Evaluation der Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht

Anhang 2

Schlussbericht der Parlamentarischen Verwaltungskontrolle zuhanden der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates vom 15. März 2005

2005-2255

2603

Das Wichtigste in Kürze Die Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht (ANAG) sind vor zehn Jahren in Kraft getreten. Vorliegende Untersuchung beschreibt, wie das wichtigste ihrer Instrumente, die Ausschaffungshaft, in den Kantonen Basel-Landschaft, Genf, Schaffhausen, Wallis und Zürich in den Jahren 2001 bis 2003 angewendet wurde, wie sich diese Haft unter dem Kosten-Nutzen-Aspekt darstellt und welche Verbesserungen sie im Wegweisungsvollzug erbracht hat. Schliesslich finden sich Ergebnisse zur Untersuchungsfrage, welche Wirkungen die Zwangsmassnahmen im Hinblick auf die Verminderung der Delinquenz von Asylsuchenden und illegal anwesenden Ausländern erzielt haben. Die Ergebnisse basieren einerseits auf statistischen Erhebungen und andererseits auf Interviews mit Behörden auf kantonaler und Bundesebene und mit Vertretern nichtbehördlicher Organisationen.

Die Untersuchung zur Anwendung der Ausschaffungshaft hat ergeben, dass die einzelnen Kantone diese Haft unterschiedlich anwenden. Das Spektrum reicht von einem restriktiven (GE) über einen zurückhaltenden (SH) bis zu einem konsequenten und regelmässigen Einsatz (BL, VS, ZH). Dies ist darauf zurückzuführen, dass das Bundesgesetz über die Zwangsmassnahmen es den Kantonen mit einer «Kann»Formulierung freistellt, die Ausschaffungshaft anzuordnen oder nicht. Ein weiterer Grund liegt darin, dass die kantonalen Gerichtsbehörden bei der Haftüberprüfung den Interpretationsspielraum des Gesetzes unterschiedlich ausschöpfen. Wesentliche Differenzen zwischen den Kantonen gibt es aber nicht nur bei der Häufigkeit der Haftanordnungen, sondern auch beim betroffenen Ausländerkreis (illegal Anwesende oder Asylsuchende), hinsichtlich gewisser Nationalitäten oder der Haftdauer und dem Haftergebnis. Die unterschiedliche Anwendungspraxis bereitet den befragten Kantonsbehörden keine Probleme, ist aber für die Bundesebene mit Koordinationsproblemen und Effizienzeinbussen verbunden. Für betroffene Ausländer, so nichtbehördliche Stellen, erscheint die unterschiedlich intensive Anordnung von Zwangsmassnahmen als Ausdruck der Willkür.

In den untersuchten Kantonen bleiben rund 60 bis 80 % der Inhaftierten weniger lang als einen Monat in Haft. Der Anteil der länger als sechs Monate Inhaftierten ist gering und überschreitet in keinem Kanton die 4-Prozent-Marke. Die durchschnittlichen
kantonalen Mittelwerte der Haftdauer betragen zwischen 20 und 47 Tagen. Die unter vier Tage dauernden Kurzhaften sind in einzelnen Kantonen sehr zahlreich; diese werden von den kantonalen Gerichtsbehörden aufgrund der 96-Stunden-Frist zur Haftüberprüfung zumeist nicht hinsichtlich Vorliegens eines Haftgrundes überprüft, weshalb deren Rechtmässigkeit und Verhältnismässigkeit von nichtbehördlicher Seite in Frage gestellt wird.

Die kantonalen Rückführungsraten unterscheiden sich voneinander und liegen zwischen 50 und 92 %. Mit einer Ausnahme (GE) liegen die Rückführungsquoten im ANAG-Bereich stets deutlich über jenen im Asylbereich. Das zeigt sich auch im Mittel der kantonalen Quoten, das im erst genannten Bereich 81 % beträgt und im zweiten 63 %. Unter dem Gesichtspunkt des direkten Rückführungserfolgs ist die Ausschaffungshaft im Asylbereich somit weniger wirksam als im ANAG-Bereich.

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Die Analyse des Zusammenhangs zwischen der Haftdauer und dem Haftergebnis zeigt für beide Rechtsbereiche auf, dass die höchsten Rückführungsraten ­ z.T. über 90 bis 100 % ­ bei den kurzen Haftfällen, also den unter einem Monat dauernden Inhaftierungen, erreicht werden. Diese machen das Gros aller Haftfälle aus. Mit zunehmender Haftdauer sinken die Quoten in der Regel sehr deutlich, wobei der Asylbereich, aus dem die meisten der länger dauernden Fälle kommen, durchgehend unter dem ANAG-Bereich liegt. Die Wirksamkeit der Haft reduziert sich also im Verlaufe ihrer Dauer.

Die Unterschiede zwischen dem ANAG- und dem Asylbereich können u.a. damit erklärt werden, dass illegal anwesende Personen zumeist gültige Reisedokumente besitzen und vielfach aus Ländern kommen, mit denen Rückübernahmeabkommen bestehen. Im Asylbereich ist dieses Instrument weniger wirksam, weil eine Rückführung trotz Inhaftierung praktisch aussichtslos sein kann, da sich z.B. die Identifikation als unverhältnismässig langwierig erweist oder die Inhaftierten nicht kooperationsbereit sind. Die Untersuchungsergebnisse haben im weiteren aufgezeigt, dass eine Rückführung nicht allein von der Anwendung oder Verschärfung der Zwangsmassnahmen abhängt, sondern auch von externen, zum Teil nicht beeinflussbaren Faktoren, wie etwa die Weigerung bestimmter Staaten, zwangsweise rückgeführte Personen einreisen zu lassen.

Ein Vergleich bezüglich der Gesamtzahl der Rückführungen im Asylbereich hat zum Ergebnis geführt, dass die Häufigkeit der angeordneten Ausschaffungshaft nicht zwingend mit einem höheren Rückführungsanteil bei den Abgängen in den untersuchten Kantonen einhergeht. Die Haft ist nur eine Möglichkeit im Ausschaffungsinstrumentarium. Kantone, die seltener zu diesem Instrument greifen, schaffen umso mehr Personen dadurch aus, dass sie die Ausreisepflichtigen am Tag der Abreise polizeilich am Aufenthaltsort abholen und zum Flughafen begleiten.

Betreffend der Kosten der Ausschaffungshaft kann konstatiert werden, dass in vier von fünf Kantonen der Kostenanteil jener Personen, die im Anschluss an die Haft nicht rückgeführt werden konnten, überwiegt. Die Behörden schätzen die Ausschaffungshaft als relativ aufwändig und teuer ein. Die meisten von ihnen betrachten sie aber dennoch als Instrument, dessen Kosten durch den Nutzen gerechtfertigt wird.
Dabei ist in Betracht zu ziehen, dass die Durchsetzung rechtsstaatlicher Massnahmen stets mit finanziellem Aufwand verbunden ist. Von nichtbehördlicher Seite wird die Massnahme als teuer bezeichnet und darauf hingewiesen, dass das für die Haft aufgewendete Geld mit grösserem Effekt beispielsweise in der Rückkehrberatung investiert werden könnte.

Von den meisten Kantonen wird die Ausschaffungshaft als ein Mittel angesehen, welches dazu beitragen kann, den Wegweisungsvollzug sicherzustellen. Einen entscheidenden Einfluss auf das Gelingen einer Rückführung haben aber noch andere, gewichtige Faktoren: das Vorhandensein von funktionierenden Rückübernahmeabkommen oder das Vorliegen von Anreizsystemen, also Rückkehrprogrammen. Die Zwangsmassnahmen sind dabei ein Element im Wegweisungsvollzug und haben die Funktion eines Druckmittels.

2605

Eventuelle Wirkungen, welche die Zwangsmassnahmen im Hinblick auf die Verminderung der Delinquenz von Asylsuchenden und illegal anwesenden Ausländern erzielen, wurden hinsichtlich der Ausschaffungshaft und der Ausgrenzungen in den Kantonen GE und ZH analysiert. Dabei konnten z.T. signifikante Zusammenhänge festgestellt werden, die aber nur bei der Gruppe der Asylsuchenden die angestrebte Delinquenzminderung aufzeigten. Unter Berücksichtigung der Dauer der Zeiträume von zwei Jahren vor und nach Verhängung einer Massnahme resultierte bei den Asylsuchenden überwiegend ein signifikanter Rückgang der als angeschuldigt registrierten Personen wie auch ihrer Delinquenzhäufigkeit, und zwar besonders bei den Drogendelikten. Bei den Vermögensdelikten hingegen war die Wirkung nicht signifikant. Die Untersuchung hat zudem aufgezeigt, dass Ein- und Ausgrenzungen hinsichtlich der Wirksamkeit den Anordnungen der Ausschaffungshaft anscheinend überlegen sind.

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Inhaltsverzeichnis Das Wichtigste in Kürze

2604

Abkürzungsverzeichnis

2608

1 Einleitung

2609

2 Anwendung der Zwangsmassnahmen in den Kantonen 2001­2003 2.1 Anwendung der Ausschaffungshaft 2.2 Dauer der Ausschaffungshaft und Haftergebnis 2.2.1 Ausschaffungshaftdauer 2.2.2 Haftergebnisse im Zusammenhang mit der Haftdauer 2.2.3 Die Bedeutung der Ausschaffungshaft im Vollzugsprozess im Asylbereich 2.3 Kosten der Ausschaffungshaft 2.4 Anwendung der Vorbereitungshaft

2614 2614 2619 2620 2621

3 Verbesserungen im Wegweisungsvollzug und Nebeneffekte der Ausschaffungshaft 3.1 Verbesserungen im Wegweisungsvollzug 3.2 Rahmenbedingungen im Wegweisungsvollzug 3.3 Zusammenarbeit zwischen den kantonalen und den Bundesbehörden 3.4 Nebeneffekte der Ausschaffungshaft 4 Wirkung der Zwangsmassnahmen in Bezug auf delinquente Asylsuchende und illegal anwesende Ausländer 4.1 Delinquenz und Inhaftierungen von Asylsuchenden und illegal anwesenden Ausländern 4.1.1 Die Verbreitung der Delinquenz 4.1.2 Inhaftierungen und Rayonverbote 4.1.3 Selbstangaben von Asylsuchenden zu Delinquenz und Wirkungen von Sanktionen 4.2 Wirkung der Zwangsmassnahmen auf die Delinquenz 4.2.1 Wirkung der Ausschaffungshaft 4.2.2 Wirkung der Rayonverbote 4.2.3 Einschätzung der Wirkungen der Zwangsmassnahmen 4.3 Zur Bedeutung der Ergebnisse

2625 2631 2634 2635 2635 2636 2637 2638 2640 2641 2641 2642 2644 2645 2645 2647 2648 2649

5 Fazit

2650

Anhänge: 1 Bundesgesetz über die Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht 2 Liste der befragten Personen 3 Kantonale Haftergebnisse nach Rechtsgebiet und Haftdauer

2655 2662 2664

2607

Abkürzungsverzeichnis AfM ANAG AsylG AuG BFF BFM BL DZF GE GPK-N ICDP IPZ OCP PVK RIPOL SH VS ZH

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Amt für Migration Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer vom 26. März 1931 (SR 142.20) Asylgesetz vom 5. Oktober 1979 (SR 142.31) Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer Bundesamt für Flüchtlinge, wurde am 1.1.2005 mit dem Bundesamt für Zuwanderung, Integration und Auswanderung zum Bundesamt für Migration zusammengelegt.

Bundesamt für Migration (hervorgegangen aus der Zusammenlegung des Bundesamtes für Zuwanderung, Integration und Auswanderung und dem Bundesamt für Flüchtlinge) Basel-Landschaft Dienststelle für Zivilstandswesen und Fremdenkontrolle Genf Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates Institut de Criminologie et de Droit Pénal, Université Lausanne Institut für Politikwissenschaft der Universität Zürich Office cantonal de la population (GE) Parlamentarische Verwaltungskontrolle Automatisiertes Fahndungssystem Schaffhausen Wallis Zürich

Bericht 1

Einleitung

Auftrag und Ausgangslage Die Subkommission EJPD/BK der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats (GPK-N) hat die Parlamentarische Verwaltungskontrolle (PVK) am 22. März 2004 beauftragt, verschiedene Fragen zu den Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht zu beantworten. Das Mandat hat zwei Hauptstossrichtungen. Erstens sollte die PVK die kantonale Anwendung der Zwangsmassnahmen und die Verbesserungen, die sie im Wegweisungsvollzug erbracht haben, untersuchen und zweitens die Wirkung der Massnahmen auf die Delinquenz von Asylsuchenden und illegal anwesenden Ausländern.

Die Zwangsmassnahmen sind im Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG) geregelt.1 Sie sind am 1. Februar 1995 in Kraft getreten, nachdem sie in einer Referendumsabstimmung am 4. Dezember 1994 vom Stimmvolk angenommen wurden. Aufgrund der Einführung der Zwangsmassnahmen wurde zudem das Asylgesetz (AsylG) vom 5. Oktober 1979 ergänzt (SR 142.31).

Die Ausländer- und Asylgesetzgebung steht derzeit in Revision und wird voraussichtlich im Laufe des Jahres 2005 von den eidgenössischen Räten verabschiedet.

Der Bundesrat hält an den Zwangsmassnahmen fest, z.T. sollen sie verschärft werden.

Die Zwangsmassnahmen werden bis heute politisch kontrovers beurteilt. Ziel dieser Bestimmungen ist einerseits die Sicherstellung des Wegweisungsvollzugs und damit die Bekämpfung der unkontrollierten Immigration. Andererseits sollen sie groben Missbräuchen des Asylrechts vorbeugen und der Delinquenz von illegal anwesenden Ausländern und von Asylsuchenden entgegenwirken. Dazu dienen Massnahmen wie die Vorbereitungs- und Ausschaffungshaft sowie die Ein- und Ausgrenzung. Am bedeutungsvollsten ist die Ausschaffungshaft, die u.a. bei Gefahr des Untertauchens eines Ausländers angeordnet werden kann. Für etliche kantonale Migrationsbehörden, die für die Anordnung von Zwangsmassnahmen zuständig sind, ist die Ausschaffungshaft ein viel benutztes Instrument geworden.

Bis zu vorliegender Evaluation gab es kaum fundierte Untersuchungen zur Anwendung der Zwangsmassnahmen und ihrer Wirksamkeit. Im Hinblick auf die Revision der Asyl- und Ausländergesetzgebung hat das Bundesamt für Flüchtlinge (BFF; heute Bundesamt für Migration, BFM) 2001 zwar erhoben, wie die Zwangsmassnahmen angewendet werden, konnte aufgrund des uneinheitlichen Zahlenmaterials
der Kantone aber nur bedingt qualitative Schlüsse ziehen.2 Es ist schwierig, Transparenz in diesem Bereich zu schaffen, weil keine gesamtschweizerische Statistik über Haftgründe, Anzahl der Anordnungen und den betroffenen Personenkreis geführt wird. Das BFM erhebt diese Daten nicht, weil die kantonalen Behörden für die Anordnung der Zwangsmassnahmen zuständig sind.

1 2

Bundesgesetz vom 26. März 1931 über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer, SR 142.20.

Vgl. Botschaft zum Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer vom 8. März 2002, BBl 2002 3709 ff., 3766 ff.

2609

Wirkungsmodell, Fragestellung und Aufbau des Berichtes Ausgehend von dem in Abbildung 1 präsentierten Wirkungsmodell der Zwangsmassnahmen hat die PVK die Fragestellung vorliegender Untersuchung entwickelt.

Abbildung 1 Wirkungsmodell3

A

Ausgangsprobleme: Delinquenz von illegal Defizite im anwesenden Ausländern Wegweisungsvollzug und Asylsuchenden Gefährdete Akzeptanz der Ausländer- und Asylpolitik

B

C

D

E

F

3

Politikformulierung

Gesetze und Verordnungen: ANAG, Asylgesetz , dazugehörige Verordnungen und Weisungen, Rundschreiben des Bundes, kantonale Einführungsgesetzgebung

Aufgabenteilung und eingesetzte finanzielle und personelle Ressourcen der Verwaltung (Behördenarrangement): BFM auf Bundesebene; Vollzug durch kantonale Migrationsämter

Vollzug

Leistung der Verwaltung (Output) bezüglich ,,Delinquenten" ,,Nichtdelinquenten" Rayonverbote Vorbereitungshaft Vorbereitungshaft Ausschaffungshaft Ausschaffungshaft Durchsuchung Durchsuchung finaler Output: Durchführung der Wegweisung Verhaltensänderung der Zielgruppen (Impact): ,,Delinquente" ,,Nichtdelinquente" geringere Delinquenz Kooperation mit Ausreise den Behörden keine Einreise Ausreise (nach Haft) (Abschreckung) Ausreise (aufgrund Haftrisiko)

Wirkung

Beitrag zur Lösung der Ausgangsprobleme (Outcome) Geringere Anzahl von illegal in der CH anwesenden Ausländern und Asylsuchenden Steigerung der Sicherheit der CH-Bevölkerung bessere Akzeptanz der Ausländer- und Asylpolitik

Die Abbildung basiert auf dem allgemeinen Wirkungsmodell der öffentlichen Politik nach Knoepfel, Peter et al. (2001): Analyse et pilotage des politiques publiques, Basel, S. 272.

2610

Das Modell zeigt auf, wie diese ausländerrechtliche Politik aufgrund ihrer Konzeption idealerweise wirken sollte. Im Folgenden werden seine Elemente auf der Grundlage der Botschaft zum Bundesgesetz über die Zwangsmassnahmen (BBl 1993 I 305) besprochen.

Zu A) Ausgangsprobleme: Der Hintergrund der Einführung der Zwangsmassnahmen bildete ein Problem, das die breite Bevölkerung anfangs der 1990er Jahre stark beschäftigte und die Akzeptanz der Ausländer- und Asylpolitik zunehmend belastete: Unter dem Schutz des Asylrechts handelten Asylsuchende in Drogenszenen mit Betäubungsmitteln. Aber auch andere Ausländer fielen durch kriminelle Handlungen und dissoziales Verhalten auf. Der Missbrauch des Gastrechts, das die Schweiz politisch Verfolgten gewährt, durch eine Minderheit von delinquierenden Ausländern liessen damals vermehrt Forderungen nach verschärften gesetzlichen Massnahmen laut werden. Zudem verursachte der Vollzug von Entfernungsmassnahmen selbst rechtskräftig weggewiesener Asylsuchender und Ausländer den Behörden Probleme. Bis dahin war die Dauer der Ausschaffungshaft auf einen Monat beschränkt.

Zu B) Gesetze und Verordnungen: Die Zwangsmassnahmen sind in mehreren Artikeln des ANAG und des Asylgesetzes verankert (vgl. Anhang 1). Kern der Zwangsmassnahmen sind die auf maximal neun Monate verlängerte Ausschaffungshaft, die Vorbereitungshaft und die Ein- und Ausgrenzungen, beides neu eingeführte Mittel.

Diese Instrumente werden im Bericht an gegebener Stelle kurz vorgestellt. Neben diesen Massnahmen finden sich im Gesetz Bestimmungen zur Durchsuchung von Personen oder Wohnungen. Das BFF und das Bundesamt für Ausländerfragen, heute im BFM vereint, haben im Januar 1995 Erläuterungen und Empfehlungen zur Umsetzung des Bundesgesetzes über die Zwangsmassnahmen an die Justizdirektionen und die Polizeidirektionen der Kantone gerichtet. Zu erwähnen ist weiter die Verordnung über den Vollzug der Weg- und Ausweisung von ausländischen Personen vom 11. August 1999 (SR 142.281). Die Kantone haben Einführungsgesetze für den Vollzug der Zwangsmassnahmen erlassen. Die Bestimmungen zu den Zwangsmassnahmen sind in zahlreichen Urteilen des Bundesgerichtes konkretisiert worden.

Zu C) Aufgabenteilung und eingesetzte Ressourcen: Der Vollzug der Zwangsmassnahmen ist den Kantonen übertragen. Zuständig für die Anordnung
von Massnahmen sind in der Regel die kantonalen Migrationsämter; in einzelnen Kantonen wird die Haftanordnung mit Hilfe der Kantonspolizei vollzogen. Die Haftüberprüfung muss durch eine kantonale richterliche Behörde erfolgen. Auf Bundesebene lag die Federführung bezüglich der Zwangsmassnahmen beim damaligen BFF. Das BFF nahm eine Aufsichtfunktion wahr, indem es bei Rechtsverletzungen eingriff und bei Vernehmlassungen zu Bundesgerichtsentscheiden Stellungnahmen erarbeitete. Es sah sich aber nicht angesprochen, falls kantonale Richter eine unterschiedliche Entscheidpraxis verfolgten. Das BFM beteiligt sich mit einer Tagespauschale pro inhaftierter Person aus dem Asylbereich an den Haftkosten der Kantone und leistet Vollzugsunterstützung: Es ist für die Beschaffung von Identitätspapieren für Ausländer in Ausschaffungshaft zuständig und besorgt die notwendigen Flugtickets. Im Jahr 2003 betrugen die Kosten des Bundes für die Vorbereitungs- und Ausschaffungshaft 8,45 Millionen Franken. Die Haftkosten im Falle der illegal anwesenden Ausländer tragen die Kantone.

Zu D) Leistungen der Verwaltung: Zu den Leistungen der kantonalen Migrationsämter zählen die Anordnungen der Vorbereitungs- und Ausschaffungshaft und der Einund Ausgrenzungen. Sie stellen die notwendigen Haftplätze zur Verfügung und 2611

vollziehen die Weg- oder Ausweisung. Die am häufigste angewendete Zwangsmassnahme ist die Ausschaffungshaft. Sie ist für die kantonale Migrationsbehörde mit einem erheblichen Aufwand verbunden. So müssen sich die Behörden umgehend um die Durchführung der Weg- oder Ausweisung bemühen (d.h. wiederholte Haftbesuche, Identitätsabklärungen etc.).

Zu E) Verhaltensänderung der Zielgruppen: Delinquente Asylsuchende und illegal anwesende Ausländer, denen aufgrund des Strafrechts kaum freiheitsentziehende Massnahmen drohen, soll das Instrument der Ausschaffungshaft dazu bringen, auf ihre Delinquenz zu verzichten (Abschreckung); mittels Rayonverboten, Vorbereitungs- und Ausschaffungshaft und Ausreise sollen sie daran gehindert werden, delinquent zu sein. Die Androhung der Ausschaffungshaft und die Haft selber bezwecken u.a., dass die Personen der Zielgruppen sich kooperativ verhalten, um den Vollzug der Wegweisung zu ermöglichen. Schliesslich sollen Ausländer nach der Eröffnung eines Weg- oder Ausweisungsentscheides daran gehindert werden, sich der Ausschaffung zu entziehen (Untertauchensgefahr). Mit der Ausreise der illegal anwesenden Ausländer und Asylsuchenden haben die Zwangsmassnahmen ihr Hauptziel erreicht.

Zu F) Beitrag zur Lösung der Ausgangsprobleme: Die Anordnung bzw. die Androhung der Zwangsmassnahmen soll bewirken, dass illegal in der Schweiz anwesende Ausländer und Asylsuchende vermehrt ausreisen. Durch das Fernhalten und Ausschaffen von illegal anwesenden Ausländern und Asylsuchenden, die durch Delinquenz auffallen, soll die Sicherheit der Bevölkerung in der Schweiz gesteigert werden. Durch den wirksameren Wegweisungsvollzug und eine geringere Delinquenz von Ausländern soll die Asyl- und Ausländerpolitik der Schweiz eine höhere Akzeptanz in der Bevölkerung finden.

Aufgrund dieses Wirkungsmodells und der u.a. in der Vernehmlassung des Bundesgesetzes über die Ausländerinnen und Ausländer (AuG)4 geäusserten Vollzugsprobleme (z.B. nicht einheitliche Ausschöpfung der Zwangsmassnahmen in den Kantonen, zu grosser Interpretationsspielraum bei den Haftgründen) hat die PVK Untersuchungsfragen formuliert; sie betreffen vor allem die Ebene des Behördenarrangements, des Gesetzesvollzugs und der Wirkung der Zwangsmassnahmen:

4

1.

Welche Zwangsmassnahmen wurden in verschiedenen Kantonen in welcher Weise eingesetzt? Bestehen wesentliche Unterschiede zwischen den Kantonen?

2.

Welche finanziellen und personellen Ressourcen wurden eingesetzt? Wie sind die Zwangsmassnahmen unter dem Kosten-Nutzen-Aspekt zu beurteilen?

3.

Haben die Zwangsmassnahmen, insbesondere die Ausschaffungshaft, die angestrebten Verbesserungen im Wegweisungsvollzug erzielt? Gibt es allenfalls unerwünschte Nebeneffekte?

