8.2.2

Botschaft zum Freihandelsabkommen zwischen den EFTA-Staaten und der Republik Tunesien vom 11. Januar 2006

8.2.2.1

Übersicht

Das Freihandelsabkommen mit Tunesien wurde am 17. Dezember 2004 in Genf unterzeichnet. Es reiht sich in eine Serie von Freihandelsabkommen ein, die die EFTA-Staaten seit Anfang der 90er Jahre mit Staaten des Mittelmeerraumes abgeschlossen haben: 1991 mit der Türkei (SR 0.632.317.613), 1992 mit Israel (SR 0.632.314.491), 1997 mit Marokko (SR 0.632.315.491), 1998 mit der PLO/Palästinensischen Behörde (SR 0.632.316.251), 2001 mit Jordanien (SR 0.632.314.671) und 2004 mit Libanon (BBl 2005 1247).

Mit dem Abschluss von Freihandelsabkommen verfolgen die EFTA-Staaten das Ziel, den eigenen Wirtschaftsakteuren gegenüber ihren wichtigsten Konkurrenten einen möglichst gleichwertigen und diskriminierungsfreien Zugang zu den Märkten ihrer Vertragspartner zu verschaffen. Dies ist umso wichtiger, als die EU im Rahmen der Erklärung von Barcelona bekundet hat, bis zum Jahre 2010 eine grosse Freihandelszone Europa-Mittelmeer zu errichten. Im Hinblick darauf beschlossen die Regierungen der EFTA-Staaten im Juni 1995, die Drittlandpolitik der EFTA im Mittelmeerraum zu intensivieren. Damit verbunden war die Absicht, einen Beitrag zur Integration Europa-Mittelmeer zu leisten und an der künftigen Freihandelszone Europa-Mittelmeer teilzunehmen.

Das Freihandelsabkommen EFTA-Tunesien deckt Industrie- und verarbeitete Landwirtschaftsprodukte sowie Fisch und andere Meeresprodukte ab. Es enthält auch substantielle Regeln über den Schutz des geistigen Eigentums sowie gewisse Bestimmungen über Dienstleistungen und Investitionen, über das öffentliche Beschaffungswesen sowie über die wirtschaftliche und technische Zusammenarbeit.

Bezüglich der unverarbeiteten Landwirtschaftsprodukte haben die einzelnen EFTAStaaten mit Tunesien je bilaterale Vereinbarungen getroffen (Ziff. 8.2.2.5).

Das Freihandelsabkommen ist teilweise asymmetrisch ausgestaltet und berücksichtigt damit die Unterschiede der wirtschaftlichen Entwicklung Tunesiens und der EFTA-Staaten. Abgesehen von einigen landwirtschaftspolitisch relevanten Positionen heben die EFTA-Staaten in den Bereichen der Industrie- und Fischereiprodukte ihre Zölle mit Inkrafttreten des Abkommens vollständig auf. Tunesien gewährt ab Inkrafttreten des Abkommens den Industrieprodukten aus den EFTA-Staaten dieselben Präferenzen wie jenen aus der EU, gegenüber der der Zollabbau bereits im
neunten Jahr der insgesamt zwölfjährigen Übergangszeit steht. Für den grössten Teil der schweizerischen Exporte bedeutet dies Zollbefreiung ab Inkrafttreten des Abkommens. Überdies gewährt Tunesien den EFTA-Staaten Zollkonzessionen für Fisch und andere Meeresprodukte. Bezüglich landwirtschaftlicher Verarbeitungsprodukte gewähren die EFTA-Staaten Tunesien die gleichen Konzessionen, wie sie sie bis anhin der EU zugestanden haben. Tunesien gewährt den EFTA-Staaten seinerseits die gleichen Marktzutrittsbedingungen wie der EU. Insgesamt haben die 2005-3427

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Bestimmungen des Abkommens im Bereich des Warenverkehrs für sämtliche Schweizer Exporte von Industrie- und verarbeiteten Landwirtschaftsprodukte die sofortige Aufhebung der zollmässigen Benachteiligung auf dem tunesischen Markt gegenüber Produkten aus der EU zur Folge.

Die schweizerischen Zollkonzessionen kommen weitgehend einer vertraglichen Konsolidierung der bisherigen einseitig gewährten APS-Vergünstigungen (Allgemeines Präferenzsystem zugunsten der Entwicklungsländer; Zollpräferenzenbeschluss, SR 632.91) gleich, dies nunmehr auf Grundlage der Gegenseitigkeit. Das Freihandelsabkommen und die bilaterale Landwirtschaftsvereinbarung lösen das schweizerische APS-Präferenzregime gegenüber Tunesien ab.

