die Postulante!! als ihre Anhänger im Anwaltsverband sicherlich zu wenig beachtet -- schon heute in allen Prüfungskantonen ausnahmslos auf der Liste der Examenfächer.

Auch wenn das Strafrecht dazu kommt, so fehlt doch noch ein eidgenössischer Prozess .-- für dio Ausübung des Anwaltsberufes gewiss ein ausserordentlich wichtiges Moment. Als Minimalforderungen könnten wir also nur die Prüfung im eidgenössischen Eecht und in den rechtshistorischen und enzyklopädischen Grundlagen des Rechtes überhaupt, in Nationalökonomie und etwa im Völkerrecht --welche ebenfalls heute schon regelmässig den Examenstoff bilden -- vorschreiben. Oder können und wollen wir noch Kenntnisse im römischen, im gemeinen Rechte verlangen, obschon verschiedene der geltenden kantonalen Prüfungsreglemente dies nicht mehr vorsehen ? Hat es -- vom Gesichtspunkt der Freizügigkeit aus -- einen Sinn, die Prüfung im kantonalen Rechte des Zulassungskantons zu verlangen,, da sie ja doch kerne Gewähr für die Kenntnis des Rechtes eines spätem. Freizügigkeitskantons bietet ? Und genügt die Vorschrift der P r ü f u n g in diesen Disziplinen oder müsste der Bund sich durch
Experten an der Prüfung beteiligen ? Gibt ihm Art. 83, AI. 2 BV, das Recht zu solcher Beteiligung an kantonalen Prüfungen? Oder umgekehrt, wenn die Kantone gezwungen werden, Prüfungen zum Erwerb von Freizügigkeitsdiplomen einzurichten nach Art. 33, AI. 2, können sie dann nicht vom Bunde verlangen, dass er ihnen die Prüfungsorgane zur Verfügung stelle? Hat er sie zur Verfügung?

VIII. Wir haben durch die eingehende Darstellung der ganzen Vorgeschichte des Postulates Zurburg, durch die möglichst unverkürzte Wiedergabe der sachverständigen Begutachtungen, durch objektive Darlegung unserer eigenen Einschätzung des pro und kontra wohl dargetan, welche Bedeutung wir sowohl dem Freizügigkeitsgedanken des Art. 88, AI. 2 BV, einerseits als

30 auch dem Interesse an einem tüchtigen Anwaltsstand anderseits beilegen.

Wir machen auch kein Hehl daraus, dass wir dem letztern Gesichtspunkte das weitaus grössere Gewicht zugestehen. Der Bund hat gar kein Interesse daran, durch doktrinäre Überspannung des Freizügigkeitsprinzips ein qualitativ minderwertiges Anwaltsproletariat züchten zu helfen. Aber wir sind durch unsere Untersuchung zu dem Eesultate gelangt, dass das, was durch die Ausführung des Postulats Zur bürg im Sinne des schweizerischen Anwaltsverbandes erreicht werden will und kann, praktisch bereits vorhanden ist in den Prüfungsbestimmungen aller Kantone, welche ein Anwaltsexamen besitzen; dass ein Gesetz mit weitergehenden Anforderungen dann berechtigt sein kann, wenn 1. grössere Übelstände als heute sich bemerkbar machen sollten oder 2. der eidgenössische Eechtsstoff sich mehrt, ohne dass die Kantone ihn aus freien Stücken als neue Prüfungsmaterie aufnehmen würden. Heute würde der Aufwand einer gesetzgeberischen Regelung in keinem Verhältnis zum Ergebnis, stehen. Die Frage wird frühestens nach Annahme eines eidgenössischen Strafgesetzes wieder aufzunehmen und auch dann noch mit aller Sorgfalt zu prüfen sein,weil eben die Eolle des Prozessrechtes nach wie vor ausschlaggebend in Betracht fallen dürfte. -- Aus diesen Gründen gedenkt der Bundesrat zurzeit dem Postulat Zurburg von sich aus keine Folge zu geben. Er betrachtet aber die Anregung Zurburg sowie die ihr zu verdankenden Kundgebungen und die gemachten Erhebungen als wertvolles Material für die Zukunft und darum nicht als ver. lorene Arbeit.

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Indem wir Ihnen beantragen, von vorliegendem Berichte in zustimmendem Sinne Kenntnis zu nehmen, bitten wir Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung zu genehmigen.

Bern, den 4. Januar 1929.

Im Namen dés Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: ; Dr. Haab.

Der Bundeskanzler: .

Kaeslin.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über das Postulat Zurburg vom 16.

Oktober 1924. (Vom 4. Januar 1929.)

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1929

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