4.

Haben die Massnahmen die angestrebten Wirkungen im Hinblick auf die Verminderung der Delinquenz von Asylsuchenden und illegal anwesenden Ausländern erzielt? Gibt es allenfalls unerwünschte Nebenwirkungen?

Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement (2001): Zusammenfassung der Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens über den Vorentwurf der Expertenkommission zum Bundesgesetz für Ausländerinnen und Ausländer, Bern, S. 116.

2612

Bei der Beantwortung dieser Fragen stand die Ausschaffungshaft als bedeutendste dieser Massnahmen im Vordergrund. Die Anwendung der Vorbereitungshaft hat die PVK ebenfalls analysiert. Da sie selten eingesetzt wird, kommt sie in vorliegendem Bericht nur kurz zu Sprache. Auf die Ein- und Ausgrenzungen wird hier im Zusammenhang mit der vierten Untersuchungsfrage eingegangen. Die vollständigen Ergebnisse zu den Untersuchungsfragen finden sich im Materialienband. Er bildet die Grundlage des Schlussberichtes.

Im Materialienband finden sich Angaben zu einer weiteren Frage, an deren Beantwortung die Subkommission EJPD/BK der GPK-N interessiert war. Es handelt sich um eine Einschätzung, wie die Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht in der Rechtslehre im Zusammenhang mit den menschenrechtlichen Bestimmungen beurteilt werden.

Der Schlussbericht ist in fünf Hauptkapitel gegliedert. Kapitel 2 zeigt die Anwendung der Ausschaffungshaft in den untersuchten Kantonen, ihre Bedeutung im Wegweisungsvollzug und ihre Kosten auf und enthält Angaben zur Vorbereitungshaft. Kapitel 3 beantwortet die Fragen nach den Verbesserungen und Nebeneffekten, die mit der Ausschaffungshaft verbunden sind. In Kapitel 4 wird auf Wirkung der Zwangsmassnahmen auf die Delinquenz von Asylsuchenden und illegal anwesenden Ausländern eingegangen. Der Bericht endet mit einem Fazit.

Vorgehen und Methode In einem ersten Untersuchungsschritt hat die PVK aufgrund verschiedener Kriterien5 fünf Kantone ausgewählt, um deren Anwendung der Zwangsmassnahmen für den Zeitraum 2001­2003 zu überprüfen. Es handelt sich um die Kantone BaselLandschaft (BL), Genf (GE), Schaffhausen (SH), Wallis (VS) und Zürich (ZH).

Anschliessend hat die PVK Dr. Thomas Widmer vom Institut für Politikwissenschaft der Universität Zürich (IPZ) beauftragt, eine Reihe von Daten zur Anwendung der Zwangsmassnahmen in den ausgewählten Kantonen zu beschaffen, aufzubereiten, statistisch auszuwerten und grafisch darzustellen.6 Das IPZ hat alle Vorbereitungs- und Ausschaffungshaftfälle erhoben, die ab dem 1.1.2001 in den betroffenen Kantonen registriert wurden (Ausnahme Kanton BL; dort konnte wegen eines Datensystemswechsels erst auf die Daten ab 1.5.2001 zugegriffen werden).

Die erhobenen Daten wurden sowohl individuell betrachtet als auch auf das Vorhandensein von statistischen Zusammenhängen
geprüft, um Einflussfaktoren auf das Ergebnis einer Haft zu eruieren.

Die PVK hat nach Vorliegen der quantitativen Resultate auf kantonaler und nationaler Ebene 19 ausführliche Expertengespräche durchgeführt.7 Interviewpartner waren Vertreter der Migrationsämter, der zuständigen Gerichte und Polizeibehörden. Auf kantonaler und nationaler Ebene wurden zudem Non Governmental Organizations (NGOs), die sich mit Ausländer- und Flüchtlingsfragen beschäftigen, ein Rechtsvertreter und ein Gefängnisseelsorger befragt. Diese Interviews dienten der korrekten 5

6

7

Folgende Kriterien wurden festgelegt: Bei der Anordnung der Ausschaffungshaft sollten hinsichtlich Anwendungshäufigkeit und Haftdauer unterschiedliche kantonale Profile vertreten sein. Zu berücksichtigen waren sowohl Deutschschweizer wie Westschweizer Kantone.

Projektmitarbeit Swen Hutter. Der Kurzbericht des IPZ vom 5.10.2004 zu den «Einflussfaktoren auf das Ergebnis einer Ausschaffungshaft» findet sich in Anhang 3 des Materialienbandes.

Vgl. Anhang 2: Liste der befragten Personen.

2613

Einschätzung der Daten, brachten aber auch neue Erkenntnisse, etwa zu den durch die Zwangsmassnahmen erreichten Verbesserungen im Wegweisungsvollzug oder den durch sie verursachten Aufwand.

Zur Beantwortung der Frage zu den Wirkungen der Zwangsmassnahmen auf die Delinquenz von Asylsuchenden und illegal anwesenden Ausländern hat die PVK ein Mandat an Professor Martin Killias, Institut de Criminologie et de Droit Pénal (ICDP) der Universität Lausanne, vergeben. Der Expertenbericht ist in den Materialienband als Anhang integriert.8 Die Untersuchungsmethoden, die das Expertenteam des ICDP anwandte, sind in deren Bericht ausführlich beschrieben; hier werden sie nur kurz in Kapitel 4 erwähnt, das die Hauptergebnisse dieser Expertise präsentiert.

2

Anwendung der Zwangsmassnahmen in den Kantonen 2001­2003

Die Anwendung der Zwangsmassnahmen in den ausgewählten Kantonen wurde mittels folgender Fragen untersucht: Welche Zwangsmassnahmen wurden in verschiedenen Kantonen in welcher Weise eingesetzt? Bestehen wesentliche Unterschiede zwischen den Kantonen? Welche finanziellen und personellen Ressourcen wurden dabei eingesetzt? Wie sind die Zwangsmassnahmen unter dem Kosten-Nutzen-Aspekt zu beurteilen?

In Kapitel 2.1 werden die Ergebnisse der Datenanalyse zusammengefasst wiedergegeben. Dabei wird auf die Fallzahl, das Rechtsgebiet, das Geschlecht, das Alter, die Herkunft und den Haftgrund der in Ausschaffungshaft gesetzten Personen eingegangen. Kapitel 2.2 enthält die Resultate hinsichtlich der Haftdauer, der Haftergebnisse und Angaben, die über die Häufigkeit der Ausschaffungshaft im Asylbereich Auskunft geben. Kapitel 2.3 ist der Kosten-Nutzen-Frage gewidmet. Kapitel 2.4 befasst sich mit der Vorbereitungshaft.

2.1

Anwendung der Ausschaffungshaft

Die Ausschaffungshaft gemäss Artikel 13b ANAG kann von der zuständigen kantonalen Behörde zur Sicherstellung des Vollzugs gegenüber einem Ausländer angeordnet werden, gegen den ein erstinstanzlicher Weg- oder Ausweisungsentscheid vorliegt, sofern ein Haftgrund besteht. Gemäss der «Kann»-Formulierung ist es den Behörden überlassen, Haft anzuordnen oder nicht. Laut Artikel 13b Absatz 1 ANAG kann Haft u.a. angeordnet werden, wenn der Ausländer gestützt auf Artikel 13a bereits in Vorbereitungshaft ist bzw. in Haft genommen werden könnte oder wenn konkrete Anzeichen befürchten lassen, dass er sich der Ausschaffung entziehen will.

Die Haft darf höchstens drei Monate dauern. Wenn dem Vollzug der Weg- oder Ausweisung besondere Hindernisse im Wege stehen, so kann die Haft um höchstens sechs Monate verlängert werden. Die Rechtmässigkeit und die Angemessenheit der Haft sind spätestens nach 96 Stunden durch eine richterliche Behörde zu überprüfen 8

Vgl. Schenker Silvia, Leslie Herrmann, Martin Killias (2004): La Délinquance parmi les Requérants d'Asile et les Effets des Mesures de Contrainte/Die Delinquenz unter Asylsuchenden und die Wirkung von Zwangsmassnahmen. Anhang 4 des Materialienbandes.

Dieser Bericht ist zweisprachig (deutsch und französisch) abgefasst.

2614

(Art. 13c Abs. 2 ANAG). Die Haft ist in geeigneten Räumlichkeiten zu vollziehen, wobei die Zusammenlegung mit Personen in Untersuchungshaft oder im Strafvollzug zu vermeiden ist (Art. 13d ANAG). Die Haft wird beendet, wenn der Haftgrund entfällt oder sich erweist, dass der Vollzug der Wegweisung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen undurchführbar ist, wenn einem Haftentlassungsgesuch entsprochen wird oder wenn die inhaftierte Person eine freiheitsentziehende Strafe antritt (Art. 13c Abs. 5 ANAG). Im Folgenden wird die Anwendungspraxis der Ausschaffungshaft in den untersuchten Kantonen zusammenfassend dargelegt.

Im Kanton BL ist das Amt für Migration (AfM) für die Umsetzung der Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht zuständig. In diesem Kanton wird das Instrument der Ausschaffungshaft konsequent und regelmässig angewendet. Grundsätzlich werden alle Personen in Haft genommen, die illegal anwesend sind, die z.B. einen negativen Asylentscheid erhalten haben und deren vom AfM gesetzte Ausreisefrist verstrichen ist. Im Untersuchungszeitraum (1.5.2001­31.12.2003) hat der Kanton BL insgesamt 337mal Ausschaffungshaft angeordnet. Die Mehrheit der inhaftierten Personen, 80 %, kann dem Rechtsgebiet Asyl9 zugeordnet werden. Die Zahl der ANAG-Fälle ist mit 20 % im Kantonsvergleich relativ gering (vgl. Abb. 2). Inhaftiert werden überwiegend Männer; lediglich 4 % sind Frauen, d. h. von den insgesamt 337 Inhaftierten waren es 13. Mehr als die Hälfte der inhaftierten Personen ist zwischen 18 und 29-jährig. 9 % sind unter 18 Jahre und 22 % zwischen 30 und 39 Jahre alt. Die kleinste Altersgruppe macht diejenige der über 40-Jährigen mit 6 % aus. Der grösste Teil der in Ausschaffungshaft genommenen Personen (34 %) stammt aus der Region Europa-Balkan.10 Afrika liegt mit einem Anteil von 23 % an zweiter Stelle. Gefolgt werden diese Regionen von Europa-Ost und dem Mittleren Osten mit je 13 %. Die Haftfälle aus den Regionen Europa-Balkan und Europa-Ost stammen zu 68 % aus dem Asylbereich und zu 32 % aus dem Rechtsgebiet ANAG.

Noch höher ist der Anteil von inhaftieren Asylsuchenden bei den Regionen Asien und Mittlerer Osten mit 89 % und Afrika mit 96 %. Im Kanton BL führen oft mehrere gesetzliche Haftgründe dazu, dass eine Person in Haft genommen wird. In den Akten wird dann nicht nur ein Buchstabe aus Artikel 13b Absatz
1 ANAG genannt, sondern es finden sich gleich mehrere. Die kumulierte Zahl der am häufigsten genannten Haftgründe führt zu folgendem Ergebnis: Bei etwas mehr als der Hälfte (55 %) der zwischen 2001­2003 in Ausschaffungshaft genommenen Personen wurde eine Untertauchensgefahr angenommen.11 Am zweithäufigsten, mit einem Anteil von 20 %, hat die Behörde geltend gemacht, dass die Personen gegen eine Ein- oder Ausgrenzung verstossen haben.12 Weiteren 18 % der inhaftierten Personen ist die Freiheit entzogen worden, weil sie eine Gefahr für Leib und Leben anderer Personen darstellten oder diese ernsthaft bedrohten.13 9

10 11 12 13

Das Rechtsgebiet umschreibt die beiden Personengruppen, auf welche die Zwangsmassnahmen im ANAG angewendet werden können, es sind dies die Asylsuchenden und die illegal anwesenden Ausländer (ANAG). Bei der Gruppe der Asylsuchenden handelt es sich um Personen, welche keine Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung besitzen und beim BFM ein Asylgesuch eingereicht haben, also unter die Asylgesetzgebung fallen.

Über ihr Asylgesuch ist entweder noch nicht entschieden oder es ist abgelehnt worden.

Bei den illegal anwesenden Ausländern liegt ein Verstoss gegen das ANAG vor (besitzen keine Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung).

Eine Übersicht zur Zuordnung der Staaten auf die Regionen findet sich in Anhang 2 des Materialienbandes.

Artikel 13b Absatz 1 Buchstabe c ANAG.

Artikel 13b Absatz 1 Buchstabe b in Verbindung mit Artikel 13a Buchstabe b ANAG.

Artikel 13b Absatz 1 Buchstabe b in Verbindung mit Artikel 13a Buchstabe e ANAG.

2615

Abbildung 2 Ausschaffungshaft: Rechtsgebiet nach Kantonen 100% 80% 60% 40% 20% 0% BL (N=337)

GE (N=56) ANAG

SH (N=48)

VS (N=744) ZH (N=5767)

Asyl

Quelle: IPZ/PVK

Im Kanton GE liegt die Anwendung der Zwangsmassnahmen im Zuständigkeitsbereich des Office cantonal de la population (OCP) sowie der Police judiciaire. In diesem Kanton herrscht der Grundsatz, die Ausschaffungshaft nur dann anzuordnen, wenn kein anderes Mittel zur Wegweisung des Ausländers, insbesondere einer Person mit abgewiesenem Asylgesuch, vorhanden ist. Im Wegweisungsvollzug soll zuallererst mit Überzeugungsarbeit und Rückkehrberatung erreicht werden, dass die illegal Anwesenden freiwillig ausreisen. In der untersuchten Zeit wurde die Ausschaffungshaft denn auch nur selten, nämlich insgesamt 56mal, angeordnet. Die Hälfte der Fälle konzentrierte sich auf das Jahr 2003. Mit 68 % überwiegen die Ausschaffungshaftfälle aus dem Rechtsgebiet Asyl. Zwischen 2001 und 2003 wurden vier Frauen inhaftiert. Die wichtigsten Altersgruppen sind mit 28 Personen die 18 bis 29-Jährigen und mit 23 Inhaftierten die 30 bis 39-Jährigen. Ein sehr grosser Teil der in Haft genommenen Personen stammt aus Afrika: 10 der 56 Inhaftierten kommen aus Afrika-West, 22 aus Afrika-Nord und sechs aus anderen Regionen Afrikas. Ein weiteres wichtiges Herkunftsgebiet ist mit elf inhaftierten Personen die Region Europa-Balkan. Alle Ausschaffungshaftfälle haben den gleichen Haftgrund: Ausschaffungshaft wurde im Kanton GE ausschliesslich wegen der Gefahr des Untertauchens angeordnet. Das erstaunt insofern, als in der Untersuchung zur Delinquenz der Genfer Ausschaffungshäftlinge (vgl. Kap. 4.2.1) aufgezeigt wird, dass das Gros der von Zwangsmassnahmen betroffenen Männer wegen Delinquenz aufgefallen ist. Für das OCP liegt der Grund für dieses Ergebnis darin, dass gemäss Gesetz und Genfer Justizpraxis das Indiz der Untertauchensgefahr aufgezeigt werden muss, da für die richterliche Behörde die Ausschaffungshaft keinen strafrechtlichen Charakter haben darf. Entsprechend werden Personen, die ein Rayonverbot missachten, nicht nach Artikel 13b Absatz 1 Buchstabe b ANAG in Haft gesetzt, sondern mit Gefängnis bestraft, wie das Artikel 23a ANAG vorsieht.

Im Kanton SH ist das Ausländeramt für den Vollzug der Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht zuständig. Die Ausschaffungshaft wird zurückhaltend angewendet.

Im ANAG-Bereich wird die Ausschaffungshaft zumeist wegen Verletzung fremden2616

polizeilicher Vorschriften und illegalem Aufenthalt sowie Delinquenz angeordnet.

Bei der Anordnung im Asylbereich werden folgende Kriterien berücksichtigt: Papierbeschaffung in nützlichem Zeitraum möglich; Bestehen einer Untertauchungsgefahr und Vorliegen von Straftaten. Zwischen 2001 und 2003 wurde im Kanton SH in 48 Fällen Ausschaffungshaft angeordnet, 60 % davon betrafen Asylsuchende. Insgesamt fünf Frauen wurden inhaftiert. Zwei der 48 Inhaftierten waren jünger als 18 Jahre. Mehr als die Hälfte war zwischen 18 und 29 Jahren alt. Bei den 30 bis 39-Jährigen liegt der Anteil bei 27 % und bei den über 40-Jährigen sind es noch 10 %. 58 % der in Haft genommenen Personen stammen aus dem Raum Europa-Balkan und Europa-Ost, gefolgt vom Mittleren Osten mit 19 % und Asien mit 17 %. 17 der 28 inhaftierten Personen aus dem Balkan und Osteuropa sind Asylsuchende, bei den 17 Fällen aus den Regionen Asien und Mittlerer Osten deren zehn.

Nur zwei Afrikaner wurden in dieser Zeit in Haft genommen, beides Asylsuchende.

Bei der grossen Mehrheit der Inhaftierten, knapp 84 %, führte eine erkennbare Gefahr des Untertauchens zur Haftanordnung. 10 % waren aufgrund einer Gefährdung von Leib und Leben in Haft.

Im Kanton VS ordnet die Dienststelle für Zivilstandswesen und Fremdenkontrolle (DZF) die Zwangsmassnahmen an. Ausschaffungshaft wird konsequent und regelmässig angewendet. Sie kommt häufiger im ANAG-Bereich als im Asylbereich zum Zuge. Ein Grund dafür ist die Transitlage des Kantons mit der internationalen Eisenbahnachse: Oft weisen italienische Grenzbeamte illegal Einreisende ins Wallis zurück. In Haft gesetzt werden kooperationsunwillige Asylsuchende oder auch solche, bei denen Zweifel bezüglich ihrer Identität herrschen. In den drei Untersuchungsjahren wurden im Kanton VS 744 Personen in Ausschaffungshaft genommen, 55 % davon betrafen den ANAG-Bereich. 12 % der Inhaftierten waren Frauen. Wie in den übrigen Kantonen ist die Mehrheit der in Haft gesetzten Personen zwischen 18 und 29 Jahre alt. Dieser Altersgruppe gehörten 65 % an, gefolgt wird sie von den 30 bis 39-Jährigen mit 24 %. In der untersuchten Zeit wurden insgesamt 20 Minderjährige inhaftiert. Bei den als minderjährig Registrierten kommt es nach Angaben der DZF vor, dass medizinische Abklärungen ein höheres Alter nachweisen. In der Statistik wird in
solchen Fällen indessen das anfänglich genannte Geburtsdatum erfasst. Andere befragte kantonale Behörden dieser Untersuchung bestätigten diese Erfahrung. Die häufigste Herkunftsregion der im Kanton VS Inhaftierten ist der Balkan (33 %). Aus Afrika stammen insgesamt 27 %. 13 % der in Ausschaffungshaft genommenen Personen kommen aus Europa-Ost, 10 % aus Asien und 7 % aus dem Mittleren Osten. Etwas mehr als die Hälfte der 342 aus Europa-Balkan und Europa-Ost stammenden Inhaftierten sind dem Rechtsgebiet Asyl zugeordnet. Bei den Personen aus den übrigen Regionen überwiegt jeweils das Rechtsgebiet ANAG.

Im Kanton VS wurde die Haft mit einer Ausnahme stets mit Artikel 13b Absatz 1 Buchstabe c ANAG, der Gefahr des Untertauchens, begründet.

Im Kanton ZH liegt der Vollzug der Zwangsmassnahmen beim Migrationsamt. Die Ausschaffungshaft wird gezielt und konsequent eingesetzt. Dabei wird die Ausschaffungshaft primär als ein Instrument zur Bekämpfung der urbanen Kriminalität gesehen. Diebstahl, Drogenhandel und Prostitution stehen im Vordergrund. Nach der polizeilichen Festnahme eines Ausländers überprüft das Migrationsamt, ob der Aufenthalt dieser Person unerwünscht ist. Bewegen sich die Personen in bestimmten Szenen, sind sie mittellos oder besteht keine Gewähr, dass sie die Schweiz fristgerecht verlassen, ist der Aufenthalt der Person unerwünscht und es kann eine Wegweisung ausgesprochen werden. Für den Vollzug wird die Person in Ausschaffungs2617

haft genommen. Besteht ein Straftatbestand, kümmert sich die Untersuchungsbehörde um den Fall. Im Asylbereich wird Ausschaffungshaft grundsätzlich dann angewendet, wenn ein rechtskräftiger Wegweisungsentscheid vorliegt oder die Personen nicht bereit sind, bei behördlichen Massnahmen mitzuwirken. Ebenfalls wird dann Ausschaffungshaft angeordnet, wenn Ausreisepapiere vorhanden sind, sich die Person aber weigert, auch nach Ablauf der Ausreisefrist die Schweiz freiwillig zu verlassen. Zwischen 2001 und 2003 sind 5767 Personen inhaftiert worden. Diese hohe Zahl von Ausschaffungshaftfällen hängt nach Angaben der Behörden damit zusammen, dass die Stadt Zürich ein Anziehungspunkt für illegal anwesende Ausländer mit kriminellen Absichten darstellt. Das Rechtsgebiet ANAG dominiert mit einem 74-Prozent-Anteil deutlich. 25 % der Personen, die im Kanton ZH zwischen 2001 und 2003 in Haft genommen wurden, sind Frauen. Dieser ungewöhnlich hohe Frauenanteil wird durch die Behörden damit erklärt, dass die Stadt Zürich eine relativ grosse Milieuszene aufweist. Fast drei Fünftel der verhafteten Personen war zwischen 18 und 29 Jahre alt. Gefolgt wird diese Alterskategorie von den 30 bis 39-Jährigen mit 26 %. 12 % fielen auf die über 40-Jährigen. Der grösste Teil der Inhaftierten stammte aus der Region Europa-Balkan (31 %) und Europa-Ost (20 %).

Der Kanton ZH hat mit 22 % einen hohen Anteil von Personen aus ­ im Vergleich mit den anderen Kantonen ­ untypischen Herkunftsländern; bei fast allen handelt es sich um illegal Anwesende. Etwa ein Drittel von ihnen stammt aus Brasilien, ein weiteres Drittel aus dem restlichen Südamerika und das letzte Drittel aus europäischen Staaten (ohne Balkan und Osteuropa). Aus Afrika schliesslich kommen 15 % der Inhaftierten, die Hälfte von ihnen aus Westafrika. Asien folgt mit einem 6 %-Anteil und der Mittlere Osten mit einem Anteil von 5 %. Während die Asylsuchenden in erster Linie aus Afrika stammen, kommen die illegal Anwesenden überwiegend aus dem Balkan und Osteuropa. In 5425 Fällen wurde Artikel 13b Absatz 1 Buchstabe c ANAG, die Untertauchensgefahr, als Haftgrund geltend gemacht. Fast 4000 dieser Fälle wurden aber nicht durch den Haftrichter überprüft, da die Inhaftierten aufgrund der 96-Stunden-Frist nicht vor die richterliche Behörde geführt werden mussten. In diesen Fällen hat
das Migrationsamt den Haftgrund festgelegt.

Die Personen wurden in erster Linie wegen der Gefahr des Untertauchens kurz vor ihrer Rückführung in Haft gesetzt. Mit grossem Abstand wird am zweithäufigsten Artikel 13b Absatz 1 Buchstabe b ANAG mit 333 Haftfällen angewendet. Dabei liegt ein Verstoss gegen eine Ein- oder Ausgrenzung sowie delinquentes Verhalten im Vordergrund. Ein weiterer, bei neun Fällen angeführter Haftgrund ist Artikel 13b Absatz 1 Buchstabe a ANAG. Dieser Artikel besagt, dass Personen in Ausschaffungshaft genommen werden, wenn sie sich gestützt auf Artikel 13a bereits in Vorbereitungshaft befinden.

