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Schweizerisches Bundesblatt.

65. Jahrgang.

5. März 1913.

Band I.

Jahresabonnement (portofrei in der ganzen Schweiz): 10 franken.

Einrückungsgebühr per Zeile oder deren Baum 15 Bp. -- Inserate franko an die Expedition Druck und Expedition der Buchdruckerei Stämpfli t Cit. in Bern.

45bis

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Ergänzungsbericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung zu dem zwischen der Schweiz, Deutschland und Italien am 13. Oktober 1909 abgeschlossenen Staatsvertrag betreffend die Gotthardbahn.

(Vom 18. Februar 1913.)

Tit.

Hierdurch beehren wir uns, den Ihnen von uns in Aussicht gestellten Ergänzungsbericht betreffend den Gotthardvertra vorzulegen.

L Die Petition.

Seit der Bundesrat sich in seiner Botschaft vom 9. Novemb 1909 *) über den Entwurf eines neuen GotthardVertrages ausgesprochen und denselben zur Annahme empfohlen hat, ist eine Bewegung durch das Land gegangen, deren Bedeutung wir nicht misskennen, und die in einer an die Bundesversammlung gerichteten Petition folgenden Wortlautes zum Ausdruck kam: ,,In Erwägung, dass die im Gotthardvertrag vom 13. Ok.,,tober 1909 enthaltene Ausdehnung der Meistbegünstigung DeutschAlands und Italiens für den Gotthardverkehr auf das ganze Bundes,,netz, die Bestimmung über die Tarife und deren Festlegung a u f ,, e w i g e Z ei t eine e r n s t e B e s c h r ä n k u n g u n s e r e r ö k o n omis eben F r e i h e i t und unserer S o u v e r ä n i t ä t bedeutet, ,,entgegen der anlässlich des Eisenbahnrückkaufs proklamierten De"vise: Die S c h w e i z e r b a h n e n dem S c h w e i z e r v o l k ; *) Bundesblatt 1909, Band V, Seite 131.

Bundesblatt. 65. Jahrg. Bd. I.

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,,In Erwägung, dass der Vertrag den Bundesbahnen finanzielle ,,Opfer auferlegt, die in keinem Verhältnis stehen zu den Gegen,,leistungen, und die in der Hauptsache dem Ausland und nicht dem ,,internen Verkehr zugute kommen, ersuchen die unterzeichneten ,,stimmfähigen Schweizerbürger, in Anwendung des Art. 57 der ,,Bundesverfassung, die Mitglieder der eidgenössischen Räte, den ,,Gotthardvertrag a n d e n B u n d e s r a t z u r ü c k z u w e i s e n , ,,in der Erwartung, dass diese hohe Behörde eine der nationalen ,,Würde und Freiheit angemessene Lösung finde, sei es unter Zugrundelegung der bisherigen Verträge, sei es auf Basis eines ,,neuen Vertrages."

Der Bundesrat konnte diese Petition, die gewiss aus patriotischen Motiven herausgegangen ist, nicht einfach ignorieren. Er hat sich die Frage vorgelegt, ob er trotz des im Volke sich geltend machenden Widerstandes auf seinem Antrage, den Vertrag zu genehmigen, beharren solle, und er ist daher zu einer nochmaligen genauen Prüfung des Vertragsprojektes, sowie der Folgen seiner Annahme und Verwerfung geschritten. Wir unterbreiten Ihnen hiermit das Ergebnis dieser Untersuchung, die um so angezeigter erschien, als inzwischen drei volle Betriebsjahre verflossen sind, deren Resultate die Tragweite des alten und des neuen Vertrages beleuchten.

Wir treten an unsere Aufgabe in voller Objektivität heranund lassen uns keineswegs vom Wunsche leiten, an einem einmal gestellten Antrage unter allen Umständen festzuhalten. Die Folgen der Verwerfung wie die der Annahme des neuen Vertrages werden wir nach den wirklichen Verhältnissen und den Tatsachen so darstellen, wie sie sich nach unserer Überzeugungergeben. Dabei werden wir uns über verschiedene Punkte einlässlicher aussprechen, als dies in der Botschaft vom 9. November 1909 geschehen konnte, damit in voller Kenntnis der Sachlage entschieden werden kann. Die Bundesversammlung trägt die Verantwortlichkeit für den Schlussentscheid, und wir haben, daher die Pflicht, Sie aufzuklären und Ihnen alles mitzuteilen, was vom juristischen, politischen oder wirtschaftlichen Standpunkte aus für die Beurteilung unseres Antrages in Betracht fällt.

Um dieser Aufgabe gerecht werden zu können, haben wir über die juristische und verkehrstechnische Seite der Fragen Gutachten der Herren Prof. Dr. P. Speiser in Basel, Prof. Dr.

Eugen' Borei in Genf und der Generaldirektion der Bundesbahnen eingezogen und bringen diese zum Abdruck.

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n.

Der alte Gotthardvertrag begründete dauernde, auf der Gotthardbahn haftende Verpflichtungen, welche durch die Verstaatlichung ungeschmälert auf den Bund Übergegangen sind.

Durch den Staatsvertrag zwischen der Schweiz, Deutschland und Italien betreffend den Bau und den Betrieb einer Gotthardbahn vom 15. Oktober 1869 und den Zusatzvertrag vom 12. März 1878 vereinigten sich die genannten Länder, um die Verbindung zwischen den deutschen und italienischen Bisenbahnen durch den Gotthard zu sichern. Alle drei Staaten zusammen gewährten zunächst eine Subvention von 85 Millionen, die im Jahre 1878 auf 113 Millionen erhöht wurde. Deutschland leistete 30, Italien 55, die Schweiz 28 Millionen. Eine Rückzahlungspflicht besteht in bezug auf diese Subventionen nicht. Als Gegenleistung wurden den Subventionsstaaten gewisse Rechte eingeräumt, die zum Teil als Bau-, zum Teil als Betriebsverpflichtungen nicht nur der zu bildenden Gesellschaft für sich, sondern dem Objekte, der Gotthardbahn, auferlegt wurden. Der Schweiz wurde der Auftrag erteilt, die Rechte der Subventionsstaaten der Gesellschaft gegenüber zu wahren, und sie übernahm die Verpflichtung, die Ausführung des Unternehmens und alle im Staatsvertrage erwähnten Verbindlichkeiten sicherzustellen.

Diese Auffassung des Verhältnisses zu den Subventionsstaaten findet ihre Bestätigung im Wortlaute des Staatsvertrages, in der dazu erlassenen Botschaft vom 30. Juni 1870, in den anlässlich der Behandlung des Vertrages in der Bundesversammlung gefallenen Voten und endlich in den Konzessionen, die der Bund der Gotthardbahngesellschaft erteilte.

Der Staatsvertrag bestimmte in Art. l, Absatz 5: ,,Bei Organisation dieser Gesellschaft wird der Bundesrat ,,die erforderlichen Massregeln treffen, um die Ausführung des ,,Unternehmens und aller im gegenwärtigen Vertrage erwähnten ,,Verbindlichkeiten sicherzustellen. Zu diesem Behufe sind die ,,Statuten der Gesellschaft der Genehmigung der eidgenössischen ,,Regierung zu unterstellen ;"· in Art. 11, Absatz l : ,,Die schweizerische Eidgenossenschaft übernimmt die allgemeine Verpflichtung, die Vorschriften des gegenwärtigen Ver,,träges betreffend den Bau der Gotthardbahn vollziehen zu lassen;" in Art. 15 : ,,Falls die Konzession der Gotthardbahn auf eine andere ,,Gesellschaft übertragen werden sollte, so muss für diese Über-

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,,tragung die Genehmigung des Bundesrates eingeholt werden, ,,welcher die Verpflichtung übernimmt, dafür zu sorgen, dass alle ,,Festsetzungen des gegenwärtigen Vertrages vollständig in Kraft ,,verbleiben.

,,Wenn später eine Fusion zwischen schweizerischen EisenBahnen und der Gotthardbahn zustande käme, oder wenn von ,,der Gotthardbahngesellschaft neue Linien erbaut werden sollten, ,,so hätten die Verpflichtungen, welche dieser letzteren obliegen, ,,soweit sie auf den Betrieb Bezug haben, auf die erweiterte ,,Unternehmung überzugehen."

Die Botschaft des Bundesrates vom 30. Juni 1870 führte unter anderai aus: ,,Pflichten der Gotthardbahngesellschaft ,,Der Gotthardbahngesellschaft liegt die allgemeine Pflicht ,,ob, im Bau und Betriebe der Bahn sich genau an die Bestim,,mungen zu halten, welche in dem Vertrage hierüber aufgestellt ,,sind. (Art. l, Absatz 4.)

,,Sie unterstellt ihre Statuten und ihre Betriebsorganisation ,,der Genehmigung des schweizerischen Bundesrates. (Art. l, Ab,,satz 4, und Art. 5, Absatz 2.)

,, I m . b e s o n d e r n hat sie gegenüber den subventionierenden ,,Staaten folgende Verpflichtungen: n« ,,Sowohl jene allgemeine als die genannten speziellen Verpflichtungen haften auf der Unternehmung und gehen, falls die ,,Konzessioo an eine andere Gesellschaft übertragen werden sollte, ,,was nur mit Genehmigung des Bundesrates geschehen kann, auf ,,diese zweite und falls später eine Fusion zwischen schwei,,zerisohen Eisenbahnen und der Gotthardbahn ins Leben treten ,,sollte, oder wenn die Gotthardbahn neue Linien erbauen würde, ,,soweit die Verpflichtungen auf den Betrieb Bezug haben, auf ,,die erweiterte Unternehmung über. (Art. 15.)

,,Garantien.

,,Die Schweiz, als derjenige der kontrahierenden Staaten, auf ,,dessen Gebiet die Gotthardbahn ausgeführt wird, und unter dessen ,,Territorialhoheit die Gesellschaft und die ganze Unternehmung ,,steht, übernimmt den ändern kontrahierenden Staaten gegenüber ,,die allgemeine Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass die nach ,,Massgabe des Vertrags der Gotthardbahngesellschaft .sowohl in ..betreff des Baues der Bahn, als ihres spätem Betriebs oblie-

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,,genden Pflichten vollständig erfüllt werden (Art. l, Absatz 4, und ,,Art. 11, Absatz 1), und dass diese Erfüllung auch dann gesichert ,,bleibe, wenn die Gesellschaft wechseln oder fusionieren würde ,,(.Art. 15)."

Speziell zu Art. 15 bemerkt sie: ,,Es scheint, und wohl nicht mit Unrecht, eher eine ,,Schwächung als eine Stärkung der Garantien zugunsten der ,,kontrahierenden Staaten zu sein, wenn vorbehalten wird, dass ,,die Stipulationen des internationalen Vertrags bei einer Über,,tragung der Konzession an eine andere Gesellschaft oder bei ,,einer allfälligen Fusion der Gotthardbahn mit ändern schwelgerischen Bahnen unverändert haften bleiben, um so mehr, als ein ,,Fall ganz ausser acht gelassen ist, derjenige nämlich, wenn die ,,Kantone oder der Bund die Bahn durch Rückkauf an sich ziehen.

,,Die Schweiz anerkennt den Grundsatz als selbstverständlich, ,,und wir nehmen keinen Anstand, zu erklären, dass auch der ,,Rückkauf der Bahn durch die Kantone oder den Bund die durch ,,den Vertrag übernommenen Verpflichtungen betreifend den Be,,trieb der Gotthardbahn nicht aufhebt noch alteriert.1' Anlässlich der Behandlung des Vertrages im Ständerate erklärte Bundesrat Welti das Folgende: ,,Ich brauche Sie wohl nicht daran zu erinnern, dass bei ,,einem solchen kolossalen Werke, an dessen Errichtung halb ,,Europa beteiligt ist, man nicht ganz einfach im Ausland Sub^ ,,sidien verlangen kann, sondern dass notwendig schon aus der ,,Natur eines jeden und namentlich eines solchen Vertrages her,,vorgehen muss, dass er ein zweiseitiger sei in Rechten und ,.j Verpflichtungen. Man hat uns überhaupt zum Vorwurf gemacht, ,,dass wir die Eidgenossenschaft nicht blos mit solchen Bedingungen ,,belastet hätten, welche blos vorübergehender Natur seien, und ,,welche möglicherweise aufgekündet werden könnten.

,,Meine Herren, es ist das wahr, wir haben Verpflichtungen ,,in dem Vertrage übernommen, die so lange dauern, als die ,,Bahn selbst, resp. als der Betrieb dieser Bahn, und die wir auf ,,die Dauer dieses Vertrages nicht aufzugeben und zu lösen im,,stande sind. Es liegt aber auf der flachen Hand, dass diese ,,Dauer der Verpflichtungen in genauem Zusammenhange mit der ,,Natiir der Sache selber steht, und es wäre gewiss unrecht, ,,wenn ich Ihnen das weitläufig auseinandersetzen wollte."

Auch die damaligen Gegner des Gotthardvertrages gaben sich Rechenschaft, dass der Vertrag dauernde Verpflichtungen schaffe ; so äusserte sich im Nationalrate "Wirth-Sand :

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,,Dann kommt noch ein Punkt, der bereits von Herrn Bytel ,,berührt worden ist, nämlich die Dauer des Vertrages. Es steht ,,gar nirgends, wie lange der Vertrag dauert. Daraus folgt, dass ,,die Verpflichtung, welche die Staaten bezüglich des Gotthard,,Vertrages übernehmen, eine ewige ist."

Herr Bytel betonte die Tatsache der ewigen Dauer des Vertrages noch schärfer. Man vergleiche die stenographischen Verhandlungen über den Gotthardvertrag, pag. 275 ff., speziell 279.

Die Bundesbeschlüsse, durch welche die kantonalen Konzessionen nach Massgabe des Eisenbahngesetzes von 1852 genehmigt werden mussten, wahrten dem Bunde ein Rückkaufsrecht nach dem 30., 45., 60., 75., 90. und 99. Jahre und stipulierten ausdrücklich für alle diese Rückkaufsmöglichkeiten, dass der Bund die nach Massgabe der Betriebsergebnisse als Gegenwert der Bahn zu leistende Entschädigung an die Gesellschaft zu bezahlen habe : ,,immerhin in der Meinung, dass dabei die durch den Staatsver,,trag begründeten Rechte der Subventionen vorbehalten bleibend Durch diese Bestimmungen und authentischen Erklärungen ist deutlich zum Ausdrucke gebracht worden, welches die Willensmeinung der Kontrahenten anlässlich des Abschlusses des Staatsvertrages war. Die sämtlichen Verpflichtungen, welche den Rechten entsprachen, die man den Subventionsstaaten einräumte, wurden auf das Objekt, die Gotthardbahn, gelegt, in dem Sinne, dass sie dauernd, gleichsam als Reallasten, sie beschwerten und bei jeder Handänderung von Rechts wegen begleiteten.

Der Akt, durch welchen dies in Ausführung des Staatsvertrages in aller Form Rechtens geschah, ist der Bundesratsbeschlüss vom 3. November 1871 über die Genehmigung der Statuten der Gotthardbahn. Darin sicherte der Bundesrat der künftigen Gesellschaft die Subventionen zu, welche ihr durch den Staatsvertrag zur Verfügung gestellt wurden, und verpflichtete sie anderseits, ,,alle ihr durch den gegenwärtigen Beschluss auferlegten Verbindlichkeiten zu erfüllen"1 (Art. 9). Die im Beschlüsse angeführten Auflagen entsprachen in allen Teilen den Bestimmungen des Staatsvertrages, dessen Bestimmungen, in der Bundeskonzession schon vorbehalten worden waren. Nach Annahme des zweiten Staatsvertrages von 1878, nach welchem die Subvention um 28 Millionen erhöht wurde, erliess der Bundesrat am 4. Juli 1879 einen weiteren Beschluss,
in welchem die Pflichten der Gotthardbahn, dem zweiten Abkommen entsprechend, bestätigt und erweitert wurden. (Eisenbahnaktensammlung N. F. IV und V, Seite 194 u. ff.) So wurden der Gotthardbahngesellschaft durch

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Rechtsakte unter anderm alle die Pflichten überbunden, die sich -auf die Festsetzung und Reduktion der Taxen, die Meistbegünstigung und andere Punkte des Betriebes beziehen, und sie wurde verpflichtet, als Inhaberin der Bahn, diese Bestimmungen gegenüber der Schweiz und den Subventionsstaaten zu beobachten.

Diese angesichts aller Verhältnisse unbestreitbare und unbestrittene Reehtsauffassung hat der Bund in loyaler Weise stets anerkannt und sie sowohl intern, wie nach aussen, wir meinen in den Erklärungen gegenüber den Subventionsstaaten, zur Richtschnur seiner Handlung genommen. Die eine Kategorie der Verpflichtungen, die, welche sich auf den Bau bezogen, verloren -durch die vertragsgemässe Ausführung der Bahn ihre Bedeutung.

Die ändern aber, die Betriebsverpflichtungen, blieben bestehen.

In der Rückkaufsbotschaft vom 25. März 1897 (BB1II, 335) Äusserte sich der Bundesrat unter anderm wie folgt: ,,Die durch den Staatsvertrag begründeten Rechte der Sub.,,ventionen bleiben vorbehalten, d. h. sie bleiben nach erfolgtem -,,Rückkaufe fortbestehen, sofern nicht auch ihnen gegenüber ein ,,Auskauf stattfindet, wofür zurzeit eine vertragliche Regelung .,,nicht besteht. Ein solches Recht der Subventionen ist in Art. 18 .,,des Vertrages festgesetzt, welcher lautet: ,,,,Die Staaten behalten .,,sich einen Anspruch auf Partizipation an den finanziellen Er^gebnissen des Unternehmens nur für den Fall vor, wenn die .,,auf die Aktien zu verteilende Dividende 7 °/o übersteigen sollte.

.,,In diesem Falle ist die Hälfte des Überschusses als Zins unter .,,die Subventionsstaaten im Verhältnisse ihrer Subsidien zu ver,,teilen. tttt ,,Wie bereits bemerkt, können durch den Rückkauf der .,,Bahn, die durch den Vertrag übernommenen Verpflichtungen ^betreffend den Betrieb der Gotthardbahn nicht aufgehoben oder ,,alteriert werden. Art. 8 der vom Bunde erteilten Konzession ,,lautet: ,,,,Sowohl den Bestimmungen dieser Konzession als auch ,,den vorstehenden Ratifikationsbedingungen gegenüber bleibt der ,,mit den subventionierenden Staaten abzuschliessende Staatsver.,,trag vorbehalten.1"' Die Bestimmungen dieses Staatsvertrages ,,bleiben auch nach dem Rückkauf fortbestehen, und die bezüg,,lichen Verpflichtungen der Gesellschaft gehen auf den Bund als ,,Eigentümer über, so die Vorschriften betreffend den ununter.,,brochenen
Betrieb der Bahn (Art. 6), die Zugsanschlüsse an die .,,deutschen und italienischen Bahnen und die Minimalzahl der Züge .,,(Art. 7), die Maxima der Transporttaxen (Art. 8), die Reduktion

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,,der Taxen bei einem Reinertrag von über 8 °/o (Art. 9), die,,Bestimmungen über Tariffestsetzungen (Art. 10) und die Partizipation der Subventionsstaaten am Reingewinn (Art. 18).tt Gegen die in jener Botschaft entwickelte Auffassung wurde unseres Wissens von keiner Seite Einspruch erhoben.

Den Subventionsstaaten gegenüber aber gab der Bundesrat, vom gleichen Gedankengange geleitet, eine Reihe von Erklärungen ab..

Im Mai 1897 liess er den Gesandten von Deutschland und Italien eröffnen, die Schweiz sei berechtigt, die Gotthardbahn.

autonom zu verstaatlichen, und fuhr dann fort: ,,Selbstverständlich ist aber, dass die Verpflichtungen, welche,,dem Gotthardbahnunternehmen durch die Staatsverträge über,,bunden worden sind, beim Rückkauf auf die Eidgenossenschaft ,,als nunmehrigen Eigentümer der Bahn übergehen und in ihrer ,,Person ungeschwächt fortbestehen. Dahin gehören folgende ,, B esti m m ungen : ,,Art. 6 des Staatsvertrages vom 15. Oktober 1869 betreffend ,,Fürsorge für ununterbrochenen Bahnbetrieb; ,,Art. 7 eod. loc. betreffend Zugsanschlüsse an die deutschen, ,,und italienischen Bahnen und die Minimalzahl der Züge; ,,Art. 8 betreffend Maxima der Transporttaxen; ,,Art. 9 betreffend Reduktion der Taxen bei einem Reingewinn von über 9 °/o (resp. gemäss Abänderung im Zusatz,,vertrag vom 12. März 1878 = 8 %) ; ,,Art. 10 betreffend Tariffestsetzungen; ,,Art. 18 betreffend Partizipation der Subventionsstaaten am ,,Reingewinn bei einer Aktiendividende von über 7 °/o.

,,Ein Recht der fremden Subventionsstaaten zur Vertretung ,,in den Verwaltungsbehörden der Gotthardbahn besteht nicht.

,,Die Vorschriften in Art. 6, 7, 8, 9, 10 (obgenannt) finden ,,nach Übergang der Bahn an die Eidgenossenschaft unmittelbare ,,Anwendung.

,,Dagegen wird es nötig sein, dass, sich die Eidgenossen,,schaft über die Anwendung des Art. 18 mit den fremden Sub,,ventionsstaaten verständige, sei es, dass man sich zur Fortfüh,,rung einer gesonderten Ertragsrechnung für die Gotthardbahn,,strecken versteht, sei es, dass der Dividendenanspruch abgelöst ,,wird."

341 Im Februar 1904 Hess der Bundesrat durch die schweizerischen Gesandten in Rom und Berlin den beiden Staaten erklären, ,,dass der ungeschmälerte Übergang aller der Gotthardbahngesell,,schaft obliegenden Verbindlichkeiten auf den Bund als selbst,, verständlich angenommen werde". In der an Deutschland und Italien gerichteten Note vom 23. Februar 1909 erinnerte der Bundesrat, als er das Recht der autonomen Verstaatlichung wiederum betonte, an seine frühern Erklärungen, und bemerkte: ,,Anderseits anerkennen wir, in Bestätigung der Mitteilungen, die ,,wir schon im Jahre J897 und im Jahre 1904 den Regierungen ,,der beiden Subventionsstaaten gemacht haben, dass die genannten ,,Staaten mit Rücksicht auf die Gotthardunternehmung die iu ,,Übereinstimmung mit den Staatsverträgen umschriebenen Rechte ,,gemessen. Wir erklären uns als Rechtsnachfolger der Gotthard,,bahngesellschaft vom nächsten 1. Mai weg als Schuldner der ,,diesen Rechten entsprechenden Verpflichtungen und übernehmen ,,es, sie insoweit zu erfüllen, als sie nicht in der Folge durch ,,Vertrag der Parteien abgelöst oder modifiziert werden." Die Note ist auf Seite 13 u. ff. der diplomatischen Korrespondenz abgedruckt.

Das Resultat der bisherigen Ausführungen ist somit, dass die auf der Gotthardbahn zur Zeit des Bestandes der Gesellschaft lastenden, durch den Staatsvertrag begründeten Verpflichtungen mit dem Rückkauf nicht etwa, erloschen sind, ja nicht einmal zu ungunsten der Staaten modifiziert wurden, sondern, wie von Anfang an vorgesehen, auf dem Objekte, der Bahn, ungeschmälert haften, so dass sie heute vom Bunde im gleichen Umfange erfüllt werden müssen, wie dies der Gesellschaft obliegen würde, wenn sie noch bestünde. Die Rechte der Subventionsstaaten wurden also weder sachlich eingeschränkt, noch zeitlich gekürzt.

Damit ist auch die gelegentlich geäusserte Meinung widerlegt, die Rechte der Subventionsstaaten seien erloschen, weil der Rückkauf im Staatsvertrage nicht vorgesehen worden sei, oder die Ansprüche Italiens und Deutschlands gehen mit der Konzession, spätestens aber mit dem Ablauf von 99 Jahren (Dauer der kantonalen Konzession) unter. Der Staatsvertrag, die Erklärungen des Bundesrates von 1870 und nicht zum letzten der Wortlaut der Bundeskonzessionen schliessen diese Möglichkeit direkt aus, da, wie wir oben betonten, in den Konzessionen auf alle Fälle, selbst wenn der Rückkauf erst nach 99 Jahren stattfinden sollte, die Rechte der Subventionen vorbehalten sind.

342 Andere behaupten wieder, unter diesen ,,Rechten der Subventionen", von denen die Bundeskonzessionen sprechen, sei bloss die Partizipation am Reingewinn für den Fall eines Ertrages von über 7 °/o verstanden. Aber für diese Ansicht lassen sich gar keine Gründe finden. Es sind auch bezüglich der Dauer alle Verpflichtungen gleichgestellt. Von Anfang an wurden, wie im Nationalrate im Jahre 1870 Herr Eytel ganz richtig betonte, die Subventionen als eine Einkaufssumme für Rechte, welche in ihrem ganzen Umfange auf dem Unternehmen lasten sollen, angesehen.

Damit entfällt auch der Vorwurf, der Bundesrat habe schon von 1870 hinweg dem Vertrage einen Sinn zugeschrieben, der weiter gehe, als der Wortlaut es rechtfertige. Wir denken, die Behörden jener Zeit seien eher in der Lage gewesen, ihre Akte sinngemäss zu interpretieren, als die heutige Generation 40 Jahre später.

Wir möchten nicht unterlassen, festzustellen, dass sich die Ausführungen in den Gutachten der Herren Speiser und Borei mit unserer Ansicht decken.

III.

Übersicht des Inhaltes des alten und des neuen Gotthardvertrages.

Die Erledigung von Differenzen.

Im vorhergehenden Abschnitte haben wir gezeigt, dass die Verpflichtungen, die sich aus dem alten Gotthardvertrage ergeben, auf dem Bahnunternehmen als solchem haften und mit ihm auf den Bund übergegangen sind. Wenn wir uns nun darüber schlüssig machen sollen, ob wir den neuen Vertrag mit Italien und Deutschland genehmigen oder aber uns mit den Bestimmungen des Staatsvertrages von 1869/1878 abfinden sollen, so müssen wir die Tragweite beider Verträge erörtern und die Resultate nebeneinanderhalten, um nach Besprechung aller Punkte zwischen den beiden Alternativen zu wählen.

Zunächst ist festzustellen, dass der alte Vertrag Vorschriften über den B a u enthalten hat, die gegenstandslos geworden sind und daher auch in den Verhandlungen über den neuen Vertrag beiseitegelassen wurden. Sie fallen nicht in Betracht. Sodann enthält sowohl der alte Vertrag wie der neue eine Anzahl Betriebsverpflichtungen, welche selbstverständliche Dinge regeln.

Darunter gehören die Sicherstellung des Betriebes gegen jede

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Unterbrechung (alt Art. 6, neu Art. 3) ; die Einrichtung des ·direkten Verkehrs und der Anschluss an die deutschen und italienischen Bahnen (alt Art. 7, Absatz 2 und 3, neu Art. 4, 5 und 6). Diese Punkte brauchen in diesem Berichte nicht weiter «rörtert zu werden.

Dagegen enthalten sowohl der alte wie der neue Vertrag noch zwei weitere Gruppen von Bestimmungen, die eingehend zu würdigen sind.

Die eine Gruppe betrifft die Vorschriften über die ziffermässigen Maximaltaxen und in Verbindung damit die Pflicht, sie unter gewissen Voraussetzungen zu reduzieren, nämlich wenn die Zinsen des Aktienkapitales 8 °/o übersteigen, und endlich die Festlegung der Verpflichtung, die Subventionsstaaten an den Ergebnissen des Unternehmens partizipieren zu lassen, wenn die auf die Aktien zu verteilende Dividende 7 °/o übersteigen sollte (alter Vertrag: Art. 8, 9 und 18).

Diese Gruppe der speziellen Vorschriften findet im neuen Vertrage ihre Regelung durch Art. 10 bis 12, d. h. durch die Festsetzung der Personentaxen, die Festlegung der zurzeit geltenden Taxen im Gepäck- und Güterverkehr, unter Vorbehalt eventueller Wiedererhöhung der letztern, wenn gewisse Voraussetzungen zutreffen, und endlich die Herabsetzung der gegenwärtig angewendeten Bergzuschläge auf dem Güterverkehr. Die Vorschriften des alten wie des neuen Vertrages haben das Gemeinsame, dass sie nur den Transitverkehr beschlagen.

Die andere Gruppe betrifft die in Art. 10 des alten Vertrages enthaltenen Vorschriften über eine generelle Konzession an die Subventionsstaaten, nämlich die der Meistbegünstigung auf dem Gotthardnetze im Verhältnis zum Transitverkehr anderer Länder. Diese generelle Vorschrift findet ihr Gegenstück in den Bestimmungen von Art. 7, 8 und 9 des neuen Vertrages. , Wir werden nun die beiden Gruppen von Bestimmungen des alten und des neuen Vertrages erörtern und miteinander vergleichen, um schliesslich noch von der Vorschrift des Art. IV des Schlussprotokolles zu sprechen, der vom Verfahren in Beziehung auf Materialbestellungen der Gotthardbahn anlässlich einer spätern Elektrifizierung handelt.

Bei der Auslegung der Bestimmungen des alten und des neuen Vertrages lassen wir uns von der Erwägung leiten, dass eine loyale und korrekte Anerkennung bestehender internationaler Verpflichtungen schweizerische Tradition ist. Wir überschätzen die Tragweite der vertraglichen Bestimmungen nicht, verhehlen uns

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aber geradesowenig ihre wirklichen Konsequenzen. Wenn je über die Auslegung des einen oder des ändern Vertrages mit unsern Nachbarstaaten Differenzen entstehen sollten, so würden sie wohl schiedsgerichtlich ausgetragen werden. Für den neuen Vertrag schreibt dies dessen Art. 13 ausdrücklich vor. Was dea alten Vertrag anbetrifft, so enthält er keine solche Bestimmung; indessen ist nicht zu vergessen, dass zwischen der Schweiz und Italien ein Schiedsvertrag vom 23. November 1904 besteht, der im Jahre 1909 um fünf Jahre verlängert worden ist (A. S. XXI,.

pag. 732). Art. I dieses Übereinkommens lautet: ,,Streitige Rechtsfragen und Streitfragen, die sich auf die ,,Auslegung der zwischen den beiden vertragsschliessenden Teilen,,bestehenden Verträge beziehen, sollen, sofern sie nicht auf diplo,,matischem Wege haben erledigt werden können, dem durch die ,,Konvention vom 29. Juli 1899 eingesetzten ständigen Schieds,,gerichtshof im Haag überwiesen werden. Dabei ist jedoch vor,,ausgesetzt, dass solche Streitigkeiten weder die vitalen Interessen,, ,,noch die Unabhängigkeit oder die Ehre der beiden vertrags,,schliessenden Staaten und ebensowenig die Interessen dritter ,,Mächte berühren."

Nach dem Wortlaute dieser Vertragsbestimmuag ist es wohl unbestreitbar, dass Differenzen mit Italien über die Auslegung des alten Gotthardvertrages unter den Schiedsvertrag fallen würden.

Dagegen könnte man uns nicht zumuten, in ein Verfahren mit Italien allein einzutreten, da Deutschland mitbeteiligt ist. Wenn aber beide Länder gemeinsam die Erledigung der Differenzen durch ein Schiedsgericht verlangen würden, so könnte, wenn auch mit Deutschland kein Schiedsvertrag besteht, die Schweiz, sich nicht ablehnend verhalten. Unser Land, das selbst so oft die Initiative für die internationale Regelung verschiedener Gebiete des Rechtes und des Verkehrs ergriffen hat und den Sitz verschiedener internationaler Ämter beherbergt, wäre unseres Erachtens moralisch gezwungen, einem solchen Vorschlage beizustimmen.

Das letzte Wort hätte voraussichtlich ein Schiedsgericht, und wir tun daher gut, uns von Anfang an Rechenschaft zu geben, welche Vertragsauslegungen wir mit Aussicht auf Erfolg vor einem internationalen Gerichtshofe vertreten könnten, und insbesondere die juristischen Konsequenzen des alten Vertrages zu ziehen. ,

345 IV.

Die Anwendung von Art. 8, 9 und 18 des alten Vertrages auf die verstaatlichte Gotthardbahn.

Durchaus einfach gestaltet sich die Anwendung des Art. 8 ·des alten Vertrages auf die verstaatlichte Gotthardbahn. Wie bisher dürfen die daselbst festgesetzten Maximaltaxen für den Personen- und Güterverkehr nicht überschritten werden. Darüber ist kein Wort zu verlieren. Weniger einfach ist die Anwendung von Art. 9 (Pflicht zur Taxreduktion, wenn die Zinsen des Aktienkapitals 8°/o übersteigen) und von Art. 18, der sich auf die Partizipation der Subventionsstaaten am finanziellen Ergebnisse bezieht.

Es muss ja gleich betont werden, dass nach der Verstaatlichung der Gotthardbahn eine Aktiengesellschaft nicht mehr besteht und daher eine Dividende auf ein Aktienkapital nicht mehr ausgeworfen werden kann. Auf der ändern Seite ist festzustellen, dass der Vertrag den Fall des Rückkaufes nicht vor·sieht und somit auch nicht bestimmt, welches Verhältnis nach der Verstaatlichung eintreten soll. Unter diesen Umständen muss offenbar von dem Grundsatze ausgegangen werden, dass die Schweiz, welche die Verstaatlichung autonom durchgeführt hat, unter den gleichen Verhältnissen die Taxen reduzieren und einen Anteil am Ertrage der Bahn herausbezahlen müsse, unter denen diese Pflichten der Gesellschaft obgelegen wären. Nur wenn so verfahren wird, kann das Resultat erreicht werden, welches durch ·den Staatsvertrag unsern beiden Nachbarstaaten zugesichert ist und ihnen überdies durch die Erklärungen des Bundesrates aus den Jahren 1897, 1904 und 1909 (vgl. oben Abschnitt II) ausdrücklich versprochen wurde, nämlich dass ihre Rechte nicht geschmälert werden sollen und dass der Bund in allen Teilen an Stelle der ·Gotthardbahngesellschaft trete.

Um den erwähnten Grundsatz durchzuführen, ist es nötig, ·dass über das Gotthardunternehmen gesonderte Rechnung geführt wird, wie wenn es heute noch unabhängig von den Bundesbahnen bestünde. Ferner ist erforderlich, dass ein Rechnungsabschluss erstellt werde, wie ihn die Gotthardbahngesellschaft vorgenommen hätte. Endlich wird den Subventionsstaaten das Recht kaum abgesprochen werden können, die Betriebsrechnung, sowie den für die Erfüllung der Verpflichtungen massgebenden Abschluss zu prüfen. Von diesen drei Punkten soll nunmehr gesprochen werden.

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1. Über die Folgen einer getrennten Rechnungsführung überden Betrieb der Gotthardbahn spricht sich das beigedruckte Gutachten der Generaldirektion der S. B. B. (Beantwortung von Frage 5) aus. Es ergibt sich, dass ein solches Vorgehen erhebliche Schwierigkeiten bieten würde und überdies direkte Nachteile für die Verwaltung und den Betrieb der Bundesbahnen zur Folge hätte.

Wir heben aus dem Gutachten hervor, dass die besondere und genaue Ausmittlung der Trausporteinnahmen zeitraubende Arbeit und eine nicht unwesentliche Mehrausgabe bedingen würde. Die Ausgaben der Zentralverwaltung müssten, soweit sie den Kreis V betreffen, streng ausgeschieden werden, und eine Erweiterung desselben, die als ökonomisch vorteilhaft erscheint, würde verunmöglicht. Im Betriebe würde auf Grund genauer Rapporte der Übergangsstationen eine Kontrolle der auf dem Gotthardnetz kursierenden Bundesbahnwagen und der auf dem übrigen Netz der Bundesbahnen zirkulierenden Gotthardbahnwagen nötig, um eine Verrechnung für das benutzte Wagenmaterial zu ermöglichen. Die Bundesbahnverwaltung wäre ferner in der durchgehenden 'Verwendung der Lokomotiven und des Personals gehemmt, weil für beides eine komplizierte und nicht leicht vorzunehmende Verrechnung einzutreten hätte. Erschwert, wenn nicht verunmöglicht, würden weiter alle Massregelri, welche eine rationelle Gestaltung des Betriebs auf der Gotthardbahn bezwecken, aber auf dem Gebiete anderer Kreise vorgenommen werden sollten. Darunter zählt die Rangierung Von Zügen in Basel oder Ölten, wodurch die Manöver in Goldau und Erstfeld erspart werden können.

Besondere Schwierigkeiten würde die Weiterführung ' der Gemeinschaftsrechnungen für Bahnhöfc und Bahnstrecken -- wir erinnern beispielsweise an den Bahnhof Luzern -- bieten, zumal in der Zukunft, nach Vornahme von Erweiterungen und Umbauten.

Für die Einzelheiten verweisen wir wiederholt auf das Gutachten der Bundesbahnen, welches seine Erörterungen in folgenden Sat& zusammenfasst : ,,Man darf somit sagen, dass zu dem misslichen Umstände einer bedeutenden Mehrarbeit die Inkonvenienz hinzukommt, dass Vereinfachungen und mit denselben. zu erzielende Ersparnisse von Belang gar nicht zur Durchführung gebracht werden könnten, mit ändern Worten, ein nicht unwesentlicher Teil der mit der Verstaatlichung der Gotthardbahn angestrebten Vorteile
würde nie zur Realisierung gelangen."

Für die Einführung von Betriebsverbessernngen würde natürlich die Anregung fehlen, solange solche einfach die Herabsetzung, von Taxen zur notwendigen rechtlichen Folge hätten!

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2. Die den Staaten auf Grund der Betriebsergebnisse abzulegende Rechnung, welche für die Erfüllung der Verpflichtungen aus Art. 9 und 18 des · alten Staats Vertrages massgebend wäre, inüsste, wie wir oben auseinandersetzten, der Gewinn- und Verlustrechnung der Gotthardbahngesellschaft entsprechen. Diese bestimmte in ihren Statuten über den Rechnungsabschluas das Folgende: ,,Art. 15. Die Jahresrechnungen und Bilanzen der Gesellschaft sind je auf den 31. Dezember abzuschliessen. Die Aufstellung derselben hat nach Massgabe der gesetzlichen Vorschriften zu erfolgen."

.,,Art. 16. Der nach Bestreitung aller Unkosten des Betriebes, der Bezahlung der Zinsen und Amortisationen und Vornahme der vorschriftsgemässen Abschreibungen sich ergebende Reinertrag der Unternehmung wird nach Abzug der dem Erneuerungsfonds und dem Reservefonds (Art. 17 u. f.) zuzuscheidenden Beträge der Generalversammlung der Aktionäre behufs Festsetzung der Dividende zur Verfügung gestellt."

Das Bundesgesetz über das Rechnungswesen der Eisenbahnen, auf welches die Statuten verweisen, schreibt im wesentlichen die Dotierung des Erneuerungsfonds (Art. 11 und 12), sowie die Abschreibung der Posten, welche keine realen Aktiven darstellen, keineswegs aber eine Amortisation des Anlagekapitales Vor.

Demgemäss hat die Gotthardbahn aus ihren Betriebseinnahmen die sämtlichen Betriebsausgaben, die Unkosten, die Einlagen in den Erneuerungsfonds (unter Vorbehalt der nach dem Rechnungsgesetze zulässigen Entnahmen), die Amortisationen untergegangener Objekte und die Zinsen des Obligationenkapitales bestritten. Sie hat überdies gewisse Amortisationen auf Posten, welche, wie das Rechnungsgesetz sich ausdrückt, ,,keine realen Aktiven darstell en '·, vorgenommen. Der Rest stand nach Art. 16 behufs Festsetzung der Dividende zur Verfügung der Aktionäre. Der Reservefonds, fügen wir hier noch bei, hatte die statutarische Höhe schon längst erreicht und. war nicht mehr zu dotieren. Speziell ist dagegen noch von den Amortisationen der Posten, welche keine realen Aktiven darstellen, also der Non-Valeurs, zu sprechen.

Die Bilanz der Gesellschaft wies schon im Jahre 1885 unter den Aktiven gewisse Non-Valeurs auf, nämlich Fr. 2,970,150 Emissionsverluste auf Aktien und Fr. 6,160,188 zu amortisierende Verwendungen, im wesentlichen herrührend von Kursverlusten auf
der Ausgabe von Obligationen. Diesem Konto wurde später noch der Kursverlust auf neuen Obligationen - Emissionen zugeschrieben, so dass er bis 1895, trotz jährlicher Abschreibungen

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von Fr. 120,000 bis Fr. 283,000, auf Fr. 18,600,000 stieg. Nach Massgabe des Rechnungsgesetzes für die Eisenbahnen von 1883 ordnete der Bundesrat die Tilgung des Kontos ,,zu amortisierende Verwendungen11' und erklärte sich durch Beschluss vom 14. April 1885 damit einverstanden, dass die Tilgung durch Annuitäten von Fr. 200,000 vorgenommen werde. Die Gotthardbahn ist dann später viel weiter gegangen. Sie hat vorab eine der jährlichen Abzahlung des Obligationenanleihens von 1895 entsprechende Tilgungsquote, die 1895 Fr. 310,000 betrug und sich sukzessive bis auf Fr. 480,000 im Jahre 1908 steigerte, in der Gewinn- und Verlustrechnung als ,,Kapitalamortisation11 eingestellt und in der Bilanz auf dem Konto für zu amortisierende Verwendungen abgeschrieben. Wir verweisen in dieser Beziehung beispielsweise auf die Jahresrechnung pro 1907 (S. 58 und 64) und pro 1908 (S. 62 und 68). Die Gesellschaft hat überdies im Jahre 1899, also nach dem Erlasse des Rüekkaufsgesetzes, mit viel grösseren Abschreibungen auf ihren Non-Valeurs begonnen und bis 1907 ausserordentliche Tilgungen vorgenommen, die bis auf l l /a Millionen im Jahre stiegen und bis 1907 im ganzen Fr. 9,827,000 ausmachen. Sie hat ausserdem Reservestellungen vollzogen, die sich in den Jahren 1904--1908 zusammen auf Fr. 2,400,000 belaufen, und eine ausserordentliche Reserve für Haftpflichtunfälle (Fr. 800,000) und eine Rückstellung für vertraglich zugesicherte Pensionsansprüche mit Fr. 1,600,000 geschaffen. So gelangte sie dazu, dass in ihrer Schlussbilanz pro 30. April 1909 der Konto für zu amortisierende Verwendungen bis auf einen Betrag von Fr. 584,540 abgeschrieben war. Die Position ,,Kursverluste auf Aktien11 mit Fr. 2,970,150 figuriert dagegen immer noch unverändert unter den Aktiven. Da nach Mitgabe von Art. 9 und 14 des Rechnungsgesetzes von 1896 auch dieser Betrag als ein ausgesprochener Non-Valeur amortisiert werden muss, so beträgt der Konto für zu amortisierende Verwendungen auf den Zeitpunkt des Überganges der Bahn an den Bund Fr. 3,554,690. 78. Diesen Non-Valeurs stehen.als Reserven gegenüber : a. der statutarische Reservefonds . . . Fr. 2,000,000. -- b. die ausserordentliche Haftpflichtreserve für Unfälle ,, 800,000. c. die Rückstellung für vertraglich zugesicherte Pensionsansprüche .

,, 1,600,000. -- d. ein Baufonds (angesammelte Zinsen aus den disponiblen Kapitalien) . . . . ,, 1,114,902.25 Zusammen Fr. 5,514,902. 25

349 Dabei ist' immerhin zu bemerken, dass die Posten b und c ''durch spezielle Risiken und Verpflichtungen gerechtfertigt waren.

Hätte die Gesellschaft weiterbestanden, so würde sie wohl von vornherein' alle Jahre einen der Amortisationsquote dés Anleihens entsprechenden Betrag an den Non-Valeurs abgeschrieben haben. Vielleicht hätte sie auch in besonders guten Jahren .grössere Tilgungen vorgenommen, wie dies 1899--1907 geschah.

Schon früher haben die Subventionsstaaten wiederholt unter 'Berufung auf die Erträgnisse Reduktion der Bergtaxen verlangt.

>Es konnte ihnen aber entgegengehalten werden, dass die Tilgung vvon Non-Valeurs offenbar zulässig sei, die Rechnungen künftiger Jahre entlaste, und dass die Aktionäre noch nie 8 °/o erhalten hätten. Dabei haben sich die Staaten beruhigt, und sie .hätten, das darf wohl angenommen werden, auch noch ohne Einspruch der Tilgung des Kontos für zu amortisierende Ver·wendungen im Restbetrage von Fr. 3,554,690., 78 zugesehen, ·weil ja dessen rasche Abschreibung den Ergebnissen der spätem -Jahren zugute kommen musste. Dann wäre aber allerdings die iDividende der Gesellschaft stark hinaufgeschnellt, und die Be-stimmungen aus Art. 9 und 18 des Staatsvertrages, betreffend 'Taxreduktion und Anteil am Reingewinne, hätten eine um so .-grössere praktische Bedeutung erhalten.

Wie verhält es sich nun mit der Rechnungsstelluug des Bundes als Rechtsnachfolger der Gotthardbahn ? Welche Beträge dürfte er seit 1909 als Amortisation neben derjenigen für untergegangene Objekte einstellen? Im Grundsatze ist davon auszxigehen, dass der Bund zweifellos berechtigt wäre, unter der Herrschaft des alten Vertrages die Amortisationen vorzunehmen, welche die Gotthardbahngesellschaft hätte vollziehen können. Denn der Rückkauf soll ja die Lage der Subventionsstaaten nicht verbessern, er soll sie bloss intakt lassen. Darnach wäre anzunehmen, dass der Bund von 1909 an im Verhältnisse zu den Subventionsstaaten i in ganzen noch eine Summe von Fr. 3,554,690. 78 · amortisieren dürfte. Mehr kann nicht in Betracht kommen, da das Rechnungsgesetz eine Amortisation des Anlagekapitales der Eisenbahnen nicht vorsieht und sich begnügt, für die Differenz zwischen dem Neuwert und Zeitwert von Oberbau, Rollmaterial und Gerätsehaften die Anlage eines Erneuerungsfonds vorzuschreiben. Die vom Bundesrate
genehmigten Statuten der Gesellschaft verweisen für die Art der Aufstellung der Jahresrechnung in Art. 15 einfach auf die gesetzlichen Vorschriften. . Auch sie sehen also weitere Amortisationen nicht vor. Über das Tempo der Bundesblatt. 65. Jahrg. Bd. I.

27

350 Abschreibung des oben erwähnten Betrages von Fr. 3,554,690.78; kann man verschiedener Ansicht sein. Es lässt sich die Meinung vertreten, und wir halten sie für die richtige, der Bund wäre' in der Bestimmung der jährlichen Quoten frei gewesen. Darnach, würde er entweder jedes Jahr einen Betrag, welcher der jährlichen Rückzahlung auf dem Obligationenanleihen der Gesellschaft gleichkommt, einstellen und so die Amortisation in zirka sieben Jahren vornehmen, oder er würde das gesamte Erträgnis über 7 °/o Dividende zur Tilgung verwenden. In diesem Falle wäreschon Ende 1910, wie sich aus den unten mitzuteilenden Erträgnissen ergibt, eine Amortisation von rund Fr. 3,000,000 vollL zogen gewesen, und es hätte nicht einmal mehr des vollen Überschusses von 1911 bedurft, um den Saldo des Kontos für zuamortisierende Verwendungen ganz zu tilgen. Die Frage, ob der Bund frei sei, nach Belieben vorzugehen, oder sich an gewisseRaten halten müsse, ist übrigens nicht von grosser praktischer Bedeutung. Nimmt man an, dass er die Überschüsse über eine Dividende von 7 °/o vollständig, zur Tilgung des Kontos für zu amortisierende Verwendungen in Anspruch nehmen würde, so treten die Folgen der praktischen Anwendbarkeit der Art. 9 und 18 des Staatsvertrages (Taxreduktion und Anteil am Reingewinn)1 etwas später, aber um so energischer ein. Setzt man voraus, dass der Bund jährlich nur eine Tilgungsquote von zirka */2 Million, entsprechend den normalen Abschreibungen der Gotthardbahngesellschaft, für die Reduktion des erwähnten Kontos verwenden würde, so wirken die genannten Bestimmungen des Staatsvertrages schon von 1909 an, dafür aber zunächst etwas weniger energisch, da zirka sieben Jahre lang eine Tilgungsquote in der erwähnten Höhe in die Gewinn- und Verlustreehnung1 einzustellen wäre. Die Wirkung der vertraglichen Bestimmungen» wird also bloss etwas verschoben, bleibt sich aber im Gesamteffektegleich. -- "Wir kommen auf die Frage zurück.

Man kann vielleicht noch die Frage aufwerfen, ob der Bund" in seiner Rechnung Reservestellungen hätte vornehmen können, uni so einem Teil des Gewinnes der Gotthardbahn den Charakter der Dividende zu entziehen. Aber diese Frage ist zu verneinen..

Nach Art. 631 des schweizerischen Obligationenrechtes kann die Generalversammlung einer Aktiengesellschaft vor Verteilung der Dividende auch
solche Reserveanlagen, welche nicht in den Statuten vorgesehen sind, beschliessen, ,,sofern die Sicherheit des Unternehmens es erfordert'1. Da die Statuten der Gotthardbahn.

keine Bestimmungen über weitere noch nicht bestehende Reserve-

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anlagen enthielten, so könnte es sich bloss fragen, ob die Sicherheit des Unternehmens solche erforderte. Diese Voraussetzung durfte angesichts der vorzüglichen Lage der Gesellschaft und der vorhandenen Rückstellungen kaum als zutreffend anerkannt werden, so dass die Zulässigkeit weiterer Reservestellungen dahinfällt.

