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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über Begnadigungsgesuche (Sommersession 1913).

(Vom 16. Mai 1913.)

Tit.

Wir beehren uns, unter Vorlage der Akten Ihnen über nachfolgende Begnadigungsgesuche Bericht zu erstatten und über deren Erledigung Antrag zu stellen: 1. Séverin Viganotti, Handelsmann in Boncourt, Kanton Bern, betreffend Übertretung des Bundesgesetzes über Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände.

Den 27. September 1912 verzeigte der Lebensmittelinspektor von Boncourt auf Grund einer Besichtigung der Lokalitäten des Handelsmannes Séverin Viganotti den letztern bei der Direktion des Innern des Kantons Bern wegen Übertretung des Lebensmittelpolizeigesetzes, begangen dadurch, dass er ,,vin de marc" zum Verkaufe gehalten habe, ohne im Lokal oder auf den Fässern im Keller die in Art. 181 der Verordnung zum Lebensmittelpolizeigeset vorgeschriebene Aufschrift angebracht zu haben. Der Lebensmittelinspektor fügt bei, er habe festgestellt, dass Viganotti seit einem Jahr in seinem Geschäfte Kunstwein in der Quantität von ungefähr 2000 Liter verkaufte und sich auch dabei der Übertretung der bundesrätlichen Verordnung schuldig machte. -- In einer besonderen Erklärung gab sodann Viganotti am Tage der Protokollaufnahme die Richtigkeit der Tatsache zu, dass er seit einem Jahre ,,vin de marc" ohne Beobachtung der Vorschriften verkauft habe.

Der Polizeirichter von Pruntrut bestrafte den Viganotti gestutzt auf Art. 37, Absatz 3, des Lebensmittelpolizeigesetzes und

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Art. 181, 183 und 263 der bundesrätlichen Verordnung mit Fr. 100 Busse unter Kostenauflage. In der Verhandlung hatte der Verzeigte ausdrücklich die Richtigkeit der sämtlichen Anschuldigungen anerkannt und auf jede Einsprache im Verfahren verzichtet.

Nunmehr ersucht der Bestrafte um Nachlass eines Teiles der Strafe, indem er geltend macht, er habe nur aus Fahrlässigkeit gehandelt und die Höhe der Busse stehe im Widerspruch mit anderà ähnlichen Fällen, in denen nicht höher als auf Fr. 10 oder Fr. 20 gegangen worden. Der Gemeinderat von Boncourt empfiehlt das Gesuch zur Entsprechung unter Ausstellung eines Zeugnisses über guten Leumund dés Petenten und dessen Ansehen als Handelsmann bei der Bevölkerung.

Die dem Fehlbaren auferlegte Busse steht aber nicht nur im Einklang mit den Strafandrohungen des Gesetzes, sondern sie entspricht auch durchaus den tatsächlichen Verhältnissen des Falles.

A n t r a g : Es sei das Begnadigungsgesuch des Séverin Viganotti abzuweisen.

2. Paul Schöberli, Zuckerbäcker, geb. 22. Juli 1893, Moserstrasse 40, Bern, betreffend Fälschung einer Bundesakte.

Schöberli erhielt von der Auswanderungsagentur RommelcfcCie.

in Basel ein Zeugnis für die Reise Basel-Paris als Begleiter einer Auswanderergesellschaft mit Gültigkeit vom 31. Oktober bis 6. November 1912 und zugleich ein Freibillet für die Fahrt Basel-Paris und zurück, gültig bis 5. November. Er will den Widerspruch in der Gültigkeitsdauer der Urkunden erst in Paris bemerkt haben und änderte dann das Datum der Eisenbahnkarte für die am gleichen Tag bewerkstelligte Rückreise ab auf 6. November. Bei der Vorweisung des Billets zwischen Delle und Basel wurde die Fälschung bemerkt, das Billet beschlagnahmt und der Inhaber zur Nachzahlung der Fahrtaxe samt Strafzuschlag angehalten.

Der Polizeirichter von Pruntrut verurteilte den Schöberli wegen Übertretung des Art. 61 Bundesstrafrecht zu einem Tage Gefängnis und Fr. 5 Busse und zur Tragung der Gerichtskosten.

Auf das Gesuch des Verurteilten um Nachlass der Freiheitsstrafe kann nicht eingetreten werden, da der Richter nur das gesetzliche Mindestmass von Strafe verhängt und in für die Begnadi-

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gungsinstanz verbindlicher Weise festgestellt hat, dass es sich um ein mit rechtswidrigem Vorsatz verübtes Vergehen handle.

A n t r a g : Es sei das Begnadigungsgesuch des Paul Schöberli abzuweisen.

3. Alfred Hediger, Weichenwärter in Buchs, Kanton Aargau, betreffend fahrlässige Eisenbahngefährdung.

Nach gerichtlicher Feststellung ist am 7. Februar 1912 im Bahnhof Aarau der um 11. 07 abends ausfahrende S. B. B.-Personenzug 1939 Olten-Brugg infolge unrichtiger Stellung der Weiche 38 von Geleise C l auf Geleise D l abgelenkt worden und dort mit einer Gruppe Güterwagen zusammengestossen. Der Zugführer Gottfried Deiss wurde beim Anprall gegen die Stange eines Gepäcknetzes geschleudert und trug eine Quetschung der linken Gesichtshälfte davon; Kondukteur Heinrich Booli, der den Dienst im Gepäckwagen versah, fiel rücklings auf eine Milchkanne und erlitt eine Quetschung und Verstauchung der Lendenwirbelsäule, so dass er voraussichtlich dauernd invalid bleiben wird. Di« Zugslokomotive wurde stark beschädigt und ausser Betrieb gesetzt; von den in Geleise D l stehenden Güterwagen wurden drei erheblich und sechs leicht beschädigt. Der am Rollmaterial entstandene Schaden beläuft'sich auf mindestens Fr. 3000, nach einer ändern Schätzung sogar auf Fr. 6000. Die Geleiseanlage wurde nicht beschädigt. Zug 1939 erlitt durch den Zusammenstoss eine Verspätung von 29 Minuten.

