02.303 Initiative des Kantons Jura Aufhebung von Bundessteuerbestimmungen, die gegen Artikel 6 EMRK verstossen Bericht der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Ständerates vom 13. Februar 2006

Sehr geehrter Herr Präsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit diesem Bericht unterbreiten wir Ihnen den Entwurf zum Bundesgesetz zur Anpassung der strafrechtlichen Bestimmungen des DBG und des StHG zur Herstellung der Konformität mit der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK). Gleichzeitig erhält der Bundesrat Gelegenheit zur Stellungnahme.

Die Kommission beantragt, dem beiliegenden Entwurf zuzustimmen.

13. Februar 2006

Im Namen der Kommission Der Präsident: Hannes Germann

2006-0727

4021

Bericht 1

Entstehungsgeschichte

Am 19. Dezember 2001 hat das Parlament des Kantons Jura mit 24 gegen 22 Stimmen beschlossen, die eidgenössischen Räten mittels einer Standesinitiative aufzufordern, Artikel 174 des Bundesgesetzes über die direkte Bundessteuer (DBG) sowie allfällige weitere Gesetzesbestimmungen, die dem Entscheid des Europäischen Gerichtshofes für Menschrechte (EGMR) vom 3. Mai 2001 zuwiderlaufen, aufzuheben beziehungsweise zu ändern. Diese Standesinitiative wurde am 25. März 2002 gestützt auf Artikel 160 Absatz 1 der Bundesverfassung (BV) eingereicht.

Gemäss dem Verfahren nach Artikel 21octies des Bundesgesetzes über den Geschäftsverkehr der Bundesversammlung (GVG) wurde die Initiative von den Kommissionen für Wirtschaft und Abgaben (WAK) beider Räte vorberaten. Beide Kommissionen beantragten ihrem Rat, der Initiative Folge zu geben. Der Initiative wurde schliesslich am 5. März 2003 im Ständerat und am 8. März 2004 im Nationalrat Folge gegeben. In der Folge wurde die Initiative der WAK des Ständerates zur Ausarbeitung einer Vorlage zugewiesen.

Nach der Anhörung von Dr. h.c. Franz Marty, alt Regierungsrat des Kantons Schwyz und Präsident der Expertenkommission für ein Bundesgesetz über Steuerstrafrecht und internationale Amtshilfe, und eingehenden Diskussionen verabschiedete die WAK-S am 13. Februar 2006 Bericht und Gesetzesentwurf zuhanden des Ständerates und des Bundesrates.

2

Grundzüge der Vorlage

2.1

Hintergrund der Standesinitiative des Kantons Jura

Die Standesinitiative wurde durch den Entscheid des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) vom 3. Mai 2001 ausgelöst.

In diesem Entscheid erliess der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ein Urteil in Sachen J.B. gegen die Schweiz1, in welchem die Schweiz wegen einer Verletzung des aus Art. 6 § 1 EMRK2 abgeleiteten Prinzips «Recht auf faires Verfahren», wonach niemand zur Selbstbelastung gezwungen werden kann, verurteilt wurde.

Der nachfolgend kurz zusammengefasste Fall war in der Schweiz noch gemäss dem Bundesratsbeschluss über die Erhebung einer direkten Bundessteuer (BdBSt) beurteilt worden, der bis zum 31. Dezember 1994 in Kraft stand. Die rechtlichen Erwägungen haben jedoch auch Geltung für das Bundesgesetz vom 14. Dezember 1990 über die direkte Bundessteuer (DBG)3, welches seit dem 1. Januar 1995 in Kraft ist:

1 2 3

Urteil des EGMR vom 3. Mai 2001 in Sachen J.B. gegen die Schweiz, Beschwerde Nr. 31827/96. Recueil des arrêts et décisions 2001 III S. 455.

Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, SR 0.101.

SR 642.11

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Im oben erwähnten Entscheid wurde eine steuerpflichtige Person wegen Steuerhinterziehung verfolgt, weil auf Grund von Beweisstücken der Verdacht bestand, dass sie für bestimmte Steuerperioden Anlageerträge nicht versteuert hatte. Die steuerpflichtige Person gestand zwar die Steuerhinterziehung, weigerte sich aber, der kantonalen Steuerverwaltung die angeforderten Unterlagen herauszugeben. Gestützt auf Artikel 131 BdBSt auferlegte die kantonale Steuerverwaltung ihr nach Androhung von Rechtsfolgen wegen Verletzung einer Verfahrenspflicht eine Ordnungsbusse von Franken 1000.­, weil sie die Unterlagen nicht beigebracht hatte. Nach wiederholten erfolglosen Aufforderungen verhängte die kantonale Verwaltung für die direkte Bundessteuer eine zweite Ordnungsbusse von Franken 2000.­.