Auch in allen ändern Punkten müsste die Aufstellung der Rechnung durch den Bund unter. Berücksichtigung der Verhältnisse und der Rechtsform der bisherigen Gotthardbahngesellschaft erfolgen und also der Gewinn- und Verlustrechnung der letztern entsprechen. Ergäbe sich daraus ein höherer Reingewinn als 7 °/o deg Aktienkapitals im Betrage von 50 Millionen, also ein solcher von mehr als Fr. 3,500,000, so fiele die Hälfte des Überschusses an die Subventionsstaaten pro rata ihrer Subventionen, diejenige der Schweiz inbegriffen. Überstiege der Reinertrag für die Aktionäre 8 °/o oder Fr. 4,000,000, so müsste gemäss Art. 9 des alten Staatsvertrages zur Reduktion der Taxen, und zwar zunächst der Bergzusehläge, geschritten werden. Dabei ist wohl zu beachten, dass es sich nicht um nur eine einmalige Herabsetzung der Taxen handelt ; eine solche hätte vielmehr jedesmal einzutreten, wenn die Voraussetzung für sie, nämlich ein Erträgnis der Aktien von über 8%, vorläge. Würde sich also nach einer Reduktion infolge einer Verkehrssteigerung das Erträgnis der Bahn wieder heben, so müsste eine neue Herabsetzung erfolgen. Und so ginge es weiter, so lang wie die Gotthardbahn besteht, denn wie alle ändern vertraglichen Verpflichtungen, so ist a u c h d i e s e , wie s t e t s b e t o n t w o r d e n ist, eine d a u e r n d e , nie u n t e r gehende.

Man wäre vielleicht versucht, einzuwenden, ein Ertrag der Gotthardbahn von 8°/o des Aktienkapitals sei doch sicherlich durchaus befriedigend und mehr könne man von einer Staatsbahn nicht verlangen, die Bestimmung des Art. 9 des alten Staatsvertrages sei also nicht gefährlich. Abgesehen davon, dass, wie wir oben nachwiesen, diese Bestimmung des Staatsvertrages immer neuen Taxreduktionen rufen und die Stabilität der Tarife gefährden würde, so muss das Resultat auch finanziell als nicht befriedigend bezeichnet werden. Der Bund hat bekanntlich die Gotthardbahn nach dem Reinertragswerte zurückkaufen müssen und deshalb eine Entschädigung bezahlt, welche die eigentlichen
Anlagekosten der Gesellschaft -wesentlich übersteigt. Auf das Aktienkapital von 50 Millionen entfiel eine Entschädigung von über 83 Millionen. Die Verzinsung dieser Summe allein erfordert mit Spesen rund 3*/2 Millionen per Jahr. Bleibt also der für den Bund

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zu beziehende Ertrag auf 4 Millionen beschränkt, so stehen den Bundesbahnen bloss Fr. 500,000 zur Verfügung als Beitrag an die durch das Rückkaufsgesetz vorgesehene Amortisation des Anlagekapitals. Die Jahresquote derselben beträgt jedoch für den Anfang Fr. 1,032,000. Das Resultat der Anwendung des alten .Gotthardvertrages bestünde also darin, dass die Gotthardbahn auf alle Zeiten hinaus nur einen bescheidenen Teil der Amortisationsquote decken könnte und die ändern Linien des Bundesbahnnetzes den Rest zuschiessen müssten. An einen Rechnungsüberschuss der Bundesbahnen aber könnte die G-otthardbahn nie irgendeinen Beitrag leisten. Dieser Zustand wäre doch sicherlich kein befriedigender und der Ertrag kein erfreulicher.

Es wurde indessen in der öffentlichen Diskussion eingewendet, der Art. 9 des alten Staatsvertrages dürfe nicht so strikte ausgelegt werden, wie wir es tun. Der Bund sei berechtigt, in der Rechnung auf verschiedene veränderte und neue Verhältnisse Rücksicht zu nehmen. Vor allem. dürfe er die für die Bundesbahnen gesetzlich 'vorgeschriebene Amortisation, von welcher wir soeben sprachen, in der Rechnung gegenüber den Subventionsstaaten einstellen. Diese Amortisation des Anlagekapitals ist jedoch eine autonom eingeführte, interne Massregel der Schweiz, und unser Land kann durch seine Gesetzgebung internationale Verpflichtungen völkerrechtlicher Natur nicht verändern. Man braucht sich nur vor Augen zu halten, dass durch die Einstellung von rund l Million Franken als Amortisation in die Ausgaben das Eintreten eines Ertrages von 8 % um volle 2 °/o verschoben und damit das Recht der Subventionsstaaten auf die Taxherabsetzung und den Gewinnanteil geschmälert wird. Wollte man grundsätzlich eine Amortisation zulassen, so müsste- es auch als erlaubt betrachtet werden, deren Plan zu verändern und die Quoten zu verstärken. So könnte jeder Ertrag der Gotthardbahn illusorisch gemacht und der Schweiz die Möglichkeit gegeben werden, die Bahnanlage ohne Tarifreduktion sukzessive abzubezahlen. Es darf eben nicht vergessen werden, dass, die Amortisation des Rückkaufsgesetzes nicht durch eine Entwertung einzelner Objekte gerechtfertigt wird, sondern eine vollständige Abschreibung des Anlagekapitals bezweckt. Die Gesellschaft hat eine, solche Amortisation, wie wir zeigten, nicht vorgenommenEs fehlte auch
nicht an Stimmen, die behaupteten, der Bund dürfe in der Abrechnung, die er im Verhältnis zu den- Sübventionsstaaten aufstellen müsse, auf den erhöhten Rückkaufspreis

353 Rücksicht nehmen, und demgemäss seien die Dividenden von ·?, resp. 8 °/o im Sinne der Art. 18 und 9 des alten Staatsvertrages nicht auf 50 Millionen, sondern auf den für die Aktien effektiv bezahlten Betrag von zirka 83 Millionen zu rechnen. Es ist jedoch auch hier daran zu erinnern, dass die Verstaatlichung eine rein interne Sache der Schweiz war, ein Akt, welchen der Staatsvertrag gar nicht vorsah. Wir durften sie einseitig vornehmen^ aber wir haben die Konsequenzen zu tragen und können den Subventionsstaaten nicht entgegenhalten, weil den Aktionären für die Bahnanlage mehr bezahlt worden sei, als diese selbst auslegten, so dürfe im Verhältnis zu den Subventionsstaaten der Rechnung ein höheres Kapital zugrunde gelegt werden. Sonst würden die Rechte der Subvenienten durch die ohne ihr Zutun und ohne ihren Wunsch vollzogene Verstaatlichung geschmälert.

Diese Wirkung aber verstiesse gegen den seit 1870 stets anerkannten und den Subventionsstaaten wiederholt, das letztenial im Jahre 1909, bestätigten Grundsatz, dass. die den Rechten der Subvenienten entsprechenden Verpflichtungen auf der Bahnanlage haften und auf alle Fälle, namentlich auch nach dem Rückkauf, ungeschmälert weiterbestehen sollen. Dieses den Staaten gegebene Versprechen wird nur dann erfüllt^ wenn sie irgend einen Effekt des Rückkaufes ökonomisch nicht zu spüren bekommen. · Man mag einwenden, die Konsequenz dieser Rechtsauffassung führezur Unbilligkeit. Das ist insofern scheinbar zutreffend, als die Bahnanlage den Bund wesentlich teurer zu stehen kommt, als dies für die Aktiengesellschaft der Fall war. Diese musste die Subvention weder verzinsen noch zurückzahlen und hatte bloss mit dem nominellen Aktienkapital zu rechnen. Anlässlich der Liquidation bezog sie den ganzen Ertragswert als Rücki kaufspreis, auch soweit er das Anlagekapital -- nach Abzug der Subventionen -- überstieg. Der Bund aber musste neben, dem Rückkaufspreis die weitere Erfüllung der Verpflichtungen gegenüber den Subvenienten übernehmen. Man mag diese Tat-, Sachen bedauern, aber die Verhältnisse sind nun einmal in der Konzession von 1870 so geordnet, und wir können heute daran nichts mehr ändern. Man muss bedenken, dass man zur Zeit der Konzessionserteilung froh sein musste, wenn das Privatkapital sich an dem Unternehmen überhaupt beteiligte.

Von anderer Seite
wurde darauf hingewiesen, dass die Gotthardbahngesellschaft in ihre Gewinn- und Verlustrechnung eine Tilgungsrate für das Obligationenkapital einstellte, die im Jahre 1908 Fr. 480,000 betrug. Es wollte daraus geschlossen

3S4

werden, dass der Bund ebenso verfahren könne. Wir haben jedoch oben gezeigt, dass der genannte Betrag dazu verwendet wurde, um sukzessive das Konto für ,,zu amortisierende Verwendungen" abzuschreiben und diesen fiktiven Posten aus den Aktiven der Bilanz zu streichen. Nach Erreichung dieses Effektes hätte es sich gefragt, ob die Gotthardbahngesellschaft eine entsprechende Reserve anlegen dürfe. Wie wir schon ausführten, sehen weder die Statuten noch das Rechnungsgesetz solche Rücklagen oder eine Amortisation des Anlagekapitals vor, und es steht deshalb für uns fest, dass nach Tilgung der Non-Valeurs der Bilanz, die 1909 noch Zl/z Millionen betrugen, die Tilgungsrate aus der.Gewinn- und Verlustrechnung hätte verschwinden müssen, ·was natürlich durchaus nicht gleichbedeutend mit der Sistierung der Schuldenabzahlung gewesen wäre.

Wir kommen somit zum Schlüsse, dass durch die Verstaatlichung die Voraussetzungen für die Herauszahlung eines Gewinnanteiles und die Reduktion der Taxen in keiner Weise alteriert worden sind, und dass demgemäss die im Sinne von Art. 9 und 18 des alten Staatsvertrages massgebenden Erträgnisse so zu berechnen sind, wie dies durch die Gotthardbahngesellschaft in ihrer Gewinn- und Verlustrechnung geschehen wäre, respektive hätte geschehen müssen, also namentlich auf ein Aktienkapital von 50 Millionen und unter Ausschluss der im Rückkaufsgesetze vorgeschriebenen Amortisation.

3. Unter der Herrschaft des alten Vertrages und solange die Gotthardbahngesellschaft bestand, war der Bundesrat verpflichtet, den Subventionsstaaten periodische Berichte über die Betriebsergebnisse vorzulegen (Art. 11, letzter Absatz). Dieser Bestimmung wurde der Bundesrat dadurch gerecht, dass er der italienischen und der deutschen Regierung den Jahresbericht und die Jahresrechnung der Gotthardbahn, welche über alle Verhältnisse sich eingehend aussprechen, übermittelte. Überdies gehörten dem Verwaltungsrate zufolge Wahl durch den Bundesrat je zwei deutsche und italienische Mitglieder an.

Wie würde sich nun das Verhältnis nach der Verstaatlichung und unter der Herrschaft des alten Vertrages gestalten? Von vornherein scheint es gegeben, dass der Bundesrat, welcher heute nicht Vertreter der Subventionsstaaten, sondern des Eigentümers der Bahn ist, Italien und Deutschland nach wie vor die Betriebsergebnisse
und die Tatsachen mitzuteilen hätte, welche Voraussetzung der Geltendmachung von Rechten durch die Subventionsstaaten sind. Darnach müsste somit, wie wir schon oben

355

feststellten, das Ergebnis der getrennten Rechnung und eine den ·unter Ziffer 2 besprochenen Rechnungsgrundlagen genügende Jahresrechnung den Subventionsstaaten zur Verfügung gestellt -werden, und man geht vielleicht nicht fehl, wenn man annimmt, dass die Staaten nicht weniger Aufschluss verlangen würden, als ihn bisher der Jahresbericht der Gesellschaft bot. Es erscheint jedoch überdies als zweifellos, dass die Subvenienten nicht mit Unrecht den Anspruch erheben würden, eine Kontrolle der ihnen übergebenen Abrechnung vornehmen zu dürfen. Nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen kann demjenigen, der unter gewissen Voraussetzungen ein Recht ausüben darf, die Befugnis, den Eintritt der relevanten Tatsachen nachzuprüfen, nicht bestritten werden. Daraus folgt, dass Deutschland und Italien die ihnen gestellte Abrechnung, sowohl bezüglich der Tatsachen wie der angewendeten Rechnungsgrundsätze, kontrollieren dürften. Da, nun aber, wie unter Ziffer l dargestellt worden ist, das Ergebnis ·der Rechnung der Gotthardbahn von einer ganzen Reihe von Abrechnungsverhältnissen mit den Bundesbahnen (wie Wagenmiete, durchgehende Lokomotiven, durchgehendes Personal, GeTOeinschaftsbahnhöfe u. a. m.) und namentlich auch durch den Anteil an den Kosten der Zentralverwaltung beeinflusst wird, so ergäbe sich als notwendige Folge, dass die Staaten in das ganze Rechnungswesen der Bundesbahnen hineinreden und über eine Menge von Punkten, ja sogar von Grundsätzen, diskutieren würden.

Von hier bis zum Ansprüche der Kontrolle materieller, die Gotthardbahn betreffender und ihr Rechnungsergebnis beeinflussender Massnahmen und zum Einspruch gegen solche wäre nur noch ein kleiner Schritt. Und wenn wir auch auf dem Boden stehen, "dass die Schweiz als Inhaberin der Bahn in bezug auf Gestaltung des Betriebes und Vornahme von Einrichtungen und Bauten frei sei, so lässt sich doch nicht leugnen, dass unter Umständen hierüber vor einem Schiedsgerichte recht unangenehme Auseinandersetzungen entstehen könnten. Auf jeden Fall wären die beiden Subventionsstaaten von der Tendenz geleitet, das Rechnungsergebnis der Gotthardbahn so günstig als möglich erscheinen ·zu lassen, um neue Taxherabsetzungen oder doch wenigstens Anteile am Reingewinne zu erlangen. Die Schweiz müsste dieser Tendenz entgegentreten. Dass bei einer Jahresabrechnung, welche in
Einnahmen und Ausgaben je auf etwa 32 Millionen steigt, sich 'Gelegenheit zu Meinungsverschiedenheiten bietet, braucht wohl nicht hervorgehoben zu werden. Auch vom Standpunkte der Kontrolle aus erscheinen die Art. 9 und 18 des alten Vertrages, -welche die Herabsetzung der Taxen für den Fall eines" Ertrag-

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russes von über 8 % und die Gewinnbeteiligung vorsehen, als sehr bedeutungsvoll. Aus ihnen würden unzweifelhaft Friktionen ohneEnde entstehen, die sich in irgendeiner Form sozusagen alljährlich wiederholen könnten. Je mehr man sich von dem Termineder Bahnübernabme durch den Bund entfernt, um so schwieriger wäre die Anlehnung an die früheren Verhältnisse, und um so mehr würde sich Gelegenheit bieten, über einzelne Positionen verschiedene Meinungen zu vertreten. Die Gotthardbahn aberstünde mit Rücksicht auf Art. 9 stets vor der Gefahr, ihre Tarifewieder verändern zu müssen.

Man hat von vertragsgegnerischer Seite nicht ermangelt, die in diesem Abschnitte entwickelten Grundsätze als unzutreffendezu bezeichnen und sich sogar auf die Beratungen in den Parla.menten Deutschlands und Italiens berufen, um zu behaupten, dassnicht einmal die Vertreter der beiden ändern Staaten in der-Auslegung des Vertrages zu ihren Gunsten so weit gingen \viewir. Allein diese Einwendung ist unzutreffend.

Die deutsche Denkschrift erörtert die in diesem Berichte berührten Rechtsfragen nicht. Sie begnügt sich damit, zu konstatieren, dass die Tarife herabgesetzt werden müssen, wenn die Dividende des Aktienkapitales 8 % übersteige, und dass, wenn die auf dieAktien zu verteilende Jahresdividende den Betrag von 7 °/o überr schreite, die Hälfte des Überschusses an die Subventionsstaaten falle. Über die Frage, wie der alte Vertrag auf die verstaatlichte Bahn anzuwenden wäre, enthält die Denkschrift eigentlich nichts.

Sie vergleicht im wesentlichen den Zustand vor der Verstaatlichung und unter dem alten Vertrage mit demjenigen nach dem Rückkauf bei Anwendung des neuen Vertrages. Die Erklärung für dieses Verhalten liegt wohl, abgesehen von der Verschiedenheit, der Rechtslage Deutschlands und der Schweiz, in den Vorbehalten, über die Unzulässigkeit des Rückkaufes, welche die Denkschrift, wenn auch mit Unrecht, machte. Wenn die deutsche Regierung sich, vorbehalten wollte, eventuell, d. h. im Falle der Verwerfung des Vertrages, die Zulässigkeit des Rückkaufes zu bestreiten, so konntesie nicht gut die Frage der Anwendung des alten Vertrages auf die neuen Verhältnisse juristisch erörtern. Sie betrachtet den neuen Vertrag-als Ablösung, der Verpflichtungen des alten Ver* träges. Wir verweisen zur Bestätigung auf folgende Stelle der Denkschrift: .
,,Während die ' Schweiz die Auffassung vertrat, dass sie die^Verstaatlichung der Gotthardbahn kraft ihrer Souveränitätsrechte,,vornehmen könne und dass sie hierzu durch die Verträge nicht)

357

,,gehindert sei, wenn sie nur im übrigen als Rechtsnachfolgerin ,,der Götthardbahngesellschaft die dieser gegen Deutschland und ,,Italien vertragsmässig obliegenden Verpflichtungen ihrerseits über,,nehme und erfülle, sind die deutsche und italienische Regierung ,,der Ansicht gewesen, dass die Schweiz auf Grund der bestehenden ^Verträge die Verstaatlichung nur mit Zustimmung der beiden ,,übrigen Vertragsstaaten vornehmen dürfe und dass diese beiden ,,Staaten ihre Zustimmung zu der Verstaatlichung von Bedingungen, ,,abhängig machen können. Von der Austragung dieser Streitfrage konnte abgesehen werden, nachdem sich die Schweiz nach ,,längeren diplomatischen Verhandlungen durch Anerbietung von ,,Konzessionen bereit erklärt hatte, die Deutschland und Italien ,,auf Grund der Verträge zustehenden Rechte abzulösen.a Im Reichstag ist dieser Standpunkt beibehalten worden, wenn sich auch die Vertreter der Reichsregierung etwas freier ausgesprochen haben. Man begnügte sich in rechtlicher Beziehung auch hier damit, das Recht auf die Rückforderung der Subvention zu verneinen. Dagegen beharrte der Regierungsvertreterauf der Ansicht, dass Deutschland und Italien an die Verstaatlichung Bedingungen knüpfen konnten, bemerkte aber wiederum^, die Streitfrage habe nicht ausgetragen werden müssen, weil man sich geeinigt habe.

Wir entnehmen dem Votum des Herrn Waekerzapp, Präsidenten des Reichseisenbahnamts, das Folgende : ,,Dagegen war eine andere Frage die, ob nicht die Schweiz, ,,für die Verstaatlichung der Gotthardbahn die Zustimmung von ,,Deutschland und Italien nötig hätte, und ob nicht Deutschland,,und [tauen diese Zustimmung von der Rückerstattung der ge,,leisteten Subventionen abhängig machen könnten. Von deutscher,,wie von italienischer Seite ist stets an dem Standpunkte festge,,halten worden, dass die Gotthardbahn ohne die vorgängige Zu,,Stimmung Deutschlands und Italiens von der Schweiz nicht ver,,staatlicht werden könne. Ganz abgesehen davon, dass durch den ,,Staatsvertrag vom Jahre 1869 der Schweiz ein Verstaatlichungs,,recht nicht zugestanden ist, beruht der ganze Vertrag in sämt,,lichen einzelnen Bestimmungen auf der Voraussetzung, dass das ,,Unternehmen der Gotthardbahn von einer Privatgesellschaft be,,trieben werde. Insbesondere die weitgehenden Aufsichtsrechte, ,,welche die Subventionsstaaten sich
gegenüber der Gotthardbahn ,,vorbehalten hatten und deren Ausübung der Schweiz übertragen ,,worden war, mussten im Falle der Verstaatlichung. der Gott,,hardbahn vollständig neu- und umgestaltet werden, was selbst-

"358 .,,verständlich eine vorherige Verständigung mit Deutschland und ...^Italien zur Voraussetzung hatte. Allerdings war die schwei.,,zerische Bundesregierung in dieser Frage anderer Meinung.

.,,Daraus, dass in den der Gotthardbahn von den schweizerischen .^Kantonen seinerzeit erteilten Konzessionen der Erwerb durch .^den Bund vorgesehen war und dass der Staatsvertrag von 1869, .,,der auf die kantonalen Konzessionen Bezug nahm, über dieses ..,,Erwerbsrecht des Bundes nichts bestimmte, wurde schweize.,,rischerseits gefolgert, dass die Schweiz in bezug auf den Ankauf ,,der Gotthardbahn in ihrer Souveränität überhaupt nicht beschränkt ..^sei. Von der Austragung dieser Streitfrage konnte indessen .^abgesehen werden, da die Schweiz sich in der Folge geneigt .,,zeigte, über die Ablösung der Deutschland und Italien zustehenden ,,Vertragsrechte zu verhandeln.

,,Im Verlauf dieser Verhandlungen wurde sodann von Deutsch...flland und Italien auf die Rückforderungen der Subventionen ver,,zichtet. Massgebend für den Verzicht war einmal die Erwä^,gung, dass -- wie schon erwähnt -- ein Recht auf Rückforde-j,rung der Subventionen mit Aussicht auf Erfolg nicht wohl ^geltend gemacht werden konnte, sodann aber namentlich die ..,,Erwägung, dass die von der Schweiz angebotenen, von mir ,,zuvor dargestellten Verkehrsbegünstigungen ausreichend er,,schienen, um ein geeignetes Äquivalent für die Aufgabe der .,,Subvention darzustellen.11 Wir glauben, die zitierten Stellen des Berichtes der Reichsregierung und der Reichstagsverhandlungen beweisen zur Genüge, ·dass Deutschland sich seinen Standpunkt gewahrt hat und dass -aus der dortigen Erledigung des Vertrages keine Motive zugunsten -einer Vertragsauflösung, die weniger weit geht als die unsrige, geschöpft werden können.

Ebensowenig kann man die Verhandlungen in I t a l i e n herbeiziehen, um aus ihnen zu folgern, unsere Auffassung des -alten Vertrages gehe zu weit. Die Botschaft der Regierung sieh·ébenfalls davon ab, zu untersuchen, welche Wirkung der alte Vert trag nach der Verstaatlichung haben würde, obwohl sie erklärt, ·es sei nicht möglich gewesen, von den Verpflichtungen rechtlicher Natur der Verträge von 1869, 1878, 1879 abzugehen. Als eine -dieser ,,Verpflichtungen11 bezeichnet sie -- unseres Erachtens mit Unrecht -- ,,Bau und Betrieb der Bahn durch eine
Privatgesell-schaft"1 (vgl. allgemeine Bemerkungen D, Ziffer 3). Wie die -deutsche, so verneint auch die italienische Regierung die Pflicht der Rückzahlung der Subventionen, ohne aber, wie die deutsche

359 Reichsregierung, noch besonders zu betonen, dass die Subventionsstaaten an die Verstaatlichung Bedingungen knüpfen konnten.

Dagegen wird wiederholt auf die Pflicht zur Taxreduktion nach Art. 9 des alten Vertrages hingewiesen (Abschnitt D).

Der Bericht der Kommission an die italienische Kammer aber zeigt deutlich, dass Italien auf dem Boden steht, die Ansätze von 7 und 8 °/o der Artikel 18 und 9 des alten Vertrages seien "bei Bemessung der Taxreduktion auf das Aktienkapital der Gesellschaft von 50 Millionen zu rechnen. Es wird unter anderai ausgeführt : ,,Die Ersparnis i an Geld, die die Herabsetzung der Berg,,zuschläge im Trans tverkehr über den Gotthard mit sich bringt, .,,wird von unserer Regierung auf Grund des durchschnittlichen .,,Verkehrs der fünf Jahre von 1904--1908 (siehe Bericht) auf .,,Fr. 900,000 in der ersten Periode und von da. ab auf Fr. 1,327,000 .,,geschätzt, während sie nach amtlichen schweizerischen Zusammen,,stellungen Fr. 975,000, beziehungsweise Fr. 1,425,000 betragen .,,wird.

,,Bekanntlich haben sich die Subventionsstaaten im Vertrage .,,von 1869 vorbehalten, im Verhältnis als Entgelt der von ihnen ,,geleisteten Subventionen an der Hälfte des von der Gesellschaft ,,erzielten Reingewinnes (Art. 18 des Vertrages von 1869) in ,,Form von Zinsen teilzunehmen.

,,Diese Beteiligung wurde teilweise abgeändert durch den ,,Vertrag vom 12. März 1878 (Art. 9), in dem man bestimmte, ,,dass die Gesellschaft im Falle der Erzielung eines Reingewinnes ,,von mehr als 8 °/o des Gesellschaftskapitals von 50 Millionen ,,gehalten sei, zu einer Ermässigung der Taxen, und zwar in .,,erster Linie der Zuschlagstaxen, zu schreiten.

,,Es ist nicht ganz klar, ob der ganze Überschuss über die ^,8 °/o oder nur ein Teil davon zu Taxesmässigungen dienen ,,sollte; da dieser Fall nie eingetreten ist, so war auch keine ^Gelegenheit da, um diese Frage einer nähern Prüfung zu unter,,ziehen. Die Frage müsste aber eher bejaht werden, da die ,,volle Taxermässigung, indem dieselbe den Verkehr stimuliert, .,,zum gemeinsamen Nutzen, also auch zum Nutzen der Gesell^schaft gereicht hätte. Es ist ferner nicht gesagt, dass, selbst bei ,,Verwendung des ganzen Überschusses zu Taxermässigungen, ,,der verbleibende Reinertrag nicht noch 8 % hätte übersteigen ^.können.

360

,,Stellt man die Rechnung unter der Voraussetzung auf, dass ,,der ganze Überschuss über 8 °/o zu Ermässigungen verwendet ,,und dass der Gesellschaft ihr hälftiger Anteil am Reinertrag, ,,zwischen 7 und 8 °/o zugewiesen werden soll, so findet man,, ,,wenn man den Betrag des Aktienkapitals von 50 Millionen in ,,Betracht zieht, dass die jetzt erlangte Herabsetzung der Berg,,zuschlage folgenden Ansätzen entspricht: in der ersten Periode, ,,bei durchschnittlich Fr. 935,000, einem Betrage von 2,s? % des ,,Kapitals; in der zweiten Periode, bei durchschnittlich Fr. 1,375,000,.

,,einem Betrage von 8,20 % des Kapitals, so dass die gegenwärtigen, ,,Abmachungen einem Gesamtreinertrage der Gesellschaft voa ,,9,87 °/o in der ersten Periode und von 10,25 °/o in der zweiten: ,,Periode der Herabsetzung entsprechen würden."

Nach diesen Ausführungen wäre es gefährlich, wenn man sich in der Schweiz Illusionen über eine für uns vorteilhafte Auslegung des alten Vertrages seitens der Subventionsstaaten hingeben w,ürde. Abgesehen davon, dass interne Äusserungen einen Staat international nicht verpflichten, so ist zu betonen, das» weder in Deutschland noch in Italien Worte gefallen sind, dieauch uns erwarten liessen, dass die Behörden dieser Länder dea alten Vertrag für uns günstiger auslegen würden, als wir es tun.

Deshalb muss man die Augen vor den Gefahren der Verwerfung, des neuen Vertrages nicht verschliessen.

Auch in bezug auf die in diesem Abschnitte erörterten Fragen.

decken sich die Ansichten der Herren Speiser und Borei im, Effekte mit den unsrigen.

V.

Die Erträgnisse der Gotthardbahn und die Gewinnanteile der Subventionsstaaten.

Die praktischen, Folgen der Anwendung von Art. 9 und 18Äes alten Gotthardvertrages für die Bundesbahnen bemessen sich zunächst nach den Erträgnissen des Gotthardbahnnetzes, berechnet nach den vorstehend entwickelten Grundsätzen. ,Für 1904--1908 wurden die Ziffern, schon in der Botschaft vom 9. November 1909 angeführt. Wir geben sie der Übersichtlichkeit .halber auch hier, wieder und fügen die nach gleichen Grundsätzen berechneten.

Erträgnisse für die Jahre 1909--1912 bei. Alle Betrage sind, somit gerechnet vor Abzug einer Dividende für das Aktienkapital.

Die Angaben für 1909--1912, die wir dem Gutachten der GeT

361

neraldirektion der Bundesbahnen entnehmen, basieren nur in einzelnen untergeordneten Punkten auf Schätzungen ; das Ergebnis ist, kleinere, nicht in Betracht fallende Differenzen vorbehalten, ·ein zuverlässiges. Die Reinerträgnisse der Gotthardbahn belaufen sich für die angegebenen Jahre auf die jeweils angegebenen Summen.

1904

1905

1906

1907

1908

Fr. 5,320,000 6,130,000 6,777,342 5,960,000 4,580,000 1909

1910

1911

1912

4,471,930 5,492,471 6,509,726 6,635,750 (approximativ).

Für die Einzelheiten der Berechnung verweisen wir auf das ·Gutachten der Generaldirektion. Es sind alle Rechnungselemente, »die unseres Erachtens in Betracht kommen können, berücksichtigt, mit Ausnahme der Abschreibungen auf dem Konto für zu amortisierende Verwendungen, von welchen gleich gesprochen -werden soll. Käme nun der alte Vertrag zur Anwendung, so müsste die Schweiz von dem Erträgnisse, soweit es 7 °/o des Aktienkapitals, d. h. Fr. 3,500,000 übersteigt, gemäss Art. 18 die Hälfte an die Subventionsstaaten herausbezahlen. Als solche Überschüsse fielen in Betracht: ·Für 1909, das ganze Jahr berechnet, Fr. 971,000, oder für 8 Monate, da die Gotthardbahn am 1. Mai 1909 übernommen wurde Fr. 647,334 Für 1910 ,, 1,992,000 .,, 1911 ,, 3,009,000 .,, 1912 ,, 3,135,000 Im ganzen

Fr. 8,783,334

Indessen ist zu beachten, dass die Gotthardbahngesellschaft, ·wenn sie noch bestünde, aus diesen Überschüssen, wie wir bereits hervorhoben, bedeutende Abschreibungen auf dem Konto für zu amortisierende Verwendungen vorgenommen hätte.

Man kann nun, wie wir bereits- anführten, entweder annehmen, die Gotthardbahn hätte die Gesamterträgnisse über 7°/o .zur Tilgung des Kontos für zu amortisierende Verwendungen herbeigezogen, öder sie hätte bloss eine Tilgungsrate, die ungefähr den von ihr eingestellten ordentlichen jährlichen Abschreibungen entspräche, also zirka Fr. 500,000, eingestellt. Für ·die erste Eventualität ergibt sich folgende Rechnung:

362

Von den oben berechneten Überschüssen von 1909--1912 von Fr. 8,783,334.-- gelangt der gesamte Saldo des Kontos für zu amortisierende Verwendungen, wie ihn die Bilanz der Gotthardbahngesellschaft pro Ende 1908 und pro Ende April 1909 auf weist, in Abzug mit ,, 3,554,690.78 so dass als Superdividende für die Jahre 1909 bis 1912 in Betracht fielen Fr. 5,228,643. 22 Hiervon käme die Hälfte m i t . . . . ,, 2,614,321. 61 den Subventionsstaaten (inklusive Schweiz) gemäss Art. 18 des Staatsvertrages zu, und es erhielten: Italien 55/113 = Fr. 1,272,457.45und Deutschland . . . 30/113= ,, 694,067.70 Bei dieser Rechnungsart wäre die Frage der Amortisation, für die Zukunft durch Abschreibung des gesamten hierfür in Betracht fallenden Saldos gelöst und fiele nicht mehr in Diskussion.

Wollte man annehmen, die Amortisation des mehrfach erwähnten, Kontos sollte sukzessive in Raten von l/z Million erfolgen, so wäre der als Superdividende in Betracht fallende Betrag entsprechend grösser. Anderseits wäre bei der Anwendung der Art. 9 und 18, des alten Staatsvertrages (Taxreduktion und Anteil am Reingewinn) während weiterer 3 Jahre darauf Rücksicht zu nehmen,, dass in die Gewinn- und Verlustrechnung eine Tilgungsquote von Fr. 500,000 eingestellt werden dürfte.

Aus den Irrtümern, welche verbreitet worden sind, wollen, wir an dieser Stelle zwei erwähnen, die sich an den Art. 18 des alten Vertrages anschliessen.

Man hat gelegentlich behauptet, die Partizipation der Subventionsstaaten am Reingewinne könne für alle drei Länder, also die Schweiz inbegriffen, in keinem Falle Fr. 250,000 per Jahr übersteigen, da ja keine höhere Dividende als 8 °/o des Aktienkapitals verteilt werden dürfe, und bei ällfällig hohem Ertragnissen eine Taxreduktion einzutreten habe. Deshalb sei diesesRecht nicht von Bedeutung.

Diese Ansicht ist nicht richtig. Vorab ist zu bemerken, dass die Taxreduktion nur zu erfolgen hat, ,,wenn die Zinseni des A k t i e n k a p i t a l e s 8°/o ü b e r s t e i g e n " , also nur dann,, wenn die Aktionäre mehr als 8% erhalten würden. Dieser Prozentsatz wird erst überschritten, wenn der gesamte Ertrag des Unternehmens mehr als 9°/o des Aktienkapitales ausmacht,; weil nach Art. 18 der Reingewinn über 7°/o mit den Subventions-.

Staaten hälftig zu teilen ist. Daraus ergibt sich, dass die Parti-

363'

zipation aller Subventionsstaaten zusammen in ganz normaler und korrekter Weise l °/o des Aktienkapitales oder Fr. 500,000 per Jahr, also nicht nur Fr. 250,000, ausmachen kann. Allein, es ist noch ein Fall ins Auge zu fassen: Wenn die Gesellschaft, oder eventuell der Bund, als ihr Rechtsnachfolger, die Taxen, obwohl sie nach Art. 9 des alten Vertrages hierzu verpflichtet wäre, nicht oder nur ungenügend reduzieren würde, oder wenndie Einnahmen infolge vermehrten Verkehres sich sehr vorteilhaft gestalten sollten, so könnte sich ein Gesamtergebnis von über 9°/o.

einstellen, also für die Aktionäre ein solches von mehr als 8 °/oEs ist selbstverständlich, dass nach dem Wortlaut des Art. 18^,.

der von den Dividenden über 7°/o schlechthin spricht, auch dann die Hälfte des gesamten Überschusses an die Subventionsstaaten fiele. Diese Eventualität eines höhern Ertrages ist keines^ wegs eine unwahrscheinliche. Es wäre kaum möglich, die Taxreduktion gerade so vorzunehmen, dass das Rechnungsergebnisfür die Aktionäre genau 8°/o betrüge. Das Recht der Staaten, auf Partizipation am Reingewinn ist daher ein praktisch sehr wichtiges, dessen Bedeutung man nicht unterschätzen darf..

Wollten wir die These unterstützen, dass der Anteil der Subventionsstaaten Fr. 250,000 nie übersteigen könne, so würden' wir uns ins eigene Fleisch schneiden. Denn wir müssten dann anerkennen, dass die Taxreduktion nach Art. 9 schon einzutreten habe, wenn der Reingewinn -- inklusive Anteil der Subventionsstaaten -- 8 °/o (statt 9 °/o) des Aktienkapitales beträgt. Aber auch dann bliebe die Möglichkeit, ja Wahrscheinlichkeit von Überschreitungen, wie wir soeben nachwiesen.

Andere haben unter Berufung auf frühere Jahre und diedamals bezahlten, relativ bescheidenen Dividenden der Gesellschaft das Recht der Subventionsstaaten auf Gewinnanteil als illusorisch, und fast wertlos erklärt. Diesen gegenüber ist zu sagen, dass die Gotthardbahngesellschaft die natürliche und eigentlich legitime Tendenz hatte, vor der Reduktion der Bergzuschläge und der Auszahlung höherer Dividenden die fiktiven Aktivposten abzuschreiben, welche noch in ihrer Bilanz figurierten und strenggenommen schon getilgt sein sollten, weil sie zum wesentlichen' Teile von Kursverlusten auf längst abbezahlten Anleihen herrührten. Die so zurückbehaltenen Beträge entgingen den
Aktionären nicht. Sie müssten ihnen bei der bevorstehenden Auflösung der Gesellschaft in Form der Erhöhung des Liquidationsergebnisses zugute kommen. Die Subventionsstaaten konnten gegen dieses.

Vorgehen keinen Einspruch erheben und haben es nie getan., weil eben die Ausmerzung fiktiver Aktivposten a\is der Bilanz;

364

'rechtlich zulässig war. Sie hatten überdies kein grosses Interesse, Reklamationen zu erheben, da ja die rasche Tilgung dieser NonValeurs den Reinertrag künftiger Jahre günstiger gestaltete. Für die Schweiz kam die Erwägung dazu, dass sie an der Aufrechterhaltung der bisherigen, höhern Taxen mit Rücksicht auf den bevorstehenden Rückkauf Interesse hatte. Wenn somit aus den Rechnungen der Gotthardbahngesellschaft ein zutreffender Schluss auf die Erträgnisse des Unternehmens gezogen werden soll, so ist nicht nur auf die Dividenden Rücksicht zu nehmen, sondern auch in Betracht zu ziehen, dass seit dem Jahre 1895 bis zur Liquidation aus den Erträgnissen überdies Abschreibungen im Gesamtbetrage von über 15 Millionen auf dem Konto für zu amortisierende Verwendungen gemacht und 2,4 Millionen in Reserve gestellt worden sind*). In den zehn letzten Jahren 1899 --1908 betrugen diese Abschreibungen 13,9 Millionen.

Diese Tatsache lässt die Erträgnisse der Gotthardbahn in einem -ändern Lichte erscheinen als die Höhe des Dividendensatzes allein.

Von diesen Verhältnissen war auch anlässlich der parlamentarischen Verhandlungen über den neuen Vertrag in Deutschland und Italien die Rede.

Der Reichstagsabgeordnete Storz äusserte sich folgendermassen : ,,Für die Schweiz ist auch der Umstand wichtig, dass Deutsch.,,land der etwas eigenartigen Bilanzaufstellung, die die Gotthard.,,hardbahn beliebte, keinerlei Schwierigkeiten gemacht hat. Es .,,ist ein offenes Geheimnis, dass die Gotthardbahngesellschaft sehr .^erhebliche Rücklagen und Neuanlagen gemacht hai, die vom ,,kaufmännischen und betriebstechnischen Standpunkte an sich ,,nicht gerechtfertigt und nicht notwendig waren. Der Zweck .,,dieses Verfahrens war offensichtlich der, die Gewinnbeteiligung, ,,auf die das Deutsche Reich Anspruch hatte, möglichst gering .,,ausfallen zu lassen. Durch die vornehme Zurückhaltung, die ,,das Deutsche Reich der Gotthardbahn gegenüber geübt hat, ist -,,der Wert der Gotthardbahn ganz ungemein erhöht worden ; die ,,Werterhöhung kommt der Schweiz zugute." **) In der italienischen Kammer sprach sich der Abgeordnete .Macaggi, als er die Ermässigung der Bergzuschläge behandelte, folgendermassen aus : *) Die Haftpflichtreserve wurde angelegt, weil das Abkommen mit ·den ändern nunmehr verstaatlichten Bahnen über die gemeinsame Tragung grosser
Haftpflichtentschädigungen gekündigt worden war. Die andere Reserve von l,s Millionen diente als Deckungskapital für Pensionen und Renten, die von der Gesellschaft geschuldet waren und nicht von der Pensions-, und Hülfskasse getragen werden mussten.

**) Nein, den Aktionären.

365 ,,Dieser*) Vorteil ist geringfügig genug. Dabei ist noch in .,,Betracht zu ziehen, dass nach dem Vertrage von 1869 eine .,,allmähliche Ermässigung der Zuschläge hätte eintreten müssen, ,,sobald der Reinertrag des Unternehmens 8 % überschritten haben ,,würde; da die Gotthardunternehmung, wie bekannt, in den besten .,,finanziellen Verhältnissen steht, so wäre dieser Reinertrag sehr .,,schnell über 8 % gestiegen und Italien hätte auch ohne den ,,neuen Vertrag diese Ermässigung der Zuschläge und infolge.,,dessen auch die Herabsetzung der Normaltarife erlangt. Es ist .,,wahr, was Kollege Cavagnari sagte, dass im Verlaufe einer so ,,langen Zeit nur in fünf nicht aufeinander folgenden Jahren ,,Dividenden, und zwar in einem ausserordentlich geringen Be,,tragCj zur Verteilung gelangten. Dies ist jedoch ein Ergebnis, .,,das auf künstliche Weise herbeigeführt worden ist.

,,Es ist sicher, und die Herren Maggiorino Ferraris und .,,Ancona haben es in ihren Arbeiten dargetan, dass die Bilanzen ,,der Gotthardbahn künstlich aufgestellt worden sind.

,,Sie haben jüngst Herrn Di Cesarò in bezug auf die Kolonial,,bilanz sagen hören, dass man eine Bilanz aufstellen kann, die ,,formell der Wahrheit entspricht, aber .ein ganz falsches Bild ,,gibt von dem, was die Zahlen zeigen, weil man, seitdem die ,,Kunst der Rechnungsführung aus einer blossen Fertigkeit eine ,,Wissenschaft geworden ist, auch mit Ziffern etwas beweisen ,,kann, die wohl scheinbar, nicht aber in Wirklichkeit der Wahr,,heit entsprechen.

,,Hören Sie daher, wenn auch nicht auf mich, da ich keine .,,Autorität besitze, doch auf unsere Kollegen Ancona und Maggio^rino Ferraris. Beide haben nachgewiesen, dass das Ergebnis .,,der Gotthardbilanz künstlich beeinflusst ist, weil vor der Be,,reehnung der Dividenden gewisse Ausgaben der vorhergehenden ,,Betriebsjahre abgezogen werden. So hat man ausser der ge,, wohnlichen Reserve eine ausserordentliche Baureserve angelegt ,,und damit auf künstliche Weise erreicht, dass der Gewinn ,,unterhalb des Prozentsatzes blieb, bei dessen Überschreitung ,,eine Dividende verteilt werden musste.

,,Also besteht auch dieser angebliche Vorteil nicht. Er ist ,,ein Schaden, ein Schaden für uns, weil man bei Aufrechterhal,,tung des Vertrages von 1869 allmählich mehr und grössere ,,Vorteile erreicht hätte, als der neue Vertrag
gewährt." (Vgl.

italienische Akten, pag. 136.)

*) Die Ausführungen werden von uns nur zur Information als Stimmungsbild wiedergegeben.

Bundesblatt. 65. Jahrg. Bd. I.

28

366

Seit dem Jahre 1909 sind nun allerdings die Ausgaben, aber auch die Einnahmen der Gotthardbahn stark gestiegen. Zufolge der von der Gesellschaft vorgenommeneu Tilgungen des Kontos für zu amortisierende Verwendungen und der Verrechnung der Überschüsse von 1909--1911 auf dem Saldo dieses Kontos (vgl. hierzu die Ausführungen am Eingange dieses Abschnittes) wäre dieser Posten für das künftige Verhältnis zu den Subventionsstaaten als getilgt anzusehen, wenn ihnen die Schweiz als Rechtsnachfolgerin der Gesellschaft Rechnung ablegen müsste. Es hätte somit der Bund keine Gelegenheit mehr, einen Teil der Gewinne für statutarisch oder gesetzlich vorgeschriebene oder zulässige außerordentliche Abschreibungen zu verwenden, wie dies die Gesellschaft tat. Die unausweichliche Konsequenz dieser Tatsache besteht darin, dass die Erträgnisse in vollem Umfange als Dividenden des Aktienkapitals zu betrachten wären. Infolge dieser Umstände bekommen die Rechte der Staaten auf Partizipation am Reingewinne und auf Taxreduktion nach Art. 18 und 9 des alten Vertrages eine verstärkte Bedeutung.

Wenn auch die Vertragsgegner nicht ermangeln, darauf hinzuweisen, dass sowohl, in Deutschland wie in Italien das Recht auf Gewinnbeteiligung sehr gering eingeschätzt worden sei, und wenn es auch zutreffend ist, dass die Denkschrift der deutschen Reichsregierung von dem ,,problematischen Rechte der Beteiligung am Reingewinne11 sprach und auf die bisherigen geringen Erträgnisse desselben hinwies, so lassen doch verschiedene, zum Teil erwähnte Äusserungen darauf sehliess.en, dass es auch in unseren Nachbarstaaten nicht entgangen ist, wie die bisherigen Erträgnisse der Gotthardbahn zu ausserordentlichen Abschrei.bungen und Reservestellungen benutzt wurden. Nach Ablehnung des neuen Vertrages müssten wir den Subventionsstaaten nach Art. 11, Absatz 5, des alten Vertrages die Betriebsergebnisse mitteilen, und es steht zu erwarten, dass nachher Deutschland und Italien sowohl in bezug auf die Beteiligung am Reingewinn als in bezug auf Taxreduktionen ihre Begehren nach Massgabe der wirklichen Ziffern stellen würden. Ein Hinweis auf den nach der Denkschrift ,,problematischen Wert" der Rechte würde uns nichts helfen.

VI.

Die Verpflichtung zur Tarifreduktion nach dem alten Vertrag.

Mit Rücksicht auf die im vorhergehenden Abschnitt aufgeführten Erträgnisse kann die Verpflichtung, die Tarife im Sinne

367

von Art. 9 des alten Staatsvertrages zu reduzieren, kaum bestritten werden. In welchem Masse hat sie zu geschehen?

Die erwähnte Vertragsbestimmung schreibt vor, die Taxreduktion habe einzutreten, ,,wenn die Zinsen des Aktienkapitales 8°/o übersteigen". Wir haben oben schon bemerkt, dass die Herabsetzung einzutreten habe, wenn dem Aktienkapital 8 °/o zufallen, der Gesamtertrag .mit dem Gewinnanteil der Subventions* Staaten sich also auf 9 % belaufe.

Nach dem Wortlaute der Vertragsbestimmung spielen zweifellos die ausgerechneten, tatsächlichen Ergebnisse der Gegenwart eine Hauptrolle. Sie sind die Wirklichkeit 5 die Berechnungen für künftige Jahre können nur Wahrscheinlichkeitsziffern ergeben. Trotzdem ist unseres Erachtens in Verhandlungen über Taxreduktionen, und auch in einem schiedsgerichtlichen Verfahren über solche, die Zukunft zu berücksichtigen und, dem Geiste des Art. 9 entsprechend, eine Herabsetzung der Tarife soweit möglich in der Weise vorzunehmen, dass die Erträgnisse der kommenden Jahre vermutlich nicht mehr als 8 % Dividende auf das Aktienkapital ergeben.

Die Botschaften der deutschen und italienischen Regierungen beweisen, dass auch die Subventionsstaaten von ähnlichen Erwägungen ausgegangen sind.

Kämen bloss die Ergebnisse von 1911 und 19J2 von je rund 6*/2 Millionen in Betracht, so ergäbe sich die Notwendigkeit einer Taxreduktion, deren Effekt 2 Millionen ausmachen müsste.

Dann blieben 9°/o Dividende oder 4'/a Millionen übrig, von denen erst noch Fr. 500,000 an die drei Subventionsstaaten fallen würden.

Der Bahnunternehmung, also der Rechtsnachfolgerin der Aktionäre, kämen nicht mehr als 4 Millionen zu, und sie müsste ihre Ertragnisse um 2*/2 Millionen im ganzen schwächen lassen. Die Antwort auf Frage 3 im Gutachten der Generaldirektion der Bundesbahnen gibt ein Bild, wie sich die Taxreduktion unter solchen Verhältnissen gestalten würde. Wir fügen aber gleich bei, dass diese Rechnung sich, wie erwähnt, da die Jahre 1911 und 1912 nicht allein massgebend sind, mit Rücksicht auf die Zukunft Korrekturen gefallen lassen muss. Für die Taxreduktionen nach dem alten Vertrage wären, wie soeben erwähnt, neben den gegenwärtigen Erträgnissen noch die der nächsten Jahre ins Auge zu fassen.

Von den Gegnern des neuen Vertrages ist darauf hingewiesen worden ist, dass die Elektrifizierung der Gotthardbahn deren Gewinn- und Verlustreehnung wesentlich beeinträchtigen

368

und verschlechtern werde, und dass auf diesen Umstand bei der Taxreduktion Rücksicht zu nehmen sei. Gegenüber diesen Einwendungen ist festzustellen, dass die Durchführung der neuen Betriebsart auf der Gotthardlinie in keinem Falle vor Ablauf von S--10 Jahren vollendet sein wird. Auf diesen Zeitpunkt kann heute eine irgendwie zuverlässige Rentabilitätsberechnung nicht aufgestellt werden. Wir erinnern daran, dass beispielsweise von 1901-- 1911 die Einnahmen auf der Gotthardbahn von 19,v Millionen auf 30,8 Millionen gestiegen sind. Die Einnahmen aus dem Güterverkehr im Jahre 1911 allein sind so hoch, wio die gesamten Betriebseinnahmen im Jahre 1901. Es ist sehr schwierig, ja eigentlich unmöglich, sich zum voraus ein Bild über die Einnahmen und Ausgaben für einen Zeitpunkt zu machen, der 10 Jahre später liegt. Die Meinungen über die künftigen Ergebnisse würden, wenn diese zur Erörterung kämen, in sachverständigen Kreisen offenbar weit auseinandergehen. Überdies erscheint es rechtlich als sehr zweifelhaft, ob es gelingen würde, mit einer ungünstigen Zukunftsrechnung für 1920 und die folgenden Jahre die Wirkung der gegenwärtigen Ergebnisse für die Taxreduktion abzuschwächen.