Unter der Anklage, diesen Unfall durch Fahrlässigkeit im Dienste verschuldet zu haben, wurden dem Bezirksgerichte Aarau zur Beurteilung überwiesen der Lokomotivführer Heinrich Dubach, der die Maschine des Zuges 1939 bedient hatte, und der Gesuchsteller Weichenwärter Alfred Hediger. Das Gericht sprach den Heinrich Dubach von Schuld und Strafe frei, erklärte dagegen den Weichenwärter Hediger der fahrlässigen Eisenbahngefährdung schuldig und verurteilte ihn zu l Tag Gefängnis und Fr. 50 Geldbusse, ferner zur Tragung der Kosten. Es stellte dabei fest, dass Hediger zur Zeit des Unfalles im Stellwerk IV den Spätdienst zu besorgen hatte, dass er nach Ausfahrt des Zuges 1979 Aarau-Wohlen die Weiche 38 aus der Normalstellung auf Ablenkung stellte, damit der in Geleise D l aufgestellte Zug 3961 nach dem Personenbahnhof verbracht werden konnte, dass Hediger sich hierauf aus der Stellwerkbude entfernte und sich nach der

275 Rückkunft an den Ofen setzte, wo er einschlief und infolgedessen unterliess, die Weiche 38 für den Zug 1939 wieder in Normalstellung zu versetzen.

Hediger selbst hat in der Untersuchung und vor Gericht zugestanden, sich dadurch verfehlt zu haben, dass er während der Dienstzeit in der Wärterbude einschlief, er versuchte aber geltend zu machen, dass sein Vergehen nur disziplinarisch zu bestrafen sei. Das Gericht hat diesen Einwand als nicht zutreffend zurückgewiesen, indem es annahm, Hediger habe sich bewusst sein müssen, dass durch sein Nichtwachbleiben eine Eisenbahngefährdung möglich war und dass es daher in seiner Pflicht gelegen habe, das Einschlafen unter allen Umständen zu verhindern. Dagegen anerkannte das Gericht eine Reihe von tatsächlichen Umständen, welche Hediger zur Begründung seiner Straflösigkeit anführen wollte, zu seinen Gunsten als Strafminderungsgründe. Als solche berücksichtigte es in erster Linie .die ungeschickte Diensteinteilung und die mangelhafte Schienenanlage.

Es bemängelte das Fehlen einer Zentralisierung und Verriegelung ·der Weichen, wodurch verhindert worden wäre, dass der betreffende Zug überhaupt hätte abfahren können. Ferner nahm es an, dass in der Bedienung des Blocksystems offenbare Fehler begangen worden seien, was sich deutlich daraus ergebe, dass in einem von den Bahnbehörden nach dem Unglücksfall erlassenen Kreisschreiben nicht nur auf die mangelhafte Bedienung der Zwischenhebeleinrichtung aufmerksam gemacht, sondern am Schlüsse noch ausdrücklich erwähnt worden sei, ,,dass der Abfertigungsbeamte von nun an wieder regelmässig die Wecktaste bedienen werde."

Im Urteil des Bezirksgerichtes Aarau wird schliesslich festgestellt, dass die Verbindung von Geldbusse mit Gefängnisstrafe nur durch Stimmenmehrheit beschlossen worden sei mit Rücksicht auf die vorliegende ,,erheblichea Gefährdung, während eine Minderheit nur auf Geldbusse erkannt hätte, davon ausgehend, dass nur zufolge der mangelhaften Einrichtungen (der Bahnanlage) die Gefahrdung überhaupt zu einer erheblichen geworden sei (Urteil des Bezirksgerichtes Aarau vom 7. Dezember 1912, Erwägung l, 2, 6 und 7).

Alfred Hediger stellt das Begehren, dass ihm die Strafe von einem Tag Gefängnis erlassen werde,, während er auch in dem Begnadigungsgesuche freimütig anerkennt, sich der Eisenbahngefährdung schuldig gemacht zu haben und erklärt, dass er die Geldbusse und die Kostenauflage, welche das Bezirksgericht über

276 ihn verhängte, als verdiente Strafe annehme. Er bittet, die Dienstvernachlässigung ihm nicht als schwere Verfehlung anzurechnen, sondern mit der ungeschickten Diensteinteilung teilweise zu entschuldigen, da er am kritischen Abend von 61/« Uhr nachmittags bis nachts 11 Uhr teils draussen auf der Strecke und teils drinnen in der Wärterbude zu tun hatte, was eben bei dem anstrengenden Dienst, wie er ihm oblag, das Einschlafen leicht möglich machte.

Ferner verweist Hediger darauf, dass er während eines zehnjährigen Eisenbahndienstes vor diesem Unfall nie bestraft wurde und endlich macht er die mangelhaften Einrichtungen im Bahnhof Aarau als entlastende Umstände geltend. -- Wenn auch die Gefängnisstrafe nur eine minime sei, so hätte sie doch für ihn als gut beleumdeten Mann schwere Nachteile.

Durch das Abänderungsgesetz zu Art. 67 des Bundesstrafrechtes vom 5. Juni 1902 wurde die bis dahin bestehende Strafandrohung gegenüber bloss fahrlässigen Eisenbahngefährdungen dahin abgeändert, dass nicht mehr in allen Fällen neben Geldbusse auch Gefängnisstrafe ausgesprochen werden muss. Dadurch soll dem Umstände Rechnung getragen werden, dass kein rechtswidriger Vorsatz beim Täter vorhanden war und es soll auch die Verhängung kurzzeitiger Freiheitsstrafen möglichst vermieden werden. Allerdings beschränkt das Gesetz die Bestrafung mit blosser Geldbusse auf leichtere Fälle und es ist ohne weiteres klar, dass was die Folgen des dem Gesuchsteller zur Last fallenden Fehlers anbetrifft, es sich keineswegs um etwas Unbedeutendes handelt.

Aber die Fahrlässigkeit selbst darf wohl als eine bloss leichte bezeichnet werden, und es stehen dem Schuldigen auch weitere Milderungsgründe zur Seite. Unter diesen Umständen rechtfertigt es sich, seinem Gesuche um Erlass der Gefängnisstrafe zu entsprechen.

A n t r a g : Es sei dem Alfred Hediger die Strafe von l Tag Gefängnis zu erlassen.

4. Franz Bissig, Alois Zurfluh, Johann Bissig und Anton Arnold, sämtlich Landwirte in Isenthal, Kanton Uri, betreffend Jagdfrevel.

Die vorgenannten vier Gesuchsteller sind geständig, im Spätherbst 1912 an zwei Tagen während verbotener Jagdzeit im Bannbezirke Oberalp in Isenthal Jagd auf Murmeltiere gemacht zu haben. Sie waren sämtlich mit Flinten bewaffnet, die zum

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Teil' zusammenlegbar waren. Das Kreisamt Uri erklärte sie schuldig der Übertretung des Bundesgesetzes über Jagd und Vogelschutz und verurteilte jeden von ihnen zu einer Busse von Fr. 140, in Anwendung von Art. 21, Ziffer 3, lit. b und Ziffer 5, lit. a und c dieses Gesetzes.