Die kantonale Rekurskommission bestätigte diese Busse und wies die Beschwerde der steuerpflichtigen Person ab. Das Bundesgericht lehnte am 7. Juli 1995 die Beschwerde gegen die Verfügung der Kommission ebenfalls ab4. Das Bundesgericht begründete die Abweisung damit, dass das Hinterziehungsverfahren im Steuerbereich ein Strafverfahren darstelle, welches die Garantien der EMRK und namentlich das Recht auf ein faires Verfahren im Sinne von Art. 6 § 1 berücksichtige. Die Nachsteuer stelle hingegen keine Sanktion mit strafrechtlichem Charakter dar, selbst wenn sie im Rahmen eines Hinterziehungsverfahrens veranlagt werde5.

Die steuerpflichtige Person zog den Fall an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte mit der Begründung weiter, das gegen sie gerichtete Verfahren sei nicht fair und verletze Art. 6 § 1 EMRK, da sie zur Herausgabe von möglicherweise belastenden Unterlagen gezwungen worden sei.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte gab der Schweiz Unrecht. Der Gerichtshof stellte zunächst fest, dass er im vorliegenden Fall nicht über die Frage zu befinden habe, ob ein Staat eine steuerpflichtige Person allein zwecks Gewährleistung einer korrekten Veranlagung zur Auskunfterteilung zwingen dürfe, sondern dass er zu prüfen habe, ob die Verhängung einer Busse gegen die Beschwerdeführerin wegen der verweigerten Auskunftserteilung EMRK-konform sei oder nicht.

Nach Auffassung des Gerichtshofs dienten die unter Androhung von Rechtsfolgen verlangten Informationen zwar zur Feststellung der geschuldeten Steuer, aber die
steuerpflichtige Person konnte nicht ausschliessen, dass weitere Einkünfte aus nicht besteuerten Quellen aus diesen Unterlagen hervorgehen könnten, welche den Tatbestand der Steuerhinterziehung begründen würden. Dem Einwand der schweizerischen Regierung, eine Verfahrenstrennung (Nachsteuer- und Hinterziehungsverfahren) sei mit praktischen Schwierigkeiten verbunden, hielt der Gerichtshof entgegen,

4 5

BGE 121 II 273 ff.

Das Bundesgericht wies darauf hin, dass im vorliegenden Fall die Steuerbehörden bereits Kenntnis von den Investitionen (Vermögensanlagen) hatten, die der Steuerpflichtige getätigt hatte. Die Steuerbehörde versuchte sich in der Folge Gewissheit zu verschaffen, ob diese Anlagen aus Einkommens- oder Vermögenselementen stammten, die bereits zuvor gesetzeskonform besteuert worden waren. Auf Grund dieser Ausgangslage wurde der Steuerpflichtige einzig aufgefordert, über die Herkunft seiner (aus den Investitionen fliessenden) Einkommen Aufschluss zu geben. So gesehen konnte deshalb nicht behauptet werden, dass der Steuerpflichtige gezwungen war, sich selbst zu belasten, da von ihm höchstens verlangt wurde, Auskünfte über die Herkunft der dem Fiskus bereits bekannten Mittel zu geben. Das Bundesgericht hielt fest, dass das gesamte Steuersystem in Frage gestellt würde, wenn dem Betroffenen in dieser Situation das Schweigerecht einzuräumen wäre. Das ordentliche Verfahren müsste dann nach den Grundsätzen des Strafverfahrens durchgeführt werden. Das Schweigerecht würde die Kontrolle erschweren oder sogar verunmöglichen, was nicht der Zweck von Art. 6 EMRK sein könne.

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er habe lediglich zu ermitteln, ob die Vertragsstaaten die Ziele der EMRK befolgen, er müsse ihnen aber nicht angeben, mit welchen Mitteln sie ihre Pflichten aus der Konvention erfüllen können.