8.2.2.2

Wirtschaftliche Lage Tunesiens, Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Schweiz und Tunesien

Dank wichtiger Reformen in den Bereichen der Aussenwirtschaft, der Preisliberalisierung und des Steuerregimes sowie Anreizsteigerungen für Investitionen konnte sich die tunesische Wirtschaft von der schwerwiegenden Krise Anfang der 1980er Jahre erholen. 2004 stieg das BIP auf 28,5 Milliarden US-Dollar an (2003: 25 Mrd.

US$) was einem Wachstum von 5,8 Prozent entspricht. Für 2005 wird das Wirtschaftswachstum auf 5 Prozent geschätzt. Infolge der Marktöffnung sind heute 96 Prozent der tunesischen Produkte dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt und 87 Prozent der Produzentenpreise sind Marktpreise.

Trotz der hohen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit steigt die grosse Arbeitslosigkeit weiter an. Offiziell beträgt die Arbeitslosenquote 13,8 Prozent, doch Schätzungen zufolge beläuft sie sich auf 20­30 Prozent. Davon betroffen sind insbesondere junge Arbeitsuchende, unabhängig ihrer beruflichen Qualifikationen.

Tunesien ist für die Schweizer Exporteure einer der wichtigsten Absatzmärkte Nordafrikas. Zwischen 1990 und 2001 konnten die Ausfuhren von 69 Millionen auf 120 Millionen Franken angehoben werden, bis 2004 gingen sie allerdings wieder auf 103 Millionen Franken zurück. Zu den Exportgütern zählen insbesondere Maschinen (2004: 31 %), chemische Produkte (12 %) und Landwirtschaftsprodukte (10 %). Im Gegensatz zu den Ausfuhren nahmen die Einfuhren tunesischer Produkte in die Schweiz zwischen 1990 und 2004 stetig zu; sie haben sich von 13 Millionen (1990) auf 24 Millionen Franken (2004) fast verdoppelt. Zu den eingeführten Produkten zählen insbesondere Textilien und Bekleidung (2004: 25 %), Maschinen (23 %), Landwirtschaftsprodukte (17 %) und Lederwaren (8 %).

Die Schweiz belegt den 16. Rang der ausländischen Investoren in Tunesien. Die schweizerischen Direktinvestitionen betreffen vor allem die Textil- und Bekleidungsindustrie, die Nahrungsmittelindustrie und den Tourismus.

8.2.2.3

Verhandlungsverlauf

Gestützt auf die Zusammenarbeitserklärung EFTA-Tunesien vom 8. Dezember 1995 wurden die Freihandelsverhandlungen zwischen den EFTA-Staaten und Tunesien im Oktober 1996 eröffnet. Das Freihandelsabkommen sowie die bilateralen Landwirtschaftsvereinbarungen zwischen den einzelnen EFTA-Staaten und Tunesien sind in 1784

insgesamt sieben Verhandlungsrunden sowie verschiedenen Expertentreffen und Begegnungen der Delegationschefs ausgehandelt worden, und die Vertragstexte wurden am 1. Dezember 2004 in Genf paraphiert. Eine besondere Schwierigkeit in den Verhandlungen stellte der Bereich Fisch und andere Meeresprodukte dar. Die offensiven Exportinteressen der nordischen EFTA-Staaten mussten mit den defensiven Interessen Tunesiens, das in diesem Bereich der EU keine Konzessionen gewährt hatte und für die Modernisierung seines strukturschwachen Fischereisektors Ausnahmen und lange Übergangsfristen verlangte, in Einklang gebracht werden.

8.2.2.4

Inhalt des Freihandelsabkommens

Das Freihandelsabkommen mit Tunesien (SR 0.632.317.581; AS 2005 5387) entspricht weitgehend den bisher von den EFTA-Staaten mit mittel- und osteuropäischen Partnern sowie mit der Türkei, Israel, der PLO/Palästinensischen Behörde, Marokko, Jordanien und Libanon abgeschlossenen Freihandelsabkommen.

