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Schweizerisches Bundesblatt 65. Jahrgang.

6. August 1913.

Band IV.

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Bundesratsbeschluss über

die Beschwerde von Frau Elisabeth Koelle geb. Roth, in Genf, betreffend Verweigerung von Löschungen im Grundbuch.

(Vom 29. Juli 1913.)

Der schweizerische hat

Bundesrat

über die Beschwerde von Frau Elisabeth K oell e geb. Roth, in Genf, betreffend Verweigerung der Löschung von Einträgen im Grundbuch ; auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluss gefasst: A.

In tatsächlicher Beziehung wird festgestellt: I.

Am 6. März 1913 ersuchte Frau Elisabeth Koelle, geb. Roth, in Genf, das Grundbuchamt Genf um Löschung der Grundpfandrechte, die seinerzeit für eine ihr zustehende Forderung im Betrage von Fr. 2000 gegenüber ihrem Ehemanne Ludwig Emil Koelle an dessen Grundstücken eingetragen worden waren. Dieses Löschungsbegehren enthielt die beglaubigten Unterschriften der beiden Ehegatten Koelle-Roth.

Buudesblatt 65. Jahrg. Bd. IV.

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Der Grandbuchverwalter wies dieses Begehren mit der Begründung ab, dass die genannte Forderung zum eingebrachten Gut der Ehefrau Elisabeth Kcelle gehöre, der Verzicht auf die zur Sicherung dieser Forderung eingetragenen Grundpfandrechte somit ein Rechtsgeschäft unter Ehegatten im Sinne von Art. 177, Absatz 2, ZGB darstelle und infolgedessen zu seiner Gültigkeit der Zustimmung der Vormundschaftsbehörde bedürfe. Diese Zustimmungserklärung sei nicht eingeholt worden.

Gegen diese Abweisung führte Frau Elisabeth Kcelle am 15. März 1913 bei der kantonalen Aufsichtsbehörde über das Grundbuch Beschwerde und stellte das Begehren, der Grundbuchverwalter sei anzuweisen, die verlangten Löschungen im Grundbuch vorzunehmen.

Durch Entscheid vom 4. April 1913 wies jedoch die Aufsichtsbehörde des Kantons Genf die Beschwerde als unbegründet ab. Zur Begründung dieses Entscheides wird im wesentlichen angebracht: Der Verzicht der Ehefrau auf die ihr zustehende pfandrechtliche Sicherheit berühre zwar das eingebrachte Gut in seinem Bestände nicht, sei aber infolge der Aufgabe der pfandrechtlichen Sicherung doch von Einfluss auf das Frauengut und auf die Rechtsstellung der Frau. In diesem Sinne betreffe der Verzicht allerdings das eingebrachte Gut der Ehefrau, weshalb nach Art. 177, Absatz 2, ZGB die Zustimmung der Vormundschaftsbehörde erforderlich sei. Auch der weitere Umstand, dass die Ehefrau nach Art. 205 ZGB, trotz dieses Verzichtes, jederzeit von Gesetzes wegen wieder Sicherstellung von ihrem Manne verlangen könne, spreche nicht gegen das Erfordernis der vormundschaftlichen Genehmigung. Schliesslich wird zur Unterstützung des Entscheides noch darauf Bezug genommen, dass die Ehegatten Koelle-Roth für ihre gegenseitigen internen Rechtsbeziehungen dem früheren genferischen Güterrechte unterstehen und auch nach diesem Rechte die Ermächtigung der Vormundschaftsbehörde zum Verzieht der Ehefrau auf das ihr zustehende Pfandrecht erforderlich wäre.

n.

Mit Eingabe vom 17. April 1913 beschwert sich Frau Elisabeth Kcelle über den Entscheid der kantonalen Aufsichtsbehörde vom 4. April 1913 beim Bundesrat und verlangt Aufhebung dieses Entscheides.

