Rentenwachstum in der Invalidenversicherung: Überblick über die Faktoren des Rentenwachstums und die Rolle des Bundes Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Ständerates vom 19. August 2005

2005-2332

2245

Inhaltsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis

2247

1 Hintergrund und Gegenstand der Untersuchung

2248

2 Die Rolle des Bundes und insbesondere des BSV in der Aufsicht und Gesetzgebung zur IV 2.1 Ungenügende Wahrnehmung der Aufsichtskompetenzen 2.2 Mangelhafter Datenzugang 2.3 Abgrenzungsprobleme zur kantonalen Aufsicht 2.4 Wenig effiziente finanzielle Aufsicht 2.5 Fehlende Problemlösungsinitiative von Bundesrat und BSV bei der Weiterentwicklung der Gesetzgebung 2.6 Ungenügende Nutzung der Ressourcen bei der Weiterentwicklung der IV 2.7 Lücken bei den Entscheidungsgrundlagen im Bereich rententreibender Faktoren

2249 2249 2251 2252 2252 2253 2254 2256

3 Spannungsfelder zwischen IV und AHV

2257

4 Die IV-Situation beim Bund als Arbeitgeber 4.1 Intransparenz und ungenügende Datenqualität beim Bund 4.2 Zusätzliche Massnahmen zur langfristigen Senkung des IV-Rentenbestands beim Bundespersonal

2258 2258

5 Untersuchung der Auswirkungen der Zunahme der IV-Renten auf die berufliche Vorsorge

2260 2261

6 Weitere Schlussfolgerungen in Bezug auf die 5. IVG-Revision 6.1 Einleitende Bemerkungen 6.2 Ungenügender Stellenwert der Aufsicht 6.3 Problematische Aufteilung der Aufsichtskompetenzen des Bundes 6.4 Zusätzliche Massnahmen im Zusammenhang der Eingliederung erwerbsbehinderter Personen 6.5 Allfällige gesetzliche Regelung weiterer in diesem Bericht enthaltener Fragen

2262 2262 2262 2263

7 Weiteres Vorgehen

2266

Faktoren des Rentenwachstums in der Invalidenversicherung Bericht der Parlamentarischen Verwaltungskontrolle zuhanden der Geschäftsprüfungskommission des Ständerates vom 6. Juni 2005

2267

Evaluation der Rolle des BSV in der Invalidenversicherung Bericht von Interface Institut für Politikstudien zuhanden der Parlamentarischen Verwaltungskontrolle (PVK) vom 1. Juni 2005

2321

Untersuchung zur IV-Situation beim Bund Bericht des Bundesrates zu Fragen der GPK-S vom 27. August 2004 zur IV-Situation beim Bund vom 17. August 2005

2381

2246

2265 2265

Abkürzungsverzeichnis Abs.

AHV AHVG AHV/IVKommission Anh.

Art.

BBl BFS BSV BVG bzw.

EDI eidg.

etc.

GPK-S IV IVG IVV Kap.

OV-EDI ParlG PVK S.

s.

Sept.

SGK SR UVEK vgl.

ZAS

Absatz Alters- und Hinterlassenenversicherung Bundesgesetz vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung Eidgenössische Kommission für die Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung Anhang Artikel Bundesblatt Bundesamt für Statistik Bundesamt für Sozialversicherung Bundesgesetz vom 25. Juni 1982 über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge beziehungsweise Eidgenössisches Departement des Innern eidgenössisch etcetera Geschäftsprüfungskommission des Ständerats Invalidenversicherung Bundesgesetz vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung Verordnung vom 17. Januar 1961 über die Invalidenversicherung Kapitel Organisationsverordnung vom 28. Juni 2000 für das Eidgenössische Departement des Innern Bundesgesetz vom 13. Dezember 2002 über die Bundesversammlung Parlamentarische Verwaltungskontrolle Seite siehe September Kommission(en) für soziale Sicherheit und Gesundheit Systematische Sammlung des Bundesrechts Eidgenössisches Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation vergleiche Zentrale Ausgleichsstelle

2247

Bericht 1

Hintergrund und Gegenstand der Untersuchung

Die Invalidenversicherung (IV) verzeichnet seit den Neunzigerjahren ein starkes Rentenwachstum. Die Wahrscheinlichkeit, eine Rente zu beziehen, ist zwischen 1992 und 2004 von 3,2 auf 5,2 Prozent der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter gestiegen. Im Januar 2004 richtete die IV 478 000 Invalidenrenten (wovon 195 000 Zusatzrenten) im Wert von fast 460 Millionen Franken aus. Infolge dieser Entwicklung ist die IV in eine beunruhigende finanzielle Schieflage geraten. Ende 2004 betrug die Verschuldung der IV über 6 Milliarden Franken. Mit einem Ausgabenüberschuss von je rund 1,5 Milliarden Franken in den Jahren 2003/2004 hat sich der IV-Finanzhaushalt pro Tag neu mit 4,1 Millionen Franken verschuldet. Bis Ende 2007 wird die Schuld voraussichtlich auf über 11 Milliarden Franken anwachsen.

Der finanzielle Schaden der IV (erste Säule) belastet auch die berufliche Vorsorge (zweite Säule). Neben dieser finanziellen Schadenbelastung der Sozialwerke widerspricht das Rentenwachstum dem gesetzlich verankerten Grundsatz «Eingliederung vor Rente»1 und ist auch sozialpolitisch problematisch. Eine Berentung führt oft in soziale Isolation, in eine wirtschaftlich schwierige Lage und in eine Verstetigung von Gesundheitsschäden.

Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung beschloss die Geschäftsprüfungskommission des Ständerats (GPK-S) im Jahre 2004 eine Untersuchung zu ausgewählten Aspekten der IV. In einem ersten Schritt verschaffte sich die Kommission einen Überblick über die einzelnen Faktoren des Rentenwachstums. Zu diesem Zweck erstellte die Parlamentarische Verwaltungskontrolle (PVK) eine entsprechende Analyse2. Darin fasst sie die Vielzahl der Hypothesen zu den Ursachen des Rentenwachstums in der IV und deren Bewertung zusammen. Darüber hinaus zeigt die PVK auf, welche Massnahmen zur Eindämmung des Rentenwachstums im Rahmen der 4. IVG-Revision bereits beschlossen wurden und welche weiter gehenden Massnahmen der Bundesrat im Rahmen der Vorbereitung der 5. IVG-Revision vorschlägt.

Gestützt auf diese Auslegeordnung zu den wichtigsten Faktoren des Rentenwachstums und vor dem Hintergrund ihrer Aufgabe der parlamentarischen Oberaufsicht beschloss die GPK-S, die Rolle des Bundesamts für Sozialversicherung (BSV) in der IV vertieft zu evaluieren. Für diese Abklärungen führte das Institut für Politikstudien «Interface» eine
Evaluation3 durch. Die Experten untersuchten zum Einen, wie das BSV seit 1995 die Aufgaben im Bereich der Aufsicht über die kantonalen IV-Stellen ausgeübt hat und wie die Wirkungen dieser Aufsicht zu beurteilen sind.

Zudem gingen sie der Frage nach, wie das BSV seine Aufgabe wahrnimmt, die Gesetzgebung im Bereich der IV, insbesondere im Rahmen der 4. und 5. Revision des IVG, weiterzuentwickeln.

1 2 3

Art. 1a des Bundesgesetzes vom 19.6.1959 über die Invalidenversicherung (IVG, SR 831.20).

Vgl. Anh. 1: Faktoren des Rentenwachstums in der Invalidenversicherung, Bericht der Parlamentarischen Verwaltungskontrolle vom 6.6.2005.

Vgl. Anh. 2: Evaluation der Rolle des BSV in der Invalidenversicherung, Bericht Interface vom 1.6.2005.

2248

Neben der Übersicht über die rententreibenden Faktoren und der Rolle des BSV in der IV interessierte sich die GPK-S für die IV-Situation innerhalb der Bundesverwaltung. Ein entsprechender Bericht des Bundesrats4 gibt diesbezüglich einige Hinweise.

Die erwähnten drei Berichte sind das Resultat von Aufträgen der GPK-S und bilden Grundlage des vorliegenden Kommissionsberichts. Da diese Grundlagen im Anhang ebenfalls veröffentlicht werden, kann an dieser Stelle darauf verzichtet werden, die Ergebnisse im Einzelnen darzustellen. Die Ausführungen in den folgenden Kapiteln beschränken sich auf die politischen Schlussfolgerungen, die aus der Untersuchung der GPK-S gezogen werden können.

