zu 02.415 Parlamentarische Initiative Änderung von Artikel 186 des Bundesgesetzes über das Internationale Privatrecht Bericht vom 17. Februar 2006 der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates Stellungnahme des Bundesrates vom 17. Mai 2006

Sehr geehrter Herr Präsident Sehr geehrte Damen und Herren Zum Bericht vom 17. Februar 2006 der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates betreffend die Änderung von Artikel 186 des Bundesgesetzes über das Internationale Privatrecht (IPRG)1 nehmen wir im Sinne von Artikel 112 Absatz 3 des Parlamentsgesetzes (ParlG, SR 171.10) nachfolgend Stellung.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

17. Mai 2006

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Moritz Leuenberger Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz

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SR 291

2006-0808

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Stellungnahme 1

Ausgangslage

Am 21. März 2002 reichte der damalige Nationalrat Claude Frey eine parlamentarische Initiative ein, die verlangt, dass Schiedsgerichte mit Sitz in der Schweiz auch über ihre Zuständigkeit entscheiden, wenn zuvor ein staatliches Gericht im Ausland angerufen wurde.

Am 20. Januar 2003 hat die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates die Initiative einer Vorprüfung unterzogen und beantragt, ihr Folge zu geben. Der Nationalrat folgte dem Antrag seiner Kommission und gab der Initiative am 23. September 20032 ohne Gegenstimme Folge.

Gestützt auf Artikel 21quater Absatz 1 des Geschäftsverkehrsgesetzes (GVG)3 beauftragte der Nationalrat seine Kommission für Rechtsfragen mit der Ausarbeitung einer Vorlage.

Anlass für die Einreichung der parlamentarischen Initiative sind zwei Entscheide des Schweizerischen Bundesgerichts. Diese Entscheide handeln von der Situation, in der ein schweizerisches Schiedsverfahren und ein ausländisches staatliches Verfahren zwischen den gleichen Parteien und mit gleichem Streitgegenstand parallel rechtshängig sind. Davon ausgehend, dass ein Verfahren im Ausland manchmal eingeleitet wird, um das Schiedsverfahren in der Schweiz zu blockieren oder zu verhindern, prüfte die Kommission die geltenden Rechtsgrundlagen und die bundesgerichtliche Rechtsprechung, um zu erfahren, unter welchen Umständen das Schiedsverfahren in der Schweiz bei paralleler Rechtshängigkeit ausgesetzt wird. Sie berücksichtigte dabei die Auswirkungen einer parallelen Rechtshängigkeit auf den Schiedsgerichtsstandort Schweiz.

Im Laufe ihrer Arbeiten holte die Kommission ein Arbeitspapier des Bundesamtes für Justiz des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements sowie eine Stellungnahme der Schweizerischen Vereinigung für Schiedsgerichtsbarkeit ein; die Kommission hörte ferner einen auf internationales Recht spezialisierten Rechtsprofessor sowie ein Mitglied des Vorstands der Schweizerischen Vereinigung für Schiedsgerichtsbarkeit an. Darauf gestützt beauftragte sie das Bundesamt für Justiz mit der Ausarbeitung eines Gesetzesentwurfs und eines zugehörigen Berichts. Am 12. Januar 2006 verabschiedete die Kommission den vorliegenden Gesetzesentwurf mit 19 zu 0 Stimmen.

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Stellungnahme des Bundesrats

Das Urteil des Bundesgerichts vom Mai 2001 (Urteil in der Rechtssache Fomento, BGE 127 III 279) hat im schweizerischen Recht der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit Unsicherheit hervorgerufen. Gemäss der darin enthaltenen Auslegung könnte eine Partei, die einer schiedsgerichtlichen Streitbeilegung in der Schweiz 2 3

AB 2003 N 1451.

SR 171.11; siehe Art. 173 Ziff. 3 des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 2002 (ParlG, SR 171.10).

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wirksam zugestimmt hat, diese Streitbeilegung lähmen, indem sie ihrem Widersacher mit der Einreichung einer gerichtlichen Klage im Ausland vor dem Schiedsverfahren zuvorkommt. Das Bundesgericht kommt zu diesem Schluss, indem es die schweizerische Bestimmung über die internationale Rechtshängigkeit, Art. 9 des Bundesgesetzes vom 18. Dezember 1987 über das internationale Privatrecht (IPRG)4, auf die beschriebene Situation anwendet.