8.2.2.4.1

Warenverkehr

Durch den Abschluss des Freihandelsabkommens und der bilateralen Landwirtschaftsvereinbarungen wird zwischen den EFTA-Staaten und Tunesien eine Freihandelszone errichtet (Art. 1 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 2). Die Bestimmungen des Freihandelsabkommens über den Warenverkehr decken Industrieprodukte, landwirtschaftliche Verarbeitungsprodukte sowie Fisch und andere Meeresprodukte ab (Art. 4 Abs. 1). Das Abkommen ist teilweise asymmetrisch ausgestaltet und berücksichtigt damit den unterschiedlichen wirtschaftlichen Entwicklungsstand der Vertragspartner. Während die EFTA-Staaten ihre Zölle mit Inkrafttreten des Abkommens für Industrieprodukte und Fisch vollständig aufheben (Art. 6 Abs. 2), wird Tunesien für sensible Produkte eine Übergangszeit für den schrittweisen Abbau seiner Zölle gewährt (Art. 6 Abs. 3 und Anhang IV). Für den grössten Teil der schweizerischen Industrieexporte bedeutet dies Zollbefreiung ab Inkrafttreten des Abkommens. Für die übrigen Produkte wird Tunesien die Zölle sofort auf 20 oder 33 Prozent des Normalzollansatzes reduzieren und sie schrittweise abbauen, bis zu ihrer vollständigen Aufhebung ab 1. Juli 2008. Damit gewährt Tunesien ab Inkrafttreten des Abkommens für Industrieprodukte aus den EFTA-Staaten dieselben Präferenzen wie für jene aus der EU, gegenüber der der Zollabbau bereits im neunten Jahr der insgesamt zwölfjährigen Übergangszeit steht.

Bezüglich landwirtschaftlicher Verarbeitungsprodukte gewähren die EFTA-Staaten Tunesien die gleichen Konzessionen, wie sie sie bis anhin der EU zugestanden haben (Protokoll A). Tunesien gewährt den EFTA-Staaten seinerseits die gleichen Marktzutrittsbedingungen wie der EU.

Im für Tunesien sensiblen Bereich Fisch und andere Meeresprodukte sieht das Abkommen zunächst Zollreduktionen für ausgewählte Produkte im Rahmen von Kontingenten vor (Anhang III). Der vollständige Zollabbau ist für spätestens 18 Jahre nach Inkrafttreten des Abkommens vorgesehen, gemäss einem von den Parteien nach Inkrafttreten des Abkommens auszuhandelnden Abbaukalender.

Ausserdem erlaubt eine spezifische Schutzklausel Tunesien, beim Auftreten bedeutender Schwierigkeiten im Fischereisektor Schutzmassnahmen zu ergreifen.

1785

Die Ursprungsregeln des Abkommens (Art. 5 und Protokoll B) sind bereits auf die Einführung der Euromed-Kumulation ausgerichtet. Mit der Aufnahme des EuromedUrsprungsprotokolls in die Freihandelsabkommen zwischen den teilnehmenden Parteien (EU, EFTA-Staaten, andere Teilnehmer des Paneuropäischen Kumulationssystems sowie Mittelmeerstaaten) werden die diagonalen Kumulationsmöglichkeiten, welche bisher auf europäische Partner beschränkt waren, auf den Mittelmeerraum ausgeweitet. Die Ursprungsregeln sehen ausserdem vor, dass die wettbewerbsverzerrende Rückerstattung von Zöllen, die auf Einfuhren aus Drittländern erhoben werden (sog. drawback), ab Ende 2009 nicht mehr zulässig sein wird.

Wie die anderen EFTA-Freihandelsabkommen enthält auch das vorliegende Abkommen Bestimmungen über das Verbot von mengenmässigen Beschränkungen und Zöllen bei der Ausfuhr von Waren (Art. 9), mengenmässigen Beschränkungen bei der Einfuhr von Waren (Art. 10) und Diskriminierungen durch interne Steuern (Art. 11) und Staatsmonopole (Art. 14) sowie Bestimmungen, die auf die WTORegeln für technische Vorschriften (Art. 12), gesundheitspolizeiliche und pflanzenschutzrechtliche Massnahmen (Art. 13), Subventionen (Art. 15) und AntidumpingMassnahmen (Art. 16) verweisen. Das Abkommen enthält ausserdem Wettbewerbsregeln (Art. 17) sowie die üblichen Schutzklauseln und Ausnahmebestimmungen (Art. 18, 20, 21 und 22), einschliesslich solcher bezüglich Strukturanpassungsschwierigkeiten (Art. 19).

8.2.2.4.2

Geistiges Eigentum

Die Abkommensbestimmungen über den Schutz der Rechte an geistigem Eigentum (Art. 23 und Anhang V) verpflichten die Parteien, einen effektiven Immaterialgüterrechtsschutz zu gewährleisten und die Durchsetzung der Rechte an geistigem Eigentum sicherzustellen. Insbesondere sind geeignete Massnahmen gegen Fälschung und Nachahmungen vorzusehen. Die Prinzipien der Inländerbehandlung und der Meistbegünstigung gelten gemäss den relevanten Bestimmungen des TRIPS-Abkommens der WTO (Abkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte an geistigem Eigentum, SR 0.632.20, Anhang 1C).