2

Die Rolle des Bundes und insbesondere des BSV in der Aufsicht und Gesetzgebung zur IV

2.1

Ungenügende Wahrnehmung der Aufsichtskompetenzen

Mit der fachlichen sowie administrativen und finanziellen Aufsicht5 hat der Gesetzgeber dem Bund eine umfassende Aufsichtskompetenz zugewiesen. Die bundesrechtlichen Aufsichtskompetenzen gehen über eine blosse Kontrolle des Vollzugs durch die Kantone hinaus. Die Bundesaufsicht muss eine gesetzeskonforme und einheitliche Anwendung der Gesetzgebung gewährleisten und beinhaltet auch die Möglichkeit des Einsatzes repressiver Mittel. Die kantonalen IV-Stellen stehen folglich unter strengerer Aufsicht des Bundes als die anderen Sozialversicherungszweige. Letztlich ist der Bund für eine gesetzeskonforme Durchführung der IV verantwortlich6.

Die Untersuchung hat gezeigt, dass das BSV seine fachliche Aufsichtsfunktion bis ins Jahr 2000 ungenügend wahrgenommen hat. Es führte lediglich alle fünf Jahre eine materielle Geschäftsprüfung durch. Auch über die präventiven Aufsichtsinstrumente fand die Sicherstellung des einheitlichen gesetzeskonformen Vollzugs nur beschränkt statt. Die Weisungen entsprachen in dieser Phase nicht mehr dem aktuellen Stand der Rechtsprechung. Neben der mangelhaften Aufgabenerfüllung des BSV stellt die GPK-S fest, dass die damalige politische Führung und Aufsicht des Bundesrats über das BSV unzureichend war.

Erst Ende der Neunzigerjahre hat das BSV mit der Verbesserung der bestehenden und der Entwicklung neuer Aufsichtsinstrumente begonnen. Es hat die Frequenz der materiellen Geschäftsprüfung erhöht und ein Schulungsangebot für das IV-StellenPersonal aufgebaut.

4 5

6

Vgl. Anh. 3: Untersuchung zur IV-Situation beim Bund, Bericht des Bundesrates vom 17.8.2005 zu Fragen der GPK-S vom 27.8.2004 zur IV-Situation beim Bund.

Die fachliche Aufsicht erfolgt mittels allgemeinen Weisungen und Weisungen in Einzelfällen sowie mittels Prüfungen der Geschäftsführung. Unter die administrative und finanzielle Aufsicht fällt die Prüfung und Genehmigung der Stellenpläne sowie der jährlichen Voranschläge und Jahresrechnungen der IV-Stellen (vgl. Art. 92 und 92bis der Verordnung vom 17.1.1961 über die Invalidenversicherung; IVV; SR 831.201).

Vgl. Botschaft über die 5. Revision des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung vom 22.6.2005 (im Folgenden: Botschaft zur 5. IVG-Revision), BBl 2005 4570.

2249

Aufgrund ihrer Abklärungen stellt die GPK-S fest, dass sich die Aufsichtssituation in der IV zwar verbessert hat, hingegen noch weit von einer professionell geführten und modernen Aufsicht entfernt ist. So fehlt beispielsweise eine umfassende fachliche Aufsichtsstrategie des BSV. Die Instrumente wurden isoliert entwickelt und es bestehen kaum Verknüpfungen. Eine ergebnis- und wirkungsorientierte Führung durch das BSV ist noch nicht ersichtlich. Bis heute werden die Aufsichtsergebnisse nicht als Gesamtbild zur fachlichen Beurteilung der kantonalen IV-Stellen zusammengefügt. Entsprechend gering sind deshalb die Wirkungen der Aufsichtstätigkeit des BSV. Obschon die neuen Aufsichtsinstrumente umfangreiche Daten liefern, fehlen teilweise Zielvorgaben des BSV sowie eine Synthetisierung und Kommentierung der Aufsichtsdaten. Mit der heutigen Aufsicht lässt sich nicht bestimmen, welche IV-Stellen bei der Anwendung des IVG die geeignetsten Strategien verfolgen. In diesem Zusammenhang ist zu begrüssen, dass der Bundesrat im Rahmen der 5. IVG-Revision die Voraussetzungen schaffen will, um die IV-Stellen künftig über Wirkungsziele zu steuern und zu finanzieren. Erste Projekte wurden im BSV nun in die Wege geleitet. Die GPK-S ist allerdings der Auffassung, dass der Bundesrat und das BSV ihre Spielräume in der Aufsicht nicht genutzt haben. Die Steuerung mit modernen Instrumenten wäre schon in einem viel früheren Zeitpunkt möglich gewesen.

Was die Vollzugsunterstützung der IV-Stellen durch das BSV betrifft, drängen sich ebenfalls noch Verbesserungen auf. Obschon die Weisungen heute auf einem aktualisierten Stand sind, ist die unproportionale Regeldichte zu bemängeln. In Leistungsbereichen mit grossem Ermessensspielraum und auch grosser finanzieller Tragweite (insbesondere bei Rentenleistungen) sind vergleichbar wenige Weisungen vorhanden, während in anderen Bereichen mit geringeren finanziellen Folgen (z.B.

Hilfsmittel) die Regeldichte sehr gross ist. Eine weitergehende Weisungspraxis im Rentenbereich ist angezeigt, zumal bereits eine Studie im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms 45 ergeben hat, dass bis zu einem Drittel der interkantonalen Unterschiede bei den IV-Rentenquoten auf einen unterschiedlichen Gesetzesvollzug zurückzuführen ist und nicht mit strukturellen, wirtschaftlichen, demografischen,
sozialen oder politischen Faktoren erklärt werden kann7. Für die GPK-S ist die Quantität an Weisungen allein noch kein Indiz für die Gewährleistung eines einheitlichen Vollzugs. Die Untersuchung hat jedoch ergeben, dass in den Bereichen Renten und Wiedereingliederung Referenzstrategien seitens des BSV zuhanden der kantonalen IV-Stellen fehlen8.

Die unzureichende Aufsicht hat sich auch erheblich auf die Qualität der Arbeit der IV-Stellen ausgewirkt. Bei entsprechenden Geschäftsprüfungen liess sich aufgrund von Stichproben feststellen, dass bei einer nicht unbedeutenden Zahl geprüfter Dossiers verschiedene Unzulänglichkeiten bei den Leistungsentscheiden auftraten9.

Obschon solche Schwachstellen hinsichtlich der Bundesaufsicht über die IV bereits im Vorfeld der 4. IVG-Revision aufgelistet wurden, sind heute noch zentrale Aufsichtsfragen nicht geregelt.

7 8 9

Vgl. Botschaft zur 5. IVG-Revision, BBl 2005 4494 f.

Vgl. Anh. 1, Ziff. 5.3.

Vgl. Entwurf und erläuternder Bericht für die Vernehmlassung zur 5. IV-Revision (im Folgenden: Vernehmlassungsentwurf), Bern, Sept. 2004, S. 63; s. auch Anh. 1, Ziff. 6.2.

2250

Die GPK-S rügt, dass das Ziel des einheitlichen Versicherungsvollzugs gemäss Artikel 64 Absatz 2 IVG trotz weit reichenden Aufsichtskompetenzen bisher nicht erreicht und auch nicht mit der gebotenen Ernsthaftigkeit verfolgt wurde. Die GPK-S bezweifelt, dass sich das Ziel nur durch den in der 5. IVG-Revision geplanten Ausbau der administrativen Aufsicht des Bundes über die IV-Stellen realisieren lässt. Hinzu kommen muss eine verstärkte und professionell geführte fachliche Aufsicht. Die materielle Geschäftsprüfung stellt ein zentrales Aufsichtsinstrument dar. Nur mit einer entsprechenden Verknüpfung der fachlichen und administrativen Aufsicht kann die Qualität der Arbeit der IV-Stellen gemessen werden. Die GPK-S erachtet eine wirksame und greifende Bundesaufsicht im Bereich der IV als zentral.

Die Folge einer unzureichenden Aufsicht des Bundes ist eine uneinheitliche Praxis bei der Leistungszusprache der Kantone mit beträchtlichen Kostenfolgen für die Versicherung. Auch wenn das BSV im Fokus der Untersuchung der GPK-S stand, so trägt der Bundesrat für die bisher unzureichende Entwicklung und Ausübung der Aufsicht die politische Verantwortung.

