5 0

0

%

3

# S T #

i

Schweizerisches Bundesblatt.

65. Jahrgang.

17. Dezember 1913.

Band V.

Jahresabonnement (portofrei in der ganzen Schweiz): 10 Franken.

Einrückungsgebühr per Zeile oder deren Bum 15 Bp. -- Inserate franko an die Expedition.

Druck und Expeditton der Buchdruckerei Stämpfli & Oie. in Bern.

# S T #

Bundesratsbeschluss über

den Rekurs der ,, Helvetia ", Schweizerische Feuerversicherungs-Gesellschaft in St. Gallen, der Basler Versicherungs-Gesellschaft gegen Feuerschaden in Basel und der Gladbacher Feuerversicherungs-Aktien-Gesellschaft in München-Gladbach gegen den Kanton Graubünden betreffend die kantonale Verordnung vom 9. November 1911 über die Kontrolle der Mobiliarversicherung gegen Feuerschaden.

(Vom 7. November 1913.)

Der schweizerische Bundesrat hat über den Rekurs der ,,Helvetia", Schweizerische Feuerversicherungs-Gesellschaft in St. Gallen und Konsorten gegen den Kanton Graubünden, betreffend die kantonale Verordnung vom 9. November 1911, folgenden Beschluss gefasst: I.

Das Gesetz des Kantons Graubünden betreffend die GebäudeBrandversicherung, vom 25. November 1907, enthält in § 55 folgende Bestimmung: ,,Der Grosse Rat erlässt die erforderlichen Ausführungsbestimmungen zu diesem Gesetze, sowie Vorschriften über das Feuerwehrwesen und die Feuerpolizei. Auch kann er die mit PrivatBundesblatt. 65. Jahrg. Bd. V.

22

302

Versicherungsanstalten abgeschlossenen Verträge betreffend die Mobiliarversicherung der Kontrolle der Brandversicherungsanstalt unterstellen."

In Ausführung von Satz 2 dieser Gesetzesbestimmung hat der Grosse Rat des Kantons Graubünden am 9. November 1911 die ,, V e r o r d n u n g b e t r e f f e n d die K o n t r o l l e der Mob i l i a r v e r s i c h e r u n g g e g e n F e u e r s c h a d e n " erlassen.

Diese Verordnung hat folgenden Wortlaut: Art. 1. Überversicherung von Mobiliar und Fahrhabe, auch in der Form von Doppelversicherung, ist verboten, soweit dieselbe nicht laut Art. 52 des Bundesgesetzes über den Versicherungsvertrag als gerechtfertigt erscheint.

Die Versicherungssumme darf daher in der Eegel nicht höher sein als der wirkliche Wert der versicherten Gegenstände zur Zeit des Vertragsabschlusses. Als wirklicher Wert gilt : a) bei Handelswaren, Naturerzeugnissen, Lebensrnitteln, Futtervorräten der Marktpreis; b) bei Mobiliar, Gebrauchsgegenständen, Arbeitsgerätschaften und Maschinen der Neuanschaffungswert zur Zeit des Vertragsabschlusses,, unter billiger Berücksichtigung der infolge Abnutzung, Veraltung usw.

eingetretenen Wertverminderung.

Bei gewerblichen und maschinellen Einrichtungen, die zufolge Abnutzung oder aus anderen Gründen eine wesentliche Wertverminderung erlitten haben,, soll auch innert der Vertragsdauer die Versicherungssumme dem verminderten Werte angepasst werden.

Art. 2. Die Kontrolle der Feuerversicherung von Mobiliar und Fahrhabe bei Privatversieherungsgesellschaften wird unter Mitwirkung der Gemeindevorstände durch die kantonale G. V. A. durchgeführt.

Diese Kontrolle berührt den Inhalt der Verträge nur insoweit, alsnach Feststellung einer Überversicherung die Versicherungssumme auf den wahren Wert der versicherten Sache herabgesetzt wird.

Art. 3. Jeder Vertrag (Police) samt Antrag ist innert der Zeit von längstens 14 Tagen nach Abschluss vom Versicherer (Gesellschaft) in zwei gleichlautenden Ausfertigungen der Versicherungsanstalt einzuliefern. Diese gibt die eine Ausfertigung mit ihrem Kontrollvermerk versehen, an die Einsendestelle zurück und legt die andere in ihr Archiv.