Die Bestraften stellen das Gesuch um gänzliche oder teilweise Begnadigung unter Hinweis darauf, dass sie noch nicht vorbestraft und dass sie als vermögenslose Leute auf geringen täglichen Verdienst angewiesen seien, weshalb ihnen die Bezahlung der Bussen sehr schwer falle. Die Gemeinderatsratskanzlei von Isenthal bestätigt die obigen Angaben über Leumund und Vermögen der Gesuchsteller und befürwortete schon beim Gerichte deren möglichst milde Beurteilung.

Die über die vier fehlbaren Personen verhängte Busse entspricht einer Zusammenrechnung der mindesten Strafansätze, welche im Gesetze gegenüber den von ihnen begangenen Übertretungen angedroht sind und sie erscheint auch keineswegs als zu hoch mit Rücksicht auf den Tatbestand der ihnen zur Last fallenden Übertretungen.

Wir b e a n t r a g e n : Es seien die Begnadigungsgesuche des Franz Bissig, des Alois Zurfluh, des Johann Bissig und des Anton Arnold abzuweisen.

5. Alois Jauch, Landwirt in Vordem Wangberg, Isenthal, Kanton Uri.

Der im Jahre 1894 geborene Alois Jauch wurde am 21. Oktober 1912 im Bannbezirk Gitschen betroffen, als er mit einem Vetterligewehre bewaffnet sich auf einem Jagdgange befand. Er behauptet, er habe einen Lämmergeier verscheuchen wollen, welcher sich dem Heimwesen seines Vaters näherte und dort Schafe und Ziegen gefährdete. Das Kreisgericht Uri verurteilte den Jauch in Anwendung von Art. 21, Ziffer 3, lit. ö, und Ziffer 5, lit. a, des Bundesgesetzes über Jagd und Vogelschutz zu einer Gesamtbusse von Fr. 140.

Der Bestrafte ersucht um gänzlichen Nachlass der Geldbusse.

Er macht dafür geltend, dass er nur das Eigentum seines Vaters vor einem Raubvogel habe schützen wollen und nicht gewusst habe, dass dieses Vorgehen ihn straffällig mache, dass er noch nicht volljährig sei und dass die verhängte Busse ihn und seine Familie wegen ärmlicher Verhältnisse sehr schwer treffe.

278 Die Gemeinderatskanzlei Isenthal empfiehlt auch in diesem Fall eine milde Beurteilung, während das eidgenössische Inspektorat für Forstwesen hier wie gegenüber dem Gesuchsteller Bissig und Genossen die ausgefällten Bussen für gerechtfertigt hält, da unzweifelhaft vorsätzlich begangene Jagdfrevel vorlägen.

Das urteilende Gericht hat auch in diesem Fall nur eine Strafe ausgesprochen, die der niedrigsten gesetzlichen Androhung entspricht. Jauch steht in einem solchen Alter, dass angenommen werden muss, er sei sich bewusst gewesen, dem Verbote der Jagd in Bannbezirken zuwiderzuhandeln. Die von ihm angeführten Entschuldigungsgründe sind im übrigen nicht von solcher Art, dass es sich rechtfertigen würde, unter die niedrigste Strafe des Gesetzes herunterzugehen.

Wir b e a n t r a g e n : Es sei das Begnadigungsgesuch des Alois Jauch abzuweisen.

6. Ernst Metzger, geb. 30. April 1897, Schüler, wohnhaft bei seiner Mutter Frau Witwe Metzger, Brückfeldstrasse 10 a, Länggase Bern, betreffend Übertretung des Gesetzes über Jagd und Vogelschutz.

Der Knabe Ernst Metzger war Ende des Jahres 1912 laut Polizeianzeige im Besitze einer ,,Vogelfallea, mit welcher er einige Meisen und Spechtmeisen einfing. Nach erfolgter Vorzeigung wurde er deswegen vom Polizeirichter von Bern in Anwendung von Art. 17 und 21, Ziffer 5, lit. ô, des Bundesgesetzes über Jagd und Vogelschutz zu der dort angedrohten niedrigsten Strafe von Fr. 40 Geld busse verurteilt.

Die Mutter des Knaben ersucht um gänzlichen oder teilweisen Erlass der Busse mit Rücksicht auf das jugendliche Alter des Fehlbaren und seine Unkenntnis der gesetzlichen Vorschriften.

Sie macht auch darauf aufmerksam, dass sie als Witwe eines Eisenbahnangestellten darauf angewiesen sei, ihren Unterhalt und .denjenigen ihres Knaben aus einer vierteljährlichen Pension von Fr. 226 und eigener Arbeit zu bestreiten, was ihr die Bezahlung des vollständigen Betrages der Busse sehr schwer machen würde.

Die städtische Polizeidirektion und das Regierungsstatthalteramt von Bern befürworten die Ermässigung der Busse auf Fr. 10 und das eidgenössische Inspektorat für Forstwesen schliesst sieb diesem Antrage an.

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Es handelt sich im vorliegenden Fall offenbar um eine Gesetzesübertretung, die von einem noch schulpflichtigen Knaben aus jugendlichem Leichtsinn verübt wurde, weshalb dem Begehren um Herabsetzung der Strafe wohl entsprochen werden kann.

A n t r a g : Es sei die dem Ernst Metzger auferlegte Geldbusse auf Fr. 10 zu ermässigen.

7. Ernst Salomon, Sohn des Eugen, von und in Courtedoux, Kanton Bern, 8. William Vautier, Commis, 4, rue du Roveray in Eaux-Vives, Kanton Genf, 9. Emil Bürgi, Schriftsetzer, Stalden Nr. 9 in Bern, 10. Isidor Rossetti, Gipser, rue de Coutance 14, Genf, 11. Hans Feldmann, Schriftsetzer, Elisabethenstrasse 20, Bern, 12. Jakob Metzler, Monteur in Lauterbrunnen, 13. Louis Lang, Schreiner in Binningen, , 14. Alfred Marin, Boulevard Charles Vogt 81, Genf, und 15. Adolf Seiler, Liftmonteur in St. Moritz, betreffend Übertretung des Bundesgesetzes über den Militärpflichtersatz.

