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Weisungsbehörden, welche sich, auf Übertretungen des Bundes gesetzes vom 24. Juni 1904 betreffend die Überwachung der Einführung und der Verwendung von Brieftauben beziehen, sofort nach Erlass an uns einzusenden.

Wir benützen diesen Anlass, Sie, getreue, liebe Eidgenossen,, samt uns in Gottes Machtschutz zu empfehlen.

B e r n , den 14. Oktober

1913.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Müller.

Der I. Vizekanzler: David.

# S T #

Bundesratsbeschluss betreffend

die Abonnentenversicherung (Vom 23. September 1913.)

Der schweizerische Bundesrat, in Ausführung der Art. l, 9 und 16 des Bundesgesetzes vom 25. Juni 1885 betreffend Beaufsichtigung von Privatunternehmungen auf dem Gebiete des Versicherungswesens (A. S. n. F.

VIII, 171); auf Antrag seines Justiz- und Polizeidepartementes, beschliesst:

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1. Der Betrieb der Abonnenten Versicherung untersteht den Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 25. Juni 1885 betreffend Beaufsichtigung von Privatunternehmungen auf dem Gebiete des Versicherungswesens.

2. Die Abonnentenversicherung wird nur gestattet, wenn sie von einer zum Geschäftsbetriebe in der Schweiz zugelassenen Versicherungsgesellschaft übernommen wird.

Die Grundlagen der Abonnentenversicherung sind von der Versicherungsgesellschaft dem Bundesrat bekanntzugeben. Die Abonnentenversicherung darf erst in Kraft gesetzt werden, nachdem der Bundesrat die Genehmigung erteilt hat.

3. Schon bestehende Zusicherungen, wonach Verleger von Zeitungen oder Zeitschriften versprochen haben, ihren Abonnenten beim Eintritt bestimmter Schadensfälle Vermögensleistungen, wenn auch nur in der Form sogenannter freiwilliger Leistungen, auf eigene Rechnung zu gewähren, sind bei einer zum Geschäftsbetriebe in der Schweiz zugelassenen Versicherungsgesellschaft in Deckung zu geben. Die Deckung hat innerhalb einer Frist zu erfolgen, die vom schweizerischen Justiz- und Polizeidepartemente bestimmt wird.

4. Dieser Bundesratsbeschluss tritt sofort in Kraft.

-Bern, den 23. September

1913.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Müller.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Schatzmann.

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JE$e°friiiiclu.ng'.

Zuerst in E n g l a n d trat die Erscheinung zutage, dass Verleger von Zeitschriften und Zeitungen ihren Abonnenten für den Fall des Eintrittes bestimmter Schadensfälle Vermögensleistungen in Aussicht stellten. Diese sogenannte Abonnentenvergicherung, die in England stark verbreitet und daher auch von einer gewissen wirtschaftlichen Bedeutung ist, hat ebenfalls auf dem Kontinent Eingang gefunden. Namentlich erwies sich D e u t s c h l a n d , wo die Abonnentenversicherung zuerst im Anfang der Neunzigerjahre auftrat, als fruchtbarer Boden. Unter dem Drucke eines durch die intensive journalistische Produktion hervorgerufenen starken Konkurrenzkampfes entwickelte sich diese Art der Abonnentenvergünstigung ausserordentlich rasch und nahm dabei Formen an, die nicht immer das Interesse der Abonnenten im Auge hatten, sondern dazu angetan waren, den Abonnenten Enttäuschungen zu bereiten. Es ist daher begreiflich und war auch sehr zu begrüssen, dass das deutsche Aufsichtsamt für Privatversicherung gleich zu Beginn seiner Tätigkeit dieser Erscheinung seine Aufmerksamkeit zuwandte und die Abonnentenversicherung unter Staatsaufsicht stellen wollte. Es vertrat die Ansicht, dass die Gewährung von Versicherungsleistungen, verbunden mit dem Zeitungsvertrieb, ein Versicherungsunternehmen darstelle, das nach § l des Reichsgesetzes über die privaten Versicherungsunternehmungen vom 12. Mai 1901 der Staatsaufsicht unterliege und daher nur mit ausdrücklicher Bewilligung der Staatsbehörde betrieben werden dürfe. Nach dieser Anschauung würde die Gewährung solcher Leistungen durch die Verleger ohne Zustimmung der Aufsichtsbehörde unter die Strafbestimmungen des § 108 des zitierten Reichsgesetzes fallen. Diese Auffassung des Aufsichtsamtes fand jedoch vor den Gerichten keinen Schutz. Das Reichsgericht stellte sich vielmehr auf den Standpunkt, dass ein seihständiges, unter den § l des Gesetzes; fallendes VersicherungsunterEehmen nur vorliege, wenn ,,das Versicherungsgeschäft nach der gewerblichen Tendenz und Organisation des Unternehmens die Hauptsache und die Zeitung Hülfsorgan im Dienste des Betriebes. ista (Entscheidung des Reichsgerichtes vom 27. Februar 1913. RGE in Strafsachen 36, 127 ff. In gleichem Sinne Entscheidung des Reichsgerichtes vom 23. September 1902.. RGB in Strafsachen 35, 346 ff.). Dieser
der Stellungnahme des Aufsichtsamtes schroff entgegenstehende Standpunkt wurde etwas gemildert durch ein Urteil des Reichsgerichtes vom 18. Juni 1907, indem hier eine mit einem Zeitungsunter-

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nehmen verbundene Sterbegeldversicherung als aufsichtspflichtig erkannt wurde, weil, nach den tatsächlichen Verhältnissen, der Versicherungsbetrieb das Zeitungsunternehmen an wirtschaftlicher Bedeutung erheblich überragte. (In gleichem Sinne Landgericht in Frankfurt a. M. vom 14. Oktober 1907.) Diese Entscheidung, die durch ein Urteil des gleichen Gerichtes vom 17. Februar 1908 bestätigt wurde, brachte keine prinzipielle Änderung der Rechtslage in bezug auf die Abonnentenversicherung. Die Folge dieser Entscheidung des Reichsgerichtes war, dass die Abonnentenversicherung in der Mehrzahl der Fälle der Staatsaufsicht entging, und dass es dem Aufsichtsamte nicht möglich war, auf die Gestaltung dieser Versicherungsform einzuwirken. Dieser Umstand war von bedenklichen Folgen. Den Verlegern war es nunmehr freigestellt, die Abonnentenversicherung auf eigene Rechnung zu betreiben und natürlich auch, dieselbe nach eigenem Gutdünken einzurichten. Dass dabei die Interessen der Versicherten zu kurz kommen mussten, liegt auf der Hand. Nicht nur fehlt der solide Rückgrat einer wohl fundierten und gut geleiteten Versicherungsgesellschaft, sondern auch die Versicherungsbedingungen« sind mangelhaft und nicht selten darauf angelegt, die Abonnenten um ihr vermeintliches Recht zu bringen. Infolge der Leichtigkeit, mit der angesichts dieser Stellungnahme des Reichsgerichtes Zeitungsverleger nunmehr dieses Reklamemittel benutzen konnten, nahm gerade die u n b e a u f s i c h t i g t e Abonnentenversicherung immer mehr überhand, und aus Konkurrenzriicksichten machten auch viele Verleger notgedrungen von dem Reklamemittel Gebrauch, die es im Grunde missbilligten. Die Abonnentenversicherung wurde von der deutschen Presse geradezu als eine Last empfunden, und es ist daher nicht zu verwundern, dass sie darnach strebte, ein gänzliches Verbot der Abonnentenversicherung zu erwirken.