Unter den fünf Kantonen sind einige Gemeinsamkeiten zu eruieren, vor allem aber zahlreiche Unterschiede. Ausschaffungshaft, so ein erster Berührungspunkt, wird in allen Kantonen vorwiegend auf 18 bis 39-Jährige angewendet. Die meisten sind männlichen Geschlechts; nur der Kanton ZH hat mit 25 % einen erheblichen Frauenanteil. Altersstruktur, Geschlecht und z.T. auch Herkunftsregion entsprechen weitgehend den Anteilen, wie sie aus der schweizerischen Asylstatistik bekannt sind. Hinsichtlich der Hauptherkunftsstaaten sind zwischen den Kantonen einige Gemeinsamkeiten festzustellen, wie etwa der stets beträchtliche oder sehr hohe Anteil von Personen aus dem Balkan. Im Kanton GE wird dieser Anteil indes von den aus Afrika stammenden Personen deutlich übertroffen, während der Anteil der im Kanton SH inhaftierten Afrikaner minimal ist. Im Kanton ZH sind Personen aus Lateinamerika überdurchschnittlich stark vertreten. Rückt man die Fallzahlen ins 2618

Zentrum der Betrachtung, so zeigt sich ein breites Spektrum: am unteren Ende steht der «kleine» Kanton SH mit 48 Fällen, am oberen der Kanton ZH mit 5767. Dies ­ wie auch die Fallzahlen der Kantone BL und VS ­ konnte u.a. aufgrund der kantonalen Zuweisungsquoten des BFM im Asylbereich erwartet werden. Überraschend ist hingegen die seltene Anordnung der Haft im Kanton GE. Ursache dieser Diskrepanz ist die unterschiedliche kantonale Anwendungspraxis. Im Kanton GE wird im Asylbereich primär auf Rückkehrberatung gesetzt und auf freiwillige Ausreise hingearbeitet; die Ausschaffungshaft wird als letztes Mittel betrachtet. Überdies setzt die haftgerichtliche Instanz der Anwendung Grenzen, da bei Haftüberprüfung die Rückführungsmöglichkeit schon sehr gesichert sein muss. Die Kantone BL, VS und ZH, welche die Ausschaffungshaft häufig anwenden, beachten bei wegzuweisenden Ausländern ebenfalls die Rückführungsmöglichkeit, beanspruchen in deren Interpretation aber einen grösseren Freiraum. So werden auch jene in Haft genommen, bei denen eine Rückführung schwierig, aber möglich ist. Im Kanton SH wird Ausschaffungshaft primär bei Personen angewendet, die mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschafft werden können.

Zwar ist in allen Kantonen die Untertauchensgefahr (Art. 13b Abs. 1 Bst. c) der meist oder ausschliesslich genannte Haftgrund, doch zeigt sich die Unterschiedlichkeit der kantonalen Praxis auch in diesem Bereich: BL und ZH wenden relativ oft auch Buchstabe b an, demzufolge Verletzung von Rayonverboten oder die Gefährdung von Leib und Leben als Haftgrund gelten. Im Kanton BL gilt die zweimalige Verletzung eines Rayonverbotes denn auch als Ausschaffungshaftgrund, während im Kanton GE in solchen Fällen Artikel 23a ANAG beigezogen wird, in dem dafür Gefängnis vorgesehen ist. Unterschiede finden sich schliesslich auch bei den Hauptzielgruppen der Ausschaffungshaft: In den Kantonen GE, BL und SH ist die Haft hauptsächlich auf Asylsuchende im Wegweisungsvollzug gerichtet; in den Kantonen ZH und VS sind es illegal anwesende Ausländer, welche die Mehrheit stellen.

Die Problematik der unterschiedlichen Anwendung der Zwangsmassnahmen in den Kantonen wurde in den Interviews der PVK angesprochen. Für die befragten kantonalen Behörden bereitet dies keine besonderen Probleme und ist Ausdruck des Vollzugsföderalismus. Die
Unterschiede seien auf die Kantonsgrösse, die politischen Verhältnisse, die finanziellen und personellen Ressourcen sowie die kantonale Prioritätensetzung in der Migrationspolitik zurückzuführen. Für eine effiziente Arbeit des BFM hingegen ist diese Uneinheitlichkeit mit Problemen verbunden. Die föderalistische Vollzugspolitik führe zu Koordinationsproblemen bei der Ausführung der Ausreiseorganisation und zu einem Kontrollverlust. Von nichtbehördlicher Seite wird die unterschiedlich intensive Anordnung von Zwangsmassnahmen kritisiert. Diese rufe bei den Betroffenen Unverständnis hervor oder auch den Eindruck, dass hinter der Anwendung der Zwangsmassnahmen Willkür oder Fremdenfeindlichkeit stehen, was die Akzeptanz der Verfügungen mindere.

2.2

Dauer der Ausschaffungshaft und Haftergebnis

Merkmale wie Haftgründe oder Herkunftsregion der Ausschaffungshäftlinge mögen die kantonale Anwendungspraxis zwar charakterisieren, entscheidend aber ist die Frage, in welchen Kantonen denn das zentrale Ziel der Ausschaffungshaft, nämlich eine Rückführung der inhaftierten Personen, am häufigsten erreicht worden ist, nach welcher Haftdauer und bei welchen Personengruppen. In Kantonen mit hohen Fall2619

zahlen und in der Gesamtauswertung konnten hierzu auf statistischer Basis signifikante Zusammenhänge eruiert werden.

2.2.1

Ausschaffungshaftdauer

Eine einfache Masszahl für die Haftdauer ist deren Mittelwert: Im Kanton BL hat die Haft im Untersuchungszeitraum durchschnittlich 47 Tage gedauert, im Kanton GE 38, im Kanton VS 30 Tage, im Kanton ZH 22 Tage und im Kanton SH noch 20 Tage. Werden die Rechtsbereiche separat betrachtet, zeigt sich, dass der Asylbereich in der Regel eine z.T. beträchtlich höhere mittlere Haftdauer aufweist als der ANAG-Bereich.14 Es versteht sich, dass tiefe Mittelwerte stark mit der Häufigkeit der angeordneten kurzen Inhaftierungen zusammenhängen. Dies ist unterstehender Grafik zu entnehmen, in der die Inhaftierungsdauer auf fünf Kategorien15 aufgeteilt ist: Abbildung 3 Ausschaffungshaft: Haftdauer nach Kantonen (ANAG- und Asylbereich) 100% bis 9 Mte 80% bis 6 Mte 60% bis 3 Mte 40%

bis 1 Mte

20%

bis 4 Tage

0% BL (N=337) GE (N=56)

SH (N=48) VS (N=744)

ZH (N=5767)

Quelle: IPZ/PVK

In den untersuchten Kantonen bleiben knapp 60 bis gut 80 % der Inhaftierten weniger lang als einen Monat in Haft. Die über sechs Monate dauernden Haftaufenthalte sind selten und bewegen sich zwischen null (Kanton SH) und 4 % (Kanton BL). In vier Kantonen hat die Kurzhaft von bis zu vier Tagen die höchsten Anteile, in den Kantonen SH und ZH am deutlichsten. Im Kanton GE sind die bis einen und die bis 14 15

Mittlere Haftdauer im ANAG- und Asylbereich nach Kantonen: BL 15 Tage im Bereich ANAG/55 Tage im Bereich Asyl; GE 53/31; SH 5/31; VS 21/40 und ZH 10/54.

Die Kategorienbildung korrespondiert mit den gesetzlichen Bestimmungen zur Haftdauer.

Die erste Kategorie bildet die Haftdauer bis vier Tage, da innerhalb 96 Stunden die Rechtmässigkeit und die Angemessenheit der Haft durch eine richterliche Behörde zu überprüfen ist. Die Haftdauer bis zu drei Monaten ist an der Bestimmung ausgerichtet, dass die Ausschaffungshaft gemäss Artikel 13b Absatz 2 ANAG höchstens drei Monate dauern darf, aber mit Zustimmung der richterlichen Behörde anschliessend um sechs Monate verlängert werden kann.

2620

drei Monate dauernden Inhaftierungen etwas häufiger als die Kurzhaften. Die Kantone GE und SH zeichnen sich durch geringe Anteile bei den über drei Monate währenden Haftfällen aus. Die Kantone BL und VS hingegen haben vergleichsweise hohe Anteile bei den über drei Monate bis zu den neun Monate dauernden Inhaftierungen. Um ein Beispiel zu den Grössenordnungen in absoluten Zahlen zu geben: Über sechs Monate bis zur Maximaldauer wurden in BL 14 Personen inhaftiert, im Kanton GE eine Person, im Kanton VS deren 17 und im Kanton ZH 81, wovon 62 Asylsuchende. Unterzieht man die längste Haftperiode einer Feinbetrachtung, so kann festgestellt werden, dass im Kanton BL fünf Personen die maximale Haftdauer erreichten; im Kanton ZH sind 29 Personen zwischen acht und neun Monaten inhaftiert geblieben und im Kanton VS deren sechs, einer davon ganze neun Monate. Im Kanton GE dauerte der längste Fall sieben Monate. Während in den Kantonen BL und GE aufgrund des tiefen Anteils der illegal anwesenden Personen in allen bzw.

fast allen Haftperioden die Fälle der Asylsuchenden zahlreicher sind, trifft dies bei den anderen Kantonen nur für die längeren Haftzeiten ab einem Monat zu. Im Kanton ZH sind 85 % der 3926 bis zu vier Tagen Inhaftierten illegal Anwesende.16 Asylsuchende haben bloss einen Anteil von 15 %. 640 illegal anwesende Ausländer bleiben bis zu einem Monat inhaftiert, bei den Asylsuchenden sind es 300. Bei den folgenden Haftperioden überwiegt der Asylbereich mit ca. zwei- bis viermal so vielen Personen (bis zu 3 Monaten: 313 Asylsuchende gegenüber 166 illegal anwesenden Personen; bis zu 6 Monaten: 273 gegenüber 68 und bis zu 9 Monaten: 62 gegenüber 19).

Wie es bereits die Mittelwerte der Hafttage signalisieren, zeigt sich hinsichtlich der Haftperioden ebenfalls eine ungleichförmige Anwendung der Ausschaffungshaft in den Kantonen. Gründe für die Differenzen sind in den unterschiedlichen Anwendungspraxen der Migrationsämter und im Rückführungserfolg nach drei Monaten zu suchen, aber auch in der richterlichen Praxis bei der Haftüberprüfung und bei der Beurteilung von Haftverlängerungsgesuchen. Ein Problem stellt sich bei den vielen kurzen, unter vier Tagen dauernden Haftfällen. Da diese nie durch eine richterliche Behörde überprüft wurden, stellt sich die Frage, ob ein Haftgrund bestanden hat.

2.2.2

Haftergebnisse im Zusammenhang mit der Haftdauer

Als Haftergebnis wurden in der Erhebung der PVK die Varianten Rückführung in den Heimatstaat, Rückführung in einen Drittstaat, Entlassung durch das Migrationsamt, Entlassung durch den Haftrichter oder Überführung in die Untersuchungshaft oder den Strafvollzug erfasst. Die detaillierten Angaben hierzu finden sich in den Fallbeispielen im Materialienband. Hier sei bloss zusammenfassend erwähnt, dass das gewichtigste Ergebnis, von der Rückführung einmal abgesehen, die Entlassung der illegal anwesenden Personen und Asylsuchenden durch das Migrationsamt ist, was in der Folge in ein Untertauchen oder eine unkontrollierte Ausreise münden kann. Die anderen Abgangsarten erreichen bloss Werte im Bereich von einem bis wenigen Prozenten. In der untenstehenden Tabelle sind die Ergebniskategorien auf die Varianten Rückführung/Keine Rückführung reduziert, wobei jeweils die

16

Vgl. dazu auch die Tabelle in Anhang 3: Dort sind die Haftfälle in Bezug auf Haftdauer, Rechtsgebiet und Haftergebnis pro Kanton dargestellt.

2621

Gesamtquote pro Kanton und die Werte in den Bereichen ANAG und Asyl aufgezeigt werden.

Tabelle 1 Rückführungsquoten nach Ausschaffungshaft pro Kanton Gesamt

ANAG

Asyl

Rückführung

keine Rückführung

Rückführung

keine Rückführung

Rückführung

keine Rückführung

BL

59% (n=199)

41% (n=138)

75% (n=51)

25% (n=17)

55% (n=148)

45% (n=121)

GE

50% (n=28)

50% (n=28)

50% (n=9)

50% (n=9)

50% (n=19)

50% (n=19)

SH

92% (n=44)

8% (n=4)

100% (n=19)

0%

86% (n=25)

14% (n=4)

VS

77% (n=570)

23% (n=174)

87% (n=356)

13% (n=52)

64% (n=214)

36% (n=122)

ZH

86% (n=4978)

14% (n=789)

95% (n=4025)

5% (n=208)

62% (n=953)

38% (n=581)

73%

27%

81%

19%

63%

37%

Mittelwert der kantonalen Quoten

Quelle: IPZ/PVK

In der Gesamtauswertung zeigt sich, dass die Rückführungsquoten in den Kantonen unterschiedlich hoch sind und von 50 % im Kanton GE bis 92 % im Kanton SH reichen. Die Ausschaffungshaft erweist sich ­ vom Kanton GE abgesehen ­ im ANAG-Bereich als wirksamer als im Asylbereich. Der Mittelwert der kantonalen Quoten bei den illegal Anwesenden liegt bei 81 %.17 Diese hohe Quote wird vielfach dadurch erklärt, dass die illegal Anwesenden meistens Reisedokumente besitzen, aus Ländern kommen, mit denen die Schweiz bei der Rückübernahme von Staatsangehörigen keine Schwierigkeiten hat und die illegal anwesenden Personen selber mehrheitlich kein Interesse an einem Gefängnisaufenthalt haben, da sie darauf aus sind, möglichst bald wieder den angestrebten Verdienstmöglichkeiten nachzugehen. Die Rückführungsquote im Asylbereich fällt um einiges geringer aus und beträgt im kantonalen Quotenmittel 63 %. Nur der Kanton SH liegt mit 86 % nach der Haft ausgeschaffter Asylsuchenden sehr deutlich über diesem Mittelwert. Ein Grund dafür liegt darin, dass dieser Kanton zumeist nur solche Personen in Haft nimmt, deren Rückführung mit hoher Wahrscheinlichkeit als gesichert erscheint. In den anderen Kantonen werden proportional häufiger Asylsuchende inhaftiert, die keine Dokumente haben, deren Identitätsabklärung und Papierbeschaffung mit Schwierigkeiten verbunden ist und die aus Ländern kommen, meistens afrikanischen, mit denen die Schweiz keine Rückübernahmeabkommen abgeschlossen hat.

Die geringe Quote im Kanton GE hängt stark damit zusammen, dass zahlreiche 17

Die Rückführungsquote im ANAG-Bereich liegt sogar noch höher, nämlich bei 94 % (n=4460), wenn vom Total aller ANAG-Fälle der untersuchten Kantone ausgegangen wird. Im Asylbereich dagegen beträgt die Rückführungsquote 62 % (n=1359), wenn die Fälle dieser Kantone gesamthaft ausgewertet werden. In der Gesamtauswertung (beide Bereiche zusammen) erhöht sich die Quote auf 84 % (n=5819).

2622

Algerier inhaftiert wurden, für die das Konsulat ein Laissez-Passer ausgestellt hatte, die sich dann aber einer Ausschaffung durch Widerstand entzogen und so erreichten, dass keine Fluggesellschaft sie zu transportieren bereit war.

Wird die Rückführungsquote in den einzelnen Inhaftierungsperioden analysiert, so ergeben sich ebenfalls starke Differenzen. Bei allen Kantonen und in beiden Rechtsbereichen nimmt sie nach der Haftlänge von einem Monat in aller Regel ab. Stellvertretend für diese Tendenz sollen hier die Rückführungsquoten in zwei Kantonen mit unterschiedlicher Anwendungspraxis besprochen werden, die Werte der übrigen Kantone können der Tabelle in Anhang 3 entnommen werden. Im Kanton SH beträgt die Rückführungsquote bei den illegal anwesenden Personen sowohl bei den 17 Haftfällen bis zu vier Tagen als auch bei den beiden bis zu einem Monat dauernden Fällen 100 %. Im Kanton VS können in den ersten vier Tagen 93 % der inhaftierten illegal Anwesenden oder 168 Personen ausgeschafft werden; innert einem Monat sind es noch 92 % (144 Personen), bis drei Monate 67 % (31), bis 6 Monate 55 % (12) und bis neun Monate 33 % (1). Bei den weggewiesenen Asylsuchenden zeigten sich folgende Tendenzen: Im Kanton SH wurden 100 % (13 Personen) innerhalb von vier Tagen rückgeführt, 83 % (5) innert eines Monats, 75 % (6) innert drei Monaten und 50 % (1) innert sechs Monaten. Der Kanton VS kann 55 % der Kurzinhaftierten (59 Personen) ausschaffen, bei den bis zu einem Monat dauernden Haftfällen steigt die Quote auf 89 % (111), danach sinkt sie bei den bis zu dreimonatigen Fällen auf 63 % (35), bei den bis sechsmonatigen auf 23 % (8) und bei den bis zu neunmonatigen auf 7 % (1). Die Rückführungsquote in der längsten Haftperiode ist in BL mit 14 % (2) etwas höher und im Kanton ZH mit 29 % (18) viermal so hoch. Im Unterschied zu den anderen Kantonen liegt der tiefste Anteil an Rückgeführten bei den bis zu sechs Monaten dauernden Haftfällen (17 % oder 47 Personen) und nicht bei der längsten Haftperiode. 226 Asylsuchende wurden in der zweitlängsten Haftperiode entlassen, sei es, um noch Haftzeit für eine erneute Inhaftierung offen zu halten oder weil der Haftgrund nicht mehr gegeben war. Die Haft wurde bei jenen Personen verlängert, bei denen relativ intakte Rückführungschancen bestanden. Diese Triage führte zur
Erhöhung des Rückführungsanteils in der letzten Haftperiode. Dennoch konnte schliesslich bloss jeder Dritte ausgeschafft werden.

In der Gesamtauswertung kann feststellt werden, dass nur bei den kurzen und bis zu einem Monat dauernden Haftfällen über 80 % liegende Rückführungsquoten eruiert werden können; bei den Inhaftierungen ab drei Monaten fallen die Quoten deutlich.

Dass die Ausschaffungshaft vor allem bei den Kurzinhaftierten und ­ unterschieden nach Rechtsbereichen ­ bei den illegal Anwesenden wirksam ist, zeigt Abbildung 4.

Hier wird die vorhergesagte Wahrscheinlichkeit einer Rückführung (y-Achse) über die Variable Haftdauer (x-Achse) hinweg aufgrund der Daten aller fünf untersuchten Kantone dargestellt.

2623

Abbildung 4 Ausschaffungshaft: Haftdauer-Haftergebnis

Wahrscheinlichkeit Rückführung

1

.8

.6

.4

.2 ANAG Asyl

0 0

40

80

120

160

200

240

280

Haftdauer in Tagen Quelle: IPZ

Die Abbildung zeigt, dass sich das Rechtsgebiet und die Haftdauer auf die Wahrscheinlichkeit einer Rückführung auswirken. Die Wahrscheinlichkeit einer Ausschaffung verringert sich im Laufe der Haftdauer stark, liegt aber bei den illegal anwesenden Personen generell höher als bei den Asylsuchenden. Betrachtet man die Regionen, aus denen die in Ausschaffungshaft gesetzten Personen kommen, so ist die Rückführungswahrscheinlichkeit nach Haftdauer bei Personen aus dem Balkan stets deutlich höher als jene der Ausreisepflichtigen aus Afrika.18 Die kantonalen Rückführungsquoten hinsichtlich der Haftdauer zeigen besonders im Asylbereich auf, dass die Ausschaffungshaft vor allem bei kurzen Inhaftierungen in eine Rückführung mündet. Werden Personen länger in Haft belassen, so sinkt diese Quote stark. Einzelne Kantone wie SH oder GE greifen fast nie zu lang dauernder Haft, was darauf hinweist, dass Artikel 13c Absatz 5 Buchstabe a ANAG, wonach die Haft beendet wird, wenn der Haftgrund entfällt oder sich erweist, dass der Vollzug der Weg- oder Ausweisung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen undurchführbar ist, unterschiedlich interpretiert wird. Betrachtet man die langen Haftfälle und ihr Ergebnis, dass nur knapp jeder dritte bis zehnte inhaftierte Asylsuchende schliesslich ausgeschafft wird, kann die Vermutung nicht von der Hand gewiesen werden, dass die Haft in gewissen Fällen auch als Druckmittel im Sinne einer Beugehaft eingesetzt wird. In den Interviews mit der PVK haben verschiedene nichtbehördliche Stellen diese Ansicht vertreten. In anderen Fällen mag es auch daran liegen, dass die Papierbeschaffung letztendlich gescheitert ist.

18

Die entsprechende Grafik findet sich in Anhang 3 des Materialienbandes auf S. 10.

2624

Die Frage, ob und wie sich eine eventuelle Verlängerung der maximalen Dauer der Ausschaffungshaft auf die Rückführungsquote auswirken wird, kann aufgrund der vorliegenden statistischen Analyse nicht beantwortet werden, weil sie die IstKonzeption untersucht hat. Einige der von der PVK befragten Migrationsämter versprechen sich von einer Verlängerung aber einen psychologischen Effekt (Abschreckung) und eine erhöhte Kooperationsbereitschaft der Inhaftierten bei der Identitätsabklärung und Papierbeschaffung. Verschiedene befragte Stellen haben indessen beobachtet, dass sich schon bei der jetzigen Konzeption der Ausschaffungshaft innert relativ kurzer Zeit entscheidet, wer kooperiert und wer nicht. Das bestätigt auch die vorliegende Untersuchung, indem sie aufzeigt, dass sowohl im Asyl- wie im ANAG-Bereich bei kurzen Inhaftierungen hohe Rückführungsquoten erreicht werden und die jetzige Maximaldauer von neun Monaten gewisse Inhaftierte nicht zu einer Kooperation bzw. Ausreise bewegt. Ob eine Verlängerung der Haft in solchen Fällen eine signifikante Änderung herbeiführen würde, kann deshalb bezweifelt werden.

2.2.3

Die Bedeutung der Ausschaffungshaft im Vollzugsprozess im Asylbereich

Werden die Ergebnisse zur Ausschaffungshaft den Abgängen und Vollzugsmeldungen des BFM gegenübergestellt, kann aufgezeigt werden, welche Bedeutung sie in diesem Rahmen haben. Dabei wird nur die Ausschaffungshaft im Asylbereich betrachtet. Ein entsprechender Vergleich im ANAG-Bereich ist wegen uneinheitlicher bzw. fehlender Daten und Referenzgrössen nicht möglich. Die Angaben der einzelnen Kantone in Tabelle 2 sind den Jahresstatistiken des BFM entnommen. In der Tabelle sind nur die effektiven Abgänge verzeichnet; Vollzugspendenzen sind darin nicht berücksichtigt.

2625

Tabelle 2

GE

SH

VS

ZH

116

19% 567 23%

Total Abgänge

Kompetenz Kanton und andere Abgänge (absolut und prozentual)

724

137

1213

10%

60%

11%

100%

277

1439

208

2491

11%

58%

8%

100%

93

60

314

69

536

17%

11%

59%

13%

100%

397

278

1191

114

1980

20%

14%

60%

6%

100%

1565

1006

4357

737

7665

20%

13%

57%

10%

100%

Ausschaffungshaft mit Haftergebnis Rückführung (absolut und prozentual)

236

Total Anordnungen von Ausschaffungshaft

BL

Unkontrollierte Abreise (absolut und prozentual)

Kontrollierte, selbstständige Ausreise (absolut und prozentual) Rückführung Heimatstaat / Drittstaat (absolut und prozentual)

Abgänge und Vollzugsmeldungen

204

112

Anteil Rückführungen Heimatstaat/Drittstaat mit vorhergehender Ausschaffungshaft

Abgänge und Vollzugsmeldungen im Asylbereich im Vergleich zur angeordneten Ausschaffungshaft 2001­2003 (BL: 2002­2003)19

97%

55% 38

19

7%

50% 29

25

42%

86% 336

214

77%

64% 1534

953

95%

62%

Quelle: BFM/PVK

Ein erster Blick auf die Tabelle zeigt auf, dass die Prozentanteile der Abgangsarten im Vergleich zwischen den Kantonen nur wenig voneinander abweichen. So hat der Kanton GE mit 23 % den höchsten Anteil bei den kontrollierten, selbstständigen Ausreisen, der Kanton SH mit 17 % den tiefsten (zweite Spalte). Auch die Rückführungen, darunter fallen die im Anschluss an eine Ausschaffungshaft Rückgeführten und alle polizeilich zum Flugzeug begleiteten Personen ohne Haft, sind in den Kantonen ähnlich hoch (zwischen 10 und 14 %; dritte Spalte). Werden die absoluten Zahlen betrachtet, fällt auf, dass der Kanton GE bei den Rückführungen im Vergleich mit den anderen Kantonen nicht an zweiter Stelle liegt, wie dies in vorliegender Kantonsauswahl seiner Position gemäss dem Verteilschlüssel des BFM20 entsprechen würde und bei seinen andern Abgängen und Vollzugsmeldungen auch 19

20

Zur Erläuterung der Tabellenrubriken: In der Spalte kontrollierte, selbstständige Ausreise sind jene Personen aufgeführt, die die Schweiz nachweisbar selbstständig verlassen haben. Bei den Rückführungen handelt es sich um jene Personen, die zwangsweise in ihren Heimat- oder in einen Drittstaat zurückgeführt wurden. Unkontrollierte Abreise steht für jene Personen, deren Aufenthaltsort gemäss fremdenpolizeilicher Mitteilung nicht bekannt ist. Kompetenz Kanton umfasst jene, die eine fremdenpolizeiliche Regelung nach ANAG (z.B. Heirat) erhalten haben und unter den anderen Abgängen finden sich u.a. Personen, die während dem Vollzugsprozess gestorben sind oder deren Aufenthaltsgeschäft infolge Mehrfachregistrierung abgeschrieben wurde. BL ohne 2001, weil die Daten zur Ausschaffungshaft nicht das ganze Jahr umfassen.