Art. 4. Das Anbringen des Kontrollvermerkes durch die Versicherungsanstalt erfolgt in der Regel auf Grund einer Bescheinigung des zustandigen Gemeindevorstandes, dass die durch
den Vertrag versicherten Gegenstände in wenigstens dem durch die Versicherungssumme angegebenen Wert und unter den sonst im Vertrag genannten Umständen wirklich vorhanden seien.

Art. 5. Wenn es sich um zu versichernde Gegenstände von ausserordentlich grossem Werte handelt oder um solche, deren Wert ohne besondere Kenntnisse nicht wohl zu kontrollieren ist, so kann der Gemeimdevorstand die Mitwirkung eines Vertreters der Gebäudeversicherungsanstalt bei der Kontrolle verlangen.

Art. 6. Die Direktion der Gebäudeversicherungsanstalt ist berechtigt, alle Kontrollbescheinigungen auf ihre Richtigkeit nachzuprüfen. Kann sich die Direktion der G. V. A. mit den Vertragsschliessenden über den wahren

303 Wert; der Versicherungsgegenstände, also über die Höhe der Versicherungssumme, nicht einigen, so entscheidet darüber endgültig der Kleine Eat.

Art. 7. Befinden sich die zu versichernden Gegenstände in oder in nächster Nahe eines bei der kantonalen Anstalt versicherten Gebäudes, so ist im Versicherungsvertrag die Versicherungsnummer und Unterbezeichnung des Gebäudes anzugeben.

Art. 8. Für Übertretungen dieser Verordnung, namentlich das unterlassen der rechtzeitigen Eingabe der Versicherungsverträge zur Kontrolle bei der kantonalen Gebäudeversicherungsanstalt, werden die Fehlbaren mit Fr. Ei--100 gebüsst. Die Bussen fallen in die Prämienkasse (nach Art. 68 der Ausführungsbestimmungen zum Gebäudeversicherungsgesetz).

Art. 9. Mobiliarversicherungsverträge, die ab 1. Januar 1912 abgeschlossen werden, müssen unter Innehaltung der im Art. 3 vorgesehenen Frist, die schoQ von früher her bestehenden Verträge bis spätestens Ende 1914 zur Kontrolle eingereicht werden.

Art. 10. Der Kleine Rat kann weitere Ausführungsbestimmungen zu dieser Verordnung erlassen.

Die ,,Helvetia", Schweizerische Feuerversicherungs-Gesellschaft in St. Gallen, die Basler Versicherungs-Gesellschaft gegen Feuerschaden in Basel und die Gladbacher Feuerversicherungs-AktienGesellschaft in München-Gladbach hatten sich geweigert, die von der hündnerischen Verordnung geforderten Obliegenheiten zu erfüllen.

Jede der Gesellschaften wurde daher mit einer Busse von Fr. 20 belegt.

Die genannten Versicherungsunternehmungen haben beim Butidesrat eine Rekursbeschwerde eingereicht, in der sie die Rechtsbeständigkeit der bündnerischen Verordnung und damit implicite die Rechtskraft des Strafurteiles anfechten.

II.

Zunächst ist zu bemerken, dass vom Erlass der Verordnung (9. November 1911) bis zur Einreichung der Rekursbeschwerde (14. September 1912) mehr als 60 Tage verflossen sind. Nach Art. 178 und 190 des Org. Ges. kann somit die Verordnung als solche durch eine staatsrechtliche Rekursbeschwerde nicht mehr angefochten werden. Die Bundesbehörden haben sich nun aber bei der Beurteilung von staatsrechtlichen Streitigkeiten .stets auf den Standpunkt gestellt, dass die staatsrechtliche Beschwerde sich nicht nur gegen den Erlass selbst, sondern auch gegen seine Anwendung durch die kantonale Behörde richten könne. In diesem Falle ist die zur Anwendung gelangende kantonale Gesetzesbestimmung auf ihre Verfassungsmässigkeit zu prüfen. Die Bussen wurden vom Kleinen Rat des Kantons Graubünden am 20. August 1912 ausgesprochen. Die Beschwerde gegen dieselben wurde somit innerhalb der gesetzlichen Frist eingereicht.

304

Weiter stellt sich die Frage, in welchen Kompetenzbereich der Entscheid dieser Beschwerde falle, in denjenigen des Bunclesrates oder des Bundesgerichtes. Weder die Rekurseingabe noch ihre Beantwortung unterziehen diese Frage einer nähern Prüfung, sondern sie nehmen die ausschliessliche Kompetenz des Bundesrates als gegeben an.

Eine eingehende und sorgfältige Prüfung der Kompetenzfrage erscheint jedoch um so angemessener, als ihr prinzipielle Bedeutung zukommt.

