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Schweizerisches

Nro. ?.

S o n n t a g , den 18. März 1849.

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Verhandlungen der Bundesversammlung, des national- und Ständerathes.

(Fortsetzung.)

(Fortsetzung der Berathungen in der Angelegenheit der

italienischen Flüchtlinge im Kanton Tessin.)

Am 23. Wintermonat beschäftigte sich auch der Ständerath mit dieser Angelegenheit, sie an eine Kommission von fünf Mitgliedern (den Herren Siegfried, James Fazy, Migy, Kaiser, Ehrmann) verweisend, welche am 27. Wintermonat folgenden Bericht erstattete: Bericht der Kommission des S t ä n d e r a t h e s (Berichterstatter Herr Siegsried). -- "Jn Jhrer Sitzung vom 23. d. M. haben Sie den Beschluß des Nationalrathes vom 22. über die Angelegenheit der italienischen Flüchtlinge im Kanton Tessin einem von Jhrem Präsidium ernannten Ausschuß zur Begutachtung überwiesen.

Nachdem die Mitglieder des Ausschusses sich mit den umfassenden Akten nach Maßgabe der eingeräumten, nur kurzen Zeit bekannt zu machen gesucht hatten, traten sie Bundesblatt I.

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am 24. d. M. zufammen. Die über den Beschluß des Nationalrathes erhobene Berathung zeigte sofort, daß alle Mitglieder des Ausschusses mit den Bestimmungen jenes Beschlusses, den Art. 2 ausgenommen, einverstanden waren. Einzelne Mitglieder fochten hingegen die im Art. 2 enthaltene Bestimmung an, daß der Kanton Tessin bis auf weitere Verfügung der Bundesbehörden, und unter Ver-

antwortlichkeit, italienischen Flüchtlingen keinen Aufenthalt gewähren dürfe, solche Fälle jedoch vorbehalten, in denen dringende Rücksichten der Humanität ein entgegengesetztes Verfahren rechtfertigen würden. Zwei Mitglieder der Kommission wollten nämlich diefen Artikel streichen, dafür haltend, es fei eine fo strenge Vorschrift für die Zukunft gegenüber dem Kanton Tefsin nicht am Orte, indem die im Art. l vorgeschriebene Entfernung aller gegenwärtigen Flüchtlinge ans dem Kanton Tessin der Vergangenheit und Gegenwart gegenüber in jeder Beziehung genüge, so wie aber auch Wink genug für Behörden und Bürger im Kanton Tessin sei, in Znkunft Wiederholungen des Ge-

schehenen rechtzeitig zu verhindern ; die eigenthümlichen Verhältnisse der tessinischen Bevölkerung zu den italienischen Bestrebungen nnd Ereignissen, so wie die sehr schwierige Lage der Tessiner-Behörden unter solchen Umständen erfordern ein schonliches Auftreten von Seite des Bundes, und ohne dringende Notwendigkeit, welche hier nicht vor.handelt, folle sich der Bnnd keine Beschränkung eines Kantons erlauben, wie sie im Art. 2 des Beschlusses des Nationalrathes enthalten fei.

,,Eventuell, wenn der Art. 2 vom Ständerath nicht

gestrichen werden wollte, trägt ein Mitglied der Minderheit darauf an, den K a n t o n Tessin einzuladen,, bis auf weitere V e r f ü g u n g der B u n d e s b e h ö r den italienifchen Flüchtlingen nur mit größter

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.Vorsicht Asyl zu gestatten, dabei jedoch alle Pflichten der Humanität zu üben. Es hält dieses

Mitglied der Minderheit dafür, daß jedenfalls eine solche Einladung in Verbindung mit der durch Art. 1 vorgeschriebenen durchgreifenden Maßregel hinreiche, in Zukunft weitern Schwierigkeiten wegen Flüchtlingen im Kanton Tessin vorzubeugen, daß eine solche Einladung aber gegenüber den tessinischen Behörden und Bürgern als eine freundliche Maßregel erscheine, wodurch hinwieder eine unsreundliche Stimmung gegen die Bundesbehörden abgewendet werde.

"Die Mehrheit der Mitglieder Jhres Ausschusses dagegen wünscht, daß anch der Art. 2 des Beschlusses des Nationalrathes, also der ganze Beschluß, unverändert ausrecht erhalten werde. Diese Mehrheit hält es nämlich unter Umständen für nothwendig und gerechtfertigt, dem Kanton Tessin von Bundes wegen und zwar bei eigener Verantwortlichkeit, zur Pflicht zu machen, bis auf weitere Verfügung der Bundesbehörden auch fernerhin

italienifchen Flüchtlingen kein Afyl zu gestatten, ausgenommen in folchen Fällen, in denen dringende Rücksichten der Humanität ein entgegengefetztes Verfahren rechtfertigen würden.

"SeitMonaten befinden sich im Kanton Tefsin Taufende

von italienifchen Flüchtlingen; der österreichifche Befehlshaber in der Lombardei befchnldigte dieselben widerrechtlicher Handlungen, und schloß, als die Regierung von Tessin seinen Begehren um Abhülfe nicht Folge gab, allen Verkehr mit dem Kanton Tefsin oder dura) denfelben a& und vertrieb die in der Lombardei sich aufhaltenden Tefsiner.