2.2

Folgen des Urteils des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte für das schweizerische Steuerrecht

2.2.1

Grundlagen des Nachsteuer- und Hinterziehungsverfahrens gemäss DBG und StHG

Sowohl bei der direkten Bundessteuer wie auch bei den direkten Kantonssteuern wird zwischen dem Nachsteuer- und dem Hinterziehungsverfahren unterschieden.

Mit dem Nachsteuerverfahren sollen Steuerbeträge ermittelt und erhoben werden, welche bei der ordentlichen, in Rechtskraft erwachsenen Veranlagung nicht berücksichtigt worden sind (vgl. Art. 151 Abs. 1 DBG und Art. 53 Abs. 1 StHG). Zum geschuldeten Betrag kommen Verzugszinsen hinzu. Für den Fiskus ist dieses Verfahren faktisch das Pendant zum Revisionsverfahren, das die Steuerpflichtigen zu ihren Gunsten anstrengen können. Die Nachforderung von Steuern wirkt sich im Gegensatz zur Revision aber stets zum Nachteil der steuerpflichtigen Person aus.

Ein Verschulden der steuerpflichtigen Person braucht nicht vorzuliegen. Dies bedeutet, dass im Nachsteuerverfahren der Fiskus auch ohne schuldhaftes Verhalten der steuerpflichtigen Person auf eine rechtsgültige Veranlagung zurückkommen kann.

Das Nachsteuerverfahren ist ausgeschlossen, wenn den Steuerbehörden die Tatsachen, die zu einer zu Unrecht unterbliebenen oder unvollständigen Veranlagung geführt haben, bekannt waren. Das Nachsteuerverfahren ist sodann ausgeschlossen, wenn die steuerpflichtige Person ihr Einkommen, ihr Vermögen und ihren Reingewinn in ihrer Steuererklärung vollständig und genau angegeben hat und die Steuerbehörden die entsprechende Bewertung anerkannt hat (Art. 151 Abs. 2 DBG und Art. 53 Abs. 1 StHG)).

Das Hinterziehungsverfahren (vgl. Art. 175 ff. DBG und Art. 56 ff. StHG) hat zum Ziel, die Busse für das schuldhafte Verhalten einer steuerpflichtigen Person festzusetzen. Es wird zwischen drei verschiedenen Hinterziehungsvarianten unterschieden (Art. 175 Abs. 1 DBG und Art. 56 Abs. 1 StHG). Bei der Hinterziehung im engeren Sinn ist eine Veranlagung zu Unrecht unterblieben oder sie ist unvollständig ausgefallen und in Rechtskraft erwachsen. Bei der Hinterziehung von Quellensteuern ist ein Quellensteuerabzug nicht oder nicht vollständig vorgenommen worden. Bei der Hinterziehung im Bezugsverfahren ist eine unrechtmässige Rückerstattung oder ein ungerechtfertigter Erlass erwirkt worden.

Nach den geltenden Vorschriften des DBG und des StHG hängt die Höhe der Busse für eine Steuerhinterziehung von der Höhe des hinterzogenen Steuerbetrages ab. Die Busse wird, unter Berücksichtigung des
Verschuldens der steuerpflichtigen Person, als Vielfaches des hinterzogenen Steuerbetrages festgesetzt. Das Bundessteuerrecht fixiert einen Bussenrahmen von einem Drittel bis zum Dreifachen der hinterzogenen Steuer. Bei Selbstanzeige beträgt die Busse einen Fünftel der hinterzogenen Steuer (Art. 175 Abs. 2 und 3 DBG; Art. 56 Abs. 1 StHG). Dem Verfahren zur Feststellung des hinterzogenen Steuerbetrages (Nachsteuer) kommt damit eine sehr grosse Bedeutung zu.

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Die Eröffnung eines Hinterziehungsverfahrens geht systematisch einher mit der Einleitung eines Nachsteuerverfahrens (Art. 152 Abs. 2 DBG). Beide Verfahren können gleichzeitig durchgeführt werden, was heute in der Regel der Fall ist. Es handelt sich jedoch eindeutig um zwei unterschiedliche Verfahren6. Wird gegen die Verfügung betreffend Festsetzung der Nachsteuer sowie gegen die Busse wegen Steuerhinterziehung ein Rechtsmittel eingelegt, wird in der Regel das Nachsteuerverfahren zuerst behandelt. Erst dann wird über die Strafe entschieden.