III.

Betrachtet man die geltend gemachten ßeschwerdegründe, so ist folgendes zu konstatieren : Die Beschwerde macht geltend, der Kanton Graubünden habe in seiner Verordnung die ihm durch die Bundesgesetzgebung gezogenen Grenzen der feuerpolizeilichen Kompetenz überschritten. Über die Natur des Rechts der Kantone zum Erlass derartiger Vorschriften sind die Parteien nicht einig. Für die Beurteilung fällt zunächst in Betracht Art. l, Abs. 3, des Versicherungsaufsichtsgesetzes vom 25. Juni 1885: ,,Den Kantonen bleibt vorbehalten, über die Feuerversicherung polizeiliche Vorschriften zu erlassen." Der Kanton Graubünden erblickt in dieser Bestimmung den Vorbehalt eines kantonalen Souveränitätsrechtes im Sinne des Art. 3 B. V., und er schliesst daraus, dass die Kantone vollständig frei seien in der Gesetzgebung über die Feuerpolizei und in der Vollziehung der bezüglichen kantonalen Gesetze und Erlasse. Die Rekurrenten sind dagegen der Ansicht, die Kompetenz der Kantone, über die Feuerversicherung polizeiliche Vorschriften zu erlassen, liege nicht im öffentlichen Recht der Kantone, sondern sie sei ,,lediglich in den Vorbehalten begründet, die das Bundesrecht zugunsten der Kantone macht" (Replik S. 6).

Die Rekursbeschwerde begründet die Behauptung, dass die Verordnung des Kantons Graubünden über den Rahmen der feuerpolizeilichen Kompetenzen hinausgehe, mit dem Hin weis auf die durch den Erlass des Gesetzes über den Versicherungsvertrag geschaffene neue Rechtslage. Die Rekurrenten bestreiten nicht, dass auch nach Inkrafttreten dieses Gesetzes die Kantone befugt seien, feuerpolizeiliche Vorschriften aufzustellen. Die Situation sei aber insofern eine andere geworden, als die Kantone früher auf dem Versicherungsgebiete auch in privatrechtlicher Hinsicht die Gesetzgebungshoheit besassen, soweit ihr nicht durch das schwei-

305 zerische Obligationenrecht eine Grenze gezogen war. Die feuerpolizeilichen Vorschriften liefen also nicht Gefahr, gegen privatrechtliche Rechtssätze des Bundes zu verstossen. Ob die von den Kantonen getroffenen Präventivvorkehren sich samt und sonders unter das kantonale Reservatrecht der feuerpolizeilichen Vorschriften einreihen lassen, war bei der v o r Inkrafttreten des Gesetzes über den Versicherungsvertrag gegebenen Rechtslage bundesrechtlich nicht zu untersuchen; denn die Kantone konnten sich früher nicht nur auf den in Art. l, Abs. 3. Vers. Aufs. Ges.

niedergelegten Vorbehalt, sondern auch auf Art. 896 OR. berufen, auf eine Bestimmung, kraft deren ihnen bis zum Erlasse des Gesetzes über den Versicherungsvertrag die Gesetzgebungshoheit übei* das private Versicherungsrecht zustand (Beschwerde S. 5).

Dadurch, dass das Gesetz über den Versicherungsvertrag das Recht aus der Versicherung eingehend geordnet und namentlich auch Bestimmungen getroffen habe über die Doppel- und Überversicherung, gegen die sich bisher hauptsächlich die kantonalen Feuerpolizeivorschriften richteten, sei das freie Ermessen der Bundesbehörden in der -Beurteilung des feuerpolizeilichen Charakters der kantonalen Vorschriften erheblich eingeschränkt worden. Sie hätten in Zukunft auch zu untersuchen, ob die kantonale Vorschrift nicht gegen die massgebende Auffassung des Bundesgesetzes über den Versicherungsvertrag verstosse. Was das Bundesgesetz von privatrechtlichen Gesichtspunkten aus erlaube, könne nicht eine kantonale Vorschrift vom feuerpolizeilichen Standpunkt aus als gefährlich und den öffentlichen Interessen zuwiderlaufend bezeichnen. Eine solche Vorschrift müsste daher von der Bundesbehörde als unzulässig erklärt werden. Insbesondere gelte dies für das Verbot der Über- und Doppelversicherung. Eine kantonale Massnahme sei nur noch möglich gegenüber der Überversicherung nach Massgabe des Art. 52 VVG.