Die vorstehend genannten ersatzsteuerpüichtigen Schweizerbürger wurden wegen schuldhafter Nichtbezahlung von Militärsteuern gerichtlich bestraft wie folgt: Ernst Salomon mit 4 Tagen Haft und l Jahr Wirtshausverbot, Betrag der schuldigen Steuer und Kosten Fr. 11. 80; William Vautier, mit 3 Tagen Haft, Betrag der Steuern und der Kosten für verschiedene Jahre Fr. 164. 80 ; Emil Bürgi, mit 2 Tagen Haft und (i Monaten Wirtshausverbot, Betrag der Steuer Fr. 7. 50; Isidor Rossetti, mit 2 Tagen Haft, Betrag der Steuer und der Kosten Fr. 17. 55; Hans Feldmann, 3 Tage Gefängnis und 6 Monate Wirtshausverbot, Betrag der Steuer und der Kosten Fr. 19. 30 ; Jakob Metzler, 3 Tage Gefängnis und 6 Monate Wirtshausverbot, Betrag der Steuer Fr. 19. 85; Louis Lang, 3 Tage Gefängnis, Betrag der Steuer Fr. 15 ; Alfred Marin, 5 Tage Haft, Betrag der Steuer und Kosten Fr. 57.40;

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Adolf Seiler, mit 6 Tagen Gefängnis und i1/t Jahren Wirtshausverbot, Betrag der Steuer und Kosten Fr. 16. 35.

Aus den Akten ergibt sich im wesentlichen folgendes über die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse der einzelnen Fälle: 1. Kreiskommandanten von Delsunter ausdrücklicher Feststellung der Schuldhaftigkeit der Nichtbezahlung der Steuer dem Strafrichter überwiesen wurde, hat der Vorladung des letztern zur mündlichen Verhandlung keine Folge geleistet und wurde deshalb in seiner Abwesenheit beurteilt. Er stützt sein Begnadigungsgesuch auf die Behauptung, dass er schwer körperlich krank und arbeitsunfähig und aus diesen Gründen nicht imstande gewesen sei, die Steuer zu entrichten.

Die Behauptungen über seinen Gesundheitszustand belegt er durch ärztliches Zeugnis.

2. William Vautier scheint einer vermöglichen Familie zu entstammen, aber mit seinen Angehörigen in Zerwürfnis zu leben.

Er will von seinem Vater nicht die notwendigen Mittel zum Lebensunterhalt und auch zur Bezahlung der Militärsteuer erhalten haben und deswegen mit der Zahlung im Rückstande geblieben sein. Er wurde schon zweimal wegen des nämlichen Vergehens vorbestraft und ist bei der Verhandlung vor dem Polizeirichter unentschuldigt ausgeblieben.

3. Emil Bürgi behauptet, er sei wegen Krankheit arbeitsund verdienstlos gewesen und habe für eine siebenköpfige Familie zu sorgen, so dass es ihm nicht möglich gewesen sei, die Militärsteuer zu entrichten. Es scheint aber, dass er nur zeitweise krank und arbeitsunfähig war. Der Polizeidirektor der Stadt Bern empfiehlt den Nachlass der Gefängnisstrafe mit Rücksicht auf die Familie des Bürgi und den Umstand, dass dieser allerdings schon mehrfach vorbestrafte Mann bei Vollzug des Urteils eine Arbeitsstelle verlieren würde, die er jetzt inné habe. Der Regierungsstatthalter dagegen spricht sich dahin aus, dass keine genügenden Gründe zum Erlass der Strafe vorliegen.

4. Isidor Rossetti hat vom Polizeirichter die Bewilligung erhalten, die Steuer in monatlichen Zahlungen von Fr. 3 abzubezahlen, versäumte aber schon den zweiten Termin und wurde deshalb ohne weiteres gemäss Androhung bestraft. Er will der Meinung gewesen sein, es genüge, wenn er die Teilzahlung nicht am Verfalltage, sondern noch später oder innerhalb Monatsfrist leiste. Diese Annahme entsprach der gemachten Auflage nicht und der Staatsanwalt des Kantons Genf befürwortet die Abweisung des Gesuches.

281 5.' Hans Feldmann will seine Saumseligkeit ebenfalls mit Mangel an Verdienst und mit Krankheit entschuldigen. Er wäre aber nach der Feststellung des Kreiskommandanten bei gutem Willen wohl imstande gewesen, die Steuer aufzubringen und ist im gerichtlichen Termin ohne Entschuldigung ausgeblieben.

6. Jakob Metzler war auf den 4. Dezember 1912 zur Aburteilung wegen der Nichtbezahlung seiner Taxe vor den Polizeiriehter vorgeladen. Am vorhergehenden Tag bezahlte er an den Sektionschef den ganzen schuldigen Betrag samt den Kosten ; es wurde aber unterlassen, dem Richter hiervon Kenntnis zu geben.

7. Louis Lang war auf den 28. Januar 1913 vor Gericht geladen und entrichtete am 27. gleichen Monats die Steuer an den Sektionschef von Binningen. Der Richter hatte davon am Gerichtstage keine Kenntnis und verurteilte deswegen den Verzeigten als unentschuldigt ausgeblieben.

8. Alfred Marin und 9. Adolf Seiler behaupten, dass sie aus Mangel an Arbeit und Verdienst nicht imstande gewesen seien, die Pflichten gegen den Staat rechtzeitig zu erfüllen. Der Staatsanwalt des Kantons Genf empfiehlt die Herabsetzung der Strafe des Alfred Marin auf drei Tage Haft.

Gestützt auf diese Angaben ersuchen die vorbenannten Verurteilten um Nachlass der ihnen auferlegten Freiheitsstrafen durch Begnadigung.

Was Ernst Salomon, William Vautier, Emil Bürgi, Isidor Rossetti und Hans Feld mann anbetrifft, so liegen keine genügenden Gründe vor, die über sie ausgesprochenen Strafen ganz oder teilweise zu erlassen. Diese Steuerpflichtigen haben es zumeist überhaupt versäumt, im richtigen Zeitpunkt die Kominiserationsgründe geltend zu machen, die sie jetzt erst gegenüber der Begnadigungsbehörde vorbringen. Emil Bürgi erscheint wegen seiner Vorstrafen der Begnadigung nicht würdig und was den Isidor Rossetti anbetrifft, so verursachte er seine Verurteilung seihst dadurch, dass er die ihm gewährte Abzahlung der Steuer durch ganz kleine Teilzahlungen leichtsinnig verscherzte.

Jakob Metzler und Louis Lang dagegen haben die ihnen auferlegten Steuern noch vor der gerichtlichen Beurteilung der gegen sie gemachten Vorzeigung bezahlt und damit die öffentlichrechtliche Schuld in einem Zeitpunkt getilgt, der das zu ihrer Eintreibung eröffnete Verfahren gegenstandslos und hinfällig machte.

Die Strafen von Alfred Marin (5 Tage Haft) und Adolf

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Seiler (6 Tage Gefängnis) gehen über dasjenige Mass hinaus, das gewöhnlich für Zuwiderhandlungen gegen das Bundesgesetz über den Militärpflichtersatz ausgesprochen wird.