.··Oie um eidgenössisches Einschreiten vom Kanton Tessin angegangene Tagsatzung sendete dorthin Repräsentanten mit etwa 1600 Mann Truppen zu Wahrung der schwei-

ITO zerischen Jnteressen und zu Ablösung der dort ausgestellten Tessiner-Truppen ; die angeordnete ernstliche Gränzbewachung vermochte den lombardischen Befehlshaber bald, die gegen den Kanton Tessin verhängten Maßregeln zu beseitigen oder zu mildern; die italienischen Flüchtlinge ihrerseits aber kamen den eidgenössischen Maßregeln zu Aufrechthaltung der Neutralität nicht entgegen, fondern erlaubten sich während nnd trotz diefer Gränzbesetzung nnd in schnöder Verachtung des ihnen gewährten Asyls verschiedene mehr oder minder bedeutende Attentate auf die Ruhe und Sicherheit in der Lombardei; anch die tefsinifche Bevölkerung, fo weit sie in diefen Angelegenheiten sich kund gab oder thätig zeigte, regte sich nicht zu Gunsten der von der Eidgenossenfchaft ergriffenen Maßregeln, fondern mehrfach zu Gunsten von Flüchtlingen und ihren rechtswidrigen, gefährdenden Unternehmnngen, fowie gegen die eidgenössifchen Organe und ihre Vorkehren ; die Repräfentanten und mit ihnen die eidgenössifchen Oberbehörden finden, daß nur Entfernung der Masse der Flüchtlinge aus dem felbst mit einer weit größern Trnppenzahl unmöglich hinlänglich zu überwachenden Kanton Tefsin die Wiederkehr neuer Attentate verhindern könne; die Ergreifung ernster, nachhaltig wirksamer Maßregeln erscheint nöthig, da mit Recht man sich gegen

die Schweiz über die Attentate der italienischen Flüchtlinge beschweren kann; die Bewachung der Schweizergränzen und namentlich derjenigen im Tessin hat die Eidgenossenschaft bereits über zwei Millionen Franken gekostet; viele Bürger sind fchon Monate lang in Anfprnch genommen

worden und täglich kostet die jetzige tessinifche Gränzbesetzung etwa 5000 Franken und hält über 3000 Bürger ferne von der Heimath ; und in Jtalien waltet stetsfort der gleiche unsichere, theilweife bewegungsvolle Zustand, so daß jeder Tag Ereignisse bringen kann, infolge welcher

171 neue Auswanderungen in die Schweiz oder andere Nachbarländer erfolgen.

"Und nun -- bei folcher Lage der Dinge 'und nach solchen warnenden Erlebnissen -- sollte man im eigenen höchsten Jnteresse, gleichwie ans Pflicht gegen Nachbarn gläubig sein an bessere Gestaltung der Zukunft und die' erforderlichen Sicherheitsmaßregeln unterlassen!?

Die Mehrheit der Kommifsion mit der Mehrheit im Nationalrathe hält sich vielmehr verpflichtet, zu denjenigen Maßregeln zu rathen, welche dießfalls für die immerhin unsichere, felbst drohende Zukunft Gewähr für möglichste Wahrung so wichtiger Jnteressen des Landes zu geben vermögen, und glaubt, daß der sragliche Art. 2 diesem Zwecke entspreche. Eine unbefangene Anfchannng der Verhältnisse wird auch die Tefsiner Behörden zur Ansicht

zu bringen vermögen, daß die Schweiz zu folchen Maßregeln sich genöthiget fehen mußte, und nur ein festes Auftreten der Bundesbehörden gibt den Tefsinerbehörden die erforderliche Kraft, in Zukunft ähnliche Verhältnisse und Verwicklungen nicht entstehen zu lassen. Die angedrohte Verantwortlichkeit wird weit nachdruckfamer wirken, als wenn stetsfort eidgenöfsifche Truppen dort hüten und wachen würden. Spare man die Aufstellung folcher für bedeutende Ereignisse, erschöpfe aber den guten Willen der Leute mit den Staatskassen nicht zu Bewachung unruhiger Flüchtlinge.

"Der Art. 2 erfcheint der Mehrheit der Kommission

daher lediglich als eine natürliche und nach Lage der Dinge

notwendige Folge des unbestrittenen Art. 1.

"Die Mehrheit der Kommission, so entschieden sie den Zweck und die erforderlichen Mittel hiemit verficht, enthält sich dagegen aller Bemerkungen, welche nicht durchaus zur Sache gehören und Bürger und Behörden in Tessin un-

172 angenehm berühren könnten, und wünscht sehr, daß auch im Schoße der Behörde eine dahin führende Berathnng vermieden werden könnte. Es erfcheint begreiflich, daß viele Bürger Tessins für die so zahlreichen italienischen

Flüchtlinge und ihre Zwecke weitgehende Sympathien haben und bethätigen, und daß unter solchen Umständen die dortigen Behörden sich in schwieriger Lage befinden. Jene Sympathien können und dürfen aber der ernsten Pflicht

des Landes gegen sich selbst und gegen Nachbarn nicht Abbruch thun und nöthigen vielmehr die Bundesbehörden, den unter Umständen gelähmten Kantonsbehörden in geeigneter Weise zu Hülfe zu kommen.