Die Einschränkung der den Kantonen vorbehaltenen Kompetenz sei noch besonders ausgesprochen durch Art. 103, Abs. l, WG. Dieser Artikel bestimmt, dass mit dem Inkrafttreten des Gesetzes über den Versicherungsvertrag ,,alle entgegenstehenden Vorschriften der kantonalen Gesetze und Verordnungen aufgehoben" werden. Dem VVG müssten demnach ,,nicht bloss alle versieh erungsprivatrechtlichen Normen, sondern auch alle
diejenigen ö f f e n t l i c h r e c h t l i c h e n Vorschriften der Kantone weichen, die dem VVG entgegenstehen und die von diesem Gesetze nicht ausdrücklich vorbehalten sind (Art. 52 VVG). Welche kantonalen feuerpolizeilichen Bestimmungen vom 1. Januar 1910 an unzu-

306

lässig sind, muss sich also nach dem bestimmten Willen des Bundesgesetzgebers ausschliesslich aus dem Zwecke und Inhalte des WG ergeben." Jede andere Auffassung sei rechtsirrtümlich.

Von diesem Gesichtspunkte aus, als mit den Bestimmungen des Gesetzes über den Versicherungsvertrag im Widerspruch stehend, werden denn auch alle in der Beschwerde gerügten Vorschriften der bündnerischen Verordnung angefochten.

IV.

Wenn festgestellt werden soll, ob der Entscheid der Beschwerde in die Kompetenz des Bundesrates falle, so ist zunächst zu prüfen, wie sich dieselbe rechtlich charakterisiere. Die Rekurrenten sehen in ihr eine A d m i n i s t r a t i v b e s c h w e r d e , und sie sind der Meinung, dass der Bundesrat als a d m i n i s t r a t i v e R e k u r s i n s t a n z zu entscheiden habe. Die Kompetenz des Bundesrates ergebe sich aus Art. 189, Abs. 2, Org. Ges.

Eine Administrativbeschwerde greift Platz, wenn ein Bundesgesetz polizeilichen Charakters unrichtig angewendet worden ist.

Eine unrichtige Anwendung des Bundesgesetzes liegt vor, wenn die mit der Ausführung betrauten Organe in ihren Amtshandlungen sich nicht an die gesetzlichen Vorschriften gehalten haben, indem sie dieselben falsch interpretierten oder ihre Kompetenz überschritten. Im vorliegenden Falle könnte also aus diesem Grunde die Administrativbeschwerde erhoben werden, wenn der Bundesrat als Aufsichtsbehörde über das private Versicherungswesen sich bei einer Amtshandlung nach der Meinung des Betroffenen nicht im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen hielte (Wiedcrerwägungsgesuch), oder wenn ein Organ oder ein Beauftragter der Aufsichtsbehörde sich diesen Fehler zuschulden kommen Hesse. Der Rekurs der drei Versicherungsgesellschaften richtet sich gegen eine kantonale Verordnung und gegen eine auf dieser Verordnung beruhende Massnahme der kantonalen Behörde. Als Administrativbeschwerde könnte dieser Rekurs nach dem Gesagten nur gelten, wenn angenommen würde, dass der Kanton, der eine feuerpolizeiliche Verordnung erliisst, seine Kompetenz hierfür aus dem Bundesgesetze schöpft. Voraussetzung wäre also die Annahme, dass Art. l, Abs. 3 des Vers. Aufs. Ges.

einen Teil der vom Bunde, gestützt auf Art. 34, Abs. 2 B.V., in Anspruch genommenen Kompetenzen an die Kantone wieder delegiere, dass also der Kanton als Organ der Bundesaufsicht handle. Eine solche Auffassung besteht bei den Rekurrenten, wie wenigstens aus der folgenden Äusserung hervorzugehen scheint :