Wir beantragen: I. Es seien die Begnadigungsgesuche des Ernst Salomon, des William Vautier, des Emil Bürgi, des Isidor Rossetti und des Hans Feldmann abzuweisen.

II. Dem Jakob Metzler und dem Louis Lang seien die je drei Tage Gefängnis zu erlassen.

III. Die Freiheitsstrafen des Alfred Marin von 5 Tagen Haft und des Adolf Seiler von 6 Tagen Gefängnis seien auf drei Tage Haft beziehungsweise auf drei Tage Gefängnis zu ermässigen.

16. Edmund Widmer, von Ober-Siggental, Kt. Aargau, geb. 28. April 1880, Kaufmann, verheiratet, Vater von 5 Kindern, wohnhaft 15 Rue St. Cannât, Marseille, betreffend Übertretung des Bundesgesetzes über den Geschäftsbetrieb von Auswanderungsagenturen .

Edmund Widmer hatte sich schon wiederholt auf Anzeigen des schweizerischen Auswanderungsamtes hin vor den Strafgerichten des Kantons Zürich wegen Übertretung des Auswanderungsgesetzes zu verantworten. Es wurde ihm in den jetzt in Betracht kommenden Fällen im wesentlichen zur Last gelegt, dass er ohne Patent oder Genehmigung auf Gebiet des Kantons Zürich entgegen dem Art. 19 des Bundesgesetzes auf die Beförderung von Auswanderern sich beziehende Veröffentlichungen erlassen habe, die vom Bundesrate untersagt sind, dass er ferner -auf Anfrage im deutschen' Reiche wohnhaften Personen, die auswandern wollten, über die Bedingungen und Kosten der Überfahrt nach Brasilien wiederholt Auskunft erteilt und sich von diesen Personen behördliche Zeugnisse über den Familienstand und ärztliche Ausweise habe zustellen lassen, dass er endlich mit dem Verkauf von Passagierbilleten sich befasst habe, und zwar im Dienste der ,,Kommission für wirtschaftliche Ausbreitung Brasiliens" und in Verbindung mit der Schiffahrtsgesellschaft ,,Austro-Americana"1 und mit dem ,,Holländischen Lloyd". (Siehe Fact. A des bundes-.

gerichtlichen Urteils über Widmer vom 29. Juni 1912.)

Widmer wurde zuerst in den Jahren 1906 und 1907, dann wieder im Jahre 1909 wegen unbefugten Auswanderungsbetriebes

283 dem Strafrichter überwiesen, damals aber in zwei Fällen frei-, gesprochen. Am 17. Januar 1911 verurteilte ihn das Bezirks-, gericht Zürich wegen solcher Übertretung zu Fr. 200 Geldbusse.

Dieses Erkenntnis ist in Rechtskraft erwachsen und Busse und Kosten wurden aus einer von Widmer geleisteten Kaution bezahlt.

Im Jahre 1911 erfolgte eine neue Vorzeigung, welche vom Bezirksgericht Zürich am 27. Oktober 1911 durch Verurteilung des Edmund Widmer zu einer Gefängnisstrafe von drei Monaten führte. Infolge Berufung des Bestraften gelangte die Anklage an das Obergericht. Dieses bestätigte die Schuldigerklärung, änderte aber die Strafe ab in einen Monat Gefängnis und Fr. 500.

Geldbusse. Es wurde dabei als erschwerend und zur Verhängung von Freiheitsstrafe führend der Rückfall in Betracht gezogen, dagegen vom Obergericht zu gunsten des Angeklagten der Umstand berücksichtigt, dass besonders schwere und nachteilige Folgen seiner Auswanderungstätigkeit nicht nachgewiesen seien. Das Bundesgericht bestätigte das Urteil in allen Teilen unter Abweisung einer von Widmer eingereichten staatsrechtlichen Beschwerde.

Im Jahre 1912 erfolgte eine neue Vorzeigung des Edmund Widmer wegen unbefugter Betreibung der Tätigkeit eines Auswanderungsagenten durch geschäftsmässigen Verkauf von Passagierbilleten und anderer Propaganda für die Auswanderung nach Brasilien. Diesesmal fand das Bezirksgericht Zürich, es rechtfertige sich eine strenge Bestrafung durch die Erwägung, dass Widmer nun schon zum viertenmal wegen des gleichen Vergehens angeklagt sei und in anbetracht des zwecks Umgehung des Gesetzes aufgewendeten Raffinements. Widmer wurde deshalb zu drei Monaten Gefängnis und Fr. 600 Geldbusse verurteilt und das Obergericht bestätigte dieses Erkenntnis letztinstanzlich.

Die Strafen aus den Jahren 1911 und 1912 sind noch nicht vollzogen. Widmer hat sich nach Hinterlegung voti Kaution ins.

Ausland geflüchtet und ersucht nun um Aufhebung dieser Strafen oder doch um deren Ermässigung, bezw. Umwandlung der G efängnisstrafe in Geldbusse. Er behauptet, dass ihm der Wille gefehlt habe ein Gesetz zu übertreten, und dass nur Verdienstlosigkeit und die Unmöglichkeit anderweitige Anstellung zu finden, ihn gezwungen habe, eine angebotene Anstellung anzunehmen, flderen Tätigkeit, wie ihm wohl bewusst gewesen, hart an der Grenze
des Auswanderungsgesetzes vorbeigehen würde".

Er verspricht, sich in Zukunft derartiger Übertretungen zu enthalten und verweist wiederholt darauf, dass ihm im Interesse

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seiner Familie die Rückkehr in die Schweiz ermöglicht werden sollte.

Das eidgenössische Auswanderungaamt weist zu gunsten des Gesuches von Widmer darauf hin, dass derselbe früher Beamter gewesen sei und als aufgeweckter und intelligenter Mann wohl im Stande wäre, sich wieder emporzuarbeiten, wenn er seine Kenntnisse und Fähigkeiten zum Guten verwenden wollte. Aus seinem Begnadigungsgesuche scheine hervorzugehen, dass er seine Gesetzesübertretungen bereue und in die Heimat zurückzukehren wünsche, um den Versuch zu machen, hier für den Unterhalt seiner in Not geratenen Familie zu sorgen, was ihm aber schwer, vielleicht unmöglich würde, wenn er gleich nach seiner Rückkehr ins Gefängnis wandern müsse.