Dieses Bestreben fand seinen Ausdruck in einem vom Grafen von Hompesch und Konsorten am 11. Dezember 1908 im Deutschen Reichstag eingereichten Antrag, der folgenden Wortlaut hatte: ,,Der Reichstag wolle beschliessen, die verbündeten Regierungen zu ersuchen, noch in dieser Session einen Gesetzesentwurf über die Abänderung des Pressegesetzes vorzulegen, durch welchen bestimmt wird, dass mit der Herausgabe von Zeitungen und Zeitschriften eine Versicherung
irgendwelcher Art nicht verbunden werden dürfe."

Dieser Antrag beschäftigte den Deutschen Reichstag zu mehreren Malen. Am 11. Januar 1913 legte das Reichsamt des

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Innern dem Reichstage eine Denkschrift über die Abonnentenversicherung vor, in der die Verhältnisse in bezug auf diese Versicherungsart eingehend dargelegt werden. Der Reichstag hat sich bei Anlass der Feststellung des Reichshaushaltsetats für das Rechnungsjahr 1913 auf Grund der Denkschrift in längerer Debatte neuerdings über die Abonnentenversicherung ausgesprochen, ohne dass indessen ein Beschluss gefasst wurde.

In der Denkschrift gibt das Reichsamt des Innern der Meinung Ausdruck, dass die Verbindung der Versicherung mit einem anders gearteten Geschäftsbetriebe -- einem Zeitungsverlag -- gewisse Bedenken wachrufen müsse. Indessen habe das Aufsichtsamt die Abonnentenversicherung so ausgestaltet, dass nach seiner Überzeugung die Zulassung nicht versagt werden könne.

Damit wird gesagt, dass die Abonnentenversicherung, sofern sie der Aufsicht untersteht, die Interessen der Versicherten nicht gefährde und den guten Sitten nicht widerspreche (§ 7 dos Reichsgesetzes über die privaten Versicherungsunternehmungen vom 12. Mai 1901).

Anders liegen die Verhältnisse in bezug auf die unbeaufsichtigte Abonnentenversieherung. Aus der Denkschrift geht mit aller Bestimmtheit hervor, dass die unbeaufsichtigte Abonnentenversicherung die Bedingungen einer einwandfreien Versicherung keineswegs erfüllt, sondern dass sie in vielen Fällen die Interessen der Versicherten im unverantwortlicher Weise verletzt, oder es geradezu auf die Irreführung und Übervorteilung der Abonnenten absieht. Gegen diese Form der Abonnentenversicherung richtet sich hauptsächlich der Ansturm der Presse. Die unbeaufsichtigte Abonnentenversicherung überwiegt denn auch an Bedeutung bei weitem die beaufsichtigte, wie aus folgenden Zahlen hervorgeht: Nach den Angaben der Denkschrift betrug auf Ende 1911 a. bei der beaufsichtigten Abonnentenversicherung die Zahl der Zeitungen 154, die Zahl der versicherten Abonnenten 1,766,465; o. bei der unbeaufsichtigten Abonnentenversicherung die Zahl der Zeitungen 143, die Zahl der versicherten Abonnenten 2,569,226, also rund 800,000 mehr als bei der beaufsichtigten Abonneatenversicherung.

Aus den a n d e r n S t a a t e n liegen keine zu verlässigen Angaben über den allgemeinen Stand der Abonnentenveraicherung vor. Doch scheint sie überall, wo sie Wurzel fasst, an Boden zu gewinnen. In Ö s t e r r e i c h ergeben sich für die Versicherungs-

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Unternehmung, die zuerst die Abonnentenversicherung einführte, folgende Zahlen: (Österreichische Versicherungszeitung und Versicherungsrecht, 40. Jahrgang Nr. 8: ,,Die Abonnentenversicherung in Österreich", von Friedrich von Schönfeld).

Unfallversicherung .

darunter AbonnentenAusTodesfälle zahlungen à K. 1000 stand

Jahr

1906 Ï907 1908 1909 1910 1911 1912

136

298 790 1018 1274 1627 1736

5 11

20 27 18 23 27

13,888 34,931 41,355 36,730 38,788 41,519 46,533

Gesamtbeträge der Auszahlungen

K.

,, ,, ,, ,, ,, ,,

10,603.50 33,747.44 75,976.34 108,701.62 102,852.78 119,330.90 123,145.19

Sterbegeldversicherung.

Jahr

Aus-

zahlungen

Abonnentenstand

Gesamtbeträge der Auszahlungen

K. 8,900 ,, 32,950 ,, 34,500 Die Anfänge der Abonnenten Versicherung in der S c h w e i z liegen ebenfalls in den Neunzigerjahren. Die schweizerische Aufsichtsbehörde stellte sich von Beginn an auf den Standpunkt, dass die Abonnentenversicherung der Staatsaufsicht unterliege.

Art. l, Absatz l des schweizerischen Aufsichtsgesetzes vom 25. Juni 1885 unterstellt der Staatsaufsicht schlechthin alle Versicherungsunternehmen, welche auf dem Gebiete der Schweiz Geschäfte betreiben wollen. Bin Anhaltspunkt zu der vom Reichsgericht in bezug auf das deutsche Gesetz gemachten Unterscheidung von Haupt- und Nebenbetrieb ist in den schweizerischen Gesetzesmaferialien nicht zu finden. Es ist daher anzunehmen, dase die Konzessionspflicht bestehe, sobald ein Versicherungsbetrieb eröffnet wird, der nicht bloss örtlichen Charakter hat.

Diese Auffassung gewinnt an Kraft, wenn man bedenkt, dass der vornehmste Zweck des Aufsichtsgesetzes darin besteht, die Interessen der Versicherten in jeder Hinsicht zu schützen. Dieser Schutz ist gerade bei der Abonnentenversicherung, wo die Versicherang nicht Selbstzweck, sondern Nebenzweck -- Reklamemittel -- ist, und daher der Ernst des Versicherungsbetriebes leicht 1910 1911 1912

178 659 690

38,788 41,519 46,533

450 in Frage gestellt wird, besonders geboten. Es hiesse den Sinn der schweizerischen Staatsaufsicht verkennen, wenn man, entsprechend der Auffassung des Reichsgerichtes, annehmen wollte, dass sie nur dann einzusetzen habe, wenn die Versicherung als Hauptzweck und an Bedeutung überragend erscheint. Der Anspruch des Publikums auf staatlichen Schutz gegen die Auswüchse der Versicherung besteht, sobald es überhaupt mit einer Versicherung in Berührung tritt. Deshalb muss auch Art. 9, Absatz l des Aufsichtsgesetzes, wonach der Bundesrat jederzeit die ihm durch das allgemeine Interesse und das Interesse der Versicherten geboten erscheinenden Verfügungen zu treffen hat, Anwendung finden, sobald irgendeine Abonnentenversicherung vorliegt. Dass es hier erhebliche und wachsende wirtschaftliche Interessen des Volkes zu schützen gilt, ergibt sich aus folgenden, den Geschäftsberichten der in der Schweiz konzessionierten Unfallversicherungsgesellschaften entnommenen Zahlen : ,,..