Die Parteien bestätigen ihre Pflichten unter verschiedenen internationalen Immaterialgüterrechtsabkommen, deren Partei sie sind (Trips-Abkommen, Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums, revidiert am 14. Juli 1967, SR 0.232.04; Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst, revidiert am 24. Juli 1971, SR 0.231.15). Weiter verpflichten sich die Parteien, soweit dies nicht bereits der Fall ist, bis spätestens fünf Jahre nach Inkrafttreten dieses Abkommens den folgenden wichtigen internationalen Schutz- und Harmonisierungsabkommen beizutreten: dem Internationalen Abkommen vom 26. Oktober 1961 über den Schutz der ausübenden Künstler, der Hersteller von Tonträgern und der Sendeunternehmen (Rom-Abkommen, SR 0.231.171), dem Internationalen Übereinkommen vom 2. Dezember 1961 zum Schutz von Pflanzenzüchtungen (UPOV-Konvention, in der Fassung von 1978 oder 1991, SR 0.232.162), der Genfer Akte (1999) des Haager Abkommens betreffend die internationale Hinterlegung gewerblicher Muster und Modelle (BBl 2000 2799 ff.), dem «WIPO Copyright Treaty» (Genf 1996), dem «WIPO Performances and Phonograms Treaty» (Genf 1996) und dem Budapester Vertrag vom 28. April 1977 über die internationale Anerkennung der Hinterlegung von Mikroorganismen für die Zwecke von Patent-

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verfahren (SR 0.232.145.1). Auch wird Tunesien alles unternehmen, um den weiteren Staatsverträgen im Bereich des geistigen Eigentums, bei denen die EFTAStaaten bereits Vertragspartner sind, ebenfalls beizutreten.

Im Weiteren sind spezifische materielle Schutzstandards für einzelne Immaterialgüterrechtsbereiche festgelegt. Was den Patentschutz anbelangt, so hat sich Tunesien auf einen sachlichen Schutzbereich verpflichtet, der im Ergebnis demjenigen des Europäischen Patentübereinkommens (SR 0.232.142.2) und damit demjenigen der EFTA-Staaten entspricht. Testdaten, welche in amtlichen Marktzulassungsverfahren für pharmazeutische und agrochemische Produkte einzureichen sind, geniessen einen Erstanmelderschutz von mindestens fünf Jahren ab Marktzulassung, wobei nachfolgende Anmelder auf die Daten Bezug nehmen können, wenn sichergestellt ist, dass sie sich in angemessener Weise an den Erstellungskosten der Daten beteiligen. Diese Regelung stellt eine Präzisierung zur entsprechenden Verpflichtung im TRIPS-Abkommen der WTO dar. Ferner ist ein Designschutz von fünf Jahren vorgesehen, der um zweimal fünf Jahre verlängert werden kann. Innerhalb von fünf Jahren nach Inkrafttreten des Abkommens soll diesbezüglich die Verlängerung der Schutzdauer auf insgesamt viermal fünf Jahre geprüft werden, was dem Standard der EFTA-Staaten entsprechen würde.

Ausserdem sieht das Abkommen vor, dass die Bestimmungen über das geistige Eigentum auf Antrag einer Partei und in Übereinstimmung mit den andern Parteien überprüft werden, um das Schutzniveau zu verbessern und die Entwicklung des Handels zwischen den Parteien zu fördern. Darüber hinaus erklären sich die Parteien dazu bereit, auf Expertenebene über ihre internationalen Aktivitäten und Beziehungen sowie über andere Entwicklungen im Bereich des geistigen Eigentums Konsultationen abzuhalten.

Für die Schweiz verursachen die Abkommensbestimmungen keinen Anpassungsbedarf. Einzig die bereits in anderen EFTA-Freihandelsabkommen enthaltene Verpflichtung, dem «WIPO Copyright Treaty» (Genf 1996) sowie dem «WIPO Performances and Phonograms Treaty» (Genf 1996) beizutreten, muss noch umgesetzt werden.