Der Hinweis auf ungünstige finanzielle Folgen des künftigen elektrischen Betriebes würde aber und das ist die Hauptsache, dem Einwände begegnen, die neue Betriebsart werde offenbar in der Erwartung eingeführt, dass sie ökonomisch nicht von ungünstigen Wirkungen begleitet sei, denn sonst würde der Bund von der Neuerung absehen. So verhält es sich auch. Die bisherigen Erfahrungen lassen erwarten, dass der elektrische Betrieb bei dichtem Verkehr, wie er bei der Gotthardbahn in Frage steht, und zumal für Bergstrccken vorteilhaft ist. Die Leistungsfähigkeit der Bahn wird erhöht, und andere sonst hierfür nötige Ausgaben werden erspart. Die Untersuchungen der Studienkommission für elektrischen Bahnbetrieb führen bei Annahme einer Verkehrsvermehrung, die durch die Entwicklung der lelzten Jahre bereits übertroffen worden ist, für die Gotthardbahn zu Resultaten, die wenigstens nicht voraussehen lassen, .dass die Bclriebsergebnisse sich dauernd ungünstiger gestalten werden als beim Dampfbetrieb.

Somit ist die Hoffnung doch sehr gering, dass wir uns mit Kücksicht auf das Projekt der Elektrifizierung der Gotthardbahn mit Erfolg gegen die
Taxreduktion nach Art. 9 des alten Vertrages verteidigen könnten.

W-ir müssten also eine Milderung der nach den Ergebnissen der Jahre 1911 und 1912 vorzunehmenden Reduktionen durch die wahrscheinlichen Ergebnisse der nächsten Jahre, in denen

369 kontrollierbarere Faktoren den Ausschlag geben, herbeizuführen versuchen. Wir haben daher die Generaldirektion der schweizerischen Bundesbahnen gebeten, sich in einem Gutachten (man vergleiche die Antwort auf Frage 2) über die wahrscheinlichen Erträgnisse des Gotthardnetzes in den nächsten Jahren auszusprechen. Indem wir auf diese Ausführungen, deren Richtigkeit von der administrativen Direktion des Eisenbahndepartementes nachgeprüft und bestätigt worden ist, verweisen, heben wir folgende Punkte hervor: Für die künftigen Ergebnisse sind hauptsächlich zwei Faktoren massgebend: die Verkehrszunahme und die Eröffnung der Lötschbergbahn. In beiden. Fällen ist man auf Schätzungen angewiesen. Die Generaldirektion ist davon ausgegangen, dass die durchschnittliche Verkehrszunahme der kommenden Jahre 2°/o für den Personenverkehr und 2'/a 0 / 0 für den Güterverkehr sein werde. Diese Schätzung erscheint als vorsichtig, wenn man bedenkt, dass der Durchschnitt in den letzten 10 Jahren rund das Doppelte betrug (vergleiche Beilage 2 zum Gutachten der Generaldirektion). In Beziehung auf die Folgen der Eröffnung des Lötschberg führt das Gutachten aus, dasa eine einigermassen zuverlässige Schätzung nur für den Güterverkehr möglich sei zufolge des mit der Berner Alpenbahngesellschaft abgeschlossenen Verkehrsteilungsvertrages. In Beziehung auf den Personenverkehr sei man auf reine Schätzungen angewiesen.

Wir finden, die Generaldirektion rechne auch in diesem Punkte mit vorsichtigen Annahmen, und es ist durchaus nicht ausgeschlossen, dass sich in der einen und ändern Beziehung das Ergebnis für die Bundesbahnen günstiger stellen wird. Insbesondere ist zu hofi'en, dass die Verkehrszunahme eine stärkere sein werde und dass der Lötschberg zum erheblichen Teile seine Alimentation in neuern Verkehre finde. Wir heben speziell hervor, dass die Generaldirektion für das Gotthardnetz allein den Einnahmeausfall höher rechnet als für das Gesarntnetz der schweizerischen Bundesbahnen, da die letztern, wenn Transporte statt über den Gotthard durch den Sirnplon geführt werden, auf der Strecke Basel - Scherzligen und Brig-Iselle gegenüber den Frachten auf den Zufahrtslinien zur Gotthardbahn, wie z. B. der Strecke Basel-Immensee, eine Mehreinnahme machen.

Man kann natürlich die Berechnung der Generaldirektion, die im wesentlichen
Teil auf Annahmen beruht, zu günstig finden und kritisieren, ja sogar eine Verkehrszunahme fUr die nächsten Jahre in Abrede stellen. Niemand ist in der Lage, mit absoluter Sicherheit die Ergebnisse vorauszusagen. Immerhin

370

darf nicht vergessen werden, dass unser ganzes Eisenbahnnetz, ja sogar unsere ganze Volkswirtschaft auf die Verkehrsvermehrung angewiesen ist und dass jedermann eine solche in höherem oder bescheidenerem Masse erwartet. Und es ist eben nicht zu vergessen, dass wir sowohl in Verhandlungen wie in einem schiedsgerichtlichen Verfahren darauf angewiesen sind, den Versuch zu machen, die Erträgnisse der kommenden Jahre nach Massgabe der Erfahrungen des Eisenbahnbetriebes zu berechnen. Mit reiner Nogierung und mit pessimistischen, durch die bisherige Verkehrsentwicklung nicht gestützten Behauptungen würden wir keinen Eindruck erzielen, und wir hätten keine Aussicht, mit solchen Mitteln einer Herabsetzung der Tarife mit Erfolg entgegenzutreten.

Nur eine Wahrscheinlichkeitsrechnung, welche vor Eisenbahnfachmännern als eine begründete angesehen würde, könnte vor einem Schiedsgerichte zu unsern Gunsten in Betracht fallen. Sie ist nach Erfahrungen aufzustellen, was nicht hindert, dass die Wirklichkeit sich später etwas anders gestaltet. Auch ein Schiedsgericht muss von Annahmen und Erfahrungssätzen, ausgehen, auch es kann die Zukunft nicht ergründen.

Nach dem Urteil der Generaldirektion, welche die Dinge gewissenhaft und so, wie sie sich nach ihrer Überzeugung entwickeln werden, aber auch nicht zu rosig darstellt, ergäbe sich nun ohne Tarifreduktiou für die Jahre 1913--1916 ein durchschnittlicher Reinertrag der Gotthardbahn von 10 °/o- Das Jahr 1915 bliebe zufolge der dann eintretenden periodischen ßesoldungserhöluing etwas unter diesem Satze; von 1916 an aber würde zufolge der Verkehrszunahme der Ertrag wieder über 10°/o steigen. Wollte man mit einer Verkehrszunahme rechnen, wie sie sich im abgelaufenen Jahrzehnt durchschnittlich einstellte, so würden die Ertragssätze natürlich bedeutend höher werden.

Könnten wir uns angesichts dieser Wahrscheinlichkeitsrechnung für 1913 und die folgenden Jahre mit Recht einer Reduktion der Tarife widersetzen, die bloss nach den Ergebnissen pro 1911 und 1912 berechnet wäre '? Diese Frage ist grundsätzlich zu bejahen.

Aber wir erinnern daran, dass selbst nach den Aufstellungen der Generaldirektion pro 1913--1916 eine Reduktion der Tarife und eine Auszahlung von. Gewinnanteilen an die Subventionsstaaten im Gesamtwerte von durchschnittlich 2°/o des Aktienkapitals erfolgen
müsste, da der Bund als Rechtsnachfolger der Aktionäre vom Durchschnittsertrage von 10°/o nicht mehr als 8 °/o beziehen dürfte. Wir glauben aber nicht fehlzugehen, wenn wir sagen, dass die Subventionsstaaten die Rechnung der Generaldirektion kaum

371

im vollen UmfaBge anerkennen und offenbar verlangen würden, es sei den gegenwärtigen höhern Erträgnissen durch eine kräftigere Reduktion Rechnung zu tragen. So könnte es sehr leicht dazu kommen, dass wir sogleich eine Tarifherabsetzung mit einem Einnabmeausfall von mehr als einer Million Franken im Jahre einführen müssten. Mit dieser Wahrscheinlichkeit ist mit Rücksicht auf die nicht sehr glückliche Fassung von Art. 9 des alten Vertrages entschieden zu rechnen.

Damit wären aber die Pflichten der Schweiz nur für einmal erfüllt. Alle Jahre würde sich an die Rechnungen der Gotthardbahn, wie wir oben nachwiesen, eine unangenehme und schwierige Diskussion anschliessen, in welcher die Subventionsstaaten sich bemühen würden, nachzuweisen, dass zufolge der Ergebnisse neue Reduktionen am Platze seien. Jede Verkehrszunahme würde neuen Begehren des Auslandes rufen.

Und neben dieser ewigen, im alten Vertrage begründeten und immer wieder auftauchenden Pflicht der Taxreduktion ginge die andere einher, den Subventiohsstaaten von den Erträgnissen über 7 °/o, oder 3 l/z Millionen, die Hälfte herauszubezahlen.! Notwendigerweise entstände auch deshalb Jahr für Jahr über das Rechnungsergebnis und die Höhe der herauszuzahlenden Summen ein peinlicher Markt. Zu den Ausfällen zufolge Taxreduktion wären noch die Summen zu zählen, welche als Anteil am Reingewinne an Deutschland und Italien herausbezahlt werden müssten.

Das ist der Zustand, welcher sich bei Anwendung des alten Vertrages notwendigerweise ergeben müsste und der zeitlich unbeschränkt weiterdauern würde. Es scheint uns, es sprechen ^ioch sehr triftige Gründe dafür, ein solches Verhältnis in anderer Weise zu ordnen.

VII.

Die Tarifbestimmungen des neuen Vertrages.

Der neue Vertrag stellt zunächst in Art. 10 dieselben Maximaltaxen im Personenverkehr auf, wie sie Art. 8 des alten Vertrages enthält. Die Ansätze und die Zuschläge erscheinen als genügend, und sind auch in der öffentlichen Diskussion unseres Wissens nicht angefochten worden. Eine Differenz bestünde in diesem Punkte bei Anwendung des alten und des neuen Vertrages nicht. In Beziehung auf die Taxermässigungen für Hinund Rückfahrt ist die Schweiz frei. Eine Herabsetzung der Personentaxen ist also im neuen Vertrage weder für die Grundtaxen noch für die Zuschlage erfolgt.

372

Was den Gepäckverkehr betrifft, so bestimmt Art. 10, A-bs. 3?

des neuen Vertrages, dass die zurzeit im Transit über die Gotthardbahn gültigen Taxen und Zuschlagstaxen nicht erhöht werden dürfen. Es sind dies, da der alte Vertrag die Gepäcktaxen nicht ordnete, die seinerzeit in den kantonalen Konzessionen festgelegten Ansätze, an deren Erhöhung nicht zu denken ist. Auch dieser Punkt hat unseres Wissens keine Anfechtung gefunden..

Für den Güterverkehr trifft der neue Vertrag zwei Bestimmungen: Zunächst werden die gegenwärtig im deutsch-italienischen und im schweizerisch - italienischen. Güterverkehr im Durchgang über die Gotthardbahn bestehenden Grundtaxen für die Zukunft festgelegt. Diese Bestimmung wurde von Deutschland und Italien verlangt, weil ohne eine solche Vorschrift die Herabsetzung der Bergzuschläge durch die Erhöhung der Grundtaxen illusorisch gemacht werden könnte. Aus dem nämlichen Grunde wurden auch die heute dem gleichen Eigentümer, wie die Gotthardbahn, gehörenden Zufahrtslinien in die Fixierung der Taxen einbezogen. Wäre dies nicht geschehen, so hätte auch durch Erhöhungen auf diesen Strecken die Wirkung der Reduktion der Bergzuschläge aufgehoben werden können. Die Grundtaxen auf der schweizerischen Strecke dürfen jedoch erhöht werden, wenn die deutschen oder italienischen Eisenbahnen ihre gegenwärtigen Taxen hinaufsetzen. Nach dem Schlussprotokoll ist diese Bestimmung so zu verstehen, dass die vorgesehene Erhöhung der Tarife nur auf Waren gleicher Natur angewendet werden kann.

Wenn also z. B. Deutschland den Tarif für Kohlentransporte nach Italien erhöht, so ist die Schweiz berechtigt, dies ebenfalls zu tun. · Von der Festlegung sind die gegenwärtigen Taxen ausgenommen, die zufolge des ausländischen Wettbewerbes ausnahmsweise ermässigt worden sind, um die Konkurrenz mit ausländischen Linien für bestimmte Transporte aufnehmen zu können. Solche Taxen dürfen von .der Schweiz einseitig erhöht werden. Die Schweiz darf also gegenwärtig angewendete Grundtaxen erhöhen, insofern sie zufolge des ausländischen Wettbewerbes ausnahmsweise reduziert worden sind. Sie wird von diesem Rechte in praxi in den Fällen Gebrauch machen können, in denen sich zufolge Reduktion der Bergzuschläge die Gesamttaxe trotz einer Erhöhung der Grundtaxe nicht höher stellt, als die bisherige aus Grundtaxe und
Bergzuschlag sich berechnende Konkurrenztaxe. Zum Verständnis dieser Bestimmung bemerken wir das Folgende : · Für den Transport der Güter im Verkehr über den Gotthard sind massgebend, ein Normaltarif, sowie eine Anzahl Aus-

373

nahmetarife. Diesen Tarifen können die Frachtsätze pro 100 kg für die Strecken von den Abgangsstationen bis zu den . Bestimmungsstationen entnommen werden.

Für die beteiligten Bahnen, also auch für die Gotthardbahn, werden bei deren Aufstellung bestimmte Taxen pro Kilometer und 100 kg (Grundtaxen) gerechnet, die den Bedürfnissen des Verkehrs angepasst sind. Ausserdem bestehen als Abweichung von diesen Tarifen ,,ausnahmsweise ermässigte Taxen" für den Verkehr zwischen bestimmten Stationen, bei deren Berechnung für die Gotthardbahn und zum Teil auch für die Strecken anderer beteiligter Bahnen niedrigere Grundtaxen als die gewöhnlichen angenommen worden sind. Im Verkehr über den Gotthard sind solche Ausnahmetaxen eingeführt worden, um z. B. im deutsch-italienischen Verkehr den Wettbewerb mit dem Mont-Cenis aufnehmen zu können.

· So hat die Gotthardbahn z. B. für den Transport von Formeisen, Roheisen und altem Eisen, das von gewissen deutschen, linksrheinischen Stationen nach solchen der Linie BardonecchiaTurin - Cavallermaggiore - Cuneo-Vievola und westlich bestimmt ist, aus Wettbewerbsrücksichten eine ausnahmsweise ermässigte Transittaxe von 0,275 Ct. pro Kilometer und 100 kg zugestanden. Diese Einheitstaxe ergibt für die ganze Gotthardstrecke Immensee transit--Pino transit von 226 Tarifkilometer (effektive Distanz 176 km} eine Transittaxe von 63 Ct. pro 100 kg. Wird die im neuen Gotthardvertrag vorgesehene Reduktion des Bergzuschlages um 17 km durchgeführt, so wird damit die Tarifdistanz von 226 auf 209 km ermässigt, und es würde auf Grund der angeführten Einheitstaxe von 0,275 Ct. pro km die Gesamttaxe der Gotthardbahnstrecke auf 58 Ct. herabgesetzt. Diese Taxe wäre um 5 Ct. niedriger als sie, aus Gründen des Wettbewerbes sein muss. Da keine triftigen Gründe für eine solche Unterbietung der Konkurrenztaxen bestehen, würden die schweizerischen Bundesbahnen auf den Zeitpunkt der Inkraftsetzung des neuen Vertrages die Grundtaxe von 0,375 Ct. auf -^ Ct. = 0,soi Ct.

pro Kilometer und 100 kg erhöhen. Würde die Taxe der ausländischen Route in der Folge erhöht, so könnte die via Gotthard bestehende Ausnahmetaxe entsprechend noch weiter heraufgesetzt werden, da keine Gründe dafür bestehen, die ausländischen Routen in solchen Fällen zu unterbieten. Immerhin darf die Heraufsetzung der Taxen nur bis auf
die Höhe der gegenwärtigen normalen Grundtaxen erfolgen.

Die Bergzuschläge, welche die Gotthardbahn auf den Strecken mit einer Steigung von mehr als 15 %o bezogen hat, wurden

374

in der Weise durchgeführt, dass für die Strecke Erstfeld-Chiasso 64 km und für die Strecke Erstfeld-Pino 50 km zugeschlagen wurden. Der neue Vertrag sieht nun vor, dass diese Zuschläge für die Periode bis zum 30. April 1920 um 35 °/o und von dort an um 50 °/o ermässigt werden. Eine Wiedererhöhung dieser Zuschläge bis auf den gegenwärtigen Stand wäre nach dem neuen Vertrage zulässig, wenn infolge gegenwärtig nicht vorauszusehender Ereignisse die Herabsetzung der Taxe die Folge haben sollte, dass das gegenwärtige Netz der Gotthardbahn nicht mehr die Betriebskosten, einschliesslich der Verzinsung und Amortisation des in diesem Netze investierten Anlagekapitals und der vorgeschriebenen Rücklagen in den Erneuerungsfonds, aufbringen würde. Als Beispiele solcher nicht vorauszusehender Ereignisse werden genannt, das Ausfuhrverbot für Brennstoffe durch einen Kohlen 'erzeugenden Staat oder, eine aussergewöhnliche Steigerung der Kohlenpreise.

Diese Bestimmung ist nicht von grosser praktischer Bedeutung, da ein solches nicht vorauszusehendes Ereignis kaum eintreten wird und weil, selbst wenn dies der Fall wäre, geprüft werden müsste, ob angesichts der ausländischen Konkurrenz eine Taxerhöhung eingeführt werden könnte, ohne den Verkehr zu schädigen.

Was die andere Voraussetzung dieses Rechtes anbetrifft, so ist im Konferenzprotokoll festgelegt, dass das von den Bundesbahnen ausgelegte Kapital, also der Rückkaufspreis als Anlagekapital in Betracht kommt und dass die Amortisation nach Ruckkaufsgesetz mitzuzählen ist. Der in Art. 12, Absatz 2, umschriebene Ertrag ist zufällig ungefähr gleich hoch wie der Ertrag, bei dessen Überschreitung nach Massgabe des alten Vertrages, Art. 9, die Taxen reduziert werden müssen. Der letztere beläuft sich auf 9 °/o des Aktienkapitals von 50 Millionen, wovon l °/o an die Subventionsstaaten fiele, also auf Fr. 4,500,000 Nach Art. 12, Absatz, 2 fallen an Stelle dieses Postens in Rechnung : 4 °/o Zins von 83,75 Millionen (Preis der Aktien) Fr. 3,350,000 Amortisation nach Rückkaufsgesetz, Anfangsquote .

,, 1,032,000 ,, 4,382,000 Differenz

Fr.

118,000

375

Die übrigen Posten der Rechnung bleiben sich in beiden Fällen gleich. Es ist jedoch zu beachten, dass nach dem alten Vertrage bei einem Erträgnisse von 4 Va Millionen eine halbe Million den Subventionsstaaten als Anteil am Reingewinne abgeliefert werden müsste.

Käme die Anwendung dieser Bestimmung in Frage, so müssten die Bundesbahnen in jenem Zeitpunkte in Anlehnung an ihre Rechnungsführung eine besondere Aufstellung über die Erträgnisse der Gotthardbahn machen.

Wie wir schon in unserer Botschaft vom 9. November 1909 ausgeführt haben, hat die Tarifreduktion einen jährlichen Einnahmeausfall von Fr. 975,000 zur Folge, der mit dem Jahre 1920, wenn die Reduktion der Bergzuschläge um 50 % eintritt, auf Fr. 1,425,000 steigt. Es ist jedoch zu bemerken, dass keineswegs der gesamte Betrag dem deutsch - italienischen oder italienisch-deutschen Verkehr zugute kommt. Die Tarifveränderung wird selbstverständlich für den Verkehr aller Länder nach dem Grundsätze der Parität angewendet. Wir verweisen auf das Gutachten der Generaldirektion der Bundesbahnen, Antwort auf Frage 6, und entnehmen den dortigen Auseinandersetzungen das Folgende : Es ergeben sich Frachtermässigungen, für den schweizerisch-italienischen Verkehr rund . Fr. 300,000 für den internen Verkehr der Gotthardbahnstationen unter sich ,, 10,000 für den direkten Verkehr zwischen Gotthardbahnstationen und der übrigen Schweiz und umgekehrt ,, 40,000 für den Verkehr zwischen dem nördlichen Ausland und dem Tessin und umgekehrt ,, 10,000 Total Fr. 360,000 Von dem gesamten, durch Reduktion der Bergzuschläge entstehenden Ausfall trifft es also zugunsten von Verkehr, an welchem die Schweiz beteiligt ist, einen Drittel. Von dem weitern Einnahmeausfall von rund Fr. 600,000, der auf dem internationalen Durchgangsverkehr eintritt, kommen zirka fünf Sechstel, ' also rund eine halbe Million, den Frachten zwischen Deutschland und Italien und ein Sechstel den Frachten zwischen ändern Ländern zugut.

Gegen die erwähnten Vertragsbestimmungen hat man vor allem geltend gemacht, es sei falsch und grundsätzlich zu beanstanden, dass die Taxen im Güterverkehr- dauernd und für alle

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Zeiten festgelegt seien, die Betriebskosten der Bahnen werden steigen und das Geld sich immer mehr entwerten.

Gegenüber diesen Einwendungen ist vor allem darauf hinzuweisen, dass ein Steigen der Betriebskosten, wodurch eine Erhöhung der Taxen notwendig würde, offenbar nicht nur in der Schweiz, sondern auch in Deutschland und Italien eintreten und auch die Verwaltungen dieser Länder zwingen würde, ihre Tarife zu erhöhen. Dann könnte die Schweiz nach ausdrücklicher Vertragsvorschrift es auch tun. Allein auch abgesehen von dieser Befugnis muss man sich über die Möglichkeit der Erhöhung von Taxen für den Gütertransport keinen Täuschungen hingeben.

Die Tarifpolitik sämtlicher Transportanstalten läuft auf eine Ver^ billigung der Transporte hinaus, aus welcher man eine weitere Vermehrung des Güteraustausches erhofft. Die konkurrierenden Unternehmungen versuchen durch Herabsetzung der Taxen und andere Erleichterungen den Verkehr gewisser Gebiete an sich zu ziehen. Mit den Eisenbahnen wetteifert heute schon für den Verkehr von Norden nach Süden und umgekehrt der Seeweg, dem sich in Zukunft wohl noch in höherem Masse als es.heute der Fall ist die Konkurrenz der Binnenschiffahrt zugesellen wird.

Für den Landweg steht heute schon die Gotthardbahn in* Wettbewerbe mit dem Brenner und dem Mont-Cenis. In Frankreich beschäftigt man sich überdies mit dem Studium eines weitern Alpendurchstiches. Sollte er auch nicht realisiert werden, so ist doch damit zu rechnen, dass die französischen Bahnen durch sehr tiefe Staffeltarife ihre Wege nach Italien aufs wirksamste unterstützen. Ihre Ansätze für Massentransporte sinken zum Teil bis auf die Hälfte der Gotthardtaxen.

Der Seeweg tritt mit den Eisenbahnen und namentlich auch der Gotthardbahn in intensive Konkurrenz. Wir erinnern an die Getreidetransporte aus dem Orient nach den nördlichen Ländern, sogar der Schweiz, die häufig den Weg durch die Meerenge von.

Gibraltar nach Rotterdam und den Rhein hinauf bis Mannheim und Strassburg nehmen, weil der längere Seeweg nach Rotterdam nicht teurer zu stehen kommt als der bis Genua.

In ändern Fällen entscheiden die Transportkosten zu Land und zur See sogar darüber, welchem Lande ein Absatzgebiet zufällt. So konnte bis vor kurzem die deutsche Kohle, die durch den Gotthard nach Italien verbracht wurde, eine kleine Strecke südlich von Mailand nicht mehr mit der englischen Kohle, die zur See transportiert wird, konkurrieren. Während des englischen

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Kohlenstreikes haben die deutschen Lieferanten gewisse Gebiete Italiens erobert und versuchen sich nun in denselben zu halten, Wozu sie unter Umständen eine Tarifreduktion notwendig haben.

Endlich beschäftigt man sich in Frankreich, dessen Verhältnisse mit Rücksicht auf die Terrainbeschaffenheit und das kleine Gefalle seiner Flüsse für die Schiffahrt günstig sind, mit der Schiffbarmachung der Rhone für die Strecke von Arles bis nach 'Lyon, um so diese Stadt direkt mit dem Meere zu verbinden.

Von Lyon bietet die Schiffahrt auf der Saône bis Saint-Jean-deLosne.keine bedeutenden Schwierigkeiten, und dort treffen drei Kanäle zusammen, von denen der eine die Verbindung mit der Seine, der andere mit der. Scheide und der dritte mit dem Rheine herstellt. Sollte das Projekt der Schiffbarmachung der Rhone ausgeführt werden, so würde ein direkter Wasserweg zwischen dem industriereichen Rheingebiet, einem Hauptkunden unserer Gotthardbahn, mit dem Mittelmeer hergestellt und dadurch vielleicht die Konkurrenz für Transporte in das Gebiet nördlich der Alpen verschärft.

Also nicht nur in der Schweiz, sondern auch im Auslande wird die rationelle Ausgestaltung der Verkehrswege mit grosser Energie verfolgt, und in absehbarer Zeit kann von einer Erhöhung der Tarife aus wirtschaftlichen und Konkurrenzgründen kaum die Rede sein.

Wir möchten daher der Überzeugung Ausdruck geben, dass die Aussicht auf die Möglichkeit von Taxerhöhungen eine sehr geringe ist. Unsere Eisenbahnpolitik muss deshalb darauf ausgehen, unsere Transportwege so konkurrenzfähig und so rationell als möglich zu gestalten. Die Bindung der bisherigen Grundtaxen als Maximaltaxen hat nicht die grosse praktische Bedeutung, die man ihr oft beilegt. Man wird sich daher zweimal besinnen müssen, aus lauter Sorge für die Möglichkeiten einer fernem Zukunft einen Vertrag zu verwerfen, der für Gegenwart und Zukunft auf alle Fälle greifbare und nicht unbedeutende Vorteile bringt, und der uns vor Bestimmungen des alten Vertrages bewahrt, die auf alle Fälle, mögen kommende Zeiten in bezug auf unsern Bahnbetrieb Hoffnungen oder Befürchtungen realisieren, nachteilig und überdies sehr unangenehm wären.

Es soll indessen nochmals betont werden, dass die Bindung der Grundtaxen nur eine relative ist, d. h. nur insofern besteht, als Deutschland und Italien ihre Grundtaxen nicht erhöhen.

Was die Reduktion der Bergzuschläge betrifft, so erinnern wir zur Vergleichung an das, was wir hierüber für den Fall der

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Anwendung des alten Vertrages in Abschnitt IV gesagt haben.

Jenem Zustande ziehen wir eine feste Reduktion im Geldwerte von l Million und von 1,4 Millionen von 1920 an vor. Darüber wird bei der Gesamtwürdigung des Vertrages noch zu sprechen sein.

VIII.

Die sogenannte Meistbegünstigung nach dem alten Gotthardvertrag und die einschlägigen Bestimmungen des neuen Vertrages.

Nach Art. 10 des alten Vertrages war die Gotthardbahngesellschaft gehalten, für den Personen- und Gütertransport von, nach und durch Italien den Eisenbahnen der Subventionsstaaten mindestens dieselben Vorteile und Erleichterungen zuteil werden zu lassen, welche sie, sei es ändern Eisenbahnen ausserhalb der Schweiz, sei es irgendwelchen Strecken und Stationen dieser Bahnen, sei es endlich den schweizerischen Grenzstationen, gewähren sollte. Die Gotthardbahn durfte ferner in keine Kombination mit ändern schweizerischen Eisenbahnen eintreten, durch welche dieser Grundsatz verletzt würde.

Der erste Teil dieser Vertragsbestimmung ist vollständig klar.

Der Transitverkehr zwischen Deutschland und Italien durfte von der Gottharclbahngesellschaft nicht ungünstiger gestellt werden, als der Transitverkehr anderer Länder. Man hatte von deutscher Seite beim Vertragsabschluss besonders Frankreich im Auge, in dessen Händen damals noch die elsässischen Bahnen waren, und wollte verbinden), dass den BahnejQ dieses Landes, das keine Subvention bezahlte, Vorteile eingeräumt werden, die den deutschen Bahnen nicht zukämen. Allein die Gotthardbahngescllschaft durfte diese Pflicht der Gleichbehandlung auch nicht umgehen. Darauf bezieht sich der zweite Satz, durch welchen ihr verboten war, ,,in Kombinationen mit ändern schweizerischen Bahnen einzutreten, durch welche dieser Grundsatz verletzt würde tt .

Darnach war offenbar der Gotthardbahngesellschaft nicht gestattet, dem Verkehre anderer Länder auf den Linien der Nordost- und Centralbahn, den nördlichen Zufahrtslinien, z. B. durch Einräumung irgendwelcher Kompensationen, billigere Taxen zu erwirken als die für den deutsch-italienischen Verkehr bestehenden, und wenn eine solche Operation auch nur zu dem Zwecke erfolgt wäre, um den Transit anderer Länder von ändern Verkehrswegen auf die Schienen der Gotthardbahn zu ziehen.

Nach unsern Darlegungen in Abschnitt II sind die sämtlichen Verpflichtungen, welche der Gotthardbahn und der Gotthardbahn-

37U

gesellsehaf't oblagen, zufolge der Verstaatlichung mit dem Objekte auf die Bundesbahnen übergegangen, und zwar im vollen Umfange. Damit ist vor allem klargestellt, dass die Pflicht, den deutsch-italienischen Verkehr auf den Linien der Gotthardbahn nicht ungünstiger zu behandeln als den Verkehr anderer Länder, bei Anwendung des alten Vertrages nach wie vor auf der Bahnanlage haftet und von den Bundesbahnen mit ihr übernommen worden ist. Das bestreitet ernstlich niemand. Wie steht esaber mit dem Verbote, das in Satz 2 des Art. 10 des alten Vertrages enthalten ist, und wonach die Gotthardbahngesellschaft in keine Kombination mit ändern schweizerischen Bahnen eintreten darf, durch welche dieser Grundsatz (d. h. der Grundsatz der Gleichbehandlung) verletzt würde? Es liegt auf der Hand, dass auch diese Verpflichtung auf die Bundesbahnen übergegangen ist, da ja der Rückkauf die Rechte der Staaten intakt lassen soll. Dazu kommt nun aber, dass der Bund als Erwerbt!)1 der Gotthardbahn sich in einer besonderen Stellung befindet: er ist zugleich Inhaber nicht nur der Zufahrtslinien zur Gotthardlinie, sondern eines weitern grossen Bahnnetzes, von welchem auch einzelne andere Linien dem deutsch-italienischen Verkehre dienen. Deshalb erhebt sich die Frage : Darf nach dem alten Vertrage der Bund, dem es, wenn er nur die Gotthardbahn besitzen würde, verboten wäre;, in eine Kombination mit ändern Bahnen einzutreten, durch die er den Grundsatz der Meistbegünstigung des deutsch-italienischen Verkehrs verletzen würde, auf seinen eigenen ändern Linien, vor allem auf den Zufahrtslinien zur Gotthardbahn, den Verkehr anderer Länder begünstigen und ihm Vorteile einräumen, die der deutsch-italienische Verkehr nicht geniesst? Es scheint uns, wer sich diese Frage stellt, Jurist oder Laie, findet in seinem natürlichen Rechtsgefühl und in seinem Gewissen die Antwort, die nur ein entschiedenes Nein sein kann. Die Bejahung der Frage, die Beanspruchung des Rechtes einer solchen Differenzierung, wäre mit den Grundsätzen von Treu und Glauben, die das ganze Rechtsleben, zumal aber die völkerrechtlichen Beziehungen beherrschen, kaum vereinbar. Der Parcours von Basel bis Chiasso oder von Schaffhausen bis Pino ist eine zusammenhängende Strecke, die dem gleichen Bahnuntemehmen gehört.

Wer müsste es nicht als eine Umgehung der Meistbegünstigung
auf der Gotthardbahn betrachten, wenn deren Eigentümer dem Verkehre anderer Länder auf einem nicht zu ihr gehörigen Teile der Gesamtstrecke Reduktionen einräumen würde, die er Deutschland und Italien nicht gewährt? Die materiellen Folgen wären für

380

beide Teile, für die Bundesbahnen und den Spediteur absolut identisch mit der Reduktion auf der Gotthardlinie selbst. Im einen wie im ändern Falle wäre es der Eigentümer dieser Linie, der die Konzession auf eigene Kosten macht. Einer solchen Massregel stünde die Tendenz der Umgehung der Gleichstellungspflicht an der Stime geschrieben, die Handlung wäre offenbar einer ,,Kombination mit einer ändern schweizerischen Bahna, die im alten Vertrage dem Inhaber der Gotthardbahn verboten ist, gleich zu achten, obwohl oder besser gesagt um so eher, als die Zufahrtslinien zur Gotthardbahn heute in der Hand des Bundes mit dieser ,,eine11 Bahn bilden ! Wir meinen also, die Bundesbahnen dürfen, weil sie mit der Gotthardbahn die Pflicht übernahmen, auf dieser den Verkehr zwischen Italien und Deutschland nicht ungünstiger zu behandeln als den Transitverkehr anderer Länder, und weil sie mit ändern Bahnen in keine Kombination eintreten dürfen, welche diesen Grundsatz verletzt, auch auf den ihnen gehörenden Zufahrtslinien zur Gotthardbahn keine ,,Kombinationen" treffen, durch welche der Effekt der Meistbegünstigung auf dem Gotthardnetz für den deutsch-italienischen Verkehr im Effekte illusorisch gemacht würde. Die Pflicht der Unterlassung von ,,Kombinationen10 ist, wir wiederholen es, nach unserm Rechtsgefühl sogar um so dringender, als der Bund die Gotthardbahn mit den übrigen Schweizerbahnen vereinigt und damit eine vollständige Interessengemeinschaft geschaffen hat.

Wie verhält es sich nun mit ändern Alpenübergängen?

Stünde unter der Herrschaft des alten Vertrages der Schweiz das Recht zu, auf solchen Bahnen und ihren Zufahrtslinien den Transitverkehr anderer Länder zu begünstigen und diesem z, B.

auf den Zufahrtslinien zum Lötschberg und auf der Simplonroute gegenüber dem deutsch-italienischen Transitverkehr eine Taxreduktion einzuräumen, während dies auf der Gotthardlinie nicht zulässig wäre? Wir glauben es nicht. Nachdem einmal das ganze schweizerische Bahnnetz in die Hand des Bundes vereinigt ist, so verstiesse es auch gegen Treu und Glauben, das, was der Bund auf der Gotthardroute nicht tun darf, auf anderem Wege zu erreichen. Der Zweck des Artikels 10 des alten Vertrages besteht, wie schon erörtert, darin, dafür zu sorgen, dass die deutschen Produkte in Italien und die italienischen Erzeugnisse in
Deutschland unter dem Gesichtspunkte der Tarifgestaltung nicht ungünstiger gestellt sein sollen, als die Waren anderer Länder.

Unseres Erachtens fallen unter die Kombinationen mit ändern Bahnen alle dem Verkehre anderer Länder zugestandenen Tax-

381

reduktionen, die Deutschland und Italien nicht eingeräumt würden, falls sie vom Eigentümer der Gotthardbahn ausgehen, auch wenn sie andere Linien betreffen, da solche Massregeln im Endeffekte den Grundsatz der Parität in den Speditionskosten verletzen.

Die gezogenen Schlüsse erscheinen für beide Fälle um so zutreffender, wenn man bedenkt, dass die Schweiz selbst in Art. 7 des alten Vertrages sich als souveräner Staat verpflichtete, ,,ihre Anstrengungen dahin eintreten zu lassen, soviel wie möglich, in Berücksichtigung der gemeinsamen Interessen, den Verkehr zwischen Deutschland und Italien zu erleichtern". Man wird daher einräumen müssen, dass angesichts dieser Bestimmung die Begünstigung des Durchgangsverkehrs anderer Länder in der Richtung Nord-Süd und umgekehrt -- ein auch an sich ganz ungewöhnlicher Akt -- nicht nur eine unfreundliche, sondern sogar eine gegen den Geist und die Absicht des alten Vertrages verstossende Handlung wäre.

So gelangen wir auch noch mit einer ändern Motivierung zu dem Schlüsse, den wir schon in der Botschaft vom 9. November 1909 anhand des Art. 15 des alten Vertrages gezogen haben. Die Gutachten der Herren Speiser und Borei bestätigen, zum Teil mit etwas abweichenden Begründungen, unsere Auffassung, die Schweiz dürfe auch unter der Herrschaft des alten Vertrages zufolge Vereinigung des Gotthardnetzes mit dem übrigen Netz der Bundesbahnen, weder auf den Zufahrtslinien zur Gotthardbabn noch auf ändern ihr gehörigen Verbindungslinien zwischen Deutschland und Italien den Verkehr anderer Länder vor demjenigen der Subventionsstaaten bevorzugen. Um nicht zu weitläufig zu werden, verweisen wir auf die eingehenden Auseinandersetzungen der beigedruckten Gutachten, die sich auch mit der Entstehung der Bestimmungen anlässlich der Verhandlungen von 1869 und der Rückweisung von Einwendungen befassen.

Gegner des neuen GotthardVertrages haben aus gewissen Äusserungen in den Denkschriften an das deutsche und italienische Parlament und aus einzelnen Voten herauslesen wollen, dass man sich weder in Berlin noch in Rom auf den Boden stelle, bei Anwendung des alten Vertrages dehne sich die Meistbegünstigung auf andere Linien des Bundesbahnnetzes aus. Deshalb wird der Vorwurf erhoben, der Bundesrat und seine Unterhändler seien in den Verhandlungen zu weit gegangen. Diese Einwendung ist
verfehlt. Wie wir schon dargetan haben, stellten sich die beiden Staaten auf den Boden, die Verstaatlichung sei nicht zulässig, ohne dass sich die Schweiz mit den beiden Ländern BnndesWatt. 65. Jahrg. Bd. I.

29

382 über neue Bedingungen verständige. Deshalb wurde in den Denkschriften der beiden Länder die Anwendung des alten Vertrages auf die neuen Verhältnisse nicht geprüft und auch in Beziehung auf Art. 10 bloss die effektive Rechtslage zur Zeit des Bestandes der Gesellschaft und des alten Vertrages verglichen mit den im neuen Vertrage ausdrücklich eingeräumten Rechten.

Übrigens beweist doch der Umstand, dass die beiden Länder die Ausdehnung der Meistbegünstigung verlangten, dass sie den alten Vertrag so auffassten.

Und nun der neue Vertrag. Wir haben bereits darauf hingewiesen, dass er die soeben besprochenen Punkte in den Art. 7--9 behandelt.

Er bestimmt, dass die schweizerischen Bundesbahnen den deutschen und italienischen Eisenbahnen für den Transitverkehr die gleichen Vorteile und Erleichterungen gewähren, die dem Transitverkehr anderer Länder eingeräumt werden, und verbietet, dass sie in eine andere Verbindung mit ändern schweizerischen Eisenbahnen eintreten, durch welche dieser Grundsatz verletzt würde (Art. 8). Er setzt ferner fest, dass der Verkehr über den Gotthard die gleichen Grundtaxen und Vorteile geniessen soll, welche einer ändern, bereits bestehenden oder künftig zu bauenden Alpenbahn bewilligt sind oder noch bewilligt werden (Art. 7).

Von einer wichtigen, zugunsten der Schweiz gemachten Ausnahme (Art. 9) ist unten zu sprechen.

Der neue Vertrag räumt somit dem Transitverkehr der beiden Länder Rechte ein, die ihnen nach Massgabe unserer Ausführungen und der Gutachten der Herren Speiser und Borei auch bei Anwendung des alten Vertrages nicht bestritten werden könnten. Speziell sei noch hervorgehoben, dass auch die Gleichstellung des Gotthard verkehr es mit dem Verkehr über andere Alpenbahnen eine logische Folge des Grundsatzes ist, dass der -- namentlich auf den Gotthard angewiesene -- deutsch-italienische Verkehr nicht schlechter gehalten werden soll als der Transitverkehr anderer Länder.

Was die Tragweite der Bestimmungen des alten und des neuen Vertrages betrifft, so sei noch besonders erwähnt, dass es sich in allen Fällen bloss um den deutsch-italienischen und italienisch-deutschen Transitverkehr handelt, also nicht um den Verkehr Deutschlands' nach der Schweiz. Die Gleichstellung erfolgt nur im Verhältnis zum Transitverkehr anderer Länder, nicht im Verhältnisse zum Verkehr mit der Schweiz oder zum Verkehr in der Schweiz. Wir sind daher für die Tarifgestaltung

383

in und nach der Schweiz für Verkehr, der nicht über die vollständige Gotthardbahn geht, vollständig frei, und es ist durchaus irrig, wenn gelegentlich behauptet wurde, die Schweiz müsse zufolge des neuen Staatsvertrages für alle Zeiten z. B. deutschen Transporten nach Genf dieselben Tarife gewähren, die intern angewendet werden oder die eventuell dem Verkehre anderer Länder eingeräumt würden. Praktisch kommen somit die Art. 7 und 8 des neuen Vertrages bloss zur Anwendung auf den Alpenübergängen in nord-südlicher Richtung und umgekehrt, sowie auf den Zufahrtslinien zu diesen, und der grosse Teil unseres Bahnnetzes wird von den Vertragsbestimmungen gar nicht betroffen.

Bedenkt man, dass Italien und Deutschland au den Bau der Gotthardbahn 85 Millionen Subvention bezahlt haben, so ist.

es nicht unbillig, dass ihr Transitverkehr nicht ungünstiger gehalten wird als derjenige anderer Länder. Überdies entspricht die Gleichhaltung aller Transporte ohne Rücksicht auf ihren Ursprung den Grundsätzen unseres nationalen Eisenbahnrechtes, die-, gewiss nie verlassen werden können.

Die Gleichstellungspflicht hat daher sozusagen keine praktischeBedeutung; es ist gar nicht daran zu denken, dass die Schweiz je dazu käme, den Export ihrer nördlichen und südlichen Nachbarn, . die zugleich die besten Kunden ihrer Bahnen sind, ungünstiger zu behandeln als denjenigen anderer Länder, Die Verpflichtung der Gleichbehandlung aber wird, das kann nicht genüg betont werden, nicht durch den neuen Vertrag geschaffen, sondern sie wurde 1870 durch Annahme der Subventionen begründet.

Der durch den neuen Vertrag geschaffene Zustand weicht bloss in einer Beziehung von demjenigen ab, der unter der Herrschaft des alten Vertrages bestünde; er kreiert z u g u n s t e n der Schweiz eine wichtige Ausnahme.

Wir haben oben schon von Transittaxen gesprochen, die wegen des Wettbewerbes anderer ausländischer Linien ausnahmsweise ermässigt werden müssten, um den Verkehr auf unsere Schienen zu ziehen. Solche werden z. B. für die Lötschberg-Simplon-Route in Betracht kommen für Sendungen aus Frankreich, welche sonst billiger durch den Mont-Cenis nach Italien gelangen würden.

Führt die Schweiz z. B. auf den Zufahrtslinien zum Lötschberg und auf der Simplonstrecke im Wettbewerb mit den franzosischen Bahnen solche Reduktionen ein, so kann der deutsch-italienische Verkehr nach den Bestimmungen des Staats vertrages die Einräumung dieser Ausnahmetaxen nicht verlangen. Dieser Vorbehalt ist ein

384

sehr wichtiger und wertvoller. Der zweite Absatz schränkt die zugunsten der Schweiz bestehende Ausnahme etwas ein. Über die Bedeutung dieser Bestimmung, die keineswegs ungerechtfertigt ist, spricht sich das Gutachten der Generaldirektion in der Antwort auf Frage 7, auf welche wir verweisen, aus. Sollte der alte Gotthardvertrag weiter gelten, so wurden die Subventionsstaaten sich wohl auf den Standpunkt stellen, dass für ihren Transitverkehr die Meistbegünstigung schlechthin, also ohne den in Art. 9 des neuen Vertrages enthaltenen Vorbehalt, bestehe. In Übereinstimmung mit der Generaldirektion der Bundesbahnen müssen wir daher feststellen, dass die in Art. 7 des neuen Vertrages in Beziehung auf die Meistbegünstigung resp. Gleichhaltungspflicht aufgestellten Vorschriften für die Schweiz wesentlich günstiger sind .als die Anwendung des alten Gotthardvertrages.

IX.

Die Materialbestellungen flir die Elektrifizierung der Gotthardbahn.

Unter Berufung auf die Tatsache, dass die Gotthardbahngesellschaft Bestellungen von Material im Auslande gemacht habe, ·stellten die beiden Subventionsstaaten bei den Verhandlungen ·das Verlangen, es möchte der Industrie ihrer Länder auch für die Zukunft die Beteiligung an den Lieferungen von Material, hauptsächlich für den Fall der Elektrifizierung, z. B. durch den Weg öffentlicher Ausschreibung erleichtert werden.

Aus diesem Begehren ist eine Bestimmung des Schlussprotokolles (IV) hervorgegangen folgenden Inhaltes : Die Schweiz erklärt, dass die Bundesbahnen im Falle von Materialbestellungeri für die Elektrifizierung der Gotthardlinie ihre Praxis fortsetzen werden, wonach für diese Lieferung ein der Industrie aller Länder zugänglicher Wettbewerb eröffnet werde. Was die ändern Materialbestellungen für die Gotthardlinie betrifft, so erklärt die Schweiz, dass sie nicht die Absicht habe, die gegenwärtige Praxis der Bundesbahnen zu modifizieren.

Diese Bestimmung des Schlussprotokolles wurde auf Wunsch der schweizerischen Delegation durch eine Erklärung im Konferenzprotokolle ergänzt, welche die gegenwärtige Praxis der Bundesbahnen feststellte. Sie lautet folgendermassen : ,,Nach der gegen,,wärtigen Praxis der Bundesbahnen werden die sämtlichen ,,wichtigen Vergebungen von Bauarbeiten auf dem Wege eines .^allgemeinen Wettbewerbes vorgenommen. Die Kohlenlieferungs;

385 ,,vertrage werden direkt mit den Lieferanten abgeschlossen ; die ,,hauptsächlichsten von diesen sind gegenwärtig die königliche ,,Direktion der Gruben in Saarbrücken und das Rheinische Kohlen,,syndikat. Die Lokomotiven und Waggons werden bei den ,,schweizerischen Fabriken bestellt, solange sie zu annehmbaren ,,Preisen liefern. Im gegenteiligen Falle würden die Bestellungen , ,,auf dem Wege einer öffentlichen Ausschreibung vergeben. Die ,,Ausschreibung wird im schweizerischen Eisenbahnamtsblatt und ,,in den wichtigsten schweizerischen Zeitungen publiziert.14 Die hier zitierten Bestimmungen haben zum Teil eine ganz unrichtige Auslegung gefunden, sodass wir uns veranlasst sehen, den Sinn und die Tragweite der gegebenen Zusicherungen klarzulegen.

Vor allem fallen weder die Bestimmungen des Schlussprotokolles *) noch die zur Erläuterung, im Konferenzprotokoll abgegebene Erklärung für andere Linien in Betracht als für das Gotthardnetz. Wenn im Konferenzprotokoll vom 16. April 1909 die gegenwärtige Praxis der Bundesbahnen erläutert wurde, so geschah dies nur als Konstatierung von Tatsachen und zum bessern Verständnis der Bestimmungen des Schlussprotokolles, welches massgebend ist. Von den Bundesbahnen wurde nur gesprochen, weil die Gotthardbahn ein Teil derselben geworden war und für sie die Praxis des Gesamtunternehmens massgebend ist. In Beziehung auf das übrige Bundesbahnnetz besteht also von vornherein keine Bindung.

Was die Gotthardbahn betrifft, so fallen einzig, die Bestellungen von Material (commandes de matériel) in Frage. Wenn die Erklärung im Konferenzprotokoll auch die gegenwärtige Praxis der Bundesbahnen für Bauarbeiten erwähnte, so geschah dies offenbar nur der Vollständigkeit halber und wohl gerade, um die Differenz im Verfahren zwischen der Vergebung von Bauarbeiten und von Materialbestellungen hervorzuheben. In Beziehung auf Bauarbeiten ist irgend eine Verpflichtung nicht ausgesprochen, ja nicht einmal verlangt worden, geschweige denn, dass die Bundesbahnen, wie von einer Seite behauptet wurde, solche Arbeiten nun nicht mehr *) Unter ,,Schlussprotokoll" versteht man das formelle Protokoll, das anlässlich der Unterzeichnung eines Staatsvertrages aufgenommen wird. Es wird oft benutzt, um Interpretationen oder Ergänzungen des Staatsvertrages festzulegen. Im ,,Schlussprotokoll"
niedergelegte Vereinbarungen haben vertraglichen Charakter. Neben dem Schlussprotokoll ist in diesem Berichte noch von dem Konferenzprotokoll, d. h. von dem Protokoll über die Verhandlungen der Delegationen, der drei Länder die Rede.

386

in Regie sollen ausführen dürfen. Eine solche Auslegung ist gar nicht diskutierbar.

In Absatz l der Bestimmung IV des Schlussprotokolles erklärt die Schweiz, es werden die Bundesbahnen für den Fall der Elektrifizierung, also der Überführung der Bahn vom Dampfbetrieb zum elektrischen Betrieb, ,,für diese Lieferung1' (pour cette fourniture) ihre Praxis weiter beobachten und einen öffentlichen Wettbewerb eröffnen.

Absatz 2 der massgebenden Bestimmung des Schlussprotokolles enthält in bezug auf die ,,ändern Materialbestellungen für die Gotthardliuie u (also diejenigen Materialbestellungen, die mit der Elektrifizierung nicht zusammenhängen) die Erklärung, dass die Schweiz nicht die Absicht habe, die gegenwärtige Praxis der Bundesbahnen zu ändern. Die Differenz besteht also darin, dass für die erste Kategorie, d. h. die Materialbestellungen für die Elektrifizierung der Gotthardlinie, die Schweiz erklärt, die Bundesbahnen werden ihre Praxis weiter, beobachten, während sie bezüglich der ändern Materialbestellungen für die .Gotthardbahn bloss erklärt, sie habe nicht die Absicht, die gegenwärtige Praxis der Bundesbahnen zu ändern. Es ist klar, dass für den zweiten Fall von einer rechtlichen Bindung eigentlich nicht gesprochen werden kann.