1906 1907 1908 1909 1910 1911

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

Zahl der Abonnenten

Prämien Fr.

7,354 8,720 26,000 125,334 132,333 128,637

8,809.-- 22,667.40 50.072.32 184^412.43 188,912.95 211,466.66

Die schweizerische Aufsichtsbehörde hat im Laufe der Jahre eine Anzahl Grundsätze herausgebildet, nach denen die Abonnentenversicherung geordnet werden soll und die dazu bestimmt sind, die Interessen der Versicherten zu wahren. Diese Grundsätze entstammen nicht theoretischen Erwägungen, sondern sie sind ein Ausfluss der Praxis und entsprechen den Bedürfnissen, wie sie der einzelne Fall zu bieten schien. Die Versuchung liegt nun nahe, die aus don bisherigen Erfahrungen abgeleiteten Massnahmen in einer allgemein gültigen Verordnung zusammenzufassen.

Der Erlass einer derartigen, eingehenden Verordnung erscheint indessen doch noch als verfrüht.

Die von der Aufsichtsbehörde ausgebildeten Grundsätze stellen nicht den Abschluss einer Entwicklung dar, sondern sie sind noch weiterer Ausbildung fähig. Wie die Versicherung überhaupt, so wird auch die Abonnentenversicherung einer fortwährenden weiteren Ausgestaltung unterworfen sein. Es werden sich, entsprechend den veränderten Verhältnissen, oder angeregt

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durch neue Ideen, auch wiederum neue Formen der Abonnentenversicherung bilden, die vielleicht besonderen, ihnen angepassten Massnahmen der Behörden rufen. Es ist daher nicht zu wünschen, dass die Aufsichtsbehörde schon jetzt durch die Festlegung detaillierter Regeln gebunden werde, sondern es ist vorzuziehen, dass sie für ihre Massnahmen noch vollkommene Freiheit bewahre. Dagegen werden die bis jetzt aus der Praxis gewonnenen Grundsätze der Aufsichtsbehörde für ihr weiteres Verhalten der Abonnentenversicherung gegenüber eine wertvolle Richtschnur abgeben. Dabei mögen auch die Erfahrungen und Massnahmen anderer Aufsichtsbehörden zu Rate gezogen werden.

Ist es nun auch nach dem Gesagten nicht ratsam, eine eingehende Verordnung über die Abonnentenversicherung aufzustellen, so haben sich die Verhältnisse doch derart gestaltet, dass die Bekanntgabe einiger wichtiger, für das Verhalten der Aufsichtsbehörde grundlegender Vorschriften unabweisbares Bedürfnis ist.

1. Zunächst erscheint es notwendig, einmal ausdrücklich festzustellen, dass jede Art der Abonnentenversicherung unter den Begriff des Versicherungsunternehmens im Sinne des Art. l des Aufsichtsgesetzes vom 25. Juni 1885 fällt, und dass sie demnach der Bundesaufsicht untersteht. Diese Feststellung ist namentlich auch geboten im Hinblick auf die Verhältnisse, wie sie sich in Deutschland durch die Stellungnahme des Reichsgerichtes gestaltet haben.

Es fragt sich nun allerdings, welche Wirkung einer solchen Feststellung des Bundesrates zukomme, insbesondere, ob nicht, wie in Deutschland, ein abweichender Entscheid einer Gerichtsbehörde, insbesondere des Bundesgerichtes, den Beschluss illusorisch machen könne. In der Tat gelangt man hier zu einer heiklen Rechtsfrage, nämlich zu der Frage über die Abgrenzung des Kompetenzbereiches zwischen Verwaltungs- und Gerichtsbehörde. Die Frage kann folgendermassen gestellt werden : ,,Wer entscheidet darüber, ob eine Versicherungsunternehmung im Sinne des Art. l des Aufsichtsgesetzes vorliege, der Bundesrat als Aufsichtsbehörde, oder der Richter, dem es obliegt, die Gesetzesübertretung zu bestraf en?", oder anders gefasst : ,,Ist der kantonale Strafrichter an den Entscheid der Aufsichtsbehörde, der ein Unternehmen der Staatsaufsicht unterstellt, gebunden, oder hat er selbständig zu prüfen, ob ein aufsichtspflichtiges Unternehmen bestehe?"

Über diese Frage hat Herr Prof. Dr. Burckhardt ein Gut-

452 achten erstattet. Dieses gelangt zu dem Schluss, dass die Strafgerichte bei der Anwendung eidgenössischer Verwaltungsgesetze an die Ansicht oder an die Entscheidung der Verwaltungsbehörden nicht gebunden seien. Ebenso sei aber auc'a der umgekehrte Satz richtig, dass die Verwaltungsbehörde nicht an die vom Gericht dokumentierte Rechtsauffassung gebunden sei. Die Schlussfolgerungen des Gutachtens entsprechen auch der Rechtsauffassung der Aufsichtsbehörde. Administrative und richterliche Instanz haben demnach unabhängig voneinander zu entscheiden.

Die Aufsichtsbehörde ist also in ihren Massnahmen nicht an" die Auffassung der Gerichte gebunden, sondern kann denselben ihre eigenen Anschauungen zugrunde legen. Wie aber gestaltet sich die Situation, wenn Gericht und Aufsichtsbehörde nicht einig gehen? Nach dem Aufsichtsgesetze ist die Strafklage das einzige Mittel, um von den Betroffenen die Durchführung einer Massnahme zu erzwingen. Teilt das Gericht die Anschauung der Aufsichtsbehörde nicht, so hat dies zur Folge, dass die Massnahme wirkungslos bleibt. Dem Bundesrat steht nur noch das Recht zur Ansfällung einer Busse im Sinne des Art. 10 des Aufsichtsgesetzes zu. Der Standpunkt der Gerichte ist somit für das Verhalten der Aufsichtsbehörde, wenn auch nicht rechtlich, so doch tatsächlich von entscheidender Bedeutung.