8.2.2.4.3

Dienstleistungen, Investitionen, öffentliches Beschaffungswesen, Zahlungsverkehr, wirtschaftliche und technische Zusammenarbeit

Für die Dienstleistungen (Art. 26) und das öffentliche Beschaffungswesen (Art. 30) enthält das Abkommen Entwicklungs- und Verhandlungsklauseln, insbesondere im Hinblick auf die Vermeidung allfälliger Diskriminierungen, die Tunesien oder den EFTA-Staaten aus künftigen Präferenzabkommen eines Abkommenspartners mit Drittstaaten erwachsen könnten. Ferner enthält das Abkommen Bestimmungen über Investitionen (Art. 24 und 25), die allgemeine Grundsätze bezüglich Investitionsschutz und Investitionsförderung festhalten. Das Abkommen sichert ausserdem den freien Zahlungsverkehr sowohl in Bezug auf Investitionen als auch den Handel zu (Art. 27 und 28). Vorbehalten bleiben Massnahmen im Falle von Zahlungsbilanzschwierigkeiten (Art. 29). Im Verhältnis zwischen Tunesien und der Schweiz gilt das bilaterale Investitionsschutzabkommen aus dem Jahr 1961 (SR 0.975.275.8) weiter.

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Ähnlich wie verschiedene andere EFTA-Freihandelsabkommen mit Mittelmeerpartnern enthält das Abkommen auch Bestimmungen über wirtschaftliche und technische Zusammenarbeit (Art. 31, 32 und 33). Zur Umsetzung dieser Bestimmungen haben die EFTA-Staaten mit Tunesien über technische Zusammenarbeitsprojekte verhandelt, die insbesondere dem guten Funktionieren des Abkommens und der Realisierung seiner Ziele dienen sollen. In diesem Zusammenhang haben sich die Schweiz und Tunesien auf eine bilaterale Absichtserklärung (Memorandum of Understanding) geeinigt.

8.2.2.4.4

Institutionelle Bestimmungen, Streitbeilegung

Für die Sicherstellung der ordnungsgemässen Durchführung des Abkommens wird ein Gemischter Ausschuss eingesetzt, in dem jede Partei vertreten ist (Art. 34). Als paritätisches Organ fasst der Gemischte Ausschuss seine Beschlüsse einstimmig (Art. 35).

Das Abkommen sieht ein Streitbeilegungsverfahren vor, in dessen Zentrum Konsultationen zwischen den Parteien bzw. im Gemischten Ausschusses stehen (Art. 36).

Hat der Gemischte Ausschuss innerhalb von drei Monaten keine einvernehmliche Lösung gefunden, kann die benachteiligte Vertragspartei vorläufige Massnahmen ergreifen (Art. 37). Ausserdem kann jede Streitpartei nach Ablauf dieser Frist ein Schiedsgerichtsverfahren eröffnen. Die Entscheide des Schiedsgerichts sind endgültig und für die Streitparteien bindend (Art. 38).

8.2.2.4.5

Präambel, Eingangs- und Schlussbestimmungen

Die Präambel und die Bestimmung über die Abkommensziele (Art. 1) halten die allgemeinen Zielsetzungen der Zusammenarbeit zwischen den Parteien im Rahmen des Freihandelsabkommens fest. Darin bekräftigen die Parteien u.a. die Absicht, den Warenhandel zu fördern sowie stabile und vorhersehbare Rahmenbedingungen für Dienstleistungen und Investitionen zu schaffen, und bestätigen die Prinzipien der Charta der Vereinten Nationen (SR 0.120) sowie der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte.

Eine allgemeine Entwicklungsklausel sieht vor, dass die Vertragsparteien das Abkommen im Lichte der Entwicklungen der internationalen Wirtschaftsbeziehungen und insbesondere in der WTO überprüfen. Sie prüfen zudem gemeinsam Möglichkeiten zur Vertiefung und Ausweitung der Zusammenarbeit unter diesem Abkommen (Art. 39).

Weitere Bestimmungen betreffen die Anwendbarkeit des Abkommens (Art. 2 und 3), das Verhältnis zu anderen Präferenzabkommen (Art. 42) und den Beitritt weiterer Parteien zum Abkommen (Art. 43). Das Abkommen kann von jeder Partei durch schriftliche Notifikation an den Depositar binnen sechs Monaten gekündigt werden (Art. 44). Depositar dieses Abkommens ist die Regierung Norwegens (Art. 46).