Motion 1

Festlegung einer Gesamtstrategie für eine verstärkte Aufsicht des Bundes über den IV-Vollzug

Der Bundesrat wird beauftragt, eine Gesamtstrategie zur fachlichen und administrativen Aufsicht über den Vollzug der IV zu formulieren und diese mit modernen Aufsichts-, Steuerungs- und Führungsinstrumenten umzusetzen. Die Strategie soll die zentralen Prozesse und Leistungen der IV definieren und Zielvorgaben festlegen. Der Bundesrat muss sicherstellen, dass die Zielvorgaben in einer Gesamtsicht überprüft und Wirkungen und Mängel des IV-Vollzugs abgebildet werden. Die einzelnen Instrumente der fachlichen und administrativen Aufsicht müssen miteinander verknüpft und auf die Gesamtstrategie ausgerichtet werden. Der Bundesrat gewährleistet mittels der dem Bund zustehenden umfassenden Aufsicht einen gesetzeskonformen, einheitlichen und qualitativ einwandfreien Vollzug der IV.

2.2

Mangelhafter Datenzugang

Die Datensituation im IV-Vollzug hat sich als Folge der verstärkten Aufsichtstätigkeit seit 2000 verbessert. Der Datenzugang ist für das BSV jedoch nach wie vor nicht optimal. Die Zentrale Ausgleichsstelle (ZAS) führt ein Versichertenregister und ein Register der laufenden Leistungen. Auf diese Daten kann das BSV zugreifen. Die ZAS erfasst jedoch vor allem monetäre Leistungen der IV. Nicht-monetäre Leistungen wie Berufsberatung oder aktive Arbeitsvermittlung sowie Daten zu den Entscheidprozessen (Anzahl Neuanmeldungen, Anzahl Ablehnungen, Dauer des Entscheidverfahrens usw.) werden der ZAS von den IV-Stellen zwar elektronisch gemeldet. Sie werden jedoch nicht in einem gemeinsamen Datensatz zusammengefasst, welcher dem BSV systematisch für seine Aufsichtstätigkeit zur Verfügung stehen würde. Ein einheitliches und effizientes Datensystem ist von zentraler Bedeutung, um die Leistungen der IV-Stellen bei der Wiedereingliederung oder im Bereich des einheitlichen Vollzugs der IV zu dokumentieren.

2251

Empfehlung 1

Verbesserung des Datenzugangs

Die Geschäftsprüfungskommission des Ständerats fordert den Bundesrat auf, ein einheitliches Datenbanksystem aufzubauen, in dem die für die fachliche und administrative Aufsicht des BSV benötigten Daten zu Leistungen und Prozessen des Vollzugs der IV erfasst werden. Das BSV soll direkten Zugriff auf dieses System erhalten.

2.3

Abgrenzungsprobleme zur kantonalen Aufsicht

Die Aufsichtskompetenzen von Bund und Kantonen über den Vollzug des IVG greifen ineinander. In der Praxis zeigen sich diesbezüglich Abgrenzungsschwierigkeiten beziehungsweise Unklarheiten, welche teilweise zu einem Aufsichtsvakuum führen.

Das BSV ist auf die Kooperation mit den kantonalen Aufsichtsbehörden angewiesen. Damit die kantonalen Aufsichtsbehörden ihre Aufgaben gegenüber der IV-Stellenleitung wahrnehmen können, benötigen sie ihrerseits qualifizierte und umfassende Erkenntnisse der fachlichen Aufsicht des BSV. In der Praxis liegt den kantonalen Aufsichtsbehörden nur ein Teil der Aufsichtsprodukte des BSV zur Kenntnisnahme vor. Aus juristischen Gründen stehen Daten des BSV den kantonalen Aufsichtsbehörden teilweise nicht zur Verfügung.

Diese Problemhinweise zeigen, dass die Schnittstellen in der Aufsicht über den IV-Vollzug nicht in allen Teilen ausreichend geregelt sind. Der Bundesrat schlägt in der 5. IVG-Revision eine Stärkung und Konkretisierung der administrativen Aufsicht des BSV vor (vgl. Art. 64a [neu] Abs. 2 und Art. 64b [neu] Abs. 2). Ausserdem soll die bisher von den Kantonen geregelte Organisation der IV-Stellen nun Bundessache werden10. Die GPK-S ist der Auffassung, dass im Rahmen dieser Verstärkung der Bundeskompetenzen auch die Schnittstellen zur kantonalen Aufsicht zu klären sind.

Empfehlung 2

Klärung der Schnittstellen zur kantonalen Aufsicht

Die Geschäftsprüfungskommission des Ständerats fordert den Bundesrat auf, die Aufsichtskompetenzen des Bundes zu konkretisieren und die Schnittstellen zur kantonalen Aufsicht zu klären.

2.4

Wenig effiziente finanzielle Aufsicht

Die finanzielle Aufsicht nimmt das BSV wahr, indem es jährlich den Voranschlag der IV-Stellen für die Verwaltungskosten und die Jahresrechnung genehmigt. Dies erfolgt auf der Basis einer detaillierten Kostenaufstellung. Diese Praxis der differen-

10

Vgl. Botschaft zur 5. IVG-Revision, BBl 2005 4544.

2252

zierten Budgetierung der Durchführungskosten ist wenig effizient und entspricht kaum einer modernen Verwaltungsführung.

Empfehlung 3

Einführung eines Globalbudgets für die Verwaltungskosten der IV-Stellen

Die Geschäftsprüfungskommission des Ständerats fordert den Bundesrat auf, ein Globalbudget für die Durchführungskosten der IV-Stellen einzuführen.

2.5

Fehlende Problemlösungsinitiative von Bundesrat und BSV bei der Weiterentwicklung der Gesetzgebung

Das BSV verfolgte keine aktive Strategie bei der Weiterentwicklung der IV-Gesetzgebung. Es sieht seine Rolle im Aufgreifen und Konkretisieren der Anliegen, welche vom Parlament, vom Departement oder von anderen wichtigen Akteurgruppen vorgebracht werden. Ein Agenda-Setting aufgrund seiner spezifischen Sachkompetenz in der IV-Thematik sieht das BSV nicht als eine vordringliche Aufgabe.

Die finanzielle Situation der IV hat sich bereits seit 1993 dramatisch verschlechtert.

Die Problematik des Rentenwachstums ist aber erst spät aufgenommen worden.

Relevante Probleme des Rentenwachstums, insbesondere im Bereich der beruflichen Eingliederung, wurden kaum wahrgenommen, obschon seitens wichtiger externer Akteure früh auf diesbezügliche Schwachstellen hingewiesen worden war. Erst in der 5. IVG-Revision hat auch das BSV das Thema Rentenwachstum explizit ins Zentrum gerückt. Bis zu diesem Zeitpunkt hat auch der Bundesrat das Thema nicht aktiv bearbeitet. Die GPK-S erwartet, dass der Bewusstseinswandel sowohl auf Stufe BSV als auch auf Ebene des Bundesrats definitiv vollzogen und nachhaltig ist.

Einer proaktiven Wahrnehmung der Aufgaben der Gesetzgebungsentwicklung steht teilweise heute noch entgegen, dass auf organisatorischer Stufe im BSV eine funktionale Differenzierung zwischen gesetzgeberischen Aufgaben sowie Vollzugs- und Aufsichtsaufgaben fehlt. Die Anhäufung von Zuständigkeiten beim BSV in Vollzugs-, Aufsichts- und Gesetzgebungsbelangen sieht auch der Bundesrat als eine Schwäche der heutigen Organisation der IV an. Diese Kumulation birgt in sich die «Gefahr, dass die Interessen des Amtes prioritär und das allgemeine Interesse in Sachen Rechtsetzung zweitrangig verfolgt werden»11. Knappe Ressourcen haben diese einseitige Schwerpunktsetzung noch akzentuiert. Die GPK-S fordert den Bundesrat auf, die gesetzgebungsbezogenen Aufgaben des BSV von der Aufsicht organisatorisch zu entkoppeln. Entsprechende Reorganisationen sind oder werden zurzeit in anderen Bundesämtern (Bundesamt für Zivilluftfahrt, Bundesamt für Verkehr) realisiert.

Wie bereits in Ziffer 2.1 zur Aufsicht ausgeführt, betont die GPK-S auch an dieser Stelle neben der Rolle des BSV die politische Verantwortung des Bundesrats, wichtige Themen der IV frühzeitig zu erkennen und proaktiv Lösungsvorschläge zu erarbeiten.