"Die Mehrheit der Kommifsion empfiehlt sonach auch den Art. 2 des ..Beschlusses des Nationalrathes und trägt somit ans unveränderte Annahme des ganzen Beschlusses des Nationalrathes an."

Die Anträge des Nationalrathes und der Mehrheit der Ständerathskommission, in der Sitzung dieser letztern Behörde am 27. Wintermonat behandelt, wurden auch dort angenommen, und es erhielt somit der hier nachsol.gende Beschluß die Krast eines Bundesgesetzes.

Beschluß feer

schweizerischen Bundesversammlung, vom 27. 3Öin* termonat 1848, betreffend die Angelegenheit der italienischen Flüchtlinge im Kanton Tessin.

Die schweizerische Bundesversammlung, Nach genommener Kenntniß von den Anständen, welche sich im Kanton Tessin bezüglich der dort sich aufhaltenden italienifchen Flüchtlinge erhoben haben, hat, Jn der Absicht, einerseits das von der Schweiz stets

173 geübte Recht, politischen Flüchtlingen ein Afyl zu gestatten, zu wahren, anderfeits einen Mißbrauch des Afyls von Seite der italienifchen Flüchtlinge im Kanton Tefsin für die Zukunft zu verhüten, beschlofsen: Art. 1. Es sei die Anordnung des Vororts und der eidgenössischen Repräsentanten im Kanton Tessin gutgeheißen, gemäß welcher Anordnung die'italienischen Flüchtlinge ans dem Kanton Tessin entfernt und in die Schweiz internirt, bei Vollziehung dieser Maßregel aber die von der Hnmanität gebotenen Rücksichten beobachtet und aus Alter, Geschlecht und Lage der Personen Bedacht genommen werden soll, worüber die eidgenössischen Repräsentanten zu eutscheiden haben.

Die Regierung des Kantons Tefsin ist unter Verantwortlichkeit aufgefordert, diefer Anordnung nachzukommen.

Art. 2. Bis auf weitere Verfügung der Bundesversammlung oder des Bundesrathes ist dem Kanton Tessin bei gleicher Verantwortlichkeit untersagt, italienischen Flüchtlingen den Ausenthalt aus seinem Gebiete zu gestatten, vorbehalten die Fälle, in denen dringende Rücksichten der Humanität ein entgegengesetztes Verfahren rechtfertigen würden.

5lrt. 3. Zu Wahrung der fchweizerifchen Jnteressen verbleiben eidgenöfsifche Repräsentanten im Kanton Tessin, so lange der Bnndesrath es sür nothwendig findet. Letzterer ist anch -- wenn die oberste Bundesbehörde nicht

versammelt ist -- ermächtigt, bei allfälligem Entlassungs-

gefuche eines Repräsentanten, nach Umständen dem Gesuche zu entsprechen und abgehende Repräsentanten nöthigensalls durch Kommissarien zu ersetzen.

Art. 4. Der Bundesrath ist ermächtigt, die der Tessinerangelegenheit wegen im Dienste stehenden eidgenössischen

174 Truppen theilweife oder ganz zu entlassen, nach Umständen aber auch dieselben zu verstärken. Für dringende Fälle ist die gleiche Vollmacht den Repräsentanten eingeräumt.

Slrt. 5. Der Bnndesrath wird beauftragt, nachdrucksamst dahin zu wirken, daß die von dem in der Lombardei kommandirenden k. k. Feldmarschall Radetzky gegen den Kanton Tessin verhängten Maßregeln, insoweit es bis jetzt noch nicht geschehen ist, ausgehoben werden.

Art. 6. Es wird den eidgenössischen Repräsentanten im Kanton Tessin für ihre Pflichterfüllung der Dank der Verfammlung ausgesprochen.

Art. 7. Der Bundesrath ist mit der Vollziehung des gegenwärtigen Beschlusses beauftragt.

Der erste Repräsentant im Kanton Tessin, Herr Bundesrath Munzinger, hatte mit Zuschrift vom 22. Wintermonat den Wunsch ausgesprochen, als eidgenössifcher Repräfentant recht bald ersetzt zu werden, um an den Arbeiten des Bundesrathes thätigen Antheil zu nehmen.

Desgleichen hatte auch der zweite eidgenössische Repräsentant im Kanton Tessin unterm 20. Wintrnnonat seine Entlassung gleichsalls eingegeben.

Beiden Herren Repräsentanten ist die nachgesuchte Demission den 29. Wintermonat von der vereinigten -..Sundesversammlung mit großer Mehrheit ertheilt worden, und im Weitern wurde ebenfalls mit überwiegender Mehrheit befchlossen, die Abfendnng eidgenössischer Kommissarien nach dem Kanton Tessin dem Bundesrathe zn überlassen.

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Verhandlungen der Bundesversammlung, des National- und Ständerathes. (Fortsetzung.)

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18.03.1849

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