zu 06.400 Parlamentarische Initiative Anzahl Richter am Bundesgericht.

Verordnung der Bundesversammlung Bericht vom 21. Februar 2006 der Kommission für Rechtsfragen des Ständerates Stellungnahme des Bundesgerichts und des Eidgenössischen Versicherungsgerichts (41er-Plenum) vom 9. März 2006

Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Ständerätinnen und Ständeräte Wir danken Ihrer Kommission für Rechtsfragen, dass sie dem für die Umsetzung des neuen Bundesgerichtsgesetzes gebildeten und aus den Mitgliedern des Bundesgerichts und des Eidgenössischen Versicherungsgerichts bestehenden 41er-Plenum das Recht einräumt, zu dieser sehr eng mit dem Voranschlag und der Organisation des Bundesgerichts verbundenen Vorlage Stellung nehmen zu können. Wir machen davon gerne Gebrauch.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren Ständerätinnen und Ständeräte, unserer vorzüglichen Hochachtung.

Im Namen des Schweizerischen Bundesgerichts

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Bundesgerichtspräsident: Giusep Nay

Die Präsidentin: Susanne Leuzinger

2006-0866

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Stellungnahme 1

Ausgangslage

Die Ausgangslage gemäss dem neuen Bundesgerichtsgesetz ist im Bericht der RK-S wiedergegeben, worauf wir verweisen.

Das ursprünglich mit der Totalrevision der Bundesrechtspflege angestrebte Ziel einer erheblichen Entlastung des Bundesgerichts ist im Verlaufe der parlamentarischen Beratung in den Hintergrund gerückt und in wesentlichen Punkten nicht verwirklicht worden. Davon geht auch die RK-S aus.

Das Bundesgericht (41er-Plenum) ist aus den gegenüber der Kommission dargelegten und in Ziffer 3 des Berichts zusammengefassten Gründen der Auffassung, eine Reduktion der bestehenden Anzahl von 41 Mitgliedern des Bundesgerichts sei nicht zu verantworten.

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Gefährdung der Qualität und Speditivität der höchstrichterlichen Rechtsprechung

Die im Bericht zum Vergleich herangezogenen Zeitperioden und die zahlreichen Annahmen aufgrund blosser Plausibilitätsüberlegungen, die den angestellten Berechnungen der RK-S zugrunde liegen, erlauben zu wenig verlässliche Schlüsse.

Die RK-S ist sich denn auch selber bewusst, dass es sich um unsichere Grundlagen handelt. Einem solchen Vorgehen können wir nicht zustimmen, weil es die Erfüllung der verfassungsmässigen Aufgabe des Bundesgerichts gefährdet. Treffen die unsicheren Annahmen nicht zu, werden Qualität und Speditivität der Rechtsprechung leiden, wofür das Bundesgericht die Verantwortung nicht übernehmen kann.

Diese müsste das Parlament tragen.

In der Zeitperiode 1992­1999 war das Bundesgericht in einem solchem Masse überlastet und häufte es Pendenzen an, dass eine Rechtsprechung in angemessener Zeit nicht mehr gewährleistet war. Zudem musste das vereinfachte Verfahren mit bloss summarischer Begründung der Urteile in exzessiver Weise angewendet werden, um der Arbeitslast einigermassen Herr zu werden; der Zirkulationsfälle wurden auf diese Weise erledigt, während nach den Erfahrungszahlen der übrigen Jahre höchstens der Fälle eine bloss summarische Begründung erlauben.

Der Vorschlag der Kommissionsmehrheit führte wieder zu diesen auf längere Zeit nicht haltbaren Zuständen. Die Überbelastung des Bundesgerichts darf nicht gleichsam als Normalfall betrachtet werden. Der Rechtsuchende hat einen Anspruch auf eine speditive und qualitativ einwandfreie Rechtsprechung des höchsten Gerichts.

Dazu gehört vornehmlich eine eingehende und solide Urteilsbegründung, die namentlich für die Rechtssicherheit von besonderer Bedeutung ist. Rechtssicherheit ist zusammen mit der Speditivität gerade auch für die Wirtschaft ein wertvolles Gut.