Im Verteilschlüssel haben die fünf untersuchten Kantone folgende Anteile: BL 3,7 %, GE 5,6 %, SH 1,1 %, VS 3,9 % und ZH 17 %.

2626

zutrifft. Dieser Kanton greift offenbar weniger zum Mittel der Ausschaffung, hat aber im Vergleich zum Kanton VS eine recht hohe Anzahl von selbstständigen Ausreisen. In Abbildung 5 sind die Abgänge und Vollzugsmeldungen aus Tabelle 2 zur Verdeutlichung grafisch dargestellt (Spalte 2­5).

Abbildung 5 Abgänge und Vollzugsmeldungen im Asylbereich 2001­2003 (BL: 2002­2003) 100% 90%

Kompetenz Kanton und andere Abgänge

80% 70%

Unkontrollierte Abreise

60% 50%

Rückführung Heimatstaat/Drittstaat

40% 30%

Kontrollierte, selbstständige Ausreise

20% 10% 0% BL (N=1213)

GE (N=2491)

SH (N=536)

VS (N=1980)

ZH (N=7665)

Quelle: BFM

Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf die Kategorie der Rückführungen Heimatstaat/Drittstaat. Deren Anteile liegen in den untersuchten Kantonen, wie erwähnt, zwischen 10 und 14 %. Werden die Rückführungen nun in Relation mit der Zahl der Personen, die zuvor in Ausschaffungshaft waren, gesetzt, zeigen sich grosse Unterschiede. Die Kantone BL und ZH nahmen 97 bzw. 95 % der Rückzuführenden vorgängig in Ausschaffungshaft, während etwa im Kanton GE nur 7 % der Rückgeführten vorhergehend inhaftiert waren, wie Abbildung 6 zu entnehmen ist (vgl. dazu auch Tab. 2 letzte Spalte).

2627

Abbildung 6 Rückführungen mit und ohne Ausschaffungshaft 2001­2003 (BL: 2002­2003) 100% 80%

Rückführungen ohne vorhergehende Ausschaffungshaft

60% 40%

Rückführungen mit vorhergehender Ausschaffungshaft

20% 0% BL (N=116) GE (N=277) SH (N=60) VS (N=278)

ZH (N=1006)

Quelle: PVK

Im Kanton VS wurden 77 % und im Kanton SH 42 % der ausgeschafften Personen vorgängig inhaftiert. Im Kanton ZH wurden die meisten Ausreisepflichtigen vor der Abreise kurz inhaftiert, damit diese nicht untertauchen und die aufwändigen Rückreisevorbereitungen der Behörden nicht vergeblich waren. Nur wenige Ausgeschaffte, nämlich 5 % wurden ohne vorherige Ausschaffungshaft polizeilich zum Flughafen begleitet. Dabei handelte es sich insbesondere um Familien. Ein verwandtes Bild zeigen die Kantone BL und VS. Der Kanton SH hingegen hat einen vergleichsweise tiefen Anteil der vorher in Ausschaffungshaft inhaftierten Personen (42 %). Es werden demnach relativ viele Ausländer ohne vorherige Haft ­ und in dem Punkt dem Kanton GE ähnlich ­ mittels polizeilicher Begleitung an den Flughafen ausgeschafft. Dieses Ergebnis zeigt auf, dass die Häufigkeit der angeordneten Ausschaffungshaft nicht zwingend mit einem höheren Rückführungsanteil bei den Abgängen im Asylbereich einhergeht und sie nur eine Möglichkeit im Ausschaffungsinstrumentarium ist.

In Anbetracht der kantonalen Unterschiede stellt sich die Frage, inwiefern Ausschaffungshaft zur Sicherstellung einer Wegweisung notwendig ist. So liegen die Anteile der Rückgeführten im Kanton GE und im Kanton ZH sehr nahe beieinander (11 bzw. 13 %). Der Kanton GE nahm von den Rückgeführten nur 7 % vorher in Ausschaffungshaft, der Kanton ZH aber 95 %. In den Interviews mit der PVK haben Vertreter nichtbehördlicher Stellen bezweifelt, ob eine Haftanordnung vor der Rückführung in jedem Fall notwendig ist und ob tatsächlich ein Haftgrund vorliegt.

Hinsichtlich des Kantons ZH wurde betont, dort würden auch leicht Auszuschaffende inhaftiert, bei denen kein Haftgrund gegeben sei und konkrete Anzeichen fehlen würden, dass sich der Betreffende der Ausschaffung entziehen wolle. Da die Ausschaffung in solchen Fällen innert vier Tagen erfolgt, wird die Haftanordnung von keiner richterlichen Behörde geprüft.

Tabelle 2 zeigt im Weiteren auch die unterschiedlich hohen Rückführungsquoten bei den inhaftierten Asylsuchenden auf (zweitletzte Spalte): im Kanton ZH wurden insgesamt 62 % der 1534 Inhaftierten rückgeführt, 581 konnten nicht ausgeschafft 2628

werden. Im Kanton GE beträgt die Quote nur 50 %, was aber bloss 19 Personen entspricht. Dies fällt insbesondere unter dem finanziellen Gesichtspunkt ins Gewicht. Auf die Kosten der Rückführungen wird im nächsten Kapitel eingegangen.

In Abbildung 5 und Tabelle 2 sind zudem die Anteile der unkontrollierten Abreisen dargestellt. Zwischen den Kantonen bestehen in diesem Punkt nur geringe Unterschiede. Die Frage, ob eine häufige Anordnung von Ausschaffungshaft bewirkt, dass weniger ausreisepflichtige Asylsuchende untertauchen können oder dass dies im Gegenteil zu vermehrtem Untertauchen führt, kann aufgrund der Tabelle nicht beantwortet werden. Die Unterschiede zwischen den Anteilen der Rückgeführten, die vorher in Ausschaffungshaft waren, kann durch die vorliegenden Resultate nicht dadurch erklärt werden, dass in städtischen Ballungsgebieten eine grössere Untertauchensgefahr besteht, weshalb die Rückführung durch eine vorherige Ausschaffungshaft sichergestellt werden muss. Die Kantone GE und ZH haben beide grosse Zentren, ähnlich hohe Rückführungsanteile bei den Vollzugsmeldungen, aber eine unterschiedlich intensive Haftanordnungspolitik.

Um mögliche Auswirkungen der Ausschaffungspraxis auf den Wegweisungsvollzugsprozess festzustellen, werden im Folgenden dessen Personenbestände Ende 2000 und 2003 aufgelistet (ohne vorläufig Aufgenommene). Personen im Vollzugsprozess sind jene, deren Asylgesuch rechtskräftig abgelehnt wurde und die sich im Ausreiseprozess befinden.21 Der folgenden Tabelle 3 steht die Annahme zugrunde, dass die Personenzahl im Vollzug den Anteilen gemäss dem Verteilschlüssel der Asylsuchenden entspricht. Die tatsächlichen Bestände werden mit einem «Soll»Wert in Bezug gesetzt, der aus dem Total aller Personen im Vollzugsprozess in der ganzen Schweiz in den entsprechenden Jahren abgeleitet ist. Jenes Total wird entsprechend dem Verteilschlüssel der Asylgesuche auf die einzelnen untersuchten Kantone aufgeteilt.

21

In der BFM-Statistik werden folgende Unterscheidungen getroffen: Personen, bei denen der Vollzugsprozess ausgesetzt ist, bei denen die Papierbeschaffung läuft (Personen, für die ein Gesuch um Vollzugsunterstützung im BFM bearbeitet wird), die sich im Ausreiseprozess befinden und die Spezialfälle.

2629

Tabelle 3 Bestand im Vollzugsprozess (31.12.2000 und 31.12.2003) Personen im Vollzugsprozess

Soll (im Vergleich aller Kantone)

31.12.2000

Differenz Ist/Soll absolut (prozentual)

Personen im Vollzugsprozess

31.12.2000

31.12.2003

Soll (im Vergleich aller Kantone)

Differenz Ist/Soll

31.12.2003

BL

448

512

­ 64 (­ 13 %)

638

641

­3 (­ 0,5 %)

GE

1183

774

+ 409 (+ 53 %)

1525

970

+ 555 (+57 %)

SH

72

152

­ 80 (­ 53 %)

142

191

­ 49 (­ 26 %)

VS

419

539

­ 120 (­ 22 %)

554

676

­ 122 (­ 18 %)

ZH

2303

2350

­ 47 (­ 2 %)

3489

2945

+ 544 (+ 18 %)

Quelle: BFM/PVK

Aus dem Vergleich der zweiten mit der fünften Spalte geht hervor, dass die Zahl der Personen im Vollzugsprozess sich in allen Kantonen erhöht hat, wobei der Kanton GE durch hohe Bestände auffällt. Dieser absolute Zuwachs wird relativiert, wenn die aus der Totalzahl des Vollzugsbestandes abgeleiteten «Soll»-Werte für den einzelnen Kanton betrachtet werden. Diese sind in der dritten und sechsten Spalte verzeichnet. Ist die Differenz negativ (vierte Spalte), hat der Kanton weniger Personen im Vollzugsprozess als ihm dies aufgrund des Verteilschlüssels zustände. Dies trifft im Jahr 2000 auf die Kantone BL, SH, VS und ZH zu. Diese erfüllen gemäss BFM unter diesem Gesichtspunkt ihren Vollzugsauftrag. Der Kanton GE hat einen Überhang von 409 Personen, hat also einen hohen Pendenzenstand. Aus der siebten Spalte wird ersichtlich, dass sich dieser im Jahr 2003 vergrössert hat und gemessen am Sollwert von 53 % auf 57 % gestiegen ist. Auch im Kanton ZH befinden sich inzwischen mehr Personen im Vollzugsprozess als dies entsprechend des Verteilschlüssels zu erwarten wäre (Zuwachs von ­ 2 % auf + 18 %). Die Kantone BL und SH sind immer noch unter dem «Soll»-Wert, haben aber 2003 leicht mehr Personen im Vollzugsprozess als Ende 2000. Einzig der Kanton VS ist konstant geblieben.

Aufgrund des uneinheitlichen Ergebnisses kann nicht bestätigt werden, dass die Häufigkeit der Anordnung von Ausschaffungshaft einen Einfluss auf die Bestände im Vollzugsprozess hat. So hat der Kanton ZH trotz konsequenter Anordnung im Vergleich zum Sollwert eine bedeutende Bestandeszuwachsrate zu verzeichnen, während im Kanton GE die Zuwachsrate ­ bei einer allerdings ungünstigen Ausgangslage (hoher Pendenzenstand) ­ trotz seltener Anwendung der Haft nur um 4 % gestiegen ist.

2630

2.3

Kosten der Ausschaffungshaft

In Kapitel 2.2 sind die unterschiedliche Praxis der Kantone bei der Inhaftierungsdauer und die verschieden hohen Rückführungsquoten beschrieben worden. Diese Ergebnisse werden im Folgenden mit den Haftkosten im Asyl- und ANAG-Bereich in Bezug gesetzt. Dabei sei eingangs erwähnt, dass alle Kantone betont haben, der Kostenfaktor spiele bei der Anordnung von Ausschaffungshaft keine Rolle. Ausser dem Kanton ZH, der Ausschaffungshaft noch vermehrt anwenden würde, falls höhere Haftkapazitäten bestünden, haben alle Kantone angegeben, dass die Anzahl der vorhandenen Gefängnisplätze ausreicht. Notfalls mieten sie in einem anderen Kanton Plätze zu. Während die Kantone die Haftkosten im ANAG-Bereich selber tragen, entschädigt das BFM den Hafttag im Asylbereich mit 130 Franken pro Person.22 Die Kosten pro Hafttag sind in den Kantonen unterschiedlich hoch: So rechnet der Kanton BL mit 300 Franken pro Tag, gefolgt vom Kanton GE mit 260 Franken. Die Kantone SH, VS und ZH berechnen für einen Haftfall 160 Franken im Tag. Ein reiner Vergleich der gesamten Ausschaffungshaftkosten zwischen den fünf untersuchten Kantonen ist nicht sinnvoll, da die Haftkosten pro Tag unterschiedlich hoch sind und zudem nicht in allen Kantonen auf einer Vollkostenrechnung basieren. Deshalb soll an dieser Stelle nur das Verhältnis der Kostenanteile für Personen mit und ohne Rückführung in den jeweiligen Kantonen verglichen werden.

Das Ziel der Ausschaffungshaft ist die Rückführung in den Heimat- oder Drittstaat.

Es kann somit davon ausgegangen werden, dass das für die Ausschaffungshaft eingesetzte Geld dann effizient verwendet wurde, wenn die Haft mit einer Ausschaffung endete.

Die kantonalen Haftkostenanteile für Fälle «mit» und «ohne» Rückführung im ANAG- und Asylbereich (2001­2003) Abbildung 7 100% Kostenanteil für Personen ohne Rückführung

80% 60% 40%

Kostenanteil für Personen mit Rückführung

20% 0% ZH

VS

SH

E G

BL

9, (1 9 M r.)

r .)

r .)

.F io

.F

.F io M

r .)

r.)

.F

.F io

io M

M

io M

6 ,5

7

,5 (3

6 .1 (0

(0

, (4

Quelle: IPZ/PVK 22

Im Jahr 2003 betrugen die Kosten der Vorbereitungs- und Ausschaffungshaft, die das damalige BFF zu tragen hatte, 8,45 Millionen Franken (inkl. Gesundheitskosten während der Haft). 2002 erreichten sie 7,59 Millionen und 2001 6,99 Millionen Franken.

2631

Der Kanton SH schneidet im Kostenvergleich am besten ab: 67 % der gesamten Kosten fallen auf Personen, die nach der Haft ausgeschafft werden können. Dies ist u.a. dadurch zu erklären, dass dieser Kanton in erster Linie viele kurze und somit günstige Haftfälle und zudem eine sehr hohe Rückführungsquote aufweist. Bei den übrigen Kantonen überwiegen die Haftkosten der Ausländer ohne Ausschaffung.

Den höchsten Kostenanteil hat unter diesem Gesichtspunkt der Kanton GE: 75 % der gesamten für die Ausschaffungshaft aufgewendeten Kosten gingen an Personen, die am Ende der Haft nicht rückgeführt werden konnten. Im Kanton BL trifft dies für 63 % der Gesamtkosten zu, im Kanton ZH für 57 % und im Kanton VS noch für 53 %.

Betrachtet man die Kosten in den einzelnen Haftdauerkategorien, zeigen sich folgende Ergebnisse: Bei einer Haftdauer bis zu drei Monaten sind die Haftkosten für rückgeführte Personen in den einzelnen Kantonen ­ ausser im Kanton GE ­ höher als die Kosten für die aus der Haft Entlassenen. Ab den Inhaftierungen, die bis zu sechs Monate oder länger dauern, dominieren die Kosten für Nichtrückgeführte stark. Bei den längeren Haftperioden fallen naturgemäss auch die hohen Kostenanteile an. Im Kanton ZH, um ein Beispiel zu geben, schlugen die bis sechs Monate in Haft belassenen 341 Personen mit Kosten von insgesamt 8,3 Millionen Franken zu Buche, 6,6 Millionen davon wurden dabei für 226 Asylsuchende und 33 illegal Anwesende aufgewendet, die nach der Haft nicht rückgeführt worden sind. Die 3926 Haftfälle bis 4 Tage kamen auf 1,7 Millionen Franken zu stehen, 57 000 Franken betrug der Anteil der Personen ohne Rückführung. Die Kosten, die beim zuständigen Personal in den Migrationsämtern, bei der Polizei und den Haftrichtern anfallen, sind hier nicht berücksichtigt. Sie konnten im Rahmen dieser Untersuchung nur in Ausnahmefällen präzis beziffert werden. Hinsichtlich des Kantons ZH wurden für 800 Fälle im Jahr insgesamt 500 000 Franken Gerichtskosten hochgerechnet.

In Kapitel 2.2.3 ist aufgezeigt worden, dass die Rückführungen in den Kantonen sich sehr unterschiedlich auf die Personengruppen Rückführung nach Ausschaffungshaft und Rückführung nach polizeilicher Abholung am Ausreisetag aufteilen. Knüpft man an diesem Punkt an, um die Haftkosten im Asylbereich in den übergeordneten Rahmen aller Ausschaffungen
zu stellen, kann ein Kostenvergleich angestellt werden. Es werden im Folgenden nur die Haftkosten betrachtet, die Kosten der polizeilichen Abholung zum Flughafen oder ins Ausschaffungsgefängnis bleiben ausgeklammert, weil sie bei beiden Varianten anfallen. Als Beispiele dienen die Kantone GE und ZH, da diese eine verschiedenartige Anwendungspraxis kennen. Deren unterschiedlich hohen Haftkosten pro Tag (GE: Fr. 260.­; ZH: Fr. 160.­) sind in der Annahme, dass beides Vollkosten sind und der Kostenunterschied durch die Grösse des Gefängnisses verursacht sein kann, nicht vereinheitlich worden. Im Kanton GE waren insgesamt 38 Asylsuchende während des Untersuchungszeitraums 1188 Tage inhaftiert; nur 19 von ihnen konnten ausgeschafft werden. Insgesamt aber wurden, diese 19 eingeschlossen, 277 Asylsuchende rückgeführt. Berechnet man nun die Kosten pro rückgeführten Asylsuchenden mit oder ohne vorherige Ausschaffungshaft in Bezug auf die Gesamtkosten aller Ausschaffungsfälle im Asylbereich, tritt ein grosser Kostenunterschied zu Tage. Bei einem Haftkostenansatz von 260 Franken pro Tag kostet ein rückgeführter Asylsuchender im Kanton GE durchschnittlich 1115 Franken.23 Im Kanton ZH kostet ein rückgeführter Asylsuchender im Untersu23

Kanton GE: 1188 Hafttage * 260 Franken / 277 Rückgeführte = Kosten pro Rückgeführten im Asylbereich.

2632

chungszeitraum bei einem Haftkostenansatz von 160 Franken 13 629 Franken.24 Im Kanton BL fallen diese Kosten mit über 31 000 Franken noch höher aus, u.a. deshalb, weil dort 300 Franken pro Hafttag verrechnet werden.25 Im Kanton SH hingegen betragen diese Kosten knapp 2500 Franken. Die beträchtlichen Unterschiede zeigen auf, dass die Häufigkeit und Dauer der angeordneten Ausschaffungshaft im Rückkehrbereich gemessen am Total der rückgeführten Personen hohe Kosten verursacht. Hinsichtlich der Praxis des Kantons GE besteht allerdings ein erhöhtes Risiko, dass der Ausreisepflichtige am Abreisetag nicht auffindbar ist. Weil ein Flugticket derart kurzfristig nicht annulliert werden kann, können Zusatzkosten entstehen. Genfer Behörden schätzen, dass dieser Fall gegen 30mal pro Jahr eintritt.

Die befragten zuständigen kantonalen Behörden waren grösstenteils der Meinung, dass der Nutzen den zum Teil grossen Aufwand und die Kosten der Zwangsmassnahmen rechtfertigt. Eine konsequente Anwendung wird von den Behörden jedoch als ein Verlustgeschäft für die Kantone beurteilt. Der grössere Teil der Kosten für die Ausschaffungshaft wird mehrheitlich für Inhaftierte eingesetzt, die schlussendlich nicht rückgeführt werden können. Wendet ein Kanton die Ausschaffungshaft bei allen Personen, deren Rückführung technisch realisierbar erscheint, konsequent an, dann steigen die Kosten für die Ausschaffungshaft mit zunehmender Haftdauer, ohne dass eine Rückführung garantiert ist. Nach Aussagen eines Migrationsamtes misst sich staatliches Handeln jedoch nicht nur an den Kosten, sondern auch an der Glaubwürdigkeit der Behörden, dass sie das Ausländerrecht konsequent anwenden.

Um dies zu gewährleisten, sei ein gewisser Aufwand vonnöten, der nicht immer kosteneffizient sei. Andere Kantone betonen, dass der Nutzen der Ausschaffungshaft verbessert werden könne, wenn das Instrument den veränderten Mentalitäten und Nationalitäten der Asylsuchenden und illegal anwesenden Ausländer angepasst werde, etwa durch eine Erweiterung der Haftgründe oder der Ausdehnung der Haftdauer. Ein Kanton gab an, der Nutzen der Ausschaffungshaft würde die Kosten nicht rechtfertigen. Man müsse die Fälle gezielter auswählen. Vertreten wurde weiter die Meinung, selbst wenn die Ausschaffungshaft nicht unmittelbar zur Ausreise geführt habe, könne sie durchaus
einen förderlichen Effekt auf die betroffene Person haben, den Aufenthalt in der Schweiz zu beenden. Eine Kantonsbehörde hat festgestellt, dass die Mehrzahl der ehemals inhaftierten Personen die Schweiz verlässt. Von nichtbehördlicher Seite wurde die Massnahme als teuer bezeichnet, gerade auch unter dem Gesichtspunkt, dass sie z.T. auf Personen angewendet werde, die auch ohne Haft ausreisen würden. In anderen Fällen würde die Anordnung von Eingrenzungen kostengünstiger ausfallen. Zudem haben einzelne Vertreter betont, das für die Haft aufgewendete Geld könne mit grösserem Effekt in anderen Bereichen investiert werden, beispielsweise in der Rückkehrberatung und für Rückkehrprogramme.

24 25

Kanton ZH: 85 696 Hafttage (inkl. 2433 Tage Vorbereitungshaft) * 160 Franken / 1006 Rückgeführte = Kosten pro Rückgeführten im Asylbereich.

Auch bei den anderen Kantonen ergeben sich augenfällige Unterschiede: Im Kanton BL betragen die Kosten pro Rückgeführten 31 549 Franken (12 199 Hafttage * 300 Franken / 116 Rückgeführte), im Kanton SH 2467 Franken (925*160/60) und im Kanton VS 7715 Franken (13 404*160/278), immer inkl. Vorbereitungshaft, da einige Rückgeführte nach dieser direkt ausgeschafft oder in Ausschaffungshaft gekommen sind. Die Berechnung BL bezieht sich auf die Jahre 2002 und 2003.

2633

2.4

Anwendung der Vorbereitungshaft

Die Vorbereitungshaft gemäss Artikel 13a ANAG kann gegen einen Ausländer, der keine Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung besitzt, während der Vorbereitung des Entscheides über seine Aufenthaltsberechtigung angeordnet werden, um die Durchführung eines Wegweisungsverfahrens sicherzustellen. Als Haftgründe gelten u.a. die Weigerung des Ausländers im Asyl- oder Wegweisungsverfahren, seine Identität offen zu legen, oder die Missachtung einer Aus- oder Eingrenzung oder einer Einreisesperre. Die Vorbereitungshaft darf höchstens drei Monate betragen.

Die Vorbereitungshaft wird in den Kantonen nicht oder nur selten angewendet. Im untersuchten Zeitraum kam es total zu 58 Inhaftierungen nach Artikel 13a ANAG.