307

.,,Die Kompetenz der Kantone, über die Feuerversicherung polizeiliche Vorschriften zu erlassen (Art. l, Abs. 3 Vers. Auf. Ges.), ·liegt nicht im öffentlichen Rechte der Kantone, sondern lediglich in den Vorbehalten begründet, die das Bundesrecht zugunsten der Kantone macht. Nur bei dieser Auffassung ist die Tatsache verständlich, dass Streitigkeiten über die Anwendung des Art. l, Absi. 3 Vers. Aufs. Ges. bundesstaatsrechtlich Administrativstreitig.keiten sind. Die Kantone sind daher in der Materie der Präventivkontrolle keineswegs frei. Sie haben vielmehr die bundesrechtlichen Schranken zu respektieren (Replik S. 6)." Zu einer solchen Auffassung ist indessen ein Anhaltspunkt nirgends zu finden. Alle Indizien weisen vielmehr darauf hin, dass Art. l, Abs. 3 des Vers. Aufs. Ges. den Kantonen nicht eine Kompetenz delegieren, sondern für das Gebiet der Feuerpolizei die kantonale Gesetzgebungshoheit reservieren wollte. Das geht schon hervor aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung, die sich des Ausdrucks bedient, ,,den Kantonen bleibt vorbehalten", noch deutlicher aber -aus der Botschaft des Bundesrates vom 13. Januar 1885, wenn sie sagt: ,,Ausnahmsweise wird die G e s e t z g e b u n g der Kantone, v o r b e h a l t e n bezüglich polizeilicher Vorschriften über die 'Feuerversicherung . . . ; sie stehen in so enger Verbindung mit der Feuer- und Baupolizei, dass es uns, wenigstens zurzeit, nicht ^geboten erscheint, a u c h d i e s e M a t e r i e dem B u n d e zu ü b e r t r a g e n (Botsch. S. 21)." Es ist auch zu beachten, dass ·die Kompetenz zum Erlass feuerpolizeilicher Vorschriften in einem Atemzug geregelt wird mit derjenigen zur Erhebung von Beiträgen -an die kantonale Feuerpolizei und das Feuerlöschwesen, eine Kompetenz, die sich doch unmöglich aus der Gesetzgebungshoheit ·des Bundes ableitet. Die Behauptung der Rekurrenten, dass die Streitigkeiten über die Anwendung des Art. l, Abs. 3 Vors. Aufs.

Ges. in der buudesstaatsrechtlichen Praxis als Administrativ:streitigkeiten behandelt werden, ist nicht bewiesen. Tatsache ist vielmehr, dass Rekurse dieser Art stets als staatsrechtliche Beschwerden eingereicht und behandelt wurden (B. Bl. 1887, III, '702 fg. 5 1888, I, 195 fg.).

Aus diesen Gründen ist auch die von den Rekurrenten vertretene Anschauung, dass es sich bei der Bestimmung von Art. l,
Abs. 3 des Vers. -Aufs. Ges. ,,nicht um eine Ausscheidung der .Gesetzgebungskompetenzen zwischen Bund und Kantonen'1 handle .{Replik S. 7), nicht zutreffend. Vielmehr besteht der Zweck dieser Bestimmung gerade darin, die kantonale Gesetzgebungshoheit im «Gebiete des öffentlichen Rechtes, speziell der Feuerpolizei, gegen-

308

über der aus Art. 34, Abs. 2 abgeleiteten Gesetzgebungshoheit des Bundes im Gebiete der Staatsaufsicht über das private Versicherungswesen abzustecken. Sie wollte zwischen der Souveränität des Bundes und der Kantone (Art. 3 B. V.) die Grenzlioie ziehen in bezug auf einen Gegenstand, der von einem gewissen Gesichtspunkte aus auch von der Gesetzgebung des Bundes hätte beansprucht werden können. Indem der Bund von seiner Befugnis nicht Gebrauch machte, sondern es den Kantonen überliess, diese Materie in einer ihnen gutscheinenden Weise zu regeln, respektierte er für dieselbe die kantonale Gesetzgebungshoheit.

Diese trifft aber die gesetzliche Ordnung nicht vom Gesichtspunkte der Versicherungsaufsicht, sondern der Feuerpolizei. Die Rekurrenten können daher für ihre Auffassung sich nicht auf Art. 34, Abs. 2 B V berufen; denn zu beantworten ist ja gerade die Frage, wie weit der Bund von der ihm verfassungsmässig eingeräumten Gesetzgebungsboheit Gebrauch gemacht habe. Indem die Rekurrenten sich auf diesen Verfassungsartikel stützen, nehmen sie das, was zu beweisen ist, zum Ausgangspunkt ihrer Argumentation.

Aus dieser Betrachtung ergibt sich, dass die Kantone, wenn sie von der ihnen in Art. l, Abs. 3 des Aufs. Ges. vorbehaltenen Kompetenz Gebrauch machen, die Befugnis hierzu nicht aus diesem Gesetze, sondern aus der vom Bundesrechte nicht berührten kantonalen Polizeihoheit schöpfen. Rekurse wegen Überschreitung dieser Kompetenz können daher niemals A d m i n i s t r a t i v b e s c h w e r d e n sein.