11

Vgl. Vernehmlassungsentwurf, S. 61, 64.

2253

Empfehlung 4

Aktive Wahrnehmung der Aufgabe der Gesetzgebungsentwicklung

Die Geschäftsprüfungskommission des Ständerats fordert den Bundesrat auf, die Entwicklungen im Bereich der IV aktiv zu begleiten und Massnahmen rechtzeitig vorzuschlagen. Auch das BSV soll seine Aufgabe im Bereich der Weiterentwicklung der Gesetzgebung proaktiv wahrnehmen. Zu dieser Aufgabe gehört insbesondere die Früherkennung von Problemen, die Szenarienentwicklung und die Formulierung von Handlungsstrategien zuhanden des Bundesrats. Die gesetzgebungsbezogenen Aufgaben des BSV sind von der Aufsicht organisatorisch zu entkoppeln.

2.6

Ungenügende Nutzung der Ressourcen bei der Weiterentwicklung der IV

Das BSV hat bei der Weiterentwicklung der IV-Gesetzgebung verschiedene Ressourcen zu wenig genutzt. Externe Akteure (IV-Stellen, Vertretungen von Behindertenorganisationen, Sozialpartner) wurden bisher nicht systematisch in diesen Prozess einbezogen. Als gravierenden Mangel sieht die GPK-S an, dass die Zusammenarbeit mit den IV-Stellen bei der Entwicklung der IV-Gesetzgebung bis vor kurzem nicht funktionierte. Relevantes Fach- und Erfahrungswissen der Vollzugsverantwortlichen wurde dadurch bei der Bearbeitung der Vorlagen nicht berücksichtigt.

Empfehlung 5

Systematische und kontinuierliche Zusammenarbeit mit externen Akteuren

Die Geschäftsprüfungskommission des Ständerats fordert den Bundesrat auf, dafür zu sorgen, dass das BSV bei der Weiterentwicklung der Gesetzgebung kontinuierlich und systematisch mit externen Akteuren, namentlich den IV-Stellen, den Vertretungen von Behindertenorganisationen und den Sozialpartnern, zusammenarbeitet. Er gewährleistet damit, dass das Fach- und Erfahrungswissen der relevanten Akteure möglichst frühzeitig aufgenommen werden kann.

Ebenfalls nicht systematisch hat das BSV bisher die intern vorhandenen Forschungsressourcen für die IV genutzt. Das BSV verpasste es, frühzeitig relevante Themenfelder zu bestimmen und für die notwendigen wissenschaftlichen Grundlagen zu sorgen. Das Nationale Forschungsprogramm 45 war ebenfalls ungenügend auf die strategischen Fragen der IV abgestimmt. Aus diesen Gründen stehen heute wenige vertiefte Problem- und Wirkungsanalysen über die IV zur Verfügung. Gemäss BSV sind erste Schritte zur Verbesserung der internen Zusammenarbeit eingeleitet und es werden Themen für ein Forschungsprogramm erarbeitet. Die GPK-S stellt aber fest, dass bis heute kein bereinigtes Forschungskonzept IV existiert. Dies erstaunt sehr, zumal die 4. IVG-Revision doch schon eine Weile in Kraft ist und mit ihr der entsprechende Forschungsauftrag des Bundes gemäss Artikel 68 IVG (vgl. hiezu auch Ziff. 2.7).

2254

Empfehlung 6

Nutzung der Forschungsressourcen für die Strategieentwicklung

Die Geschäftsprüfungskommission des Ständerats fordert den Bundesrat auf, die internen Forschungsressourcen des BSV systematisch zu nutzen, um wissenschaftliche Grundlagen zur Weiterentwicklung der IV zu beschaffen und zu analysieren. Das BSV erarbeitet ein längerfristig angelegtes Forschungskonzept.

Künftige nationale Forschungsprogramme sind ebenfalls auf die strategischen Fragen der IV auszurichten.

Die Untersuchung der GPK-S hat im Weiteren ergeben, dass die ausserparlamentarische Kommission für die Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (AHV/IV-Kommission) ihre Rolle bisher nicht im Sinne eines Strategieorgans wahrgenommen hat. Der Kommission obliegt in erster Linie die Aufgabe der Begutachtung von Fragen über die Durchführung und Weiterentwicklung der AHV und der IV zuhanden des Bundesrats (Art. 73 Abs. 2 AHVG12). Gemäss Artikel 73 AHVG und Artikel 65 IVG müssen darin die Versicherten, die schweizerischen Wirtschaftsverbände, die Versicherungseinrichtungen, Vertreter der Behinderten und der Invalidenhilfe, der Bund und die Kantone angemessen vertreten sein. Die gesetzliche Grundlage gemäss Artikel 73 Absatz 2 AHVG würde ihr grundsätzlich eine aktivere Rolle ermöglichen. Eine Neuorganisation der Kommission in eine AHV- und eine IV-Kommission würde der unterschiedlichen Aufgabenstellung der beiden Sozialversicherungen Rechnung tragen. Die Tätigkeit der Kommissionen könnte dadurch fokussierter und auch im strategischen Bereich gewichtiger werden.

Empfehlung 7

AHV/IV-Kommission als Strategieorgan nutzen

Die Geschäftsprüfungskommission des Ständerats fordert den Bundesrat auf, eine Neustrukturierung der AHV/IV-Kommission zu einer je eigenen AHV- und IV-Kommission zu prüfen. Der Bundesrat nutzt das für IV-Fragen zuständige Organ verstärkt für die strategische Weiterentwicklung der IV.

Fazit: Die GPK-S kommt zum Schluss, dass das BSV bisher seine Aufgaben im Bereich der Gesetzgebung wenig effektiv erfüllte. Die mangelhafte BSV-interne Zusammenarbeit im Bereich der Forschung sowie der unsystematische und späte Einbezug externer Akteure trugen dazu bei. Die fehlende Zusammenarbeit zwischen dem BSV und den IV-Stellen blockierte eine effiziente Weiterentwicklung der Gesetzgebung zusätzlich. Ebenfalls festgestellt wurde, dass das BSV auch die Dringlichkeit der Problematik des Rentenwachstums erst spät erkannt hat. Damit hat es nach Ansicht der GPK-S den Handlungsspielraum, den es in der Aufsicht und Entwicklung der Gesetzgebung besitzt, ungenügend wahrgenommen. Es hat nicht das ihm Mögliche unternommen, um Gegenstrategien zum Rentenwachstum in der IV zu entwickeln. Diesbezüglich ist das BSV damit seinem Auftrag gemäss Arti-

12

Bundesgesetz vom 20.12.1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG, SR 831.10).

2255

kel 11 der Organisationsverordnung für das Eidgenössische Departement des Innern (EDI)13 nicht nachgekommen.

2.7

Lücken bei den Entscheidungsgrundlagen im Bereich rententreibender Faktoren

Die Zahl der IV-Rentnerinnen und IV-Rentner wächst seit Jahren stetig an. Über diese Entwicklung und ihre möglichen Ursachen wird seit längerer Zeit auch in der Öffentlichkeit debattiert. Bis heute ist es aber nicht möglich, diese völlig schlüssig zu erklären. Auch die Untersuchung der GPK-S zeigt, dass viele Faktoren des Rentenwachstums noch wenig erforscht sind. Zur ungenügenden Nutzung der Forschungsressourcen wurden bereits in Ziffer 2.6 Schlussfolgerungen gezogen. Nach Ansicht der GPK-S fehlen selbst in der aktuellen 5. IVG-Revision Antworten zu wichtigen Phänomenen. Erwähnt seien u.a. folgende Faktoren: ­

Krankheit und insbesondere psychische Beschwerden als Invaliditätsursache Fast 80 Prozent der IV-Renten werden wegen Krankheit ausgerichtet. Die Zahl steigt stetig an. Insbesondere psychische Beschwerden und Beschwerden an den Knochen und Bewegungsorganen verzeichnen ein auch im internationalen Vergleich grosses Wachstum. Zu den möglichen Gründen gibt es besonders bei psychischen Erkrankungen wenig erhärtete Daten. Dies, obschon IV-Rentenfälle aus psychischen Gründen einen Drittel aller Renten ausmachen. Erschwerend kommt hinzu, dass diese Art der Invalidisierung schon in relativ jungem Alter erfolgt und psychische Störungen eine vergleichsweise geringe Heilungschance bzw. Chance auf Wiedereingliederung aufweisen. Die wissenschaftlichen Auswertungen gemäss Artikel 68 IVG müssen sich verstärkt auf diese Ursache ausrichten und dabei auch die Situation in der Schweiz mit dem Ausland vergleichen.