Sieben Fälle betrafen illegal Anwesende, die restlichen Asylsuchende. Am verbreitetsten war diese Haft in den Kantonen ZH mit 29 und BL mit 24 Fällen; nie kam sie im Kanton GE vor, einmal im Kanton SH und viermal im Kanton VS.26 Im Kanton BL wurden ausschliesslich und im Kanton ZH fast ausschliesslich Männer in Haft genommen, das Gros von ihnen zwischen 18 und 29 Jahre alt. In diesen beiden Kantonen waren Personen afrikanischer Herkunft am häufigsten in Haft, gefolgt von Personen aus dem Mittleren Osten und aus Osteuropa und dem Balkan. Im Kanton ZH wurde Artikel 13a Buchstabe e ANAG, die Gefährdung von Leib und Leben, in vier Fünfteln der Fälle als Haftgrund genannt; im Kanton BL kam dieser bei einem Viertel der Fälle vor. Mit einem 50 %-Anteil war dort Buchstabe b stärker verbreitet, wonach ein Rayonverbot verletzt wurde. Im Kanton BL dauerte die Haft durchschnittlich 49 Tage, im Kanton ZH 85 Tage. Der Kanton ZH schöpfte in jenen Fällen, in denen Vorbereitungshaft angeordnet wurde, also fast die maximale Haftdauer von 90 Tagen aus. Die Haft führte zu insgesamt 16 Entlassungen, 10 Rückschaffungen in den Heimatstaat, zwei Überführungen in den Strafvollzug und zu einem anderen Abgang. Das Haftergebnis im Kanton BL unterscheidet sich davon, indem 15, also die Mehrheit der Inhaftierten, in Ausschaffungshaft überführt wurde, fünf direkt in den Heimatstaat rückgeführt werden konnten und nur vier durch das Migrationsamt entlassen wurden, darunter drei Personen, die fast drei Monate in Haft waren. Aufgrund der geringen Anzahl von Haftfällen können keine statistisch gesicherten Aussagen zu den Zusammenhängen
gemacht werden.

Auf die Frage, weshalb die Vorbereitungshaft selten oder gar nicht angewendet werde, meinte eine kantonale Behörde, in dieser Zeit sei der Aufenthaltsort des fraglichen Asylsuchenden den Behörden bekannt. Allgemein wird in den Kantonen betont, dass Vorbereitungshaft auch deshalb selten zum Zuge kommt, weil es nur wenige Fälle gibt, auf die sie angewendet werden kann. In Frage kommt diese Haft primär bei Leuten, die zwar strafrechtlich verfolgt werden, aber deswegen nicht mit Gefängnis bestraft werden können. Buchstabe a von Artikel 13a ANAG, die Weigerung, die Identität offen zu legen, ist deshalb als Haftgrund sehr selten27, weil die meisten Ausländer eine Identität angeben, jedoch oft eine falsche, was aber nicht nachgewiesen werden kann. Aus datenschützerischen Gründen dürfen die Behörden nämlich erst dann Identitätsabklärungen bei möglichen Herkunftsländern vornehmen, wenn eine rechtskräftige Wegweisungsverfügung vorliegt. Auch kommt in bestimmten Fällen gleich die Ausschaffungshaft zum Zuge (Asylgesuch einer illegal anwesenden Person während der Ausschaffungshaft).

26 27

Drei der vier Fälle im Kanton VS dauerten unter vier Tage; im Text wird wegen dieser geringen Bedeutung nur noch auf Fälle aus den Kantonen BL und ZH eingegangen.

Einmal im Kanton BL, je zweimal in den Kantonen VS und ZH.

2634

3

Verbesserungen im Wegweisungsvollzug und Nebeneffekte der Ausschaffungshaft

Die in Kapitel 3 wiedergegebenen Ergebnisse basieren auf einer Inhaltsanalyse der Interviewprotokolle und beziehen sich auf folgende Untersuchungsfragen: Haben die Zwangsmassnahmen, insbesondere die Ausschaffungshaft, die angestrebten Verbesserungen im Wegweisungsvollzug erzielt? Gibt es allenfalls unerwünschte Nebeneffekte?

Die angestrebten Verbesserungen im Wegweisungsvollzug kommen in Kapitel 3.1 zur Sprache. Kapitel 3.2 nennt weitere Faktoren, die in diesem Vollzug von Bedeutung sind. Dazu gehört auch die Zusammenarbeit zwischen den kantonalen und den Bundesbehörden, die den Gegenstand von Kapitel 3.3. bildet. Auf positive wie unerwünschte Nebeneffekte geht Kapitel 3.4 ein. Diese Kapitel sind vor dem Hintergrund der in Kapitel 2 dargelegten Ergebnisse der statistischen Analyse zu lesen.

3.1

Verbesserungen im Wegweisungsvollzug

Die Zwangsmassnahmen streben eine Verbesserung des Wegweisungsvollzugs an.

Darunter fallen etwa die Sicherstellung der Wegweisung und eine Beschleunigung dieses Verfahrens. Weiter sollten sie Missbräuchen im Asylrecht vorbeugen. In den Interviews beurteilten die Gesprächspartner der PVK, inwiefern diese und weitere Verbesserungen durch das Instrument der Ausschaffungshaft realisiert werden konnten.

Die Frage, ob die Ausschaffungshaft zu einer Sicherstellung der Wegweisung von illegal anwesenden Ausländern und Asylsuchenden geführt habe, bejahten zwei kantonale Behörden vorbehaltlos. Aufgrund einer Inhaftierung können auszuschaffende Personen während des Prozesses der Papierbeschaffung nicht untertauchen.

Liegen die Papiere schliesslich vor, kann der Ausländer unverzüglich rückgeführt werden. Für andere kantonale Behörden gilt die Sicherstellung der Wegweisung nur bedingt als erfüllt. Für eine Rückführung ist nicht nur die Anordnung von Haft, sondern sind auch die Staatsangehörigkeit oder das Verhalten des Auszuschaffenden von zentraler Bedeutung. Versagt die Zusammenarbeit mit der heimatlichen Vertretung, so kann eine Wegweisung nicht mehr garantiert werden. Die befragten Bundesbehörden schätzen das Ziel der Sicherstellung der Wegweisung als teilweise erreicht ein. Die Situation habe sich im Vergleich zu jener vor der Einführung der Zwangsmassnahmen verbessert. Das Problem liegt darin, dass es heute schwierigere Rückführungsfälle gibt. Auch die nichtbehördlichen Stellen vermuten, dass das Ziel der Sicherstellung der Wegweisung bis zu einem gewissen Grad erreicht werden konnte. Diese Aussagen zeigen auf, dass ein Rückführungserfolg der Ausschaffungshaft stark von Drittfaktoren abhängig ist. Diese werden im nächsten Kapitel besprochen.

Eine weitere Verbesserung, welche die Ausschaffungshaft anstrebt, ist die Beschleunigung des Wegweisungsverfahrens. Aufgrund Artikel 13b Absatz 3 ANAG (Beschleunigungsgebot) werden die kantonalen Behörden aufgefordert, die für den Vollzug der Wegweisung notwendigen Vorkehrungen umgehend zu treffen. In jenen Fällen, in denen die Haft überhaupt angeordnet werden darf, kommt es nach Meinung zweier kantonaler Migrationsämter durchaus zur Beschleunigung des Wegwei2635

sungsverfahrens: In Haft genommene Personen sind jederzeit für Auskünfte und direkte Mitteilungen verfügbar. Andere kantonale Ämter und mit ihnen die Bundesbehörden sind der Ansicht, dass das Wegweisungsverfahren zwar teilweise zur Verfahrensbeschleunigung beigetragen hat, dass aber unter diesem Aspekt wiederum nicht nur die Zwangsmassnahmen, sondern auch äussere Faktoren, etwa die Staatszugehörigkeiten der Ausreisepflichtigen, entscheidend seien. Heute kommen diese oft aus Ländern, bei denen sich der Vollzug extrem schwierig gestaltet. Eine nichtbehördliche Stelle geht davon aus, dass eine Beschleunigung des Wegweisungsverfahrens nur bedingt erreicht worden ist. Andere Massnahmen wie die Vollzugsunterstützung des Bundes würden wirksamer auf die Beschleunigung des Verfahrens wirken als eine Haftanordnung.

Ein weiteres Ziel der Zwangsmassnahmen ist es, dem Missbrauch des Asylrechts vorzubeugen und insbesondere die Delinquenz durch Ausländer einzudämmen. Auf diesen Punkt geht Kapitel 4 ein; hier sei lediglich hinsichtlich der Ausschaffungshaft angemerkt, dass einige Behörden einen gewissen Erfolg bei der Delinquenzbekämpfung sehen. Immerhin kann einer Person, die sich in der Kleinkriminalität bewegt, für eine gewisse Zeit die Freiheit entzogen werden. Eine drohende Haftanordnung hat, so indessen die Meinung aus einem anderen Kanton, keinen Effekt hinsichtlich der Vermeidung von Delinquenz. Gemäss Aussagen der Bundesbehörden ist es aber in erster Linie ein Ziel der Ein- und Ausgrenzungen, der Delinquenz entgegenzuwirken. Gemäss einer nichtstaatlichen Stelle können diese Einfluss auf die Delinquenz von Ausländern ausüben, vor allem dann, wenn Drogenszenen aufgelöst werden.

Verhindert werden kann die Delinquenz jedoch nicht, sie wird erschwert.

Obwohl die kantonalen Behörden grösstenteils die Ansicht vertraten, dass die Zwangsmassnahmen Verbesserungen im Wegweisungsvollzug gebracht haben, hielten sie gleichzeitig fest, das Instrument weise auch Schwächen auf, weil es in vielen Fällen aufgrund der gesetzlichen Vorgaben und externer Bedingungen nicht angeordnet werden kann. Somit können bei diesen weder eine Sicherstellung der Wegweisung noch eine Beschleunigung des Ausschaffungsverfahrens erreicht werden.

3.2

Rahmenbedingungen im Wegweisungsvollzug

Der gewünschte Effekt der Ausschaffungshaft ist kontextabhängig. Es besteht eine Reihe von äusseren Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit die Massnahmen greifen. Sind diese Voraussetzungen nicht gegeben, können die Zwangsmassnahmen nicht angewendet werden oder zeitigen kaum Wirkung. In den Interviews mit der PVK haben die Befragten mehrmals auf solche Rahmenbedingungen hingewiesen.

Damit die Zwangsmassnahmen die angestrebten Verbesserungen erreichen können, sind gemäss zahlreicher Befragter Rückübernahmeabkommen mit den Heimatländern der Auszuschaffenden und mit Drittstaaten von Nöten. Darin werden die fraglichen Staaten u.a. verpflichtet, ihre Staatsangehörige auf Ersuchen der Schweiz zurückzunehmen. Ein solches Abkommen gibt gemäss Aussage der Bundesbehörden jedoch noch keine Gewähr, dass die Ausschaffungen einwandfrei funktionieren. In viele Staaten kann im Übrigen auch ohne Rückübernahmeabkommen ausgeschafft werden, zwingend nötig sind sie somit nicht. Wichtig ist es, dass die Bundesbehörden mit den Herkunftsstaaten in Kontakt stehen, damit überhaupt Verhandlungen geführt werden können. Viele Kantone sehen hier eine Aufgabe für den Bund, 2636

verstärkt tätig zu werden und z.B. mit anderen Zielstaaten von Asylsuchenden Lösungen zu suchen.

Wiederholt wurde sowohl von den Behörden als auch von nichtbehördlicher Seite darauf hingewiesen, dass Anreizsysteme dazu beitragen können, illegal anwesende Personen zur Rückreise in ihren Heimatstaat zu bewegen. In diesem Kontext haben die Zwangsmassnahmen primär die Funktion eines Druckmittels für jene Personen, die einen illegalen Aufenthalt in der Schweiz der Inanspruchnahme der Rückkehrhilfe vorziehen. Die Rückkehrhilfe eignet sich aber nur für Herkunftsnationen, die auch zwangsweise ausgeschaffte Landsleute einreisen lassen. Zudem kann sie auch unerwünschte Effekte auslösen, indem sie ein eigentlicher Emigrationsanreiz bilden kann.

Ein dritter wichtiger Faktor, der bei der Befragung vor allem auf behördlicher Seite oft Erwähnung fand, war die Tatsache, dass einerseits die Identität der Ausreisepflichtigen bekannt sein muss und dass andererseits Papiere vorhanden sind. Gelingt dies nicht, ist eine Rückführung kaum möglich. Die Kooperationsbereitschaft der Auszuweisenden bei der Identitätsabklärung und Papierbeschaffung könne durch Ausschaffungshaft aber oftmals nicht erhöht werden. Personen aus bestimmten Ländern, etwa aus Afrika, ziehen vielfach die Haft einer Ausschaffung vor, weil sie in verschiedener Hinsicht einen hohen Einsatz für die Einreise in die Schweiz bezahlt haben und die Situation im Heimatland keine Lebensperspektive offen hält.

Zudem ist das Haftregime ein entscheidender Faktor, ob eine Person kooperationswillig ist oder nicht. Je lockerer dieses ist, desto geringer ist gemäss Aussagen der kantonalen Behörden die Bereitschaft zur Kooperation. Beschäftigungs- und Verdienstmöglichkeiten, Besuchsregelungen, Fernsehen etc. würden einen Haftaufenthalt erträglich machen. Einzelne Kantone haben aber dennoch gute Erfahrungen mit der Kooperationsbereitschaft der Inhaftierten gemacht. Zumeist entscheidet sich kurz nach Hafteintritt, ob eine Person kooperiert. Eine weitere Massnahme liegt darin, die Attraktivität der Schweiz als Zielland für Asylsuchende zu senken, wie dies u.a. im Rahmen des Entlastungsprogramms 03 eingeleitet worden ist.

Die erwähnten Rahmenbedingungen sind entscheidend, ob eine Person ausgeschafft werden kann oder nicht. Zentral ist die Feststellung, dass die
Zwangsmassnahmen dadurch nicht entbehrlich werden, sondern im Gegenteil einen wichtigen Bestandteil im Vollzugsinstrumentarium bilden. Im Gegensatz dazu wird betont, dass die Zwangsmassnahmen alleine zur Sicherstellung des Wegweisungsvollzugs nicht genügen. Vor allem Rückübernahmeabkommen und Rückkehrhilfe sind zwei wichtige Elemente, die ­ im Verbund mit der Ausschaffungshaft ­ zu einer erhöhten Rückführungsquote führen können.

3.3

Zusammenarbeit zwischen den kantonalen und den Bundesbehörden

Hinsichtlich der Koordination und der Zusammenarbeit der kantonalen Behörden mit dem Bund hielten die Kantone fest, diese funktionierten in der Regel gut.

Mehrmals wurde ein Ausbau der Abteilung Vollzugsunterstützung beim BFM als wünschbar erachtet. Begründet wurde dies mit der Erfahrung, dass gewisse Prozeduren auf Bundesebene zu lange dauern. Wenn Probleme bei den nichtvollzugsfähigen Fällen auftreten, liegt dies, wie ein kantonales Amt unterstrich, allerdings nicht nur

2637

an der Arbeit des BFM, sondern primär beim Desinteresse einiger Herkunftsstaaten, ihre Staatsangehörigen zurückzunehmen.

Die zuständigen Bundesstellen wurden ebenfalls befragt, wie sie die Zusammenarbeit mit den Kantonen beurteilen. Sie wiesen auf mehrere Probleme hin. Eine Schwachstelle ist der Informationsfluss über inhaftierte Personen von den Kantonen an das BFM. Die Bundesbehörden haben keine Kontrolle darüber, wer in Ausschaffungshaft ist und wer entlassen wurde. Deswegen kommt es in Einzelfällen vor, dass für eine inhaftierte Person nach vielleicht drei Monaten Identitätspapiere beschafft werden konnten, diese in der Zwischenzeit aber durch die zuständigen kantonalen Behörden bereits wieder aus der Haft entlassen wurde, ohne die Bundesbehörden darüber in Kenntnis zu setzen. Die Problematik wird dadurch verschärft, dass Laissez-Passers nur für eine bestimmte Zeitdauer gültig sind. Dasselbe Problem zeigt sich in einzelnen Fällen auch bei gebuchten Flügen. Die Vollzugsunterstützung organisiert Extraflüge in gewisse Staaten, doch der fragliche Ausreisepflichtige dieser Nation wurde durch den Kanton bereits aus der Haft entlassen, weil beispielsweise die richterliche Behörde keinen Haftgrund vorliegen sah. Bei speziell arrangierten Flügen sei es unabdingbar, dass die Kantone die fraglichen Personen in Ausschaffungshaft behalten.

3.4

Nebeneffekte der Ausschaffungshaft

In den Interviews der PVK wurde nicht allein nach unerwünschten Nebeneffekten der Ausschaffungshaft gefragt, sondern auch nach positiven Effekten. Die Befragten thematisierten als mögliche indirekte Wirkung der Ausschaffungshaft primär ihren Abschreckungseffekt: Die bestehende Gefahr einer Inhaftierung kann auf ausreisepflichtige Personen durchaus eine abschreckende Wirkung haben und sie zur Ausreise bewegen. Während nichtbehördliche Stellen die Meinung vertraten, dieser Effekt werde überschätzt, haben die meisten kantonalen und die Bundesbehörden die Abschreckungswirkung der Haft unterstrichen. Diese bestehe besonders bei Leuten, die noch nie im Gefängnis waren. Der Abschreckungseffekt wird, so betonten Migrationsbehörden, aber dadurch geschwächt, dass die Ausschaffung im Anschluss an die Haft nicht immer vollzogen werde. Trotzdem setzen einzelne Kantone die Ausschaffungshaft bewusst mit dem Ziel der Abschreckung ein, indem beispielsweise Personen einer bestimmten Nationalität in Haft genommen werden, um deren weggewiesenen, aber (noch) nicht inhaftierten Landsleute zur Ausreise zu bewegen.

Zudem wird von behördlicher Seite erwähnt, dass nicht allein die Haft, sondern auch die Art und Weise einer Zwangsausschaffung eine abschreckende Wirkung auf die betroffenen Personen ausüben könne. Ebenso eine Rolle spielt gemäss den Behörden die maximal zulässige Dauer der Haft. Eine lange bzw. unbefristete Haft wirke abschreckender als eine kurze. Die gegenwärtige Gesetzgebung hat nach Ansicht einiger Behörden deshalb zu wenig abschreckende Wirkung, weil die Ausschaffungshaft zu Beginn bloss für drei und nicht gleich für neun Monate angeordnet werden kann. Die Abschreckung fehlt aber auch in solchen Fällen, wenn Ausreisepflichtige Haft der miserablen Situation in ihrem Heimatland vorziehen oder sie in ihrem Herkunftsstaat einem hohen «Erfolgsdruck» ausgesetzt sind.

Ein positiver Nebeneffekt betrifft die Akzeptanz der Migrationspolitik des Bundes in der Bevölkerung. Die Ausschaffungshaft als Zwangsinstrument im Wegweisungsvollzug trägt vor allem nach Ansicht der befragten Behörden zu einer positiven 2638

Wahrnehmung der Asyl- und Ausländerpolitik des Bundes in der Bevölkerung bei.

Zum einen deshalb, weil unerwünschte Personen ausgeschafft werden, und zum andern, weil der Bund mit dem Instrument der Ausschaffungshaft signalisiert, dass er Probleme im Wegweisungsvollzug bekämpfen will.

Auf die Frage der negativen Nebeneffekte, die die Ausschaffungshaft mit sich bringt, wurden verschiedene Faktoren aufgezählt. Es kann dabei zwischen Nebeneffekten, die die Inhaftierten betreffen und solchen, die sich auf die Behörden beziehen, unterschieden werden. Sowohl von behördlicher als auch von nichtbehördlicher Seite wurde genannt, dass die Haft negative Folgen auf die psychische Verfassung eines Inhaftierten haben kann. Inhaftierte seien heute öfter in psychologischer Behandlung (wegen Depressionen oder Suizidgefahr). Personen, die aufgrund einer Beratungs- und Betreuungsfunktion oft mit den Häftlingen in direktem Kontakt stehen, betonen zudem, dass die Betroffenen in den meisten Fällen über kein Schuldbewusstsein verfügen. Ihnen sei nicht bewusst, weshalb sie im Gefängnis seien und was sie «verbrochen» hätten. Dieser Umstand trägt auch dazu bei, dass die Insassen die Haft schlecht akzeptieren und unter ihr leiden. Zudem befänden sich unter ihnen Personen, die ungerechtfertigt inhaftiert worden seien und auch ohne Haft ausgereist wären.

Als negativ wird von nichtbehördlicher Seite angesehen, dass während der Haft straffällige Insassen (Art. 13a Bst. e ANAG) und solche, die strafrechtlich unbescholten sind, zusammen kommen. Dadurch müssen Menschen, die sich anständig verhalten und gut in das Haftregime einfügen, mit anderen zusammen leben, die beispielsweise gewaltbereit sind. Dies erzeuge erhebliche Spannungen unter den Inhaftierten, was auch für das Gefängnispersonal belastend sei. Eine klare Trennung von straf- und administrativrechtlichen Sanktionen würde in dieser Hinsicht zu einer Entspannung der Haftsituation führen.

Von den kantonalen und juristischen Behörden wurden zudem negative Auswirkungen der Zwangsmassnahmen im Bereich der Ressourcen geltend gemacht. Vor allem die Ämter aus kleineren Kantonen erwähnen den hohen administrativen Aufwand, der mit den Zwangsmassnahmen verbunden ist. Sowohl in personeller als auch in finanzieller Hinsicht absorbiere das Anordnen und die Ausschaffungshaft selber
viele Mittel.

Der Frage, ob während einer Inhaftierung unter den Häftlingen Informationen zum missbräuchlichen Verhalten gegenüber den behördlichen Anordnungen ausgetauscht werden können, stimmten die Befragten zu. Es wurde jedoch klar der Vorbehalt gemacht, dass Informationen, welche zum Beispiel zur Umgehung einer Ausschaffung dienen, auch ausserhalb der Gefängnismauern ausgetauscht werden.

Ein weiterer negativer Nebeneffekt, der die Ausschaffungshaft mit sich bringt, ist die Untertauchensgefahr, wie vor allem von nichtbehördlicher Seite vermutet wird.

Durch eine bevorstehende drohende Inhaftierung entwickeln die Ausreisepflichtigen Abwehr- und Ausweichstrategien, um einen Gefängnisaufenthalt zu umgehen. Dabei steht die Strategie des Abtauchens und Abdriftens in die Illegalität im Vordergrund.

Die Behörden werden umgangen und belogen, was zusätzlich das gegenseitige Misstrauen fördert. Ebenfalls wird durch die Anwendung der Ausschaffungshaft eine Menschengruppe kriminalisiert. Da es eine Haft ist, die nur auf ausländische Personen angeordnet werden kann, besteht laut einer nichtbehördlichen Stelle die Gefahr, dass diese Gruppe in der Bevölkerung falsch wahrgenommen werde, näm-

2639

lich im Bereich der Kriminalität. Diese Aussage ist zu differenzieren, wie das nächste Kapitel aufzeigen wird.

4

Wirkung der Zwangsmassnahmen in Bezug auf delinquente Asylsuchende und illegal anwesende Ausländer

Die Zwangsmassnahmen im ANAG haben eine allgemeine Verbesserung des Wegweisungsvollzugs zum Ziel. Ihre Einführung stand indessen in engem Zusammenhang mit der Beobachtung, dass Asylsuchende in der Drogenszene als Dealer auftraten und so das Asylrecht missbrauchten. Störend war vor allem der Umstand, dass in vielen Fällen den delinquenten Asylsuchenden und illegal Anwesenden aufgrund des Strafrechts kaum freiheitsentziehende Massnahmen drohten. Die Verschärfungen im Ausländerrecht sollten diese Zielgruppe mittels Rayonverboten, Vorbereitungs- und Ausschaffungshaft von Delinquenz abhalten. Diese Thematik wurde unter folgenden Untersuchungsfragen angegangen: Haben die Massnahmen die angestrebten Wirkungen im Hinblick auf die Verminderung der Delinquenz von Asylsuchenden und illegal anwesenden Personen erzielt?

Gibt es allenfalls unerwünschte Nebenwirkungen?

Bei der Beantwortung dieser Fragen stand im Zentrum, bei welchen Delikten und welchen Personengruppen Zwangsmassnahmen angeordnet werden und ob diese insbesondere abschreckenden Charakter haben. Auch in diesem Untersuchungsteil konnte keine gesamtschweizerische Analyse durchgeführt werden, sondern es wurden mit Genf und Zürich zwei städtische Kantone zur Untersuchung ausgewählt. Die Erhebungen haben die Experten des ICDP in beiden Kantonen mittels statistischen Analysen von Daten aus Datenbanken der Migrationsämter und der Polizei sowie mittels Interviews mit Asylsuchenden und Expertengesprächen durchgeführt. In der Untersuchung wurden nur männliche Asylsuchende und illegal eingereiste Männer berücksichtigt.28 Zusätzlich beschränkten sich die Stichproben in Bezug auf die Altersstruktur der Asylsuchenden und der illegal Eingereisten auf Personen, welche das 16. Alterjahr schon erreicht haben.