2.2.2

Verhältnis zwischen dem Nachsteuerverfahren und Steuerhinterziehungsverfahren

Die «Expertenkommission für ein Bundesgesetz über Steuerstrafrecht und internationale Amtshilfe in Steuersachen» (Expertenkommission) hat sich eingehend mit dem Verhältnis zwischen dem Nachsteuerverfahren und dem Hinterziehungsverfahren befasst7. Die steuerpflichtige Person hat im Nachsteuerverfahren die gleichen Rechte und Pflichten wie im ordentlichen Veranlagungsverfahren. Sie muss für die Festsetzung der geschuldeten Steuer mit der Verwaltung zusammenarbeiten. Diese kann unter Androhung einer Busse verlangen, dass Informationen beigebracht werden (vgl. Art. 174 DBG und Art. 55 StHG und die entsprechenden kantonalen Gesetzgebungen). Der Verwaltung stehen jedoch keine Zwangsmittel zur Verfügung (Hausdurchsuchung, Beschlagnahme).

Im Rahmen eines Hinterziehungsverfahrens hingegen ist für die Verteidigungsrechte wegen des Strafcharakters der Sanktion die EMRK anwendbar. Die steuerpflichtige Person muss somit keine Auskünfte liefern, die sie selber belasten könnten. Der Fiskus darf diese Auskünfte nicht unter Strafandrohung einfordern. Zwangsmittel dürfen ­ anders als bei einem eigentlichen Strafverfahren ­ nicht eingesetzt werden.

Im Bereich der Einkommens- und Vermögenssteuern ist für das Nachsteuer- und das Steuerhinterziehungsverfahren die gleiche Verwaltungsbehörde wie für die ordentliche Veranlagung der Steuer zuständig. Daraus lässt sich schliessen, dass das Steuerhinterziehungsverfahren für die Einkommens- und Vermögenssteuern in der Schweiz weniger ein eigentliches Strafverfahren, als vielmehr ein Verwaltungsverfahren mit Strafcharakter darstellenden Sanktionen ist.

2.2.3

Berücksichtigung von Art. 6 § 1 EMRK (Recht auf ein faires Verfahren) im schweizerischen Steuerrecht

Gemäss Artikel 6 § 1 EMRK hat «jede Person ein Recht darauf, dass über Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen oder über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich 6

7

Vgl. ESTV-Kreisschreiben Nr. 21 vom 7. April 1995, S. 4: «Als gewichtigste Neuerung ist hervorzuheben, dass beim Vorliegen einer vollendeten Steuerhinterziehung die hinterzogene Steuer im Nachsteuerverfahren in einer besonderen Verfügung festzusetzen und als Nachsteuer zu beziehen ist. Die Bussen gelten als echte Strafen im Sinne der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK).» Vgl. Bericht der Expertenkommission für ein Bundesgesetz über Steuerstrafrecht und internationale Amtshilfe in Steuersachen, Bern 2004, S. 13 ff. und 20 ff.

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und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird». Aus dieser Bestimmung wird das Prinzip abgeleitet, dass niemand zur Belastung seinerselbst gezwungen werden darf.

Die Expertenkommission kommt in ihrem Bericht zum Schluss8, dass das Urteil des EGMR vom 3. Mai 2001 in Sachen J.B. gegen die Schweiz grundsätzlich weder die Existenz der Nachsteuer- und der Hinterziehungsverfahren noch die Möglichkeit der Steuerbehörde in Frage stellt, die steuerpflichtige Person gegebenenfalls unter Androhung von Rechtsfolgen zur Mitwirkung bei der Steuerfeststellung aufzufordern.

Andererseits geht gemäss Expertenkommission aus dem Urteil hervor, dass eine Busse gegen eine steuerpflichtige Person, welche die sie möglicherweise belastenden Unterlagen nicht herausgibt, gegen das in Artikel 6 § 1 EMRK verankerte Recht auf ein faires Verfahren verstösst. Dies selbst dann, wenn ein Nachsteuerverfahren existiert, in welchem sie mitwirkungspflichtig ist; vorausgesetzt, die steuerpflichtige Person muss aus triftigen Gründen befürchten, ihr Verhalten trage zu einer Verurteilung im Rahmen des Hinterziehungsverfahrens bei.