Die Begründung des Rekurses zeigt denn auch, dass die Rekurrenten, trotzdem sie es vorgeben, gar nicht eine Administrativbeschwerde geltend machen. Ihre Beweisführung geht darauf hinaus, darzulegen, dass der Kanton Graubünden nicht befugt gewesen sei, die in der Beschwerde angefochtenen Bestimmungen der Verordnung zu erlassen, mit ändern Worten, es wird behauptet, dass die kantonale Behörde in die Sphäre des Bundesrechts eingegriffen habe. In Wirklichkeit läuft also die Rüge der kantonalen Verordnung darauf hinaus, dass die derogatorische Bestimmung des Art. 2 der Übergangsbestimmungen zur BV. nicht beachtet worden sei.

Die Frage, ob der Grundsatz, dass eidgenössisches Recht dem kantonalen Recht vorgehe, verletzt sei, ist ein selbständiger Beschwerdegrund, der stets vom Bundesgericht beurteilt wurde (BGB 34, I, 270 ff. und dort zitierte Entscheide). Käme nur dieser Beschwerdegrund in Betracht, so wäre die Zuständigkeit

309

des Bundesgerichts gegeben. Das Bundesgericht wäre zuständig,, zu entscheiden, ob der Kanton sich die Gesetzgebungskompetenz in einer Materie angemasst habe, die verfassungsmässig dem Bunde zusteht. Es würde also auch zu entscheiden haben, ob eine kantonale Vorschrift dem den Kantonen vorbehaltenen Gebiet der feuerpolizeilichen Erlasse, oder den durch Art. 34, Abs. 2, oder Art. 64 der B. V. dem Bunde zugewiesenen Geset/gebungsgebieten angehöre.

'Nun verbindet sich aber mit Streitfragen aus Art. 2 der Übergangsbestimmungen zur B. V. meist die weitere Frage, ob die angefochtene kantonale Vorschrift ein bestehendes Bundesgesetz verletze. Die Behauptung, dass ein Bundesgesetz unrichtig angewendet oder doch ausgelegt wurde, bildet meist die Ursache solcher Konflikte. Es fällt dann Art. 189, Abs. 2 des Org.-Ges.

in Betracht, wonach der Bundesrat Besehwerden zu erledigen hat, betreffend die Anwendung der auf Grund der Bundesverfassung erlassenen Bundesgesetze, soweit nicht diese Gesetze selbst oder die gesetzlichen Bestimmungen über die Bundesrechtspflege abweichende Vorschriften enthalten. Es können also gleichzeitig zwei Rekursgründe vorliegen, wobei für den einen der Bundesrat, für den ändern das Bundesgericht zuständig wäre.

Die bundesrechtliche Praxis hat sich, wenn auch nicht mit strikter Konsequenz, doch weit überwiegend auf den Standpunkt gestellt, dass diejenige Behörde zu entscheiden habe, der die Anwendung und Interpretation der verletzten Gesetzesbestimmung im allgemeinen obliegt. Das Bundesgericht beansprucht die Entscheidung, wenn es sich um die Auslegung privatrechtlicher Gesetze handelt, während die Kompetenz des Bundesrates angenommen wird, wenn die Anwendung und Auslegung von Polizei gesetzen in Frage steht. Diese Kompetenzausscheidung entspricht der vom Gesetzgeber ins Auge gefassten Bedeutung des Art. 189, Abs. 2 des Org.-Ges. ,,So haben wir es denn zweckmässig und den Verhältnissen entsprechend gefunden, unter Ziff. 5 des Art. 179 in einem besonderen Absätze (jetzt Art. 189, Abs. 2) von den Bundesgesetzen polizeirechtlicher Natur zu sprechen, und die Kompetenz zur Erledigung von Beschwerden betreffend dieselben dem Bundesrate zuzuscheiden11 (Botschaft des B. R., Bundesbl. 1892, II, 386. Siehe auch Reichel, Kommentar zum Org.-Ges., S. 148, Anm. 2). Hinsichtlich der Praxis sei auf
folgende Fälle verwiesen: BGE 28, I, 36, 29, I, 180, 32, I, 657, 37, I, 44 und 53, abweichend 34, I, 268, Bundesbl. 1907, I, 560, VI, 549. Im Falle Theodor Fierz Nachfolger ca. Zürich