Zu den Bestimmungen tritt nun als Erläuterung die Erklärung irn Konferenzprotokoll über die gegenwärtige Praxis der Bundesbahnen. Aus dieser Erläuterung ergibt sieb, dass für Bauarbeiten, die nach den in Frage stehenden Bestimmungen gar nicht in Betracht kommen, öffentliche Ausschreibung auf alle Fälle erfolgt; für Lokomotiven und Waggons ist dies nicht der Fall, solange die schweizerischen Fabriken zu annehmbaren Preisen liefern.

Man hat behaupten wollen, nach dieser Erklärung müssen die Offerten für Lokomotiven und Waggons Deutschland und Italien unterbreitet werden, damit sich diese über die ,,Annehmbarkeit" der Preise aussprechen können. Für eine solche Auslegung, die wir kategorisch zurückweisen, liegt kein Anhaltspunkt vor. Selbstverständlich entscheiden die Bundesbahnen auch in Beziehung auf die Lieferungen die für die Gotthardbahn notwendig werden, darüber, ob die Preise ihnen annehmbar erscheinen oder nicht.

Wenn es in Beziehung auf eine Materialbestellung für die Elektrifizierung der Gotthardbahn zur Ausschreibung kommt, so ist die Bewerbung für die ausländische Industrie grundsätzlich nicht verschlossen, sondern zugänglich (accessible à l'industrie de tous

38.7

pays). Aber es besteht für die deutsche und italienische Industrie irgendein Vorrecht nicht, wie sich ja deutlich daraus ergibt, dass diese Länder gar nicht genannt sind. Daher kann auch keine Rede davon sein, dass die Schweiz verpflichtet sei, einer ausländischen Firma, wenn sie billiger ist, Lieferungen zu vergeben.

Unsere Unterhändler haben in der Konferenz ausdrücklich erklärt, dass die Bundesbahnen Rücksichten auf unsere Industrie zu nehmen haben. Jedes Land gibt bei nicht sehr ins Gewicht fallenden Preisdifferenzen der eigenen Industrie den Vorzug und schützt diese auch vor Unterbietung durch solche in- oder ausländische Etablissemente, welche ihre Offerten ohne Rücksicht auf die Selbstkosten und einen angemessenen Geschäftsgewinn einreichen, um für jeden Preis eine Bestellung zu bekommen.

Dieses Rechtes hat sich auch die Schweiz nicht begeben ; es besteht gegenüber Ausländern und Inländern.

Die Schweiz wird demnach die fremde Industrie von ihren Ausschreibungen nicht ausschliessen und deren Offerten in aller Freiheit loyal prüfen. Sie wird namentlich auch darauf Rücksicht nehmen, wie die schweizerische Industrie bei Ausschreibung und Vergebung gleicher Bestellungen in den Ländern, aus denen die Offerten stammen, behandelt wird.

Ein grosser Vorteil erwächst ja der ausländischen Industrie durch die Bestellungen unserer Eisenbahnen auf alle Fälle. Direkt oder durch Vermittlung der Konstruktionsfirmen, welche für die Bundesbahnen arbeiten, beziehen wir aus dem Auslande die sämtlichen Metalle, sowie viele Halbfabrikate, Radsätze u. a. m. Dies trifft namentlich auch zu für die Elektrifizierung der schweizerischen Eisenbahnen, bei welchem Anlass beispielsweise grosse Mengen Kupfer für die Kontaktleitungen und Maschinen importiert werden müssen. Die ausländische Industrie ist somit bereits in hohem Masse an unseren Materialbestellungen interessiert und zieht aus ihnen auf alle Fälle Vorteil.

X.

Schlussbetrachtungen.

Soll der neue Vertrag zu Annahme empfohlen werden?

Unseres Erachtens ist diese Frage zu bejahen.

1. Was zunächst die finanzielle Seite anbetrifft, so mtissten wir nach unserer Überzeugung bei Anwendung des alten Vertrages, sei es auf dem Wege der Verhandlung, sei es infolge Schieds-

388

Spruches, jetzt schon eine Reduktion der Bergzuschläge zugestehen, die den Wert von l Million Franken im Jahre übersteigen würde. Dazu käme die jedes Jahr wiederkehrende Pflicht, die Hälfte der Erträgnisse über 7 °/o (nach Rechnungsart der Gesellschaft) herauszuzahlen und jedesmal zu einer weitern Taxreduktion zu schreiten, wenn der den Bundesbahnen zukommende Ertrag des Gotthardbahnnetzes 4 Millionen Franken übersteigt. Der aus diesen Massregeln resultierende Ausfall wäre grösser, als der aus der Anwendung des neuen Vertrages jetzt und später erwachsende. Denn sehr wahrscheinlich müssten wir schon vor 1920 zu einer fernem Taxreduktion schreiten, welche die für jenen Zeitpunkt im neuen Vertrage vorgesehene übersteigen würde.

Gegner des neuen Vertrages behaupten, die Verpflichtungen aus Art. 9 und 18 des alten Vertrages seien von keiner Bedeutung. Die Rechnungen widerlegen diese Behauptungen. Andere wollen aus der Tatsache, dass im Jahre 1904 der Bundesrat den Subventionsstaaten eine kleinere Reduktion der Bergtaxen anbot, schliessen, die jetzt zugestandene sei zu gross, obwohl doch niemanden entgehen konnte, dass kein Teil in Verhandlungen gleich alles anbietet, wozu er sich schliesslich verstehen will, und dass daher der Bundesrat 1904 nicht gleich das Äusserste offerierte.

Namentlich hat man aber.Stellen der Denkschriften Deutschlands und Italiens gegen das Mass unserer Zugeständnisse ins Feld geführt. In der Tat beurteilt die Denkschrift des deutschen Reichskanzlers von 1909 die Erträgnisse der Gotthardbahn pessimistisch, indem sie anführt, es sei unwahrscheinlich, dass aus dem Rechte der Partizipation am Reingewinn den Staaten je wirklich Vorteile von Belang erwachsen. Der Betriebskoeffizient der Eisenbahnen weise steigende Tendenz auf, und überdies entstehe für die Gotthardbahn die Konkurrenz aus dem Wettbewerb anderer Bahnen. Ähnlich sprach sich Herr Wackerzapp im Reichstage aus. Die italienische Botschaft verweist hauptsächlich auf das Steigen des Betriebskoeffizienten und die bescheidenen Beträge, die den Subventionsstaaten aus Art. 18 des alten Vertrages bisher zugeflossen seien.

Diese Erwägungen mögen in Berlin und Rom einen Grund mehr gebildet haben, die Verträge zu genehmigen. Aber es muss doch darauf hingewiesen werden, dass sie nicht in allen Teilen zutreffend und dass sie für uns
nicht massgebend sind.

Der Betriebskoeffizient der Gotthardbahn, der bis 1908 ständig gestiegen ist und damals 73,9 °/o betrug, ist von dort weg bis auf 64,03 °/o im Jahre 1911 gesunken. Die Erträgnisse der Gott-

389 hardbahn sind in den Jahren vor dem Rückkauf nicht identisch gewesen mit den ausgerichteten Dividenden, da neben diesen, wie gezeigt, in kurzer Zeit grosse ausserordentliche Abschreibungen im Betrage von 15 Millionen gemacht worden sind. Sie belaufen sich übrigens pro 1911 und 1912, berechnet nach dem Modus der Gesellschaft, auf 13°/o, und der Überschuss über 7 %, der zur Teilung mit den Subventionsstaaten in Betracht fiele, beträgt vom 1. Mai 1909 bis Ende 1912 über 8,7 Millionen Franken. Hiervon kann allerdings im Verhältnis zu den Subventionsstaaten für einmal noch als Amortisation der Saldo des Kontos der Non-Valeurs von 3,5 Millionen in Abzug gebracht werden (vgl. oben Abschnitt V). Aber in Zukunft sind keine solchen Abschreibungen resp. Abzüge mit der erwähnten Verrechnung mehr zu machen, da das Konto für zu amortisierende Verwendungen der Gesellschaft als gänzlich getilgt anzusehen wäre.

Für die nächsten Jahre berechnet die Generaldirektion der Bundesbahnen bei der Annahme bescheidener Einnahmevermehrungen und unter Berücksichtigung der Folgen der Lötschbergeröffnung Erträgnisse von durchschnittlich 10 °/o, die nach 1916 voraussichtlich noch höher werden.

Angesichts dieser Tatsachen und speziell des Umstandes, dass die Entwicklung von 1909--1912 die Annahmen, die in den Denkschriften der Subventionsstaaten niedergelegt sind, widerlegte, werden wir gut tun, uns nicht auf fremde Vermutungen sondern auf eigene Rechnungen zu stützen. Denn wenn Deutschland und Italien trotz ihrer relativ pessimistischen Rechnungsweise, so erhebliche Taxreduktionen verlangten, so kann man sich denken, wie nunmehr die Forderungen ausfallen müssten, nachdem sich die Einnahmen günstig entwickelt haben.

2. Auch die indirekten wirtschaftlichen Folgen der Verwerfung des Vertrages wären bedauerlich.

Die bei Anwendung des alten Vertrages zu erwartende intensivere Reduktion der Bergzuschläge würde den Bundesbahnen zunächst für die Gotthardroute einen grössern Ausfall verursachen als der neue Vertrag; sie hätte aber gleichzeitig ihre Rückwirkung auf andere Linien und Bahnen. Wenn die Gotthardbahn die Taxen stärker herabsetzen muss als der neue Vertrag vorsieht, so tritt diese Notwendigkeit auch für die Lötschbergbahn ein, was dieser um so unangenehmer sein dürfte, als sie mit den Taxen des neuen Gotthardvertrages gerechnet hat. Ferner ist selbstverständlich, dass auch eine Ostalpenbahn in Mitleidenschaft gezogen würde, die sich in ihren Tarifverhältnissen ebenfalls

390 nach den Konkurrenzlinien richten muss. Die Inkonvenienz einer stärkern Herabsetzung der Gotthardtaxen und eine wiederholte, unter gewissen Voraussetzungen immer wiederkehrende Reduktion derselben macht sich also für die Schweiz, wenn man neben dem Gotthard die Lötschberg-Simplon-Route in Betracht zieht, doppelt, und wenn man auch an eine Ostalpenbahn denkt, dreifach fühlbar. Die Transittaxen aller unserer Alpenbahnen würden der Stabilität ermangeln und sich tiefer stellen als dies bei Annahme des neuen Gotthardvertrages der Fall wäre. Für die LötschbergSimplon-Route würde dies eine Schädigung bedeuten; was die Ostalpenbahn betrifft, so kann man wohl sagen, dass nie an ihre Finanzierung und Erstellung gedacht werden kann, bevor durch einen neuen Vertrag eine sichere und stabile Grundlage für die Taxen unserer Alpenbahnen und damit für die Ertragsberechnung geschaffen und die wiederkehrende Pflicht zur Taxermässigung auf der Gotthardbabn und damit auch auf der Ostalpenbahn, die aus Konkurrenzgründen den Schwankungen folgen müsste, ausgeschaltet worden ist.

Die Hoffnung aber, dass durch neue Verhandlungen günstigere Bedingungen und trotzdem eine feste Grundlage geschaffen werden könne, ist eitel. Die Erträgnisse der letzten Jahre und die durch sie erfolgte vollständige Tilgung des Kontos für zu amortisierende Verwendungen der Gesellschaft werden die Begehren der Subventionsstaaten steigern.

3. Die Qualität der eingegangenen Verpflichtungen als dauernde kann gegen den Vertrag nicht ins Feld geführt werden, da alle Rechte der Subventionsstaaten aus dem alten Vertrage auch von unbeschränkter Dauer sind, so namentlich auch die Rechte auf Teilnahme am Reingewinn, auf Taxreduktion und auf Gleichstellung des Transitverkehrs zwischen Deutschland und Italien mit dem Transitverkehr anderer Länder. Die ,,ewige Servituta, wie in der Polemik die Verpflichtungen der Schweiz schon genannt worden sind, wurde im Vertrag von 1870, und zwar in dem Umfange begründet, in welchem sie der neue Vertrag anerkennt (vgl. Abschnitt VIII).

4. Der Vorwurf, der neue Vertrag schränke die Souveränität der Schweiz ein, ist unbegründet. Vorab ist zu bedenken, dass der Staat, der, den heutigen Begriffen entsprechend, wirtschaftliche Betriebe übernimmt, sich in Beziehung auf diese vertraglich binden muss, ohne dass von einer Einschränkung der Souveränität gesprochen werden kann. Das hat auch die Schweiz getan, und zwar als sie die Gottbardbahn, in Kenntnis der ihr

391 aufhaftenden Lasten, erwarb und diese mit dem Bahnunternehmen übernahm. Der neue Vertrag bringt nur eine Umgestaltung bestehender, dauernder Pflichten, nicht eine Kreierung neuer, unbekannter Lasten. Wir haben nachgewiesen und wollen nicht darauf zurückkommen, dass der Art. 9 des alten Vertrages uns dauernde, schwere Fesseln anlegte, und dass die Ausdehnung der Meistbegünstigung auf andere Verkehrslinien zwischen Nord und Süd eine direkte Folge des alten Vertrages ist.

Gewiss spielen neben den finanziellen und wirtschaftlichen Erwägungen politische und ideelle eine grosse Rolle. Gerade sie aber machen die Vertragsannahme dringend wünschbar.

Zwischen dem neuen und alten Vertrage besteht nämlich ein grosser fundamentaler Unterschied : Nach dem alten Vertrage haben die Subventionsstaaten das Recht, sich bei Ausübung ihrer Rechte aus Art. 9 und 18 in die Verwaltung und den Betrieb der Gotthardbahn, ja eigentlich in die Verhältnisse der gesamten Bundesbahnen einzumischen.

Sie werden auch eine Kontrolle des Betriebes beanspruchen, da die im alten Vertrage vorgesehene Aufsicht des Bundesrates als Mandatar der drei Staaten zufolge des Rückkaufes wegfällt.

Nach dem neuen Vertrag aber bilden bloss Elemente der äussern Geschäftsgebahrung unserer Bahnen Gegenstand des Abkommens und einer eventuellen Erörterung, d. h. bloss die Taxen, die ja eigentlich einen Bestandteil der Frachtverträge der Bahn bilden. Die Tarife sind aber allgemein bekannt, sie werden nach Massgabe des internationalen Abkommens über den Eisenbahnfrachtverkehr sogar publiziert.

Wie die Subventionsstaaten den alten Vertrag mit Rücksicht auf Kontrolle und Einmischung in den Betrieb auslegen würden, kann angesiahts der Verhandlungen des deutschen Reichstages nicht zweifelhaft sein. Herr Wackerzapp äusserte sich dort über diesen Punkt in folgender Weise: ,,Aber mit dem Recht auf Gewinnbeteiligung und die Herab,,setzung der Tarife waren die Rechte der Subventionsstaaten ^gegenüber der Gotthardbahn keineswegs erschöpft, wie dies .^allerdings schweizerischerseits vielfach behauptet worden ist.

-.,Ich habe bereits angeführt, dass die Subventionsstaaten sich ,,gegenüber der Gotthardbahn weitgehende Aufsichtsrechte vor,,behalten hatten und dass deren Ausübung durch den Staats,,vertrag der Schweiz übertragen worden war. Die Aufsicht, ,,die hiernach die Schweiz ausübte, ging überaus weit : Die ganze ,,Organisation des Betriebsdienstes unterlag der Genehmigung der

392 ,,schweizerischen Bundesregierung; der Bundesrat genehmigte die ,,Wahl des Oberingenieurs der Gesellschaft, er deputierte nach ,,Gutfinden Regierungsvertreter in die Sitzungen der Direktion und ,,konnte Verträge, die die Direktion über Bahn- und Hochbau, ,,sowie über wichtige Materialbeschaffungen und -lieferungen ab,,schliessen wollte, beanstanden; er revidierte aufs eingehendste ,,die Jahresrechnungen der Gesellschaft, kurz, er war in der ,,Lage, überall und jederzeit in die Verwaltung und den Betrieb ,,der Gesellschaft einzugreifen. Alle diese Aufsichtsrechte übte ,,die Schweiz aus -- wie es in dem Bundesratsbeschluss vorn ,,4. Juli 1879 heisst -- in Vollziehung des (mit Deutschland und ,,Italien abgeschlossenen) internationalen Vertrages, also teils kraft ,,eigenen Rechtes, zugleich aber auch als Mandatarin Deutschlands ,,und Italiens. Es ist selbstverständlich, dass dieses Mandats,,verhältnis mit der Verstaatlichung der Gotthardbahn aufhören ,,musste, denn es wäre für Deutschland und Italien unannehmbar ,,gewesen, wenn die Schweiz dieselben Aufsichtsrechte, die sie ,,gegenüber der Privatgesellschaft der Gotthardbahn ausgeübt ,,hatte, nunmehr gegen sich selbst hätte ausüben wollen. Ander,,seits ist nicht zu verkennen, dass es für die Schweiz, gleichfalls ,,unannehmbar geworden wäre, für eine ihrer Staatsbahnen einem ,,fremden Staate, hier Deutschland und Italien, so weitgehende ,,Aufsichtsrechte einzuräumen, wie sie selbst gegenüber der Gott,,hardbahn ausgeübt hatte. Und doch war die grundsätzliche ,,Berechtigung dieser Forderung nicht zu bestreiten. Es bestand ,,hier auf Seiten der Schweiz eine Schwierigkeit, der meines Er,,achtens vielleicht noch eine grössere Bedeutung beizumessen ,,war als dem Gewinnbeteiligungsrechte der Subventionsstaaten ,,und ihrem Rechte auf Herabsetzung der Gotthardtaxen."

Der Bericht an die italienische Kammer bemerkt über diesen Punkt: ,,Noch eine andere Erwägung führt dazu, das Übereinkommen ,,anzunehmen. Wenn es verworfen würde, so musste für die ,,Gotthardstrecken eine besondere, die ändern Eisenbahnen nicht ,,umfassende Ertragsrechnung geführt werden. Die Schweiz ver,,weigert dies nicht, aber niemand übersieht die Komplikationen, ,,die Ungenauigkeiten, die Schwierigkeiten der Kontrolle, die allfälligen Meinungsverschiedenheiten und die daraus folgende
Mög,,lichkeit von Konflikten, die bei einer derartigen Rechnungsführung ,,unvermeidlich wären. a Gewiss ist die Tatsache, dass ein fremdes Land Ansprüche erhebt, noch kein Grund, um damit definitiv zu rechnen. Allein

393 wenn wir uns der Wirklichkeit geinäss Rechenschaft geben wollen, so müssen wir anerkennen, dass die Ausführungen des Herrn Wackerzapp in mancher Beziehung nicht unbegründet sind und dass seine Folgerungen von einem Schiedsgerichte nicht im vollen Umfange von der Hand gewiesen werden könnten.

Nach dem neuen Vertrage fallen alle Erörterungen über ähnliche Fragen, alle Streitigkeiten und Differenzen über den Betrieb der Gotthardbahn und deren Erträgnisse ausser Betracht.

Wir haben mit den Subventionsstaaten nur über öffentlich bekannte Dinge, über Taxen zu verhandeln, sind aber in allen ändern Beziehungen niemand Rechenschaft schuldig.

Es scheint uns, dieser Erkenntnis könne sich kein objektiver Beobachter entziehen, und es müsse daher anerkannt werden, dass auch vom politischen und ideellen Standpunkte aus der neue Vertrag der Anwendung des alten Vertrages vorzuziehen sei.

Ja, man darf füglich noch mehr sagen. Wer sich von den Absichten leiten lässt, die aus der Begründung der Petition sprechen, wer die Schweiz möglichst frei und unabhängig machen und vor fremder Einmischung in innere Fragen bewahren will, muss dem neuen Vertrage zustimmen, weil dem alten Vertrage bei s e i n e r A n w e n d u n g a u f d i e h e u t i g e n V e r h ä l t n i s s e z u m Teil mit Recht die Vorwürfe gemacht werden können, die gegenüber dem Entwurfe des neuen erhoben werden. Es sei auch daran erinnert, dass verschiedene Bestimmungen, die materiell im neuen Vertrage etwas hart scheinen, wie das Verbot, auf Kombinationen mit ändern Bahnen einzutreten, durch welche die in Art. "10 niedergelegten Grundsätze der Gleichstellung des deutsch-italienischen Verkehrs verletzt werden, dem alten Gotthardvertrag entnommen und von ihm eigentlich geerbt wurden.

Wir empfehlen also der Bundesversammlung die Ratifikation auszusprechen und bitten sie, bei aller Anerkennung der guten Absichten der Petenten, den Vertrag nicht, wie es verlangt wird, an uns zurückzuweisen. Angesichts der durch die Gutachten klargestellten Rechtslage und der Betriebsverhältnisse der Gotthardbahn könnten wir es nicht verantworten, einem solchen Antrage zuzustimmen. Wir haben die abgeschlossene Überzeugung, dass die Annahme des neuen Vertrages im Interesse des Landes liegt. Deshalb betrachten wir es als unsere Pflicht, die Bundesversammlung vor einer Verwerfung des Vertrages zu warnen und ihr dessen Annahme entschieden zu empfehlen.

394 XI.

Inkrafttreten des Vertrags.

Der Art. 14 des Vertrages schreibt vor, dass dieser am 1. Mai 1910 in Kraft treten und auf den 1. Mai 1909 zurückwirken soll. Infolge der eingetretenen Verzögerungen können nunmehr die Taxreduktionen im Falle der Vertragsannahme erst im Laufe des Jahres 1913 eingeführt werden. Wir haben dafür gehalten, es sei angemessen, diese Abweichung vom Vertragswortlaut vor der parlamentarischen Behandlung in aller Form festzustellen. Deshalb unterbreiteten wir den Vertragsstaaten mit Note vom 9 November 1912 den Vorschlag, es seien für den Fall der Vertragsannahme die reduzierten Taxen mit 1. Mai 1913 in Kraft zu setzen in dem Sinne, dass es im Übrigen in allen Teilen beim Vertrage sein Bewenden habe. Dieses Vorgehen schien uns um so angemessener, als die italienische Kammer die Regierung eingeladen hat, die Frage zu prüfen, ob mit Rücksicht auf die spätere Einführung der Taxreduktion nicht in der Weise eine Kompensation zu verlangen sei, dass die verstärkte Taxreduktion von 50°/o statt am 1. Mai 1920, schon auf ein früheres Datum zuzugestehen sei. Überdies haben beide Staaten schon im Jahre 1910 wegen der Verschiebung der Vertragsanwendung Vorbehalte gemacht. Wir mussten daher diesen Punkt noch klarstellen, um die Möglichkeit von Erörterungen nach Vertragsannahme und vor Austausch der Ratifikationen auszuschliessen.

Mit Noten vom 15. Februar erklärten sich sowohl die deutsche als die italienische Regierung mit unserm Vorschlage vom 9. November 1912 vorbehaltlos einverstanden. Damit ist diese Frage in befriedigender Weise gelöst.

Indem wir Ihnen die Annahme des bereits mit Botschaft vom 9. November 1909 vorgelegten Beschlussesentwurfes über die Genehmigung des Vertrages mit Deutschland und Italien und des Sonderabkommens mit Italien empfehlen, benutzen wir diesen Anlass, Sie unserer Hochachtung zu versichern.

B e r n , den 18. Februar

1913,

Im Namen des Schweiz. Bundesrates.

Der Bundespräsident:

Müller.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Schatzinann.

305

(Entwurf.)

Bimdesbeschluss betreffend

Genehmigung des zwischen der Schweiz, Deutschland und Italien am 13. Oktober 1909 abgeschlossenen Staatsvertrages, sowie des zwischen der Schweiz und Italien am 13. Oktober 1909 abgeschlossenen Übereinkommens betreffend die Gotthardbahn.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht 1. des am 13. Oktober 1909 mit Deutschland und Italien abgeschlossenen Staatsvertrages betreffend die Gotthardbahn *) ; 2. des am 13. Oktober 1909 mit Italien abgeschlossenen Übereinkommens betreffend die Gotthardbahn**); 3. der Botschaft des Bundesrates vom 9. November 1909 ***) ; 4. des Ergänzungsberichtes des Bundesrates vom 18. Februar 1913, beschliesst: Art. 1. Dem mit Deutschland und Italien abgeschlossenen Vertrage, sowie dem mit Italien abgeschlossenen Übereinkommen wird die Genehmigung erteilt.

Art. 2. Der Bundesrat wird mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

*) Siehe Bundesblatt von 1909, Bd. V, S. 158.

**) Siehe Bundeablatt von 1909, Bd. V, S. 169.

***) Siehe Bundesblatt von 1909, Bd. V, S. 131.

NB. Der Vertrag vom 15. Oktober 1869 wurde im Bandesblatt von 1909, Bd. V, S. 172, vcröftentlicht.

Die Gotthardbahn.

(Ziffer III des Schlussprotokolls vom 13. Oktober 1909.)

397 Beilaffe

A.

Gutachten des Herrn Prof. Dr. Speiser.

B a s e l , 6. Dezember 1912

An das Eidgenössische Eisenbahndepartement in Bern, Hochgeachteter Herr Bundesrat, Die mir von Ihnen gestellten Fragen betreffend einzelne Rechtsverhältnisse des Gotthardvertrages von 1869 beehre ich mich, im Nachstehenden zu beantworten.

1. Welches ist die Rechtslage nach der Verstaatlichung der Gotthardbahn im allgemeinen, wenn ein neuer Vertrag nicht abgeschlossen wird ? Sind die nach dem alten Vertrag auf der Gotthardbahn haftenden Verpflichtungen dauernde?

Der Von der Schweiz am 15. Oktober 1869 mit Italien abgeschlossene Gotthardvertrag beginnt mit den warmen Worten: ,, Der Bundesrat der schweizerischen Eidgenossenschaft und seine Majestät der König von Italien, durchdrungen von der Notwendigkeit, ihre Anstrengungen zu v e r e i n i g e n , um die Schwierigkeiten zu besiegen, welche die Alpen einer Verbindung der Eisenbahnen Mitteleuropas mit denjenigen der italienischen Halbinsel entgegenstellen . . ,a und Art. l des Vertrages beginnt: ,,Die Schweiz und Italien v e r e i n i g e n sich, um die Verbindung zwischen den deutschen und den italienischen Eisenbahnen mittelst einer schweizerischen Eisenbahn durch den Gotthard zu sichern."

Durch den Gotthardvertrag, dem später auch Deutschland beigetreten ist, haben sich also drei Staaten zu einer Gemeinschaft verbunden, um den Bau einer Eisenbahn über den Gotthard zu ermöglichen und einen den Anforderungen einer grossen Bundesblatt. 65. Jahrg. Bd. I.

30

398

internationalen Linie entsprechenden Betrieb derselben sicher zu stellen. Das ist der grosse, dauernde Zweck des Gotthardübereinkommens.

Alle drei Gesellschafter tragen an die Subvention, die der zu gründenden Eisenbahngesellschaft zufliessen soll, ihren vertraglich festgesetzten Teil bei ; die Schweiz, in deren Gebiet die Bahn erstellt werden soll, verpflichtet sich überdies zur Überwachung der Gotthardbahngesellschaft bei deren Gründung und Organisation, beini Bau der Eisenbahnlinie, bei der Organisation des Betriebsdienstes und beim Betrieb überhaupt. Insbesondere übernimmt der Bundesrat die Verpflichtung (Art. l des Vertrages), die Ausführung des Unternehmens und aller im Vertrage erwähnten Verbindlichkeiten sicherzustellen. Diese Verbindlichkeiten sind, soweit sie den Betrieb betreffen, die Einhaltung vertraglich festgesetzter Maximaltransporttaxen (Art. 8), die Zusicherung der Meistbegünstigung an die Bahnen der Subventionsstaaten (Art. 10), die Verpflichtung der Taxenreduktion bei einem Rechnungs.ergebnis über 8 °/o des Aktienkapitales (Art. 9) und die Partizipation des Subventionskapitals am Geschäftsgewinn bei einem Rechnungsergebnis über 7 °/o des Aktienkapitales (Art. 18). Diese Verpflichtungen sind laut Vertrag vom Bundesrate der zu gründenden Gesellschaft aufzuerlegen und lasten auf derselben unter der Kontrolle des Bundes.

Die Verpflichtungen und Belastungen sind dauernde, ohne 'allseitige Zustimmung der Gesellschafter weder veränderlich, noch ablösbar. So lange der Gotthardvertrag besteht, bleiben sie ebenfalls in Kraft, und die Schweiz hat während der ganzen Dauer des Vertrages für ihre Beobachtung zu sorgen.

Es ist die Frage aufgeworfen worden, ob die Schweiz mittelst der Rückerstattung der Subventionskapitalien an die Mitgesellschafter sich einseitig das Recht zur Kündigung und Aufhebung des Vertrages verschaffen könnte. Weder aus dem Vertrage selbst, noch aus allgemeinen oder völkerrechtlichen Rechtsgrundsätzen (,,rebus sic stantibus") liesse sich ein solches Recht der Schweiz herleiten. Der Vertrag enthält keine Bestimmung in bezug auf eine solche Auflösung; er enthält überhaupt keine Bestimmung in bezug auf seine Dauer ; daraus ergibt sich, dass der Vertrag so lange dauert, als der Zweck des Vertrages erreicht werden kann. Der Zweck des Gotthardvertrages ist der Bau und Betrieb einer Gotthardbahn ; so lange die Gdtthardbabn betrieben werden kann, dauert der Gotthardvertrag,

399

und es hat die Schweiz dafür zu sorgen, dass. die Vertragsbestimmungen erfüllt werden.

2. Bestehen die Verpflichtungen aus den Art. 8, 9, 18, IQ und 15 des alten Vertrages weiter?

Im Gotthardvertrage von 1869/1878 ist der Fall des Rückkaufes der Gotthardbahn durch die Eidgenossenschaft nicht ausdrücklich vorgesehen.

Deutschland und Italien haben bei den Verhandlungen der letzten Jahre hieraus den Schluss gezogen, dass ihre Zustimmung zu dem Rückkauf notwendig sei; die Schweiz hat umgekehrt den Standpunkt festgehalten, dass ihr Rückkaufsrecht, als ein Souveränitätsrecht, durch den Gotthardvertrag nicht eingeschränkt worden sei. Diese Frage ist nicht zum Austrage gekommen.

Dagegen anerkennt die Schweiz, dass der Rückkauf an den Vertragsrechten der auswärtigen Staaten nichts ändere, und dass diese, sofern nicht durch einen neuen Vertrag die bestehenden Normen in neue umgewandelt (noviert) werden, von der Schweiz in strikter Weise weiter beobachtet werden müssen.

Diese Haltung der Schweiz rechtfertigt sich nicht nur aus allgemeinen Erwägungen rechtlicher Natur, sondern sie entspricht einer frühern ausdrücklichen Erklärung des Bundesrates. In der Botschaft des Bundesrates zum Gotthardvertrage mit Italien vom 15. Oktober 1869 (Botschaft vom 30. Juni 1870) befindet sieh bei der artikelweisen Besprechung des der Bundesversammlung zur Genehmigung vorgelegten Vertrages eine entschiedene Erklärung des Bundesrates.

, Art. 15 lautet: ,,Falls die Konzession der Gotthardbahn auf eine andere ,,Gesellschaft übertragen werden sollte, so muss für diese Über,, tragung die Genehmigung des Bundesrates eingeholt werden, ,,welcher die Verpflichtung übernimmt, dafür zu sorgen, dass ,,alle Festsetzungen des gegenwärtigen Vertrages vollständig in ,,Kraft bleiben.

,,Wenn später eine Fusion zwischen schweizerischen Eisen,,bahnen und der Gotthardbahn zustande käme, oder wenn von ,,der Gotthardbahn neue Linien erbaut werden sollten, so hätten ,,die Verpflichtungen welche dieser letztern obliegen, soweit sie ,,auf den Betrieb Bezug haben, auf die erweiterte Unternehmung ,,überzugehen."

400

Und die Erläuterung der Botschaft zu Art. 15 lautete ,,Es erscheint, und wohl nicht mit Unrecht, eher eine ,,Schwächung als eine Stärkung der Garantien zugunsten der ,,kontrahierenden Staaten zu sein, wenn vorbehalten wird, dass ,,die Stipulationen des internationalen Vertrages bei einer Über,,tragung der Konzession an eine andere Gesellschaft oder bei ,,einer allfälligen Fusion der Gotthardbahn mit ändern schweizeflrischen Bahnen unverändert haften bleiben, um so mehr, als ein ,,Fall ganz ausser Acht gelassen ist, derjenige nämlich, wenn die ,,Kantone oder der Bund die Bahn durch Ruckkauf an sich ziehen.

,,Die Schweiz anerkennt den Grundsatz als selbstverständlich, ,,und wir nehmen keinen Anstand, zu erklären, dass auch der ,,Ruckkauf der Bahn durch die Kantone oder den Bund, die .,,durch den Vertrag übernommenen Verpflichtungen betreffend ,,den Betrieb der Gotthardbahn nicht aufhebt noch alteriert.a Artikel 15 des Gotthardvertrages stipuliert die Aufrechthaltung der Vertragsverpflichtungen für den Fall der Konzessionsübertragung an eine andere Gesellschaft, für den Fall der Fusion der Gotthardbahn mit ändern Bahnen und für den Fall der blossen Erweiterung des ursprünglichen Unternehmens.

Der Rückkauf der Gotthardbahn durch den Bund ist nicht identisch mit einem der in Art. 15 berührten Fälle. Mit dem Ruckkauf geht die Konzession nicht an den Bund über, sondern sie erlischt, der Rückkauf hebt sie auf; ferner liegt im Rückkauf an sich offenbar nicht schon eine Fusion mit ändern Bahnen; und endlich bewirkt der Rückkauf auch nicht eine Erweiterung des Gotthardbahnunternehmens, eben weil dieses damit ja seine Persönlichkeit einbüsst.

Es handelt sich beim Rückkauf um einen Rechtsvorgang besonderer Art ; aber dieser Rechtsvorgang kann nach den Grundsätzen von Treu und Glauben und nach der Erklärung des Bundesrates in seiner Botschaft von 1870 den Rechten der Gesellschafter auf Fortbestehen der durch den Vertrag festgesetzten Verpflichtungen keinen Eintrag tun. Die von der Schweiz in Art. l des Gotthardvertrages eingegangene Verbindlichkeit, ,,bei der Organisation der Gotthärdbahngesellschaft die erforderlichen Massnahmen zu treffen, um die Ausführung des Unternehmens und aller im gegenwärtigen Vertrage erwähnten Verbindlichkeiten sicherzustellen", geht nicht unter mit der Auflösung der Gesellschaft infolge des von der Schweiz vollzogenen Rückkaufes des

401

Bahnnetzes; das Bahnnetz bleibt ja bestehen und wird weiter betrieben; es muss weiter betrieben werden kraft des Gotthardvertrages, für dessen Vollziehung sich der Bund verbindlich erklärt hat, und es müssen für dessen Vollziehung die Vertragsverbindlichkeiten mit allen Belastungen des Unternehmens weiter beobachtet werden.

Mithin bestehen die Verpflichtungen aus den Artikeln 8, 9, 18 und 10 des alten Vertrages, wenn kein neuer zustande kommt, nach der Verstaatlichung weiter in Kraft.

Über Art. 15, der innerhalb des Vertrages eine besondere Stellung hat, wird unter 6 zu reden sein.

3. Welches wären die Folgen des Weiterbestehens von Art 9 und 18 des alten Vertrags fUr den Betrieb und die Rechnung der Gotthardbahn ?

Wie wären die Ertragssätze von 7 % und 8 % zu berechnen?

Die beiden Artikel 9 und 18 räumen den Subventionsstaaten Rechte ein für den Fall, dass der Ertrag des Unternehmens gewisse Grenzen übersteigt, und zwar bestimmt Art. 9, dass wenn die ,,Zinsen des Aktienkapitales" 8 °/o übersteigen, die Gesellschaft zu einer Reduktion der Taxen, und zwar in erster Linie der Zuschlagstaxen, zu schreiten hat, und gemäss Art. 18 haben die Staaten einen Anspruch auf Partizipation am finanziellen Ergebnis des Unternehmens, wenn die auf die Aktien zu verteilende Dividende 7 % übersteigen sollte.

Da die Vertragsverpflichtungen trotz dem Rückkauf weiterbestehen, wird der Bund dafür zu sorgen haben, dass der Ertrag des bisherigen Gotthardunternehmens auch inskünftig ermittelt werden kann.

Diese Verpflichtung der Bundesbehörden ist von niemand bestritten worden; man muss sich aber ihre Tragweite nach der Verstaatlichung vielleicht etwas klarer machen, als es bisher geschehen ist.

Anerkannt ist, dass die Generaldirektion neben der allgemeinen Rechnung der Bundesbahnen, deren Teil das alte Gotthardnetz ist, eine Separatrechnung der alten Gotthardbahn weiterfuhren muss, und zwar wird dies nach den Grundsätzen des Rechnungsgesetzes für die Eisenbahnen im allgemeinen und nach den Normen, welche von der Gotthardbahngesellschaft unter der Aufsicht des eidgenössischen Eisenbahndepartementes bis zu ihrer

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Liquidation beobachtet worden sind, im besondern zu geschehen haben.

Das wäre nicht schwierig, wenn der Betrieb der Gotthardbahn sich nach der Verstaatlichung in gleicher Weise vollziehen würde, wie vorher. Allein dies ist nicht der Fall; die Vereinheitlichung des Betriebes der zurückgekauften Hauptbahnen hat auch für den Betrieb der Gotthardbahn Wirkungen gehabt und diese werden sich noch intensiver gestalten, wenn die Vorteile der Vereinheitlichung voll ausgenutzt werden sollen. Infolgedessen wird es in bezug auf eine Reihe von Einnahmen- und Ausgabenposten schwierig sein, die Trennung der Gotthardbahnrechnung von der allgemeinen Rechnung richtig durchzuführen; die Generaldirektion wird vor die Wahl gestellt sein, entweder in die getrennte Rechnung für gewisse Posten fiktive Zahlen einzustellen, statt der effektiven, die sich aus den Gesamtposten nicht sicher ausscheiden lassen, oder in bezug auf einzelne Betriebseinrichtuogen auf die Durchführung der Vereinheitlichung zu verzichten, um die Klarheit der getrennten Rechnung nicht in Frage zu stellen.

Anders ausgedrückt : es ist nicht ausgeschlossen, dass die Nötigung zur Aufrechthaltung einer getrennten Rechnungsführung die Vereinheitlichung des Betriebes und damit die Erreichung eines Hauptzweckes der Verstaatlichung erschweren würde.

Jedenfalls müsste man, um nicht spätem Reklamationen ausgesetzt zu sein, mit den Subventionsstaaten sich über die Grundsätze, die bei der getrennten Rechnungsführung zu beobachten wären, rechtzeitig verständigen.

Was die Berechnung der Ertragsätze von 7 und 8 % betrifft, so bedarf es keines besondern Nachweises, dass dieser Berechnung das Aktienkapital der Gotthardbahngesellschaft, das beim Rüfkfcauf 50 Millionen Franken betrug, zugrunde gelegt werden muss, und nicht etwa der vom Bund bezahlte Rückkaufspreis von rund 83 Millionen ; denn dieser Rückkaufspreis berührt die Kontrahenten des GotthardVertrages von 1869 in keiner Weise.

Ebensowenig könnte am Bruttoertrage die im Rllckkaufsgesetze den Bundesbahnen vorgeschriebene jährliche Amortisation ihres Anlagekapitals abgezogen und damit die für die Ermittelung der 7 °/o und 8 % massgebende Ertragsberechnung belastet werden ; denn auch die Vorschriften des Rückkaufgesetzes können in das durch den Gotthardvertrag begründete Rechtsverhältnis nicht eingreifen.
Es würde also beim Fortbestehen des alten Gotthardvertrages der Ertrag des Unternehmens nach den für die .frühere Gesellschaft massgebenden Grundsätzen zu berechnen sein.

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4. Die Erträgnisse der Gotthardbahn belaufen sich, ohne Berechnung einer Amortisation auf dem Konto fUr zu amortisierende Verwendungen, gemäss Gutachten der Generaldirektion der Schweizerischen Bundesbahnen pro 1909--1912 auf folgende Beträge: pro 1909 1910 1911 1912 Fr. 4,471,000

Fr. 5,492,000

Fr. 6,509,000

Fr. 6.635,000

Welche Summen müssten für diese Jahre als Partizipation am Gewinne nach Art. 18 des alten Vertrages den Subventionsstaaten herausbezahlt werden?

In der Schlussbilanz der Gotthardhahngesellschaft pro 30. April 1909 figuriert ein Posten : zu amortisierende Verwendungen im Betrage von Fr. 3,554,690 für Kursverluste. Für die Berechnung der Partizipation der Subventionsstaaten am Ertrage der Jahre 1909--1912 fällt die Höhe der einzustellenden Amortisationsquote in Betracht; je nachdem in diesen vier Jahren vom Gesamtbetrage weniger oder mehr amortisiert wird, vermehrt oder vermindert sich der auszuteilende Überschuss ; wenn aber mittelst der Einstellung hoher Amortisationsbeträge in die Rechnung der genannten Jahre der Überschuss über 7 % Dividende stark reduziert oder ganz beseitigt wird, so erhöht sich der Überschuss um so mehr in den folgenden Jahren ; die Frage der Bestimmung der jährlichen Amortisationsquoten ist also nicht von einer prinzipalen Bedeutung.

Es ist heute nicht möglich, zu bestimmen, in welcher Weise die Gotthardbahngesellschaft, wenn sie 1909 nicht zurückgekauft worden wäre, die obgenannte Summe von Fr. 3,554,690 amortisiert hätte. Da sie bis zum Jahre 1908 jedes Jahr neben dem Betrag der planmässigen Tilgung des Anleihens von 1895, deren Raten in den Jahren 1895--1908 von Fr. 310,000 bis auf Fr. 480,000 stiegen, noch beträchtliche, zwischen l und l1/« Millionen sich bewegende ausserordentliche Beträge zur Tilgung des Amortisationskonto verwendet hatte und erst im letzten Jahr vor dem Rückkauf von diesem Verfahren abgewichen war, so ist wohl möglich, dass sie ohne den bevorstehenden Rückkauf in den Jahren 1908 und folgenden die gänzliche Tilgung rasch vollzogen hätte; wir bemerken, dass seit dem Jahre 1898 dem Amortisationskonto keine neuen Beträge mehr zugeschrieben worden sind.

Bei Einstellung gleicher Summen, wie von 1900 bis 1907 zur Amortisation verwendet worden sind, wäre der Konto in 2 oder 3 'Jahren gänzlich getilgt worden. Und es ist denkbar, dass die Gotthardbahngesellschaft gerade mit Rücksicht auf die in

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Aussicht stehende Eröffnung der Lötschbergbahn auf eine baldige Beseitigung des Amortisationskonto Wert gelegt hätte.

Für die Bundesbahnen als Rechtsnachfolger der Gotthardbahn liegen die Verhältnisse insofern anders, als dieselben mit der Amortisation ihres eigenen Anlagekapitales belastet sind ; sie könnten also wohl in bezug auf die Amortisation der frühern Verluste der Gotthardbahngesellschait, wenn sie deren Rechnung fortführen müssten, bei dem Verfahren bleiben, das diese im Jahre 1908 beobachtet hat, demnach die Amortisation auf den Betrag der planmässigen Tilgung des Anleihens von 1895 beschränken ; bei diesem Verfahren bedürfte es zur völligen Ausgleichung des Amortisationskonto jährlich rund Fr. 500,000, und es wäre die Tilgung in längstens 7 Jahren vollendet.

Wir legen unsern spätem Berechnungen die Jahresquote von Fr. 500,000 zugrunde, wiederholen aber die oben gemachte Bemerkung, dass höhere Amortisationsquoten zwar die ersten Jahre stärker belasten, den Ertrag der spätem Jahre aber entsprechend günstiger gestalten würden.

Nimmt man demgemäss an, dass an den Jahreserträgnissen der Gotthardbahn, wie sie von den Bundesbahnen für die Jahre 1909--1912 festgestellt worden sind, je Fr. 500,000 für Amortisationszwecke abzuziehen seien, so vermindert sich der verteilbare Geschäftsertrag dementsprechend und stellt sich wie folgt: 1909 1910 1911 1912 Fr. 3,971,000 Fr. 4,992,000 Fr. 6,009,000 Fr. 6,135,750 und es wäre den Subventionsstaaten als Anteil am finanziellen Erträgnisse des Gotthardunternehmens (Art. 18) die Hälfte des Überschusses über eine Dividende von 7 % auf dem Aktienkapital von 50 Millionen Franken auszuweisen, mithin: 1909 1910 1911 1912 Fr. 235,500 Fr. 746,000 Fr. 1,254,500 Fr. 1,317,875 Bei der Fixierung der Amortisation auf jährlich Fr. 1,000,000 würde für 1909 die Partizipation der Subventionsstaaten noch nicht eintreten, wohl aber für die folgenden Jahre ; und bei einer Tilgung der zu amortisierenden Verwendungen in zwei Jahren würde die Partizipation der Subventionsstaaten für 1909 und ·1910 noch nicht eintreten, in den folgenden Jahren aber um je Fr. 250,000 (nämlich um die Hälfte der in obiger Aufstellung für 1911 und 1912 eingestellten Amortisationsquote von Fr. 500,000) steigen, mithin 1911 Fr. 1,504,500 und 1912

405

Fr. 1,567,875 betragen; diese beiden Partizipationsbeträge würden die Verzinsung des Subventionskapitals mit etwas mehr als 1,3 °/o darstellen.

5. Auf welche Jahresergebnisse ist bei der Frage, ob und in welchem Masse die Taxen im Sinne des Art. 9 des alten Vertrages herabgesetzt werden müssen, Rücksicht zu nehmen? Erscheinen Angesichts der Vorschriften des alten Vertrages und unter Berücksichtigung der massgebenden Verhältnisse die durch den neuen Vertrag zugestandenen Taxreduktionen, welche nach den Berechnungen der Bundesbahnen im Jahre Fr. 975,000 und von 1920 weg Fr. 1,425,000 ausmachen, als gerechtfertigt?

Die Handhabung des Art. 18 (Partizipation des Subventionskapitals am Jahresergebnisl bietet keine Schwierigkeit: wenn der Abschluss eines Jahres einen Ertrag von über 7 °/o des Aktienkapitals ausweist, tritt für den Überschuss die vertragliche Teilung zwischen Aktionären und Subventionsstaaten ein ; damit ist die Vorschrift erfüllt, für die Folgezeit hat das keine Wirkungen.

Anders die Vorschrift der Taxreduktion gemäss Art. 9, wenn das Jahresergebnis 8% übersteigt. Es ist ausgeschlossen, dass die Handhabung dieser Vorschrift jedes Jahr neu beschlossen und je nach dem Rechnungsabschlüsse eines einzigen Jahres die Taxen reduziert und später wieder heraufgesetzt werden. Eine solche Unbeständigkeit der Tarife könnte weder der Bahn, noch dem Verkehr dienen und wäre praktisch kaum ausführbar.

Die buchstäbliche Auslegung des Art. 9 führt ja allerdings dazu, dass auf die Ausweisung einer Dividende von über 8% eine Taxreduktion folgen soll ohne Rücksicht auf die Zukunft; denn der Wortlaut des Artikels spricht von der Vergangenheit, und der Wortlaut enthält auch keinen Vorbehalt, dass wenn die Dividende später wieder sinken würde, die Taxen wieder erhöht werden' können.

Indessen darf die summarische Redaktion des Artikels doch wohl nicht zu einer so strikten Auslegung führen. Man wird bei der Frage, ob die Taxen reduziert werden sollen, wie auch bei der Frage, in welchem Masse die Reduktion geschehen soll, nicht nur. die Vergangenheit, sondern auch die Zukunft in ße.tracht ziehen müssen, damit nicht aus dem blühenden Unter. nehmen ein kränkelndes werde und damit nicht später wieder Taxerhöhungen notwendig werden.

406

Fragt man nun, ob der Zeitpunkt gekommen sei, Art. 9 in Anwendung zu bringen, so wird die Frage bejaht werden müssen.

Nach den oben mitgeteilten Aufstellungen der Generaldirektion ist mit dem Jahre 1910 unzweifelhaft der Zeitpunkt eingetreten, wo die Rendite der Gotthardbahn den Betrag von 8°/o des Aktienkapitales überschritten hat; allerdings könnte durch eine Belastung der Jahresrechnungen 1909 und 1910 mit der Tilgung des Konto der zu amortisierenden Verwendungen (31/a Millionen) für das Jahr 1910 die Rendite noch unter 8 °/o gebracht werden; aber um so sicherer würde sie dann in den folgenden Jahren beträchtlich über 8°/o steigen.

Bleiben wir bei der sub 4 in erste Linie gestellten Annahme, dass die Amortisation auf die Jahre 1909--1915, also auf 7 Jahre verteilt und mithin das Jahreserträgnis jeweilen um Fr. 500,000 vermindert werde, so ergibt sich für die Jahre 1909--1912 folgende Dividende: 1909

1910

Fr.

Fr.

1911

Fr.

Nettoertrag 3,971,000 4,992,000 6,009,000 ab: 7%Dividende 3,500,000 3,500,000 3,500,000 Überschuss 471,000 1,492,000 2,509,000 hiervon : Va an Aktionäre 7 °/o Dividende Totaldividende gleich °/o

235,500 3,500,000 3,735,500 7,471

1912

Fr.

6,135,750 3,500,000 2,635,750

746,000 1,254,500 1,317,875 3,500,000 3,500,000 3,500,000 4,246,000 4,754,000 4,817,875 8,492

9,609

9,65S

Aus dieser Aufstellung ergibt sich klar, dass um das Jahr 1910 auch ohne den Rückkauf der Augenblick gekommen wäre, um zu Taxreduktionen zu schreiten, und dass sie in beträchtlichem Masse hätten gemacht werden können, ohne dass die Gefahr späterer Erhöhungen gedroht hätte.