Die Expertenkommission prüfte im Rahmen des geltenden Rechts, welche Änderungen für die Behebung dieses Widerspruches zur EMRK erforderlich sind. Generell zeigte sich, dass das Hinterziehungsverfahren im DBG nur summarisch geregelt ist9.

In erster Linie wird auf die allgemeinen Grundsätze des Bemessungs- und Beschwerdeverfahrens verwiesen, welche sinngemäss gelten. Diese Regelung erscheint im Lichte der Rügen des EGMR betreffend der Rechtsfolgen wegen Verletzung der Mitwirkungspflicht bzw. betreffend der Garantie der Verteidigungsrechte der steuerpflichtigen Person, welche der Hinterziehung verdächtigt wird, als lückenhaft.

Wenn die beiden Verfahren ­ Nachsteuer und Hinterziehung ­ beibehalten werden, wie dies die Expertenkommission vorschlägt, muss garantiert bzw. gewährleistet werden: ­

dass einerseits das Erlangen und die Verwendung der von der steuerpflichtigen Person zur Steuerfestlegung gelieferten Informationen der oben erwähnten Rechtsprechung des EGMR nicht zuwider laufen;

­

dass andererseits der Fiskus im Rahmen beider Verfahren in der Lage ist, den geschuldeten Steuerbetrag zu ermitteln, und über ausreichende Mittel verfügt, um Hinterziehungen zu ahnden.

Eine Änderung der grundlegenden Verfahrensprinzipien im Bereich der Einkommens- und Vermögenssteuern ist dafür nach Ansicht der Expertenkommission zum jetzigen Zeitpunkt weder notwendig noch zweckmässig10.

Praktisch alle Hinterziehungsverfahren, die parallel zu einem Nachsteuerverfahren laufen, werden vor allem nach Aktenlage beurteilt. Konkret nimmt der Fiskus anhand von Unterlagen, die ihm von Dritten beigebracht wurden, Kenntnis von nicht deklarierten Einkünften oder Vermögen und eröffnet das Hinterziehungs- und das Nachsteuerverfahren. Fälle, in denen die steuerpflichtige Person selbst mit ihren 8 9 10

Bericht der Expertenkommission für ein Bundesgesetz über Steuerstrafrecht und internationale Amtshilfe in Steuersachen, Bern 2004, S. 24 f.

Art. 182 und Art. 183 DBG; siehe auch ESTV-Kreisschreiben Nr. 21 vom 7. April 1995.

Bericht der Expertenkommission für ein Bundesgesetz über Steuerstrafrecht und internationale Amtshilfe in Steuersachen, Bern 2004, S. 25.

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Aussagen oder mit der Aushändigung weiterer Dokumente tatsächlich mitwirkt, und zwar über die bereits festgestellten oder sich aus Vergleichen erschliessenden Informationen hinaus, bleiben die Ausnahme. In der Praxis erklärt die steuerpflichtige Person generell nur das, was dem Fiskus bereits bekannt ist.

Die Expertenkommission sprach sich daher gegen eine Ergänzung des geltenden Hinterziehungsverfahrens mit Zwangsmitteln aus11. Der Einsatz von Zwangsmitteln in allen vermuteten Hinterziehungsfällen würde gegenüber der heutigen Situation, in der die Verfahren ­ wie bereits erwähnt ­ vor allem nach Aktenlage durchgeführt werden, das Verhältnis zwischen Ergebnis und Verwaltungsaufwand nicht unbedingt verbessern. Das Hinterziehungsverfahren für die Einkommens- und Vermögenssteuern soll nicht in den Rang eines eigentlichen Strafverfahrens erhoben werden.

Das Verfahren soll ­ im Sinne eines Verwaltungsverfahrens mit Strafcharakter darstellenden Sanktionen ­ im Zuständigkeitsbereich der Verwaltungen und der Verwaltungsgerichte bleiben.