Trotz dieser Überlegungen und Bedenken darf nicht gezögert werden, die in Art. l des Bundesratsbeschlusses enthaltene Feststellung zu machen. Das Eingreifen der Aufsichtsbehörde in diese Verhältnisse ist dringend geboten. Die Unterstellung der Abonnentenversicherung unter die Staatsaufsicht bildet zudem die Grundlage zu allen weiteren Massnahmen. Ohne diese Voraussetzung ist es nicht möglich, den mit dieser Versicherungsart verbundenen Missständen beizukommen. Es muss den Zeitungsverlegern die Pflicht auferlegt werden, sich der Beaufsichtigung des Bundesrates zu unterziehen. Erst wenn die Tatsache der Aufsichtspflicht feststeht, ist ja auch die Handhabe zu einer strafrechtlichen Verfolgung gegeben. Dem Bundesrat kommt also notgedrungen die Priorität in der Stellungnahme zu dieser Frage zu.

Er m u s s , wenn er sich überhaupt mit der Abonnentenversicherung befassen will, vorgehen ohne Rücksicht auf dio allfällige Stellungnahme der Gerichte. Erst wenn die Aufsichtsbehörde ihren Standpunkt
bekanntgegeben hat, können die Gerichte sprechen. Es ist dann wohl möglich, dass in der Schweiz die gleiche Situation entsteht, wie wir sie heute in Deutschland finden, d. h. dass die Aufsichtsbehörde infolge der abweichenden Auf-

453 fassung der Gerichte, die den im Interesse des Publikums getroffenen Massnahmen den strafrechtlichen Schutz versagen, tatsächlich machtlos ist.

Dass übrigens die schweizerischen Gerichte dem Reichsgericht folgen werden, ist nicht sehr wahrscheinlich. Dieses hat seinen Entscheid namentlich auf gewisse, in den Materialien zum deutschen Aufsicbtsgesetz enthaltene Äusserungen gestützt, die in den Materialien zum schweizerischen Aufsichtsgesetz fehlen. Sodann hat die Stellungnahme des Reichsgerichtes anderwärts wenig Anklang gefunden. Auch bedeutet der letzte Entscheid des Reichsgerichtes eine wesentliche Abschwächung seiner ursprünglichen Stellungnahme, die durchaus den Eindruck einer beginnenden Schwenkung der Anschauung macht. Wenn auch dieser Entscheid den prinzipiellen Standpunkt noch nicht verlässt, so hat er in seinen praktischen Konsequenzen dieselbe Wirkung. Schliesslich zeigen gerade die Verhältnisse in Deutschland, wie schädigend die unbeaufsichtigte Abonnenten Versicherung für die Interessen der Abonnenten ist. So ist denn reichlich Grund für die Annahme vorhanden, dass die Massnahmen der Aufsichtsbehörde auch bei den Gerichten den nötigen Rückhalt finden werden.

2. Unterliegt die Abonnentenversicherung der Staatsaufsicht, so ergibt sich als notwendige Folge, dass sie nur zugelassen werden darf, wenn die Versicherungsleistungen im ganzen Umfange von einer zum Geschäftsbetriebe ermächtigten Versicherungsgesellschaft übernommen werden. Es besteht in der Aufsichtspraxis der von jeher beobachtete und unbestrittene Grundsatz, dass das Versicherungsgeschäft in der Schweiz nicht von privaten Firmen, sondern nur von Aktiengesellschaften oder Genossenschaften betrieben werden darf. Ist der Verlag eine Einzelfirma oder auch eine Kollektivgesellschaft, so ist die Übernahme der Abonnentenversicherung auf eigene Rechnung des Verlages schon aus diesem Grunde ausgeschlossen. Der Verleger muss die Abonnentenversicherung bei einer Aktiengesellschaft oder Gegenseitigkeitsanstalt in Deckung geben. Aber auch dann, wenn der Verlag eine Aktiengesellschaft oder Genossenschaft darstellt, kann ihr doch nicht gestattet werden, die Abonnentenversicherung auf eigene Rechnung zu übernehmen. PS ist vom Standpunkte der Staatsaufsicht, d. h. nach dem Gesichtspunkte der Solidität und der Vertrauenswürdigkeit, nicht
zulässig, dass ein Versicherungsunternehmem nur nebenbei als Anhängsel eines ihm fremden Unternehmens und zur Erreichung ihm fremder Zwecke betrieben werde. Die Bedeutung der mit der Versicherung verbundenen

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Vermögenswerten Interessen fordert eine ernsthafte Gestaltung des Geschäftsbetriebes. Es ist auch notwendig, dass er mit einer vollkommenen fachmännischen Sachkenntnis gehandhabt werde, was bei einem Zeitangsverlage nicht vorausgesetzt werden kann.

Durch die Bekanntgabe dieses Grundsatzes wird zudem den Abonnenten die Beruhigung gegeben, dass die Abonnentenversicherung auf solider Basis sich aufbaut. Die Aufnahme der Forderung in den Bundesratsbeschluss erscheint daher als geboten.

3. Eine zweckmassige Regelung der Abonnentenvcrsicherung kann der Bundesrat nur vornehmen, wenn er sämtliche von Versicherungsunternehmung und Verleger aufgestellten Grundlagen kennt. Er muss Einblick haben in die von den Parteien vereinbarten Verträge, in die Versicherungsbedingungen, Ankündigungen und Empfehlungen und allfällige andere Publikationen. Die Aufsichtsbehörde muss daher verlangen, dass ihr alle die Abonnentenversicherung betreffenden Materialien vor ihrer Verwendung mitgeteilt werden. Diese Mitteilungspflicht und das Prüflings- und Genehmigungsrecht des Bundesrates mögen schon aus Art. 2 und 3 des Aufsichtsgesetzes entnommen werden. Gleichwohl erscheint ein besonderer Hinweis aus dem Grunde nicht überflässig, weil ohne diesen Zusatz die Meinung erweckt werden könnte, dass die Forderung der Rückdeckung die einzige Bedingung sei, die an den Betrieb der Ahonnentenversicherung geknüpft wird. Auch wird dieser Hinweis gerade die Verleger mit Nachdruck darauf aufmerksam machen, dass die Abonnentenversicherung nicht nach freiem Belieben, sondern nur unter den von der Aufsichtsbehörde festgesetzten Bedingungen gewährt werden darf. Die weitere Bestimmung, dass die Mitteilung an die Aufsichtsbehörde durch die Versicherungsunternehmung erfolgen müsse, stellt überdies fest, dass, vom Standpunkte der Staatsaufsicht aus, einzig die Unternehmung, nicht aber der Verlag, als Versicherer betrachtet und damit für den Betrieb der Abonnentenversicherung verantwortlich gemacht werden kann.

4. Durch die Festlegung der in Ziffer l bis 3 entwickelten Grundsätze ist es möglich, eine Art von Versicherungsleistungen der Verleger an ihre Abonnenten zu treffen, die sich bisher der Staatsaufsicht zu entziehen wusste: die sogenannten freiwilligen Leistungen.