Mit Eingabe vom 21. April 1913 ergänzt der Petent seine früheren tatsächlichen Ausführungen unter Einsendung von Zeugnissen von Personen, deren Auswanderung er vermittelt hat und aus denen hervorgehen soll, dass ihnen seine Tätigkeit zum Nutzen gereicht habe. Das schweizerische Auswanderungsamt erklärt indessen, diesen Zeugnissen könne keine grössere Bedeutung geschenkt werden, weil sie im Widerspruche stehen mit offiziellen Berichten des schweizerischen Generalkonsuls in Rio de Janeiro, vielmehr ergebe sich aus den vorgelegten Schriftstücken mit aller Deutlichkeit, dass Widmer, direkt oder indirekt, im Dienste der brasilianischen Einwanderungs- bezw. Propagandakommission Personen zur Auswanderung aus der Schweiz nach Brasilien veranlasst und so durch verbotene Beteiligung an einem Kolonisationsunternehmen die Gesetze und Verordnungen unseres Landes verletzt habe.

Die mehrfachen Rückfälle Widmers in Übertretungen der gleichen Art und die vielen Einzelhandlungen, durch welche er die ihm wohlbekannten Gesetze übertrat, rechtfertigen durchaus eine strenge Ahndung. Widmer hat unzweifelhaft eine grosse Anzahl von Personen und von ganzen Familien, die er zur Auswanderung nach Brasilien veranlasste, in schweres Unglück gebracht, und zwar aus schnöder Gewinnsucht. Seinen jetzigen Beteuerungen eines Wechsels der Gesinnung und zukünftiger Änderung seines Verhaltens kann nach solchen Vorgängen nicht Glauben geschenkt werden.

A n t r a g : Es sei das Begnadigungsgesuch des Edmund Widmer abzuweisen.

285 17. Otto Jütz. Handelsreisender, Zürichstrasse 49, Luzern, geb. 1863. (Bundesgesetz über die Patenttaxen).

Jütz ist am 12. Januar 1912 vom Polizeirichteramt IV in Bern, nachdem er sich geweigert hatte, ein ihm eröflnetes Eventalurteil anzunehmen, wegen Übertretung des Bundesgesetzes betreffend die Patenttaxen zu Fr. 100 Busse und Fr. 12.10 Staatskosten verurteilt worden. Er appellierte an die erste Strafkammer des Obergerichts des Kantons Bern, die das untergerichtliche Urteil am 15. Mai 1912 in Abwesenheit des richtig geladenen Jütz mit dem Beifügen bestätigte, dass im Falle der Unerhältlichkeit der Busse innert drei Monaten, diese in 20 Tage Gefängnis umzuwandeln sei. Jütz ersucht nun um Begnadigung und stützt .sich dabei neuerdings auf die Umstände, die er bereits in Zuschriften an die beiden urteilenden Gerichte angeführt hat."

Jütz wurde bei Anlass einer in Zürich geführten Strafuntersuchung gegen J. Beck-Sommernitz und Genossen wegen Übertretung des Bundesgesetzes betreffend die Patenttaxen vom Statthalteramt Zürich beim Regierungsstatthalter in Bern verzeigt.

Dieser J. Beck-Sommernitz hatte Jütz am 10. Juni 1912 als Reisenden zum Vertriebe einer Kopiermaschine mit Gehalt von Fr.' 200 im Monat und Vertrauensspesen angestellt.

Jütz besuchte dann während einigen Tagen im Monat Juni in Bern die ihm von Beck angegebenen Adressen zur Aufnahme von Bestellungen, jedoch nach seinen Angaben ohne Erfolg. Tri Gegenwart des J. Beck, der sich in Bern ebenfalls eingefunden hatte, und auf dessen Befehl er die Maschinen vorführte, hat er zwei Bestellungen verzeichnen körinen. Die Reise nach Bern zum Vertriebe des Artikels hatte er ohne die erforderliche rote Taxkarte, die ihm Beck nachzuliefern versprach, unternommen. In Bern vertröstete ihn Beck mit Zusicherung und wies ihn an, ·weiter zu arbeiten und Bestellungen nachzusuchen. Er stellte ihm die Karte auch brieflich in Aussicht. Als Jütz sich weigerte ohne Taxkarte weiter tätig zu sein, und keine Bestellungen erfolgten, entliess er ihn am 6. Juli ohne Zahlung.

Diese Angaben dürften im Grossen und Ganzen der Wahrheit entsprechen und führen zu dem Schlüsse, dass Jütz das Opfer eines Betrügers geworden sei, der ihn zu vorübergehender Nachfrage und Aufnahme von Bestellungen benützte, indem er ihm eine rote Taxkarte in Aussicht stellte, selber aber nie die Absicht hatte, die Karte zu beschaffen, vielmehr gewohnheitsBundesblatt. 65. Jahrg. Bd. III.

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2bö

massig darauf ausging, Reisend«1 ohne die vorgeschriebene Taxkarte zu engagieren und sie für sein Geschäft arbeiten zu lassen.

Jütz schenkte den Angaben seines Anstellers Glauben und ist auf die erwähnte Weise straffällig geworden. Der vom eidgenössischen Handelsdepartement erstattete Bericht gelangt zur Befürwortung der Begnadigung. Aus diesen Gründen halteii wir dafür, es sei dem Begnadigungsgesuche zu entsprechen.

Die Kosten berühren in Fällen der vorliegenden Art den Blind nicht (Art. 157 OG.) und es ist daher auf das Begehren um Nachlass derselben in diesem Verfahren nicht einzutreten.

A n t r a g : Es sei die dem Otto Jütz auferlegte Busse in Gnaden zu erlassen.

18. Rosa Martin, Witwe, Taglöhneriri in Courroux. Widerhandlung gegen die Verordnung über die Zivilstandsregister vom 25. Februar 1910 und die Verordnung betreffend den Leichentransport vorn 6. Oktober 1891.

Am 14. Mai 1912 ist im Spital Delsberg der Ehemann der Gesuchstellerin gestorben. Nach den Akten hat sie sich am folgenden Tage anlässlich der Abholung des Leichnams durch vier Schwäger des Verstorbenen den Schwestern des Spitals gegenüber bereit erklärt, die vorgeschriebene Anzeige des Todes an das Zivilstandsamt und die Einholung der Bewilligung zur Überführung des Leichnams nach Courroux zu besorgen und hiefür zwei bezügliche Arztzeugnisse erhalten. Die vorgeschriebene Eintragung des Todes in die Zivilstandsregister erfolgte hernach, aber erst am 6. Juli auf Grund einer Mitteilung des Kreiskommandanteri von Delsberg an das Zivilstandsamt. Ebenso wurde eine Bewilligung zum Leichentransport nicht eingeholt. Infolge dessen ist Frau Maitin am 4. September 1912 zu Fr. 3 und Fr. 10 Geldbusse und Fr. 3. 10 Kosten verurteilt worden.