Die Kommission kommt in ihrem Bericht zum Schluss, dass im Lichte von Artikel 6 § 1 EMRK vor allem die folgenden zentralen Punkte des DBG und des StHG zu ändern sind12: ­

künftig muss klar ersichtlich sein, dass die steuerpflichtige Person das Recht hat, die Mitwirkung im Hinterziehungsverfahren zu verweigern. Dies muss ihr bei der Verfahrenseröffnung mitgeteilt werden (Art. 183 Abs. 1 DBG und Art. 57a Abs. 1 StHG, vgl. Ziffer 3);

­

die Verwendung der Auskünfte, die von der freiwillig kooperierenden steuerpflichtigen Person für die Steuerfestsetzung geliefert wurden, darf Art. 6 § 1 EMRK nicht zuwider laufen (Art. 153 Abs. 1bis und Art. 183 Abs. 1bis DBG und Art. 53 Abs. 4 und Art. 57a Abs. 2 StHG, vgl. Ziffer 3);

­

die Verweigerung der Mitwirkung im Hinterziehungsverfahren darf keine Sanktionen zur Folge haben (vgl. Art. 183 Abs. 1bis DBG und Art. 57a Abs. 2 StHG, vgl. Ziffer 3).

Mit den vorgeschlagenen Änderungen und den Ergänzungen der geltenden Bestimmungen wird im Hinterziehungsverfahren die Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des EMRG zum Recht auf ein faires Verfahren gewährleisten13.

Die Kommission befasste sich auch mit dem Berner Modell14: In der Regel wird auch im Kanton Bern gleichzeitig ein Nachsteuer- und Steuerstrafverfahren durch die Steuerverwaltung durchgeführt. Der angeschuldigten Person wird mit der Eröffnung des Verfahrens mitgeteilt, dass sie die Beurteilung durch einen unabhängigen Richter verlangen kann15. Ein gemeinsames Nachsteuer- und Steuerstrafverfahren 11 12 13 14 15

Bericht der Expertenkommission für ein Bundesgesetz über Steuerstrafrecht und internationale Amtshilfe in Steuersachen, Bern 2004, S. 25 f.

Bericht der Expertenkommission für ein Bundesgesetz über Steuerstrafrecht und internationale Amtshilfe in Steuersachen, Bern 2004, S. 27 f.

Vgl. dazu die Erläuterungen zu den vorgeschlagenen Bestimmungen in Ziffer 3.1.

Vgl. dazu auch den Gemeinsamen Antrag des Regierungsrates und der Kommission vom 17./2. März 1999 zum Steuergesetz 2001.

Art. 225 Abs. 1 des Steuergesetzes des Kantons Bern: «Verfahren wegen Steuerhinterziehung, Verletzung von Verfahrenspflichten und Übertretungen im Inventarverfahren werden in der Regel gemeinsam mit einem Veranlagungs-, Nachsteuer- oder Rechtsmittelverfahren nach Massgabe dieses Gesetzes durchgeführt. Die steuerpflichtige Person sowie die Beteiligten im Sinne von Art. 219 können bis zum Ablauf der Rekursfrist eine gerichtliche Beurteilung nach Massgabe des Gesetzes über das Strafverfahren verlangen.»

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wird somit nur im Einverständnis mit der angeschuldigten Person durchgeführt.

Wählt die steuerpflichtige Person das Verfahren vor dem Strafrichter, gelten die Beweismittel und Parteirechte gemäss dem Gesetz über das bernische Strafverfahren16. Durch die Wahl des Strafrichters können die mit dem Verwaltungsverfahren verbundenen Mitwirkungspflichten (Selbstbelastung) vermieden werden. Verweigert die steuerpflichtige Person, die sich mit dem gemeinsamen Nachsteuer- und Steuerstrafverfahren einverstanden erklärt hat, die Mitwirkung, kann die kantonale Steuerverwaltung die Trennung der Verfahren verfügen17. Damit wird die Steuerhinterziehung endgültig vom Strafgericht beurteilt.

Nach Auffassung der Expertenkommission ist das Berner Modell nicht ideal, weil die steuerpflichtige Person vor einer schwierigen Wahl steht. Sie kann einerseits im Hinterziehungsverfahren mit der Verwaltungsbehörde uneingeschränkt zusammenarbeiten und alle Auskünfte und Unterlagen vorlegen. Sie kann andererseits die Mitwirkung verweigern und weckt damit implizit den Verdacht, dass sie etwas zu verbergen hat. Es sei somit nicht klar, ob die steuerpflichtige Person tatsächlich aus freiem Willen mitwirkt oder ob vor allem der Druck eines drohenden Strafverfahrens bewirkt, dass die steuerpflichtige Person ihren Mitwirkungspflichten nachkommt und die gewünschten Unterlagen beibringt. Für die Expertenkommission steht daher nicht fest, ob das Berner Modell in allen Punkten mit der Rechtsprechung des EGMR übereinstimmt18.