Wie schon erwähnt wurde, hat die Aufsichtsbehörde von jeher die Forderung gestellt, dass die Abonnentenversicherung von den Verlegern bei einer konzessionierten Versicherungsunternehmung in Rückdeckung gegeben werde. Da es nun den Ver-

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legern oft schwer fällt, dem Versicherer die der Übernahme des Risikos entsprechende Gegenleistung zu entrichten, so suchen manche Verleger die Pflicht der Rückdeckung dadurch zu umgehen, dass sie den Versprechungen eine Form geben, die bezweckt, sie des Versicherungscharakters zu entkleiden. Damit sollen die Versprechungen den Wirkungen des Aufsichtsgesetzes und folglich auch den strengen Forderungen der Aufsichtsbehörde entrückt werden. Dieses Ziel glaubt man dadurch zu erreichen, dass die Leistungen als ,,freiwilligecl hingestellt werden.

Soweit der Aufsichtsbehörde bekannt ist, tauchte diese Art von Leistungen der Verleger an ihre Abonnenten in der Schweiz zuerst im Jahre 1905 auf. Die in Zürich erscheinende ,,Schweizerische Wocbenzeitung11 stellte eine Entschädigung für den Fall eines Brandunglückes in Aussicht. Dieses Versprechen wurde in folgendem Wortlaute an den Kopf des Blattes gesetzt: ,,Jeder Abonnent hat ferner Anspruch auf eine Entschädigung von Fr. 100, sofern er von einer Feuersbrunst heimgesucht wird." Infolge des Einspruches des Versicherungsamtes erhielt die Ankündigung später die Fassung: ,,Jeder Abonnent erhält ferner bis auf weiteres als erste Hülfe e i n e G a b e , sofern er von einem ernstlichen Brandschaden heimgesucht wird."

In der Folge ahmten auch andere Verleger das Vorgehen der ,,Schweizerischen Wochenzeitungtt nach und boten ihren Abonnenten ebenfalls sogenannte freiwillige Leistungen an. Bekannt wurden der Aufsichtsbehörde folgende Fälle : Der Verlag der Zeitschrift ,,Für's Schweizerhaus", Gr. Meyer in Zürich, gewährte von der dritten Krankheitswoche an ein Taggeld von Fr. 1. 50, im Maximum Fr. 50. Der Verleger der Zeitschrift ,,Am stillen Herdtt, Chr. Oberbörsch in Zürich, versprach seinen Abonnenten vom 16. bis 40. Tage eine Tagesentschädigung von Fr. 2, wenn die Erwerbsbeschränkung wenigstens Fr. 2 betrug.

Die ,,Schweizerische Allgemeine Volkszeitungtt, Ringier & Cie. in Zofingen, stellte einen Betrag von Fr. 5000 pro Quartal zur Verfügung, aus dem den Ehefrauen der Abonnenten eine Entschädigung von Fr. 500 im Falle des Todes oder Ganzinvalidität ausgerichtet werden sollte.

Ferner wurden derartige Leistungen verabfolgt von dem Herausgeber der ,,Neuen Illustrierten Zeitung"1, Albert Newe in Zürich, der später auch ohne Wissen der Aufsichtsbehörde die Sterbegeld Versicherung aufnahm.

Allen diesen Zusicherungen wurde eine Fassung gegeben, nach der sie wenigstens der Form nach nicht als Verpflichtungen

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der Verleger erscheinen sollten. Wenn nun die Aufsichtsbehörde, obwohl sie stets die Meinung vertrat, dass diese Leistungen materiell eine Versicherung darstellen, und dass der in den Ankündigungen enthaltene Hinweis auf die Freiwilligkeit nur dazu bestimmt sei, über den Versicherungscharakter der Leistungen hinwegzutäuschen, gleichwohl eine eingreifende Massnahme bisher nicht getroffen hat, so liegt der Grund darin, dass die Sachlage noch nicht genügend abgeklärt schien, um den Versicherungscharakter dieser Leistungen mit absoluter Gewissheit feststellen zu können. Die Aufsichtsbehörde liess daher die Verleger vorläufig gewähren und bestrebte sich nur, auf eine Fassung zu dringen, die den Abonnenten möglichst scharf die Unverbindlichkeit der gegebenen Versprechungen vor Augen führte. Die Zulassung dieser Art von Leistung geschah auch nicht endgültig, sondern ausdrücklich nur auf Zusehen hin. Das heisst, die Aufsichtsbehörde behielt sieh ein Zurückkommen auf ihren Bescheid und den Erlass einer allgemeinen, umfassenden Massregel vor.

Am 25. Januar 1912 reichten die Herren Dr. W. Weisflog und Dr. E. Huber, Rechtsanwälte in Zürich, dem Bundesrate eine Beschwerde ein gegen eine Anzahl Verleger, in der auf das Ungesetzliche derartiger Leistungen hingewiesen wird.. Die Beschwerde richtete such gegen folgende, die Abonnentenversicherung betreibende Firmen : 1. G. Meyer, Verlag ,,Für's Schweizerhaus", in Zürich.

2. Jean Frey, Verlag der ^Schweizerischen Wochenzeitung", in Zürich.

3. A. Bopp, Verlag ,,Für's Heim", in Zürich.

4. Christian Oberbörsch, Verlag ^Am stillen Herd", in Zürich.

5. Ringier & Cie., Verlag der ,,Schweizerischen Allgemeinen Volkszeitung1", in Zofingen.

Die von diesen Firmen den Abonnenten der von ihnen herausgegebenen Zeitschriften gewährten Entschädigungen bestehen : Ad 1. In einesm Taggeld von Fr. 1. 50 bei vorübergehender Erwerbsunfähigkeit.

Ad 2. In der Verabreichung von Fr. 600 bei Tod oder Ganzinvalidität an die Ehefrau des Abonnenten.

In der Verabreichung des gleichen Betrages an die Abonnenten der Separatbeilagen ,,Mode für Allea und ,,Humor", wofür der Verlag je Fr. 6000 per Quartal bereitstellt, und in einer Geldgabe bis Fr. 1000 für Brandschaden.

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Ad 3. In der Entschädigung für teilweise Invalidität und längere Arbeitsunfähigkeit nach einer festen Skala, im Maximum Fr. 600.

Ad 4. In einer Unfallentschädigung von Fr. 2 pro Tag bei vorübergehender Erwerbseinbusse.

Ad 5. In der Verabreichung von Fr. 500 bei Todesfall oder Ganzinvalidität an die Ehefrau des Abonnenten. Hierfür werden dem Verlage Fr. 5000 zur Verfügung gestellt.

Die von den Herren Dr. Weisflog und Dr. Huber eingereichte Beschwerde gibt der Aufsichtsbehörde zum ersten Male ein erschöpfendes, die schweizerischen Verhältnisse betreffendes Material in die Hände. Dieses Material zeigt nach mancher Richtung die Angelegenheit in einem neuen Lichte und bietet für die Beurteilung der in Betracht kommenden Fragen und für die Festsetzung der Massnahmen neue Anhaltspunkte.