Die Beschwerdeführerin begründet ihr Gesuch vor allem damit, dass die Auslegung des Art. 177, Absatz 2, ZGB durch

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die genferischen Grundbuchbehörden dem wahren Sinn dieser Vorschrift nicht entspreche. Art. 177, Absatz 2, ZGB beziehe sich, wie insbesondere aus dem deutschen Texte und aus dem Zweck der Gesetzesbestimmung hervorgehe, nur auf solche Rechtsgeschäfte, die den eigentlichen Bestand des Frauengutes verändern oder eine Haftung der Ehefrau mit ihrem Frauengut herbeiführen. Der blosse Verzicht der Ehefrau auf die ihr vom Ehemann gewährte pfaudrechtliche Sicherung falle jedoch weder unter diese noch unter jene Art von Rechtsgeschäften und bedürfe zu seiner Gültigkeit darum der vormundschaftlichen Genehmigung nicht. Es erscheine übrigens auch als höchst merkwürdig, dass für die Aufgabe dieser Sicherheit die Zustimmung der Vormundschaftsbehörde gefordert werde, während doch die Bestellung der Sicherheit durch den Ehemann, wie auch die genferischen Behörden zugeben, ohne Mitwirkung der vormundschaftlichen Organe erfolgen hönne. Gegenüber den weiteren Ausführungen im Entscheid der kantonalen Aufsichtsbehörde, wonach das frühere kantonale eheliche Güterrecht herangezogen wird, macht die Beschwerdeführerin geltend, dass im vorliegenden Fall ausschliesslich die Handlungsfähigkeit der Ehefrau in Frage stehe, und deshalb gemäss Art. 5 Schl.T. ZGB das neue Recht zur Anwendung komme. Endlich beruft sich die Beschwerdeschrift noch auf Art. 248 ZGB.

Die kantonale Aufsichtsbehörde über das Grundbuch beantragt in ihrer Vernehmlassung vom 28. April 1913 Abweisung der Beschwerde, unter Verweisung auf die im angefochtenen Entscheid und im Bericht des Grundbuchverwalters von Genf über diese Beschwerdesache enthaltene Begründung.

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht:

I.

In erster Linie ist die von den genferischen Behörden aufgeworfene, aber nicht zur Entscheidung gebrachte Frage zu prüfen, ob das frühere kantonale eheliche Güterrecht oder ob das Recht des ZGB im vorliegenden Fall massgebend ist.

Aus den Akten geht hervor, dass die Ehegatten Koelle-Roth durch Ehevertrag vom 9. Februar 1883 das sogenannte genferische Dotalsystem gewählt und diesem System auch unter neuem Recht, soweit die Rechtsbeziehungen unter ihnen selbst in Frage stehen,

beibehalten haben. Dritten gegenüber stehen die Ehegatten KcelleRoth unter dem System der Güterverbindung nach ZGB. Darnach gilt für die güterrechtlichen Beziehungen unter diesen Ehegatten das frühere genferische Recht, für ihre güterrechtlichen Verhältnisse Dritten gegenüber aber das neue schweizerische Recht.

An diese zutreffende Überlegung hat nun der Grundbuchverwalter von Genf, in seinem Berichte über die Besch
Diese Folgerung erscheint nicht als zutreffend, da es sich hier im Grunde genommen gar nicht um eine güterrechtliche Frage handelt. Art. 177 ZGrB ordnet vielmehr die persönlichen Wirkungen der Ehe für die Ehegatten und kommt daher gernäss Art. 8 Schl.T. ZGB grundsätzlich bei allen Ehen zur Anwendung.

Mit Bezug auf Absatz 2 des Artikels 177 ZGB spielt allerdings das eheliche Güterrecht insofern eine Rolle, als eingebrachtes Gut oder Gesamtgut vorhanden sein muss, wenn diese Gesetzesbestimmung angewendet werden soll. Dies ist aber unzweifelhaft schon dann der Fall, wenn die Ehegatten auch nur Dritten gegenüber unter dem System der Güterverbindung oder der Gütergemeinschaft stehen, denn das Gesetz hat die Zustimmung der Vormundschaftsbehörde nicht bloss zum Schutze der Ehefrau, sondern ebensosehr im Interesse der Gläubiger der Ehegatten eingeführt (vgl. stenographisches Bulletin XV, Nr. 34, Seite 657).

Da die Ehegatten Koelle-Roth Dritten gegenüber unter dem neuen Recht der Güterverbindung stehen, trifft Art. 177, Absatz 2, ZGB im vorliegenden Fall zu und muss daher zur Anwendung gelangen.

Das frühere genferische Recht kommt hier dagegen nicht in Betracht.

II.