­

Zunehmende Arbeitslosigkeit Verschiedene Expertisen aus dem In- und Ausland vermuten einen Zusammenhang zwischen dem Arbeitslosenniveau und der IV-Rentenquote. Es besteht die Vermutung, dass Arbeitgeber die IV als beschäftigungspolitisches Instrument missbrauchen. Auf dem so genannten blauen Weg schieben sie weniger leistungsfähige Mitarbeitende in die IV ab und umgehen damit die üblichen, mit Beschäftigungsabbau bzw. Frühpensionierungen verbundenen Auflagen. Der Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit bzw. betrieblichen Restrukturierungen und allfälligen Invalidisierungen in Schweizer Betrieben muss im Rahmen von Artikel 68 IVG näher untersucht werden.

­

Migration Es bestehen Hinweise, dass Migrantinnen und Migranten ein erhöhtes Invalidisierungsrisiko aufweisen. Das BSV verfügt aber nicht über umfassende Daten zu den Hintergründen dieses Phänomens.

13

Organisationsverordnung vom 28.6.2000 für das Eidgenössische Departement des Innern (OV-EDI; SR 172.212.1).

2256

­

Missbrauchsrisiko In der Fachliteratur wird das Risiko eines Missbrauchs von Versicherungsleistungen im Allgemeinen als eher gering veranschlagt. Es wird davon ausgegangen, dass das Missbrauchspotenzial bei den psychischen Gebrechen, also der häufigsten Invaliditätsursache, grösser ist als bei anderen Gebrechen, weil die Diagnose weniger objektiv überprüfbar ist. In der politischen Diskussion wird dem Missbrauchsrisiko teilweise ungleich grösseres Gewicht beigemessen. Auch hier fehlen entsprechende Daten bzw. wissenschaftliche Grundlagen.

­

Dauerhafte Renten Die IV-Stellen müssen ihre Rentenverfügungen in der Regel alle drei, spätestens aber nach fünf Jahren revidieren. Diese Revisionen führen indessen nur in den seltensten Fällen zur Reduktion der Renten. Diese Tatsache steht im Widerspruch zur Feststellung, dass sich der Gesundheitszustand der Betroffenen wieder verbessern kann. Das Phänomen bedarf einer soliden Erklärung.

Empfehlung 8

Vertiefte Analyse bestimmter Rentenursachen

Die Geschäftsprüfungskommission des Ständerats fordert den Bundesrat auf, im Rahmen der Forschungskompetenz gemäss Artikel 68 IVG oder der Aufsicht über die Durchführung der IV bestimmte, noch wenig erforschte Rentenursachen, genauer zu analysieren. Es müssen Vorkehrungen getroffen werden, um in Zukunft nicht mehr nur auf Annahmen und Mutmassungen abstellen zu müssen.

Gestützt auf entsprechende wissenschaftliche Erkenntnisse trifft der Bundesrat zusätzliche Massnahmen (Implementierung von im Ausland bewährten Interventionsmodellen, zusätzliche Weisungen zuhanden der Vollzugsakteure etc.).

3

Spannungsfelder zwischen IV und AHV

Mit der 3. IVG-Revision hat sich der Bund für das Modell des dezentralen Vollzugs der IV durch unabhängige kantonale IV-Stellen entschieden14. Gleichzeitig war es die Absicht der eidgenössischen Räte, eine organisatorische Entflechtung der IV von der AHV zu erreichen und die IV eigenständiger zu strukturieren.

Einige Kantone haben bei der Errichtung der IV-Stellen Modelle entwickelt, welche die kantonale AHV-Ausgleichskasse und die IV-Stelle zu einer Organisation mit eigener Rechtspersönlichkeit zusammenfassen. Solche Modelle laufen den Anforderungen nach Entflechtung der IV von der AHV zuwider. Auch das Modell mit Personalunion von AHV und IV auf Führungsebene birgt gewisse Probleme im Zusammenhang mit der Ausübung der Aufsichtsfunktion durch den Bund, zumal die Vollzugsaufgaben der beiden Sozialversicherungen sehr verschieden sind. Diese Verflechtung kann im Bereich der Aufsicht zu Spannungsfeldern führen, indem auf dieselbe Organisation zwei verschiedene und unterschiedlich umfassende Arten der 14

Vgl. Art. 54 Abs. 1 IVG.

2257

Bundesaufsicht angewendet werden. Die GPK-S stellt fest, dass der Bundesrat dieser Problematik in der Botschaft zur 5. IVG-Revision nicht Rechnung trägt. Er geht davon aus, dass es auch künftig möglich sein soll, dass die IV-Stellen organisatorisch eng mit den kantonalen AHV-Ausgleichskassen verbunden sind15. Um den obigen Erwägungen Rechnung zu tragen, soll der Bundesrat die ihm gemäss 5. IVGRevision zustehende Organisationskompetenz nutzen, um die Absicht der eidgenössischen Räte nach Entflechtung der IV von der AHV umzusetzen.

Empfehlung 9

Rechtliche und strukturelle Unabhängigkeit der kantonalen IV-Stellen

Die Geschäftsprüfungskommission des Ständerats fordert den Bundesrat auf, der rechtlichen und strukturellen Unabhängigkeit der kantonalen IV-Stellen im Rahmen seiner Organisationskompetenz Rechnung zu tragen.

4

Die IV-Situation beim Bund als Arbeitgeber

4.1

Intransparenz und ungenügende Datenqualität beim Bund

Die GPK-S hat beschlossen, den Vollzug der IV auf nationaler Ebene mit jenem innerhalb der Bundesverwaltung zu vergleichen. Dies, weil sie der Auffassung ist, dass dem Bund als Arbeitgeber in diesem Bereich eine besondere Vorbildfunktion zukommt.

Ausserdem hat eine im Auftrag des BSV erstellte Studie16 hellhörig gemacht. Die immer noch unveröffentlichte Studie hat das Invaliditätsrisiko nach Wirtschaftsbranche und beruflicher Tätigkeit bei den neuen IV-Rentenfällen 2003 in sieben Kantonen untersucht. Ein interessantes Ergebnis ist, dass die öffentliche Verwaltung eine überdurchschnittlich hohe Invalidenquote aufweist. Nur im Hoch- und Tiefbau, wo 1 Prozent der Beschäftigten invalide erklärt werden, ist das Risiko höher als in der öffentlichen Verwaltung mit 0,83 Prozent. Im Durchschnitt aller Branchen liegt die Rentenquote bei 0,56 Prozent.

Bereits ein Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats (GPK-N) zur «Praxis des Bundes bei vorzeitigen Pensionierungen aus betriebsorganisatorischen und medizinischen Gründen» vom 18. November 1999 hat versucht, Licht in die Entwicklung beim Bundespersonal zu bringen. Es konnten aber nur ungenügende Daten zu dieser Problematik geliefert werden. Unmissverständlich aufzeigen liess sich allerdings die Tendenz, dass der Bund bei Restrukturierungen Personal zulasten der Pensionskasse abgebaut hat.

Weil es damals fast unmöglich war, sich einen Überblick über die Situation zu verschaffen, forderte die GPK-N den Bundesrat auf, Transparenz zu schaffen und verschiedene Fragen im Bereich der Invalidisierungen (Ursachen, Finanzierung, Invaliditätsbegriff, Wiedereingliederung etc.) vertieft zu prüfen.

15 16

Vgl. Botschaft zur 5. IVG-Revision, BBl 2005 4570.

Vgl. Botschaft zur 5. IVG-Revision, BBl 2005 4485.

2258

Vor diesem Hintergrund stellt die GPK-S heute aufgrund des Berichts des Bundesrats17 mit Befremden fest, dass sich die Situation hinsichtlich der Transparenz und Datenqualität in der Bundesverwaltung nicht verbessert hat, ganz zu schweigen vom langen Zeitraum, während der die Anfrage der GPK-S unbeantwortet blieb. Obschon die GPK-S bereits Ende August 2004 an den Bundesrat gelangt ist, war es diesem erst nach Ablauf eines Jahres möglich, einige Entwicklungen aufzuzeigen und auf die Fragen der GPK-S summarisch und mit gewichtigen Vorbehalten zu antworten.