Dass eine Partei eine schiedsgerichtliche Streitbeilegung blockieren kann, ist geeignet, der Effizienz der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit in der Schweiz Schaden zuzufügen. Die Aufrechterhaltung des Vertrauens in diesen sowohl wirtschaftlich als auch für den internationalen Ruf der Schweiz bedeutsamen Dienstleistungszweig ist ein Anliegen auch des Bundesrates.

Der Gesetzesentwurf erlaubt, dass das Schiedsgericht unabhängig von einer zum gleichen Streitgegenstand zwischen den gleichen Parteien vor einem anderen Gericht hängigen Klage über seine Zuständigkeit entscheidet, indem es Art. 9 IPRG ausschaltet und den Schiedsgerichten gleichzeitig eine positive Verhaltensregel zur Verfügung stellt.

Im geographischen Anwendungsbereich des Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (LugÜ)5 hat die Auslegung dieses Staatsvertrags eine gewisse Unsicherheit zur Folge, die mit einer IPRG-Revision nicht zu beheben ist. Es geht um die Frage, ob ein Gerichtsurteil, das möglicherweise aus der ausländischen Klage hervorgeht, in der Schweiz anzuerkennen ist. Die herrschende Lehre zum Übereinkommen geht zwar davon aus, dass eine gültige Schiedsvereinbarung oder ein hängiges Schiedsverfahren die Anerkennung der Entscheidung eines ausländischen Staatsgerichts nicht zu hemmen vermag. Nach dieser Meinung würde sich das schweizerische Schiedsverfahren gegenüber dem ausländischen staatlichen Verfahren am Ende nur dann durchsetzen, wenn das schweizerische Verfahren rascher in ein Urteil mündet.

In der Praxis wird indessen diese Situation häufig eintreten. Ausserdem gibt es gute Gründe für die gegenteilige Meinung, wonach sich die in der Schweiz wirksame Schiedsvereinbarung wie auch der spätere schweizerische Schiedsspruch durchwegs gegenüber dem ausländischen Staatsgericht durchzusetzen vermögen. Damit
besteht durchaus die Möglichkeit, dass sich die schweizerische Gerichtspraxis in diesem Sinne aussprechen wird.

Was den sofortigen gesetzgeberischen Handlungsbedarf betrifft, so ist folgendes zu bemerken: Das Bundesgericht hat in seinem Urteil vom 19. Dezember 1997 (Rechtssache Condesa, BGE 124 III 83) noch eine Haltung vertreten, die geeignet gewesen wäre, den Schutz des schweizerischen Schiedsverfahrens auch mit einer Anwendung des Art. 9 IPRG zu gewährleisten. Angesichts der nur schwer mit der früheren Rechtsprechung in der Rechtssache Condesa zu vereinbarenden Begründung des späteren Bundesgerichtsentscheids hätte abgewartet werden können, ob das Gericht seine zukünftige Rechtsprechung am früheren Entscheid orientiert.

Indessen ist auch die Interpretation des BGE Condesa in der Literatur nicht einheitlich. Insgesamt kam bei den Beratungen der Vorlage deutlich hervor, dass die sofor-

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SR 291 SR 0.275.11

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tige Klarstellung ein gerechtfertigtes Anliegen der Praktiker ist, weil ein Zuwarten bis zur Klärung durch das Bundesgericht zu lange dauern könnte.

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Schlussfolgerungen

Parlamentarische Initiative und Gesetzesentwurf verfolgen ein Ziel, das Unterstützung verdient. Die schweizerische Schiedsgerichtsbarkeit hat eine wichtige Bedeutung für den Ruf der Schweiz im Ausland. Die gegenwärtige Rechtsprechung des Bundesgerichts ist geeignet, in der Praxis Unsicherheit hervorzurufen, was diesen Ruf behelligen kann. Der Gesetzesentwurf stellt das Vertrauen wieder her, indem er die unbeeinträchtigte Durchführung eines schweizerischen Schiedsverfahrens sicherstellt, das auf einer hier wirksamen Schiedsvereinbarung beruht.

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