Im übrigen hängt nun die Entscheidung der Beschwerde einzig davon ab, ob man im Verzicht der Frau Elisabeth Koelle auf die pfandrechtliche Sicherung ein Rechtsgeschäft unter Ehegatten erblicken ,will, das ,,das eingebrachte Gut der Ehefrau betrifft" (Art. 177, Absatz 2, ZGB). In dieser Frage grundsätzlicher Natur stehen sich zwei Auffassungen gegenüber.

Die genferischen Grundbuchbehörden nehmen an, dass der Tatbestand des Art. 177, Absatz 2, schon dann gegeben und die

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vormundschaftliche Zustimmung daher erforderlich ist, wenn das Rechtsgeschäft der Ehegatten überhaupt mit dem eingebrachten Gut der Ehefrau in irgendeiner Beziehung steht. Bei dieser Auffassung wird keine Veränderung am Bestand des Frauengutes verlangt; es genügt eine Veränderung in den ,,Modalitäten1*, vor allem in der Sicherheit der Frauengutsforderung. Für diese Ansicht wird der Wortlaut des Gesetzes, insbesondere der französische und italienische Text, angerufen.

Dieser Auffassung steht diejenige der Beschwerdeführerin gegenüber. Sie verlangt, in Übereinstimmung mit den Kommentaren zu Art. 177 (vgl. Egger, Note 4. und Gmür, Randnote 17--19), für die Anwendung des Art. 177, Absatz 2, ZGB, dass das Rechtsgeschäft der Ehegatten am B e s t a n d des eingebrachten Gutes eine Veränderung herbeiführe. Nur wenn diese Voraussetzung erfüllt sei, bedürfe es der Einholung der vormundschaftlichen Genehmigung. Für diese Ansicht spreche der Zweck der in Frage stehenden Gesetzesbestimmung.

Unter diesen beiden Auffassungen verdient die zweite, von der Beschwerdeführerin vertretene, aus folgenden Gründen den Vorzug : a. Art. 177, Absatz l, ZGB, stellt als Grundsatz die völlige Freiheit der Ehegatten in der Eingehung von Rechtsgeschäften untereinander auf. Absatz 2 dieses Artikels dagegen bildet eine Ausnahme zu dieser Regel, indem Rechtsgeschäfte der Ehegatten unter bestimmten Voraussetzungen zu ihrer Gültigkeit noch der Zustimmung der Vormundschaftsbehörde bedürfen. Nach allgemein anerkannten Auslegungsgrundsätzen dürfen Ausnahmebestimmungen nicht ausdehnend angewendet werden.

b. Ferner spricht der Zweck der Vorschrift des Art. 177, Absatz 2, der sich ganz deutlich aus der Entstehungsgeschichte ergibt, für die Auffassung der Beschwerdeführerin. Was man der Genehmigung der Vormundschaftsbehörde unterbreiten wollte, sagte, viel deutlicher als der gegenwärtige Gesetzestext, der ursprüngliche Art. 200, Absatz 2, des Vorentwurfes von 1900 mit den Worten : ,,Rechtsgeschäfte, zu deren Vornahme mit Dritten die Ehefrau die Einwilligung des Ehemannes nötig hätte, bedürfen der Genehmigung der Vormundschaftsbehörde."

Unter Rechtsgeschäften, die ^das eingebrachte 6-ut betreffen", muss man somit diejenigen Rechtsgeschäfte verstehen, die sich als Verfügungen über Frauengutsstücke und als Haftbarmachung der Ehefrau mit ihrem ganzen Frauengut, so wie sie Dritten gegenüber möglich wäre, darstellen. Nur solche Rechtsgeschäfte fallen unter

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Art. 177, Absatz 2; Geschäfte aber, die sich -- wie im vorliegenden Fall -- gar nicht als Dritten gegenüber abgeschlossen denken lassen, und die gar nicht auf eine Haftung der Ehefrau hinauslaufen, fallen danach niemals unter die Regel des Art. 177, Absatz 2. Die zuletzt erwähnten Rechtsgeschäfte stehen ausschliesslich unter der in sich abgeschlossenen Ordnung des Güterstandes für die Ehegatten unter sich. Eine andere Auslegung würde zum Beispiel zu ganz sonderbarer Ausgestaltung des ehelichen Verhältnisses führen. Das Gesetz gäbe beispielsweise der Ehefrau die Befugnis, vom Manne Sicherstellung ihres Frauengutes zu begehren, allein das Rechtsgeschäft der Sicherstellung müsste vormundschaftlich bestätigt werden ; das Gesetz sähe die Möglichkeit vor, dass die Ehegatten sich über einen sogenannten remploi verständigten, allein das Rechtsgeschäft hierüber müsste wiederum zur Gültigkeit der Vormundschaftsbehörde vorgelegt werden. Man braucht nur an solche Fälle zu erinnern, um darzutun, dass dies unmöglich der Sinn der Gesetzesvorschrift sein kann.