2.2.4

Berücksichtigung von Art. 6 § 2 EMRK (Unschuldsvermutung) im schweizerischen Steuerrecht

Gemäss Artikel 6 § 2 EMRK gilt jede Person, die einer Straftat angeklagt ist, bis zum gesetzlichen Beweis ihrer Schuld als unschuldig.

Artikel 180 Absatz 2 DBG sowie Artikel 57 Absatz 4 StHG sehen im Fall der Steuerhinterziehung durch ein Ehepaar Folgendes vor: «Jedem Ehegatten steht der Nachweis offen, dass die Hinterziehung seiner Steuerfaktoren durch den anderen Ehegatten ohne sein Wissen erfolgte oder dass er ausserstande war, die Hinterziehung zu verhindern. Gelingt dieser Nachweis, wird der andere Ehegatte wie für die Hinterziehung eigener Steuerfaktoren gebüsst».

Auf Grund dieser gesetzlich statuierten Schuldvermutung kann die Steuerbehörde prinzipiell davon ausgehen, dass bei einer unvollständigen oder unrichtigen Deklaration derjenige Ehegatte den Tatbestand der Steuerhinterziehung erfüllt hat, dem die in Frage stehenden Steuerfaktoren zuzurechnen sind. Von einer auf dieser Tatzuordnung und Schuldvermutung beruhenden Strafe kann sich der Ehegatte lediglich durch die Erbringung des Exkulpationsbeweises befreien. In Umkehr der strafrechtlichen Beweislast hat nicht die Steuerbehörde dem Ehegatten das tatbestandsmäs16 17

18

Zu erwähnen sind namentlich die Öffentlichkeit der Verhandlung und die Durchbrechung des Bankgeheimnisses, Vgl. Gesetz vom 15. März über das Strafverfahren, BSG 321.1.

In Art. 225 Abs. 4 des Steuergesetzes des Kantons Bern ist Folgendes verankert: «Kommt die steuerpflichtige Person im Verfahren nach Absatz 1 ihren Mitwirkungspflichten nicht nach, kann die kantonale Steuerverwaltung oder eine Rechtsmittelbehörde die gerichtliche Beurteilung anordnen. Diese Anordnung ist endgültig.» Bericht der Expertenkommission für ein Bundesgesetz über Steuerstrafrecht und internationale Amtshilfe in Steuersachen, Bern 2004, S. 27.

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sige, rechtswidrige und schuldhafte Verhalten nachzuweisen, sondern der Ehegatte hat die Steuerbehörde von seiner Unschuld zu überzeugen.

Bei den im Gesetz vorgesehenen beiden Entlastungsmöglichkeiten handelt es sich um den Nachweis von negativen Tatsachen, der regelmässig gar nicht zu erbringen ist. Der Ehegatte, dessen Verschulden vom Gesetz vermutet wird, hat daher vielmehr zu beweisen, er habe alles in seiner Macht liegende zur Verhinderung der Steuerhinterziehung durch seinen Ehepartner getan.

Wie in der Steuerrechtslehre19 bereits wiederholt und nun auch von der Expertenkommission20 festgehalten wurde, steht diese Schuldvermutung mit Exkulpationsbeweis nicht in Einklang mit der in Artikel 6 § 2 EMRK verankerten Unschuldsvermutung, da die Beweislastverteilung offensichtlich in Widerspruch mit dem strafrechtlichen Grundsatz «in dubio pro reo» steht.

Um die ehegattenspezifischen Strafbestimmungen des DBG und des StHG in Einklang mit der EMRK zu bringen, wird die Streichung der gesetzlich statuierten Schuldvermutung beantragt.

3

Erläuterungen zu den einzelnen Bestimmungen

3.1

Bundesgesetz vom 14. Dezember 199021 über die direkte Bundessteuer

Artikel 180 Steuerhinterziehung von Ehegatten Gemäss Absatz 1 kann jeder in rechtlich und tatsächlich ungetrennter Ehe lebende Ehegatte nur für die Hinterziehung seiner eigenen Steuerfaktoren gebüsst werden.

