zu 02.468 Parlamentarische Initiative Nationalrat (Christlichdemokratische Fraktion) Postorganisationsgesetz. Änderung Bericht vom 13. Februar 2006 der Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen des Nationalrates Stellungnahme des Bundesrates vom 29. März 2006

Sehr geehrter Herr Präsident Sehr geehrte Damen und Herren Zum Bericht vom 13. Februar 2006 der Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen des Nationalrates betreffend die parlamentarische Initiative Nationalrat (Fraktion C), Postorganisationsgesetz, Änderung, nehmen wir nach Artikel 112 Absatz 3 des Parlamentsgesetzes (ParlG) nachfolgend Stellung.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

29. März 2006

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Moritz Leuenberger Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz

2006-0782

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Stellungnahme 1

Ausgangslage

Am 12. Dezember 2002 reichte die Christlichdemokratische Fraktion (C) eine parlamentarische Initiative in Form eines ausgearbeiteten Entwurfs ein. Die Post soll gesetzlich verpflichtet werden, in ihrer Organisation und in Bezug auf ihre Produktionsstruktur der regionalen Vielfalt des Landes Rechnung zu tragen. Damit sollen dezentrale Betriebsstrukturen und nicht zuletzt Arbeits- und Ausbildungsplätze der Post in den verschiedenen Regionen des Landes aufrechterhalten werden. Der Nationalrat gab der Initiative am 18. Dezember 2003 mit 89 zu 78 Stimmen Folge.

Mit Datum vom 13. Februar 2006 hat die Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen des Nationalrates dem Nationalrat einen Bericht über diese Initiative unterbreitet. Gleichzeitig hat die Kommission den Bundesrat zur Stellungnahme eingeladen.

Die Kommission schlägt vor, durch eine Änderung des Postorganisationsgesetzes (POG) die Post gesetzlich zu verpflichten, bei ihrer Organisation den Anliegen der verschiedenen Regionen des Landes Rechnung zu tragen.

2

Stellungnahme des Bundesrates

2.1

Grundsätze der PTT-Reform

Die vom Parlament in den Jahren 1997 beschlossene PTT-Reform ging von folgenden Grundsätzen aus: ­

Die Post und die Swisscom werden dem Wettbewerb ausgesetzt und müssen sich gegen in- und ausländische Konkurrenz behaupten.

­

Die Unternehmen müssen die Eigenwirtschaftlichkeit erreichen. Sie haben keinen Anspruch auf Defizitdeckung.

­

Der Gesetzgeber setzt der Post Ziele für die flächendeckende Grundversorgung. Er gibt ihr jedoch einen weiten Handlungsspielraum, wie der Grundversorgungsauftrag im Einzelnen erfüllt werden soll.

2.2

Arbeitsplätze in den Regionen

2.2.1

Anforderungen an die Post

Die vom Gesetzgeber festgelegten Ziele ­ flächendeckende Grundversorgung, Wettbewerbsfähigkeit und Eigenwirtschaftlichkeit ­ sind sehr anspruchsvoll und erfordern Restrukturierungen und Rationalisierungen. Dabei nimmt die Post sowohl beim Abbau von Stellen wie bei der Schaffung neuer Arbeits- und Ausbildungsplätze auf die regionalen Bedürfnisse Rücksicht, soweit dies betriebswirtschaftlich vertretbar ist. Rund 25 % des Gesamtpersonalbestandes (d.h. ca. 10 000 Arbeitsplätze) der Post sind in den Randregionen angesiedelt. Davon sind rund 2000 Arbeitsplätze nicht direkt für die Leistungserbringung in der Fläche nötig, sondern dienen dem regionalen Ausgleich. Die Post hat in den vergangenen Jahren mehrfach bewiesen, dass 3980