Zunächst lassen die der Beschwerde beigegebenen Dokumente über den wahren Charakter der sogenannten freiwilligen Leistungen keinen Zweifel bestehen. Durchgeht man unter diesem Gesichtspunkte die einzelnen Zeitschriften, so kann folgendes konstatiert werden : 1. ,,Für's Schweizerhaus. "· Die freiwillige Leistung wird zwar als eine freiwillige und persönliche bezeichnet, sie wird aber im Versicherungsschein selber versprochen. Im Text wird sie unter dem Titel ,,Unsere Unfallversicherung" aufgeführt und in einem Atemzuge mit der von der°Gesellschaft gedeckten Versicherung erwähnt. Auch der Text am Kopfe des Blattes und weitere Inserate des Blattes versetzen den Abonnenten in den Glauben, dass es sich um eine Versicherung handle.

2. Die ,,Schweizerische Wochenzeitung" hat alle freiwilligen Leistungen als Versicherung bezeichnet.

3. ,,Für's Heim11. Auch diese Zeitschrift bezeichnet die freiwilligen Leistungen als Versicherung.

4. ,,Am stillen Herd". Das gleiche gilt auch von dieser Zeitschrift. Zudem wird hier die freiwillige Leistung unter denjenigen Leistungen erwähnt, die von der Assicuratrice Italiana in Rückdeckung genommen werden.

5. ,,Schweizerische Allgemeine Volkszeitung'1. Am Kopfe der Zeitung wird zwar die freiwillige Leistung als Geschenk genannt, aber die Ankündigung mit derjenigen der Versicherung derart verbunden, dass sie der Abonnent ebenfalls als Versicherung

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betrachten muss. In einem Inserat der Zeitung und in einem Reklameblatt wird, sie ebenfalls als Versicherung bezeichnet.

Aus diesen Tatsachen geht hervor, dass das Bestreben der Verleger überall dahin geht, auch die sogenannten freiwilligen Leistungen als Versicherungen erscheinen zu lassen. Dieses Bestreben ist verständlich, wenn man bedenkt, dass der Abonnent in diese Leistungen nur dann Vertrauen haben kann, wenn sie mit der Versicherung gleichwertig sind. So kommt es denn auch nicht vor, dass freiwillige Leistungen ohne Versicherung gewährt werden. Sie sind immer mit der letztern verbunden. Einzig in diesem Zusammenhange erhalten sie als Reklamemittel bei der Anwerbung von Abonnenten Wert. Der Verleger will daher, dass der Abonnent in den sogenannten freiwilligen Leistungen eine Versicherung erblicke. Nur dann ist seinen Geschäftsinteressen gedient. Dieser Zweck soll erreicht werden durch eine entsprechende Fassung der Ankündigungen und des Versicherungsscheines.

Die nähere Betrachtung der Sachlage zeigt nun aber, dass in Wirklichkeit nicht diejenige Fassung die irreführende ist, nach der die Zusicherung der freiwilligen Leistungen als Versicherung erscheint, sondern diejenige, die sie als Nichtversicherung darstellen will, um sie dadurch der Staatsaufsicht zu entziehen.

Konnte man bisher noch darüber in Zweifel sein, ob die Merkmale der Versicherung vorliegen, so ist er nunmehr beseitigt.

Die entschädigungsberechtigten Ereignisse stellen ohne Ausnahme versicherbare und auch sonst von der Versicherung übernommene Risiken dar. Trotz des teilweise entgegenstehenden Wortlautes der Versicherungsscheine handelt es sich um feste Verpflichtungen.

Die Verleger beweisen dies dadurch, dass sie diese Leistungen in den Reklamen und andern Anpreisungen den Versicherungen gleichstellen. Indern sie den Willen kundgeben, die Leistungen beim Publikum als Versicherung gelten zu lassen und sie dem Publikum gegenüber auch als Versicherungen behandeln, machen sie dieselben tatsächlich zu Versicherungen. Für die Beurteilung der Rechtsnatur einer wirtschaftlichen Erscheinung kommt es nicht auf den Schein, sondern auf das Wesen der Sache an. Ein Verleger könnte nach Eintritt eines entschädigungsberechtigten Ereignisses die Leistung gar nicht verweigern, ohne den Kredit seiner Abonnentenversicherung zu erschüttern. Dass
die Leistungen entgeltlich seien, kann ebenfalls nicht bestritten werden. Wenn auch vielleicht nicht nachzuweisen ist, dass durch die Einführung dieser Leistungen der Aboanementspreis erhöht wurde, so ist doch gewiss, dass

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eben die Mittel für diese Leistungen den Abonnementsbeträgen entnommen werden.

Dieser Standpunkt steht in Übereinstimmung mit einem Entscheide der Strafkammer des Landgerichtes in Leipzig vom 18. Dezember 1906, der vom IV. Strafsenat des Reichsgerichtes in dem ·schon zitierten Entscheid vom 18. Juni 1907 bestätigt wurde (siehe Veröffentlichungen des Kaiserlichen Aufsichtsamtes für Privatversicherung 1907, S. 35 ff. und 84f.; Denkschrift S. 9 ff.): Der Verleger eines Wochenblattes, mit dessen Bezug schon «ine Unfallversicherung bei einer zum Geschäftsbetriebe zugelassenen Unfallversicherungsgesellschaft verbunden war, hatte in der Folge auch die Gewährung eines Sterbegeldes (von 40, 60, 100 Mark, je nach der Dauer des Bezuges) eingeführt, das er selbst leistete und ausdrücklich als ,,freiwillige Sterbegeldgewährung tt bezeichnete. Diese Einrichtung bildete den Gegenstand einer Anklage wegen unbefugten Betriebes des Versicherungsgeschäftes, die zur Verurteilung führte. In seiner Verteidigung hatte sich der Verleger u. a. auf den Standpunkt gestellt, dass eine Versicherung nicht vorliege und daher die Voraussetzung der Unterstellung unter die Staatsaufsicht nicht bestehe, weil die Sterbegeldgewährung freiwillig sei und der Abonnent daher einen Rechtsanspruch auf dieselbe nicht besitze. Zu dieser Behauptung äussert sich das G-ericht folgendermassen : ,,Für die Behauptung, dass kein Rechtsanspruch auf das in Aussicht gestellte Sterbegeld besteht, stützt sich der Angeklagte ·darauf, dass er in der erwähnten Ankündigung seine Lebensversicherung und in den Abonnementsscheinen seine neue Versicherung als eine freiwillige Sterbeversicherung bezeichnet, die er seinen Abonnenten und den Hinterbliebenen geschenkweise ausgesetzt habe, dass er insbesondere in seinen Abonnementsscheinen in § 3 der Versicherungsbedingungen ausdrücklich hervorhebt: ,,,,Die Gewährung des Sterbegeldes ist in allen Fällen eine freiwillige.""

,,Die eben wörtlich wiedergegebenen Bezeichnungen und Bestimmungen des Angeklagten sind nichts als Worte, die ernstlich weder vom Angeklagten gemeint waren, noch vom Publikum als ernstlich gemeint aufgefasst werden sollten, Worte, die nur zum Scheine gebraucht sind, um formell das Versicherungsunternehmen den Vorschriften des Reichsgesetzes vom 12. Mai 1901 zu entziehen . . .