Wie bei den anderen EFTA-Freihandelsabkommen sind Änderungen des Abkommens vom Gemischten Ausschuss den Vertragsparteien zur Ratifikation vorzulegen (Art. 41); ausgenommen sind die Protokolle und Anhänge des Abkommens, deren Änderung in der Kompetenz des Gemischten Ausschusses liegt (Art. 40). Solche Beschlüsse des Gemischten Ausschusses fallen in der Schweiz üblicherweise in die 1788

Genehmigungskompetenz des Bundesrates. Der Bundesrat informiert die Bundesversammlung über entsprechende Änderungen von Anhängen und Protokollen im Rahmen seiner jährlichen Berichterstattung über von ihm abgeschlossene völkerrechtliche Verträge.

Die Kompetenz, Änderungen von Anhängen und Protokollen vorzunehmen, wird in den EFTA-Freihandelsabkommen an den einstimmig beschliessenden Gemischten Ausschuss delegiert, um das Verfahren für technische Anpassungen zu vereinfachen und so die Verwaltung der Abkommen zu erleichtern. Die Anhänge und Protokolle der Freihandelsabkommen der EFTA-Staaten werden regelmässig aufdatiert, insbesondere um Entwicklungen im internationalen Handelssystem (z.B. WTO, Weltzollrat, andere Freihandelsbeziehungen der EFTA-Staaten und ihrer Partner) Rechnung zu tragen. Die Kompetenzdelegation bezieht sich auf folgende technische Anhänge und Protokolle: Anhang I (geografischer Anwendungsbereich: Regelung für Spitzbergen), Anhang II (vom Kapitel Warenverkehr ausgenommene Produkte), Anhang III (Behandlung von Fisch und anderen Meeresprodukten), Anhang IV (Zollabbau für Industrieprodukte), Anhang V (Bestimmungen über den Schutz der Rechte an geistigem Eigentum), Anhang VI (Zusammensetzung und Arbeitsweise des Schiedsgerichts), Protokoll A (Behandlung von verarbeiteten Landwirtschaftsprodukten) und Protokoll B (Ursprungsregeln und Methoden der administrativen Zusammenarbeit).

8.2.2.5

Bilaterale Landwirtschaftsvereinbarung zwischen der Schweiz und Tunesien

Parallel zum Freihandelsabkommen hat jeder EFTA-Staat mit Tunesien eine bilaterale Vereinbarung über den Handel mit landwirtschaftlichen Basisprodukten abgeschlossen. Diese Vereinbarungen sind rechtlich mit dem Freihandelsabkommen verbunden und können keine eigenständige Geltung erlangen (Art. 4 Abs. 2 des Freihandelsabkommens, Abs. 5­7 der Vereinbarung in Form eines Briefwechsels zwischen der Schweiz und Tunesien). Die von der Schweiz eingeräumten Zugeständnisse bestehen in der Senkung oder der Beseitigung von Einfuhrzöllen für ausgewählte landwirtschaftliche Produkte, für welche Tunesien ein besonderes Interesse geltend gemacht hat. Die Schweiz hat keine Konzessionen gewährt, die nicht schon anderen Freihandelspartnern eingeräumt oder im Rahmen des APS bisher autonom zugestanden worden sind, mit Ausnahme der Zollbefreiung für Kamel- und Straussenfleisch sowie eines Zollfreikontingents für 1500 t Kartoffeln (innerhalb des WTO-Kontingents). Der Zollschutz für sämtliche für die schweizerische Landwirtschaft sensiblen Produkte bleibt erhalten.

Im Gegenzug gewährt Tunesien der Schweiz insbesondere für die folgenden schweizerischen Exportprodukte denselben Marktzutritt wie der EU: Milchpulver, Schmelzkäse, Kaffee, Tee, Fruchtsäfte, Pflanzensäfte und -extrakte, Saatgut, Pektine, Glukose, Konfitüren, Tabakwaren sowie spezielle Futtermittelzubereitungen.

1789

8.2.2.6

Inkrafttreten

Artikel 45 sieht das Inkrafttreten des Freihandelsabkommens am 1. Juni 2005 für diejenigen Parteien vor, welche bis dahin die Ratifikations-, Genehmigungs- oder Annahmeurkunde hinterlegt haben, vorausgesetzt, Tunesien gehört dazu. Ansonsten erfolgt das Inkrafttreten am ersten Tag des zweiten Monats nach Ratifikation, Annahme oder Genehmigung durch Tunesien und mindestens einen EFTA-Staat.

Die Landwirtschaftsvereinbarung zwischen der Schweiz und Tunesien tritt zum selben Zeitpunkt wie das Freihandelsabkommen in Kraft.