sie auch in den Randregionen neue Arbeitsplätze schafft, wenn dies technologisch und betrieblich möglich ist. So befinden sich heute Verarbeitungszentren von PostFinance in Bulle, Bellinzona und Netstal, und die Zentren der PaketPost sind in Frauenfeld, Härkingen und Daillens gebaut worden. Auch mit dem Aufbau von Informatikkompetenzzentren in Chur und Bellinzona, Direct Marketing Centers in Delsberg und Biel sowie eines Verkaufssupportzentrums in Siders hat die Post ihre Bemühungen zur Dezentralisierung von Arbeitsplätzen weiter fortgesetzt. Weil die Kantone Graubünden, Wallis und Freiburg vom Projekt REMA (Reorganisation der Briefverteilung) besonders betroffen sind, hat sich die Post entschieden, im Bereich Videocodierung und Retourenverarbeitung in den Kantonen Graubünden und Wallis in den Jahren 2006 und 2007 Beschäftigungsmöglichkeiten für rund 200 Personen zu schaffen. Die Post setzt sich auch für die Förderung der Jugend ein, beispielsweise bietet sie zurzeit über 1500 Lehrstellen in 13 verschiedenen Berufszweigen an. Um ihren Grundversorgungsauftrag praktisch umsetzen zu können, ist die Post auch in Zukunft auf eine räumlich breite Streuung der Arbeitsplätze angewiesen. Sie kann es sich jedoch nicht leisten, Arbeitsplätze aufrechtzuerhalten, die technologisch nicht mehr nötig und betriebswirtschaftlich nicht mehr sinnvoll sind. Die Post muss ihre Arbeitsplätze dort ansiedeln, wo ihre Dienstleistungen nachgefragt werden, bzw. dort, wo die Produktionsabläufe dies erfordern.

2.2.2

Private Postanbieter

Auch die neu zugelassenen privaten Postanbieter haben Arbeitsplätze geschaffen.

Allein in dem der Konzessionierung unterliegenden geöffneten Paketmarkt haben sie im Jahr 2004 bereits 1000 Stellen angeboten. Hinzu kommen noch einmal 1000 Stellen bei ihren Subunternehmern. Gerade diese Stellen sind auf die ganze Schweiz verteilt, insbesondere aber auch in Randregionen angesiedelt. Vielen kleinen Transportunternehmern sichern sie die Existenz. Auch die eigenen Arbeitsplätze der konzessionierten Postunternehmen verteilen sich auf die ganze Schweiz. So betreibt z.B. die DPD (Schweiz) AG mittlerweile elf operationelle Depots unter anderem in den Kantonen GE, GR, JU, SG, TI, VD und VS.

2.3

Regionalpolitik des Bundes

Am 16. November 2005 hat der Bundesrat die Botschaft und den Entwurf zum Bundesgesetz über Regionalpolitik verabschiedet. Dieses Gesetz soll ab 2008 vier bisherige Erlasse mit regionalpolitischen Förderungsmassnahmen ablösen und damit die Grundlage für mehrjährige Umsetzungsprogramme schaffen. Das Gesetz soll die Wettbewerbsfähigkeit einzelner Regionen stärken und deren Wertschöpfung erhöhen und so zur Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen in den Regionen, zur Erhaltung einer dezentralen Besiedlung und zum Abbau regionaler Disparitäten beitragen. Ab 2008 sollen jährlich 70 Millionen Franken zur Stärkung von Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit der Regionen zur Verfügung stehen.

Als flankierende Massnahme zur Reform und Restrukturierung der ehemaligen Bundesunternehmen SBB, Post und Swisscom wurde unter anderem das «Forum Strukturwandel» geschafften. Unter der Leitung von UVEK und Seco treffen sich Vertreter und Vertreterinnen verschiedener Eidgenössischer Departemente (UVEK, 3981

EVD, EFD, VBS), der Post, der SBB und der Swisscom sowie eine Delegation der Volkswirtschaftsdirektorenkonferenz einmal pro Jahr zur Aussprache. Ziel des Treffens ist der Austausch über den Stand laufender und geplanter Projekte der bundesnahen Unternehmen sowie die Entgegennahme der Anliegen der Kantone an diese Unternehmen. Es besteht damit ein Gefäss, in welchem die Kantone regionalpolitische Anliegen gegenüber dem Bund und den Unternehmen SBB, Post und Swisscom geltend machen können.