310

spricht sich das Bundesgericht ausdrücklich dahin aus, dasa die Frage, ob das kantonale Lehrlingsgesetz in das Gebiet des eidgenössischen Fabrikgesetzes übergreife, vom Bundesrat zu entscheiden sei, während es selber die Frage des Übergriffes in das Gebiet des Obligationenrechts beurteilt (BGE 37, I, 44). Mit dieser Rechtsauffassung stimmt überein die Äusserung des Buudesrates im Rekurse der Gebrüder Sulzer in Winterthur und der Schweizerischen Lokomotiv- und Maschinenfabrik in Winterthur gegen die Anwendung des zürcherischen Gesetzes betreffend das Lehrlingswesen auf Fabriken: ,,Gemäss der mit dem Bundesgericht getroffenen Kompetenzausscheidung hat der Bundesrat bloss zu prüfen, ob das zürcherische Gesetz betreffend das Lehrlingswesen vom 22. April 1906 mit Art. 34 der Bundesverfassung und mit dem Bundesgesetz betreffend die Arbeit in den Fabriken vom 23. März 1877 im Widerspruch stehe; ob es mit Art. 64 der Bundesverfassung und mit dem Bundesgesetz über das Obligationenrecht im Einklang stehe, wird das Bundesgericht entscheiden."

Diese Kompetenzausscheidung ist auch die einzig angemessene, indem nur durch sie vermieden wird, dass zwischen der Praxis der obersten Bundesbehörden, zum Schaden der Rechtssicherheit, eine Divergenz entstehe. Die beiden Entscheide des Bundesrates vom 19. Juli 1887 (Bundesbl. 1887, III, 702 ff.) und vom 20. Januar 1888 (Bundesbl. 1888, I, 195 ff.) stehen mit dieser Auffassung nicht im Widerspruch, sondern bestätigen sie, denn in diesen Fällen war die Frage des Übergriffs des Kantons in das Gebiet des Aufsichtsgesetzes, also des Polizeigesetzes, zu beantworten.

Es ist demnach zu untersuchen, in welches Rechtsgebiet des Bundes die kantonale Verordnung übergreift, in dasjenige des öffentlichen Rechtes, dessen Anwendung dem Bundesrate zufällt, oder in das Gebiet des privaten Rechtes, dessen Auslegung Sache des Bundesgeriehtes ist.

Die Beschwerde behauptet nun nicht, dass die Verordnung im Widerspruch stehe mit einer Bestimmung des Vers. Aufs. Ges.

vom 25. Juni 1885, sondern mit Normen des Bundesgesetzes über den Versicherungsvertrag vom 2. April 1908. Folgende Bestimmungen dieses Gesetzes sollen verletzt sein : Art. 103, Abs. l, insofern derselbe nicht nur die dem VVG entgegenstehenden privatrechtlichen, sondern auch öffentlichrechtlichen kantonalen Normen aufhebe. Art. 52,
der die kantonale Kontrollbefugnis auf die Überversicherung beschränke und auch hinsichtlich dieser das kantonale Verbot ausschliesse, sondern nur die Herabsetzung der Versicherungssumme, und zwar nur bei

311 bereits abgeschlossenen Verträgen gestatte. Bundesrechtswidrig seiauch die Unterstellung der Doppelversicherung unter die Präventiv.kontrolle, da Art. 52 ausschliesslich auf die Überversicherung Anwendung finde. Von diesen Gesichtspunkten aus betrachtet, verstosse die Verordnung auch gegen die zwingenden Bestimmungen des Art. 51 und 53 VVG-. Durch die Umschreibung des Versicherungswertes in der Verordnung werde ferner Art. 49, WG, der den Begriff des Versicherungswertes auf das Interesse basiert, verlebst, und die Vorschrift, dass auch während der Vertragsdauer die Versicherungssumme dem verminderten Werte angepasst werden solle, verstosse gegen Art. 51 und 52 VVG. Die in Art. 3 der Verordnung geforderte Vorlagepflicht widerspreche sodann dem Art. 52 VVG insofern, als eine kantonale Massnahme nur gegenüber der ungerechtfertigten Überversicherung vorgesehen und die Vorschrift hierfür ohne Bedeutung sei. Aus welchem Rechtsgrunde Art. 7 der Verordnung angefochten wird, ist in der Beschwerde nicht gesagt, die Meinung der Rekurrenten scheint aber doch zu sein, dass auch diese Vorschrift in die Grundsätze des VVG über .den Vertragsabschluss eingreife. Jedenfalls verletzt sie nicht eine Form des Aufsiehtsgesetzes.