c. Schliesslich müssen praktische Erwägungen und die Rücksicht auf den Verkehr unbedingt den Ausschlag zugunsten der Auffassung der Beschwerdeführerin geben.

Wollte man nämlich, trotz der vorstehenden Ausführungen, mit den genferischen Behörden in dem Verzicht der Ehefrau auf die ihr zustehende pfandrechtliche Sicherheit ein Rechtsgeschäft erblicken, das ,,das eingebrachte Gut betrifft'', so müsste man nicht nur Art. 177, Absatz 2, sondern unzweifelhaft auch den Art. 248 ZGB zur Anwendung bringen, der bestimmt: ,,Die -- Rechtsgeschäfte unter Ehegatten, die das eingebrachte Gut der Ehefrau oder das Gesamtgut betreffen, bedürfen zur Rechtskraft gegenüber Dritten der Eintragung in das Güterrechtsregistor und der Veröffentlichung." Art. 177, Absatz 2, und Art. 248 stimmen in dieser Beziehung wörtlich überein. Wäre daher die im angefochtenen Entscheid vertretene Ansicht zutreffend, so dürfte der Grundbuchverwalter auch bei Vorhandensein der vormundschaftlichen Genehmigung die Anmeldung der Ehegatten KcelleRoth nicht entgegennehmen. Vielmehr müssten die Ehegatten ihre Anmeldung beim Güterrechtsregisterführer einreichen und deren Eintragung im Güterrechtsregister, sowie deren Veröffentlichung verlangen. Erst nach Erfüllung aller dieser Formalitäten könnte die
grundbuchliche Behandlung stattfinden. Dieses Verfahren wäre aber nicht bloss im Falle des Verzichtes auf das Pfandrecht, sondern ebenso bei den viel häufigem Rangänderungen,

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Rangzessionen, Riicktrittserklärungen der Ehefrau gegenüber andern Pfandgläubigern, oder dgl., einzuschlagen.

Derartige Komplikationen für ganz unbedeutende Rechtshandlungen verträgt der Verkehr schlechterdings nicht, und es geht nicht an, dem Gesetzgeber ohne Not solche Absichten zuzuschreiben.

Wendet man diese, im Vorstehenden als richtig anerkannte Auslegung des Art. 177, Absatz 2, auf die Beschwerdesache an, so ergibt sich -- wie übrigens auch im Entscheid der genferischen Aufsichtsbehörde selbst ganz zutreffend zugegeben wird -- der Schluss, dass der Verzicht der Ehefrau auf die pfandrechtliche Sicherheit das eingebrachte' Gut nicht betrifft und die vormundschaftliche Zustimmung zu diesem Rechtsgeschäft deshalb nicht eingeholt zu werden braucht. Unter diesen Voraussetzungen war der Grundbuchverwalter nicht berechtigt, das Löschungsbegehren unter Berufung auf die fehlende vormundschaftliche Genehmigung abzuweisen.

Auf Grund dieser Erwägungen wird e r k annt :

Die Beschwerde wird begründet erklärt, und die Aufsichtsbehörde des Kantons Genf über das Grundbuch wird eingeladen, dafür zu sorgen, dass dem Löschungsbegehren der Beschwerdeführerin vom Grundbuchamt Genf, durch Vornahme der verlangten Löschungen irn Grundbuch, Folge gegeben werde.

B e r n , den 29. Juli 1913.

Im Namen des Schweiz. Bundesrales, Der Vizepräsident:

Hoffmann.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Schatzmann.

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Bundesratsbeschluss über die Beschwerde von Frau Elisabeth Koelle geb. Roth, in Genf, betreffend Verweigerung von Löschungen im Grundbuch. (Vom 29. Juli 1913.)

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