Da quantitative Auswertungen aus Registern die Lebenswirklichkeit nie in all ihrer Komplexität zu erfassen vermögen, hat das ICDP in beiden Kantonen je 50 Asylsuchende in Asylunterkünften persönlich befragt. Bei dieser weitgehend qualitativen Untersuchung ging es darum, mehr über den Kontext zu erfahren, in welchem sich Delinquenz und Zwangsmassnahmen wie auch andere Sanktionen abspielen, und wie die befragten Asylsuchende selber diese Aspekte beurteilen. Zudem hat das ICDP in beiden Kantonen je fünf in Durchgangszentren angestellte Personen anonym befragt. Auf
diesem Wege sollten Informationen über Wirkungen und mögliche unerwünschte Nebenwirkungen der Zwangsmassnahmen bei einer Gruppe gesammelt werden, die über umfassende Beobachtungsmöglichkeiten der Asylsuchenden verfügt.

28

Die Untersuchung ist bewusst auf Männer eingeschränkt, weil bei Mitberücksichtigung der Frauen zufolge ihrer deutlich tieferen Delinquenzraten höhere Stichproben erforderlich gewesen wären, die zu erheben die verfügbaren Mittel indessen nicht zuliessen.

2640

Kapitel 4 gibt die Hauptergebnisse der Expertise wieder; es gliedert sich in drei Unterkapitel: Kapitel 4.1 enthält die Ergebnisse der Stichproben zur Ermittlung der Delinquenz von Asylsuchenden und illegal anwesenden Personen und deren Inhaftierungen. Dort sind auch hier interessierende Resultate aus den Interviews mit Asylsuchenden aufgenommen. Kapitel 4.2 bringt in einem ersten Teil die Auswertungen der Stichproben von Ausschaffungshäftlingen, in einem zweiten Teil jene zur Wirkung der Rayonverbote und im dritten Teil schliesslich ausgewählte Ergebnisse aus den Interviews mit den in der Asylbetreuung tätigen Personen. In Kapitel 4.3 findet sich eine Diskussion der Ergebnisse.

4.1

Delinquenz und Inhaftierungen von Asylsuchenden und illegal anwesenden Ausländern

4.1.1

Die Verbreitung der Delinquenz

Zunächst hat das ICDP anhand einer Liste zufällig ausgewählter Asylsuchender geklärt, wie viele Personen in den Kantonen GE und ZH seit ihrer Einreise in die Schweiz polizeilich als angeschuldigt oder verzeigt registriert waren. Die Zufallsstichproben umfassten pro Kanton je 200 Asylsuchende, die 2001 oder 2002 in die Schweiz eingereist waren bzw. ein Asylgesuch eingereicht hatten. In diesem Zeitraum hat das BFM dem Kanton GE total 2498 und dem Kanton ZH 7565 Personen zugeteilt. Zusätzlich wurde eine Zufallsstichprobe von 100 illegal in der Schweiz anwesenden Ausländern gezogen, allerdings nur im Kanton ZH, da nur dieser über eine entsprechende Liste verfügte. Die Analysen anhand der Polizeidatenbanken erlaubten eine Einschätzung hinsichtlich der Delinquenz in diesen Populationen allgemein und eine Beurteilung, inwieweit Zwangsmassnahmen gegenüber delinquierenden oder sonstigen Asylsuchenden und illegal Anwesenden verhängt wurden.

Bei ihrer Einreise in die Schweiz waren die Asylsuchenden im Kanton ZH durchschnittlich 25 Jahre und jene im Kanton GE 26 Jahre alt. Das mittlere Alter der illegal anwesenden Personen lag bei 28 Jahren. In beiden Kantonen kamen die Asylsuchenden hauptsächlich aus dem Balkan/Osteuropa und aus Westafrika. Die Mehrheit der illegal Anwesenden stammte aus dem Balkan/Osteuropa.

Zum Zeitpunkt der Erhebung (Sommer 2004) waren 42 % der in den Stichproben erfassten Asylsuchenden im Kanton ZH und 32 % im Kanton GE in den Datenbanken als untergetaucht verzeichnet. Die Mehrheit der Asylsuchenden im Kanton GE war weiterhin bei den Behörden gemeldet, im Gegensatz zum Kanton ZH, in dem weniger als 30 % der Asylsuchenden bei den Behörden registriert waren. Die kontrollierten Ausreisen sind in beiden Kantonen relativ selten. Was die Stichprobe der illegal anwesenden Ausländer betrifft, so sind zwei Drittel von ihnen ausgewiesen worden und ein Drittel gilt als untergetaucht.

In den untersuchten Kantonen ergaben sich bezüglich des Ausmasses polizeilich registrierter Delinquenz unter Personen, die 2001 oder 2002 ein Asylgesuch eingereicht oder auf der Liste der illegal sich aufhaltenden Personen erschienen sind, relativ übereinstimmende Ergebnisse. Zieht man Fälle von Schwarzfahren und die ­ unter Asylsuchenden seltenen ­ ausländerrechtlichen Verstösse ab, so sind unter den Asylsuchenden
im Kanton ZH 35 %, im Kanton GE 28 % und unter den illegal Anwesenden (ZH) 31 % polizeilich registriert. Im Durchschnitt beider Kantone sind 32 % polizeilich als angeschuldigt verzeichnet. Das Vertrauensintervall beträgt bei 2641

der gegebenen Stichprobengrösse von 400 in beiden Kantonen +/­ 4,6 %; das heisst, dass in der Grundgesamtheit der Asylsuchenden der Jahre 2001/2002 mit 95prozentiger Sicherheit zwischen 27 % und 37 % als angeschuldigt registriert sind.

In beiden Kantonen sind Asylsuchende aus Afrika (einschliesslich den Maghrebstaaten) ungefähr gleich stark belastet wie solche aus dem Balkan/Osteuropa und solche aus allen übrigen Regionen (jeweils rund 40 %, inklusive ANAG und Schwarzfahren). Rund 16 % der Asylsuchenden beider Kantone und 11 % der Personen mit illegalem Aufenthalt sind wegen mindestens einem Betäubungsmitteldelikt registriert, wobei es im Kanton GE ausschliesslich und in ZH bei der Hälfte der Fälle um Handel (vor allem mit Kokain) ging. In ZH sind sechs und in GE 14 % der Asylsuchenden wegen Handels mit Kokain oder Heroin registriert. Eigentumsdelikte kommen im Kanton ZH mit 20 % registrierter Asylsuchenden und 14 % illegal Anwesenden häufiger vor als im Kanton GE (1 %), wobei es in ZH in relativ vielen Fällen um Ladendiebstähle ging. Betroffen sind hier stärker Asylsuchende aus Osteuropa (mit 16 %) als solche aus Afrika (11 %) und solche aus anderen Regionen (14 %).

Andere und insbesondere Gewaltdelikte kommen in den Polizeiakten der analysierten Stichproben kaum vor.29 Schliesslich sind gemäss Eintragungen im Fahndungsregister RIPOL 19 % der Asylsuchenden im Kanton ZH zur Aufenthaltsermittlung, 12 % zur Verhaftung und 26 % zur Ausschaffung ausgeschrieben. Insgesamt sind im Kanton ZH mit insgesamt 57 % gegenüber 13 % im Kanton GE deutlich mehr Asylsuchende aus einem dieser Gründe ausgeschrieben. Dort waren nur 4 % zur Aufenthaltsermittlung, 2 % zur Verhaftung und 7 % zur Ausschaffung ausgeschrieben. Die Gründe für diese unterschiedliche Ausschreibungspraxis sind nicht näher bekannt. Bei den illegal anwesenden Personen war die Gesamtrate der Ausgeschriebenen mit 12 % ebenfalls niedrig, wobei dies aber mit der hohen Zahl der schon ausgewiesenen Personen (66 %) zusammenhängen dürfte.

Alle hier berichteten Werte beziehen sich auf die gesamte Dauer der Anwesenheit der erfassten Personen in der Schweiz seit ihrer Einreise. Eine Umrechnung auf Jahresraten ist anhand des Datums der Einreise und der Daten der polizeilichen Eintragungen grundsätzlich möglich. Die Ergebnisse zeigen, dass die Asylsuchenden
im ersten Jahr am häufigsten polizeilich registriert werden. Danach sinken die begangenen Delikte im Zeitablauf in beiden Kantonen sehr deutlich. Die abnehmende Delinquenz kann dadurch erklärt werden, dass die Asylsuchenden, welche im ersten Jahr polizeilich registriert waren, im zweiten Jahr ausgeschafft wurden, die Schweiz freiwillig verliessen, untertauchten oder aufgrund ihrer Situation nicht mehr delinquierten. Zudem kann die Senkung der Werte auch daher rühren, dass die polizeilichen und strafrechtlichen Massnahmen eine gewisse Wirkung auf die delinquierenden Asylsuchenden haben.

4.1.2

Inhaftierungen und Rayonverbote

Hinsichtlich der polizeilichen, straf- oder ausländerrechtlichen Inhaftierungen der Asylsuchenden und der illegal anwesenden Personen hat die Erhebung zu Tage gebracht, dass es im Kanton ZH zu einer höheren Anzahl Inhaftierungen gekommen 29

Wegen der kleinen Stichprobe, die zu erfassen die verfügbaren finanziellen und zeitlichen Ressourcen zuliessen, war es von vorneherein nicht denkbar, über schwerere (und seltenere) Delikte verlässliche Zahlen zu finden.

2642

ist als im Kanton GE, dass diese aber im Vergleich weniger lang dauerten. Die Haftfälle verteilten sich unterschiedlich auf die Personen: Im Kanton ZH waren bei der Stichprobe der Asylsuchenden weniger Personen betroffen, diese aber waren häufiger im Gefängnis als jene im Kanton GE. So lag das Maximum der Inhaftierungen bei Asylsuchenden im Kanton ZH bei 23, jenes im Kanton GE bei vier. Die durchschnittliche Anzahl von Gefängnisaufenthalten der illegal Anwesenden liegt stark über jener im Asylbereich,30 das Maximum der Inhaftierungen einer Person bei vier. Betrachtet man die Haftdauer, so lag die mittlere Haftdauer im Kanton GE bei 14 Tagen (Minimum 0 und im Maximum 900 Tage), jene im Kanton ZH bei knapp neun Tagen (0/361 Tage) und jene der illegal anwesenden Personen bei fast 36 Tagen (0/412 Tage). In nachfolgender Tabelle sind die verschiedenen Haftarten aufgeführt: Tabelle 4 Haftart der Personen, die mindestens einmal in Haft waren (Polizeihaft, strafrechtliche Haft, Untersuchungshaft oder Haft gemäss ANAG) Polizeihaft (weniger als 48 Stunden)

GE Asylsuchende (n=200) ZH Asylsuchende (n=200) ZH illegal Anwesende (n=100)

5% (n=10) 20 % (n=39) 71 % (n=71)

Strafrechtliche Haft (Strafverbüssung)

Untersuchungshaft

16 % (n=31) 1% (n=2) 1% (n=1)

3% (n=5) 14 % (n=27) 14 % (n=14)

Vorbereitungsoder Ausschaffungshaft

3% (n=6) 6% (n=12) 28 % (n=28)

Quelle: ICDP

Die Haft nach ANAG wird bei den Asylsuchenden selten angewendet. Im Kanton ZH waren mit 12 Asylsuchenden doppelt so viele Personen in dieser Haft als im Kanton GE (6 Personen). Die Polizeihaft ist viel häufiger im Kanton ZH gezählt worden (20 %) als im Kanton GE (5 %). Dieser Unterschied kann z.T. damit erklärt werden, dass das Zürcher Migrationsamt das Recht hat, eine Haft von weniger als 48 Stunden anzuordnen. Fast 16 % der Genfer Asylsuchenden haben schon eine strafrechtliche Haft verbüsst, während es im Kanton ZH nur zwei Fälle gibt. Dieses Ergebnis deckt sich mit den Angaben, die die Genfer Behörden im Rahmen der Fallbeispiele zur Anwendung der Ausschaffungshaft gemacht haben. 71 % der illegal anwesenden Ausländer waren schon in Polizeihaft und 28 % waren nach ANAG inhaftiert.

Zu den in den Stichproben ermittelten Rayonverboten31 ist zu bemerken, dass es sich stets um Ausgrenzungen handelte. 8 % der Asylsuchenden im Kanton ZH haben mindestens eine und höchstens zwei Ausgrenzungen erhalten. Die Mehrheit betraf die Städte Zürich und Winterthur. Im Kanton GE haben 12 % der Asylsuchenden 30 31

1,3 Gefängnisaufenthalte pro Person, im Asylbereich sind es 0,4 im Kanton GE und 0,6 im Kanton ZH.

Ein- und Ausgrenzung gemäss Art. 13e ANAG: Laut diesem Artikel kann die zuständige kantonale Behörde einem Ausländer, der keine Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung hat, die Auflage machen, ein ihm zugewiesenes Gebiet nicht zu verlassen oder ein bestimmtes Gebiet nicht zu betreten, wenn dieser die öffentliche Sicherheit und Ordnung stört oder gefährdet. Diese Massnahme dient gemäss der Botschaft insbesondere der Bekämpfung des widerrechtlichen Betäubungsmittelhandels.

2643

eine oder maximal zwei Ausgrenzung erhalten, wobei die grosse Mehrheit den Place Cornavin und den Place des Volontaires betraf. Keiner der illegal anwesenden Ausländer war von einer Ein- oder Ausgrenzung betroffen.

Wegen welchen Delikten die Personen inhaftiert oder von einer Ausgrenzung betroffen waren, wurde im Rahmen dieser Stichproben nicht eingehender untersucht. Für diese Analysen wurden in einem zweiten Schritt weitere Stichproben unter Asylsuchenden und illegal anwesenden Ausländern gezogen und zwar nur bei solchen, gegen die eine Zwangsmassnahme verfügt worden war. Deren Ergebnisse sind Gegenstand von Kapitel 4.2. Hier bleibt abschliessend festzuhalten, dass die Ausschaffungshaft primär bei den illegal Anwesenden angeordnet wird; Untersuchungshaft und Polizeihaft sind im Kanton ZH, die strafrechtliche Haft ist im Kanton GE bedeutender als die Haft nach ANAG. Die ausländerrechtliche Haft hat demnach nicht ­ oder allenfalls nur in Ansätzen ­ den Charakter einer strafrechtlichen Ersatzsanktion angenommen.

4.1.3

Selbstangaben von Asylsuchenden zu Delinquenz und Wirkungen von Sanktionen

Es war zunächst vorgesehen, die Informationen aus polizeilichen Quellen durch Selbstangaben aus den Interviews mit Asylsuchenden zu ergänzen. Es erwies sich indessen, dass die kulturellen Hindernisse und das Misstrauen die Fragen zur eigenen Delinquenz weitgehend ins Leere laufen liessen. Die 100 interviewten Asylsuchenden haben indessen durch indirekte Angaben darauf hingewiesen, dass Delinquenz bei Asylsuchenden häufig vorkommt. So wollen 76 % der befragten Genfer und 56 % der Zürcher Asylsuchenden jemanden in ihrer Bekanntschaft oder im Durchgangszentrum kennen, der schon strafrechtlich bestraft worden ist, wobei die meisten mehr als fünf Personen in dieser Lage kennen. Ebenso sagen 46 % der Asylsuchenden im Kanton GE und 38 % in ZH, dass «viele» unter ihresgleichen delinquierten, wobei immerhin 20 % der Meinung sind, viele seien schon mit dieser Absicht in die Schweiz gekommen. Von den 50 befragten Asylsuchenden in Genfer Durchgangszentren waren fünf schon in einem Schweizer Gefängnis in Untersuchungs- oder Strafhaft. 17 der 50 im Kanton ZH Befragten hatten Gefängniserfahrung: dabei handelte es sich in 12 Fällen um Untersuchungshaft, in vier Fällen um Ausschaffungshaft und in einem Fall um eine Strafhaft. 11 % der Genfer Befragten waren in ihrem Heimatland im Gefängnis, ebenso 8 % der Zürcher Interviewten; zwei davon kamen auch in der Schweiz ins Gefängnis. Die Dauer der in der Schweiz verbrachten Haft unterscheidet sich stark. Zumeist handelt es sich um Kurzhaften.

Eine Inhaftierung dauerte neun Monate und eine ein Jahr. Als Haftgrund wurde am häufigsten Verdacht auf Drogenhandel angegeben. Von den 17 Personen, die eine Haft im Kanton ZH verbracht hatten, meinten zehn, das Leben im Gefängnis sei «nicht zu schlimm» gewesen. Nur drei empfanden es als sehr unangenehm. Die Mehrheit der Befragten gibt denn auch an, lieber in der Schweiz im Gefängnis zu leben als in der Heimat in Freiheit.

2644

4.2

Wirkung der Zwangsmassnahmen auf die Delinquenz

Um eventuelle Wirkungen der Ausschaffungshaft und der Rayonverbote auf die Delinquenz zu untersuchen, wurden zufällig Personen ausgewählt, die 2001 oder 2002 mit einer ausländerrechtlichen Zwangsmassnahme (Haft oder Ein-/Ausgrenzung) belegt worden waren.32 Hier ging es darum, ihre Delinquenz in einem standardisierten, gleich langen Zeitraum vor und nach Verhängung der Zwangsmassnahme miteinander zu vergleichen. Abgestellt wurde auch hier auf die polizeiliche Registrierung einer Person als angeschuldigt oder verzeigt. Diese Stichproben wurden unabhängig von jenen gezogen, die Kapitel 4.1 zugrunde liegen.

4.2.1

Wirkung der Ausschaffungshaft

Zur Untersuchung der Wirkungen der Haft nach ANAG auf die Delinquenz hat das ICDP insgesamt drei Listen erstellt: im Kanton ZH zwei Listen aufgrund von Stichproben, eine mit 100 Asylsuchenden und eine zweite mit 100 illegal anwesenden Personen. Im Kanton GE war eine zufällige Selektion nicht möglich, da die Ausschaffungshaft dort nur sehr selten verfügt wurde (und Vorbereitungshaft gar nicht).

Die Genfer Liste umfasst deshalb bloss 18 Personen; soviel sind nach Abzug der Minderjährigen, der Frauen und jener Personen, die bei der Ankunft in der Schweiz direkt in Ausschaffungshaft genommen wurden und damit gar nicht delinquieren konnten, übrig geblieben. Die Ergebnisse der Genfer Liste haben vorwiegend illustrativen Charakter; aufgrund der minimalen Fallzahl konnten für den Kanton GE nämlich keine statistischen Berechnungen etwa zur Entwicklung der Delinquenz gemacht werden. Deshalb wird im Folgenden hauptsächlich von den Zürcher Resultaten die Rede sein.

Das Durchschnittsalter der in Haft gesetzten Personen war bei allen drei Listen 25 Jahre. Im Kanton ZH stammten die Asylsuchenden im Wesentlichen aus dem westlichen, zentralen und südlichen Afrika, in Kanton GE war das Gros nordafrikanischer Herkunft. Die illegal anwesenden Ausländer waren zumeist osteuropäischen Ursprungs. Ein Drittel der Asylsuchenden Zürichs war im Sommer 2004 in der Schweiz registriert, ein Drittel war «verschwunden» und das letzte Drittel ausgeschafft. Bei den illegal Anwesenden waren 66 % ausgeschafft, 18 % registriert und ein Zehntel verschwunden. Im Kanton GE waren 16 Personen ausgeschafft, je einer war in der Schweiz registriert und einer galt als verschwunden.

9 % der Asylsuchenden im Kanton ZH waren in Vorbereitungshaft, bei den illegal anwesenden Ausländern war es 1 %. Einige der untersuchten Personen waren mehrmals in einer Haft nach ANAG. Als Wegmarke zur Unterscheidung der Delikte vor und nach der Haft hat die erste Haft gedient. In ZH hat die erste Haft bei den Asylsuchenden im Durchschnitt 103 Tage gedauert, bei den illegal Anwesenden 51 und in GE 28 Tage.

32

Die Einschränkung auf diese beiden Jahre erklärt sich, weil bei aktuelleren Daten die Wirkungen der Massnahmen u.U. während weniger als nur eines Jahres hätten verfolgt werden können.

2645

Die Inhaftierungen nach Artikel 13b Buchstabe b ANAG (Gefährdung von Leib und Leben) und Buchstabe c (Untertauchensgefahr) waren im Kanton ZH bei den Asylsuchenden und den illegal Anwesenden am häufigsten. Im Kanton GE kam stets Artikel 13b Buchstabe c zur Anwendung. Vier der Zürcher Asylsuchenden waren auch strafrechtlich inhaftiert, im Kanton GE waren es 12 Personen.

Bei den Berechnungen der Delinquenzentwicklung nach der Inhaftierung wurde berücksichtigt, dass 14 der Asylsuchenden im Kanton ZH und 40 der illegal anwesenden Personen nach der Haft ausgeschafft wurden. Im Kanton GE wurden 16 der Inhaftierten rückgeschafft, 14 davon unmittelbar nach der Haft.

Die Untersuchung hat aufgezeigt, dass im Kanton GE mit einer Ausnahme nur jene Personen in Ausschaffungshaft genommen werden, die polizeilich als tatverdächtig registriert waren. Dies trifft auf 94 % der dort inhaftierten Personen zu, wobei allein 12 (von insgesamt 18) eines Drogendelikts verdächtig waren. Demgegenüber sind im Kanton ZH nur 44 % aller aufgrund des ANAG inhaftierten Asylsuchenden polizeilich in Erscheinung getreten. Bei den illegal Anwesenden waren es 52 %, die vor Haft wegen mindestens einem Delikt polizeilich registriert waren. Von den 86 nicht direkt nach der Haft ausgeschafften Asylsuchenden sind 35 wieder polizeilich registriert worden (41 %), bei den 60 nicht direkt nach der Haft rückgeführten Personen aus dem ANAG-Bereich deren 36 (60 %). Alle vier nicht direkt nach der Haft ausgeschafften Ausländer im Kanton GE wurden in der Folge wegen mindestens einem Delikt polizeilich registriert. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Ausschaffungshaft ­ von der eigentlichen Haft und der Rückschaffung abgesehen ­ nicht zu einem signifikanten Rückgang jener Personen führt, die Delikte begehen.

Bei den illegal Anwesenden nimmt dieser Anteil sogar zu, ebenso deren durchschnittliche Deliktzahl pro Jahr (von 1,9 auf 2,3). Bei den Zürcher Asylsuchenden kann aber immerhin ein signifikanter Rückgang der jährlich begangenen Delikte pro delinquenten Asylsuchenden festgestellt werden (vor der Haft: 4,6; nach der Haft: 1,8, ohne Schwarzfahren und Verstösse gegen das ANAG). Dieser Rückgang kann durch die Haft erklärt werden. Bei den Asylsuchenden und den illegal anwesenden Personen im Kanton ZH standen Drogendelikte im Vordergrund und
an zweiter Stelle Vermögensdelikte.

Zusammenfassend zeigt sich ein durchmischtes Bild, wenn man die Delinquenz der nach der Ausschaffungshaft in der Schweiz verbliebenen Personen betrachtet: die Ausschaffungshaft im Allgemeinen führt nicht dazu, den Anteil der illegal Anwesenden, die wegen eines Deliktes nach der Haft registriert sind, zu verkleinern. Der Rückgang des Anteils der bei der Polizei wegen eines Deliktes bekannten Asylsuchenden ist nicht signifikant, während aber die Anzahl der registrierten Delikte pro Person nach der Haft signifikant sinkt. Die Ausschaffungshaft ist bei dieser Gruppe wirksam bezüglich der Anzahl der Delikte; bei den illegal anwesenden Ausländern ist sie es jedoch nicht, da bei diesen die Deliktzahl nach der Massnahme steigt. Eine Auswirkung der Ausschaffungshaft auf die Delinquenz kann wegen der uneinheitlichen Ergebnisse nicht schlüssig nachgewiesen werden. Ein Drittel der Asylsuchenden und zwei Drittel der illegal anwesenden Personen im Kanton ZH sowie die überwiegende Mehrheit der im Kanton GE inhaftierten Personen wurden indessen ausgeschafft und konnten somit nicht länger in der Schweiz delinquieren.

2646

4.2.2

Wirkung der Rayonverbote

Für die Listen mit je 100 zufällig ausgewählten Personen, gegen welche die Massnahme einer Aus- oder Eingrenzung in den Kantonen GE und ZH ausgesprochen worden war, konnten nur Asylsuchende berücksichtigt werden, da es im gewünschten Zeitraum praktisch keine illegal eingereisten Personen gab, gegen die ein Rayonverbot erlassen worden war. Die Liste wurde mittels Zufallsauswahl aller im Jahr 2001/2002 ausgesprochenen Ein- oder Ausgrenzungen zusammengestellt.

Das durchschnittliche Alter der ausgegrenzten Asylsuchenden in den beiden Stichproben liegt im Kanton GE mit 31 Jahren über jenem im Kanton ZH mit 25 Jahren.