Wie weit die Taxreduktionen geführt hätten, wenn sie von den Subventionsstaaten der Gotthardbahngesellschaft gegenüber in den letzten Jahren postuliert worden wären, kann natürlich heute nicht mehr bestimmt werden. Es ist aber anzunehmen, dass die Staaten von der wohlsituierten Gesellschaft erhebliche Herabsetzungen verlangt hätten, und jedenfalls hätten sie sich hierbei von der Rücksicht auf ihre eventuelle Partizipation am Geschäftsgewinn mittelst des Subventioriskapitals wenig beeinflussen lassen, nachdem ihnen bisher nur fünfmal aus diesem

407

Rechtstitel unbeträchtliche Summen, im ganzen Fr. 868,000, zugeflossen waren. Es zeigen ja auch die Bestimmungen des neuen Vertrages, dass Deutschland und Italien weit mehr Gewicht auf die Taxreduktionen, als auf die Fortdauer der Genussberechtigung des Subventionskapitals legen.

Zur Beleuchtung der Frage, ob die im neuen Vertrage zugestandenen Taxreduktionen nach der Lage der Verhältnisse gerechtfertigt seien oder nicht, mögen folgende zwei Berechnungen dienen : 1. Annahme. Die Taxen wären so reduziert worden, dass die Dividende der Aktionäre 7 °/o nicht mehr hätte überschreiten können.

Wie hoch hätten sich die Taxreduktionen in den Jahren 1911 und 1912 belaufen müssen?

Zur Auszahlung einer Dividende von 7 % auf dem Aktienkapital von 50 Millionen bedurfte es 3,6 Millionen Franken.

Nach den Aufstellungen der Generaldirektion belief sich der Ertrag der Gotthardbahn (nach Abzug von Fr. 500,000 für Amortisationen) im Jahre 1911 auf Fr. 6,009,000 und wird im Jahre 1912 sich auf Fr. 6,135,750 belaufen.

Mithin hätten die Taxreduktionen in diesen JahrenFr. 2,509,000 beziehungsweise Fr. 2,635,750 ausmachen können, wogegen der neue Vertrag nach den Berechnungen der Botschaft (Seite 20) sie auf Fr. 975,000 für die Jahre 1910--1920, und auf Fr. 1,425,000 von 1920 an berechnet ; diese Ausfälle sind also erheblich niederer.

Bei dieser Rechnung ist zu berücksichtigen, dass der Einnahmeausfall nicht nur die Aktionäre, sondern auch das Subventionskapital betroffen hätte, da dessen Genussberechtigung ja erst eintritt, wenn die Dividende der Aktionäre 7 °/o übersteigt.

Es hätte demgemäss vom Gesamteinnahmeausfall des Jahres 1911 im Betrage von Fr. 2,509,000 die Aktionäre und die Subventionsstaaten je die Hälfte mit je Fr. 1,254,500 und im Jahre 1912 vom Gesamtausfall von Fr. 2,635,750 je die Hälfte mit je Fr. 1,317,875 getroffen. -- Nimmt man an, dass es den Subventionsstaaten nicht gelungen wäre, bei der Gotthardbahn so beträchtliche Reduktionen durchzusetzen, oder dass sie selber auf ihre Genussberechtigung nicht in so starkem Masse hätten verzichten wollen, so kann folgende Annahme in Betracht fallen, die sich strikte an Art. 9 des alten Vertrages anschliesst:

408

2. Annahme. Die Taxen wären so reduziert wordeii, dass die Dividende der Aktionäre 8 °/o nicht mehr hätte überschreiten können.

Wie hoch hätten sich die Taxreduktionen in den Jahren 1911 und 1912 belaufen müssen?

Damit die Aktionäre der Gotthardbahn 8 °/o Dividende erhalten konnten, musste der verteilbare Geschäftsertrag (unter Berücksichtigung des Mitgenusses des Subventionskapitals bei einer 7 % übersteigenden Dividende) 4*/2 Millionen betragen, wovon die Aktionäre 3'/g Millionen als Dividende bis 7 °/o, l /e Million als Superdividende von l °/o, und die Subventionsstaaten '/s Million als Partizipation des Subventionskapitals empfangen hätten.

Nach den Aufstellungen der Generaldirektion, die oben angeführt worden sind, hätte der verteilbare Geschäftsertrag des Jahres 1911 (nach Abzug der Amortisationsquote) die für eine Dividende von 8 °/o erforderliche Summe von 4*/8 Millionen um Fr. 1,509,000 überschritten, und es hätten die Taxreduktionen eben diese Summe betragen müssen. Im Jahr 1912 wird der Geschäftsreinertrag die Summe von 4*/2 Millionen um 1,635,750 Franken überschreiten.

Auch die auf dieser Basis berechneten Einnahmeausfälle sind »noch höher, als die durch die Abmachungen des neuen Vertrages bewirkten. -- Zur weitern Würdigung der finanziellen Tragweite des neuen Vertrages wird es beitragen, wenn supponiert wird, die darin stipulierten Taxreduktionen seien der Gotthardbahn selbst im Jahre 1910 auferlegt worden. Es ergibt sich dann folgende Rechnung : 1911. Geschäftsertrag (nach Abzug der Amortisation von Fr. 500,000) hiervon ab der Einnahmeausfall wegen Taxreduktionen bleibt zur Verteilung hiervon 7 °/0 Dividende an die Aktionäre bleibt zur Teilung zwischen Aktionaren und Subventionskapital Hälfte an die Aktionäre Hälfte an das Subventionskapital . . .

Fr. 6,009,000 ,, 975,000 Fr. 5,034,000 ,, 3,500,000 Fr. 1,534,000 Fr. 767,000 ,, 767,000

409

1912. Geschäftsertrag (nach Abzug der Amortisation von Fr. 500,000) hiervon ab der Einnahmeausfall wegen Taxreduktionen bleibt zur Verteilung . . . . ' . . .

hiervon 7 % an die Aktionäre . . . .

bleibt zur Teilung zwischen Aktionären und Subventionskapital Hälfte an die Aktionäre Hälfte an das Subventionskapital . . .

Fr. 6,135,750 ,, 975,000 Fr. 5,160,750 ,, 3,500,000 Fr. 1,660,750 Fr. 830,375 ,, 830,375

Aus diesen Aufstellungen ergibt sich, dass trotz den Taxreduktionen den Aktionären für 1911 und 1912 eine Dividende von 8,5 % hätte ausbezahlt werden können und dass das Subventionskapital, das bisher in fünf Malen zusammen Fr. 868,000 aus dem Gotthardunternehmen gezogen hat, in den Jahren 1911 und 1912 jedes Jahr nahezu den eben genannten Betrag erhalten hätte.

Es hätten mithin die im neuen Vertrag zugestandenen Taxreduktionen nicht genügt, um vom Jahre 1911 an die Dividende der Aktionäre unter 8 % zu bringen und die Gewinnanteile des Subventionskapitals zu beseitigen.

Es ergibt sich auch hieraus, dass die Taxreduktionen des neuen Vertrages nicht als übermässig bezeichnet werden können, und selbst dann nicht übermässig wären, wenn die Genussberechtigung des Subventionskapitals weiter dauern würde.

Nun bringt der neue Vertrag aber nicht nur die Taxreduktionen, sondern er hebt die Genussberechtigung des Subventionskapitals und dieses selbst gänzlich auf. Es hat dies für den neuen Eigentümer der Gotthardbahn eine Entlastung um die oben angegebenen Beträge zur Folge, die bei der Beurteilung der Angelegenheit sehr bedeutsam ins Gewicht fällt, auch wenn daran erinnert wird, dass rund 25 °/o des Subventionskapitals den Kantonen gehören, der Verzicht somit das Ausland nur mit 75 °/o trifft.

Fügt man in der vorstehenden Rechnung den Hälfteanteil des Subventionskapitals an dem 7 °/o übersteigenden Geschäftsertrag, als durch Verzicht der Staaten frei geworden, dem Hälfteanteil der Aktionäre zu, so steigt deren Gesamtdividende in den Jähren 1911 und 1912 von 8,5 °/o auf 10 %. Der gleiche Ertrag käme den Bundesbahnen als Rechtsnachfolgern der Aktionäre zu.

Die sub 5 gestellte Frage, ob die im neuen Vertrage stipulierten Taxermässigungen als gerechtfertigt erscheinen, kann also unbedingt bejaht werden.

41ü

6. Überträgt sich die Verpflichtung des Art. 10 des alten Vertrages auf die Bundesbahnen und zwar: a. in bezug auf das Gotthardnetz, b. ir bezug auf das Übrige Netz der Bundesbahnen?

Tritt eine Ausdehnung der Meistbegünstigung auf Linien, die nicht zum Gotthardnetz gehören, ein?

Art. 10 des alten Vertrages bestimmt in Absatz l, die Gotthardbahngesellschaft sei gehalten, für den Personen- und Gütertransport von, nach und durch Italien den Eisenbahnen der Subventionsstaaten mindestens dieselben Vorteile und Erleichterungen zuteil werden zu lassen, welche sie, sei es ändern Eisenbahnen ausserhalb der Schweiz, sei es irgendwelchen Strecken und Stationen dieser Bahnen, sei es endlich den schweizerischen Grenzstationen gewähren sollte. Sie darf in keine Kombination mit ändern schweizerischen Eisenbahnen eintreten, durch welche dieser Grundsatz verletzt würde.

Dass diese Vertragsbestimmung, soweit sie das frühere Gotthardnetz betrifft, von den Bundesbahnen eingehalten werden muss, wie alle ändern Bestimmungen des Gotthardvertrages, ist nach dem unter 2 Gesagten nicht weiter zu begründen.

Dagegen bedarf die weitere Frage, ob diese Bestimmung, die als Zusicherung der Meistbegünstigung bezeichnet wird, infolge des Übergangs der Gotthardbahn an die Bundesbahnen, sich auf Linien, die nicht zum Gotthardnetz gehören, ausgedehnt habe, der Erörterung.

Diese zweite, wichtige Frage, findet ihre Lösung nicht in Art. 10, sondern es kommt hier Art. 15 in Betracht, der nun zu besprechen ist ; sein Wortlaut ist sub 2 wiedergegeben ; er will versorgen, dass der Gotthardvertrag seine Gültigkeit auch behalte, wenn die Konzession auf eine andere Eisenbahngesellschaft übertragen wird und wenn eine Fusion der Gotthardbahn mit ändern Bahnen oder eine Erweiterung des Gotthardnetzes eintritt.

Der Fall der Konzessionsübertragung und der Erweiterurigdes Gotthardnetzes scheidet heute aus, und es kann sich nur fragen, ob eine Fusion der Gotthardbahn mit ändern schweizerischen Bahnen heute vorliegt und welche Folgen Art. 15 an.

diesen Vorgang knüpft.

Dass eine Fusion der Gotthardbahn mit ändern schweizerischen Eisenbahnen eingetreten sei, kann nicht bezweifelt werden.

Allerdings ist sie nicht durch den blossen Rückkauf eingetreten; der Rückkauf an sich ist nicht Fusion ; der Bund hätte von

411

seinem Rückkaufsrechte in bezug auf die Gotthardbahn Gebrauch machen können, ohne dass notwendig auch die Fusion eingetreten wäre. Aber die Fusion ist eingetreten durch die vollzogene Erwerbung der Gotthardbahn seitens des Bundes zuhanden und auf Rechnung der Bundes- bahnen, die bereits im Besitze anderer Eisenbahnen und speziell der beim Vertragsabschluss von den Kontrahenten ins Auge gefassten Zentralbahn und Nordostbahn waren.

Es liegt also der in Art. 15, Absatz 2 vorgesehene Fall der Fusion in der Tat vor, und es fragt sich nun, was der Artikel für diesen Fall besonderes vorschreibt.

Auf den erten Blick könnte in der Fassung von Absatz 2 die blosse Bestimmung gefunden werden, dass im Falle der Fusion die erweiterte Unternehmung die Vertragsverpflichtungen, die sich auf den Betrieb des alten Gotthardnetzes beziehen, für dieses alte Netz weiter zu erfüllen habe, dass also die Fusion die erweiterte Unternehmung nicht von den bisherigen Verpflichtungen der frühem engern Unternehmung befreie.

Allein aus dem Protokoll der Konferenzverhandlungen von 1869 ergibt sich, dass diese beschränkte Auslegung nicht richtig wäre.

Die geltende Fassung der Art. 10 und Art. 15 Absatz 2 war das Ergebnis sehr langer Verhandlungen (vgl. auch die Botschaft .zum Gotthardvertrag von 1869, S. 28). Von Badischer Seite war bei der Beratung des Art. 10 die Erwartung formuliert worden, ,,dass die Zentralbahn- und die Nordostbahngesellschai't in der Organisation des Betriebes und namentlich in der Bestimmung der Tarife für den Transport über den Gotthard im wesentlichen sich den Massregeln anschliessen werden, welche die ändern Eisenbahnverwaltungen treffen werden, und dass die schweizerische Regierung sich verpflichte, mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln darauf hinzuwirken, dass diese Voraussetzung auf entsprechende Weise verwirklicht werde". Dieser Gedanke fand zwar im Vertrage keinen Ausdruck, weil die genannten schweizerischen Gesellschaften für diesen Fall eine analoge Verpflichtung der entsprechenden deutschen Zufahrtsbahnen postulierten. Dagegen wurde dann einstimmig festgestellt, dass für den Fall der Fusion der Gotthardbahn mit schweizerischen Bahnen, als welche selbstverständlich in erster Linie die Zentralbahn und die Nordostbahn in Betracht kamen, die Betriebsverpflichtungen der Gotthardbahn auf das erweiterte Unternehmen übergehen sollen ; und man kann auf Grund der Entstehungsgeschichte des ·Art. 15 nicht daran zweifeln, .dass bei der Fusion nicht nur das

412

bisherige Gotthardnetz unter den Verpflichtungen speziell des Art. 10 bleiben, sondern, dass das Netz der Zentralbahn und der Nordostbahn in diese Verpflichtungen einbezogen werden sollte. Durch die Einreihung der Gotthardbahn in das Netz der Bundesbahnen ist das eingetreten, \vas bei der endgiltigen Fassung des Art. 15 in der Konferenz von 1869 den Vertretern der Vertragsstaaten vorschwebte, nämlich die Vereinigung der Gotthardbahn mit der Zentral- und Nordostbahn.

Es ist also wohl zu beachten und muss zugegeben werden, dass der Absatz 2 des Artikels 15 nicht die bloss formelle Verpflichtung des Überganges der schon bestehenden Verbindlichkeiten der Gotthardbahn auf die Bundesbahnen enthält, sondern, dass er diese Verbindlichkeiten materiell erweitert; sie breiten sich vom alten Gotthardnetze auf das gesamte neue ßundesbahnnetz aus; sie belasten das neue Rechtssubjekt, den Rechtsnachfolger der Gotthardbahu, nicht bloss in bezug auf das frühere Vertragsobjekt, sondern sie schaffen in bezug auf die Vertragsverpflichtungen ein neues erweitertes Vertragsobjekt.

Demnach entspricht es durchaus dem alten Gotthard vertrage, wenn die Botschaft des Bundesrates zum neuen Vertrage bei dessen Art. 8 ausführt, dass die von den ändern Staaten verlangte Übertragung der Verpflichtung des alten Art. 10 auf die Bundesbahnen sich aus der Tatsache der vollzogenen Fusion ergebe.

Wenn der alte Gotthardvertrag weiter bestehen bleibt, so sind nach obigen Darlegungen die Bundesbahnen gehalten, für den Personen- und Gütertransport von, nach und durch Italien den Eisenbahnen der Subventionsstaaten mindestens gleiche Vorteile und Erleichterungen zu gewähren, wie ändern Eisenbahnen ausserhalb der Schweiz, oder irgendwelchen Strecken und Stationen dieser Bahnen, oder wie den schweizerischen Grenzstationen; widersprechende Kombinationen mit ändern schweizerischen Bahnen sind unstatthaft, insbesondere sollen die Tarifermässigungen, welche sie zur Belebung des Verkehrs nach, von und durch Italien gewähren, den konkurrierenden Bahnen und Bezirken auf den nämlichen Zeitpunkt zugestanden werden.

Der Transitverkehr von Deutschland und Italien darf also nach der Verstaatlichung auf allen Zufahrtslinien der Gotthardbahn, die den Bundesbahnen gehören, nicht schlechter gestellt werden, als der anderer Staaten,- wobei immerhin darauf hinzuweisen ist, dass es sich tatsächlich nur um den Verkehr zwischen Norden und Süden handelt, und dass der Verkehr innerhalb der

413 Schweiz und der Verkehr zwischen dem Ausland und der Schweiz hierbei nicht in Betracht fällt.

Als Zufahrtslinien zum Gotthardverkehr zwischen Deutschland und Italien dienen die Linien der frühern Zentral- und Nordostbahn, wie dies schon anno 1869 vorgesehen wurde ; und ·es darf doch wohl gesagt werden, dass auch ohne die Vorschrift des Art. 15 betreffend die Fusion die Bundesbahnen kaum in guten Treuen handeln würden, wenn sie, als gleichzeitige Besitzer der Gotthardbahn einerseits und der Zentral- und Nordostbahn .anderseits, die Meistbegünstigungsbestimmung des Art. 10 zwar für das Gotthardnetz weiter handhaben, dagegen auf dem frühern Netze der Zentral- und Nordostbahn nicht beobachten wollten; -es würde das einer Umgehung des Gotthardvertrages gleichkommen.

Wären die Bundesbahnen durch die Übertragung der Verpflichtung des Art. 10 auf das fusionierte Bundesbahnnetz auch -vertraglich verhindert, Bahnen anderer Staaten für den Verkehr auf ändern Alpenbahnen als der Gotthardbahn günstigere Bedingungen zu stellen?

Man wird diese Frage bejahen und somit auch in bezug auf ·dieses Verhältnis der Fusionsklausel des Art. 15 des alten Vertrages massgebende Bedeutung zuerkennen müssen. Die Meistbegünstigungsverpflichtung des Art. 10, durch welche den Subventionsstaaten als Kompensation für ihre grossen pekuniären Leistungen die Sicherheit gewährt werden sollte, dass die Gotthardroute ihrem Verkehr immer zu den günstigsten Bedingungen zur Verfügung stehen solle, kommt zum vollen Ausdrucke nur dann, wenn die Bundesbahnen mit ändern Alpenbahnen in keine Kombinationen eintreten, durch welche der in Art. 10 ausgesprochene Grundsatz der Gleichberechtigung der Eisenbahnen der Subventionsstaaten verletzt wird.

Im Vorstehenden ist die Tragweite des Art. 10 im Zusammenhange mit Art. 15 erörtert und festgestellt worden, dass dessen Vorschriften infolge der mit dem Rückkauf eingetretenen Fusion sich auf das Bundesbahnnetz ausgebreitet haben.

Es könnte nun die Frage aufgeworfen werden, ob nicht auch andere Artikel des Gotthardvertrages, die sich auf den Betrieb beziehen, insbesondere Art. 9, der die Taxreduktion von einer Dividende von mehr als 8 °/o abhängig macht, auf das erweiterte Unternehmen übergangen seien. Wäre dem so, so könnte argumentiert werden, eine Taxreduktion dürfe nunmehr von den Vertragsstaaten erst verlangt werden, wenn das gesamte Bundesbahnaetz eine Dividende von mehr als S °/o ausweise,' Bundesblatt. 65. Jahrg. Bd. I.

31

414 damit wäre natürlich jede Taxreduktion für das Gotthardbahronetz auf unbestimmte Zeit ausgeschlossen.

Es bedarf aber keiner längern Darlegung der Unrichtigkeit, einer solchen Argumentation. "Während sich aus den Konferenzprotokollen von 1869 klar ergibt, dass die Bestimmungen des Art. 10 auf das erweiterte Unternehmen wollten übertragen werden, findet sich dort nirgends eine Andeutung, dass mit dem Eintritt einer Fusion auch die Voraussetzungen einer Taxreduktion gemäss Art. 9 (und eventuell die Voraussetzungen einer Partizipation des Subventionskapitals an der Dividende gemäss Art. 18) auf eine ganz andere und für die Subventionsstaaten offenbar viel schlechtere Grundlage gestellt werden sollten. Es ist jy, richtig, dass der in Art. 15 gebrauchte Ausdruck: ,,Verpflichtungen . . . . soweit sie auf den Betrieb Bezug habena etwas allgemein lautet, und dass eine Aufzählung der durch diese, Klausel betroffenen Vertragsartikel deutlicher gewesen wäre} diese Undeutlichkeit allein erlaubt aber nicht, dem Art. 15, trotzdem jede bezügliche Andeutung in den Verhandlungen mangelt, eine Auslegung zu geben, welche die finanziellen Interessen der Subventionsstaaten in so weitem Masse von der gedeihlichen Entwicklung des von ihnen subventionierten Gotthardbahnnetzes entfernen und auf die Chancen des gesamten Bundesbahnnetzes verweisen würde.

7. Könnte sich die Schweiz bei Meinungsverschiedenheiten über die Tragweite und Auslegung des alten Vertrages weigern, die Differenzen der Beurteilung eines Schiedsgerichtes zu unterstellen, wenn die Subventionsstaaten diese verlangen?

Art. 14 des Gotthardvertrages bestimmt, dass die Gesell. schaft an ihrem Gesellschaftssitze belangt werden kann, und dass, wenn zwischen der Eidgenossenschaft und der Gotthardunternehmung Streitigkeiten zivilrechtlicher Natur entstehen, diese durch das Bundesgericht zu regeln sind.

Dem entspricht Art. 64 der Gotthardstatuten, wonach alle Zivilrechtsstreitigkeiten, die sich zwischen den verschiedenen.

Gesellschaftsorganen oder zwischen einzelnen Aktionären, bzw.

Stimmberechtigten der Generalversammlung oder zwischen Gesellschaftsorganen und einzelnen Aktionären, bzw. Stimmberechtigten der Generalversammlung über Fragen, welche die Angelegen* heiten der Gesellschaft betreffen, ergeben, durch das Bundesgerichtodef, wenn dieses nach den Bestimmungen der Bundesgesetz,

415

gebung nicht angerufen werden kann, durch die Gerichte des Amtes und des Kantons Luzern ausgetragen werden. ,,Stimmberechtigte der Generalversammlung^ sind .gemäss dem Spezialprotokoll der internationalen Gotthardkonferenz vom 13. Oktober 1869 die Kantone, die an der Gotthardsubvention beteiligt sind, nicht aber die Subventionsstaaten.

Die eben angeführten Artikel ordnen nur den Gerichtsstand in zivilrechtlichen Streitigkeiten der Gotthardbahngesellschaft mit dem Bund oder den Aktionären und Subventionsstaaten oder privaten Dritten.

Die Subventionsstaaten Deutschland und Italien stehen mit der Gotthardbahn, bzw. mit deren Rechtsnachfolgerin, den Bunbahnen, soweit der Gotthardvertrag in Betracht kommt, nicht in einem zivilrechtlichen Verhältnisse und überhaupt in keinem Vertragsverhältnis ; ihr Gegenkontrahent ist die schweizerische Eidgenossenschaft.

Entstehen Streitigkeiten zwischen dem Bund und den ändern Subventionsstaaten über den Gotthardvertrag, so enthält dieser Vertrag keine Bestimmung über die entscheidende Instanz.

Die Kompetenz des schweizerischen Bundesgerichtes ist ausgeschlossen.

Zwischen der Schweiz und Deutschland besteht kein allgemeiner Schiedsgerichtsvertrag, wohl aber zwischen der Schweiz und Italien, Vertrag von 1904, auf fünf Jahre abgeschlossen und 1909 um fünf Jahre verlängert; doch ist darin bestimmt, dass er nur zur Anwendung komme, wenn nicht Interessen dritter Staaten im Spiele seien, was doch offenbar beim Gotthardvertrag in bezug auf Deutschland zutrifft.

Doch würde diese Bestimmung Italien nicht hindern, seinerseits den 'Schiedsgerichtlichen Weg in Gemeinschaft mit Deutschland zum Austrag der Differenzen vorzuschlagen.

Die Fragen, die zu entscheiden wären, sind Rechtsfragen und können nach rechtlichen Grundsätzen entschieden werden ; es handelt sich weder um administrative, noch um politische Fragen; sie sind darum, wie in der Doktrin anerkannt wird, in besonderem Masse geeignet, zum Gegenstande schiedsgerichtlichen Austrages gemacht zu werden.

Für Streitigkeiten, die sich infolge von Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung oder Anwendung des neuen Gotthardvertrages ergeben könnten, sieht dieser Vertrag in Art. 13

416

für jeden Kontrahenten das Recht, vor, schiedsgerichtliche Entscheidung zu verlangen. Der. neue Vertrag betrifft Rechtsfragen derselben Art, wie der .alte.

Es würde darum der Schweiz nicht leicht werden, den schiedsgerichtlichen Austrag der im Falle des Fortbestehens des alten Vertrages entstehenden Differenzen mit den Subventionsstaaten, wenn er von ihnen vorgeschlagen würde, abzulehnen, ganz abgesehen davon, dass die .Schweiz in den letzten Jahren durch Absehluss mehrerer allgemeiner Schiedsgerichtsverträge sich den Staaten zugesellt hat, welche den Grundsatz der Erledigunginternationaler Streitigkeiten auf dem Wege des Schiedsgerichtes hochhalten.

Mit Hochachtung !

:.

·

Paul Speiser.

-^-3£^-<-

417 Beilage R.

Gutachten des Herrn Prof. Dr. Borei.

An das Eidgenössische Eisenbahndepartement in Bern, (Übersetzung.)

Erste Frage.

1. Welches ist die Rechtslage nach der Verstaatlichung der Gotthardbahn im allgemeinen, wenn ein neuer Vertrag nicht abgeschlossen wird ?

2. Sind die nach dem alten Vertrag auf der Gotthardbahn haftenden Verpflichtungen dauernde?

Antwort.

Erster Teil.

Welche Rechtslage hat der Rückkauf der Gotthardbahn im Hinblick auf den Staatsvertrag vom Jahre 1869 *) geschaffen ?

Diese Frage zerfällt naturgemäss in zwei Abschnitte. Zunächst soll die rechtliche Stellung der Gotthardbahngesellschaft im Verhältnis zu den Subventionsstaaten konstatiert worden; sodann wild die Rechtslage zu kennzeichnen sein, in welche die Schweiz Deutschland und Italien gegenüber durch den Rückkauf getreten ist.

*) Dieser Ausdruck abgekürzt ,,Staatsvertrag" oder bloss ,,Vertrag", soll in der vorliegenden Arbeit stets den zwischen der Schwein und Italien am 15. Oktober 1869 abgeschlossenen Vertrag bezeichnen, dem Deutschland am 28. Oktober 1871 beigetreten und der am 12. März 1878 revidiert worden ist.

418 A. Die Rechtsverhältnisse des Gotthardbahnmternehmens eu den Subventionsstaaten.

Im Vertrag vom Jahre 1869 erscheint die Gotthardbahngesellschaft nicht als Vertragspartei. Jener wurde vor ihrer Gründung abgeschlossen, und zwar kraft übereinstimmenden Willens der Vertragsstaaten, unter letzteren allein.

Durch das Abkommen mit der Schweiz wollten ihr die beiden ändern Staaten mittelst ihrer finanziellen Unterstützung die Aufgabe erleichtern, das projektierte Unternehmen, d. h. Bau und Betrieb einer Eisenbahnlinie über den Gotthard durchzuführen.

Als Gegenwert für die ihm zugesicherte, und abgesehen von der von ihm selbst geleisteten Subvention, übernahm der Bund die Verwirklichung des in Aussicht genommenen Werkes und damit die Erfüllung der dasselbe betreffenden Vertragsbestimmungen.

Wie die Schweiz diese Garantie in die Tat umsetzen würde, war für sie eine interne Frage, deren Lösung ihr allein vorbehalten blieb.

Dass im Jahre 1869 den Vertragsparteien die Gründung einer mit dem Unternehmen zu betrauenden Gesellschaft vor Augen schwebte, erklärt sich daraus, dass der Bund durch seine damalige Verfassung zum Bau und Betrieb einer Eisenbahn nicht ermächtigt war.

Weil die Schweiz damals nicht in der Lage war, die durch den Vertrag festgesetzten Verpflichtungen selbst zu erfüllen, so kam man auf den Gedanken, dass jene die Aufgabe einer Gesellschaft übertragen solle, die sie auf diese Weise ,,zum Organ für die Erfüllung ihrer Verbindlichkeiten" machen würde *).

Aber gerade weil das damalige schweizerische Verfassungsrecht die Schaffung einer privaten Gesellschaft erheischte, anerkannten die vertragschliessenden Staaten, dass die Souveränität unseres Landes, auf dessen Gebiet und durch dessen Willen das Unternehmen entstehen sollte, jede Einmischung oder Teilnahme Deutschlands und Italiens daran ausschloss (abgesehen von der der Schweiz zur Ausführung des Unternehmens zugesicherten Subventionen).

*) ,,L'organe pour l'accomplissement de ses obligations." Vgl. Anhang zum Protokoll der 8. Sitzung der internationalen Konferenz 1869.

419

Das sagt in klaren Worten ein Bericht der im Schosse der /Internationalen Konferenz vom Jahre 1869 gebildeten politischen Sektion. Dieser Bericht wurde in der 8. Sitzung der Konferenz (6. Oktober) vorgelegt. Er gewinnt an Bedeutung dadurch, dass ihn der Bundesrat in seiner Botschaft vom 30. Juni 1870 (Bundesblatt 1870, II, 839) erwähnt und dass auch der deutsche Reichskanzler ahn in seiner Denkschrift vom 28. Oktober 1871, Seiten 27 und 28., zu Rate gezogen hat.

II.

Wie ist die Schweiz der von ihr übernommenen Aufgabe ·gerecht geworden?

Kraft ihrer Souveränität und im Einklang mit ihrer Gesetzgebung ging sie in folgender Weise vor: 1. Das Gotthardunternehmen basiert auf den Konzessionen derjenigen Kantone, deren Gebiet es beansprucht.

In Anwendung des Bundesgesetzes vom 28. Juli 1852 wurden diese Konzessionen der Ratifikation des Bundes unterstellt.

In den verschiedenen Ratifikationsbeschlüssen hat die Bundesversammlung (abgesehen von anderen Bestimmungen, wie z. B.

diejenige den Rückkauf betreffend) zwei Hauptbedingungen gestellt: a. Einmal wurden die Statuten der Konzessionsnehmerin der bundesrätlichen Genehmigung unterstellt (Artikel 5 der Ratifikationsbcschlüsse), b. Sodann wurde ausdrücklich ,,der mit den Subventionsstaaten abzuschliessende (mit ändern Worten der im Jahre 1869 abgeschlossene) Vertraga vorbehalten, und zwar gegenüber den Bestimmungen der kantonalen Konzessionen, wie auch den der bundesrätlichen Ratifikation zugrunde liegenden Bedingungen (Artikel 8 der Ratifikationsbeschlüsse).

2. In Anwendung von Artikel 5 der eidgenössischen Ratifikationsbeschlüsse wurden die Statuten der Gotthardbahngesellschaft (vom 1. November 1871) dem Bundesrat zur Genehmigung vorgelegt, und diese Genehmigung erteilte der Bundesrat laut Beschluss vom 3. November 1871 unter Bedingungen, welche den durch den Staatsvertrag übernom menen Verpflichtungen entsprechen.

3. Das gleiche tat die Bundesversammlung bei Erteilung der Konzession für das Teilstück Cadenazzo--Pino, wozu sie inzwischen durch Verfassung und Gesetz die Kompetenz erlangt hatte (Bundesbeschluss vom 16. September 1875).

420

III.

Aus dem bisher Gesagten geht zur Genüge hervor, dass dieGqtthardbahngesellschaft lediglich von der Schweiz geschaffen wurde und dass der Bund allein und durch autonomen Rechtssatz die gegenüber Deutschland und Italien übernommenen Garantien verwirklicht hat, indem er der konzessionierten Gesellschaft der internationalen Vereinbarung entsprechende Verpflichtungen auferlegte.

Daraus darf aber nicht geschlossen werden, dass die Gotthardbahngesellschaft nur der Schweiz gegenüber Verpflichtungen hatte und dass lediglich der Bund als solcher gegenüber den.

beiden ändern Staaten Träger der im Jahre 1869 eingegangenen Verpflichtungen geblieben war. Sowohl. durch den Wortlaut des Vertrages als auch durch die eben erwähnten autonomen Staatsakte wurde das Gotthardbahnunternehmen mit Verpflichtungen belastet, für welche die Gesellschaft selbst den drei VertragsStaaten gegenüber direkt haftete.

Dies ist von ' der Schweiz stets anerkannt worden : 1. Im Abschnitt überschrieben ,,Pflichten der Gotthardbahngesellschaft" zählt die bundesrätliche Botschaft vom 30. Juni 1870 ,,die speziellen Verpflichtungen (der Gesellschaft) gegenüber den Subventionsstaaten"· auf und bespricht dieselben (Bundesbl. 1870, Bd. II, Seite 820}.

.

' 2. In der Rückkaufsbotschaft vom 25. März 1897 äussert sich der Bundesrat zum Vertrag vom Jahre 1869 wie folgt: ,,Die Bestimmungen dieses Staatsvertrages bleiben auch nach dem Rückkauf fortbestehen und die bezüglichen Verpflichtungen der Gesellschaft gehen auf den Bund als Eigentümer der Bahn über, so die Vorschriften betreffend den ununterbrochenen Betrieb der Bahn (Artikel 6), die Zugsanschlüsse an die deutschen und italienischen Bahnen und die Minimalzahl der Züge (Artikel 7), die Maxima der Transporttaxen (Artikel 8), die Reduktion der Taxen bei einem Reinertrag von über 8 °/o (Artikel 9), die Bestimmungen über Tariffestsetzungen (Artikel 10) und die Partizipation der Subventionsstaaten am Reingewinn (Artikel 18)."

Diese Stelle bezieht sich praktisch nur auf Deutschland und Italien, da hinsichtlich der Rechte des Bundes gegenüber der Gesellschaft und den entsprechenden Verpflichtungen letzterer der Rückkauf Konfusion bewirkt hat.

3. Diese Auffassung hat der Bundesrat durch spätere Erklärungen bestätigt.

.

,

421

In einer am 21. Mai 1897 beschlossenen, an die diplomatischen Vertreter Deutschlands und Italiens gerichteten Note wird über die der Schweiz durch den Rückkauf erwachsene Rechtslage den ändern Vertragsstaaten gegenüber erklärt: ,,Selbstverständlich ist aber, dass die Verpflichtungen, welche dem Gotthardunternehmen durch die Staatsverträge überbunden worden sind, beim Rückkauf auf die Eidgenossenschaft als nunmehrigen Eigentümer der Bahn übergehen und in ihrer Person ungeschvvächt fortbestehen11 (folgt Aufzählung der hauptsächlichen einschlägigen Vertragsartikel).

Diese Auffassung, welcher noch in zwei späteren Noten Ausdruck gegeben wurde, entspricht einer loyalen Auslegung des Staatsvertrages von 1869.

Angesichts des Vertrages selbst fällt es schwer, die Auffassung der Vertragsstaaten und die Tatsache zu verkennen, dass sie zugunsten eines jeden gewisse Rechte am Gotthardbahnunternehmen schaffen und letztere ihnen gegenüber mit gewissen Verpflichtungen belasten wollten.

Artikel 9 besagt : ,,Wenn die Zinsen des Aktienkapitals 8 % übersteigen, so ist die Gesellschaft gehalten, zu einer Reduktion der Taxen, und zwar 'in erster Linie der Zuschlagstaxen, zu schreiten."

In Artikel 10 heisst es: ,,Die Gotthardbahngesellschaft ist gehalten, für den Personen- und Gütertransport von, nach und durch Italien den Eisenbahnen der Subventionsstaaten mindestens dieselben Vorteile und Erleichterungen zuteil werden zu lassen, welche sie, sei es ändern Eisenbahnen ausserhalb der Schweiz, sei es irgendwelchen Strecken und Stationen dieser Bahnen, sei es endlich den schweizerischen Grenzstationen, gewähren sollte.

Artikel 18 erklärt : ,,Die Staaten behalten sich einen Anspruch auf Partizipation an den finanziellen Ergebnissen des Unternehmens nur für den Fall vor, wenn die auf die Aktien zu verteilende Dividende 7 °/o übersteigen sollte."

Anderseits verpflichtet Artikel 11 die Schweiz, von der Gesellschaft eine Kaution zu verlangen, sowie den Bundesrat, den Subventionsstaaten periodische Berichte, unter anderm ,,Über die Betriebsergebnisse", zuzustellen.

Bedenkt man ausserdem, dass laut Artikel l die Vertragsstaaten ,,sich vereinigen, um das projektierte Unternehmen zu sichern"1, und werden die Vorschriften dieses Vertrages, insbesondere der bereits erwähnte Bericht der politischen Sektion, au

422

Rate gezogen, so muss anerkannt werden, dass der vom Bundesrat bereits im Jahre 1870 eingenommene Standpunkt der durch den Staatsvertrag geschaffenen Rechtslage entspricht.

Auf den gleichen Standpunkt hat sich die Gotthardbahngesellschaft gestellt, indem sie in Artikel 13 ihrer Statuten die aus dem Vertrag fliessende Verpflichtung erwähnt und sich vorbehält, dem ,,Subventionskapitale" die Hälfte des 7 °/o des Aktienkapitales übersteigenden Reingewinnes zuzuweisen.

Ebenso scheint aus dem Wortlaut des bundesrätlichen Ratifikationsbeschlusses vom 3. November 1871 (siehe insbesondere Artikel 5) zu erhellen, dass hinsichtlich der den beiden ändern Subventionsstaaten zugesicherten Rechte der Bundesrat das konzessionierte Unternehmen direkt zugunsten letzterer hat verpflichten wollen.

Die Tatsache muss daher anerkannt werden, dass zu Lasten des Gotthardbahnunternehmens Verpflichtungen bestanden, die dieses .sowohl gegenüber den beiden benachbarten Staaten, wie auch gegenüber der Schweiz behafteten.

B. Welche Rechtslage hinsichtlich der Gotthardbahn hat die Schweiz durch den Rückkauf übernommen?

Durch den Rückkauf der Gotthardbahn ist die Schweiz an die Stelle der Gesellschaft getreten.

Wie der Bundesrat sich in der Note vom 26. Februar 1904 ausdrückt, ist der Bund ,,Rechtsnachfolger" der Gesellschaft.

Nach Innen erwarb die Schweiz durch den Rückkauf, zu den bereits aus ihrer Gebietshoheit fliessenden Machtbefugnissen und den durch den Staatsvertrag vom Jahre 1869, die Ratifikationsbeschlüsse und den Bundesratsbeschluss vom 3. November 1871 gesicherten Rechten hinzu, das Eigentum an der Gotthardbahn. Jener bewirkte in der Person des Bundes die bereits erwähnte Konfusion von Rechten und Pflichten.

Anders gestaltet sich die Lage den übrigen Subventionsstaaten gegenüber.

Die Eidgenossenschaft bleibt souveräner Staat und hat ihre Souveränität intakt erhalten.

Aber dank dem Rückkauf hat der Bund die Rechtsnachfolge einer bisher privaten Unternehmung angetreten und die an derselben haftenden Lasten auf sich genommen.

Damit hat er eine rechtliche Eigenschaft und eine Rechtsstellung übernommen, die mit seiner Eigenschaft und seiner

423

Rechtsstellung als souveräner Staat nicht identisch sind und in seiner Eigenschaft und Rechtsstellung als souveräner Staat nicht aufgehen.

Mit ändern Worten : wir haben es hier mit einer Zweiheit in der juristischen Persönlichkeit der Schweiz zu tun: Deutschland und Italien, wie allen ändern Staaten gegenüber, ist unser Land als solches der souveräne Staat geblieben, der seine Unterschrift unter den Staatsvertrag von 1869 gesetzt hat.

Aber infolge des Rückkaufs ist er in die Verpflichtungen eingetreten, welche die Gotthardbahngesellschaft zugunsten der beiden Nachbarstaaten belasteten. Und es liegt im juristischen Begriff der Rechtsnachfolge, dass der Rechtsnachfolger die gleiche Stellung einnimmt, die der Vorgänger innehatte.

Dass dies der wirkliche Sinn des Vertrages ist, scheint unter anderem aus Artikel 15 hervorzugehen.

Will man daher die der Schweiz durch den Rückkauf geschaffene Rechtslage beurteilen, so muss man sich im allgemeinen fragen: wie wäre die Rechtslage der Gotthardbahngesellschaft, falls sie noch heute bestehen würde?

Diese Rechtslage wird Deutschland und Italien gegenüber für den Bund als Rechtsnachfolger der Gesellschaft gegeben sein; und zwar sind hier genauer genommen die tatsächlichen, sowie die rechtlichen Verhältnisse zur Zeit des Rückkaufes massgebend.

Als souveräner Staat wird die Eidgenossenschaft der Bahn gegenüber in Zukunft alle aus der Souveränität fliessenden Rechte und Machtbefugnisse ausüben, denen die Gesellschaft unterworfen war.

Vorbehaltlich der Verpflichtungen, die der Bund als Staat durch den Vertrag sich auferlegt hat, und die ihn in seiner Eigenschaft als Staat auch weiterhin binden werden, kann er mit Bezug auf die Gotthardbabn Gesetze und Verordnungen erlassen, wie betreffend die übrigen Kreise der schweizerischen Bundesbahnen oder andere Bahnen im Gebiete der Schweiz.

Was aber die kraft Staatsvertrag vom Jahre 1869 auf dem Gotthardunternehmen ruhenden Lasten Deutschland und Italien gegenüber anbetrifft, so ist und bleibt die Schweiz in demselben Masse gebunden, wie es die Gesellschaft zur Zeit des Rückkaufes war.

Von diesem Gesichtspunkt aus ist die Rechtslage des Bundes in bezug auf die verschiedenen internationalen Verpflichtungen zu beurteilen, die das Gotthardbahnunternehmen direkt belasteten.

424

Liesse sich der Einwand erheben, dass die eben gezogenen Schlüsse den Forderungen der schweizerischen Souveränität weichen müssen ; dass kraft dieser Souveränität der Staat als Rechtsnachfolger eines privaten Schuldners nicht in die gleiche Rechtsstellung wie letzterer eintreten kann ; dass im Gegenteil der juristische Begriff der Rechtsnachfolge mit ihren Wirkungen von dieser Staatseigenschaft, der Souveränität, beherrscht und beeinflusst wird ?

Den praktischen Nutzen einer solchen Behauptung vermöchte man nur schwer einzusehen.

Soviel steht fest, dass sie weder in der modernen juristischen Auffassung des Souveränitätsbegriffes, noch in der Stellungnahme des Bundes eine Stütze finden würde.

Worin besteht die Souveränität?

In bezug auf diese Frage herrscht in der modernen Staatswirtschaft sozusagen Einstimmigkeit, wenigstens im Gebiete des Völkerrechts: Souverän ist der Staat, der ausschliesslich kraft seines eigenen Willens verpflichtet ist.

So absolut dieses Merkmal auch ist, die Wirklichkeit schliesst es nicht aus, dass ein Staat sich mit Verpflichtungen belastet,, sofern das der Ausdruck seines eigenen Willens ist.

Vielmehr schliesst es gerade die volle Fähigkeit des Staates in sich, alle ihn gut dünkenden Verpflichtungen einzugehen, und in dieser Fähigkeit des Staates, durch freien Willen Rechtsverbindlichkeiten zu übernehmen, liegt gerade die notwendige Grundlage des Völkerrechts *).

Wenn daher ein Staat von sich aus bestimmte Lasten frei auf sich nimmt, wie es die Schweiz getan hat, als sie an die Stelle der Gotthardbahn trat, so kann er um so weniger sich auf seine Souveränität berufen, um den Wirkungen dieses Rechtsaktes zu entgehen, als er ja gerade durch seine Souveränität befähigt war, diesen Rechtsakt zu wollen und zu verwirklichen.

Im vorliegenden Falle hat die Schweiz gerade aus ihrer Eigenschaft als souveräner Staat das Recht geschöpft, durch ihren blossen Willen und ohne Zutun der ändern Vertragsstaaten den Rückkauf der Gotthardbahn zu beschliessen und durchzuführen.

Und wenn anderseits der Bundesrat mit Recht den Standpunkt *) Siehe hierüber unter anderem: Jellinek, Die rechtliche Natur der Staatenverträge, Wien 1880, besonders Seiten 7 ff., 31 ff.

Ferner Nippold, Der völkerrechtliche Vertrag, Bern 1894, Seiten 191 ff.r ; 195 ff.

425

hinnehmen konnte, dass der Rückkauf die Rechte der beiden Nachbarstaaten nicht berührt habe, so war dies gerade durch den tatsächlich denn auch erfolgten Zusatz bedingt, dass in seiner Eigenschaft als Rechtsnachfolger der Gesellschaft unser Land die auf ihr ruhenden Verpflichtungen übernehme und dass diese ,,in der Eidgenossenschaft ungeschwächt fortbestehen*)".

Zweiter Teil.

Welche Dauer haben die die Gotthardbahn belastenden Verpflichtungen ?

Von den Pflichten der Gotthardbahn sind diejenigen, welche auf den Bau der Linie Bezug haben, durch Erfüllung erloschen.

Nur hinsichtlich der übrigen ist die oben gestellte Frage zu beantworten. Um die Dauer der hier in Betracht fallenden Verpflichtungen festzustellen, muss man vorerst deren Natur und Tragweite näher ins Auge fassen.

1. Die im Staats vertrag vorgesehenen Pflichten werden von den kontrahierenden Staaten keineswegs als eine vom Unternehmen losgelöste, gleichsam der Gotthardbahngesellschaft persönlich auferlegte Schuld aufgefasst. Der Vertrag hat vielmehr zugunsten der Subventionsstaaten ein auf der Unternehmung haftendes, gleichsam dingliches Recht (droit de suite) geschaffen, ähnlich den Reallasten des Privatrechts.

Die Analogie ist auffallend, und es scheint in der Tat, als habe man das Unternehmen als solches in der Weise belasten wollen, dass die Verpflichtungen an jenem haften sollen, ohne Rücksicht auf den Inhaber des Unternehmens oder auf Änderungen, die in seiner Person eintreten können.

Dieses an der Bahn haftende Recht (droit de suite) wird vom Bundesrat anerkannt in seiner Botschaft vom 30. Juni 1870, woselbst nach Erörterung der ,,allgemeinen Pflicht11 und der ,,besondern Verpflichtungen" der Gotthardbahngesellschaft den Subventiönsstaaten gegenüber, ausgeführt wird : ,,Sowohl jene allgemeine als die genannten speziellen Verpflichtungen haften auf der Unternehmung und gehen . . . auf die erweiterte Unternehmung über."

In demselben Sinne ist zweifellos die andere Erklärung 1 des Bundesrates in der gleichen Botschaft aufzufassen, wo es mit Bezug auf Artikel 15 des Vertrages heisst: *) Siehe die bereits zitierte Note des Bundesrates vom 21. Blai 1897.

426

^Die Schweiz anerkennt den Grundsatz als selbstverständlich^ und wir nehmen keinen Anstand, zu erklären, dass auch der Rückkauf der Bahn durch die Kantone oder den Bund die durch den Vertrag übernommenen Verpflichtungen betreffend den Betrieb der Gotthardbahn nicht aufhebt noch alteriert."

2. Anderseits wurden diese Verpflichtungen, denen ihrer Natur nach ein dinglicher Charakter zuzukommen scheint, nicht für eine bestimmte Zeit vereinbart.

In dieser Hinsicht ist auf den Vertragszweck abzustellen, und es wird zugegeben werden müssen, dass die hohen vertragschliessenden Parteien ein dauerndes Werk schaffen und es demgemäss mit ebenfalls dauernden Lasten behaften wollten.

Dieser Schluss wird durch die Schlussbemerkungen im oben erwähnten Bericht der politischen Sektion bestätigt.

Man hatte auch an die Möglichkeit gedacht, dass die in Aussicht genommene Gesellschaft nicht weiterbestehen könnte; für diesen Fall dachte man in erster Linie daran, dass eine andere Gesellschaft das Unternehmen weiterfuhren würde.

Sollte keine andere Gesellschaft die Aufgabe übernehmen können, so nahm man natürlicherweise an, dass sie dem Bunde zufallen würde.

Und wenn schliesslich der Bund sich nicht damit befassen wollte, so mussten für diese Möglichkeit neue Massnahmen vorausgesehen werden, über die sich die vertragschliessenden Staaten zu verständigen hätten.

Infolgedessen schlug die politische Sektion eine Bemerkung^ folgenden Inhalts vor: ,,Für den Fall, dass eine Gesellschaft Bau und Betrieb der Linie nicht weiterzuführen vermöchte und auch der Bund die Aufgabe nicht zu übernehmen gewillt wäre, würde sich die eidgenössische Regierung bei Zeiten an die Vertragsstaaten wenden, um mit ihnen sich über die Fortsetzung von Bau und Betrieb zu verständigen."· Dieser Vorschlag ist schliesslich nicht angenommen worden; allein das Protokoll der achten Sitzung der internationalen Konferenz vom Jahre 1869 lasst den Grund hierfür erkennen. Man verzichtete darauf,, eine derartige Bestimmung bereits in den Vertrag aufzunehmen, weil es als gänzlich überflüssig erachtet wurde, von Anfang an eine so fern liegende und unsichere Möglichkeit zu regeln, nämlich den Fall, wo das Gotthardunternehmen weder von einer Gesellschaft noch vom Bund als solchem fortgeführt werden sollte.

427 Im Verlaufe des zwischen den Vertragsstaaten nach dem Rückkauf erfolgten Notenaustausches hat sich der Bund auf den erwähnten Antrag der politischen Sektion und die betreffende Stelle in ihrem Berichte berufen, um darzutun, dass die Eventualität des Rückkaufes von der internationalen Konferenz vorausgesehen worden ist (siehe das Rechtsgutachten, welches am 9. März 1909 vom Bundesrat den in Bern beglaubigten Gesandten Deutschlands und Italiens zugestellt wurde).