Als Begnadigungsgrund führt die Gesuchsstellerin an, sie habe um die Erfüllung der Formvorschriften sich nicht gekümmert, da ihr zu Hause gleichen Tages noch ein Kind gestorben sei; und weil das Personal der Rondez-Werke die Schritte zur Überführung der Leiche nach Courroux unternommen habe. Sie lebe in sehr ärmlichen Verhältnissen und die Verurteilung treffe sie sehr hart. Der Gemeinderat von Courroux ebenso der Regierungsstatthalter von Delsberg empfehlen das Gesuch.

287 Die Angaben der Gesuchstellerin werden von den y,uständigen Behörden als richtig anerkannt. Diese aussergewöhnlichen Umstände erklären es, dass die Anmeldung beim Zivilstandsamt unterlassen wurde und lassen die Anwendung der Strafbestimmungen ihr gegenüber als unnötige Härte erscheinen.

Sie mochte die Anzeige ihres Mannes als durch die Direktion des Spitales erfolgt betrachten (wozu diese nach Gesetz auch, verpflichtet ist, § 64) und es kann ihr nicht z.um Nachteil angerechnet werden, wenn sie die Beobachtung der gesetzlichen Vorschriften betreffend die Überführung und Beerdigung des Toten den Personen überliess, die diese Überführung besorgten.

A n t r a g : Es sei die Busse samt Kosten im Betrage von Fr. 16. JÒ der Frau Maitin zu erlassen.

19. Ulyss Pahud, Zimmermann in Prahins, 20. Samuel Pfeuti, Schneider in Bern.

21. Hermann Tschanz, Handlanger in Bern, 22. Josef Hofstetter, Sticker in Walzenhausen.

(Nichtbezahlung der Militärsteuer.)

Die vorgenannten militärpflichtigen Schweizerbürger wurden wegen schuldhafter Nichtbezahlung der Militärpfliehtersatzsteuer verurteilt: u. Ulyss Pahud aoi 18. Dezember vom Polizeirichter von YVerdon zu fünf Tagen Gefängnis, b. Samuel Pfeuti am 23. Dezember 1912 vom Polizeirichter von Bern zu zwei Tagen Gefängnis und sechs Monaten W i rtshaus verbot, <;. Hermann Tschaaz um 23. Dezember 1912 vom Polizeiriehter von Bern zu zwei Tagen Gefängnis und sechs Monaten Wirtshausverbot, d. Josef Hofstetter am 6. Januar 1913 vom Bezirksgericht : des Vorderlandes des Kantons Appenzell A.-Rh. zu zwei Tagen Haft und ein Jahr Wirtshausverbot, jeweilen unter Auferlegung der Staatskosten.

Sie bitten um Brlass der ihnen auferlegten Strafen und machen geltend, Krankheit, geringer Verdienst und der Unterhalt einer grossen Familie hätten sie verhindert, rechtzeitig ihre Militärsteuer zu bezahlen.

Im Einzelnentend, dass die Nichtbezahlung nicht mitabe den

288

Steuereinnehmer aufgesucht und dieser ihm erklärt, seine Steuer sei zurückgezogen, er könne den Betrag nicht annehmen.

Dem widersprechen jedoch die Tatsachen, dass Pahud zweimal ordnungsgemäss zur Zahlung aufgefordert worden ist, dass er sich geweigert hat, die gerichtliche Vorladung anzunehmen und dass seine Begründung, er gehe nur selten nach Yverdon, als ein Vorwand erscheint. Das Militärdepartement des Kantons Waadt beantragte Abweisung des Gesuches, während ein Zeugnis des Gemeindepräsidenten von Prahins dasselbe empfiehlt.

Ein völliger Nachlass der Strafe rechtfertigt sich unter vorliegenden Umständen nicht, wohl aber die Herabsetzung auf das in .dergleichen Fällen allgemein übliche Mass.

Samuel Pfeuti erhält zwar von der Gemeindebehörde ein günstiges Zeugnis und wird von ihr sowohl als vom Regierungsstatthalteramt zur Begnadigung empfohlen, weil er durch Arbeitsmangel und Krankheit seiner Frau in Bedrängnis geraten und so ohne eigenes Verschulden ausser Stande gewesen sei, die Militärsteuer zu bezahlen. Diese Verhältnisse hat er aber nicht am richtigen Orte, nämlich bei den Mahnungen durch den Kreiskommandanten und vor dem Richter geltend gemacht, wo sonst unzweifelhaft Rücksicht darauf genommen worden wäre. Die Begnadigungsbehörde ist nicht in der Lage, auf solche Vorbringen einzutreten, und die Ansicht, dass die Strafe dahinfallen solle, weil mehrere Monate nach der Urteilsfällung Zahlung der Busse erfolgte, steht im Widerspruch mit der ausdrücklichen Vorschrift des Gesetzes.

Ganz aussergewöhnliche Umstände will auch Hermann Tschanz glaubhaft machen. Derselbe ist jedoch wegen Diebstahl, Begünstigung bei Diebstahl, unzüchtigen Handlungen, Skandal, Ärgernis etc.

vorbestraft und erscheint einer Gnade gegenüber der ausgesprochenen Strafe nicht würdig zu sein.

Josef Hofstetter endlich ist bei der Verhandlung vor dem urteilenden Gerichte mit ungenügender Entschuldigung ausgeblieben. Seine Behauptungen, dass unverschuldete Not und Verdienstlosigkeit ihm die Leistung der Fr. 24,50 betragenden Steuer unmöglich gamacht haben, werden vom Gerichte, das die Verhältnisse offenbar genau kennt, als unglaubwürdig zurückgewiesen und die Zahlungsunfähigkeit mit Wirtshausbesuch in Verbindung gebracht. Diese Annahmen stimmen überein mit dein Zeugnis des Kreiskommandanten bei Überweisung des Hofstetter und müssen auch dem Entscheide über das Begnadigungsgesuch zu Grunde gelegt werden.

289 A n t r a g : Es sei die Strafe des Uly ss Pahud von fünf Tagen auf drei Tage Gefängnis zu errnässigen. Die Begnadigungsgesuche des Hermann Tschanz, des Samuel Pfeuti und des Josef Hofstetter seien abzuweisen.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

B e r n , den 16. Mai 1913.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t : Müller.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft : Schatzmann.

Hinscheid des Herrn Bundesrat Louis Perrier.

Herr Bundesrat Louis Per r i e r ist am 16. Mai 1913 morgens l 1/2 Uhr in Bern gestorben.