,,Auf Vorbehalt dieser Bestimmungen hat der Angeklagte Bundesblatt. 65. Jahrg. Bd. IV.

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zunächst erklärt, er habe mit den Bezeichnungen ,,,,freiwillig111' und ,,,,geschenkweisetia sagen wollen, die gesamte Zusicherung, die ganze Einrichtung der Sterbegeldgewährung geschähe von ihm freiwillig, geschenkweise für die Abonnenten. Freiwillig ist sie in der Tat wie bei Beginn jedes privaten Versicherungsunternehmens, für das kein gesetzlicher Zwang besteht, die Bereitstellung der gesamten Geschäftseinrichtung für das Publikum ; ein Geschenk ist diese Bereitstellung eines Versicherungsapparates aber deshalb nicht, weil damit Geschäfte gemacht werden sollen, derjenige, der den Apparat in Anspruch nimmt, dafür zahlen soll . . . Der Angeklagte hat auf den Vorhalt weiter erklärt, er habe sich allerdings für verpflichtet gehalten, das Sterbegeld zu zahlen, da er doch einen Vertrag mit den Abonnenten darüber abschliesse . . .

,,Aus allen diesen Tatsachen zusammen und betrachtet mit dem Versicherungsunternehmen als Ganzes, wie es aus der Gesamtheit der Versicherungsbedingungen, seiner Art und seinem Umfang ergibt, steht nach der Überzeugung des Gerichtes mit Sicherheit fest, dass der Angeklagte den Abonnenten seines Blattes einen Rechtsanspruch auf das Sterbegeld eingeräumt und dass diese Abonnenten einen solchen Anspruch auch als bestehend voraussetzten . . .a (In gleichem Sinne Urteil des Landgerichtes in Frankfurt a M.

vom 14. Oktober 1907 ; Denkschrift S. 15 ff.)

Diese Begründung, die auf dem gleichen Tatbestand wie die Beschwerde ruht, weist überzeugend nach, dass auch die sogenannte freiwillige Leistung nichts anderes als eine Versicherung darstellt. Daraus ergibt sich aber, dass das Aufsichtegesetz und damit die von der Aufsichtsbehörde getroffenen MassnaJimen auch auf sie Anwendung findet. Demnach muss verlangt werden, dass der Hinweis auf die Freiwilligkeit dieser Leistungen wegfalle und dass die Versicherung von einer Versicherungsgesellschaft übernommen werde.

Das Eingreifen der Behörde ist übrigens nicht nur aus rechtlichen Erwägungen geboten, sondern auch wirtschaftliche Gründe fordern sie. Die Abonnentenversicherung und damit auch die mit ihr in ZusammenhEing stehenden sogenannten freiwilligen Leistungen haben, wie gezeigt, einen derartigen Umfang angenommen, dass sie im Wirtschaftsleben des Volkes bereits einen nicht zu unterschätzenden Faktor bilden. Die Höhe der von einzelnen Zeitungen ausbezahlten, aus den der Beschwerde beigefügten Belegen ersichtlichen Entschädigungsbeträge spricht eine deutliche und heredte

461 Sprache. So sagt z. B. die ,,Schweizerische Wochenzeitung" in ihrer Nr. 47 vom 25. November 1911, dass die Gesamtauszahlungen für Unfälle und Feuerschaden bis zu diesem Zeitpunkte Fr. 232,515 betragen, und bis zum 30. Dezember 1911 hat die ,,Schweizerische Allgemeine Volkszeitung" für Unfälle Fr. 260,500 ausbezahlt (Nr. 52 vom 30. Dezember 1911). Es ist klar, dass diese Erscheinung noch nicht auf dem Höhepunkte ihrer Entwicklung angelangt ist, sondern dass sie sich noch weiter ausdehnen wird.

Aus der Denkschrift geht hervor, dass gerade die unbeaufsichtigte Abonnentenversicherung in Deutschland einen ausserordentlich grossen Umfang angenommen hat und die beaufsichtigte Abonnentenversicherung an Bedeutung überwiegt, umfasste doch, wie schon angeführt, die erstere Ende 1911 mit 2,569,226 Abonnenten rund 800,000 Abonnenten mehr als die letztere. Diese Zahlen beweisen, dass bei den Verlegern das ausgesprochene Bestreben besteht, sich der Staatsaufsicht zu entziehen, und es ist deshalb anzunehmen, dass auch in der Schweiz die sogenannten freiwilligen Leistungen, die bisher die einzige Form der unbeaufsichtigten Abonnentenversicherung darstellten, immer mehr überhand nehmen werden, falls die Aufsichtsbehörde nicht eingreift.

Das Einschreiten der Aufsichtsbehörde ist um so notwendiger, als die sogenannten freiwilligen Leistungen nichts anderes sind als ein schlimmer Auswuchs eines scharfen Konkurrenzkampfes.

Sie grenzen hart an den Begriff des unlauteren Wettbewerbes.

Der Verleger sucht, wie gezeigt wurde, den Abonnenten durch eine irreführende Fassung der Ankündigung in den Glauben zu versetzen, dass es sich bei diesen Leistungen um Versicherungen handle, die in bezug auf Sicherheit den von einer konzessionierten Versicherungsunternehmung garantierten Versicherungen gleichzustellen seien. Nicht nur ist eine solche Irreführung unmoralisch und schädigt das Ansehen der guten Versicherung, sondern sie kann für den Abonnenten auch zu einer Quelle der Enttäuschung werden. Dieser Art der Versicherung werden sich nicht nur finanziell leistungsfähige Firmen bemächtigen, sondern namentlich auch solche, denen die Aufbringung der Prämie an die Versicherungsgesellschaft schwer fällt und die glauben, dass es vorteil hafter für sie sei, das Risiko dieser Versicherung auf eigene Rechnung zu übernehmen. Dabei
wird infolge des Konkurrenzkampfes der Abonnementspreis, dem die Mittel zur Deckung der eingetretenen Schäden entnommen werden, nicht in dem Verhältnis der Schwere des Risikos steigen können. Die Folge wird sein, dass. die Verpflichtungen aus der auf eigene Rechnung ge-

462 währten Versicherung die Leistungsfähigkeit des Verlegers übersteigen, und dass daher der Abonnent keine Gewähr hat, dass sein Versicherungsanspruch auch tatsächlich erfüllt wird. Die sogenannten freiwilligen Leistungen werden sich in Zukunft voraussichtlich nicht auf diejenigen Risiken beschränken, auf die sie sich heute in der Schweiz erstrecken, sondern sie werden sich auch anderer Versicherungszweige, insbesondere der Storbegeldund ähnlicher, der Lebensversicherung verwandter Versicherungszweige bemächtigen. Solche Versuche wurden, wie erwähnt, auch in der Schweiz schon unternommen, und es ist nicht zu bezweifeln, dass sie sich wiederholen werden. Ein Blick auf die Verhältnisse in Deutschland gibt auch in dieser Beziehung deutliche Hinweise. De:1 ansteckenden Wirkung des ausländischen Beispiels werden sich die in unserem Lande tätigen Verleger auf die Dauer nicht entziehen. Bemächtigen sich aber die sogenannten freiwilligen Leistungen erst dieser, die Ersparnisse des Volkes aufspeichernden Versicherungszweige, so ist das Volkswohl unmittelbar gefährdet.