Man wird wohl zugeben müssen, dass auch die andere sich hieraus ergebende Konsequenz zu ziehen ist, nämlich der unverkürzte Fortbestand des Vertrages vom Jahre 1869, sowie der auf dem Gotthardunternehmen ruhenden Lasten, selbst auf den Fall hin, dass jenes in die Hände der schweizerischen Eidgenossenschaft übergehen sollte. Nachdem nun dieser Fall eingetreten ist, müssen die Vertragswirkungen auch fernerhin eintreten ohne zeitliche Beschränkung, und nur kraft neuer Übereinkunft könnten sie abgeändert oder aufgehoben werden.

Zweite Frage.

Bestehen die Verpflichtungen aus den Artikeln 8, 9, 18, 10 und 15 des alten Vertrages weiter?

Die Frage ist ohne Zweifel zu bejahen.

Hinsichtlich der Artikel 8, 9, 10, 18 ist das in der vorerwähnten bundesrätlichen Botschaft vorri 25. März 1897 ausdrücklich anerkannt worden. Mit Bezug auf Art. 15 verhält es sich gleich, um so mehr, als die in diesem Artikel enthaltenen Bestimmungen gerade den Zweck haben, das Fortbestehen des oben besprochenen Rechtes (droit de suite) festzustellen und zu sichern.

Dritte Frage.

1. Welches wären die Folgen des Weiterbestehens von Artikel 9 und 18 des alten Vertrages für den Betrieb und die Rechnung der Gotthardbahn ?

2. Wie wären die Ertragssätze von 7 % und 8 °/o zu berechnen ?

I.

Der im Jahre 1878 abgeänderte Artikel 9 verlangt: ,,Wenn die Zinsen des Aktienkapitals 8 °/o übersteigen, so ist die Gesellschaft gehalten, zu einer Reduktion der Taxen, und zwar in erster Linie der Zuschlagstaxen, zu schreiten."

428

Und Artikel 18 erklärt: ,,Die Staaten behalten sich einen Anspruch auf Partizipation an den finanziellen Ergebnissen des Unternehmens nur für den Fall vor, wenn die auf die Aktien zu verteilende Dividende 7 °/o übersteigen sollte. In diesem Falle ist die Hälfte des Überschusses als Zins unter die Subventionsstaaten im Verhältnis ihrer Subsidien zu verteilen."

Der Zeit nach kommt normalerweise Artikel 10 zuerst zur Anwendung.

Übersteigt die auf das Aktienkapital zur Ausschüttung gelangende Dividende 7 °/o, so fällt die eine Hälfte des Überschusses den Subventionsstaaten zu, und diese Bestimmung wird allein in Betracht kommen, solange die Dividende 8 % nicht übersteigt.

Nimmt aber der Gewinn des Unternehmens dergestalt zu, dass mehr als 8 % Dividende auf das Aktienkapital verteilt werden kann, so kommt Artikel 9 zur Geltung.

II.

Besteht ein Unterschied zwischen den Ausdrücken ,,Zinsen" in Artikel 9 und ,,Dividende" im ersten Satz des Artikels 18?

Die Frage ist zu verneinen.

Weder in den Vorarbeiten zum Gotthardvertrag noch in den Botschaften, die den Parlamenten (wenigstens in der Schweiz und in Deutschland) vorgelegt wurden, ergibt sich der leiseste Anhaltspunkt dafür, dass durch die Wahl zweier verschiedener Ausdrücke ein materieller Unterschied bezeichnet werden sollte.

Die Gleichstellung beider Wendungen ist um so mehr anzunehmen, als der Artikel 18 nicht von einer von der Gesellschaft beschlossenen Dividende, sondern von der zu verteilenden Dividende spricht, was, ebenso wie der Begriff ,,Zinsen", nicht einen willkürlichen Gesellschaftsbeschluss, sondern das Verhältnis von Gewinn zu Kapital andeuten will.

Der im zweiten Satz des Artikels 18 erwähnte Übersehuss wird ,,Zins" genannt, obschon ihm in Wirklichkeit der Charakter einer Superdividende zukommt.

Anderseits bezeichnet die bereits erwähnte Denkschrift des deutschen Reichskanzlers (Seite 29) das in Artikel 9 ,,Zinsen" genannte Ergebnis als ,,Dividende".

Daraus ist ersichtlich, dass die beiden Ausdrücke hier identisch und ohne Unterschied das eine Mal in diesem, das andere Mal in jenem Sinne angewandt sind.

429

III.

Die beiden Artikel geben zunächst zu folgenden gemeinsamen Bemerkungen Anlass: 1. Für die Berechnung des vorgesehenen Prozentsatzes (7 % und 8 °/o) ist in beiden Fällen nicht der wahre Wert des Unternehmens, sondern allein die Höhe des als solches sowohl in Artikel 9 als in Artikel 18 ausdrücklich erwähnten ,,Aktienkapitals" massgebend.

Mithin verpflichten sie den Bund als Rechtsnachfolger der
2. Weder in Artikel 18 noch in Artikel 9 (ludet sich ein Vorbehalt, wonach die vorgesehenen Leistungen erst dann fällig würden, wenn der sie bedingende Reingewinn eine bestimmte Zeitlang auf der Höhe von 7 % beziehungsweise 8 °/o geblieben wäre.

Dass ein solcher Vorbehalt mit Bezug auf Artikel 18 nicht gemacht worden ist, bleibt verständlich ; denn der sofortigen Auszahlung der Superdividende eines bestimmten Geschäftsjahres steht nichts entgegen. Dagegen hätte sich dieser Vorbehalt bei Artikel 9 wohl gerechtfertigt, und auch ohne eine solche ausdrückliche Vereinbarung wird in der Praxis die Notwendigkeit einer gewissen Stabilität im Tarifwesen unumgänglich dazu führen.

Von dieser materiellen Schwierigkeit abgesehen, lässt sich jedoch die Anwendung von Artikel 9 nicht vermeiden und könnte auch nicht etwa durch den Hinweis auf die Möglichkeit hinausgeschoben werden, dass dem bereits vorliegenden Jahresergebnis, welches «ben diese Anwendung von Artikel 9 mit sich bringt, in Zukunft weniger günstige Ergebnisse folgen könnten. Ein solcher Hinweis könnte nur dann wirksam sein, wenn durch die Umstände die betreffende Möglichkeit beinahe zur Gewissheit gestempelt würde : so z. B. bei Eröffnung einer neuen Alpenbahn, deren Konkurrenz die Rendite der Gotthardbahn voraussichtlich in greifbarem Masse beeinträchtigen müsste.

IV.

Das bisher Erörterte wird wohl als nicht streitig hingestellt ·werden dürfen.

Schwieriger hingegen sind folgende zwei Fragen, die noch zu untersuchen sind, nämlich: Bnndesblatt. 65. Jahrg. Bd. I.

32

430

A. Wie ist der jährliche Reingewinn zu berechnen und festzustellen?

B. Steht Deutschland und Italien in dieser Hinsicht eirt Kontrollrecht zu, und, wenn ja, worin besteht es und wie soü es ausgeübt werden?

Ad A. Berechnung des Reingewinns.

In Gemässheit des oben erwähnten Grundsatzes wird der Bund den Reingewinn genau so zu berechnen haben, wie es die Gotthardbahngesellschaft tun durfte und musste.

Allgemein gesprochen, sind die der Berechnung zu Gründeliegenden Elemente so zusammenzustellen, wie wenn die Gesellschaft noch bestünde. Diese Forderung bezieht sich auf alle Posten der Bilanz und der Jahresrechnungen der Unternehmung..

Es soll also mit Bezug auf Rechnungswesen und Buchführunggenau die gleiche Lage geschaffen werden, wie sie die Gotthardbahngesellschaft vor dem Rückkauf innehatte.

Mit ändern Worten : hinsichtlich Rechnungswesen und Buchführung und für alle Einnahmen und Ausgaben wird das alte Gotthardbahnnetz und dessen Betrieb von allen übrigen Teilen der schweizerischen Bundesbahnen getrennt gehalten. Diese Trennung gilt für alle Ausgaben und Einnahmen, welche die.

ehemalige Gotthardbahn gemeinsam mit ändern Linien betrafen.

2. Anderseits erwähnt Artikel 18, wie bereits oben ausgeführt wurde, nicht die tatsächlich von der Gesellschaft beschlossene, sondern die zu verteilende Dividende. Mithin wollten die Vertragsstaaten die Willkür der Gesellschaft hier nicht walten lassen, sondern gingen davon aus, dass nach Abzug der statthaftenRücklagen der ganze Jahresgewinn für die Berechnung der Superdividende massgebend sein sollte.

Im gleichen Sinne ist Artikel 9 abgefasst.

Es folgt daraus, dass im Sinn und Geist des Vertrages dieBahngesellschaft hinsichtlich der die Höhe des zu verteilenden Reingewinnes beeinflussenden Rücklagen nicht gänzlich freie Hand hatte. Und da der Bund als Rechtsnachfolger diese Lage mitübernommen hat, so empfiehlt es sich festzustellen, wie zur Zeit des Rückkaufs die Gotthardbahngesellschaft bei Aufstellung der Bilanz und der Jahresrechnungen vorzugehen verpflichtet war und tatsächlich vorging.

431

3. Für die Aufstellung der Bilanz und der Jahresrechnung' waren massgebend die Gesellschaftsstatuten, das Bundesgesetz über das Rechnungswesen der Eisenbahnen vom 27. März 1896 und die in Anwendung desselben (Artikel 12, 14 usw.) vom Bundesrate erteilten Weisungen.

DieStatuten der Gotthardbahngesellschaft( Artikel 13)schreiben die Verteilung des ,,Reinertrages der Unternehmung" unter die Aktionäre vor, behalten aber das Recht der Subventionsstaaten vor, für das Subventionskapital die Hälfte des Überschusses vom Reingewinn über 7 °/o des Aktienkapitals hinaus zu erhalten.

Hinsichtlich Jahresrechnungen und Bilanz verweist Artikel 15 auf die gesetzlichen Vorschriften, d. h. auf das erwähnte Bundesgesetz. Was die statutarischen Rücklagen betrifft, so fällt hier die durch Artikel 17, lit. b, zugunsten des Reservefonds vorgesehene Zuteilung weg, weil sie mit dem Tage aufhörte, da der Reservefonds das im nämlichen Artikel festgesetzte Minimum von zwei Millionen Franken erreicht hatte.

Dagegen fällt hier in Betracht der in Artikel 17, lit. a, erwähnte Erneuerungsfonds, derselbe Fonds, den unter dem gleichen Namen das Bundesgesetz über das Rechnungswesen der Eisenbahnen in Artikel 11 für die einer wesentlichen Abnützung unterworfenen Anlagen und Einrichtungen, als : Oberbau, Rollmaterial, Mobiliar und Gerätschaften, vorschreibt.

Die durch Artikel 18, lit. a und b, der Statuten diesem Fonds zugewiesene Bestimmung entspricht vollständig der erwähnten, gesetzlichen Vorschrift.

Die Höhe der jährlichen Einlage in den Erneuerungsfonds ist in Artikel 17, lit. a, der Statuten gegeben.

Die Artikel 13 und 14 des Bundesgesetzes verlangen überdies die Tilgung der ,,Non Valeurs"1 gemäss einem der bundesrä t li eben Genehmigung unterliegenden Amortisationsplane.

Diese Tilgung war zur Zeit des Rückkaufes in vollem Gange, wenigstens hinsichtlich des Bilanzpostens : ,,zu amortisierende Verwendungen". Die Gesellschaft bemühte sich, denselben durch jährliche Einlagen abzuschreiben, deren Beträge das durch den Buûdesratsbeschluss vom 14. April 1885 festgesetzte Minimum von Fr. 200,000 jährlich regelmässig überstiegen.

In der Bilanz der Gesellschaft erscheint als weitere w Non Valeur" der Posten ,,Kursverluste auf Aktien", für welchen noch keine Abschreibungen vorgenommen worden waren.

432

Hinsichtlich des Anlagekapitals hat keinerlei Amortisation stattgefunden.

4. Aus diesen Daten ergeben sich für die Lösung der vorliegenden Frage folgende Schlüsse : a. Für den Erneuerungsfonds wird der Bund die gleichen Einlagen beschliessen können, wie vor ihm die Bahngesellschaft in Gemässheit des Rechnungsgesetzes und innerhalb der durch Artikel 17, lit. a, gezogenen Grenzen. Dabei wird Artikel 18 der Statuten zu beachten sein, deren Bestimmungen, wie bereits bemerkt, den Vorschriften in Artikel 10, Absatz 2, des genannten Gesetzes entsprechen.

6. Den Saldo des Postens ,,zu amortisierende Verwendungen"1 und des Postens ,, Kurs Verluste auf Aktien" darf der Bund tilgen, sei es durch die im Bundesratsbeschluss vom 14. April 1885 vorgesehene jährliche Minimaieinlage, oder sei es in schnellerem Tempo, wie es bereits die Gotthardbahngesellschaft getan.

c. Nach Tilgung der beiden oben erwähnten Nonvaleurposten wird der Bund dem Jahresgewinn nur noch eine Einlage finden Erneuerungsfonds im Rahmen des Gesetzes und der alten Statuten entnehmen können.

Weder aus dem Gesetz noch aus den Statuten könnte er das Recht schöpfen zu ändern Rücklagen, insbesondere behufs Tilgung des Anlagekapitals. Angesichts dieser Rechtslage und der Tatsache, dass die Gesellschaft auf das Anlagekapital keinerlei Abschreibungen vorgenommen hat, ist die Eidgenossenschaft an den Wortlaut der Artikel 9 und 18 des Vertrages vom Jahre 1869 gebunden, welcher den ganzen verfügbaren Reingewinn eines jeden Jahres bezeichnet. Es darf also der Bund vom Reingewinn keinerlei Einlagen machen, um den Rückkaufpreis der Gotthardbahn und die als solchen ausgegebenen Obligationen zu amortisieren. Ebensowenig wird er berechtigt sein, die Einnahmen der Gotthardlinien zur Tilgung der für die Verstaatlichung der schweizerischen Bahnen gemachten Schuld heranzuziehen.

Genauer gesagt: Sollte auch der Bund eine solche Verwen?

düng beabsichtigen, so kann das für die Festsetzung des die Anwendung der Artikel 9 und 18 des Vertrages bedingenden Prozentsatzes nicht in Betracht kommen, sondern die Eidgenossenschaft wird hierzu nur über ihren Anteil verfügen können, wie sich derselbe aus der ordentlichen Dividende und dem der Schweiz als Bahneigentümerin wie als Subventionsstaat zufallenden Teit der Superdividende ergeben wird.

433

Ad S. Ist man befugt, Deutschland und Italien das Kontrollrecht zu bestreiten über die Berechnung des jährlichen Reingewinnes, von dem über eine gewisse Grenze hinaus sowohl die in Artikel 18 vorgesehene Superdividende wie die durch Artikel 9 vorgeschriebene Taxreduklion abhängt?

1. Indem der ßundesrat in seiner Note vom 21. Mai 1897 die Notwendigkeit einer Vereinbarung zwischen den Vertragsstaaten bezüglich Anwendung von Artikel 18 zugab, scheint er anerkannt zu haben, dass diese Frage kaum anders als in bejahendem Sinne beantwortet werden kann.

Und seine Auffassung findet in folgenden Erwägungen eine Stütze : a. Bereits vor dem Rückkauf waren die beiden Nachbarstaaten nicht von jeglichem Kontrollrecht ausgeschlossen : Der Schlussatz des Artikels 11 verpflichtet den Bundesrat, periodische Berichte über die Betriebsergebnisse vorzulegen, und bei dem pekxmiären Interesse der Staaten an diesen Ergebnissen unterliegt es keinem Zweifel, dass diese obligatorische Zustellung des Berichtes für sie ein Prüfungsrecht über das ihnen so Vorgelegte in sich schloss.

Anderseits darf nicht vergessen werden, dass laut Artikel l des Vertrages die Vertragsstaaten sich zur Durchführung des beabsichtigten Unternehmens ,,vereinigt hatten".

Im gleichen Sinne spricht sich aus der bereits erwähnte Bericht der politischen Sektion im Schosse der internationalen Konferenz vom Jahre 1869, welcher die Rechtslage der Schweiz gegenüber den ändern Vertragsstaaten so klar gekennzeichnet hatte. Finden wir doch in demselben sogar den Ausdruck ,,association d'Etatsa (Staatengenossenschaft) zur Bezeichnung der unter den drei Signatarmächten geschaffenen Rechtsgemeinschaft.

Allgemein gesagt, lässt sich kaum leugnen, dass im Vertrag die über die Bahngesellschaft auszuübende Kontrolle als eine zum gemeinsamen Vorteil der drei Subventionsstaaten aufgestellte und durchgeführte Kontrolle aufgefasst und vereinbart wurde.

Daher erscheint es als beinahe überflüssig, zu erwähnen, dass im allgemeinen jede Forderung ein Prüfungsrecht des Gläubigers in sich schliesst hinsichtlich des Bestehens der Bedingungen, von denen das Wirksamwerden der Forderung abhängt.

b. Nun vereinigte sich vor dem Rückkauf das Kontrollrecht, das der Bundesrat in Ausführung des der Schweiz durch Staats-

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vertrag übertragenen Mandats ausübte, mit demjenigen, welches der nämliche Bundesrat kraft unserer autonomen inländischen Gesetzgebung innehatte. Heute aber, da die Schweiz das Bahnaetz zurückgekauft hat und nun die Gotthardbahn als Eigentümerin selbst betreibt, könnte man wirklich behaupten, dass die Kontrolle, zu welcher die beiden ändern Subventionsstaaten berechtigt sind, bei uns wie bisher fortbestehe?

Ist es möglich, von der Konfusion der Rechte und Pflichten abzusehen, die in der Person des Bundes dadurch herbeigeführt worden ist, dass er zu seiner früheren Eigenschaft als kontrollierender Staat die Eigenschaft des zu kontrollierenden Bahneigentümers hinzugesellt hat?

Und wollte man einwenden, es sei mit der Souveränität des Staates unvereinbar, dass er durch andere Staaten kontrolliert werde, so darf man nicht vergessen, dass es sich hier nicht sowohl um die Eidgenossenschaft als souveränen Staat, sondern um den Rechtsnachfolger der Gotthardbahngesellschaft, um die heutige Eigentümerin des Bahnnetzes, handelt. Gegenüber den ändern Subventionsstaaten kann diese aus der Rechtsnachfolge und dem Eigentum am Bahnnetz fliessende rechtliche Eigenschaft doch wohl nicht dadurch ausgemerzt werden, dass der souveräne schweizerische Staat dieselbe auf sich genommen hat.

2. Lässt sich demnach Deutschland und Italien ein Kontrollrecht an sich nicht bestreiten, so fragt es sich, wie weit dasselbe gehen soll.

Hier wiederum findet der bereits erwähnte Grundsatz Anwendung, wonach die Lage aufzufassen ist, wie wenn die Gotfchardbahn noch bestehen würde und wie wenn die bisher von der Schweiz zugunsten der drei Subventionsstaaten ausgeübte Kontrolle aufgehört hätte. Mithin bestimmt sich die den beiden Nachbarstaaten einzuräumende Kontrolle hinsichtlich ihrer Ausdehnung nach den ihnen gegenüber dem Bahnunternehmen zugesicherten Rechten selbst.

Die Kontrolle darf nicht über das unbedingt Notwendige hinausgehen, damit die dazu befugten Staaten sich vergewissern können, dass hinsichtlich der ihnen zugesicherten Vorteile den Artikeln 18 und 9 des Vertrages nachgelebt wird. Aber innerhalb dieser Grenzen erscheint das Kontrollrecht als eine Folge der den beiden Staaten bereits zustehenden Rechte und der neuen Lage, in welche sich die Schweiz dadurch versetzt hat, dass sie das Gotthardnetz zurückgekauft hat und an die Stelle der Bahngesellschaft getreten ist.

435 3. Mangels jeglicher Vereinbarung im Vertrag- vom Jahre 1869 wäre es schwierig, wenn nicht gewagt, hier das weitere näher präzisieren zu wollen.

Zur Not müssten sich die drei Vertragsstaaten über diesen Punkt verständigen. Mit Bezug auf eine eventuell unter ihnen auftretende Meinungsverschiedenheit und die Lösung derselben darf hier auf die Beantwortung der siebenten Frage unten ver·wiesen werden.

Vierte Frage.

Die Erträgnisse der Gotthardbahn belaufen sich, ohne Berechnung' einer Amortisation auf dem Konto für zu amortisierende Verwendungen, gemäss Gutachten der Generaldirektion der schweizerischen Bundesbahnen pro 1909--1912 auf folgende Beträge: 1909 1910 1911 1912 Fr.

Fr.

Fr.

Fr.

4,471,000 5,492,000 6,509,000 6,635,750 Welche Summen müssten für diese Jahre als Partizipation am Gewinne nach Artikel 18 des alten Vertrages den Subventionsstaaten herausbezahlt werden?

Antwort Die in der Frage gegebenen Zahlen entsprechen dem Jahresgewinn nach der zulässigen Einlage in den Erneuerungsfonds, aber vor jeglicher Entnahme zur Tilgung der oben (Fragen 3 und 4) erörterten ,,Non Valeurs".

Nun ist diese Tilgung durchaus berechtigt und soll hier berücksichtigt werden. Einzig der Betrag der entsprechenden Rücklagen bleibt ungewiss.

Wie bereits oben bemerkt, hatte ihr die Gotthardbahngesellschaft von sich aus und in beträchtlichem Masse die vom Bundesrate vorgeschriebene Amortisationsquote erhöht. Der Bund kann ·das gleiche tun. Wie er aber diese Frage löst, bleibt für die Anwendung der Artikel 9 und 18 des Staats Vertrages ohne grosse praktische Bedeutung.

Die zu amortisierenden ,,Non Valeurs" erreichten noch zur Zeit des Rückkaufs die Höhe von Fr. 3,554,620. 78. Nimmt die Eidgenossenschaft die Tilgung rasch vor, so wird die Dividende ·der hierzu beigezogenen Jahre um so niedriger sein, dafür aber wird man eher die Zeit erreichen, wo nach beendigter Tilgung

436 v

der ganze Jahresgewinn für die Anwendung der Artikel 9 und 18 in Betracht kommt.

Schiebt man diesen Zeitpunkt durch langsame Amortisation hinaus, so wird die entsprechende Reduktion der Dividendewährend der Amortisationsperiode umso geringer und demgemäss die zu verteilende Dividende umso höher sein.

In Befolgung des bereits mehrmals ausgesprochenen Grundsatzes wird hier angenommen, dass mit Bezug auf die Tilgung der Bund genau so gehandelt hätte, wie es vor ihm die Bahngesellschaft getan hat. Nun hätte letztere durchaus kein Interesse daran, den Subventionsstaaten eine Superdividende auszurichten. Anderseits müsste ihr daran gelegen sein, aus ihrer Bilanz die ,,Non Valeurs" zu tilgen, bevor ihre Einnahmen unter der Konkurrenz der Lötschbergbahn zu leiden hätten. Es darf daher vorausgesetzt werden, dass die Gotthardbahngesellschaft zugunsten der Aktionäre für die erwähnte Amortisation den ganzen verfügbaren Jahresgewinn über 7 °/o Dividende hinaus verwendet hätte.

Anderseits gibt uns gerade die Summe von Fr. 3,500,000, die einer solchen Dividende von 7 °/o auf das Aktienkapital entspricht, die Grenze, über welche hinaus der weitere Jahresgewinn nach Vorschrift des Artikels 18 zu verteilen ist.

Diese Verteilung nach Artikel 18 sichert den Subventionsstaaten die Hälfte des Überschusses. Es muss daher der Jahresgewinn 9 % des Aktienkapitals erreichen, damit die Aktionäre die Dividende von 8 % erhalten können, von der in Artikel 9 die Rede ist. Hieraus ergibt sich der Betrag von Fr. 4,500,000 als Grenze, über welche hinaus letzterer Artikel Anwendung finden soll.

Gestützt auf diese Daten stellt sich die Rechnung folgendermassen : L Jahrgang 1909.

Reiner Jahresgewinn Dividende von 7 % auf das Aktienkapital Verfügbarer Überschuss

.

.

fr. 4,471,000 ,, 3,500,000 Fr.

971,000

Wird derselbe zur Tilgung der ,,Non Valeurs" verwendet, so sinkt der entsprechende Betrag von Fr. 3,554,620. 78 auf Fr. 3,554,620. 78 -- Fr. 971,000 = Fr. 2,583,620. 78 herab.

437

II. Jahrgang 1910.

Reiner Jahresgewinn Dividende von 7 % auf das Aktienkapital

.

.

Verfügbarer Überschuss

Fr. 5,492,000 ,, 3,500,000 Fr. 1,992,000

Der hierum verminderte Betrag von Fr. 2,583,620. 78 sinkt auf Fr. 591,620. 78 herab.

KL Jahrgang 1911.

Reiner Jahresgewinn Fr. 6,509,000. -- Dividende von 7 % auf das Aktienkapital . ,, 3,500,000. -- Verfügbarer Überschuss

Fr. 3,009,000. --

"Wird zunächst die Tilgung der ,,Non Valeurs" zu Ende geführt

Fr. 3,009,000. -- ,, 591,620. 78

so bleiben Fr. 2,417,379. 22 oder rund Fr. 2,417,380, die nach Artikel 18 zu verteilen sind.

Die Hälfte dieser Summe, Fr. 1,208,690, bleibt der Eigentümerin der Bahn ; die andere Hälfte fallt den Subventionsstaaten zu, und zwar: 58 Italien /ii8 = Fr. 588,300 S0 Deutschland /ii8 = , 320,892 Der Schweiz 28/m = ,, 299,498 Zusammen

Fr. 1,208,690

IV. Jahrgang 1912.

Reiner Jahresgewinn Dividende von 7 %

.

Fr. 6,635,750 ,, 3,500,000

Verfügbarer Überschuss Fr. 3,135,750 Die den Subventionsstaaten zufallende Hälfte beträgt mithin Fr. 1,567,875 und verteilt sich unter sie wie folgt: Italien Fr. 763,125 Deutschland . . . . . . . .

,, 416,250 Schweiz . . , .', 388,500 Zusammen Fr. 1,567,875

438

Kurz, die Schweiz wird den ändern Subventionsstaaten zahlen müssen : pro 1911 Fr. 909,192 pro 1912 ,, 1,179,375 Fünfte Frage.

1. Auf welche Jahresergebnisse ist bei der Frage, ob und in welchem Masse die Taxen im Sinne des Artikels 9 des alten Vertrages herabgesetzt werden müssen, Rücksicht zu nehmen?

2. Erscheinen angesichts der Vorschriften des alten Vertrages und unter Berücksichtigung der massgebenden Verhältnisse die durch den neuen Vertrag zugestandenen Taxreduktionen, welche nach den Berechnungen der Bundesbahnen im Jahre Fr. 975,000 und von 1920 weg Fr. 1,425,000 ausmachen, als gerechtfertigt?

Antwort.

I. Dauer ^d Grenze der Anwendung von Artììcel 9 des Staatsvertrages vom Jähre 1869.

Bekanntlich lautet dieser Artikel: ,,Wenn 'die Zinsen des Aktienkapitals 8 °/o übersteigen, so ist die Gesellschaft gehalten, zu einer Reduktion der Taxen, und zwar in erster Linie der Zuschlagstaxen, zu schreiten.tt Wie bereits oben bemerkt, enthält der Vertrag selbst keine Bestimmungen, wonach die vorgesehene Taxreduktion bis zum Zeitpunkt aufgeschoben werden könnte, wo eine Jahresrendite über Fr. 4,500,000 dank der Erfahrung aus einer Reihe von einander folgenden Jahrgängen als auf die Dauer gesichert erscheinen würde (.vgl. oben dritte Frage, § III, und vierte Frage).

Grundsätzlich soll eine Taxreduktion eintreten, sobald der Jahresgewinn 4Vä Millionen Franken überschreitet. Offenbar setzen die materiellen Verhältnisse dieser Pflicht gewisse Grenzen. Die Bedingung, von welcher sie abhängt, muss tatsächlich vorliegen, und man könnte hier die Schweiz nicht daran hindern, naheliegende und mit Sicherheit zu erwartende Ereignisse, die eine Verminderung der Einnahmen des Gotthardnetzes zur Folge haben werden, zu berücksichtigen. Eine weitere Milderung ergibt sich aus der Notwendigkeit einer gewissen Stabilität im Tarifweaen, aus der Unmöglichkeit, die Tarife von heute auf morgen zu ändern. Andere Grenzen kennt aber der imperative Wortlaut des Artikels 9 nicht.

439 Wie weit soll die Taxreduktioii e r f o l g e n ?

Soweit der Jahresgewinn die Grenze von 4l/z Millionen Franken überschritten hat. Grundsätzlich und nach Massgabe der Verhältnisse soll die Taxreduktion so berechnet werden, dass ·der reine Jahresgewinn des Unternehmens auf diese Grenze zurückgeführt wird. Mit anderu Worten: durch die Anwendung ·-des Artikels 9 verliert die Schweiz jeglichen Gewinn aus der "Gotthardbahn über 4l/z Millionen hinaus.

Sollte einmal diese Wirkung der Taxreduktion nicht völlig ·eintreten und der reine Jahresgewinn 4'/a Millionen Franken übersteigen, so müsste der Überschuss zur Hälfte an die drei Subventionsstaaten, inkl. die Schweiz, ausbezahlt werden. Von dieser Hälfte fielen 85/iia, also etwas über 8/s des Überschusses, Deutschland und Italien zu. Daneben hat unter 4Vs Millionen Franken die Schweiz dea Subventionsstaaten die Hälfte des Überschusses über 3'/a Millionen Franken zu bezahlen. Von ·dieser Hälfte, normal Fr. 500,000, fallen 85/us, d. h. Fr. 376,000, Deutschland und Italien zu.

II. Veryleichung des allen Vertrages mit dem neuen Verh-ag mit Bezug auf diesen Punkt.

Das alles ist zu berücksichtigen, will man angesichts der ·durch den neuen Vertrag vom Jahre 1909 zugestandenen Taxreduk-tion die der Schweiz aus Artikel 9 und 18 des Vertrages vom Jahre 1869 erwachsenden Opfer beurteilen.

Die genaue Berechnung dieser Lasten hängt offenbar ab von der zur Tilgung der ,,Non Valeurs" verwendeten Amortisations·quote. Die obige Berechnung ist von der für die Schweiz günstigsten Voraussetzung, d. h. davon ausgegangen, es würde ·der Bund für die Tilgung allen verfügbaren Reingewinn verwenden, damit die Anwendung der Artikel 9 und 18 hinausgeschoben werde. Es ist festgestellt worden, dass, wenn auch -die Eidgenossenschaft in dieser Weise vorgeht, sie dennoch den beiden ändern Subventionsstaaten wird bezahlen müssen : pro 1911 Fr. 909,192 pro 1912 ,, 1,179,375 Damit ist aber das wirkliche Mass der durch den Vertrag vom Jahre 1869 geforderten Opfer noch nicht gegeben.

Seit dem Ruckkauf blieb die Anwendung dieses Vertrages suspendiert ; sie wird aber doch eintreten müssen, falls der neue

440

Vertrag nicht ratifiziert wird. Will man sich nun von ihrenWirkungen Rechenschaft geben, so rmiss angenommen werden, er wäre bereits auf die Jahrgänge anwendbar, deren Rechnungsabschlüsse uns .ziffernmässig bekannt sind. Hier gibt uns der Jahrgang 1912 gerade die besten Daten. Selbst nach Tilgung der ,,Non Valeurs" ergab der Jahrgang 1911 einen verfügbaren Reingewinn von : Fr. 6,509,000 weniger Fr. 591,620. 78 = Fr. 5,917,379. 22, mithin einen Reingewinn, der die für die Anwendung von Artikel 9 in Betracht kommende Grenze um beinahe l1/2 Millionen überschritt. Die Eidgenossenschaft wäre daher verpflichtet gewesen, eine Taxreduktion durchzuführen, welche, falls richtig bemessen, den reinen Jahresgewinn für 1912 auf 4V2 Millionen Franken zurückgeführt hätte.

Da in Wirklichkeit der Gewinn aus diesem Jahr Fr. 6,635,750 betrug, so hätte die Schweiz infolge Anwendung des Artikels 9 den Überschuss über 4J/2 Millionen, d. h. Fr. 2,135,750 eingebüsst. Von den durch die Taxreduktion nicht angegriffenen 4'/z Millionen hätte sie noch, wie oben festgestellt, den zwei Nachbarstaaten Fr. 376,106 bezahlen müssen. Mit ändern Worten: die Anwendung der Artikel 9 und 18 des Staatsvertrages vom Jahre 1869 auf den Jahrgang 1912 hätte dem Bund ein Gesamtopfer von Fr. 2,135,750 -f Fr. 376,106 = Fr. 2,511,856 gebracht, während im gleichen Jahre die im Vertrage 1909 gemachten Konzessionen für die Eidgenossenschaft eine Verminderung der Einnahmen um Fr. 975,000 zur Folge gehabt hätte..

Wird der aus diesen zwei Zahlen sich ergebende Unterschied sich in der Folge vergrössern oder vermindern?

Die Antwort findet sich irn Bericht der Generaldirektion der schweizerischen Bundesbahnen, auf den hier der Kürze halber verwiesen werden mag.

Aus demselben ergibt sich, dass selbst bei der Konkurrenz des Lötschberges die Einnahmen des Gotthardbahnnetzes die Anwendung von Artikel 9, d. h. die durch denselben vorgesehene, Taxreduktion zur Folge haben werden.

Anderseits lassen die von der Generaldirektion der schweizerischen Bundesbahnen gemachten und von ihr als sehr massig bezeichneten Schätzungen voraussehen, dass vom Jahre 1916 an die Jahreseinnahmen wieder in progressiver Weise zunehmen werden, und das gleiche wird der Fall sein für das der Schweiz durch Artikel 9 auferlegte Opfer. Man darf ja nicht vergessen, dass dieser Artikel keineswegs bloss eine einmalige Reaktion

441

fordert, sondern erneut Anwendung finden soll jedesmal, da der Jahresgewinn wieder 4J/a Millionen Franken übersteigen wird.

Kurz, die Eidgenossenschaft muss sicher durch die Anwendung von Artikel 9 den ganzen Gewinn über 4*/a Millionen Franken einbüssen ; und von dieser Summe wird sie noch Fr. 376,106 an Deutschland und Italien zu bezahlen haben.

Bei dieser Sachlage muss anerkannt werden, dass die durch ·den Vertrag vom Jahre 1909 gemachten Konzessionen nicht übertrieben sind und als annehmbar erscheinen angesichts der Lasten, die uns der Vertrag vom Jahre 1869 bringen würde, falls er zur Anwendung kommen sollte.

Sechste Frage.

Übertragt sich die Verpflichtung des Artikels 10 des alten Vertrages auf die Bundesbahnen, und zwar: a. in bezug auf das Gotthardnetz, b. in bezug auf das übrige Netz der Bundesbahnen ?

Tritt eine Ausdehnung der Meistbegünstigung auf Linien, die nicht zum Gotthardnetz gehören, ein?

Antwort.

I.

Artikel 10 des Vertrages von 1869 lautet wie folgt: ,,Die Gotthardbahngesellschaft ist gehalten, für den Personen·und Gütertransport von, nach und durch Italien den Eisenbahnen der Subventionsstaaten mindestens dieselben Vorteile und Erleichterungen zuteil werden zu lassen, welche sie, sei es ändern Eisenbahnen ausserhalb der Schweiz, sei es irgendwelchen Strecken und Stationen dieser Bahnen, sei es endlich den schweizerischen Grenzstationen, gewähren sollte. Sie darf in keine Kombination mit ändern schweizerischen Eisenbahnen eintreten, durch welche dieser Grundsatz verletzt würde.

,,Insbesondere sollen die Tarifermässigungen, welche die Gotthardbahn zur Belebung des Verkehrs nach, von und durch Italien gewähren möchte, vor ihrer Inkraftsetzung den Regierungen der Subventionsstaaten zeitig mitgeteilt und auf deren Verlangen den konkurrierenden Bahnen und Bezirken auf den nämlichen .Zeitpunkt zugestanden werden."

442

Dieser Artikel entspricht einer Besorgnis, die im Laufe der Verhandlungen vom Jahre 1869 wach wurde und der noch, andere Bestimmungen im Staatsvertrage ihren Ursprung verdanken*).

Im Schosse der Konferenz vom Jahre 1869 war eine zweite Sektion mit der Vorprüfung der Betriebsfragen betraut worden, und auf ihrem Programm stand unter anderem folgende Frage,,Sollen die zu den Vertragsstaaten gehörenden EisenbahnVerwaltungen und Gesellschaften mit Bezug auf die über den, Gotthard geführten Transporte unter einander näher als gegenüber ändern Verwaltungen und Gesellschaften verbunden werden, und wenn ja, in welchem Masse ?tt Im Schosse der Sektion wie der Konferenz selbst wurden von der grossherzoglich badischen Delegation Anträge vorgebracht und empfohlen, wonach für die Transporte nach und von Italien den Eisenbahnen der Subventionsstaaten Begünstigungen eingeräumt werden sollten. Durch diese Begünstigungen wäre diesen Eisenbahnen gleichsam ein Monopol geschaffen worden, wodurch die Konkurrenz anderer Linien und mithin die Freiheit der beteiligten Staaten in der Wahl der ihnen passenden Linien tatsächlich ausgeschlossen worden wäre.

In der bundesrätlichen Botschaft vom 30. Juni 1870 (Bundesblatt 1870, Bd. II, Seite 837) werden die Gründe, die zur Ablehnung dieser Anträge führten, in folgender Weise zusammengefasst : ,,Hinwieder konnten die Delegationen Norddeutschlands, Italiens und der Schweiz auf den von Baden in betreff der Behandlung von Eisenbahnen nicht subventionierender Staaten eingenommenen und in den oben angeführten Anträgen zum Ausdruck gebrachten Standpunkt nicht eintreten. Man hielt eine gänzlicfie Freiheit, den Verkehr über die Alpenbahn vermittelst der auch auf die Bahnen der nicht subventionierenden Staaten ausgedehnten Konkurrenz zu beleben, für vorteilhafter und bestand darauf, dass in der Wahl des Weges, die neue Verkehrsverbindung auszunutzen, jedem kontrahierenden Staate völlige.

Freiheit gelassen werden müsse, indem nur auf diese Weise die wünschenswerte Konkurrenz sich entfalten könne und eine tunlichste Ermässigung der Tarifsätze zu gewinnen sei.""

,,Dagegen", heisst es weiter in der Botschaft ,,hielt man es doch für gerechtfertigt, den Eisenbahnen der Subventionsstaaten; *) Siehe sechste Frage, § III.

443

mindestens dieselben Vorteile und Erleichterungen zu sichern, welche von der Gotthardbahngesellschaft ändern Bahnen ausserhalb der Schweiz, sei es Teilen oder besondern Stationen dieser Bahnen, sei es endlich den schweizerischen Grenzstationen, bewilligt werden sollten, und fügte gleichzeitig Bestimmungen an, welche zum Zweck haben, mögliche Umgehungen dieses Grundsatzes durch die Gotthardbahngesellschaft zu hindern und den subventionierenden Staaten leichte Geltendmachung ihres Rechtes zu ermöglichen.

,,Der Artikel 10 kennt demgemäss keinen Ausschluss von Bahnen solcher Länder, welche nicht Subventionen an die Gotthardbahn übernehmen. Diese letztere kann sich ihrer für den Personen- und Warentransport von, nach und durch Italien nach Belieben bedienen, mit ihnen für diese Transporte in direkten Verkehr treten, ihnen Vorteile und Erleichterungen gewähren.

Dagegen ist sie verpflichtet, die Eisenbahnen der subventionierenden Staaten in allen Beziehungen mindestens gleich günstig zu behandeln, beziehungsweise alle Vorteile und Erleichterungen, welche sie jenen öffnet, auch diesen zu gewähren. Und da diese Verpflichtung dadurch illusorisch gemacht werden könnte, dass die Gotthardbahn Differentialtarife zugunsten schweizerischer Grenzstationen einführen und dann von dort aus im gebrochenen Verkehr die Transporte auf Bahnen nicht subventionierender Staaten übergehen lassen oder sich überhaupt zu einer unzulässigen Begünstigung dieser Bahnen der Vermittlung schweizerischer Bahnen bedienen würde, so wurden nach beiden Seiten hin schützende Bestimmungen aufgenommen und überdies im zweiten Lemma dafür gesorgt, dass die subventionierenden Staaten jeweilen rechtzeitig in die Lage gesetzt werden, für ihre konkurrierenden Bahnen und Distrikte von den ändern Linien zugedachten Er-.

leichterungen Gebrauch zu machen."1 Der hier ausgesprochene Gedanke tritt klar zutage.

Kraft Vertrag ist die Gotthardbahn nicht verpflichtet, hinsichtlich des Personen- und Warentransportes die Linien der Subventionsstaaten gegenüber ändern zu bevorzugen ; aber sie ist in allen Fällen gehalten, diese Eisenbahnen gegenüber den konkurrierenden Linien auf gleichen FUSS zu stellen. Mit ändern Worten, man hat das System der Begünstigung abgelehnt, dafür aber den Grundsatz der Gleichberechtigung aufgestellt. Aber man scheint zugleich
die hieraus der Gotthardbahn erwachsende Verpflichtung in ihrer vollen Tragweite erfasst und gewollt zu haben.

Die Worte, mit welchen die Gesellschaft belastet worden ist,

444

enthalten weder eine Milderung noch einen Vorbehalt. Vielmehr untersagt der Vertrag der subventionierten Gesellschaft, mit ändern schweizerischen Eisenbahnen in irgend eine Kombination einzutreten, durch welche der in Artikel 10 aufgestellte Grundsatz verletzt werden könnte. Und die Abfassung dieses Artikels zeigt, dass man mit diesen Worten jegliche Kombination bezeichnen wollte, durch welche dieses Resultat erreicht würde. Sehliesslich hat die Konferenz noch den Artikel 10 durch einen zweiten Absatz ergänzt, um eben jeglichem Versuch der Gotthardbahngesellschaft, der ihr auferlegten Verpflichtungen zu entgehen, entgegenzutreten.

II.

Aus der gleichen Besorgnis erklärt sich die Annahme und die Fassung des Artikels 15 des Staatsvertrages folgenden Inhaltes: ,,Falls die Konzession der Gotthardbahn auf eine andere Gesellschaft übertragen werden sollte, so muss für diese Übertragung die Genehmigung des Bundesrates eingeholt werden, welcher die Verpflichtung übernimmt, dafür zu sorgen, dass alle Festsetzungen des gegenwärtigen Vertrages vollständig in Kraft verbleiben.

.,Wenn später eine Fusion zwischen den schweizerischen Eisenbahnen und der Gotthardbahn zustande käme, oder wenn von der Gotthardbahn neue Linien erbaut werden sollten, so hätten die Verpflichtungen, welche dieser letzteren obliegen, soweit sie auf den Betrieb Bezug haben, auf die erweiterte Unternehmung ü herzugehen.tt Unter den von der badischen Delegation gestellten Forderungen befand sich ein Antrag, dem sie folgende Fassung gegeben hatte : ,,Gestützt auf die Lage der beiden schweizerischen Gesellschaften, der Zentral- und Nordostbahn, welche in der Kette der dem Gotthardbahnverkehr dienenden Bahnlinien unentbehrliche Glieder bilden, und in Erwägung, dass die Haltung dieser Bahngesellschaften mit Rücksicht auf die für den Verkehr von, nach und durch Italien zu treffenden Massregeln einen durchgreifenden Einfluss auf dessen Entwicklung und Gedeihen ausüben wird, sind die Regierungen der Subventionsstaaten zur Annahme berechtigt, dass in der Organisation des Betriebes und namentlich in der Bestimmung der Tarife für den Transport über den Gotthard die Zentralbahn- und die Nordostbahngesellschaft sich im wesentlichen den Massnahmen anschliessen werden, welche die ändern Eisenbahngesellschaften treffen werden ; dass für den Fall einer Fusion

445 zwischen schweizerischen Bahnen und der Gotthardbahn sämtliche Verpflichtungen letzterer auf die erweiterte Gesellschaft übergehen werden und dass scbliesslich die schweizerische Regierung mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln darauf hinwirken werde, dass die Voraussetzung in billiger Weise verwirklicht werde".

Mit Recht bemerkte die Sektion für Betriebsfragen in ihrem Bericht an die Konferenz vom 8. Oktober 1869, dass der badische Antrag zwei verschiedene Fragen enthält, welche die Sektion getrennt behandelte : ,,Für den Fall einer Fusion schweizerischer Eisenbahnen mit der Gotthardbahn", so lautet der Sektionsbericht, ,,enthält der zweite Teil der badischen Anträge Bestimmungen, welche die Sektion insgesamt für durchaus richtig hält. Wir beehren uns daher, der Konferenz einen Artikel zur Aufnahme in den Vertrag zu empfehlen, welcher auf diese Eventualität, sowie auf den Fall der Ausdehnung des Bahnnetzes infolge Baues neuer Linien Bezug hat. Dieser Artikel würde lauten wie folgt: T Wenn später eine Fusion zwischen schweizerischen Eisenbahnen und der Gotthardbahn zustande käme oder wenn von der Gotthardbahngesellschaft neue Linien erbaut werden sollten, so hätten die Verpflichtungen, welche dieser letztern obliegen, soweit sie auf den Betrieb Bezug haben, auf die erweiterte Unternehmung überzugehen".

Unten wird sich Anlass bieten, auf die Ausführungen zurückzukommen, welche der genannte Sektionsbericht dem ersten Teil der badischen Anträge widmet.

Hier ist es nicht uninteressant, hinsichtlieh des zweiten Teiles zu bemerken, dass der Ausschuss dessen Wortlaut insofern abgeändert hat, als er den Ausdruck ,,erweiterte Bahngesellschaft" durch die Bezeichnung ,,erweiterte Unternehmung" ersetzt hat, ohne dass der erwähnte Bericht über den Ursprung und den Grund dieser Abänderung irgendwelchen Anhaltspunkt gäbe.

Der Antrag der Sektion wurde in der zehnten Konferenzsitzung ohne Einspruch und ohne jegliche Bemerkung angenommen und steht heute als Artikel 15, Absatz 2, im Vertrag. Der erste Absatz -des nämlichen Artikels wurde am gleichen Tage angenommen, und zwar auf Antrag der politischen Sektion.

III.

Hier tritt an den Bund als Nachfolger der Gotthardbahngesellschaft die Frage heran : Bundesblatt. 65. Jahrg. Bd. I.

33

446

1. Steht der Rückkauf einer Fusion gleich im Sinne von Artikel 15, Absatz 2 ?

2. Welches ist Sinn und Tragweite des in diesem Absatz enthaltenen Ausdruckes ,,erweiterte Unternehmung"?

Ad 1. Zu Artikel 15 bringt die bundesrätliche Botschaft vom 30 Juni 1870 folgende Ausführungen: ,,Es scheint, und wohl nicht mit Unrecht, eher eine Schwächung als eine Stärkung der Garantien zugunsten der kontrahierenden Staaten zu sein, wenn vorbehalten wird, dass die Stipulationen des internationalen Vertrages bei einer Übertragung der Konzession an eine andere Gesellschaft oder bei einer allfälligen Fusion derGotthardbahn mit ändern schweizerischen Bahnen unverändert haften bleiben, umsomehr, als ein Fall ganz ausser acht gelassen ist, derjenige nämlich, wo die Kantone oder der Bund die Bahn durch Rückkauf an sich ziehen.

,,Die Schweiz anerkennt den Grundsatz als selbstverständlich, und wir nehmen keinen Anstand, zu erklären, dass auch der Rückkauf der Bahn durch die Kantone oder den Bund die durch den Vertrag übernommenen Verpflichtungen betreffend den Betrieb der Gotthardbahn nicht aufhebt noch alteriert."

Obschon in diesen Ausführungen die Klarheit der Kürze geopfert worden ist, kann wohl hinsichtlich des zum Ausdruck gebrachten Gedankens kein Zweifel herrschen. Der Bundesrat ging davon aus, dass die Verpflichtungen, welche auf der Unternehmung lasten, an derselben haften sollen, in wessen Hände sie auch übergehen möge. Daher -- so scheint es ihm -- hat Artikel 15 die den Vertragsstaaten gegebenen Garantien eher geschwächt als verstärkt dadurch, dass er nur zwei konkrete Fälle erwähnt (die Übertragung der Konzession an eine andere Gesellschaft und die Fusion mit ändern Bahnen).

Und daher fügt er auch sofort hinzu, dass selbst für den Fall des Rückkaufs (und obschon Artikel 15 denselben nicht ausdrücklich erwähnt) die durch den Vertrag festgesetzten Verpflichtungen voll und ganz weiterbestehen werden.

Mit ändern Worten : Ohne die beiden Fälle ,,Rückkauf" und ,,Fusion" miteinander zu verschmelzen, hält doch der Bundesrat dafür, dass beide eng miteinander verbunden und in gleicher Weise von der quasi dinglichen Natur der auf dem Gotthardunternehmen ruhenden Lasten beherrscht sind.

Die bundesrätliche Botschaft zum neuen Gotthardvertrag vom 9. November 1909 gelangt auch praktisch zu demselben Schluss,

447

obschon der hier befolgte Gedankengang ein anderer ist, indem Rückkauf und Fusion als identisch dargestellt werden.*) Ist diese Identifizierung gerechtfertigt?

Man könnte es bezweifeln, wenn die beiden Ausdrücke ,,Fusion" und ,,Rückkauf" in ihrem engen, juristischen Sinne genommen werden. Allein die Frage stellt sich hier nicht sowohl vom Standpunkte theoretischer Erörterung als vielmehr im Hinblick auf den Willen der Vertragsparteien.