Fast 80 % der in den beiden Kantonen einem Rayonverbot unterworfenen Personen stammten aus Afrika (ohne Nordafrika). Im Sommer 2004 galten 49 % der Asylsuchenden im Kanton ZH und 46 % im Kanton GE als untergetaucht. Die bei den Behörden gemeldeten Asylsuchenden sind im Kanton GE mit 41 % zahlreicher als im Kanton ZH mit 24 %. Fast 20 % der Zürcher Asylsuchenden waren ausgeschafft worden, im Kanton GE waren es 10 %.

Die Asylsuchenden, gegen die ein Rayonverbot ausgesprochen wurde, stammen nun aber nicht nur aus den untersuchten Kantonen. Zwischen diesen zeigen sich in diesem Punkt weitere Unterschiede: Im Kanton GE selber wohnen rund 30 % der Asylsuchenden, gegen die dieser Kanton ein Rayonverbot ausgesprochen hat; je 11 % leben in den Kantonen Freiburg und Waadt, 9 % im Kanton VS und der Rest kommt aus dem Kanton Neuenburg oder anderen Schweizer Kantonen (39 %). Im Kanton ZH ist die Situation anders: 65 % wohnen in diesem Kanton, der Rest kommt aus den Kantonen Aargau (9 %), Thurgau (8 %) und St. Gallen (7 %) oder aus anderen Deutschschweizer Kantonen.

Ausser zwei Eingrenzungen im Kanton ZH handelte es sich stets um Ausgrenzungen. Diese betrafen die Städte Zürich und Winterthur und den Kanton ZH. Im Kanton GE bezogen sich mehr als die Hälfte der Ausgrenzungen auf die ganze Stadt und ein Fünftel auf den Place Cornavin und den Place des Volontaires. 78 % der Zürcher Ausgegrenzten haben eine einzige Ausgrenzung erhalten, während dies im Kanton GE 58 % sind. Das Maximum an Grenzungen pro Person beträgt im Kanton ZH drei und im Kanton GE fünf. In Letzterem waren 12 % der Personen aufgrund der Nichtbefolgung des Verbots (Art. 23a ANAG) einmal und 5 % zweimal mit Gefängnis bestraft worden. Im
Kanton ZH kam es zu keiner solchen Verurteilung. Höher war dagegen der Anteil jener, gegen die Ausschaffungshaft angeordnet worden war (11 % aufgrund von Art. 13b Abs. 1 Bst. b und 9 % aufgrund 13b Abs. 1 Bst. c; im Kanton GE 2 % nach 13b Abs. 1 Bst. c). Untersuchungsrichterliche Haft war im Kanton GE gegen 11 % und im Kanton ZH gegen 1 % der Ausgegrenzten angeordnet worden.

Drei Viertel der Asylsuchenden im Kanton ZH haben vor dem Rayonverbot mindestens ein Delikt begangen, danach sind es noch 51 %. Im Kanton GE waren 99 % vor der Ausgrenzung delinquent, nach der Ausgrenzung waren es noch 50 %. In diesem Kanton wird die Ausgrenzung verstärkt gegen Delinquente verhängt. Der in beiden Kantonen verzeichnete Rückgang der Zahl der delinquenten Asylsuchenden ist signifikant. Hinsichtlich der gesamten Deliktanzahl sind die Ausgrenzungen demnach wirksam.

2647

Die Berechnung des jährlichen Mittelwertes der Deliktanzahl unter den delinquenten Asylsuchenden vor und nach der Ausgrenzung ergibt für beide Kantone indes unterschiedliche Ergebnisse: in GE steigt das jährlichen Mittel der registrierten Delikte pro delinquenten Asylsuchenden im Zeitraum von maximal zwei Jahren vor und zwei Jahren nach dem Rayonverbot von 5,9 auf 6,8 an. Diese Zunahme ist nicht signifikant. Im Kanton ZH sinkt dieser Mittelwert im gleichen Zeitraum signifikant von 5,2 auf 1,9, die Abnahme kann somit auf die Ausgrenzungen zurückgeführt werden.

Im Kanton GE wird die Ausgrenzung hauptsächlich gegen Drogenhändler angeordnet: 93 % der mit einer Ausgrenzung belegten Asylsuchenden haben einen solchen Verstoss verübt, während es im Kanton ZH 64 % sind. Betrachtet man deren Delinquenz vor und nach der Anordnung der Ausgrenzung, ist in beiden Kantonen ein signifikanter Rückgang sowohl der Zahl der wegen Drogendelikten registrierten Asylsuchenden als auch der Drogendelikte selber zu verzeichnen.

Dieselbe Analyse bezüglich der Eigentumsdelikte zeigt ein anderes Resultat. Die Massnahme ist bei solchen Delikten nicht wirksam. Bei Eigentumsverstössen, zumeist handelte es sich dabei um Ladendiebstahl, kommt es in beiden Kantonen zu einer ­ wenn auch nicht signifikanten ­ Zunahme der Deliktanzahl pro delinquenten Asylsuchenden. Im Kanton ZH nimmt sogar die Zahl der so delinquierenden Asylsuchenden zu, während dem sie im Kanton GE abnimmt. Dieses Ergebnis kann einerseits dadurch erklärt werden, dass die Asylsuchenden, die schon ein Eigentumsdelikt vor der Zwangsmassnahme verübt haben, nicht so zahlreich sind (18 % im Kanton GE und 11 % im Kanton ZH) wie im Drogenbereich, aber auch damit, dass Rayonverbote weniger auf Asylsuchende, die Eigentumsdelikte begehen, zugeschnitten sind.

Die Rayonverbote erweisen sich in ZH und GE also als wirksame Massnahme, um die Zahl der Asylsuchenden, die Delikte begehen, zu verkleinern. Allerdings nimmt die Deliktanzahl pro delinquenten Asylsuchenden nach der Massnahme nur im Kanton ZH ab, im Kanton GE ist dies nur bezüglich der Drogenvergehen der Fall.

Betreffend der Drogendelikte sind Rayonverbote in den beiden Kantonen auf zwei Ebenen wirksam: weniger Asylsuchende werden nach dieser Massnahme delinquent und zweitens sinkt die Zahl solcher Delikte signifikant. Bezüglich der Eigentumsdelikte ist die Massnahme nicht wirksam.

4.2.3

Einschätzung der Wirkungen der Zwangsmassnahmen

Die leitenden Mitarbeiter der Durchgangszentren zeichneten in den Interviews des ICDP zu den Wirkungen der Zwangsmassnahmen auf die Delinquenz ein Bild, das sich mit den Resultaten der statistischen Erhebung nur teilweise deckt. Hinsichtlich der Ausschaffungshaft waren diese im Kanton GE fast einstimmig der Meinung, die Massnahmen seien nicht wirksam. Die Bestrafung sei nicht genügend bedeutend, damit die Betroffenen ausreisten. Wer pro Monat 10 000 Franken mit Kokainhandel verdiene, dem mache es nichts aus, einen Monat im Gefängnis zu verbringen. Die Haft habe keinen Einfluss auf das Betragen der Delinquenten. Die Leiter der Zürcher Asylzentren gaben sich ebenfalls überzeugt, dass die Ausschaffungshaft kein geeignetes Mittel gegen die Delinquenz ist. Wenn die Asylsuchenden aus der Haft kommen würden, wüssten sie, dass sie nicht aus der Schweiz ausgeschafft werden kön2648

nen. Die Haft gebe den Personen nach ihrer Entlassung die Sicherheit, dass man ihnen nichts anhaben könne. Das gebe ihnen einen Freipass für weitere Delinquenz.

Die Person könne dann stehlen gehen und riskiere nur in Haft genommen, aber nicht ausgeschafft zu werden.

Hinsichtlich der Einschätzung der Wirkungen der Rayonverbote haben die befragten Mitarbeiter der Durchgangszentren eine andere Ansicht, als dies die Resultate der Untersuchung erwarten liessen. Bei den Ausgrenzungen gäbe es praktisch keine Wirksamkeit. Sie würden zum Teil willkürlich ausgesprochen. Die Verfügung werde gar nicht beachtet. Die Personen würden sechs Monate Gefängnis bei einer Verletzung in Kauf nehmen. Sie wüssten, dass die Ausgrenzung selten polizeilich durchgesetzt werde. Die Personen würden nicht weniger delinquieren, sie würden sich sofort wieder andere Nischen suchen. Die «Kügelidealer» würden einfach in eine andere Stadt wie Bern oder Lausanne gehen. Die Ausgrenzung würde nur bei ganz wenigen Personen nützen, nämlich bei Personen, welche verführt worden seien. In diesen Fällen nütze diese Massnahme vielleicht etwas, wobei dies ein ganz kleiner Prozentsatz aller kriminellen Personen sei. Eine Eingrenzung bringe mehr. Dies aber nur, wenn deren Verletzung auch wirklich geahndet werde.

4.3

Zur Bedeutung der Ergebnisse

In ihrem Bericht kommen die Experten des ICDP zu folgender Einschätzung der Wirkungen von Zwangsmassnahmen: Aufgrund der Interviews mit den Asylsuchenden und den Verantwortlichen der Asylunterkünfte stellt sich die Frage, ob die Zwangsmassnahmen hinsichtlich Delinquenz überhaupt wirksam sind. Die quantitative Untersuchung hat indessen ergeben, dass die Anzahl der Delinquenten unter den erfassten Personen (die sog. Prävalenzrate) nach einer Inhaftierung, aber auch nach einer Ausgrenzung mehrheitlich abgenommen hat. Signifikant rückläufig war überwiegend die Anzahl der ­ pro delinquierende Person ­ begangenen Delikte (die sog.

Inzidenzrate). Dabei war der Rückgang stärker bei den Drogendelikten als bei den Diebstählen und anderen Eigentumsdelikten, wo sich vor allem im Kanton ZH zum Teil auch konträre Effekte nachweisen liessen (Zunahme bei den illegal Anwesenden). Allerdings könnte hier eine Rolle gespielt haben, dass im Kanton ZH die Zwangsmassnahmen weniger gezielt auf eine kriminell aktive Bevölkerungsgruppe ausgerichtet waren, was von vorneherein einen nur reduzierten positiven Effekt erwarten liess.

Gemäss den analysierten Stichproben waren die Massnahmen betreffend Ausgrenzung in beiden Kantonen betrachtet wirksam. Nach einer Zwangsmassnahme wie z.B. der Ausschaffungshaft nimmt die Delinquenz im Vergleich mit der Massnahme der Ausgrenzung deutlich weniger ab. Daraus kann gefolgert werden, dass die an sich weniger einschneidende Zwangsmassnahme der Beschränkung der geographischen Mobilität deutlicher positive Wirkungen zeitigte als die Inhaftierung.

2649

5

Fazit

In einer Umfrage des BFM zur Anwendung der Zwangsmassnahmen, die die Jahre 1995­2000 und alle Kantone erfasst hat, wurde hinsichtlich der Ausschaffungshaft u.a. festgestellt, dass rund 80 % der inhaftierten Asylsuchenden und illegal anwesenden Ausländer rückgeführt werden konnten. Die durchschnittliche Haftdauer betrug weniger als 23 Tage.33 Aus der Umfrage resultierte ferner, dass die Kantone die Zwangsmassnahmen unterschiedlich anwenden. Vorliegende Evaluation differenziert solche Aussagen nicht nur, sondern präsentiert auch neue Erkenntnisse und Zusammenhänge.

Die PVK hat die Anwendung der Zwangsmassnahmen in fünf Kantonen in den Jahren 2001 bis 2003 untersucht. Dabei war das Hauptaugenmerk auf das Instrument der Ausschaffungshaft gerichtet, das bedeutendste der Zwangsmassnahmen. Die Datenanalyse und die Interviews mit den Zuständigen haben bestätigt, dass dieses Instrument von den einzelnen Kantonen unterschiedlich angewendet wird. Das dem so ist, liegt zu einem guten Teil daran, dass das Bundesgesetz es den Kantonen mit einer «Kann»-Formulierung freistellt, die Massnahmen anzuwenden oder nicht.

Die Anwendungspraxis des Kantons GE hinsichtlich der Ausschaffungshaft kann als restriktiv, jene im Kanton SH als zurückhaltend charakterisiert werden. In den Kantonen BL, VS und ZH wird das Instrument der Ausschaffungshaft hingegen konsequent und regelmässig eingesetzt. Diese unterschiedliche Einstellung widerspiegelt sich in den kantonalen Statistiken. Wesentliche Differenzen zwischen den Kantonen gibt es nicht nur bei der Häufigkeit der Haftanordnungen, beim betroffenen Ausländerkreis und der Haftdauer, sondern auch im Haftergebnis. Generell kann zwar festgehalten werden, dass in allen Kantonen hinsichtlich der Altersstruktur eine ähnliche Gruppe inhaftiert wird und dass sich hinsichtlich der Nationalitäten Parallelen ergeben, so z.B. beim grossen Anteil der Personen aus dem Balkan und Osteuropa. Unterschiede finden sich indes bezüglich der Zahl inhaftierter Afrikaner: Im Kanton SH werden kaum solche Personen inhaftiert, während sie im Kanton GE oder in den Kantonen BL und ZH relativ zahlreich sind; viele von ihnen sind Asylsuchende. Generell kann weiter konstatiert werden, dass in den Kantonen VS und ZH der Anteil der illegal anwesenden Personen, gegen die Ausschaffungshaft angeordnet wurde,
höher ist als jener der Asylsuchenden, was zum Teil mit geografischen Faktoren zusammenhängt (Transitlage, städtisches Ballungsgebiet). Die Analyse der angeführten Haftgründe zeigt auf, dass in den Kantonen ausschliesslich oder häufig die Untertauchensgefahr massgebend ist und nur in den Kantonen BL und ZH die Verletzung eines Rayonverbotes zur Ausschaffungshaft führt. Beim Haftgrund erweist sich, dass sich auf der kantonalen Ebene bei der richterlichen Haftüberprüfung keine einheitliche Praxis herausgebildet hat.

Während den befragten kantonalen Behörden die unterschiedliche Ausschöpfung der Zwangsmassnahmen in den Kantonen keine Probleme bereitet, ist diese für die Arbeit des BFM mit Koordinationsproblemen und Effizienzeinbussen verbunden.

Die nichtbehördliche Seite weist auf einen dritten Punkt hin: Für Betroffene erscheint die unterschiedlich intensive Anordnung von Zwangsmassnahmen als Ausdruck der Willkür.

In den untersuchten Kantonen bleiben knapp 60 bis gut 80 % der Inhaftierten weniger lang als einen Monat in Haft. Der Anteil der länger als sechs Monate Inhaftierten 33

Vgl. Botschaft zum AuG BBl 2002 3766 f.

2650

ist gering und überschreitet in keinem Kanton die 4-Prozent-Marke. In den Kantonen GE und SH bleiben im Vergleich mit den anderen Kantonen verhältnismässig wenige Personen länger als drei Monate in Haft. Dies hängt im Falle des Kantons GE hauptsächlich mit den richterlichen Anforderungen an eine Haftverlängerung zusammen, im Kanton SH mit der Praxis, dass primär Personen mit intakten Rückführungschancen in Haft gesetzt werden und eine lange Haft nur selten beansprucht wird. In den anderen Kantonen sind vermehrt Personen in Haft, deren Rückführung technisch möglich, aber in der Durchführung schwierig ist, was mit einer längeren Haftdauer einhergeht. Das äussert sich in den unterschiedlichen kantonalen Rückführungsquoten.

Der Mittelwert der kantonalen Rückführungsquoten der fünf untersuchten Kantone beträgt 73 %. Damit ist er leicht tiefer als jener Wert, den diese Kantone in den Jahren 1995­2000 erreicht haben (76 %).34 Das mag mit der Änderung der Nationalitäten der Ausreisepflichtigen und mit dem seither grösser gewordenen Problem der fehlenden Papiere zusammenhängen. Aufschlussreich ist aber die Aufschlüsselung der Rückführungsrate auf die beiden Rechtsbereiche. Bei den illegal anwesenden Personen beträgt sie im kantonalen Durchschnitt 81 % und in den einzelnen Kantonen zwischen 75 und bis 100 % (Ausnahme Kanton GE). Diese hohe Rückführungsquote resultiert daraus, dass illegal anwesende Personen zumeist gültige Reisedokumente besitzen, vielfach aus Ländern kommen, mit denen Rückübernahmeabkommen bestehen, und dass diese selber nicht an einer längeren Haft interessiert sind, weil ihnen während der Haft die angestrebten Verdienstmöglichkeiten verwehrt sind. Im Asylbereich beträgt die Quote durchschnittlich 63 %. Nur der Kanton SH hat mit 86 % einen hohen Anteil an Rückgeführten, die übrigen Kantone haben Quoten zwischen 50 und 64 %. Unter dem Gesichtspunkt des direkten Rückführungserfolgs ist die Ausschaffungshaft im Asylbereich demnach weniger wirksam als im ANAG-Bereich.

Wird der Zusammenhang zwischen der Haftdauer und dem Haftergebnis betrachtet, bestätigt sich dies. Dabei fällt ins Auge, dass die höchsten Rückführungsraten in beiden Rechtsbereichen bei den kürzeren Haftfällen, also den bis zu vier Tage oder bis zu einem Monat dauernden Inhaftierungen, erreicht werden. Mit zunehmender Haftdauer
sinken die Quoten in der Regel sehr deutlich. Das zeigt sich in den Kantonen mit einem höheren Anteil der längeren Haften, also in den Kantonen BL, VS und ZH. Bei den bis zur Maximaldauer von neun Monaten dauernden Inhaftierungen fallen die Rückführungsquoten im Asylbereich auf 7 bis 29 % zurück. Diese geringe Rate kann einerseits damit erklärt werden, dass der Zweck der Haft, die Sicherstellung des Wegweisungsvollzugs, trotz der langen Inhaftierungsdauer nicht erreicht werden konnte, etwa wegen der sich erweisenden Unmöglichkeit, Reisepapiere zu beschaffen. Andererseits lässt sich daraus schliessen, dass oft auch Personen festgehalten wurden, deren Rückführungsmöglichkeit aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen minim war. Artikel 13c Absatz 5 Buchstabe a ANAG, wonach eine Haft zu beenden ist, wenn sich erweist, dass der Vollzug der Wegweisung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen undurchführbar ist, wird in den Kantonen offenbar verschieden ausgelegt, worauf auch die Unterschiede in der Haftdauer hinweisen.

Aufgrund der tiefen Rückführungswerte bei den langen Haftfällen kann gefragt werden, inwieweit die Ausschaffungshaft nicht auch den Charakter einer Beuge34

Sekundärauswertung der PVK aufgrund der Daten aus der Umfrage des BFM (2001) zur Anwendung der Zwangsmassnahmen in den Kantonen.

2651

oder Durchsetzungshaft angenommen hat. Bei einer solchen Haftart steht im Vordergrund, durch den Druck der Inhaftierung die ausreisepflichtige Person zum Einverständnis zur Rückreise zu bewegen.

Ob eine Verlängerung der Maximaldauer der Ausschaffungshaft einen psychologischen Effekt auf Ausreisepflichtige und Inhaftierte ausüben würde, wie dies einzelne Kantonsbehörden vermutet haben, kann aufgrund der Resultate der Interviews und der Datenanalyse in Frage gestellt werden. Ein Effekt auf bestimmte Personen besteht schon mit der heutigen Konzeption der Ausschaffungshaft. Auf andere wirkt sie nicht, wie die tiefen Rückführungsquoten bei langen Haftfällen zeigen. In den Kantonen wird festgestellt, dass es sich zumeist schon anfangs der Haft abzeichnet, welche Ausreisepflichtige zur Kooperation mit den Behörden ­ etwa bei der Papierbeschaffung ­ bereit sind. Mit zunehmender Haftdauer sinkt die Kooperationsbereitschaft. Unter diesem Gesichtspunkt kann angenommen werden, dass eine Verlängerung der Haft kaum eine signifikante Erhöhung der Rückführungsquoten bringen wird. Dazu haben die Ergebnisse klar gezeigt, dass eine Rückführung nicht allein von der Anwendung oder Verschärfung der Zwangsmassnahmen abhängt, sondern auch von externen, zum Teil nicht beeinflussbaren Faktoren.

Die Häufigkeit der angeordneten Ausschaffungshaft in den untersuchten Kantonen geht nicht zwingend mit einem höheren Rückführungsanteil bei den Abgängen im Asylbereich einher. In der untersuchten Zeit betrug der Anteil der ausgeschafften Personen gemessen am Total der Abgänge in den Kantonen (selbstständige Ausreise, unkontrollierte Abreise, andere Abgänge) zwischen 10 und 14 %. Zwischen den Kantonen gibt es indes grosse Unterschiede beim Anteil der Rückgeführten mit vorhergehender Ausschaffungshaft und dem Total der Rückgeführten. So werden im Kanton GE 93 % der Rückgeführten am Tag der Abreise an ihrem Aufenthaltsort polizeilich abgeholt und an den Flughafen begleitet; direkt aus der Haft kamen die restlichen 7 %. Im Kanton ZH wurden nur 5 %, vor allem Familien, am Abreisemorgen polizeilich abgeholt. Die restlichen 95 % wurden vorgängig ­ für zumeist kurze Zeit ­ in Ausschaffungshaft gesetzt, um so zu verhindern, dass die aufwändigen Vorbereitungsarbeiten der Behörden nicht unnütz werden. Eine solche Politik hat aber auch ihren
Preis. Dies wird offensichtlich, wenn die Gesamthaftkosten der Ausschaffungshaftfälle in Bezug auf die Rückgeführten nach Ausschaffungshaft oder mit alleiniger polizeilicher Abholung gesetzt werden. Nach dieser Berechnung kostet ein Ausgeschaffter im Kanton ZH mit rund 13 500 Franken 12mal mehr als im Kanton GE. Im Kanton BL kommt eine Rückführung unter dem Gesichtspunkt der Haftkosten gar auf über 31 000 Franken zu stehen.

Die unterschiedlich intensive Anordnung der Ausschaffungshaft im Asylbereich kann nicht als bestimmende Ursache für die verschieden hohen kantonalen Bestände im Vollzugsprozess verantwortlich gemacht werden. Hinsichtlich der illegal anwesenden Personen konnten keine Referenzgrössen eruiert werden, um die Bedeutung der Ausschaffungshaft in einem weiteren Rahmen orten zu können.

Unter dem Kostenaspekt ist festzuhalten, dass bei einer Haftdauer unter drei Monaten die Haftkosten für Rückgeführte in der Regel höher sind als die Kosten für die aus der Haft entlassenen Personen. Bei einer rein ökonomischen Betrachtung der Ausschaffungshaft kann das Kosten-Nutzen-Verhältnis nur bei diesen Inhaftierungen als günstig bezeichnet werden. Bei den längeren Inhaftierungen, die in erster Linie aus dem Asylbereich stammen, stehen hohe Kosten einem relativ tiefen Rückführungserfolg entgegen. Der Kostenanteil jener Personen, die im Anschluss an die Haft nicht rückgeführt werden konnten, überwiegt, vom Kanton SH abgesehen, in 2652

allen untersuchten Kantonen. Die Behörden schätzen die Ausschaffungshaft als relativ aufwändig und teuer ein. Die meisten von ihnen betrachten sie aber dennoch als Instrument, dessen Kosten durch den Nutzen gerechtfertigt wird. Dabei ist in Betracht zu ziehen, dass die Durchsetzung rechtsstaatlicher Massnahmen stets mit Kosten verbunden ist. Von nichtbehördlicher Seite wurde die Massnahme als teuer bezeichnet und erwähnt, dass sie z.T. auf Personen angewendet werde, die auch ohne Haft ausreisen würden. In vielen Fällen würden Eingrenzungen kostengünstiger ausfallen; auch könne das für die Haft aufgewendete Geld mit grösserem Effekt beispielsweise in der Rückkehrberatung und in Rückkehrprogramme investiert werden.

Von den meisten Kantonen wird die Ausschaffungshaft als ein Mittel angesehen, welches dazu beiträgt, den Wegweisungsvollzug sicherzustellen. Dies trifft, denkt man an die unterschiedlich hohen Rückführungsquoten in beiden Rechtsbereichen, primär für den ANAG-Bereich zu. Im Asylbereich ist dieses Instrument weniger wirksam, sei es, weil eine Rückführung trotz Inhaftierung praktisch aussichtslos ist, da sich z.B. die Identifikation als unverhältnismässig langwierig erweist, die Inhaftierten nicht kooperationsbereit sind oder Herkunftsländer sich grundsätzlich weigern, zwangsweise rückgeführte Personen einreisen zu lassen. Zudem kann ein Teil der Asylsuchenden, deren Asylgesuch abgewiesen wurde, nicht inhaftiert werden, weil die Voraussetzungen für die Anordnung von Ausschaffungshaft nicht erfüllt sind (Vollzug der Wegweisung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen undurchführbar).