Dabei musste die GPK-S mehrfach intervenieren, schliesslich infolge der Probleme bei der Datenerhebung und einer offenbar anderen Prioritätensetzung des federführenden Eidgenössischen Finanzdepartements aber dennoch wiederholt Fristverlängerungen gewähren. Der Bericht wurde selbst im Juni 2005 trotz mehreren Ankündigungen immer wieder hinausgeschoben. Erst als die GPK-S mit Vehemenz auf die unzumutbare Verzögerung ihrer Arbeiten und eine Behinderung der parlamentarischen Oberaufsicht hinwies, erhielt sie am 24. Juni 2005 einen Berichtsentwurf, der am 29. Juni 2005 vom Bundesrat verabschiedet werden sollte. Dieser wies den Entwurf zur Bereinigung von Differenzen hinsichtlich der Schlussfolgerungen an die Departemente zurück. Der definitive Bericht des Bundesrats zur IV-Situation beim Bund ist erst am 17. August 2005 verabschiedet worden.

So weit zu den formellen und verfahrensmässigen Schlussfolgerungen. Inhaltlich sieht sich die GPK-S aufgrund des Berichts des Bundesrats leider nicht in der Lage, klare Antworten auf ihre Fragen zu finden bzw. eindeutige Schlussfolgerungen zur IV-Situation beim Bund als Arbeitgeber im Vergleich zur gesamtschweizerischen Lage zu ziehen. Dies lassen die verfügbaren Daten nicht zu und aussagekräftige Interpretationen oder Vergleiche mit den gesamtschweizerischen Entwicklungen sind ­ wie es auch der Bericht des Bundesrats an mehreren Stellen einräumt ­ nicht möglich. Dass der Bundesrat in seinem Bericht trotz den zahlreichen Vorbehalten zur Datenlage und zur Interpretation der Zahlen zu Aussagen betreffend die Rentensituation in der Bundesverwaltung im Vergleich zum gesamtschweizerischen Durchschnitt kommt, ist nach Ansicht der GPK-S eher spekulativ als sachlich begründet.

Die hier angetroffenen Probleme der
Intransparenz können nach Ansicht der GPK-S nicht länger hingenommen werden. Für das Bundespersonal muss eine zu Artikel 68 IVG analoge Bestimmung geschaffen werden, die eine wissenschaftliche Datenerhebung über alle Leistungen der IV vorschreibt. Die Entwicklung im Bereich der Invalidisierungen innerhalb des Bundes ist vom Bundesrat, wie dies bereits die GPK-N im Jahre 1999 gefordert hat, eng zu begleiten. Aufgrund der heutigen Datenlage war dies dem Bundesrat nicht möglich.

Motion 2

Schaffung von Transparenz bezüglich der IV-Entwicklung beim Bund

Der Bundesrat wird beauftragt, die Entwicklung der IV-Situation beim Bundespersonal und die damit zusammenhängenden Fragen eng zu begleiten. Er führt eine wissenschaftliche Datenerhebung über den Vollzug des IVG durch den Arbeitgeber Bund ein und vergleicht diesen mit dem Gesetzesvollzug auf gesamtschweizerischer Ebene. Die Transparenz ist ein zentrales und unabdingbares Element für die Führung des Bundespersonals durch den Bundesrat.

17

Vgl. Anh. 3.

2259

4.2

Zusätzliche Massnahmen zur langfristigen Senkung des IV-Rentenbestands beim Bundespersonal

Die Schlussfolgerungen aus der Analyse des Bundesrats vom 17. August 2005 sind mehr als mager ausgefallen. Sie beschränken sich auf allgemeine Überlegungen zum Aufbau eines Gesundheitsmanagements, der Erwähnung eines Pilotprojekts zur Neuregelung der Einstellung von erwerbsbehinderten Personen und eine Personalpolitik, die die Mitarbeitenden effizienter in die Arbeitsabläufe integriert. Solche Vorschläge sind nach Ansicht der GPK-S im Sinne eines modernen Führungsinstrumentariums als eine Selbstverständlichkeit anzusehen.

Diese vom Bundesrat in Aussicht gestellten Massnahmen lassen eine Gesamtstrategie zur Beeinflussung und Steuerung der IV-Entwicklung im Bund völlig vermissen.

Die GPK-S kommt zum Schluss, dass der Bundesrat in diesem Bereich seine Führungsverantwortung nicht wahrnimmt und anscheinend nicht wahrnehmen will.

Bezüglich der Wiedereingliederung von erwerbesbehinderten Personen nimmt die Bundesverwaltung gemäss Bundesrat dank dem Eingliederungskredit für Behinderte eine Vorbildfunktion wahr. Im Jahre 2003 erhielten 215 erwerbsbehinderte Personen dank diesem Kredit einen auf ihre Bedürfnisse angepassten Arbeitsplatz.

Nach Ansicht der GPK-S sind damit die Wiedereingliederungsbemühungen des Bundes bei Weitem noch nicht belegt. In der Bundesverwaltung wird zurzeit noch keine Statistik über die erfolgreiche Wiedereingliederung von erwerbsbehinderten Personen geführt. Gemäss Hinweisen der Personal- und Sozialberatung des Bundes fehlen in der Bundesverwaltung zudem rund 550 bis 950 Arbeitsplätze, die für Erwerbsbehinderte ausgestaltet wären.

Der Bundesrat beurteilt die Invaliditätszahlen in der Bundesverwaltung insgesamt als nicht alarmierend. Selbst der Bundesrat kann aber nicht ausschliessen, dass als Folge der Entlastungsprogramme und der Aufgabenverzichtsplanung in naher Zukunft die Invaliditätsfälle steigen könnten. Solche Zusammenhänge sind bereits früher manifest geworden, als die GPK-N im erwähnten Bericht aus dem Jahre 1999 feststellte, dass ein Personalabbau zu Lasten der IV und der Pensionskasse stattfand.

Eine solche Entwicklung droht sich unter den heutigen Rahmenbedingungen tatsächlich fortzusetzen. Nicht zuletzt auch deshalb, weil angesichts der schwindenden Reserven der Pensionskassen immer weniger Frühpensionierungen bezahlt werden können. Die unter dem Spardruck stehende
öffentliche Verwaltung hat ihrerseits wenig Interesse daran, schwächere und ältere Mitarbeitende weiter zu beschäftigen.

Der Bundesrat scheint angesichts solcher Herausforderungen zu resignieren. Er nimmt eine kurzfristige Zunahme von Invaliditätsfällen in der Bundesverwaltung infolge von Restrukturierungen in Kauf. Für die GPK-S ist diese Resignation des Bundesrats nicht verständlich und auch nicht tolerierbar.

Gestützt auf diese Überlegungen kommt die GPK-S zum Schluss, dass der Bundesrat spezifische, über die 5. IVG-Revision hinausgehende Massnahmen treffen muss, um die Rentenquote beim Bundespersonal kurz- und langfristig tief zu halten.

2260

Empfehlung 10

Gesamtstrategie und zusätzliche Massnahmen zur Verhinderung von Invalidisierungen beim Arbeitgeber Bund

Die Geschäftsprüfungskommission des Ständerats fordert den Bundesrat auf, eine Gesamtstrategie zur langfristigen Senkung des IV-Rentenbestands beim Bundespersonal zu entwickeln. Gleichzeitig muss der Bundesrat zusätzliche Massnahmen treffen, um einer hohen Rentenquote beim Bundespersonal kurzund langfristig entgegen zu treten. Der Bundesrat führt u.a. eine Statistik über die erfolgreiche Wiedereingliederung.

5

Untersuchung der Auswirkungen der Zunahme der IV-Renten auf die berufliche Vorsorge

Das steigende Rentenvolumen der IV wirkt sich auch negativ auf die Einrichtungen der beruflichen Vorsorge aus. Die Ausrichtung von Leistungen der 2. Säule wegen Invalidität ist an einen Entscheid der IV über eine Rente gekoppelt. Der Anspruch für Invalidenleistungen der beruflichen Vorsorge stellt darauf ab, dass jemand im Sinne der IV zu einem bestimmten Grad invalid ist (Art. 23 und 24 BVG18). Für den Beginn der BVG-Invalidenrente gelten sinngemäss die entsprechenden Bestimmungen des IVG (Art. 29 IVG, Art. 26 Abs. 1 BVG). Bei krankheitsbedingter Invalidität muss die Pensionskasse dem Versicherten die Differenz zwischen der relativ bescheidenen Invalidenrente und 90 Prozent des versicherten Jahreslohns bezahlen.