Indem sie die in Betracht kommenden Möglichkeiten mit Rücksicht auf das materielle Ergebnis ins Auge gefasst haben, gingen die Unterhändler im Jahre 1869 davon aus, dass sämtliche Möglichkeiten in den zwei im Vertrag erwähnten Fällen enthalten seien : In dem einen Fall behält die Gotthardbahn mit dem ursprünglichen oder einem durch die Gesellschaft selbst erweiterten Netze ihre Individualität, wie auch der Inhaber heissen möge, und bleibt unabhängig und getrennt von ändern Bahnunternehmungen.

Im zweiten Falle hingegen verschwindet die Bahngesellschaft, weil sie mit anderen in einer höheren Eisenbahneinheit aufgeht,, deren Netz das ihrige in sich schliesst.

Dieses Ergebnis bezeichnet Artikel 15, indem er von einer ,,Fusion" spricht, ,,die später zwischen schweizerischen Bisenbahnlinien und der Gotthardbahn zustandekomme". Und von diesem Gesichtspunkt aus muss sowohl zugegeben werden, dass die Verstaatlichung der schweizerischen Bahnen genau das hier vorausgesehene Resultat gezeitigt hat, indem sie die Gotthardbahn mit anderen Bahnen in einer höheren Eisenbahneinheit hat aufgehen lassen und deren Netz im verstaatlichten Netz absorbiert hat.

Wie dem auch sei, das praktische Ergebnis bleibt dasselbe.

Ob man den Rückkauf einer Fusion gleichstellt oder nicht, so sind durch denselben in jedem Fall die auf dem Gotthardunternehmen ruhenden Lasten auf den Bund übergegangen, und Artikel 15 findet auf die Eidgenossenschaft Anwendung, ebenso wie die übrigen Vertragsbestimmungen.

Es bleibt daher nur noch die Frage, wie weit ,,die der Gotthardbahn obliegenden Verpflichtungen" auf den Bund ,,übergegangen" sind. Das fuhrt uns zur Prüfung der zweiten der oben gestellten Fragen.

*) ,,Die Verstaatlichung der Gotthardbahn bildet tatsächlich nichts anderes als eine Vereinigung des Unternehmens mit den schweizerischen Bundesbahnen, also eine Fusion." (Bundsblatt 1909, Bd. V, S. 144.)

448

Ad 2. Welches ist die Bedeutung des Ausdruckes ,,erweiterte Unternehmung", dem man in Artikel 15, Absatz 2, des Vertrages begegnet?

Zwei Deutungen scheinen hier möglich : a. Der Ausdruck ist gleichsam in subjektivem Sinne auszulegen als Bezeichnung der Rechtspersönlichkeit der durch die ,,Fusion entstehenden" Gesellschaft. Mit ändern Worten : Artikel 15, Absatz 2, bedeutet, dass im Falle einer Fusion die der Gotthardbahn obliegenden Verpflichtungen auf deren Rechtsnachfolger übergehen.

b. Der fragliche Ausdruck ist in objektivem Sinne aufzufassen und bezeichnet materiell die Unternehmung als solche. Mithin bedeutet Artikel 15, Absatz 2, dass im Falle einer Fusion die neue Unlernehmung insgesamt mit den Pflichten belastet wird, welche bisher auf dem Gotthardbahnunternehmen hafteten.

Die praktische Bedeutung dieses Unterschiedes leuchtet ein.

Ist die erste Auslegung richtig, so scheint wohl der Rechts-nacbfolger der Gotthardbahngesellschaft als mit den Verpflichtungen des Rechtsvorgängers behaftet. Allein er hat sie mit übernommen und ist durch sie gebunden lediglich mit Bezug auf das 'Goithardbahnnetz.

Wird der zweiten Auslegung der Vorzug gegeben, so erstrecken sich die auf der Gotthardbahn ruhenden Lasten auf das ·erweiterte Netz, welches die Fusion zu einem einheitlichen Unternehmen vereinigt hat.

Wo liegt die Wahrheit?

Genaue Auskunft hierüber geben weder der Wortlaut des Artikels 15 noch die Protokolle der Konferenz vom Jahre 1869.

Auf den ersten Blick wäre man zur Ansicht geneigt, dass der Vertrag den Ausdruck ,,Gesellschaft" braucht, wenn es sich darum handelt, die mit dem Unternehmen betraute juristische Person zu bezeichnen*). Allein dieser Annahme steht von vornehereiri Artikel 14 des Vertrages entgegen**), wo der Ausdruck ,,Unternehmung" zweifellos die Bahngesellschaft als juristische *) Artikel l, Absatz 4 und 5 ; Artikel 7, Absatz 2 ; Artikel 9 ; Artikel 11, Absatz 2; Artikel 15, Absatz 2; Artikel 19.

**) Dieser Artikel lautet : ,,Die Gesellschaft kann an ihrem Gesellschaftssitz belangt werden. Wenn zwischen der Eidgenossenschaft und der Gotthardunternehmung Streitigkeiten zivilrechtlicher Natur entstehen, so sind diese durch das Bundesgericht zu regeln".

Siehe ferner Artikel 10, Absatz 2, wo der Ausdruck ',,Gotthardbahn" unzweifelhaft die Bahngesellschaft bezeichnet.

449 Person bezeichnet. Ja noch mehr : Gerade aus dem Umstand, dass in diesem Artikel 14 die Ausdrücke ,,Gesellschaft" im ersten Absatz und ,,Unternehmung"1 im zweiten Absatz genau dasselbe bezeichnen, darf gefolgert werden, dass es ohne Absicht geschah, wenn man beide Ausdrücke als gleichbedeutend angewendet hat und dass daher die Verwendung des einen statt des ändern zu keinen Schlüssen berechtigt.

Der in Artikel 15, Absatz 2, genannte Ausdruck heisst, ,,erweiterte Unternehmung" und nicht ,,erweitertes Netz". An sich sind diese Ausdrücke nicht, identisch, und es wäre ein leichtes, die Gleichstellung derselben zu bekämpfen, wenn in Artikel 15, Absatz 2, nur von einer eventuellen Fusion die Rede wäre.

Aber dieser Artikel erwähnt auch die Möglichkeit einer Erweiterung des Gotthardbahnnetzes infolge Baues neuer Linien durch die Gesellschaft selbst, und auf diesen Fall wendet er in gleichen Worten die gleiche Bestimmung an, nämlich, dass ,,die dieser letzteren (d. h. der Gesellschaft) obliegenden Verpflichtungen auf die erweiterte Unternehmung übergehen würden". Hier hat unbestreitbar der Ausdruck ,,erweiterte Unternehmung" den objektiven Sinn, der ihm nach der zweiten der oben erwähnten Auslegungen zukommt.

Durch ihn wird nicht die Rechtspersönlichkeit der Gesellschaft bezeichnet, da dieselbe trotz des Baues neuer Linien die nämliche bleibt. Hier kann der Ausdruck nur einen Sinn haben, wenn er sich auf das Netz bezieht. Mit ändern Worten : hier heisst ,,erweiterte Unternehmung" nichts anderes als ,,erweitertes Netz". Und ist dem so, so fällt es schwer, den gleichen Ausdruck anders auffassen zu wollen hinsichtlich der Fusion, auf die er auch Bezug hat, und zwar in dem gleichen, einzigen Satz, der diese beiden Möglichkeiten gleich behandelt.

Man wird vielleicht einwenden, dass wenn wirklich Artikel 15, Absatz 2, die der Gotthardbahngesellschaft obliegenden Verpflichtungen auf das ganze Netz der schweizerischen Bundesbahnen ausdehnen würde, diese Ausdehnung mit Bezug auf alle Verpflichtungen der Gesellschaft zu erfolgen hätte, da ja der Vertrag in dieser Hinsicht keinerlei Unterschied macht. Demnach wäre das ganze Netz der Bundesbahnen mit der Verpflichtung aus Artikel 9, die Taxreduktion betreffend, sowie aus Artikel 18, die eventuelle Superdividende an die Subventionsstaten betreffend, belastet. Nun
wäre ein solcher Schluss derrnassen widersinnig, dass niemand auch nur daran gedacht hat und dessen Ungereimtheit an sich allein die dazuführende Interpretation widerlegt.

450

Durchaus richtig ist, dass man daran weder gedacht hat noch denken kann, die Anwendung der Artikel 9 und 18 auf das gesamte Netz der Bundesbahnen auszudehnen. Um das anzuerkennen, ist man aber nicht genötigt, die hier besprochene Interpretation als unrichtig aufzugeben.

Von vorneherein fällt Artikel 18 ausser Betracht, weil er nicht auf den Betrieb, sondern nur auf die Verwendung des Reingewinnes Bezug hat. Und was Artikel 9 anbetrifft, so liegt der Grund der Nichtverwendbarkeit in der Unmöglichkeit der gleichen Behandlung und der gleichen Berechnung mit Rücksicht auf Bahnnetze, deren Verhältnisse in finanzieller Hinsicht vollständig auseinander gehen.

Wenn die in Artikel 9 und in Artikel 18 erwähnte Dividende auf Grundlage des blossen Aktienkapitals der Gotthardbahn berechnet wird, so liegt der Grund darin, dass eben über dieses Kapital hinaus die Gesellschaft von den beteiligten Staaten eine Subvention von 113 Millionen Pranken erhalten hat, welche ihr unter den schweizerischen Bahnen eine bevorzugte, ganz eigenartige Stellung sicherte. Für letztere könnte die Berechnung nur auf Grundlage des gesamten Anlagekapitals, mithin heute des vollen Rückkaufpreises erfolgen. Wollte man eine solche Berechnungsweise auf die Gotthardbahn anwenden, so würden die Subventionsstaaten daran verlieren und wären einspruchsberechtigt, mit dem Hinweis darauf, dass der Rückkauf der Gotthardbahn und deren Einverleibung in das gesamte Netz der schweizerischen Bundesbahnen die durch den Vertrag vom Jahre 1869 den Subventionsstaaten gesicherten Vorteile in keiner Weise schmälern dürfen.

Kurz, die erörterte Frage könnte bestritten bleiben, wenn es sich nur darum handelte, den Ausdruck ,,erweiterte Unternehmung1' im blossen Wortlaut des Artikels 15, Absatz 2, des Vertrages auszulegen.

Allein, die Frage hat eine andere Seite, und hier lässt die Vorgeschichte des Staatsvertrages einen höheren Gesichtspunkt in den Vordergrund rücken, von dem ganz zu abstrahieren nicht möglich erscheint.

Aus den Verhandlungen vom Jahre 1869 erhellt nämlich, dass Artikel 15 nicht für sich allein diskutiert und angenommen worden ist, sondern dass er mit Artikel 10 einer allgemeinen Auffassung entspringt, die noch in anderen Vereinbarungen ihren Ausdruck gefunden hat und die man nicht mit Stillschweigen übera;ehen darf.

451 Wie oben bemerkt (Frage 6, § I), hatte im Schosse der Konferenz der Ausschusa für die Betriebsfragen zu untersuchen, ,,ob es nicht angezeigt wäre, die zu den Vertragsstaaten gehörenden Eisenbahnverwaltungen und Gesellschaften mit Bezug auf die über den Gotthard geführten Transporte untereinander näher zu verbindena. 'Mit Bezug auf diese Frage waren unter anderen seitens der badischen Delegation Anträge gestellt worden, wodurch ein auf dem Grundsatz der Bevorzugung beruhender Verband geschaffen werden sollte.

Von vornherein nahm der Ausschuss einige dieser Anträge an, und in der ihnen bei dieser Gelegenheit gegebenen Fassung wurden letztere von der Konferenz (Sitzung vom 2. und 4. Oktober 1869) als Artikel 7 des Vertrages angenommen.

Mit Bezug auf die Tarife wurde bekanntlich vom Ausschuss wie von der Konferenz an Stelle des beantragten Prinzips der Bevorzugung dem in Artikel 10 des Vertrages ausgesprochenen Prinzip der Gleichstellung der Vorzug gegeben. Hier empfiehlt es sich, auf den seitens der badischen Delegation in der siebenten Sitzung der Konferenz vorgelegten Antrag zurückzukommen, der folgendermassen lautet : ,,Gestützt auf die Lage der beiden schweizerischen Gesellschaften, der Central- und der Nordostbahn, welche in der Kette der dem Gotthardverkehr dienenden Bahnlinien unentbehrliche Glieder bilden, und in Erwägung, dass die Haltung dieser Bahngesellschaften mit Rücksicht auf die für den Verkehr von, nach und durch Italien zu treffenden Massregeln einen durchgreifenden Einfluss auf dessen Entwicklung und Gedeihen ausüben wird, sind die Regierungen der Subventionsstaaten zur Annahme berechtigt, dass in der Organisation des Betriebes und namentlich in der Bestimmung der Tarife für den Transport über den Gotthard die Centralbahn- und die Nordostbahngesellschaft sich im wesentlichen den Massnahmen ansehliessen werden, welche die anderen Eisenbahnverwaltungen treffen werden; dass für den Fall einer Fusion zwischen schweizerischen Eisenbahnen und der Gotthardbahn sämtliche Verpflichtungen letzterer auf die erweiterte Gesellschaft übergehen werden, und dass schliesslich die schweizerische Regierung mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln darauf hinwirken werde, dass diese Voraussetzung in billiger Weise verwirklicht werde.tt Der Sinn dieser Ausführungen lässt sich kurz zusammenfassen wie fotet:

452 Will man wirklich ,,eine möglichst . . . wohlfeile Beförderung . . . über die Gotthardbahn zu veranstalten suchen", wie es die Konferenz in Artikel 7, Absatz l, des Vertrages beschlossen hat, so genügt hierfür die durch Artikel 10 hinsichtlich des Gotthardbahnnetzes gesicherte Gleichstellung nicht. Letztere Vereinbarung kann ganz illusorisch werden, wenn die nämliche Gleichbehandlung auf den dazwischenliegenden Eisenbahnen nicht gehandhabt wird.

Hierfür muss etwas vereinbart werden mit Bezug auf die Centralund die Nordostbahn, welche gerade ,,in der Kette der dem Gotthardverkehr dienenden Eisenbahnen unentbehrliche Glieder bilden", ebenso wie für den Fall einer Fusion der Gotthardbahn mit ändern schweizerischen Bahnen.

Bekanntlich hat die Konferenz durch Annahme des Artikels 15 den zweiten Teil des badischen Antrages gutgeheissen. Aus dein Wortlaut desselben erhellt, dass die in Artikel 15 liegende Garantie auf die ,,Organisation des Betriebes und namentlich auf die Bestimmung der Tarife für den Transport über den Gottharda Bezug hatte. Mit ändern Worten: Es tritt klar zutage, dass die Vorschriften des Artikels 15 in engem Zusammenhange mit denjenigen des Artikels 10 erdacht und vereinbart worden sind, und dass Zweck und Berechtigung ersterer darin liegen, dass durch sie die Anwendung und die Wirksamkeit letzterer in allen Fällen gesichert sind.

Um nun auf den ersten Teil der badischen Anträge zurückzukommen, so steht es fest, dass der Antrag vom Jahre 1869 die Central- und die Nordostbahn mit keiner Silbe erwähnt.

Soll daraus gefolgert werden, dass der badische Vorschlag einfach und ohne weiteres abgewiesen worden ist?

Zu diesem Schluss ist man durch die Arbeiten der Konferenz nicht berechtigt; besonders angesichts des gleich an die Spitze des Artikels 7 gestellten Grundsatzes. Die Haltung der Konferenz erklärt sich vielmehr aus der damaligen politischen Lage.

Es war im Jahre 1869.

Neben der schweizerischen und der italienischen Delegation sassen in der Konferenz Vertreter des Grossherzogtums Baden, des Königreiches Württemberg und des Norddeutschen Bundes.

Grundsätzlich war die Schweiz dem badischen Antrag nicht; abgeneigt, allein sie verlangte Reziprozität seitens der badischen und württembergischen Bahnen, mit dem Hinweis darauf, dass ,,letztere ebenfalls Glieder bildeten in der Kette für den Verkehr

453 zwischen Norddeutschland und Italien"·*). Sie betonte vornehmlich, dass ohne diese räumliche Ausdehnung des geforderten Gleichstellungssystems der verfolgte Zweck mit Bezug auf Norddeutsehland nicht erreicht würde.

Der Norddeutsche Bund war ebenfalls zur Annahme des badischen Antrages bereit, unter der Bedingung, dass man den norddeutschen Eisenbahnen ,,die freie Wahl der Zugangslinien zum Gotthard" vorbehalte, und wie natürlich auch dieser Vorbehalt erscheint (wenn man bedenkt, dass damals Bayern dem Vertrag fern blieb),, so stiess er doch auf Widerstand seitens der badischen Vertreter.

Seit dieser Zeit ist die Lage eine ganz andere geworden.

Durch den Beitritt des Deutschen Reiches zum Gotthardvertrag im Jahre 1871 ist Deutschland insgesamt Subventionsstaat und sind sämtliche deutsche Eisenbahnen des durch Artikel 10 gesicherten Vorteils teilhaftig geworden. Die Zwischenglieder in der Kette reichen nicht mehr bis zur Mainlinie, sie bestehen nur noch zwischen Luzern und der schweizerischen Nordgrenze.

Wichtiger noch sind die Folgen der Verstaatlichung der schweizerischen Eisenbahnen. Dank derselben ist der Bund nämlich zu gleicher Zeit: a. Rechtsnachfolger der Gotthardbahn ; b. Vertragspartei unter den Signatarmächten des Vertrages vom Jahre 1869; c. Eigentümer der Zwischenglieder, als welche die Linien der ehemaligen Centralbahn und Nordostbahn erscheinen.

Ad a. Als Nachfolger der Gotthardbahngesellschaft hat der Bund die Verpflichtungen letzterer übernommen und ist mit denselben in der gleichen Weise wie seine Vorgängerin belastet.

Nicht nur hat er die Pflicht, ,,für den Personen- und Gütertransport von, nach und durch Italien" den italienischen und deutschen Eisenbahnen die durch Artikel 10 verlangte Gleichbehandlung zu gewähren, sondern er darf ,,in keine Kombination mit ändern schweizerischen Eisenbahnen eintreten, durch welche dieser Grundsatz verletzt würde'1 (Artikel 10, Absatz 1).

Ad b. Als Signatarmacht im Vertrag vom Jahre 1869 ist die Schweiz weiterhin verpflichtet, ,,ihre Anstrengungen dahin eintreten zu lassen, so viel wie möglich, in Berücksichtigung des *) Dritter Bericht des Ausschusses für die Betriebsfragen, vorgelegt in der Sitzung vom 8. Oktober 1869.

454 gemeinsamen Interesses, den Verkehr zwischen Deutschland und Italien zu erleichtern, zu welchem Zwecke sie eine möglichst . . .

wohlfeile Beförderung . . . über die Gotthardbahn zu veranstalten suchen wird" (Artikel 7, Absatz 1).

Ad c. Vor dem Rückkauf gehörten die ,,unentbehrlichen Zwischenglieder" Eisenbahngesellschaften, welche von der Gotthardbahngesellschaft vollständig getrennt und unabhängig waren.

Für den Fall, dass die Centralbahn oder die Nordostbahn die deutschen und italienischen Bahnen anders als die der übrigen Länder behandelt hätte, so lag das der Gotthardbahngesellschaft fern, und sie konnte hierfür keineswegs verantwortlich gemacht werden, solange sie in keine Kombination eintrat, woraus sich diese ungleiche Behandlung ergab. Sollte aber heute eine derartige ungleiche Behandlung auf dem Netze der ehemaligen Centralbahn oder Nordostbahn zutage treten, so könnte sie nur das Werk des Bundes selbst-sein; des Bundes, der als Nachfolger der Gotthardbahn die Verpflichtung aus Artikel 10 übernommen hat und jegliche Kombination mit ändern schweizerischen Eisenbahnen unterlassen soll, dank welcher die Vorschriften dieses Artikels illusorisch werden könnten; des Bundes, der durch den Vertragsabschluss sich als solcher verpflichtet hat (Artikel 7), alles zu tun, was an ihm liegt, um auf der Gotthardbahn den möglichst billigen Transport zu veranstalten, und der ganz allgemein die Verpflichtung übernommen hat, ,,alle seine Anstrengungen dahin eintreten zu lassen, so viel wie möglich,_ in Berücksichtigung des gemeinsamen Interesses, den Verkehr zwischen Deutschland und Italien zu erleichtern "·.

Es wäre ein eitler Versuch, der hier in der Person der Eidgenossenschaft zutage tretenden Vereinigung von Pflichten hinsichtlich unserer internationalen Verbindlichkeiten jegliche Tragweite bestreiten zu wollen.

Hier soll nicht untersucht werden, ob die im zweiten Satz des Artikel 10 enthaltene Verpflichtung bereits dadurch verletzt würde, dass die Gotthardbahn einem System einverleibt wäre, kraft dessen der Bund als Eigentümer des Zwischennetzes auf diesem eine ungleiche Behandlung eintreten liesse, wodurch die Vorschrift des Artikel 10 illusorisch werden müsste.

Zur Bejahung dieser Frage würde es genügen, die bereits erwähnte bundesrätliche Botschaft vom 30. Juni 1870 anzurufen*), findet man doch darin die bestimmte Erklärung, dass die Ver*) Siehe Frage 6, § I.

455 iragsstaaten durch Schutzmassregeln die Gotthardbahngesellschaft verhindern, wollten, sich der ändern schweizerischen Bahnen als Mittel zu bedienen, um der durch Artikel 10 festgesetzten Verpflichtung zu entgehen. Und in der Tat würde gerade dieses Resultat vorliegen, wenn durch eine auf dem Zwischennetz zugelassene ungleiche Behandlung die Schweiz den ändern Snbventionsstaaten einen durch Artikel 10 gesicherten Vorteil praktisch rauben würde.

Aber abgesehen von dieser Erwägung kann hier unmöglich der Grundsatz unbeachtet bleiben, dass Treu und Glauben dem Schuldner nicht gestatten, mit der einen Hand zu vereiteln, was er mit der anderen zu tun verpflichtet ist. Wäre die Eidgenossenschaft nur Rechtsnachfolgerin der Gotthardbahn, so könnte sie wohl kaum daran denken, ihre Eigenschaft als Eigentümerin des Zwischennetzes zu benutzen, um die ihr aus Artikel 10 erwachsende Verpflichtung zunichte zu machen. Dies würde ihr um soschwerer fallen angesichts der Verpflichtung, · die sie selbst als Staat im Artikel 7, Absatz l, des Vertrages vom Jahre 1869 unterzeichnet hat.

Die Schwierigkeit wäre um so grösser, als -- man darf wohl daran erinnern -- die Schweiz von jeher bestrebt war, bei Auslegung und Erfüllung ihrer internationalen Pflichten die weitgehendste Loyalität walten zu lassen, und zwar so, dass sie eher über die Grenze des hierin erforderlichen zu gehen geneigt war, um nicht hinter derselben zurückzubleiben.

Fragt man nun, wie ein gegebenen Falles hierzu berufenes Schiedsgericht urteilen würde, so stellen sich der Beantwortung dieser Frage so viele Schwierigkeiten entgegen, dass hier nur für allgemeine Vermutungen Raum bleibt. Zuzugeben ist, dass in zwischenstaatlichen Verhältnissen die wörtliche Auslegung der Verträge geübt wird, und dass, gleich wie im Privatrecht angenommen wird, es solle im Zweifel gegen den ein Recht beanspruchenden Kläger und zugunsten der Freiheit dp'jenigen Partei entschieden werden, zu deren Lasten eine Verpflichtung behauptet wird. Allein, hier wie überall, machen sich immer mehr die Forderungen von Treu und Glauben geltend. Mau wird den gemeinsamen Willen der Vertragsparteien sowie den beabsichtigten Zweck zu Rate ziehen und von zwei möglichen Auslegungen kaum Anstand nehmen, der weiteren den Vorzug zu geben, wenn die andere die Gefahr bietet, gegebenenfalls die Wirkung und den praktischen Wert der betreffenden Vereinbarungillusorisch zu machen.

456

Bis jetzt war nur von den schweizerischen Zufahrtslinien zum Gotthard die Rede.

Nun ist aber die gleiche Frage denkbar, wenn nicht für das gesamte Netz der schweizerischen Bundesbahnen, so doch hinsichtlich derjenigen Alpenlinien, die seit dem Bau der Gotthardbahn dem internationalen Verkehr eröffnet worden sind oder noch eröffnet werden können. Zum Unterschied von der Centralbahn und der Nordostbahn ist letzterer in den Protokollen von 1869 keinerlei Erwägung getan. Damals war eben davon noch nicht die Rede. Allein, trotz dieses Unterschiedes, können die eben dargestellten Erwägungen auch hier nicht ganz unbeachtet bleiben.

Es kann nicht bestritten werden, dass die Signatarmäcbte den Gotthard vertrag abgeschlossen haben, ,,so viel wie möglich in Berücksichtigung des gemeinsamen Interesses den Verkehr zwischen Deutsehland und Italien zu erleichtern". Ihnen genügt es nicht, im ersten Satz des Artikels 7 ausdrücklich zu erklären, sie verpflichteten sich" förmlich .,,ihre Anstrengungen dahin eintreten zu lassen"1. Die auf die Gotthardbahn bezüglichen Vereinbarungen wurden getroffen als Mittel zu diesem allgemeinen Zweck, welcher unabhängig als solcher proklamiert worden ist. Diese Erklärung, diese Verpflichtung, unter welche die Schweiz ihre Unterschrift gesetzt hat, wären kaum vereinbar mit Begünstigungen, welche sie (z. B. auf der Simplonbahn") anderen Staaten.

gewähren würde; denn die ökonomischen Wirkungen solcher Begünstigungen hätten indirekt aber ganz sicher zur Folge, den Verkehr zwischen Deutsehland und Italien zu schwächen und zu hemmen, während der Bund sich ausdrücklich verpflichtet hat, ,,alle seine Anstrengungen eintreten zu lassen, so viel als möglich diesen Verkehr zu erleichtern"1.

IV.

Aus den vorstehenden Erörterungen dürften sich als Antwort auf die oben gestellte Frage folgende Schlüsse ergeben : 1. Als Rechtsnachfolger der Gotthardbahn ist der Bund mit der Verpflichtung behaftet, welche jener durch Artikel 10 des Vertrages auferlegt war.

2. Diese Verpflichtung hat er unzweifelhaft mit Rücksicht auf das Gotthard bahnnetz.

3. So erscheint es als kaum möglich, dass angesichts der Artikel 7, Absatz l, und Artikel 15 des Vertrages der Bund die Verpflichtung verkenne, die durch Artikel 10 geforderte Gleich-

457 behandlung auch auf dem Netze der ehemaligen Centralbahn und Nordostbahn '.valten zu lassen.

4. Hinsichtlich der ändern zum Netz der schweizerischen Bundesbahnen gehörenden Linien, welche dem internationalen Verkehr durch die Alpen bereits geöffnet sind oder noch eröffnet werden, darf die nämliche Behauptung aufgestellt werden, wenn nicht mit dem gleichen Nachdruck, so doch auf Grund von Erwägungen, die umso schwerer wiegen, als ihnen die Loyalität zu Grunde liegt, welche die Schweiz bei Erfüllung ihrer internationalen Pflichten sich stets zur Ehre gemacht hat.

Siebente Frage.

Könnte sich die Schweiz bei Meinungsverschiedenheiten über
Antwort.

Die Beschlussfassung über den Antrag ein.es anderen Staates, ein Schiedsgericht einzustellen, ist wesentlich eine Frage der Staats- und Regierungspolitik.

Und doch hat diese Frage eine juristische Seite, und aus diesem Gesichtspunkt sind folgende Erwägungen beachtenswert : I.

1. Wenn ein Volk, wie das schweizerische, von jeher gewohnt ist, die gewissenhafte Pflege der internationalen Beziehungen hochzuhalten, so dürfte es wohl an der Schiedsgerichtsbarkeit als solcher keinen Anstoss nehmen. Liegt doch darin für Staaten das einzige Mittel, Streitigkeiten, die sie auf gütlichem Wege nicht zu schlichten vermögen, auf rechtmässige und friedliche Weise zu erledigen.

Nicht nur hat die Schweiz mit anderen Staaten eine Reihe von Schiedsgerichtsverträgen abgeschlossen, sondern sie war auch schon mehr als einmal in der Lage, auf Grund von solchen mit Nachbarmächten unterzeichneten Verträgen die Einsetzung eine's Schiedsgerichts anzunehmen oder selbst zu verlangen.

2. Dieser Feststellung allgemeiner Natur soll gleich beigefügt werden, dass die Beschlussfassung über das Verlangen eines

458

ändern Staates, die Einsetzung eines Schiedsgerichtes betreffend, abhängig ist: a. in erster Linie davon, ob zwischen den beteiligten Staaten ein Schiedsgerichtsvertrag besteht oder nicht ; 6. in zweiter Linie davon, wie der konkrete Fall liegt.

Ad a. Mangels eines Vertrages ist ein Staat nicht verpflichtet, zur Einsetzung eines Schiedsgerichtes Hand zu bieten. In dieser Hinsicht ist seine Freiheit voll und ganz gewahrt, und zu seiner Beschlussfassung braucht er nur seine eigene Haltung und seine Überlieferung in der Pflege völkerrechtlicher Beziehungen zu Rate zu ziehen, wobei er auch die näheren Umstände, namentlich die juristische Seite, des vorliegenden Streitfalles berücksichtigen wird.

Anders liegt die Sache für einen Staat, der einem Schiedsgerichtsvertrag beigetreten ist.

An diesen Vertrag ist er gebunden, und es liegt ihm die Verpflichtung ob, das Schiedsgericht in allen Streitfällen, auf welche es laut Vertrag Anwendung findet, anzunehmen.

Allerdings enthalten die Verträge einen Vorbehalt, wonach die Schiedsgerichtsbarkeit bei Streitfällen, welche die Lebensinteressen, die Unabhängigkeit oder die staatliche Ehre der Vertragsmächte berühren, ausgeschlossen wird.

Allein bei Anwendung dieser Klausel, und obschon hier jeder Staat Richter in eigener Sache ist, haben die Staaten nach Treu und Glauben zu handeln und dürfen jene nicht zum Vorwand nehmen, einer schiedsgerichtlichen Lösung auszuweichen, wenn sie anständigerweise zu einer derartigen Weigerung nicht befugt sind.

Auf diesen Boden hat sich wenigstens die Schweiz bisher stets gestellt.

Ad b. Von massgebendem Einfluss für die Beschlussfassung sind ferner die konkreten Umstände des Streitfalles.

Gegenüber einem Antrag auf Einsetzung eines Schiedsgerichtes hat ein Staat freie Hand, wenn die Streitigkeit nicht auf die zu der Gegenpartei bestehenden Vertragsverhältnisse Bezug hat.

Wo keine vertragliche Pflicht vorliegt, besteht für jeden Staat die volle Freiheit, und diese kennt keine anderen Grenzen als diejenigen, welche das Völkerrecht allen Staaten weist. Hier erscheint gewissermassen das Begehren des ein Schiedsgericht anrufenden Staates als ein Übergriff in die Freiheit des ändern, und diesem steht zur Verwertung des oben erwähnten Vorbehaltes der weiteste Spielraum offen.

459 Anders verhält es sich mit Streitfällen, die sich auf die Anwendung eines zwischen den beteiligten Staaten bestehenden Vertrages beziehen. Durch die Unterzeichnung eines solchen Vertrages hat sich jede der Signatarmächte ihrer Freiheit begeben, um die durch denselben gesicherten Vertragsbeziehungen ins Leben zu rufen. Wie jeder privatrechtliche Vertrag, so schafft auch jed,e internationale Vereinbarung eine gewisse Gemeinschaft von Rechten und Pflichten, und wie jeder der Vertragsstaaten sich die Vorteile einer solchen Gemeinschaft sichern möchte, so hat er auch zugleich die damit verbundenen Verpflichtungen übernommen. Bei einer solchen Gemeinschaft würde wohl schwerlich einer der Vertragsstaaten zugeben, dass er bei der Beurteilung der ihm gegen den ändern zustehenden Rechte sich einfach und ohne weiteres dem freien Urteil des letzteren zu fügen hätte; und ebensowenig kann er das Recht beanspruchen, in eigener Sache, d. h. bei Beurteilung seiner eigenen Verpflichtungen, einziger Richter zu sein. Und gerade bei Verträgen ist es wichtig, dass entstehende Streitigkeiten nicht ungelöst bleiben, weil sie unvermeidbar das Weiterbestehen der Vertragsverhältnisse zwischen den beteiligten Staaten ungünstig beeinflussen, wenn sie nicht gar geeignet sind, dieselben zu stören.

II.

An Hand dieser Erwägungen allgemeiner Natur gibt die gestellte Frage zu folgenden Bemerkungen Anlass: 1. Rechtsgrundlage

der SchiedsgericlitsbarJceit.

Mit Deutschland hat die Schweiz keinen Schiedsgerichtsvertrag abgeschlossen. Dagegen hat sie mit Italien einen solchen vereinbart, der am 23. November 1904 unterzeichnet und im Jahre 1909 auf weitere fünf Jahre verlängert worden ist.

Nun kann man offenbar mit Bezug auf den Gotthardvertrag vom Jahre 1869 nur an eine Möglichkeit denken, dass nämlich die streitigen Fragen gegebenen Falles mit Deutschland ebenso wie mit Italien durch ein und dasselbe schiedsgerichtliche Urteil erledigt werden. Diesen beiden Nachbarstaaten kommt ja im Vertrag genau die gleiche Rechtslage zu, und es wäre undenkbar, dass irgend eine Frage, so z. B. die Frage der Berechnung des jährlichen Reingewinns, gegenüber Deutschland anders wie gegenüber Italien gelöst werden könnte. In ihrem eigenen Interesse wird die Schweiz nur zu e i n e r Lösung die Hand bieten wollen,

460

welche allen drei Staaten gemeinsam sein und für alle drei Staaten in gleicher Weise Geltung haben wird.

Der Schiedsgerichtsvertrag mit Italien bietet dem Bunde das Mitte], dieses Ziel zu erreichen. · Artikel l desselben lautet: ,,Streitige Rechtsfragen und Streitfragen, die sich auf die Auslegung der zwischen den beiden vertragschliessenden Teilen bestehenden Verträge beziehen, sollen, sofern sie nicht auf diplomatischem Wege haben erledigt werden können, dem durch die Konvention vom 29. Juli 1899 eingesetzten ständigen Schiedsgerichtshof im Haag überwiesen werden. Dabei ist jedoch vorausgesetzt, dass solche Streitigkeiten weder die vitalen Interessen, noch die Unabhängigkeit oder die Ehre der beiden vertragschliessenden Staaten und ebensowenig die Interessen dritter Mächte berühren. tt Dem am Schlüsse dieses Artikels gemachten Vorbehalt entsprechen die heutigen Verhältnisse vollständig. Da die Lage Italiens und Deutschlands hier identisch ist, so könnte zwischen der Eidgenossenschaft und dem erstgenannten Lande keine Meinungsverschiedenheit entstehen, durch welche die Interessen des ändern Landes nicht direkt berührt würden. Die Schweiz wäre mithin berechtigt, sich mit der Einsetzung eines Schiedsgerichtes nur dann einverstanden zu erklären, wenn dieses Gericht zwischen den drei Staaten urteilen soll und wenn es so organisiert wird, dass die Gleichstellung zwischen der Schweiz als einer Partei und den beiden ändern Staaten vereinigt als der anderen Partei gesichert ist.

2. Rechtsverhältnisse des Streitfalles.

Im vorliegenden Falle kommt den bestehenden Rechtsverhältnissen eine entscheidende Bedeutung zu.

a. Der allfällige Streitfall bezieht sich auf einen von der Schweiz mit den beiden ändern Ländern abgeschlossenen Staatsvertrag. Und es handelt sich nicht um eine Frage, welche die Eidgenossenschaft allein angeht, sondern um Rechte, welche der Vertrag den genannten Staaten sichert und vom Bunde als solche anerkannt werden.

b. Diese Rechte lassen sich nicht mit beliebigen, aus einem gewöhnlichen Staatsvertrag erwachsenden Vorteilen auf eine Linie stellen.

Ihnen kommt ein eigener Charakter zu, dank der Eigenschaft der Berechtigten, dank dem Gegenstand, auf den sie sich beziehen, und den Garantien, welche ihnen zugesichert sind.

461

Laut Artikel l des Vertrages ,,vereinigen sich" die beteiligten Staaten ,,um die Verbindung zwischen den deutschen und den italienischen Eisenbahnen durch den St. Gotthard zu sichern.""

Der Bericht des politischen Ausschusses im Schosse der Konferenz bezeichnet den durch den Vertrag geschaffenen Rechtszustand mit den Worten ,,association d'Etatstt (Staatenverband, Staatsgenossenschaft) ; und wenn man auch diesen Ausdruck nicht wörtlich auffassen und dessen Tragweite nicht übertreiben darf, so viel muss doch anerkannt werden : die durch den Vertrag zwischen der Schweiz und den beiden ändern Subventionsstaaten geschaffenen Rechtsverhältnisse lassen mit der aus einem gewöhnlichen Niederlassungs-, Handels- oder Auslieferungsvertrag sich ergebenden Rechtslage keinen Vergleich zu.

Die durch den Vertrag den beiden Nachbarstaaten zugesicherten Rechte stehen ihnen zum Teil gegenüber der Schweiz, zum Teil gegenüber der subventionierten Gotthardbahngesellschaft zu.

Diese letzteren Rechte betreffend hat sich der Bund durch den Rückkauf an die Stelle der Bahngesellschaft gesetzt und kann sich nicht wohl auf seine Souveränität berufen, um die Rechtslage zu verschlechtern, welche die beiden ändern Staaten seiner Vorgängerin gegenüber inné hatten. Hat doch der Bund zu verschiedenen Malen erklärt, dass durch den Rückkauf die Lage und die Rechte Deutschlands und Italiens in keiner Weise berührt worden seien.

Nun schliessen wenigstens einige dieser Rechte ein gewisses Kontrollrecht in sich, das sich grundsätzlich nicht bestreiten lässt und hinsichtlich dessen Umfanges die Schweiz wohl nicht behaupten kann, sie sei allein berufen zu entscheiden, in welchem Masse es auszuüben sei.

Kurz, es liegt hier eine charakteristische Gemeinschaft von Rechten und Pflichten, eine Art Gesellschaft, vor, in welcher an der Festsetzung der respektiven Rechte alle Beteiligten ein gemeinsames Interesse haben. Es Hesse sich daher die Weigerung einer Partei schwer begreifen, auf dem Wege der Schiedsgerichtsbarkeit zur einzigen Lösung Hand zu bieten, welche gegebenenfalls eine gütlich nicht erledigte Meinungsverschiedenheit zulässt.

Die Richtigkeit dieser Ausführungen erhellt insbesondere daraus, dass die Schweiz die Notwendigkeit anerkannt hat, ,,dass sich die Eidgenossenschaft über die Anwendung des Artikels 18 mit den fremden Subventionsstaaten verständige, sei es, dass man Bandesblatt. 65. Jahrg. Bd. I.

34

462

sich 'Zur Fortführung einer gesonderten Ertragsrechnung für die Go'tthardbahnstrecken versteht, sei es, dass der Dividendenanspruch abgelöst wird" (bundesrätliche Note vom 21. Mai 1897).

m.

Unter diesen Umständen ist es nicht leicht denkbar, wie' die Schweiz einen Antrag der beiden ändern Staaten auf Einsetzung eines Schiedsgerichts ablehnen könnte, sofern es sich um Streitpunkte handelt, hinsichtlich welcher das ihnen zustehende Recht grundsätzlich anerkannt ist, wie z. B. hinsichtlich des Kontrollrechts mit Bezug auf die Berechnung des reinen Jahresgewinns und der Dividende, von deren Höhe die Anwendung der Artikel 9 und 18 des Vertrages abhängt.

Es scheint ' daher angemessen, dass die zuständigen Bundesbehörden bei der Prüfung des GotthardVertrages diese Möglichkeit berücksichtigen und als mit dem Fortbestand des Vertrages voin Jahre 1869 eng verknüpft betrachten.

Vorbehalten bleibt die Zusammensetzung des Schiedsgerichts, sowie die Notwendigkeit, die Schweiz als die eine, Deutschland und Italien vereinigt als die andere Partei anzusehen, denn so allein wäre die Gleichstellung hergestellt, ohne welche die Schiedsgerichtsbarkeit selbst als unannehmbar erscheinen müsste.

G e n f , den 10. Januar 1913.

Eugène Borei.

463

Beilage C.

Bericht der

Generaldirektion der schweizerischen Bundesbahnen an das eidgenössische Post- und Eisenbahndepartement, Eisenbahnabteilung, betreffend den Gotthardvertrag.

;

(Vom 6. Dezember 1912.)

Mit Schreiben Nr. 3139/IV vom 13. November teilen Sie uns mit, der Bundesrat beabsichtige, vor Behandlung des neuen Gotthardvertrages durch die eidgenössischen Räte einen- Naclitragsbericht zu erlassen, in dem die verschiedenen, seit dem Jahre 1909 zur öffentlichen Diskussion gelangten Punkte des Vertrages eingehender behandelt werden. Sie stellen uns sodann einige Fragen zur Beurteilung der Einwirkung des Vertrages auf die finanziellen Verhältnisse der Gotthardlinie.

Wir beehren uns, diese Fragen nachstehend zu beantworten : Frage l» Welches sind die Erträgnisse der ehemaligen Gotthardbahn für die Jahre 1909, 1910, 1911 und 1912 (approximativ), berechnet auf der Basis der Eechnungsstellung der Gotthardbahngesellscliaft, imd welche Beträge wären nach Art. 18 des alten Vertrages ala Gewinnanteile unter die Subventionsstaaten su verteilen?

Wir haben in der Beilage I auf Grund der definitiven Rechnungen der Jahre 1909--1911 den Abschluss der Betriebsrechnung, sowie die Gewinn- und V.erlustrechnung dargestellt und das Erträgnis in Prozenten des Aktienkapitals von 50 Millionen Franken ermittelt. Die entsprechenden Ziffern pro 1912 sind approximativ; sie werden indessen vom wirklichen Resultate kaum erheblich abweichen, da sie auf den bis Oktober laufenden Jahres- bekannten Einnahmen und Ausgaben beruhen.

Die in der Beilage ·.! dargestellten Erträgnisse belaufen sich auf folgende Summen bzw. Prozente :

464

Überschuss der Gewinn- In Prozenten des AlrtSenund Verlustrechnung Kapitals von 50 Mili. Fr.

Jahr 1909 . . . Fr. 4,471,930 8,94% ,, 1910 . . . ,, 5,492,471 10,98 °/o ,, 1911 . . . ,, 6,509,726 18,02 % ,, 1912 . . . -,, 6,635,750 13,«% Wir bemerken zu diesen Resultaten ausdrücklich, dass in denselben Ausgaben auf das Konto ,,zu amortisierende Verwendungen" nicht in Rechnung gebracht worden sind.

Nach Art. 18 des alten Vertrages stellt sich die Rechnung der Gewinnanteile (letzte Kolonne) wie folgt: I,L~, Jahre

1909 1910 1911 1912

Fr.

Fr.

Fr.

Wovon '/a aigunstendor SubventionsStaaten Fr.

4,471,930 5,492,471 6,509,726 6,635,750

3,500,000 3,500,000 3,500,000 3,500,000

971,930 1,992,471 3,009,726 3,135,750

485,965 996,235 1,504,863 1,567,875

D,,:,,,,.I »,,_·,,,,,, Remerträgmsse

ab: 7% des Aktienk;pita|s

Zu verteilender Überschuss

N o t a : Wir bemerken, dass die Gotthardbahn aus den Erträgnissen zweifellos Abschreibungen auf den sogenannten Non-Valeurs ihrer Bilanz gemacht hätte. Solche Abschreibungen sind in obigen Rechnungen n i c h t berücksichtigt. Die Non-Valeurs in der Bilanz der Gotthardbahn auf 30. April 1909 betrugen: Position B 5, Kursverluste auf Aktien und andere Verwendungen Fr. 3,554,690.

Es kann sich also nur np«h darum handeln, wie die Gotthardbahngesellschaft diese Kursverluste in Zukunft noch getilgt hätte.

Frage 2.

Wie gestalten sich wahrscheinlich die Erträgnisse des Gotthardnetees in den nächsten Jahren?

Zur Beantwortung dieser Frage müssen zunächst die künftigen Transporteinndhmen der Gotthardbahn mit einiger Zuverlässigkeit bewertet werden. Aus der Beilage II geht hervor, dass die Verkehrsschwankungen der Jahre 1902--1911 eine durchschnittliche Vermehrung der Einnahmen von 8,95 °/o im Personenverkehr und 5,25 % im Gepäck-, Tier- und Güterverkehr ergeben.

Dieser Durchschnitt von 10 Jahren bezieht sich allerdings auf eine Periode bedeutender wirtschaftlicher Entwicklung ; immerhin sind darin auch Jahre mit rückläufiger Bewegung enthalten. Wir glauben, dass eine gewisse durchschnittliche Verkehrszunahme

465

auch in den kommenden Jahren erwartet werden darf; dabei musa man jedoch im Rahmen einer vorsichtigen Schätzung bleiben.

Von dieser Erwägung geleitet, haben wir eine jährliche Vermehrung um 2% für den Personenverkehr und um 2*/2 % ^ur den Güterverkehr vorausgesetzt und sind für 'unsere Wahrscheinlichkeitsrechnungen von den approximativen Resultaten des Jahres 1912 ausgegangen. Dabei sind die Einnahmeausfälle, welche infolge der auf 1. Mai 1913 supponierten Eröffnung der Lötschbergbahn eintreten werden, in Abzug gebracht worden; eine angemessene Zunahme auch dieser Ausfälle berücksichtigten wir ebenfalls. Die Ermittlung des Bruttoeinnahmenausfalles für den Güterverkehr der ehemaligen Gotthardbahn aus dem der Lötschbergbahn abzutretenden Verkehr konnte nach Massgabe des Yerkehrsteilungsvertrages vom 13. Mai/27. Juni 1911 annähernd berechnet werden und ergab etwas über l Million für die acht Monate des Jahres 1913 und nahezu 2 Millionen für das ganze Jahr 1914. Für den Ausfall aus dem Personenverkehr liess sich eine einigermassen sichere Rechnung nicht aufstellen; wir bewerten denselben auf ungefähr l'/z--2 Millionen Franken.

Auch für die Veranschlagung der Betriebsausgaben stützten wir uns auf die approximativen Ausgaben des Jahres 1912.

Dazu trugen wir den mit Sicherheit bevorstehenden Mehrausgaben Rechnung, wie z. 6. den gesetzlichen Besoldungserhöhungen auf 1. April 1915, den Lohnerhöhungen, den vermehrten Leistungen an die Pensions-, Hülfs- und Krankenkassen, den Mehrausgaben infolge Revision verschiedener Réglemente, sowie den vermehrten Betriehsleistungen für die in den Einnahmen berücksichtigte Verkehrszunahme. Es wurde ferner vorausgesetzt, dass der zu erwartende Einfluss der Lötschbergbahn auf die Ausgaben eine Wirkung im Sinne einer etwelchen Verminderung gewisser Betriebsleistungen ausüben werde.

In der Q-eivinn- una Verlustrechnwng haben wir neben den Veränderungen des Betriebsüberschusses, der Kapitalzinse, der Operationen auf dem Erneuerungsfonds usw. auch die Verzinsung der Bauausgaben für die bevorstehenden Neubauten auf den Linien des Kreises V, sowie die Abschreibung von untergehenden Anlagen in Berücksichtigung gezogen. Diese vermehrten Zinslasten enthalten allerdings kein Betreffnis fUr die Vermehrung des Rollmaterials; wenn die Erstellung einer definitiven, d. h.

genauen
Ertragsrechnung der Gotthardbahn wieder notwendig wurde, so mUsste das neu anzuschaffende Rollmaterial auf die Kreise I--IV einerseits und auf den Kreis V anderseits verteilt und dessen Kosten entsprechend ausgeschieden werden.

466

Dei1 Abschluss der in dieser Weise erstellten künftigen Ertrâgsreehnungen für die Linien der Gotthardbahn hat ergeben, dass die Überschüsse zirka 10% auf dem Aktienkapital von 50 Millionen Franken ausmachen, mit der einzigen Ausnahme dés Jahres 1915, für welches Jahr das Ergebnis unserer approximativen Rechnung infolge der Ausgaben für die gesetzlichen Gehaltserhöhungen und die daherigen ausserordentlichen Einlagen in die Pensions- und Hülfskasse etwas unter 10% gesunken ist.

'Vom Jahre 1916 an würden dann, auch bei der vorgenannten bescheidenen Schätzung der Verkehrszunahme, die 10°/o überschritten werden und langsam ansteigen.

Wenn man annehmen würde, dass die Einnahmen in der Weise zunehmen würden, wie die Beilage H für die Jahre 1901---1911 erzeigt -- eine Annahme, die wir als zu optimistisch betrachten --, so würde bei analoger Berücksichtigung der Einwirkung der Lötschbergbahn schon im Jahre 1916 ein Überschuss ungefähr gleich wie im Jahr 1911 eintreten, für welches Jahr die Berechnungen und deren Folgen in der Beantwortung der Fragen l und 3 niedergelegt sind.

Frage 3.

Wie würden sich die Tarifreduktionen naclt Massgabe von 'Ari. 9' dès alten Vertrages 'beispielsweise gestalten, wenn sie auf Grund von Erträgnissen vorgenommen werden müssten, wie sie die 'Jahre 1911 und, in Übereinstimmung damit, 1912 auftoeisen, und zwar: a. toelches wäre ihr Effekt in Geld ?

b. auf welche Tarifposition hätte sich die Ermässigung eu erstrecken, beziehungsweise welche Reduktionen der Zuschlagstaxen für den Güterverkehr wären vorzunehmen?

Die einzuräumenden Tarifreduktionen hätten zu entsprechen dem Überschuss über einen 8 °/oigen Zins des Aktienkapitals, wenn Art. .9 des Vertrages angewendet wird.