Nun weist die Beschwerde darauf hin, dass das Gesetz über den Versicherungsvertrag nicht ausschliesslich die privatrechtlichen Beziehungen der Vertragsparteien ordne, sondern, dass ihm in gewissen Beziehungen auch öffentlich-rechtlicher Charakter zukomme (Rekurs S. 7). Insbesondere komme in Betracht Art. 52, VVG, der die kantonale Präventivkontrolle einschränkt und Art.103, Abs. 1. der auch die dem VVG entgegenstehenden kantonalen öffentlich-rechtlichen Vorschriften als aufgehoben erklärt. Die Beschwerde scheint der Auffassung zu sein, dass das Versicherungsvertragsgesetz, soweit ihm öffentlich-rechtlicher Charakter zukommt, als Ergänzung des Versicherungsaufsichtsgesetzes, also als integrierender Bestandteil desselben zu betrachten sei.

Es wäre wohl denkbar, dass das Gesetz über den Versicherungsvertrag, in Ergänzung des besonderen Aufsichtsgesetzes, Bestimmungen aufgenommen hätte, welche die Staatsaufsicht des Bundes über die privaten Versicherungsunternehmungen betreffen.

Bei den von der Beschwerde genannten Gesetzesartikeln ist aber das jedenfalls nicht der Fall, denn die als
öffentlichrechtlich bezeichneten Bestimmungen des Versicherungsvertragsgesetzes sind keine Aufsichtsnormen, die vom Bundesrat in seiner Eigenschaft als Aufsichtsbehörde im Gebiete des privaten Versicherungswesens angewendet werden können. Wenn diesen Bestimmungen wirk-

312

lieh öffentlichrechtlicher Charakter zukommt, so leiten sie sich nicht aus der Aufsichtsbefugnis des Bundes im Sinne des Art. 34, Abs. 2, B. V. ab, sondern aus irgendeiner ändern verfassungsmässigen Kompetenz, eine Frage, die hier nicht weiter zu untersuchen ist. Ebensowenig braucht die Frage untersucht zu werden, ob die in der Beschwerde genannten Bestimmungen aufgestellt wurden, um das kantonale Recht gegenüber dem öffentlichen Recht des Bundes oder gegenüber dem Bundesprivatrecht oder auch gegenüber beiden Rechtsgebieten abzugrenzen. Dieso Untersuchung müsste sich dann auch auf Art. 103, Abs. l, WG, erstrecken, denn dass diese Gesetzesbestimmung auch die dem Gesetz über den Versicherungsvertrag entgegenstehenden öffentlichrechtlichen Bestimmungen aufgehoben habe, kann nicht ohne weiteres als Tatsache hingestellt werden, sondern gerade diese Frage ist ja im vorliegenden Streite Gegenstand des Beweises.

Für die Beurteilung der Frage, ob der Entscheid der Beschwerde in die Zuständigkeit des Bundesrates falle, genügt es, festzustellen, dass sich auf Grund der von der Beschwerde angerufenen Bestimmungen des Gesetzes über den Versicherungsvertrag jedenfalls eine Praxis des Bundesrates nicht bilden kann, wohl aber kann dieser Fall eintreten auf Seite des Buodesgerichtes, dem die Auslegung der privatrechtlichen Normen obliegt. Nach der bis jetzt beobachteten und schon skizzierten bundesrechtlichen Praxis ist die vorliegende Beschwerde nicht vom Bundesrate, sondern vom Bundesgericht zu entscheiden.

Zum Schlüsse sei noch erwähnt, dass der Bundesrat gemäss Art. 194 Org.-Ges. bezüglich der Kompetenzfrage sich auch au das Bundesgericht gewandt hat. In seinem Schreiben vom 11. Oktober 1913 antwortete dieses, dass es den Rekurs als in die bundesgerichtliche Kompetenz fallend erachte.

Gestützt auf die vorgebrachten Erwägungen wird erkannt: Auf die Beschwerde wird, da der Entscheid nicht in die Kompetenz des Bundesrates fällt, nicht eingetreten.

B e r n , den 7. November 1913.

Im Namen des Schweiz. Bundesratesr Der Bundespräsident: Müller.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft r Schatzmann.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bundesratsbeschluss über den Rekurs der ,, Helvetia ", Schweizerische Feuerversicherungs-Gesellschaft in St. Gallen, der Basler Versicherungs-Gesellschaft gegen Feuerschaden in Basel und der Gladbacher Feuerversicherungs-Aktien-Gesellschaft in München...

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1913

Année Anno Band

5

Volume Volume Heft

50

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

17.12.1913

Date Data Seite

301-312

Page Pagina Ref. No

10 025 209

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.