Die steigenden Invaliditätskosten bei Pensionskassen werden über höhere Risikoprämien direkt auf die Arbeitnehmer und -geber abgewälzt. Die zunehmende Zahl an Invalidenrenten verteuert somit direkt die Lohnkosten.

Der Pensionskassenstatistik des Bundesamts für Statistik (BFS)19 zufolge haben die Vorsorgeeinrichtungen im Jahr 2002 117 835 Invalidenrenten im Gesamtwert von 1,99 Milliarden Franken ausgerichtet, was einer durchschnittlichen jährlichen Zuwachsrate von 9,3 Prozent seit 1992 entspricht. Im Jahr 2002 waren die IV-Renten für immerhin rund 11 Prozent der gesamten Rentenausgaben der Vorsorgeeinrichtungen verantwortlich.

Um die Kostenwahrheit der Invalidenversicherung abzubilden, muss somit der finanzielle Schaden, den ein Invaliditätsfall in einer Pensionskasse mit BVGVorsorgeniveau auslösen kann, unbedingt einbezogen werden. Wie stark die längerfristige finanzielle Belastung für die Pensionskassen infolge der Zunahme der IV-Renten tatsächlich ist, wird statistisch jedoch noch kaum transparent erfasst.

Die Auswirkungen der Invalidisierungen auf die berufliche Vorsorge müssen nach Ansicht der GPK-S noch vertieft analysiert werden. Gefragt ist eine vollständige Transparenz über die finanzielle Belastung der 2. Säule durch die zunehmenden Rentenentscheide. Falsche Anreize auf Ebene der Pensionskassenreglemente müssen ebenso beseitigt werden wie jene auf Ebene der IV. Der Berentungstendenz muss über die Invalidenversicherung hinaus mit entsprechenden Massnahmen auf Ebene 18 19

Bundesgesetz vom 25.6.1982 über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG; SR 831.40).

BFS, 2004: Pensionskassenstatistik 1992­2002. Die berufliche Vorsorge in der Schweiz, Neuchâtel, S. 12.

2261

der Pensionskassen begegnet werden. Entsprechend ist die Zusammenarbeit der beiden Versicherungen noch zu intensivieren, um das Ziel einer frühzeitigen beruflichen Wiedereingliederung zu erreichen.

Aufgrund von parlamentarischen Vorstössen aus dem Jahre 2003 hat der Bundesrat das BSV beauftragt, den Regelungsbedarf und die Zunahme der invaliditätsbedingten Kosten in der beruflichen Vorsorge zu prüfen20. Obschon die Arbeiten im Herbst 2003 begannen, liegen immer noch keine Resultate vor. Nach Ansicht der GPK-S ist es vordringlich, Transparenz hinsichtlich der Wechselwirkungen IV ­ BVG zu schaffen und die allenfalls angezeigten Massnahmen rasch zu treffen.

Empfehlung 11

Transparenz hinsichtlich der Auswirkungen der IV auf die berufliche Vorsorge; Massnahmen gegen die steigenden Invaliditätsleistungen der beruflichen Vorsoge

Die Geschäftsprüfungskommission des Ständerats fordert den Bundesrat auf, die Kosten der steigenden Invaliditätsleistungen unter Einbezug der beruflichen Vorsorge transparent zu erheben. Der Bundesrat hat über die Invalidenversicherung hinaus Massnahmen zu treffen, um die IV-Rentendynamik auch auf Ebene der beruflichen Vorsorge zu brechen.

6

Weitere Schlussfolgerungen in Bezug auf die 5. IVG-Revision

6.1

Einleitende Bemerkungen

Die Untersuchung der GPK-S liefert in erster Linie wichtige Hinweise für den Vollzug und die Aufsicht über die IV. Darüber hinaus können aufgrund der Erkenntnisse der GPK-S auch einige Bemerkungen zur laufenden 5. IVG-Revision gemacht werden. Die nachfolgenden Ausführungen stellen keine umfassende politische Beurteilung der Massnahmen gemäss 5. IVG-Revision dar. Eine solche vorzunehmen ist in erster Linie Aufgabe der Fachkommissionen. Nachfolgende Bemerkungen beschränken sich auf Hinweise der GPK-S aufgrund ihrer Untersuchung. Im Zentrum steht deshalb eine Beurteilung zur gesetzlichen Regelung der Aufsicht über den IV-Vollzug. Diese Ziffer richtet sich ausserdem vorab an die Adresse der Kommissionen für soziale Sicherheit und Gesundheit (SGK) der eidgenössischen Räte.

Die SGK des Nationalrats beginnt mit der Vorberatung der Vorlage im September 2005.

6.2

Ungenügender Stellenwert der Aufsicht

Das Thema Aufsicht hatte in der 4. IVG-Revision nur einen geringen Stellenwert.

Der Vernehmlassungsentwurf zur 5. IVG-Revision gewichtete unter dem Stichwort «Harmonisierung der Praxis» Massnahmen zur Optimierung der Aufsicht und Steue-

20

Vgl. Botschaft zur 5. IVG-Revision, BBl 2005 4497 f.

2262

rung stark21. Er zeigte auch Mängel der bisherigen Aufsichtspraxis und Organisation der IV transparent auf. Die Botschaft des Bundesrats zur 5. IVG-Revision thematisiert die Aufsicht und die Massnahmen zur Harmonisierung der Praxis leider nur noch in wesentlich gekürzter und abgeschwächter Form. Die Untersuchung der GPK-S zeigt jedoch, dass diesem Thema grosse Priorität einzuräumen ist (vgl. Ziff.

2.1 bis 2.4).

Zwar zielen die Reformbestrebungen auf eine Verstärkung der administrativen Aufsicht des Bundes über die IV-Stellen ab. Die fachliche Aufsicht des BSV wird dagegen nicht ausreichend thematisiert und es werden keine Massnahmen aufgezeigt, um diese Aufsicht im Sinne einer Gesamtstrategie mit der administrativen Aufsicht zu verknüpfen. Um in Zukunft das Ziel eines einheitlichen Vollzugs der IV gemäss Artikel 64 IVG erreichen zu können, muss neben der administrativen Aufsicht auch die materielle Geschäftsprüfung als zentrales Aufsichtsinstrument des BSV verstärkt und modernisiert werden. Die verschiedenen Instrumente der fachlichen und administrativen Aufsicht sind in einer umfassenden Gesamtstrategie und einem Steuerungskonzept einzubinden, welche auf einen homogenen Gesetzesvollzug ausgerichtet sind (vgl. weiteres hiezu in Ziff. 2.1).

Empfehlung 12

Vertiefte Thematisierung und Stärkung der Aufsicht des BSV

Die Geschäftsprüfungskommission des Ständerats empfiehlt den vorberatenden Kommissionen für soziale Sicherheit und Gesundheit, die Problematik der Aufsicht über den IV-Vollzug vertieft zu thematisieren. Neben der administrativen ist auch die fachliche Aufsicht des BSV zu stärken. Die verschiedenen Instrumente der fachlichen und administrativen Aufsicht sind zu konkretisieren und in einer umfassenden Gesamtstrategie zusammenzuführen.

6.3

Problematische Aufteilung der Aufsichtskompetenzen des Bundes

Aufgrund der Untersuchungsergebnisse der GPK-S ist die vom Bundesrat vorgeschlagene Schaffung einer Aufsichtskommission abzulehnen. Aus der föderalistischen Umsetzung der IV ergeben sich bereits viele Schnittstellen zwischen Bund und Kantonen. Weiter gibt es im Rahmen des Vollzugs der IV eine vertikale Schnittstelle zu den Organen der AHV beziehungsweise zu den Ausgleichskassen, da diese gewisse Vollzugsaufgaben in der IV wahrnehmen22. Die Schaffung einer Aufsichtskommission, wie dies Artikel 64b (neu) IVG vorsieht, würde die Komplexität in der Aufsicht über die IV zusätzlich vergrössern und die Aufsichtskompetenz des BSV schwächen. Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen den Kompetenzen der 21 22

Vgl. Vernehmlassungsentwurf, S. 59.

Die Ausgleichskassen richten die Renten, die Hilflosenentschädigungen an Erwachsene und die Taggelder aus, welche von den IV-Stellen verfügt werden. Die Vergütung der Eingliederungs- und Abklärungsmassnahmen sowie die Auszahlung der Hilflosenentschädigungen an Minderjährige erfolgt hingegen durch die ZAS. Die kanontale Ausgleichskasse des Kantons, in dem die IV-Stelle ihren Sitz hat, führt zudem die Rechnung der administrativen Durchführungskosten der IV-Stelle.