Entgegen der Auffassung der Mehrheit der RK-S entspricht es nicht dem verfassungsmässigen Auftrag einer Bundesrichterin und eines Bundesrichters, lediglich «Fall-Manager» zu sein. Sie und er tragen die Verantwortung für jedes Referat, das ihnen übertragen ist. Auch liegt die Begründung der Urteile letztlich in der Verantwortung aller mitwirkenden Richter und nicht allein in jener der Gerichtsschreiber, 3512

wovon aber die RK-S ausgeht. Jeder Rechtsuchende erwartet zu Recht, dass sein Fall durch die gewählten Bundesrichterinnen und Bundesrichter geprüft und beurteilt wird.

Bei der Gewichtung der Entlastungen und Mehrbelastungen gemäss Bundesgerichtsgesetz halten wir an der Einschätzung in unserer Eingabe vom 25. Oktober 2005 fest. Hinzuzufügen ist, dass die Mehrbelastungen, die wir geltend machten, im Bericht der RK-S zwar erwähnt, aber zu wenig berücksichtigt wurden, insbesondere was die neu eingeführte subsidiäre Verfassungsbeschwerde und den zu Beginn grossen Aufwand für eine einheitliche Rechtsprechung zum neuen System mit den Einheitsbeschwerden betrifft. Werden dem Bundesgericht nicht die erforderlichen Ressourcen zur Verfügung gestellt, ist eine erfolgreiche Umsetzung des neuen Bundesgerichtsgesetzes gemäss den Absichten des Gesetzgebers nicht sichergestellt.

Auch für die RK-S steht das Anliegen einer qualitativ einwandfreien höchstrichterlichen Rechtsprechung im Vordergrund (Ziff. 2 des Berichts). Wir sind jedoch überzeugt, dass diesem Anliegen nur der Antrag der Kommissionminderheit I genügend Rechnung trägt.

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Gefährdung der Verwaltungsautonomie und der Unabhängigkeit des Bundesgerichts

«Das Bundesgericht verwaltet sich selbst»: so lautet Artikel 188 Absatz 3 der Bundesverfassung, in der Fassung der Justizreform, die diese Autonomie verstärkt hat (in Ziff. 1.1 des Berichts wird die alte Fassung dieser Bestimmung zitiert).

Die detailierte Regelung des Controllings und der Berichterstattung in Artikel 2 des Verordnungsentwurfs greift in den Kernbereich dieser Verwaltungsautonomie ein.

Die für die höchstrichterliche Rechtsprechung erforderliche und zweckmässige Arbeitsorganisation muss das Bundesgericht selber bestimmen können, wie das die Bundesverfassung mit der verstärkten Verwaltungsautonomie festschreibt und zudem die Unabhängigkeit der Justiz erheischt. Die Geschäftsprüfungskommission ihres Rates hat die Aufgaben und Grenzen der Oberaufsicht der Bundesversammlung über das Bundesgericht in einem ausführlichen Bericht vom 28. Juni 2002 behandelt. Das Bundesgericht verschliesst sich einem effizienten Controlling der ihm eigenen Arbeitsorganisation nicht. Zur Nachprüfung der per 1. 1. 2007 vom Parlament für richtig erachteten Anzahl Richter müssen sachgerechte Erfahrungsdaten erhoben werden. Das Bundesgericht hat dies selber angeregt. Es wird im Rahmen des verfassungsrechtlich Zulässigen solche Grundlagen erarbeiten.

In Artikel 2 der Verordnung muss es nach unserer Auffassung genügen, in allgemeiner Weise ein Controlling und die Berichterstattung vorzuschreiben, wie sie die Geschäftsprüfungskommissionen im Rahmen der Oberaufsicht der Bundesversammlung festlegten. Welche die aussagekräftigsten Indikatoren sind, muss der Praxis und der vertrauensvollen Zusammenarbeit von GPK und Bundesgericht überlassen werden; eine solche hat sich in für beide Organe sehr zufrieden stellender Art und Weise in den letzten Jahren entwickelt (vgl. die jeweiligen GPK-Berichte). Zudem muss diese Praxis den Bedürfnissen angepasst werden können, die sich aufgrund der weittragenden Neuerungen des BGG erst noch zeigen werden.

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Stellungnahme des Bundesgerichts

Das Bundesgericht ersucht daher den Ständerat: a.

bei der Festlegung der Anzahl Mitglieder des Bundesgerichts in Artikel 1 der Verordnung dem Antrag der Kommissionsminderheit I zu folgen und

b.

in Artikel 2 für das Bundesgericht ein Controlling und eine Berichterstattung im Rahmen der Oberaufsicht der Bundesversammlung vorzusehen.

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