Um so rasch als möglich der Benachteiligung der schweizerischen Exporte auf dem tunesischen Markt gegenüber Exporten aus der EU ein Ende zu setzen, wendet die Schweiz das Freihandelsabkommen sowie die Landwirtschaftsvereinbarung, gestützt auf Artikel 2 des Bundesgesetzes vom 25. Juni 1982 über aussenwirtschaftliche Massnahmen (SR 946.201) und Artikel 45 Absatz 5 des Freihandelsabkommens, seit dem 1. Juni 2005 provisorisch an. Tunesien hat die Abkommen ratifiziert und am selben Datum in Kraft gesetzt. Die entsprechenden Verordnungsanpassungen wurden von der Bundesversammlung im Rahmen des Berichts vom 24. August 2005 über zolltarifarische Massnahmen im 1. Halbjahr 2005 (BBl 2005 5443) genehmigt.

8.2.2.7

Finanzielle und personelle Auswirkungen auf den Bund, die Kantone und die Gemeinden

Die finanziellen Auswirkungen der Abkommen mit Tunesien sind für die Schweiz gering. 2004 lag der Zollertrag aus den Einfuhren aus Tunesien unter 300 000 Franken. Soweit die Zugeständnisse der Schweiz über die bisherigen Konzessionen hinausgehen, die Tunesien im Rahmen des APS gewährt wurden, wird sich der Zollertrag verringern. Diesem geringfügigen Zollausfall stehen die verbesserten Absatzmöglichkeiten für die schweizerische Industrie und Landwirtschaft auf dem tunesischen Markt gegenüber, insbesondere die Beseitigung der Benachteiligung gegenüber der EU. Zudem liegt es im Interesse der Schweiz, ihr Netz von Freihandelsabkommen im Mittelmeerraum auszubauen, besonders im Hinblick auf die Teilnahme an der im Entstehen begriffenen grossen Freihandelszone EuropaMittelmeer.

Personelle Auswirkungen beim Bund können sich aus der steigenden Gesamtzahl umzusetzender und weiterzuentwickelnder Freihandelsabkommen ergeben. Diese Auswirkungen sind innerhalb der Bundesverwaltung auszugleichen. Für die Kantone und Gemeinden haben die Abkommen mit Tunesien keine finanziellen und personellen Auswirkungen.

8.2.2.8

Volkswirtschaftliche Auswirkungen

Durch den Abbau der Industrie- und eines Teils der Landwirtschaftszölle im Handel zwischen Tunesien und der Schweiz wirken sich die Abkommen positiv auf die schweizerischen und tunesischen Unternehmen und Konsumenten aus, und die gegenseitigen Absatzmöglichkeiten der Industrie und der Landwirtschaft werden verbessert. Da sich die Schweizer Konzessionen im Bereich der Landwirtschaftsprodukte im Rahmen dessen bewegen, was bereits anderen Freihandelspartnern oder

1790

im Rahmen des APS zugestanden wurde, sind keine nennenswerten negativen Auswirkungen auf die schweizerische Landwirtschaft zu erwarten.

8.2.2.9

Legislaturplanung

Das Freihandelsabkommen und das bilaterale Landwirtschaftsabkommen mit Tunesien entsprechen dem Inhalt von Ziel 8 «Die internationale Verantwortung wahrnehmen/Chancen für schweizerische Exporte wahren» des Berichtes über die Legislaturplanung 2003­2007 (BBl 2004 1149).

8.2.2.10

Bezug zur WTO und Verhältnis zum europäischen Recht

Die Schweiz und die übrigen EFTA-Staaten sowie Tunesien gehören der Welthandelsorganisation (WTO) an. Sowohl die Schweiz als auch die übrigen EFTA-Staaten und Tunesien sind der Auffassung, dass die vorliegenden Abkommen im Einklang mit den aus den GATT/WTO-Übereinkommen resultierenden Verpflichtungen stehen. Freihandelsabkommen unterliegen der Überprüfung durch die zuständigen WTO-Organe und können Gegenstand eines Streitbeilegungsverfahrens in der WTO sein.

Der Abschluss von Freihandelsabkommen mit Drittstaaten steht weder mit den staatsvertraglichen Verpflichtungen noch mit den Zielen der europäischen Integrationspolitik der Schweiz in Widerspruch. Die Bestimmungen des vorliegenden Freihandelsabkommens sind ähnlich ausgestaltet wie die entsprechenden Bestimmungen des Assoziationsabkommens EU-Tunesien, das seit 1998 in Kraft ist.

8.2.2.11

Gültigkeit für das Fürstentum Liechtenstein

Das Fürstentum Liechtenstein ist Unterzeichnerstaat des Abkommens. Auf Grund des Vertrags vom 29. März 1923 zwischen der Schweiz und Liechtenstein (SR 0.631.112.514) wendet die Schweiz die im Freihandelsabkommen mit Tunesien enthaltenen zollrechtlichen Bestimmungen auch für Liechtenstein an.