Aus allen diesen Gründen ergibt sich zwingend, dass auch die bisher zu Unrecht als freiwillig bezeichneten Versprechungen der Verleger an die Abonnenten Versicherungen sind und unter die Bestimmungen des Aufsichtsgesetzes fallen, und dass es daher notwendig ist, auf sue die für die Abonnenten Versicherung geltenden Massnahmen ebenfalls zur Anwendung zu bringen.

Die konsequent® Befolgung dieser Grundsätze milsste dahin führen, die weitere Verabfolgung derartiger Leistungen dem Verleger sofort zu untersagen. Eine so strenge Massnahme wäre aber offenbar unbillig. Es ist nicht ausser acht zu lassen, dass die Gewährung solcher Leistungen nicht ohne Wissen der Aufsichtsbehörde geschah, und dass sie geduldet wurde, weil ihr Versicherungschacakter nicht feststand. Schon diese Sachlage erfordert eine rücksichtsvolle Behandlung der Verleger ; die sofortige Einstellung wäre entschieden zu schroff. Ein plötzliches Verbot würde in manchen Fällen den Kredit des Verlegers schädigen und ist auch aus diesem Grunde zu vermeiden. Auch läge ein sofort wirksames Verbot nicht im Interesse der Abonnenten, die sich in ihren Erwartungen auf eine Entschädigung im Schadensfalle getäuscht sehen würden, ohne durch den Abschluss einer Versicherung sofort einen Ersatz
schaffen zu können. Es ist ferner zu beachten, dass das sofortige Verbot dieser Leistungen auch nicht im Einklänge stehen würde mit der Forderung der Rückdeckung. Um mit einer VersicherungsunternehmuEg einen

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Rückdeckungsvertrag abschliessen zu können, bedarf es eines gewissen Zeitraumes. Es wird dem Verleger nicht immer leicht fallen, mit einer Versicherungsunternehmung eine Verständigung für die Grundlagen der neuen Abonnentenversicherung zu finden.

Alle diese Erwägungen lassen es wünschbar erscheinen, dass den Verlegern eine Frist eingeräumt werde, die ihnen ermöglicht, sich ohne erhebliche Störung des Geschäftsbetriebes den neuen Verhältnissen anzupassen. Die Frist darf, wenn sie ihren Zweck erreichen soll, nicht zu kurz sein. Nach Ablauf der Frist sollen dann den Abonnenten keine freiwilligen Leistungen mehr in Aussicht gestellt und verabfolgt werden dürfen.

Bei der Bemessung der Frist wird wohl eine allgemein geltende minimale Dauer festgesetzt werden können. Dagegen ist bei der Zumessung im einzelnen Falle auf die Besonderheiten desselben Rücksicht zu nehmen. Je nach den Umständen wird die minimale Dauer genügen, oder die Frist wird erstreckt werden müssen. Es ist deshalb vorzuziehen, dass die Dauer der Frist nicht im ßundesratsbeschlusse selbst festgelegt, sondern dass das Justiz- und Polizeidepartement, das den unmittelbaren Einblick in die konkreten Verhältnisse besitzt, mit der Ansetzung der Frist betraut werde. Auf diese Weise wäre es möglich, den Verlegern alle Rücksicht angedeihen zu lassen, auf die sie billigerweise Anspruch erheben können. Sollte sich ein Verleger den Anordnungen der Aufsichtsbehörde nicht fügen, so müsste dann die Strafbestimmung des Art. 10 oder 11 des Aufsichtsgesetzes in Anwendung gebracht und der Schuldige gebüsst oder gegen ihn die Strafklage beim kantonalen Richter erhoben werden.

Der vorliegende Bundesratsbeschluss gibt der Aufsichtsbehörde die Möglichkeit, die Abonnentenversicherung von ihren Auswüchsen zu befreien, und sie derart zu gestalten, dass die Interessen der Versicherten gewahrt werden. Wenn die Abonnentenversieherung alle Bedingungen, die unter diesem Gesichtspunkte, im weitesten Sinne genommen, an sie gestellt werden müssen, erfüllt, wird der Bundesrat in seiner Eigenschaft als Aufsichtsbehörde über das private Versicherungswesen gegen diese Versicherungsart nicht weiter einschreiten können.

Ob die Abonnentenversicherung von einem andern Standpunkte aus, insbesondere von demjenigen der Presse, zu beanstanden sei, ist eine Frage, die von einer
andern Behörde oder aber von der Gesetzgebung zu beantworten ist.

5. Der Bundesratsbeschluss soll mit seinem Erlasse in Wirkung treten. Es handelt sich darum, die Regelung der Abonnenten-

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versicherung sofort an die Hand zu nehmen und allfällig neu auftauchenden, sogenannten freiwilligen Leistungen mit Erfolg entgegentret zu können. Ein Grund, die Inkraftsetzung des Bundesratsbeschlusses auf einen spätem Zeitpunkt zu verschieben, besteht nicht. Den Verhältnissen während der Übergangszeit ist in Ziffer 3 des Beschlusses hinreichend Rücksicht getragen.

# S T #

Aus den Verhandlungen des Bundesrates.

(Vom 11. Oktober 1913.)

Die Ratifikationsurkunden zum Gotthardvertratg vom 13. Oktober 1909 und zum Spezialabkommen zwischen der Schweiz und Italien vorn gleichen Tage sind Samstag den 4. Oktober zwischen Herrn Bundespräsident Müller und den Vertretern von Italien, Herrn Minister Marchese Paulucci, und Deutschland, Herrn Geschäftsträger Grafen von Einsiedel, ausgewechselt worden.

(Vom 14. Oktober 1913.)

Herr Nationalrat Dr. C. Zschokke in Aarau wird, seinem Gesuche entsprechend, als Mitglied des Senates der schweizerischen naturforschenden Gesellschaft, unter Verdankung der geleisteten Dienste entlassen.

An seiner Stelle wird als Mitglied der genannten Behörde gewählt: Herr Nationalrat Arthur E u g s t e r , alt Landammann in Speicher.

Dem Kanton Wal lis wird an die zu 6800 Fr. veranschlagten Kosten der Restauration des Turmes des Schlosses lu Bâtiaz, Martigny, ein Bundesbeitrag von 50 % zugesichert, höchstens 3400 Fr.

Herr W. Sträuli-Knüsli, Kaufmann, in Winterthur, wird seinem Ansuchen gemäss von der Stelle eines Mitgliedes des Kreiseisenbahnrates IV der schweizerischen Bundesbahnen entlassen, unter Verdankung der geleisteten Dienste.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bundesratsbeschluss betreffend die Abonnentenversicherung (Vom 23. September 1913.)

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1913

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4

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42

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22.10.1913

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