2.4

Würdigung der parlamentarischen Initiative

2.4.1

Unbestimmte Rechtsbegriffe führen zu Problemen bei der Umsetzung

Mit der neuen Bestimmung im POG soll der Post eine Abwägungspflicht auferlegt werden, indem sie bei Unternehmensentscheiden die möglichen Auswirkungen auf die Regionen des Landes erfassen, bewerten und gegenüber den betriebswirtschaftlichen Kriterien abwägen soll. Dabei haben die Anliegen der Regionen gegenüber betriebswirtschaftlichen Kriterien keine zwingende Priorität. Der Begriff «Regionen» wird im Bericht der Kommission nicht im Einzelnen definiert, sondern soll nach Massgabe der voraussichtlichen Auswirkungen eines Entscheides durch die Post konkretisiert werden. Es wird jedoch offen gelassen, wie die Post eine solche Konkretisierung vorzunehmen hat.

Im Weiteren wird auch nicht genau festgelegt, wer sich in welchem Verfahren mit entsprechenden Anliegen an die Post wenden kann. Es wird einzig von «politischen Behörden der betroffenen Region» gesprochen. Ebenso ist nicht ersichtlich, wann und in welcher Form die Post die Anliegen der Regionen zu berücksichtigen hat.

Ein Widerspruch besteht auch zwischen der für die neue Bestimmung vorgesehenen Sachüberschrift «Betriebsorganisation» und dem im Artikel selbst verwendeten Begriff «Organisation». Während «Organisation» nach dem Kommissionsbericht sowohl die juristische als auch die betriebliche Organisation umfasst, schränkt die Sachüberschrift den Gegenstand auf die Betriebsstruktur ein.

Diese Ausführungen zeigen, dass die offene Formulierung des Gesetzestextes zu massiven Umsetzungsproblemen führt.

2.4.2

Neue Bestimmung verhindert Ausrichtung der Post auf das Kundenverhalten und ist wettbewerbsverzerrend

Das Angebot an Arbeits- und Ausbildungsplätzen ist abhängig von den Kundenbedürfnissen, von den spezifischen Produktionsabläufen und von technischen Gegebenheiten. Eine gesetzliche Abwägungspflicht im vorliegend verlangten Umfange trägt diesen Aspekten zu wenig Rechnung. Im Übrigen wurde bereits weiter oben darauf hingewiesen, dass sich die Post erfolgreich bemüht, bei der Ansiedlung von Arbeitsplätzen, die keinen bestimmten Standort verlangen, Regionen zu berücksichtigen, die von Umstrukturierungen besonders betroffenen sind. Eine gesetzliche Verpflichtung der Post, bei ihrer Organisation den Anliegen der verschiedenen

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Regionen des Landes Rechnung zu tragen, wäre zudem wettbewerbsverzerrend, weil die direkten Konkurrenten keine derartige Auflage haben.

2.4.3

Keine neuen Auflagen ohne nachhaltige Finanzierung

Die parlamentarische Initiative beantwortet auch die Frage nicht, wer die finanziellen Auswirkungen der neuen gesetzlichen Aufgabe zu tragen hat. Wenn im Interesse der Wettbewerbsfähigkeit nicht die Post belastet werden soll, müssten die Kosten als gemeinwirtschaftliche Leistungen durch den Bund getragen werden. Zum einen gibt es dafür keine gesetzliche Grundlage und zum anderen erlaubt es die aktuelle Lage des Bundeshaushalts nicht, einen neuen Subventionstatbestand zu schaffen.