Was das bilaterale Landwirtschaftsabkommen zwischen der Schweiz und Tunesien betrifft, gilt dieses auch für das Fürstentum Liechtenstein, solange Liechtenstein durch eine Zollunion mit der Schweiz verbunden ist.

8.2.2.12

Veröffentlichung der Anhänge zum Abkommen zwischen den EFTA-Staaten und Tunesien

Die Anhänge und Protokolle zum Freihandelsabkommen umfassen mehrere hundert Seiten. Es handelt sich zur Hauptsache um Bestimmungen technischer Natur. Nach den Artikeln 5 und 13 Absatz 3 des Publikationsgesetzes vom 18. Juni 2004 (SR 170.512) sowie Artikel 9 Absatz 2 der Publikationsverordnung (SR 170.512.1) kann die Veröffentlichung solcher Texte auf Titel sowie Fundstelle oder Bezugsquelle beschränkt werden. Die Anhänge und Protokolle können beim Bundesamt für

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Bauten und Logistik, Vertrieb Publikationen, 3003 Bern1 bezogen werden und sind beim EFTA-Sekretariat über Internet verfügbar2. Übersetzungen des Protokolls B über die Ursprungsregeln und die administrative Zusammenarbeit werden ausserdem von der Eidgenössischen Zollverwaltung elektronisch publiziert3.

8.2.2.13

Verfassungsmässigkeit

Nach Artikel 54 Absatz 1 der Bundesverfassung (BV, SR 101) sind die auswärtigen Angelegenheiten Sache des Bundes. Die Zuständigkeit der Bundesversammlung zur Genehmigung von völkerrechtlichen Verträgen ergibt sich aus Artikel 166 Absatz 2 BV. Nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d BV unterliegen dem fakultativen Staatsvertragsreferendum völkerrechtliche Verträge, die unbefristet und unkündbar sind, den Beitritt zu einer internationalen Organisation vorsehen sowie solche, die wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthalten oder deren Umsetzung den Erlass von Bundesgesetzen erfordert.

Die Abkommen können unter Einhaltung einer Vorankündigungsfrist von sechs Monaten jederzeit gekündigt werden. Es liegt kein Beitritt zu einer internationalen Organisation vor. Für die Umsetzung der Abkommen sind lediglich Verordnungsänderungen nötig (Änderung der Zollansätze), Anpassungen auf Gesetzesstufe sind nicht erforderlich.

Die vorliegenden Abkommen enthalten verschiedene rechtsetzende Bestimmungen (Zollkonzessionen, Gleichbehandlungsgebote usw.). Zur Frage, ob es sich dabei um wichtige rechtsetzende Bestimmungen im Sinne von Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d BV handelt (vgl. auch Art. 22 Abs. 4 des Parlamentgesetzes, SR 171.10), ist festzuhalten, dass die Abkommensbestimmungen einerseits im Rahmen der Verordnungskompetenzen, welche das Zolltarifgesetz (SR 632.10) dem Bundesrat in Bezug auf Zollkonzessionen einräumt, umgesetzt werden können. Anderseits sind sie nicht als grundlegend einzustufen. Sie ersetzen kein innerstaatliches Recht und treffen keine Grundsatzentscheide für die nationale Gesetzgebung. Die Ziele der Abkommen bewegen sich im Rahmen anderer von der Schweiz abgeschlossener internationaler Abkommen. Inhaltlich sind sie vergleichbar ausgestaltet wie andere in den letzten Jahren im EFTA-Rahmen abgeschlossene Drittlandabkommen und sind von ähnlichem politischem, rechtlichem und wirtschaftlichem Gewicht wie diese. Die in einzelnen Bereichen festzustellenden Unterschiede im Vergleich zum Inhalt von früher abgeschlossenen Abkommen haben keine wichtigen zusätzlichen Verpflichtungen für die Schweiz zur Folge.

Anlässlich der Beratung der Motion 04.3203 der Staatspolitischen Kommission des Nationalrats vom 22. April 2004 haben beide Räte die Haltung des Bundesrats unterstützt, dass internationale Abkommen, die diesen Kriterien entsprechen, nicht dem fakultativen Staatvertragsreferendum nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d BV unterliegen.

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www.bbl.admin.ch/bundespublikationen http://secretariat.efta.int/Web/ExternalRelations/PartnerCountries/Tunisia http://www.ezv.admin.ch

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