In jenen Fällen, in denen Ausschaffungshaft angeordnet wird, kann dies nach Ansicht der kantonalen Behörden zu einer Beschleunigung des Verfahrens führen.

Die inhaftierte Person ist stets erreichbar, wenn es z.B. um Identitätsabklärungen geht. Einen entscheidenden Einfluss auf das Gelingen einer Rückführung haben aber noch andere gewichtige Faktoren: das Vorhandensein von funktionierenden Rückübernahmeabkommen oder das Vorliegen von Anreizsystemen, also Rückkehrhilfen.

Die Zwangsmassnahmen sind dabei ein Element im Wegweisungsvollzug und haben die Funktion eines Druckmittels. Allerdings ist dieses dadurch geschwächt, dass es nicht immer zur Rückführung führt, was auch den Ausreisepflichtigen bekannt ist.
Eine abschreckende Wirkung des Instruments wird u.a. deshalb nicht von allen in dieser Untersuchung befragten Personen angenommen. Als negative Nebeneffekte der Haft gelten ihre Wirkungen auf das Befinden der Inhaftierten. Bei einigen löst sie psychische Störungen und Depressionen aus. Für andere ist eine Inhaftierung unproblematisch und nicht abschreckend, weil z.B. Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten bestehen.

In der empirischen Studie des ICDP wurde die Wirkung der Ausschaffungshaft und der Rayonverbote bei Asylsuchenden und illegal anwesenden Personen in den Kantonen GE und ZH analysiert; z.T. wurden signifikante Zusammenhänge festgestellt. Während im Kanton GE Haft nach ANAG nur selten angeordnet wird und die Ein- und Ausgrenzung klar im Vordergrund steht, kommt die Ausschaffungshaft im Kanton ZH deutlich häufiger vor. Zudem zeigte sich, dass im Kanton GE derartige Massnahmen praktisch ausschliesslich gegenüber Delinquenten verhängt werden, wogegen im Kanton ZH offenbar eher die Durchsetzung ausländerrechtlicher Anordnungen im Vordergrund steht.

Was die Wirkung dieser Massnahmen auf die Delinquenz von Asylsuchenden anbelangt, so waren sie in beiden Kantonen generell gesehen günstig. Unter Berücksichtigung der Dauer der Zeiträume von zwei Jahren vor und nach Verhängung einer 2653

Massnahme resultiert im Asylbereich ­ im Gegensatz zu den Ergebnissen bei den illegal anwesenden Personen ­ überwiegend ein signifikanter Rückgang der als angeschuldigt registrierten Personen wie auch ihrer Delinquenzhäufigkeit, und zwar besonders bei den Drogendelikten. Bei den Vermögensdelikten hingegen war die Wirkung nicht signifikant. Die Untersuchung hat zudem aufgezeigt, dass Ein- und Ausgrenzungen hinsichtlich der Wirksamkeit gegenüber Delinquenten den Anordnungen der Ausschaffungshaft anscheinend überlegen sind. Da die «Verbannung» wesentlich weniger Kosten verursacht und auch sonst deutlich weniger einschneidend ist, erscheinen Massnahmen zur Einschränkung der räumlichen Mobilität (etwa im Anfangsstadium des Asylverfahrens) auch als eine Alternative zur Haft.

2654

Bundesgesetz über die Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht

Anhang 1

vom 18. März 1994

Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, gestützt auf Artikel 69ter der Bundesverfassung, nach Einsicht in die Botschaft des Bundesrates vom 22. Dezember 19931,1 beschliesst: I Das Bundesgesetz vom 26. März 193122über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer wird wie folgt geändert: Art. 13a Um die Durchführung eines Wegweisungsverfahrens sicherzustellen, kann die zuständige kantonale Behörde einen Ausländer, der keine Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung besitzt, während der Vorbereitung des Entscheides über seine Aufenthaltsberechtigung für höchstens drei Monate in Haft nehmen, wenn er: a.

sich im Asyl- oder Wegweisungsverfahren weigert, seine Identität «offenzulegen» mehrere Asylgesuche unter verschiedenen Identitäten einreicht oder wiederholt einer Vorladung ohne ausreichende Gründe keine Folge leistet;

b.

ein nach Artikel 13e ihm zugewiesenes Gebiet verlässt oder ihm verbotenes Gebiet betritt;

c.

eine Einreisesperre missachtet hat und nicht sofort weggewiesen werden kann;

d.

nach einer rechtskräftigen Ausweisung aufgrund von Artikel 10 Absatz 1, Buchstabe a oder b oder nach einer unbedingten Landesverweisung ein Asylgesuch einreicht;

e.

Personen ernsthaft bedroht oder an Leib und Leben erheblich gefährdet und deshalb strafrechtlich verfolgt wird oder verurteilt worden ist.

Art. 13b Wurde ein erstinstanzlicher Weg- oder Ausweisungsentscheid eröffnet, so kann die zuständige kantonale Behörde den Ausländer zur Sicherstellung des Vollzugs:

1

1 2

BBl 1994 1 305 SR 142.20

2655

Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht. BG

a.

in Haft belassen, wenn er sich gestützt auf Artikel 13a bereits in Haft befindet;

b.

in Haft nehmen, wenn Gründe nach Artikel 13a Buchstabe b, c oder e vorliegen;

c.

in Haft nehmen, wenn konkrete Anzeichen befürchten lassen, dass er sich der Ausschaffung entziehen will, insbesondere weil sein bisheriges Verhalten darauf schliessen lässt, dass er sich behördlichen Anordnungen widersetzt.

Die Haft darf höchstens drei Monate dauern; stehen dem Vollzug der Weg- oder Ausweisung besondere Hindernisse entgegen, so kann die Haft mit Zustimmung der kantonalen richterlichen Behörde um höchstens sechs Monate verlängert werden.

2

Die für den Vollzug der Weg- oder Ausweisung notwendigen Vorkehren sind umgehend zu treffen.

3

Art. 13c Die Haft wird von der Behörde des Kantons angeordnet, welcher für den Vollzug der Weg- oder Ausweisung zuständig ist.

1

Die Rechtmässigkeit und die Angemessenheit der Haft sind spätestens nach 96 Stunden durch eine richterliche Behörde aufgrund einer mündlichen Verhandlung zu überprüfen.

2

Die richterliche Behörde berücksichtigt bei der Überprüfung des Entscheides über Anordnung, Fortsetzung und Aufhebung der Haft neben den Haftgründen insbesondere die familiären Verhältnisse der inhaftierten Person und die Umstände des Haftvollzugs. Die Anordnung einer Vorbereitungs- oder Ausschaffungshaft gegenüber Kindern und Jugendlichen, die das 15. Altersjahr noch nicht zurückgelegt haben, ist ausgeschlossen.

3

Der inhaftierte Ausländer kann einen Monat nach der Haftüberprüfung ein Haftentlassungsgesuch einreichen. Über das Gesuch hat die richterliche Behörde innert acht Arbeitstagen aufgrund einer mündlichen Verhandlung zu entscheiden. Ein erneutes Gesuch um Haftentlassung kann bei der Haft gemäss Artikel 13a nach einem und bei der Haft gemäss Artikel 13b nach zwei Monaten gestellt werden.

4

5

Die Haft wird beendet, wenn: a.

der Haftgrund entfällt oder sich erweist, dass der Vollzug der Weg- oder Ausweisung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen undurchführbar ist;

b.

einem Haftentlassungsgesuch entsprochen wird;

c.

die inhaftierte Person eine freiheitsentziehende Strafe oder Massnahme antritt.

Die zuständige Behörde hat über die Aufenthaltsberechtigung des inhaftierten Ausländers ohne Verzug zu entscheiden.

6

2656

Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht. BG

Art. 13d Die Kantone sorgen dafür, dass eine vom Verhafteten bezeichnete Person in der Schweiz benachrichtigt wird. Der Verhaftete kann mit seinem Rechtsvertreter mündlich und schriftlich verkehren.

1

Die Haft ist in geeigneten Räumlichkeiten zu vollziehen. Die Zusammenlegung mit Personen in Untersuchungshaft oder im Strafvollzug ist zu vermeiden. Den Inhaftierten ist soweit möglich geeignete Beschäftigung anzubieten.

2

Art. 13e Die zuständige kantonale Behörde kann einem Ausländer, der keine Aufenthalts oder Niederlassungsbewilligung besitzt und der die öffentliche Sicherheit und Ordnung stört oder gefährdet, insbesondere zur Bekämpfung des widerrechtlichen Betäubungsmittelhandels, die Auflage machen, ein ihm zugewiesenes Gebiet nicht zu verlassen oder ein bestimmtes Gebiet nicht zu betreten.

1

Diese Massnahmen werden von der Behörde des Kantons angeordnet, der für den Vollzug der Weg- oder Ausweisung zuständig ist. Das Verbot, ein bestimmtes Gebiet zu betreten, kann auch von der Behörde des Kantons erlassen werden, in dem dieses Gebiet liegt.

2

Gegen die Anordnung dieser Massnahmen kann bei einer kantonalen richterlichen Behörde Beschwerde geführt werden. Die Beschwerde hat keine aufschiebende Wirkung.

3

Art. 14 Die zuständige kantonale Behörde kann einen Ausländer in einen von ihr bezeichneten Staat ausschaffen, wenn:

1

a.

er die Frist, die ihm zur Ausreise gesetzt werden ist, verstreichen lässt;

b.

seine Weg- oder Ausweisung sofort vollzogen werden kann;

c.

er sich nach Artikel 13b in Haft befindet und ein rechtskräftiger Aus- oder Wegweisungsentscheid vorliegt.

Hat der Ausländer die Möglichkeit, rechtmüssig in mehrere Staaten auszureisen, so wird er in das Land seiner Wahl ausgeschafft.

2

Die zuständige kantonale Behörde kann während eines Aus- oder Wegweisungsverfahrens einen Ausländer sowie Sachen, die er mitführt, zur Sicherstellung von Reise- und Identitätspapieren durchsuchen. Die Durchsuchung darf nur von einer Person gleichen Geschlechts durchgeführt werden.

3

Ist ein erstinstanzlicher Entscheid ergangen, so kann die richterliche Behörde die Durchsuchung einer Wohnung oder anderer Räume anordnen, wenn der Verdacht besteht, dass sich ein weg- oder auszuweisender Ausländer darin verborgen hält.

4

2657

Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht. BG

Art. 14a Abs. 1 Ist der Vollzug der Weg- oder Ausweisung nicht möglich, nicht zulässig oder nicht zumutbar, so verfügt das Bundesamt für Flüchtlinge die vorläufige Aufnahme.

1

Art. 14b Abs. 1 und 2 Die vorläufige Aufnahme kann vom Bundesamt für Ausländerfragen, von der Bundesanwaltschaft und von der kantonalen Fremdenpolizeibehörde beantragt werden.

1

Die vorläufige Aufnahme ist aufzuheben, wenn der Vollzug zulässig und es dem Ausländer möglich und zumutbar ist, sich rechtmässig in einen Drittstaat oder in seinen Heimatstaat oder in das Land zu begeben, in dem er zuletzt wohnte. Sie erlischt, wenn der Ausländer freiwillig ausreist oder eine Aufenthaltsbewilligung erhält.

2

Art. 14d Aufgehoben Art. 14e Der Bund kann den Bau und die Einrichtung kantonaler Haftanstalten, die ausschliesslich dem Vollzug der Vorbereitungs- und der Ausschaffungshaft dienen, ganz oder teilweise finanzieren. Für das Verfahren sind die einschlägigen Bestimmungen der Abschnitte 2 und 5­8 des Bundesgesetzes vom 5. Oktober 19843 über die Leistungen des Bundes für den Straf- und Massnahmenvollzug sinngemäss anwendbar.

1

Der Bund beteiligt sich mit einer Tagespauschale an den Betriebskosten der Kantone für den Vollzug der Vorbereitungs- und der Ausschaffungshaft. Die Pauschale wird ausgerichtet für:

2

a.

Asylbewerber;

b.

Flüchtlinge und Ausländer, deren Inhaftierung im Zusammenhang mit der Aufhebung einer vorläufigen Aufnahme steht;

c.

Personen, deren Inhaftierung im Zusammenhang mit einer Wegweisungsverfügung des Bundesamtes für Flüchtlinge angeordnet wurde;

d.

Flüchtlinge, die nach Artikel 44 des Asylgesetzes vom 5. Oktober 19794 ausgewiesen werden.

Art. 15 Abs. 4 erster Satz Das Bundesamt für Flüchtlinge ist für Anordnung und Vollzug der vorläufigen Aufnahme zuständig, soweit dieses Gesetz nicht die Kantone damit beauftragt. ...

4

3 4

SR 341 SR 142.31

2658

Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht. BG

Art. 20 Abs. 1bis Aufgehoben Art. 23a Wer Massnahmen nach Artikel 13e nicht befolgt, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahr oder mit Haft bestraft, falls sich erweist, dass der Vollzug der Weg- oder Ausweisung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen undurchführbar ist.

Art. 24 Abs. 1 erster Satz Die Verfolgung und Beurteilung der Zuwiderhandlungen nach den Artikeln 23 und 23a obliegt den Kantonen. ...

1

II Das Asylgesetz vom 5. Oktober 19795 wird wie folgt geändert: Art. 12b Sachüberschrift, Abs. 1 Bst. b und Abs. 5 Mitwirkungspflicht und Durchsuchung Wer um Asyl ersucht, ist verpflichtet, an der Feststellung des Sachverhaltes mitzuwirken. Er muss insbesondere:

1

b.

bereits in der Empfangsstelle Reisepapiere und Identitätsausweise abgeben;

Ist der Gesuchsteller in einer Empfangsstelle oder Kollektivunterkunft untergebracht, so kann die zuständige Behörde ihn sowie Sachen, die er mitführt, zur Sicherstellung von Reise- und Identitätspapieren sowie von gefährlichen Gegenständen durchsuchen. Der Gesuchsteller darf nur von einer Person gleichen Geschlechts durchsucht werden.

5

Art. 17a Abs. 1 Bst. b und d sowie Abs. 2 1

Die Wegweisungsverfügung enthält: b.

die Festsetzung des Zeitpunktes, in dem der Gesuchsteller schweizerisches Gebiet verlassen haben muss. Im Falle der Anordnung einer vorläufigen Aufnahme wird eine Frist im Zeitpunkt der Aufhebung bestimmt

d.

gegebenenfalls die Bezeichnung jener Staaten, in welche der Gesuchsteller nicht zurückgeführt werden darf,

Bei Entscheiden nach Artikel 16 Absätze 1 und 2 kann der sofortige Vollzug angeordnet werden.

2

5

SR 142.31

2659

Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht. BG

Art. 18 Abs. 1 und 3 Ist der Vollzug der Wegweisung nicht möglich, nicht zulässig oder nicht zumutbar, so regelt das Bundesamt das Anwesenheitsverhältnis nach den gesetzlichen Bestimmungen über die vorläufige Aufnahme von Ausländern.

1

Erweist sich der Vollzug trotz Anwendung von Zwangsmitteln als nicht durchführbar, so beantragt der Kanton dem Bundesamt die Anordnung einer vorläufigen Aufnahme.

3

Art. 47 Sachüberschrift, Abs. 1, 2 und 2bis Aufschiebende Wirkung und sofortiger Vollzug Ist die Wegweisung sofort vollziehbar, so kann der Ausländer innert 24 Stunden ein Gesuch um Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einreichen. Er ist auf seine Rechte hinzuweisen.

1

Über ein Begehren um Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung hat die zuständige Behörde innert 48 Stunden zu entscheiden.

2

2bis Der Beschwerdeführer kann bis zum Entscheid über sein Begehren von der zuständigen Behörde während maximal 72 Stunden festgehalten werden.

III Schlussbestimmungen Art. 1

Vollzug

Die Kantone erlassen die für den Vollzug dieses Gesetzes notwendigen Einführungsbestimmungen.

1

Bis zum Erlass derselben, aber während höchstens zwei Jahren, sind die Kantonsregierungen befugt, die notwendigen Bestimmungen zu erlassen.

2

Art. 2

Übergangsbestimmungen

Für die im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes hängigen Verfahren gilt das neue Recht. Die Anordnung einer Vorbereitungs- oder Ausschaffungshaft oder einer Durchsuchung aufgrund von Tatsachen, die vor Inkrafttreten dieses Gesetzes eingetreten sind, ist jedoch ausgeschlossen.

2660

Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht. BG

Art. 3

Referendum und Inkrafttreten

1

Dieses Gesetz untersteht dem fakultativen Referendum.

2

Der Bundesrat bestimmt das Inkrafttreten.

Nationalrat, 18. März 1994

Ständerat, 18. März 1994

Die Präsidentin: Gret Haller Der Protokollführer: Anliker

Der Präsident: Jagmetti Der Sekretär: Lanz

Ergebnis der Volksabstimmung und Inkraftsetzung 1

Dieses Gesetz ist vom Volk am 4. Dezember 1994 angenommen worden.6

2

Es wird auf den 1. Februar 1995 in Kraft gesetzt.

20. Januar 1995

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Villiger Der Bundeskanzler: Couchepin

6

BBI 1995 I 278

2661

Anhang 2

Liste der befragten Personen Arn Urs

Bundesamt für Migration, DB Einreise Aufenthalt & Rückkehr

Arnold Stephan

Chef Abteilung Recht und Internationales, Bundesamt für Flüchtlinge, Bern

Bétrisey André

Chef de la section «Etrangers et passeports», SEE, Sion

Biland Sabine

Schweizerisches Rotes Kreuz (SRK) Kanton Zürich, Transitbereich Flughafen Zürich

Caduff Pius

Abteilungschef Vollzugsunterstützung, Bundesamt für Migration, Bern

Crisinel Pierre

Chef de la section Police judiciaire, Genève

Dalla Valle Remo

Abteilungsleiter, Abteilung Ausschaffungshaft, Flughafengefängnis Zürich, Zürich

Ducrest Bernard

Vice-directeur, Chef du Service de l'asile, Service cantonal de la population, Genève

Fournier Jean-Bernard

Juge, Tribunal cantonal, Sion

Gianadda Françoise

Directrice du Service de l'état civil et des étrangers (SEE), Sion

Göttl Johan

Mitarbeiter Anlaufstelle für Asylsuchende, Pratteln

Guidon Daniel

Inspecteur chef de la brigade des enquêtes administratives de la Police judiciaire, Genève

Hauri Max, Dr.

Stellvertretender Gerichtspräsident, Bezirksgericht Kanton Zürich, Zürich

Iselin Hanspeter

Dienststellenleiter, Amt für Migration, Baselland

Jacobsen Bertrand

Schweizerisches Rotes Kreuz (SRK) Kanton Zürich, Transitbereich Flughafen Zürich

Meier Peter

Präsident, Abteilung Verfassungs- und Verwaltungsrecht des Kantonsgericht, Baselland

Müller Thomas, Dr.

Bezirksrichter, Bezirksgericht Kanton Zürich, Zürich

Nideröst Peter

Rechtsanwalt, Zürich

Olschewski Dirk

Bundesamt für Migration, SB Recht, Bern

Pavlovic Sinisa

Sachbearbeiter, Kantonales Ausländeramt, Bereich Vollzug, Schaffhausen

Plüss Martin

Leiter des Durchgangszentrum Leutschenbach, Zürich

Rendl Renata

Amtsvorsteherin, Kantonales Ausländeramt, Schaffhausen

Richard Cédric

Chef de section «Bureau de l'asile», SEE, Sion

2662

Robert David M.

Président de la Commission cantonale de recours en matière de police des étrangers, Genève

Rohner Ernst

Leiter Flughafengefängnis Zürich, Zürich

Schäppi Peter, Dr.

Bezirksrichter, Bezirksgericht Kanton Zürich, Zürich

Schertenleib Jürg

Leiter Recht, Verfahren, Länder, Schweizerische Flüchtlingshilfe, Bern

Schwarz Urs

Abteilungschef Asyl und Massnahmen, Migrationsamt des Kantons Zürich, Zürich

Sulzberger Ernst

Vizepräsident, Kantonsgericht, Schaffhausen

Vogt Walter

Abteilung Untersuchungshaft und Strafvollzug, Flughafengefängnis Zürich, Zürich

Weber Emanuel

Gefängnisseelsorger Kanton Basel-Landschaft, Emmen

2663

2664

VS

SH

GE

BL

Asyl

ANAG

Asyl

ANAG

Asyl

ANAG

Asyl

ANAG

Bereich

Keine Rückführung

(n=0)

55 % (n=59) 45 % (n=48)

Keine Rückführung

7 % (n=12)

93 % (n=168)

(n=0)

100 % (n=13)

Rückführung

Keine Rückführung

Rückführung

Keine Rückführung

Rückführung

100 % (n=17)

45 % (n=5)

Rückführung

55 % (n=6)

Keine Rückführung

25 % (n=1)

Keine Rückführung

Rückführung

75 % (n=3)

Rückführung

43 % (n=34) 57 % (n= 45)

Keine Rückführung

44 % (n=14)

Rückführung

56 % (n=18)

Keine Rückführung

Bis 4 Tage

Rückführung

Ergebnis

11 % (n=14)

89 % (n=111)

8 % (n=13)

92 % (n=144)

17 % (n=1)

83 % (n=5)

(n=0 )

100 % (n=2)

29 % (n=4)

71 % (n=10)

25 % (n=1)

75 % (n=3)

8 % (n=6)

92 % (n=69)

11 % (n=3)

89 % (n=25)

Bis 1 Monat

Kantonale Haftergebnisse nach Rechtsgebiet und Haftdauer

37,5 % (n=21)

62,5 % (n=35)

33 % (n=15)

67 % (n=31)

25 % (n=2)

75 % (n=6)

(n=0)

(n=0)

75 % (n=9)

25 % (n=3)

62,5 %(n=5)

37,5 % (n=3)

51 % (n=35)

49 % (n=33)

(n= 0)

100 % (n=8)

Bis 3 Monate

76 % (n=26)

24 % (n=8)

45 % (n=10)

55 % (n=12)

50 % (n=1)

50 % (n=1)

(n=0)

(n=0)

100 % (n=1)

(n=0)

100 % (n=1)

(n=0)

70 % (n=23)

30 % (n=10)

(n=0)

(n=0)

Bis 6 Monate

93 % (n=13)

7 % (n=1)

67 % (n=2)

33 % (n=1)

(n=0)

(n=0)

(n=0)

(n=0)

(n= 0)

(n=0)

100 % (n=1)

(n=0)

86 % (n=12)

14 % (n=2)

(n=0)

(n=0)

Bis 9 Monate

Anhang 3

Asyl

ANAG

2665

Quelle: PVK/IPZ

ZH

Bereich

87 % (n=510) 13 % (n=76)

Keine Rückführung

3 % (n=93)

97 % (n=3247)

Bis 4 Tage

Rückführung

Keine Rückführung

Rückführung

Ergebnis

19 % (n=57)

81 % (n=243)

6 % (n=36)

94 % (n=604)

Bis 1 Monat

57 % (n=178)

43 % (n=135)

22 % (n=36)

78 % (n=130)

Bis 3 Monate

83 % (n=226)

17 % (n=47)

49 % (n=33)

51 % (n=35)

Bis 6 Monate

71 % (n=44)

29 % (n=18)

53 % (n=10)

47 % (n=9)

Bis 9 Monate

Durchführung der Evaluation: Andreas Tobler (Projektleitung) Myriam Thalmann (Projektmitarbeit) Christoph Bättig (Mitarbeit Projektskizze) Hedwig Heinis (Sekretariat) Bericht der externen Experten: Prof. Martin Killias, ICDP, Lausanne Sylvia Schenker, ICDP, Lausanne Leslie Herrmann, ICDP, Lausanne Datenerhebung und -auswertung: Dr. Thomas Widmer, IPZ, Zürich Swen Hutter, IPZ, Zürich

Die PVK dankt den Behörden in den untersuchten Kantonen bestens, dass sie sich zur Evaluation bereit erklärt und die damit verbundene Mehrarbeit auf sich genommen haben. Unser Dank gilt weiter dem BFM für die gute Zusammenarbeit. Ein herzlicher Dank geht an alle Gesprächspartnerinnen und -partner für ihre Bereitschaft, sich für Interviews und Auskünfte zur Verfügung zu stellen.

Schliesslich dankt die PVK dem Expertenteam des ICDP und den Experten des IPZ für ihre Untersuchungen.

Originalsprache des Berichts: deutsch

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