, ' 'a. Im. Effekte, d. h, in Geld, hätte die Tarifreduktion zu betragen : ., : Überschuss Fr. 6,509,726 8 % Zins von 50 Millionen . . . .

,, 4,000,000 Reduktion Fr. 2,509,726 b. Die Reduktion der Zuschlagstaxen werden ausschliesslioh im Güterverkehr durchgeführt, weil die Reduktionen der Personenund Gepäcktaxen .von geringerer volkswirtschaftlicher Bedeutung

467

waren. Die vorzunehmenden Reduktionen der Zuschlagstaxen, d. h. der bisherigen Bergzuschläge von 64 km für Chiasso transit unii 50 km für Pino transit, werden gefunden, indem der Zinseiiüberechuss über 8°/o durch den Frachtwert eines ausfallenden Kilometers geteilt wird. Die Rechnung ist folgende:, Einnahmen aus dem Güterverkehr pro 1911 : far 340 Tarif-km. (ganzes Netz der Gotthardbahn) Fr. 17,700,000 ,, l ,, (17,700,000:340) rund . . ,, 52,000 Reduktion des Zuschlages Zinsenüberschuss.

über 8 °/o 2,510,000 .._ ' ··.-..-,-.

... .

-- i ~-- -- n f 52,000 52,000 in Tarifkilometern : 48 in Prozenten vom Mittel des Zuschlages (64+50 = 114:2 = 57 km) 84% Berechnung der künftigen ßergzuschläge : Chiasso

Pino

Kilometer

Bisherige Zuschläge . . . .

Reduktion (84%) Künftige Zuschläge . . . .

64 54 10

50 42 8_

Obwohl die Frage 3 einen dahingehenden Auftrag nicht enthält, haben wir die gleiche Rechnung auf Grund der von uns schätzungsweise ermittelten wahrscheinlichen Einnahmen und Überschüsse für' einige nächstfolgende Jahre (vgl. Frage 2) unter Berücksichtigung des Einflusses der Lötschbergroute aufgestellt. Je nach der Bewertung dieses letztern und nach der Verkehrszunahme, die supponiert wird, gelangt man zu verschiedenen Ergebnissen. Wenn aus den in der Beantwortung der Frage 2 angeführten Gründen einzig im Jahre 1915 die Reduktion des Bergzuschlages möglicherweise nicht ganz die 35 % betragen würde, welche der neue Staatsvertrag bis zum 1. Mai 1920 stipuliert, so darf doch in Ansehung der bisherigen Verkehrsentwicklung und -zunähme gesagt werden, dass, wenn nicht aussergewöhnliche Ereignisse eintreten, höchst wahrscheinlich die Rechnungen pro 1916 und folgende Jahre solche Resultate · ergeben werden, dass man zu Reduktionen der Bergzusehläge verhalten werden könnte, welche w e s e n t l i c h m e h r als 35^/o betragen, jedenfalls die 50%, welche der neue Staats vertrag vom 1. Mai 1920 an festsetzt, erreichen und über-

468

schreiten und sukzessive der für das Jahr 1911 berechnete« Reduktion C84%) nahekommen würden.

Bei der Beantwortung der Frage 3 sind wir davon ausgegangen, dass die gesamten Erträgnisse der Gotthardbahn, soweit sie 8°/o des Aktienkapitals übersteigen, zu Tarifreduktionen verwendet werden müssen. Diese Annahme entspricht dem System des neuen Vertrages, in welchem mit den Taxreduktionen nicht nnr die Pflicht zur Herabsetzung der Bergzuschläge gemäss Art. 9 , des alten Vertrages, sondern auch die Beteiligung am Reingewinn (Art. 18 des alten Vertrages) abgelöst wird. Wenn man den alten Staatsvertrag strikte anwendet, so darf die Bahnunternehmung als Rechtsnachfolgerin der Aktionäre die Erträgnisse bis auf 8 % (4 Millionen) behalten ; der weitere Überschuss wäre zur Reduktion der Zuschlagstaxen zu verwenden. Eine Taxreduktion hat somit erst dann einzutreten, wenn der Reingewinn 9°/o überschreitet; die Hälfte des Überschusses über 7°/o wird hierbei an die Subventionsstaaten verteilt, und es erhält somit die Bahnunternehmung 7% = Fr. 3,500,000 plus die andere Hälfte des Überschusses = Fr. 500,000, im ganzen Fr. 4,000,000, d. h. 8°/o des Aktienkapitals. -- Auf das vorstehend angegebene Erträgnis des Jahres 1911 angewendet, ergibt sich, dass von dem Überschuss von 6>/2 Millionen 2 Millionen (statt der oben angegebenen 2ya Millionen) den Wert der vorzunehmenden Taxreduktionen repräsentieren würden. Überdies wären dann noch Fr. 500,000 allen drei Subventionsstaaten (hievon den schweizerischen Interessenten insgesamt 28/113) abzugeben. Der Endeffekt ist also, dass der Gotthardbahn respektiv den Bundesbahnen bloss 4 Millionen verblieben. Diesen Endeffekt haben wir oben vollständig in Taxreduktionen übersetzt und damit dort zum Ausdrucke gebracht, was die Gotthardbahn nach dem alten Vertrage in der einen oder ändern Form in Anwendung von Art. 9 und 18 opfern müsste. . Man kann, wir wiederholen, die Herabsetzung der Zuschläge um Fr. 500,000 weniger intensiv gestalten, dann ist aher daneben die Auszahlung eines Gewinnanteiles in diesem Betrage vorzusehen.

Frage 4.

Haben Tarifreduktionen im Transitverkehr auf dem Gotthardnete Rückwirtemg auf die Tarifgestaltungen anderer Linien und welchen Einfluss, wenn sie zufolge Art. 9 des alten Vertrages immer wieder eintreten, so oft die Erträgnisse 8 °/o 'übersteigen ?

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Die Reduktion der Distanzzuschläge am Gotthard hätte bestimmt eine Rückwirkung auf die Tarifgestaltung anderer Linien zur Folge, und zwar zunächst für die L ö t s c h b e r g l i n i e . Die effektive Länge der Bergstrecke dieser Linie (Frutigen-Brig) beträgt 60,207 km. Nach den getroffenen Vereinbarungen wird für die Tarifrechnung im Verkehr mit D e u t s c h l a n d und F r a n k r e i c h und weiter -- Italien sowie umgekehrt, zu dieser Länge ein Bergzuschlag nach der Gotthardnorm festgesetzt, und zwar auf Grund des Zuschlages für den Übergang P i n o , dessen Tarifgestaltung in erster Linie massgebend ist für diejenige der Lötschbergbahn. Aus dem heutigen Zuschlag für Pino von 50 km wird der Lötschbergzuschlag wie folgt entwickelt: E r s t f e l d - B i a s c a (Bergstrecke), effektive Distanz 90,sos km Zuschlag .50 ,, oder in Prozenten (50 : 0,90205) = .

55,* F r u t i g e n - B r i g (Bergstrecke), effektive Distanz . 60,267 km Zuschlag = 60,2«? X 55,4 = 33,so . . . 34 ,, Wenn dagegen der Pinozuschlag nach Massgabe von Frage 3 hiervor um 84°/o (Jahr 1911) herabgesetzt wird, so ergibt die gleiche Reduktion am Lötschberg folgende Bergzuschläge: Lötschbergzuschlag 34 km -- 84 % (29) . . . .

5 km statt nach der Gotthardnorm laut neuem Staatsvertrag 22 ., Auch im Verkehr Schweiz-Italien und umgekehrt könnte die Lötschbergroute den in Aussicht genommenen Maximalzuschlag von 44 km selbstverständlich nicht beibehalten, wenn der Gotthardzuschlag um 84 °/o oder überhaupt mehr als im Staatsvertrag vorgesehen, herabgesetzt würde; die Lötschbergroute wäre vielmehr genötigt, auch diesen Zuschlag von 44 km erheblich zu reduzieren.

Alle diese bedeutenden Kürzungen des Lötschbergzuschlages hätten natürlich einschneidende Frachteinbussen zur Folge.

. . Die Tarifgestaltung am Gotthard durfte im weitern auch Einfluss ausüben auf die Tarife einer künftigen schweizerischen O s t a l p e n b a h n . Es steht für uns ausser Zweifel, dass eine solche Bahn ihre Tarife nicht anf den effektiven Entfernungen aufbauen kann, sondern dass deren Bau- und Betriebsverhältnisse einen Distanzzuschlag unentbehrlich machen werden. In welcher Weise dieser Zuschlag gebildet wird, ist zurzeit allerdings nicht bekannt, doch erscheint es in hohem Grade wahrscheinlich, dass die Tarif beordnung am Gotthard einen erheblichen Einfluss darauf ausüben wird.

470

Eine Reduktion des Distanzzuschlages am Gotthard würde ohne allen Zweifel auch eine solche auf der B r e n n e r l i n i e , d.,h. auf der Strecke Kufstein-Peri, nach sich ziehen. Der Bergzuschlag dieser Strecke beträgt gegenwärtig 64 km (auch angenommen für den Übergang Chiasso von der ehemaligen Gotthardbahn). Die österreichische Südbahn würde aus Konkurrenzrücksichten in die Notwendigkeit versetzt, den Bergzuschlag von 64 km in dem Masse zu reduzieren, wie die Schweiz am Gotthard. Das gleiche wäre der Fall hinsichtlich der Bergzuschläge auf der P o n t e b b a r o u t e für den Semmering (Strecke WienLeoben) und für die Tauernbahn (Strecke Schwarzach - St. VeitSpittal - Millstättersee), welche Strecken ihre Zuschläge ebenfalls den herabgesetzten Zuschlägen am Gotthard nachbilden. Wir weisen auf diese Umstände hin, um zu zeigen, dass eine Herabsetzung des Bergzuschlages am Gotthard in dem unter Frage 3 angegebenen Umfange keine Hebung der Wettbewerbsfähigkeit der schweizerischen Transitlinien zu bewirken vermag, mit ändern Worten, eine über die Taxreduktion im neuen Gotthardvertrag hinausgehende Herabsetzung bewirkt lediglich erhebliche Einnahmenausfälle für die Bundesbahnen, die Lötschbergbahn und die zukünftige Ostalpenbahn. Die Konkurrenzfähigkeit der schweizerischen Routen würde dabei nicht gesteigert, weil die ausländischen Mitbewerbsrouten unserm Vorgehen höchst wahrscheinlich folgen würden.

Besonders zu betonen ist auch, dass eine Tarifreduktion am Gotthard, wie sie in der Frage 3 dargestellt ist, d a u e r n d e n Charakter annehmen würde. Die nach den Reduktionen der Schweiz revidierten Taxverhältnisse der Konkurrenzrouten, sowie die gegenseitigen Beziehungen der internationalen Tarifverbände, würden es so ziemlich als ausgeschlossen erscheinen lassen, das Projekt einer T a x e r h ö h u n g für den Fall ausführen zu können, dass künftig die Zinsen des Aktienkapitals der ehemaligen Gotthardbahn 8 °/o nicht mehr überschreiten würden. Tarifschwankungen, wie sie sich nach den Berechnungen und Resultaten zur iFrage 3 zwischen den Jahren 1911 und späteren Jahren ergeben, würden die Konkurrenzrouten zweifellos nicht mitmachen. Die Bundesbahnen hätten damit zu rechnen, dass sie von den finanziellen Folgen einer Tarifreduktion am Gotthard beispielsweise nach Massgabe der Ergebnisse für das Jahr
1911 d a u e r n d belastet würden, denn sie könnten eine Tariferhöhung etwa auf Grund der wahrscheinlichen Ergebnisse für das Jahr 1915 nicht vornehmen, wenn die Konkurrenzrouten, im besondern die Brenner- und Pontebbaroute, nicht mitmachen würden.

471

Zu bemerken ist noch, dass Tarifreduktionen, wenn sie zufolge Art. 9 des alten Vertrages immer wieder eintreten, so oft die Erträgnisse 8 % übersteigen, eine sich in kurzen Zeitabschnitten folgende Umarbeitung der sämtlichen umfangreichen Gütertarife mit Italien bedingen würden. Die daherigen Arbeiten würden für alle beteiligten Bahnverwaltungen einen grossen Aufwand an Zeit und Kosten verursachen; auch würde die bei solchen Verhältnissen herrschende Unsicherheit der Tariflage in weiten Kreisen der Verkehrstreibenden ohne Zweifel sehr unangenehm empfunden.

Aus den obigen Darlegungen folgt, dass im Falle der Verwerfung des neuen Gotthard-Staatsvertrages für die Schweiz die nachstehende Sachlage geschaffen würde: a. In Anwendung von Art. 9 des bisherigen Staatsvertrages' müsste angesichts der Zinserträgnisse der Gotthardlinie sowieso eine Reduktion der ßergzuschläge vorgenommen werden.

Diese wäre, wenn z. B. auf das Jahr 1911 abgestellt würde, so erheblich, dass die Subventionsstaaten Deutschland und Italien ohne jede weitere Gegenleistung in den Genuss viel grösserer wirtschaftlicher Vorteile kämen als der neue Staatsvertrag für sie in sich schliesst.

b. Die Einnahmen der Lötschbergroute würden durch die Reduktionen ad lit. a sehr empfindlich herabgemindert. Ebenfalls recht ungünstig beeinflusst dürfte die Beordnung der Tarifverhältnisse einer künftigen schweizerischen Ostalpenbahn werden.

c. Der schweizerische Transitverkehr nach und von Italien gewänne keinen tariflichen Vorsprung vor der Konkurrenz via Brenner und Pontebba.

d. Die Tarifreduktionen am Gotthard wären tatsächlich dauernde, da sie aus Konkurrenzgründen kaum je mehr erhöht werden könnten.

Frage 5.

Welche Nachteile entstehen für das Rechnungswesen und -den Betrieb der Bundesbahnen, wenn nach Massgabe des alten Vertrages die besondere Rechnungsstellung auf unbestimmte Zeit fortgesetzt werden muss?

· ··.·<

Wenn auch die bisherigen separaten Rechnungen füi' Kreis V (ehemalige Gotthardbabn) als richtig' bezeichnet werden dürfen, so sind sie doch, soweit es die Ausgaben- betrifft, nicht in: allen

472

Punkten so genau, wie sie erstellt werden müssten, wenn infolge Beteiligung von Dritten am Reinertrag eine direkte Verpflichtung zu einer besondern Rechnungsführung bestehen würde. Sollte eine solche Verpflichtung eintreten, so müsste mittelst einer Instruktion eine präzise, getrennte Rechnungsführung organisiert werden, d. h. die Linien des jetzigen Kreises V müssten in bezug auf das Rechnungswesen (und natürlich auch in vielen Punktender Betriebsorganisation) als eine den Bundesbahnen nicht angehörige Bahn betrachtet werden. Die bisher zur Erleichterung der Aufstellung der separaten Rechnungen angeordneten approximativen Berechnungen von gewissen Ausgaben müssten dahinfallen und an deren Stelle würden Rechnungen treten, wie man, sie gegenüber einer fremden Bahn zu machen genötigt ist.

Die hauptsächlichsten Punkte, welche für eine fortdauerndegetrennte Rechnungsführung in Betracht fallen, sind folgende: Iransporteinnahmen. Der Verkehr des Kreises V könnte mit dem internen Verkehr der Kreise I--IV nicht verschmolzen werden; er müsste fUr sich allein ausgeschieden und behandelt werden. Diese Ausscheidung hätte die Erstellung spezieller Rechnungen über den Verkehr zwischen den Stationen des Kreises V einerseits und denjenigen der ändern vier Bundesbahnkreise anderseits, in beiden Verkehrsrichtungen, zur Folge und würde bedingen: Eine Prüfung der Stationsreehnungen, die unter sich in.

Übereinstimmung zu bringen sind, und eine Zusammenstellung, aus welcher der Verkehr jeder Relation und Klasse, sowie die Bruttoeinnahmen ersichtlich sind. Auf Grund dieser Zusammenstellung müssten hernach für jede Stationsverbindung, und zwar gesondert für jede Wagen- und Tarifklasse, die Anteile für den Kreis V und das übrige Netz der schweizerischen Bundesbahnen ermittelt werden. Der gegenseitige Verkehr zwischen den Kreisen --IV und dem Kreis V müsste genau so behandelt werden, wie der Verkehr zwischen zwei fremden Verwaltungen, was einen bedeutenden Arbeitsaufwand erfordert.

Das gleiche Verhältnis ergibt sich auch für den direkten Verkehr des Kreises V mit dritten Bahnen. Statt dass dieser letztere Verkehr in einfachster Weise in der Rechnung der übrigen Bundesbahnkreise mit diesen ändern Verwaltungen vereinigt weiden könnte, muss für ihn eine separate Abrechnung aufgestellt werden. Auch in dieser muss die umständliche Ausscheidung der Anteile, getrennt für die Bundesbahnkreise I--IV und des Kreises V, vorgenommen werden. Mit jeder fremdem

473

Verwaltung entstehen somit zwei Rechnungen statt nur einer; die gesamte Rechnungsstellung wird somit nicht unerheblich kompliziert nnd weitläufig gemacht.

Der direkte Verkehr bedingt ferner die Ermittlung der monatlichen Schuld- und Guthabenbeträge für die Saldierung.

Diese Beträge müssen für die Verkehre der Kreise I--IV und des Kreises V zusammengefasst und in einer Summe zur Zahlung angewiesen werden. Um dieses finanzielle Endergebnis für das gesamte Bundesbahnnetz zu bekommen, ist man genötigt, bei der Erstellung der sogenannten monatlichen Schlussabrechnungen die in den einzelnen Verkehrsabrechnungen ausgeschiedenen Anteile der Kreise I--IV und des Kreises V zusammenzuziehen, was eine sehr zeitraubende und umständliche Arbeit bedeutet.

Es ist demnach eine zweimalige Behandlung des gesamten Rechnungsmaterials erforderlich. Der Arbeitsaufwand, welcher der Einnahmenkontrolle aus dieser besondern Rechnungsführung für die Ermitlung der Transporteinnahmen des Kreises V erwächst, erfordert im Minimum fünf ständige Angestellte, d. h. eine MehrAusgabe von mindestens Fr. 15,000 per Jahr.

Die A u s g a b e n der Z e n t r a l v e r w a l t u n g in Bern müssten, soweit sie den Kreis V betreffen, streng ausgeschieden werden ; auch wäre der Anteil dieses Kreises an den allgemeinen Verwaltungskosten zu ermitteln.

Im allgemeinen ist hervorzuheben, dass der Betrieb des Kreises V ökonomischer wäre, wenn diesem Kreise eine grössere Ausdehnung gegeben werden könnte. Bei der getrennten Rechnungsführung muss die ehemalige Gotthardbahn aber als Kreis V 'belassen werden, und dessen Kosten der allgemeinen Verwaltung und des Betriebes (die nicht direkt von einer bestimmten Leistung abhängigen Kosten) sind daher mit Rücksicht auf die beschränkte Ausdehnung des Kreises zu hoch.

Im speziellen führen wir hier an, dass der B a h n b e t r i e b bei separater Rechnung für Kreis V folgende Arbeiten bzw. Ausgaben bedingt : a. Die Übergangsbahnhöfe Luzern, Zug und Goldau haben . j e d e n auf die Strecken der vormaligen Gotthardbahn sowie ab diesen auf die Linien der Kreise I--IV und über diese auf andere (fremde und schweizerische) Bahnen übergehenden Personen-, Gepäck- und Lastwagen aufzuschreiben und an die Zentralwagenkontrolle zu rapportieren. Dieses Notieren und Rapportieren erfordert auf jedem der drei Bahnhöfe mindestens einen Mann (Wagenkontrolleur): Jahresausgabo zirka Fr. 6000.

474

· -b. Auf Grund dieser Rapportierungen sind auf unserer Zentralwagenkontrolle die Nachweise über die Aufenthalte und kilometrischen Leistungen der Wagen der vormaligen Gotthardbahn auf dem übrigen Netz der Schweiz und auch im Ausland, sowie die Aufenthalte und Leistungen aller Nicht-Gotthardbahnwagen auf den Strecken der vormaligen Gotthardbahn festzustellen.

Nach diesen Feststellungen müssen die Lauf- und Zeitmieten ausgerechnet und auf die verschiedenen schweizerischen und fremden Bahnen ausgeschieden werden. Hierauf hat die Abrechnung-unter den verschiedenen Bahnen zu erfolgen, wobei für die vormalige Gotthardbahn besondere Rechnungen zu fertigen sind.

Diese umfangreichen Arbeiten nehmen auf unserer WagenJ kontrolle mindestens zwei gute Beamte ganz in Anspruch, Mehrausgaben daher im Minimum Fr. 6000.

c. Die technische Wagenübergabe zwischen der Gotthardbahn und den Kreisen II und III in-Luzern und Zug haben wiq weil nicht mehr nötig, aufgehoben. Bei getrennter Rechnungsführung für den Kreis V müsste dièse Kontrolle wieder eingeführt werden ; dies bedingt die Anstellung von sechs Wagenvisiteuren und eine Mehrausgabe von Fr. 19,000.

d. In der Durchverwendung der Lokomotiven und des Personals ist man gehemmt. Ein solcher Durchgang kann nur auf besondere Vereinbarung hin stattfinden, und es müssen dann die beiderseitigen Leistungen auf den fremden Strecken besonders festgestellt werden, um im richtigen Verhältnis Gegenleistung herbeiführen oder die Begleichung der Leistungen in bar veranlassen zu können. Für die bessere Ausnützung bei Durchverwendung von Lokomotiven und Personalen bringen wir bestimmte Beträge nicht in Anrechnung, weil eine Schätzung derselben sehr schwierig ist.

e. Jetzt werden mit vieler Mühe täglich 3--5 Güterzüge von Basel bis Arth-Goldau durchrangiert, um unsere Bahnhöfe Ölten und Brugg von Rangiermanövern tunlichst zu entlasten.

In Goldau und Erstfeld müssen diese Züge aber wieder zerlegt und neu formiert werden, weil die Bahnhöfe Basel, Ölten-und Brugg ohne besondere Massnahmen nicht wohl mehr leisten können und weil die schweizerischen Bundesbahnen, solange für.

die Gotthardbahn noch besondere Rechnung zu fuhren ist, kein, grosses Interesse an einer gründlichen Durchrangierung bis- Beilinzona, bzw. Chiasso haben. Sobald aber die Gotthardbahn ein-

475 nicht besonders zu behandelndes Teilstück .der schweizerischen Bundesbahnen ist, werden wir durch Änderung der Diensteinteilungen in Basel und Ölten, und zwar schon vor Erweiterung der Bahnböfe, veranlassen, dass bis Bellinzona, ein ganzer Zug sogar bis Chiasso, durchrangiert wird, wodurch in Goldau und Erstfeld zusammen mindestens 4 Rangiergruppen à 5 Mann (l Rangiermeister, l Vorarbeiter und 3 Manövristen), sowie 2 Maschinenpersonale (Führer und Heizer) entbehrt werden können ; dagegen wird in Basel und Ölten je eine Gruppe mehr erforderlich sein. Hieraus würde im gesamten eine Ersparnis von zirka Fr. 51,000 resultieren.

Die Gemeinschaf tsrechnungen für Bahnhöfe und B a h n s t r e c k e n für den Kreis V würden sowohl bezüglich der Kapitalzinse, als auch der Betriebs- und Unterhaltungskosten wie für eine Privatbahn aufzustellen sein. In Betracht fallen die Bahnhöfe und Stationen Luzern und Zug, wo die Kostenanteile für die Gotthardbahnlinien eine Ausgabe bilden, sowie Immensee und Arth-Goldau, an deren Kosten die schweizerischen Bundesbahnen zu partizipieren haben. Es ist anzunehmen, dass die zwischen den Bundesbahnen und der ehemaligen Gotthardbahn bestandenen Gemeinschafts vertrage weiterhin angewendet würden.

Die Gesellschaft der Gotthardbahn existiert nicht mehr; es ist somit ein zweiter Vertragskontrahent zum eventuellen Abschluss neuer Verträge nicht vorhanden ; immerhin ist nicht ausgeschlossen, dass die Subventionsstaaten ihren Einfluss bei der Aufstellung neuer Gemeinschaftsverträge geltend zu machen versuchen würden.

Insbesondere ist dies zu befürchten, wenn grössore Erweiterungen und Umbauten der Gemeinschaftsbahnhöfe vorgenommen werden wollten. Da die Kosten solcher jeweilen Millionen betragen, so könnte seitens der Subventionsstaaten die Ausführung derselben aus 'finanziellen Interessen und ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse des Betriebes zu hintertreiben versucht werden.

Zur Aufstellung der Gemeinschaftsrechnungen müssen für die betreffenden Objekte folgende Faktoren, bzw. Einnahmen und Ausgaben, besonders ermittelt werden : a,. Die Baukapitalien der gemeinschaftlichen Anlagen, sowie die Pacht- und Mietzinse von eventuell vermieteten Räumen und Lagerplätzen, behufs Erstellung der Kapitalzinsrechnungen.

b. Die sogenannten Lokalspesen zur Verteilung in den Abrechnungen über den direkten Verkehr.

476

e. Die sämtlichen Betriebsausgaben. Dieselben können zum Teil effektiv ermittelt werden, wie z. B. für das allein für den Gemeinschaftsdienst arbeitende Personal, für die Konsummaterialien jeder Art, für den Unterhalt und die Erneuerung der Bahnanlagen, Gebäude, Signale etc. und des Mobiliais, ferner der Rangierdienst, die Unfall- und Transportentschädigungen, die Steuern, Versicherungen etc., sowie die Beiträge der Verwaltung an die Pensions-, Hülfsund Krankenkassen. Weitere Ausgaben müssen jedoch nach festzustellenden Faktoren in die Gemeinschaftsrechnung eiubezogen werden, wozu namentlich die Ausgaben für die allgemeine Verwaltung, für den Bahnaufsichts- und den Betriebsleitungsdienst, sowie die Gehalte, die Löhne und die Leistungen an die Hülfskassen für das nur teilweise für den Gemeinschaftsdienst arbeitende Personal gehören.

Eine besondere Ausnahme bilden die Verrichtungen des Fahrdienstes, d. h. der sogenannte Depotdienst ; jede Verwaltung hat bisher diesen Dienst mit eigenem Personal und zu eigenen Lasten besorgt. Derselbe müsste für die Linien der Gotthardbahn in Luzern, Zug und Arth-Goldau wieder besonders organisiert werden, oder es wären besondere Faktoren festzustellen, nach welchen der allgemeine Depotdienst in die Gemeinschaft einzubeziehen wäre, indem dessen Kosten nicht nach dem nämlichen Verhältnis wie die übrigen Betriebs- und Unterhaltungskosten verteilt werden könnten.

Zur Ermittlung der verschiedenen Verteilungsfaktoren für alle die erwähnten gemeinschaftlichen Ausgaben müsste wieder eine genaue Zählung aller ein- und ausfahrenden Achsen in den betreffenden Bahnhöfen und Stationen vorgenommen werden.

Dabei wäre für die Linie der Brünigbahn im Bahnhof Luzern eine weitere Sonderstellung festzulegen, weil man dieselbe als Schmalspurbahn sowohl für den allgemeinen Gemeinschaftsdienst als eventuell auch für den Depotdienst (sofern letzterer nicht getrennt verrichtet würde) nicht mit sämtlichen zirkulierenden Achsen an den zu verteilenden Kapitalzinsen und Betriebskosten partizipieren lassen könnte.

Schliesslich wäre noch der auf der Strecke Immensee-ArthGoldau durch Maschinen und Personal der Bundesbahnen zu besorgende Traktions- und Zugsdienst (schweizerische Bundesbahnzuge zwischen Rothkreuz und Arth-Goldau) besonders zu ermitteln und der Betriebsrechnung der Gotthardbahnlinien zu fakturieren.

477

Neben den erwähnten, für den Kreis V separat festzustellenden wichtigeren Einnahmen und Ausgaben zitieren wir noch, ·dass zu ermitteln wären die Anteile für T r a n s p o r t e n t s c h ä d i g u n g e n , die V e r s i c h e r u n g e n (Rollmaterial, Güter), die Lieferungen und Leistungen der H ü l f s g e s c h ä f t e , die Z i n s e -auf v e r f ü g b a r e n M i t t e l n , die A n l e i h e n s z i n s e etc.; auch müssten die O p e r a t i o n e n auf dem E r n e u e r u n g s f o n d s stets getrennt vorgenommen werden.

Man darf somit sagen, dass zu dem misslichen Umstände einer bedeutenden Mehrarbeit die Inkonvenienz hinzukommt, dass Vereinfachungen und mit denselben zu erzielende Ersparnisse von Belang gar nicht zur Durchführung gebracht werden könnten, mit ändern Worten; ein nicht unwesentlicher Teil der mit der Verstaatlichung der Gotthardbahn angestrebten Vorteile würde nie zur Realisierung gelangen.

Von grosser Bedeutung ist endlich, dass die besondere jährliche Rechnung den Vertragsstaaten vorgelegt werden müssje und ·dass diese damit eine beständige K o n t r o l l e der Rechnungen vornehmen könnten, und zwar nicht nur der Rechnungen des Kreises V, sondern derjenigen der gesamten Bundesbahnen, weil ja eine Anzahl von Ausgaben als Anteile zu berechnen sind.

Dass Deutschland und Italien zur Prüfung dieser Rechnungen die Einsetzung eines Kontrollkomitees verlangen würden, ist bei Anlass der Verhandlungen der Delegierten im Frühjahr 1909 wiederholt und bestimmt erklärt worden. Wie weit die genannten Staaten in dieser Kontrolle gehen würden, kann nicht gesagt werden; so viel ist aber sicher, dass aus derselben einerseits eine höchst unangenehme und unter Umständen recht empfindliche Einmischung der genannten beiden Staaten in die Verwaltung der Bundesbahnen entstehen könnte. Anderseits würde und raüsste die Berechnung des Reinertrages und die damit in Verbindung stehende Reduktion der Bergzuschläge zu fortwährenden Meinungsverschiedenheiten und Differenzen mit den beiden Vertragsstaaten führen.

Frage 6.

Immeweit kommt der durch den neuen Staatsvertrag eintretende Einnahmenausfall von rund Fr. 975,000 ändern Verkehren als dem 'Durchgangsverkehr zugut (Verkehr der Gotthardbahnstationen unter sich und mit ändern schweizerischen und ausländischen Stationen, sowie Verkehr der Schweiz [exklusive Gotthardbahnstationen] mit Italien)?

Bundesblatt. 65. Jahrg. Bd. I.

35

478

Der neue Staatsvertrag bestimmt nur, dass die Herabsetzung des Bergzuschlages für den Durchgangsgüterverkehr, das heisst für den Verkehr gilt, der über die Bndpunkte der Gotthardbahn (Luzern, Immensee, Zug, Pino, Chiasso) hinausgeht, also nicht für schweizerische, deutsche und italienische Transporte nach und von ' Stationen der Gotthardbahn; die Reduktion des Bergzuschlages findet daher nicht direkte Anwendung z. B. auf einen Transport von Genua nach Altdorf oder von Bern nach Bellinzona. Hieraus haben Vertvagsgegner Anlass genommen zu sagen, die vorgesehene, bedeutende Reduktion des Bergzuschlages sei um so unbilliger, als von den Vergünstigungen der interne Verkehr der Gotthardbahn und der Verkehr der Gotthardbahn mit den übrigen schweizerischen Stationen (direkter Verkehr) nicht profitiere, sondern einzig und allein das Ausland. Dies ist nach zwei Richtungen unzutreffend : «. Einmal ist festzustellen, dass allerdings die Herabsetzung" des B e r g z u s c h l a g e s an s i c h s e l b s t ohne Einwirkung ist auf den internen und direkten Verkehr der Gotthardbahn, dass dagegen schon die b i s h e r i g e n T r a n s i t t a x e n den inner n Gotthardbahnverkehr beeinflussen, indem sie erheblich n i e d r i g e r sind, als die normalen Gotthardbahntaxen, und es ist der Gotthardbahn von Anfang an seitens der Aufsichtsbehörden ausdrücklich vorgeschrieben worden, dass Taxregulierungen stattfinden müssen in der Weise, dass für die kürzern Strecken im internen Verkehr nicht höhere Gesamttaxen erhoben werden dürfen als.

für die den oben genannten Endpunkten der Gotthardbahn nächstgelegenen Stationen (Emmenbrücke, Rothkreuz, Baar etc.), für welche die Transittaxen Gültigkeit haben. (Beispiel: Chiasso-Luzern und Chiasso-Zug dürfen nicht höhere Gesamttaxen haben als ComoEmmenbrücke und Como-Baar).

Die Herabsetzung des Bergzuschlages für die Transitverkehre kommt für die Schweiz in erster Linie auch dem Verkehr SchweizItalien zugut, indem für diesen die nämlichen Bergzuschläge berechnet werden wie für die Transitverkehre durch die Schweiz.

Diese Herabsetzung der Bergzuschläge für den schweizerischitalienischen Güterverkehr bedingt naturgernäss Taxermässigungen, von denen infolge der Vorschrift, dass nähergelegene Stationen nicht höhere Taxen haben dürfen als weitergelegene, auch ' der Verkehr Schweiz-Gotthardbahn und umgekehrt betroffen wird.

Von der Herabsetzung der Bergzuschläge profitieren zufolgedessen auch die Kantone Luzern, Zug, Schwyz, Uri und Tessin.

479 Aus der Herabsetzung der Bergzuschläge im Transitverkehr sowie der dadurch bedingten Taxregulierungen ziehen also sowohl die eigentlichen Gotthardkantone (Luzern, Zug, Schwyz, Uri und Tessin) als auch die übrigen in der Interessensphäre des Gotthard gelegenen schweizerischen Gebiete einen Nutzen, und zwar: I. im schweizerisch - italienischen Verkehr ( H e r a b s e t z u n g der Bergzuschläge).

II. a. im internen Verkehr der Gotthardbahn b. im Verkehr Gotthardbahn-Schweiz und ( R ü c k w i r k u n g umgekehrt

niedrigeren

c. im Verkehr nördliches Ausland - Tessin j Transittaxen) und umgekehrt j Der hieraus resultierende Gewinn der beteiligten Kantone setzt sich wie folgt zusammen : I. schweizerisch-italienischer Verkehr . . . rund Fr. 300,000 II. a. interner Verkehr der Gotthardbahn .

,, ^ 10,000 6. direkter Verkehr Gotthardbahn-Schweiz und umgekehrt (Schätzung) . . . .

,, -,, 40,000 c. Verkehr nördliches Ausland-Tessin und umgekehrt (Schätzung) -n ·» 10,000 Total Fr. 360,000 Vom gesamten durch die Reduktion der Bergzuschläge entstehenden Ausfall entfällt also z u g u n s t e n des s c h w e i z e rischen Verkehrs etwa ein Drittel.

Was den übrigen Einnahmenausfall -- rund Fr. 600,000 -- anbetrifft, so kommt derselbe dem internationalen Durchgangsverkehr zugute und zwar mit zirka 5/e dem Verkehr zwischen Deutschland und Italien und mit '/« dem Verkehr zwischen Belgien, Holland, England und Frankreich einerseits, mit Italien anderseits.

b. Anderseits wird eine Revision der Gotthardbahntarife für den internen und direkten Verkehr notwendig sein ; die seit dem Übergange der Gotthardbahn an den Bund unverändert belassenen bezüglichen Gotthardbahntarife müssen -- ob nun der Staatsvertrag angenommen werde oder nicht ·-- in Übereinstimmung gebracht werden mit den Vorschriften des Bundesgesetzes betreffend das Tarifwesen der Bundesbahnen vom 27. Juni 1901. Tritt bei Annahme des neuen Staatsvertrages eine Reduk-

480

tion des Bergzuschlages für den Durchgangsgüterverkehr ein, so wird eine angemessene Herabsetzung des Bergzuschlages für den internen und direkten Güterverkehr der ehemaligen Gotthardbahn schon aus Billigkeitsgrilnden nicht umgangen werden können.

Und bei diesem Anlasse wird zweifelsohne auch eine Herabsetzung der hohen Gepäcktaxen vorgenommen werden. Die schweizerischen Bundesbahnen beabsichtigen, bezügliche Vorschläge unmittelbar nach der Genehmigung des neuen Staatsvertrages ihrem Verwaltungsrate zuhanden des Bundesrates zu unterbreiten. Aus den dann im Sinne einer Reduktion sukzessive durchzuführenden Revisionen der internen und direkten Gotthardbahntarife wird für den in Frage kommenden Verkehr eine Ermässigung von zirka Fr. 250,000 per Jahr resultieren.

Die unter a und b hjervor dargelegten Wirkungen werden auch eintreten (allerdings wahrscheinlich in etwas anderer Form und mit verändertem finanziellem Resultat), wenn der alte Staatsvertrag fortbestehen sollte und auf Grund der Bestimmungen des Art. 9 desselben die Herabsetzung der Zuschlagstaxen vorgenommen werden muss. Die Schwierigkeiten und Inkonvenienzen, welche dabei entstehen, sind bereits an anderer Stelle dargelegt worden.

Frage 7.

Setgen wir voraus, dass nach den juristischen Gutachten die in Art. 10 des alten, G-otthardvertarages niedergelegte MeistbegünsligungsIclausel für den deutsch-italienischen Transitverkehr im Verhältnis zum Transit anderer Staaten sich auf die Zufahrtslinien zum Gotthardnetg und allfällige künftige Alpenbahnen ohne weiteres ausdehnen wurde.

Wäre der so entstehende Zustand für die Bundesbahnen vorteilhafter als die durch Art. 7--9 des neuen Vertrages geschaffene Lage ? Entsteht durch die Art. 7--9 des neuen Vertrages irgendeine ernstliche Inkonveniene für den künftigen Betrieb der ßvndesbahnen ?

Art. 10 des alten Gotthardvertrages enthält materiell die Verpflichtung zur gleichen Meistbegünstigung des deutsch-italienischen Transitverkehrs via Gotthard wie A r t . 7 und 8 des neuen Vertrages. Der genannte Art. 10 setzt diese Meistbegünstigung ganz allgemein fest, o h n e j e d e A u s n a h m e . "Wenn also die Bundesbahnen beispielsweise zur Bekämpfung des Wettbewerbes der Mont-Cenisroute im französisch-italienischen Verkehr auf der Simplon- und Lötschbergroute oder zur Bekämpfung

481

des Wettbewerbes der Brenner- und Pontebba-Route im österreichisch-italienischen Verkehr auf einer Ostalpenbahn niedrigere Taxansätze bewilligen würden als die Gotthardtransittaxen, so haben die Subventionsstaaten nach Massgabe des a l t e n Staatsvertrages das Recht, zu verlangen, dass die Bundesbahnen diese ihnen durch den ausländischen Wettbewerb aufg e n ö t i g t e n n i e d r i g e r e n A n s ä t z e auch dem deutschitalienischen Durchgangsverkehr via Gotthard zur Verfügung stellen. Dieses Recht der Subventionsstaaten würde in wichtigen Konkurrenzverkehren eine fatale Hemmung der tarifarischen Bewegungsfreiheit der Bundesbahnen bewirken, denn die Bundesbahnen könnten die aus dieser Rechtslage entstehenden, in finanzieller Hinsicht sehr wichtigen Rückwirkungen auf den deutschitalienischen Gotthardverkehr in der Regel nicht übernehmen.

Solchen Rückwirkungen beugt nun Art. 9 des neuen Staatsvertrages vor. Dieser Artikel bestimmt in aller Form, dass die von den Bundesbahnen zur Bekämpfung des ausländischen Wettbewerbes ausnahmsweise herabgesetzten Transittaxen eine Ausnahme von der Meistbegünstigung des deutsch-italienischen Gotthardverkehrs gemäss den Vorschriften der Art. 7 und 8 des Vertrages machen. Solche Taxherabsetzungen sind demnach in Ansehung des Art. 9 des neuen Staatsvertrages zulässig, ohne dass daraus Rückwirkungen auf den deutsch-italienischen Gotthardverkehr entstehen. Vorbehalten ist lediglich, dass Massnahmen dieser Art dem Verkehr über den Gotthard keinen Abbruch tun dürfen, was an und für sich auch den Bundesbahninteressen entspricht.

Über die Bedeutung dieses Vorbehaltes für die Praxis des Tarifwesens und für das Verkehrsleben ist zu sagen, dass die Aufnahme der Konkurrenz ausländischer Routen seitens der Bundesbahnen eine nach Möglichkeit e x a k t e sein soll. Mit ändern Worten: es sollen d u r c h s c h n i t t l i c h e Konkurrenzsätze tun" liehst vermieden werden, weil solche Durchschnittssätze, wenn sie für Güter erstellt werden, die auch im deutsch-italienischen Gotthardverkehr von Wichtigkeit sind, diesem Verkehr Abbruch tun könnten. Durch eine möglichst exakte Aufnahme der Konkurrenz ausländischer Routen soll sodann auch den Interessen derjenigen deutschen und italienischen Exporteure, die nur auf die Gotthardroute angewiesen sind, Rechnung getragen werden.
Solange die Bundesbahnen z. B. im französisch-italienischen Simplonverkehr oder im österreichisch-italienischen Verkehr über eine Ostalpenbahn für bestimmte, auch im deutsch-italienischen Gotthardverkehr wichtige Güter nur die bestehenden Konkurrenzsätze

482 der französischen Linien via Modane oder Ventimiglia bzw. der Routen via Brenner und Pontebba möglichst exakt übernehmen, kann nicht die Rede davon .sein, dass dadurch deutsche oder italienische Interessen verletzt würden, denn es kommt für die deutschen und' italienischen Exporteure auf eines heraus, ob allfällige den Gotthardverkehr konkurrenzierenden Taxen nur über die französischen und österreichischen Routen bestehen oder ob sie auch auf die Simplonroute bzw. eine schweizerische Ostalpenbahn übernommen werden. Erst wenn auf ändern Alpenwegen der ausländische Wettbewerb im Verkehr nach und von Italien von den Bundesbahnen mittelst solchen D u r c h s c h n i t t s - A u s n a h m e t a r i f e n (allgemein gleichmässig herabgesetzte Grundtaxen) bekämpft würde, die niedriger wären als die Gotthardtarife für die gleichen Güter, wäre die Möglichkeit der Verletzung deutscher und italienischer Interessen vorhanden. In diesem Falle könnte gegen den zu erbringenden N a c h w e i s der t a t s ä c h l i c h e n V e r l e t z u n g von I n t e r e s s e n der Schutz des zweiten Absatzes von Art. 9 des neuen Vertrages angerufen werden. Es liegt aber auf der Hand, dass die Bundesbahnen eine solche Konkurrenztarifpolitik nicht befolgen werden, denn die dadurch etwa eintretende Verletzung deutscher oder italienischer Interessen wäre praktisch gleichbedeutend mit einer Minderung des Verkehrsbesitzstandes der Gotthardroute, das heisst der für die Bundesbahnen längsten und nutzbringendsten Route. Davor werden die Bundesbahnen sich selbstverständlich hüten.

Der Zustand, der entstehen würde, wenn die in Art. 10 des alten Gotthardvertrages niedergelegte Meistbegünstigungsklausel für den deutsch-italienischen Transitverkehr auf die Zufahrtslinien zum Gotthardnetz und allfällig künftige Alpenbahnen auszudehnen wäre, würde demnach für die Bundesbahnen in einem sehr wichtigen Punkte, in der Frage der Bewegungsfreiheit gegenüber dem ausländischen Wettbewerb, v i e l u n v o r t e i l h a f t e r sein, als die durch Art. 7--9 des neuen Vertrages geschaffene Lage.

Endlich ist noch zu bemerken, dass durch die Art. 7--9 des neuen Vertrages irgendeine ernstliche Inkonvenienz für den künftigen Betrieb der Bundesbahnen nicht entstehen könnte.

Art. 7 und 8 entsprechen, wie bemerkt, dem materiellen Inhalt des Art. 10
des alten Vertrages, aus dem sich seit seinem Bestehen für den Betrieb nie Inkonvenienzen ergeben haben. Art. 9 des neuen Vertrages hat für den Betrieb keine Bedeutung.

483

Wir haben im vorstehenden die uns gestellten Fragen eirilüsslich beantwortet. Am Schlüsse unserer Darlegungen angelangt, betrachten wir es als unser Recht und unsere Pflicht, Ihnen einstimmig die Erklärung abzugeben, dass, alles in Betracht gezogen, die Annahme des neuen Staatsvertrages wünschenswert ist, weil er die Ansprüche der Subventionsstaaten Deutschland und Italien in bestimmter Weise regelt, ohne dass unverhältnismässig grosse Opfer gebracht werden müssen. Wenn dagegen der alte Staatsvertrag fortbestehen sollte, so müssen notwendigerweise dauernde Tarifreduktionen eintreten, die voraussichtlich bedeutender und empfindlicher sein werden als die durch den neuen Vertrag festgelegten; gleichzeitig wird die Durchführung einer der wichtigsten Vorteile der Verstaatlichung -- Vereinfachung im Betriebe und entsprechende Ersparnisse -- zum grössern Teile verunmöglicht. Dazu kommen sehr missliche Komplikationen im Rechnungswesen, für das eine lästige, ständige Kontrolle der Vertragsstaaten verlangt und damit eine Quelle fortwährender Differenzen geschaffen würde.

Für die Generaldirektion der schweizerischen Bundesbahnen, Der P r ä s i d e n t :

Binkelmann.

2 Jieilaf/en,

Beilage C. I.

Gewinn- und Verlustrechnung fUr die Linien der ehemaligen Gotthardbahn pro 1909--1912 (auf Grund der Rechnungsführung der Gotthardbahn-Gesellschaft).

1909

1910

1911

1912

Fr.

Fr.

Fr.

Fr.

29,754,796 20,548,930

30,633,650 20,039,649

31,914,861 20,435,809

33,639,000 22,499,000

9,205,866

10,594,001

11,479,052

11,140,000

9,205,866 147,508 1,146

10,594,001 165,094 4,903

11,479,052 179,780 35,411

11,140,000 175,800 35,000

807,755

946,249

860,698

Abschlags der Betriebsrechnung.

Total der Betriebseinnahmen . . . .

Total der Betriebsausgaben .

.

. .

Überschuss der Betriebseinnahmen Gewinn- nnd Yerlnstrechnang.

Einnahmen.

Üderschuss der Betriebseinnahmen .

Ertrag verfügbarer Kapitalien .

Bauzinse Zuschüsse aus den Spezialfonds : Erneuerungsfonds . . .

PensioDsfonds .

Aus sonstigen Quellen

.

. . .

. . . .

15,154 Total der Einnahmen

10,162,275

11,710,247

12,570,095

1,300,000 80,000 I 10,000 !

12,740,800

OD *>·

1909

1910

1911

1912

Fr.

Fr.

Fr.

Fr.

33,696

45,017

44,162

49,100

4,093,775

4,076,100

4,057,725

4,038,650

5000

25200

46200

68000

154,375 3,978 44,868

231 500 26,674

231,500 50,480

231 500 100,000 30,000

1,316,236 13,300

1,190,821 20000

1,231,694 20000

1,418,400 20000

3,926 21,191

4,559 597 905

4,258 374,350

4300 145,100

5,690,345

6,217,776

6,060,369

6,105,050

4,471,930

5,492,471

6,509,726

6,635,750

10,98 °/0

13,03 %

Ausgaben.

Kontokorrentziiise und Provisionen Verzinsung der konsolidierten Anleihen (Gotthardbahn-Obligationen) Verzinsung der Ersatzanleihen für Rückzahlung der Obligationen . .

Verzinsung und Amortisation des Defizits der Pensions- und Hülfskasse Verzinsung der neueü Bauausgaben Abschreibung untergegangener Anlagen Einlagen in die Spezialfonds : Erneuerungsfonds Brandversicherungsfonds Verwendungen zu verschiedenen Zwecken: Subventionen an die Eisenbahnschulen .

Ausserordentliche Zulagen 'an das Personal Total der Ausgaben Überschuss der Einnahmen In Prozenten des Aktienkapitals von 50 Millionen . . . .

8,94

°/0

13,27

%

486 Beilage C. IL

Verkehrsschwankungen in den Einnahmen der G. B. (Kr. V).

Personen Jahr

Einnahmen

r fiter, inkl. Gepäck und Tiere

Differenz gegenüber dem Vorjahre

Einnahmen

Differenz gegenüber dem Vorjahre

Fr.

Fr.

%

Fr.

Fr.

%

1901

8,006,230

--

--

11,765,676

--

--

1902

8,118,180 + 111,950

+

1,39

12,268,633 + 502,957

+

4,27

1903

8,909,989 + 791,809

+

9,75

13,257,553 + 988,920

+

8,06

1904

9,310,915 + 400,926

+

4,49

13,289,727 +

32,174

+

0,24

1905

10,181,902 + 870,987 + 9,35 14,210,750 + 921,023

+

6,93

1906

11,220,274 + 1,038,372

1907

10,641,434 -- 578,840

1908

10,872,158 + 230,724

1909

10,19

16,170,535 + 1,959,785

+

13,79

5,15

18,722,746 +2,552,211

+

16,78

+

2,16

17,234,790 --1,487,956

- 7,94

10,516,546 -- 355,612

--

3,2,

17,964,724 + 729,934

+

4,23

1910

11,602,363 + 1,085,817

+ 10,82

17,727,721 -- 237,003

·

1,32

1911

11,638,817 +

+

0,3,

19,239,148 + 1,511,427

+

8,62

36,454

Im ganzen Durchschnittlich pro Jahr

+

+ 39,54

+

3,95

+ 62,56

+

5,25

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Ergänzungsbericht des Bundesrates an die Bundesversammlung zu dem zwischen der Schweiz, Deutschland und Italien am 13. Oktober 1909 abgeschlossenen Staatsvertrag betreffend die Gotthardbahn. (Vom 18. Februar 1913.)

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Jahr

1913

Année Anno Band

1

Volume Volume Heft

09

Cahier Numero Geschäftsnummer

45

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

05.03.1913

Date Data Seite

333-486

Page Pagina Ref. No

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