Der Bundesrat hat den Mitgliedern der Bundesversammlung, dem Bundesgerichte, dem schweizerischen Schulrate, den Direktoren der internationalen Bureaux, der schweizerischen Bundesbahnen und der Nationalbank, sowie den Kantonsregierungen diese Trauerbotschaft durch folgendes Schreiben zur Kenntnis gebracht: In tiefem Schmerze setzen wir Sie in Kenntnis von dem Hinscheide unseres lieben Kollegen Herrn Bundesrat Louis P e r r i e r .

Eine kurze Krankheit hat ihn letzte Nacht im 64. Altersjahre dahingerafft, nachdem er dem Bundesrate erst seit einem Jahre und zwei Monaten angehört.

Herr Perrier wurde am 22. Mai 1849 in Neuenburg geboren und war Bürger dieser Stadt und nebstdem noch der waadtländischen Gemeinden Orges und Ste-Croix. Nachdem er in Stuttgart und Zürich die Baukunst studiert, erwarb er sich

290 an unserer technischen Hochschule mit Auszeichnung das Diplom und konnte dann seine Kenntnisse während zweier Jahre im Dienste des internationalen Bureaus für Maas und Gewicht in Sèvres verwerten und bereichern. Im Jahre 1879 hatte er sich in seiner Vaterstadt als Architekt niedergelassen. Sehr bald als Fachmann hochgeschätzt, gründete er die mit der Entwicklung Neuenburgs eng verknüpfte ,,Société technique"1, dor er während fast eines Jahrzehnts als Leiter vorstand. Aus dieser Zeit stammen die von Ferner errichteten geschmackvollen Bauwerke, sowie mehrere mit Geschick ausgeführte Wiederherstellungsbauten, wie die des Neuenburger Schlosses.

Obwohl ihn seine private Tätigkeit vollauf beschäftigte, entzog sich Herr Perrier keineswegs den öffentlichen Pflichten.

So sehen wir ihn von 1888 an als tätiges Mitglied der neuenburgischen Gemeindebehörden und, ein Jahr später, des Grossen Rates. Aber bald nahmen Perriers Mitbürger seine Dienste ganz in Anspruch, und er musste der ihm liebgewordenen Baukunst entsagen. Im Jahre 1903 wurde er in schwieriger Lage zum Mitgliede des Staatsrates gewählt. Dank seinem sichern Urteile und seinen ausgedehnten Kenntnissen nahm Herr Perrier in der Neuenburger Regierung eine hervorragende Stellung ein. Zweimal führte er in dieser Behörde den Vorsitz und leitete mit anerkannter Tüchtigkeit das Baudepartement.

Nebenbei war Herrn Perrier eine glänzende militärische Laufbahn beschieden. Oft wurde er berufen, in den Zentralschulen den Unterricht in. der Befestigungslehre zu erteilen, bis er im Jahre 1896 zum Obersten des Genie befördert und dann zum Geniechef des I. Armeekorps ernannt wurde. Im Jahre 1898 erhielt er das Kommando der ersten Infanteriebrigade und dann das der Besatzung von St. Maurice (1902--1905}.

Die Laufbahn Perriers in der eidgenössischen Politik beginnt mit seiner Wahl zum Nationalrate im Jahre 1902. Dort sprach er bei den Verhandlungen über Eisenbahn- und andere technische Fragen stets ein gewichtiges Wort. Kein Wunder daher, dass die gesetzgebenden Behörden ihn, den gewiegten Techniker, als Nachfolger des zum Direktor des internationalen Bureaus für geistiges Eigentum ernannten Herrn Comtesse zum Mitgliede des Bundesrates erkoren haben. Leider konnte Herr Perrier sein Amt, zu dem ihn das Vertrauen des Landes berufen, nur sehr kurze Zeit ausüben.

Aber diese Zeit erlaubte ihm, seine Fähigkeiten zur Geltung zu bringen. Nicht umsonst hatte Herr Perrier während seiner

291 bürgerlichen und militärischenLauf bahn Erfahrungen gesammelt.

Mit der Leitung des Bisenbahn- und Postdepartementes betraut, verstand er es, das von seinen Amtsvorgängern vorbereitete, ihm so sehr am Herzen liegende Werk zu vollenden, nämlich die Ausdehnung des Bundesbahnnetzes durch den Rückkauf der Linie Genf-La Plaine, sodann den Ankauf der Neuenburger Jurabahn und den Bau des zweiten Simplontunnels. Als Vorsteher des ihm am 1. Januar dieses Jahres zur Verwaltung zugewiesenen Departements des Innern widmete sich Herr Perrier wieder mit voller Hingebung einem von ihm geschätzten Gebiete. Lag ihm nicht in seiner jetzigen Stellung die Förderung der eidgenössischen Technischen Hochschule ob, deren Aufsichtsbehörde er lange Zeit angehört! Hatte er doch auch mitzuwirken an der Ausarbeitung des so dringlichen Gesetzes über die Nutzbarmachung der Wasserkräfte, dessen technische und juristische Seite ihn in gleichem Masse fesselte ! War er, der zeitlebens ein leidenschaftlicher Kunstliebhaber gewesen, endlich nicht auch der bestellte Beschützer der schönen Künste!

Unser Kollege wird sich für diese schönen Aufgaben nicht mehr aufopfern können. Wir haben diesen hochgesinnten, feingebildeten, wohlwollenden Mann, diesen Mann mit dem klaren Worte, dessen Erfahrungen uns so kostbar waren, leider verloren.

Aber sein Andenken wird in uns, wie in allen, die ihn gekannt, stets fortleben und uns teuer sein. Das Land, das sich mit uns ·in der Trauer um ihn vereint, wird ihm ein gleiches Andenken bewahren.

Am 19. Mai, vormittags 93/4 Uhr, fand in dei" Munsterkirche in Bern eine Trauerfeier statt. Nach Schluss derselben .wurde die Leiche zum Bahnhof begleitet und nach Neuenburg überführt, woselbst eine von den kantonalen Behörden angeordnete Trauerfeierlichkeit stattfand.

# S T #

Aus den Verhandlungen des Bundesrates.

(Vom 9: Mai 1913.)

Der Gemeinde Kloten wird an die auf 251 Fr. 50 Rp. veranschlagten Kosten der Anschaffung eines Formaldehyddesinfektionsapparates, System Flügge, nebst Zubehör ein Bundesbeitrag von 50 °/o, d. h. bis auf 125 Fr. 75 Rp., zugesichert.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über Begnadigungsgesuche (Sommersession 1913). (Vom 16. Mai 1913.)

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