2.4.4

Regionalpolitische Verpflichtung in den strategischen Zielen festgelegt

Die Post wird auch in den strategischen Zielen 2006­2009 dazu verpflichtet, im Rahmen ihrer betriebswirtschaftlichen Möglichkeiten die Auswirkungen ihrer Tätigkeiten auf die Raumentwicklung und die Anliegen der Regionen nach einer angemessenen Verteilung der Arbeitsplätze zu berücksichtigen. Der Verwaltungsrat der Post hat die strategischen Ziele des Bundesrates in die Unternehmensstrategie umzusetzen und dem Bundesrat jährlich Rechenschaft darüber abzulegen, mit welchen Projekten und Massnahmen dieser Erwartung Rechnung getragen wird. Dem Bundesrat ist es selbstverständlich ein Anliegen, dass es bei der Verteilung der Arbeitsplätze der Post in den Kantonen (verglichen mit der Anzahl Beschäftigten) nicht zu allzu grossen Unterschieden kommt. Er nimmt daher im Rahmen der Überprüfung der Erreichung der strategischen Ziele jeweils einen Vergleich der Arbeitsplätze nach Kantonen vor.

2.4.5

Fragwürdige Strukturerhaltung

Es fragt sich, ob die in der parlamentarischen Initiative vorgesehene Gesetzesverpflichtung wirklich im Interesse der Regionen ist. Denn es besteht die Gefahr, dass die neue Gesetzesbestimmung in der konkreten Ausgestaltung zur Aufrechterhaltung von überholten Produktionsstrukturen führen kann. Wie die Erfahrungen zeigen, liegt eine Politik der reinen Strukturerhaltung längerfristig jedoch nicht im Interesse der betroffenen Regionen.

2.4.6

Keine neue Auflage ohne vorgängige Prüfung des gesamten Postrechtes

Mit dem Beschluss des Bundesrates zur Senkung der Monopolgrenze für die Briefpost auf 100 Gramm wurde dem UVEK der Auftrag erteilt, dem Bundesrat im ersten Quartal 2006 Antrag zu stellen, mit welchen Varianten weiterer Liberalisierungsschritte der Wettbewerb zusätzlich belebt werden kann. Der Bundesrat wird damit 3983

noch in diesem Jahr die Eckwerte seiner künftigen Postpolitik skizzieren. Eine isolierte Revision des POG erscheint vor diesem Hintergrund zum jetzigen Zeitpunkt nicht angebracht. Es gilt vielmehr, entsprechend der künftigen Postpolitik eine umfassende Prüfung der gesetzlichen Rahmenbedingungen im Postmarkt vorzunehmen und Gesetzesanpassungen in einem Gesamtzusammenhang vorzunehmen.

3

Schlussfolgerungen

Wie unter Ziffer 2.2 ausgeführt, nimmt die Post auch ohne entsprechende gesetzliche Verpflichtung Rücksicht auf regionale Anliegen. Eine gesetzliche Verpflichtung zur Abwägung der möglichen Auswirkungen auf die Regionen gegenüber betriebswirtschaftlichen Kriterien ist nach Auffassung des Bundesrates nicht im Interesse des Unternehmens und des Service public. Damit die Post ihren gesetzlichen Leistungsauftrag zugunsten der Wirtschaft und der Bevölkerung effizient erfüllen und sich im zunehmend geöffneten Markt behaupten kann, ist der notwendige Strukturwandel zuzulassen. Ausserdem ist die Regionalpolitik eine Aufgabe des Bundes und der Kantone und nicht einzelner Unternehmen wie der Post. Die Neue Regionalpolitik des Bundes wird sich denn auch auf die Förderung der Berggebiete, der weiteren ländlichen Räume und der Grenzregionen als Wirtschaftsstandorte konzentrieren und damit einen Beitrag zur Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen in den Regionen leisten.

Der Bundesrat beantragt deshalb, die parlamentarische Initiative abzulehnen.

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