2263

Aufsichtskommission und den Aufsichtsaufgaben des BSV sind vorprogrammiert.

Obschon auch der Bundesrat die Einrichtung einer Aufsichtskommission diesbezüglich als problematisch beurteilt, hält er daran fest, weil mit dieser Konstruktion die Sozialpartner in die Aufsicht einbezogen werden können23.

Die GPK-S gibt zu bedenken, dass die Effizienz und die Wirksamkeit der Aufsicht in der IV mit der Schaffung einer Aufsichtskommission keineswegs verbessert würden. Die Aufsichtsverantwortung würde geteilt und es bestünde die Gefahr von Aufsichtslücken. Das legitime Anliegen, die Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter besser einzubinden, soll ohne eine unklare Aufteilung der Aufsichtskompetenzen realisiert werden. Möglich ist dies, indem die Aufgaben einer gemäss Empfehlung 7 skizzierten IV-Kommission vermehrt ein strategisches Profil erhalten. In einer solchen Kommission könnten insbesondere auch die Arbeitgebenden die wichtige Rolle wahrnehmen, welche ihnen im Rahmen der Früherfassung und Integration von erwerbsbehinderten Versicherten zukommt. Diese Verantwortung und konkrete Massnahmen sind in der 5. IVG-Revision ohnehin zu wenig skizziert.

Die GPK-S erachtet es überdies bereits von den Funktionen der Bundesaufsicht her als problematisch, diese auf eine Aufsichtskommission und das BSV aufzuteilen.

Die Bundesaufsicht stellt eine direkte Vollzugsaufsicht über die IV-Stellen dar. Die Ausübung einer solchen Aufsicht ist einer übergeordneten staatlichen Stelle vorbehalten. Während die Sozialpartner ohne Weiteres in strategische Fragen einbezogen werden sollen, erfolgt die Ausübung der Aufsicht streng nach den im Gesetz und der Gesamtstrategie formulierten Vorgaben. Sie ist nicht verhandelbar.

Die GPK-S steht mit ihrer Skepsis gegenüber der Schaffung einer Aufsichtskommission nicht alleine da. Bereits in der Vernehmlassung ist verschiedentlich auf die problematische Kompetenzaufteilung zwischen BSV und Aufsichtskommission hingewiesen worden24.

Empfehlung 13

Verzicht auf die Schaffung einer Aufsichtskommission

Die Geschäftsprüfungskommission des Ständerats empfiehlt den vorberatenden Kommissionen für soziale Sicherheit und Gesundheit, auf eine weitere Aufteilung der Aufgaben in der Aufsicht über die IV zu verzichten und deshalb keine neue Aufsichtskommission zu schaffen. Um die Effizienz und Wirksamkeit der Aufsicht zu gewährleisten, soll das BSV auch künftig umfassend für die Aufsicht über die IV zuständig sein.

23 24

Vgl. Botschaft zur 5. IVG-Revision, BBl 2005 4546.

Vgl. Bericht über die Ergebnisse der Vernehmlassungsverfahren zu den Entwürfen der 5. Revision des Bundesgesetzes vom 19.6.1959 über die Invalidenversicherung, der IV-Zusatzfinanzierung und des IV-Verfahrens, Bern, Juni 2005.

2264

6.4

Zusätzliche Massnahmen im Zusammenhang mit der Eingliederung erwerbsbehinderter Personen

Die Studie der PVK zeigt auf, dass die Schweiz im internationalen Vergleich eine geringe (Weiter-)Beschäftigungsquote von Behinderten aufweist. Verglichen mit ausländischen Systemen mangelt es an monetären und nichtmonetären Beschäftigungsanreizen für Arbeitgeber25.

In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass die Unterstützungsleistungen im Zusammenhang mit der beruflichen Eingliederung bei den Betroffenen und Arbeitgebern zu wenig bekannt sind. Die Anreizinstrumente zur Beschäftigung Behinderter sind nur bei einer Minderheit der in eine Umfrage einbezogenen Betriebe bekannt. Der Auftrag der landesweiten Information über die Versicherungsleistungen gemäss Artikel 68ter Absatz 1 IVG scheint nicht hinreichend zu greifen.

Empfehlung 14

Prüfung zusätzlicher Massnahmen zur Eingliederung erwerbsbehinderter Personen

Die Geschäftsprüfungskommission des Ständerats empfiehlt den vorberatenden Kommissionen für soziale Sicherheit und Gesundheit, im Rahmen der 5. IVGRevision weitergehende Beschäftigungsanreize für Arbeitgeber zu prüfen (Bonus-/Malussysteme, steuerliche Begünstigungen, Entlastung in der beruflichen Vorsorge etc.). Dabei sind die Praktiken von Staaten, die in den vergangenen Jahren eine Stabilisierung oder Trendwende bei der Rentenquote einleiten konnten (Kanada, Niederlande etc.), zu analysieren.

6.5

Allfällige gesetzliche Regelung weiterer in diesem Bericht enthaltener Fragen

Die GPK-S hat in den vorangegangenen Ziffern verschiedene Schlussfolgerungen und Empfehlungen hinsichtlich der Aufsicht und Gesetzgebung im Bereich der IV formuliert. Diese richten sich an den Bundesrat. Anlässlich der aktuellen 5. IVGRevision drängt sich dennoch die Frage auf, ob nicht gewisse Empfehlungen sogar auf Gesetzesstufe umgesetzt werden sollten bzw. müssten. Im Gesetz festgeschrieben bzw. präzisiert werden könnten beispielsweise eine aktivere Wahrnehmung der Gesetzgebungsentwicklung (Empfehlung 4), die Aufgaben einer neu zu schaffenden IV-Kommission als Strategieorgan (Empfehlung 7) oder auch die rechtliche und strukturelle Unabhängigkeit der kantonalen IV-Stellen (Empfehlung 9).

Die GPK-S empfiehlt den vorberatenden Kommissionen, diese Fragen aufgrund des vorliegenden Berichts zu prüfen. Sollten die eidgenössischen Räte auf eine entsprechende gesetzliche Regelung verzichten, bliebe der Bundesrat aufgefordert, entsprechende Massnahmen auf seiner Stufe zu treffen, um die Empfehlungen der GPK-S umzusetzen.

25

Vgl. Anh. 1, Ziff. 5.2.

2265

Empfehlung 15

Prüfung weiterer gesetzlicher Regelungen

Die Geschäftsprüfungskommission des Ständerats empfiehlt den vorberatenden Kommissionen für soziale Sicherheit und Gesundheit zu prüfen, inwiefern und wie den in diesem Bericht aufgenommenen Empfehlungen 4 (Aktive Wahrnehmung der Aufgabe der Gesetzgebungsentwicklung), 7 (AHV/IV-Kommission als Strategieorgan nutzen) sowie 9 (Rechtliche und strukturelle Unabhängigkeit der kantonalen IV-Stellen) im Rahmen der 5. IVG-Revision Rechnung getragen werden soll.

7

Weiteres Vorgehen

Die Geschäftsprüfungskommission des Ständerats überweist diesen Bericht samt Empfehlungen 1 bis 11 und Anhängen dem Bundesrat und erwartet eine Stellungnahme bis Ende Dezember 2005. In seiner Stellungnahme zeigt der Bundesrat auch auf, mit welchen Massnahmen und bis wann er die Empfehlungen der GPK-S umsetzen wird.

Das Verfahren bezüglich der beiden von der Kommission eingereichten Motionen richtet sich nach Artikel 120 bis 122 des Parlamentsgesetzes26.

Zusätzlich überweist die GPK-S den vorliegenden Bericht mit den Empfehlungen 12 bis 15 sowie die Anhänge an die Kommissionen für soziale Sicherheit und Gesundheit der eidgenössischen Räte. Die GPK-S bittet die vorberatenden Kommissionen, die Erkenntnisse und Schlussfolgerungen in ihre Arbeiten zur 5. IVG-Revision einzubeziehen.

19. August 2005

Im Namen der Geschäftsprüfungskommission des Ständerats Der Kommissionspräsident: Hans Hofmann, Ständerat Der Präsident der Subkommission EDI/UVEK: Hansruedi Stadler, Ständerat Der Stellvertretende Sekretär der Geschäftsprüfungskommissionen: Martin Albrecht

26

Bundesgesetz vom 13. Dezember 2002 über die Bundesversammlung (ParlG; SR 171.10).

2266