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Kreisschreiben des

Bundesrates an sämtliche Kantonsregierungen, betreffend das Verfahren bei Widerhandlung gegen Art. 2 des Bundesgesetzes über die Patenttaxen der Handelsreisenden.

(Vom 11. Dezember 1913.)

Getreue, liebe Eidgenossen !

In unserem Kreisschreiben vom 2. April 1897 haben wir Ihnen mitgeteilt, dass das eidgenössische Handelsdepartement von uns beauftragt worden sei, darüber zu wachen, dass in Fällen der Umgehung der in Art. 2 des Bundesgesetzes vorn 24. Juni 1892 vorgeschriebenen P a t e n t t a x e n für Handelsreisende, die behufs Aufnahme von Bestellungen Privatpersonen besuchen, nicht nur eine Busse ausgesprochen, sondern auch die nachträgliche Entrichtung der Taxe angeordnet werde. Die Gründe, die diesen Beschluss veranlassten, sind ebenfalls dort angegeben. Es ist namentlich auch betont worden, dass, wenn der Richter nur über die Bestrafung der Gesetzesübertretung erkannt habe, die Administrativbehörden ihrerseits über die nachträgliche Entrichtung der umgangenen Patenttaxe zu verfügen haben.

Die hier gegebenen Weisungen wurden von den Gerichten der meisten Kantone befolgt. Im Laufe der Zeit jedoch haben die Appellationsinstanzen einiger Kantone jeweilen ausschliesslich über das Strafmass, d. h. die Höhe der erstinstanzlich ausgesprochenen Bussen geurteilt und die verfügte Nachbezahlung der umgangenen Patenttaxe aufgehoben, behauptend, eine bezügliche Vorschrift sei im Gesetz nicht enthalten. Diese Rechtsprechung entmutigte die betreffenden kantonalen Verwaltungsbehörden, von ihrer Befugnis, von sich aus nachträglich die Patenttaxe zu fordern, Gebrauch zu machen, weil sie mit Recht befürchteten, die z. B. mittelst Schuldbetreibung geltend gemachten

314 Forderungen würden allenfalls von den Gerichten auch nicht geschützt werden.

In jenem Kreisschreiben erwähnten wir, dass damals schon einzelne Gerichte, unter anderai diejenigen des Kantons Bern, neben der Busse auch auf die nachträgliche Entrichtung der Taxe erkannt hätten. Allein mit · der Zeit änderte sich diese Rechtsprechung. Die Erste Strafkammer des Obergerichtes des Kantons Bern erklärte in ihrer Eigenschaft als Berufungsinstanz, dass die wegen Übertretung des Art. 2 des Patenttaxengesetzes ausgesprochene Busse wenigstens die Höhe des Betrages erreichen müsse, um welchen der Widerhandelnde sich zufolge der strafbaren Handlung bereichert, d. h. um den er den Staat durch Nichtlösung der vorgeschriebenen Taxkarte geschädigt habe. Die umgangenen Taxen, die gleich den ändern der Gesamtheil; der Kantone gehören würden, fliessen so in der Form einer Busse dem Fiskus eines einzelnen Kantons zu.

In Anwendung dieser Gerichtspraxis haben die beiden kantonalen Gerichtsinstanzen -- der Polizeirichter von Interlaken durch Entscheid vom 3. März und die Erste Strafkammer durch solchen vom 7. Mai 1913 -- den Angeschuldigten, der ohne Taxkarte bei Privaten Bestellungen aufnahm, polizeilich zu einer Busse von Fr. 110 und den Kosten verurteilt. Die Appellationsinstanz bestimmte in ihrem Urteil ferner noch, dass die Busse, wenn nicht innerhalb drei Monaten erhältlich, in 22 Tage Gefängnis, umzuwandeln sei.

Gegen diesen Entscheid hat der Verurteilte die Kassationsbeschwerde an das Bundesgericht ergriffen, mit dem Antrage um Aufhebung der beiden kantonalen Erkenntnisse.

Der Kassationshof des Bundesgerichtes hat dann am 24. September dieses Jahres nur den Kassationsgrund, wonach die Höhe der Strafe, als auf einer unrichtigen Strafbemessung beruhend, angefochten wird, gutgeheissen und führt in Erwägung 4 seines Urteiles folgendes aus: ,,Die Vorinstanz ist deshalb zu der verhältnismässig recht hohen Busse von Fr. 110 gelangt, weil mit der strafbaren Handlung ein Gebührenunterschlagnis konkurriere, und diese nicht durch Nachzahlung der Gebühr gehoben werden könne. Als gesetzlich zulässiger Straferhöhungsgrund kann dies aber nicht gelten. Mit Unrecht macht die Vorinstanz für ihre gegenteilige Auffassung geltend, ein Reisender würde unter Umständen das Risiko einer geringern Bestrafung übernehmen, bloss um der Bezahlung einer höhern Taxe zu entgehen. Demgegenüber

315 ist zu bemerken, dass die Verpflichtung zur Bezahlung der Patentgebühr nicht von der Lösung der Ausweiskarte abhängt, sondern auch dann besteht, wenn die Tätigkeit als Handelsreisender gesetzwidrig, ohne den Besitz einer solchen Karte, ausgeübt wird, und dass die Bestrafung wegen Nichtlösung der Karte (Art. 8 des Bnmdesgesetzes) die Gebührenpflicht unberührt lässt und den Straffälligen nicht von der Nachzahlung der umgangenen Taxe entbindet (vgl. bundesrätliches Kreisschreiben vom 2. April 1897, abgedruckt im Bundesbl. 1897, II, 716; ferner Bundesbl. 1898, u, 137, und Rahm, Vorschriften für Handelsreisende, Bern 1898, Seite 14, sowie den Bundesgerichtsentscheid vom 9. Dezember 1912 i. S. Baumgartner, Erwägung 4). Hiernach muss das angefochtene Urteil wegen eines bei der Strafbemessung unterlaufenen Rechtsirrtuma aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen werden, damit sie neuerdings über die Höhe der Strafe befinde."1 Gestützt hierauf, gestatten wir uns, Sie zu ersuchen, dafür Sorge tragen zu wollen, dass in Ihrem Kanton in allen Fällen der Umgehung des Art. 2 des Patenttaxengesetzes die in unserem mehrerwähnten Kreisschreiben vom 2. April 1897 enthaltene Weisung befolgt und die nachzuzahlenden Pattenttaxen der Gemeinschaft der Kantone nicht entzogen werden.

Zugleich benutzen wir auch diesen Anlass, Sie, getreue, liebe Eidgenossen, samt uns in Gottes Machtschutz zu empfehlen.

B e r n , den 11. Dezember 1913.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Müller.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Schatzmann.

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Kreisschreiben des Bundesrates an sämtliche Kantonsregierungen, betreffend das Verfahren bei Widerhandlung gegen Art. 2 des Bundesgesetzes über die Patenttaxen der Handelsreisenden. (Vom 11. Dezember 1913.)

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17.12.1913

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