Mit dieser Beschränkung der Busse auf die eigenen Steuerfaktoren kann der andere Ehegatte nicht als Mittäter, Gehilfe oder Anstifter behandelt werden, selbst wenn dieser von der Pflichtverletzung des anderen wusste oder hätte wissen müssen. Diese Begrenzung der Strafbarkeit ist eine sachlich nicht gerechtfertigte Privilegierung von verheirateten Personen. In Absatz 1 soll daher ein Vorbehalt von Artikel 177 DBG verankert werden, in welchem die Teilnahme an einer vollendeten oder versuchten Hinterziehung geregelt wird. Dies hat zur Folge, dass künftig ein Ehegatte wie jede andere steuerpflichtige Person als Teilnehmer an einer Steuerhinterziehung seines Partners, d.h. wegen Anstiftung, Gehilfenschaft oder Mitwirkung, bestraft werden kann.

Die in Absatz 2 verankerte Schuldvermutung mit Exkulpationsbeweis, wonach jedem Ehegatten der Nachweis offen steht, dass die Hinterziehung seiner eigenen Steuerfaktoren durch den anderen Ehegatten ohne sein Wissen erfolgte, oder dass er 19

20 21

Vgl. etwa Behnisch Urs R., Das Steuerstrafrecht im Recht der direkten Bundessteuer, Bern 1991, S. 360 Fn. 60; Böckli Peter, Eintracht und Hader mit Steuerfolgen. Die Einkommenssteuer unter dem Einfluss des Neuen Eherechts, StR 46, S. 246; Behnisch Brigitte, Die Stellung der Ehegatten im Veranlagungs-, Rechtsmittel-, Bezugs- und Steuerstrafverfahren, Diss. Bern 1992, S. 229; Bericht der Expertenkommission für ein Bundesgesetz über Steuerstrafrecht und internationale Amtshilfe in Steuersachen, Bern 2004, S. 30.

Bericht der Expertenkommission für ein Bundesgesetz über Steuerstrafrecht und internationale Amtshilfe in Steuersachen, Bern 2004, S. 30.

SR 642.11

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nicht in der Lage war, die Hinterziehung zu verhindern, hält der in Artikel 6 § 2 EMRK geregelten Unschuldsvermutung nicht Stand22. Diese Umkehr der Beweislast ist deshalb ersatzlos zu streichen.

Artikel 153 Absatz 1bis und Artikel 183 Absätze 1 und 1bis Neu soll ausdrücklich bei Eröffnung des Strafverfahrens darauf hingewiesen werden, dass die betroffene Person im Hinterziehungsverfahren keine Aussagen machen muss, mit denen sie sich selber belasten würde. Zudem ist vorgesehen, dass die Beweismittel aus einem Nachsteuerverfahren in einem Strafverfahren wegen Steuerhinterziehung nur dann verwendet werden dürfen, wenn bei deren Beschaffung weder eine Veranlagung nach pflichtgemässem Ermessen mit Umkehr der Beweislast, noch eine Busse wegen Verletzung von Verfahrenspflichten angedroht wurde. Auf diese Weise sind die von der EMRK garantierten Verfahrensrechte vollständig gewährleistet.

Wenn bei Einleitung eines Nachsteuerverfahrens nicht gleichzeitig ein Hinterziehungsverfahren eingeleitet wird, soll neu die Steuerverwaltung in Artikel 153 Absatz 1bis verpflichtet werden, die betroffene steuerpflichtige Person auf die Möglichkeit einer späteren Einleitung eines solchen Verfahrens aufmerksam zu machen. Damit verbunden ist die Verpflichtung, die steuerpflichtige Person über ihre Rechte nach dem neu ergänzten Art. 183 Abs. 1 aufzuklären, wonach die steuerpflichtige Person im Hinterziehungsverfahren keine Aussagen machen muss, mit denen sie sich selber belasten würde.

In Fällen, bei welchen die Einleitung eines Strafverfahrens wegen Steuerhinterziehung von vornherein ausgeschlossen werden kann, beispielsweise bei Erben, macht ein solcher Hinweis selbstverständlich keinen Sinn und kann daher unterbleiben.

Nach heutigem Recht dürfen die im Rahmen eines Nachsteuerverfahrens, in welchem die steuerpflichtige Person zur Mitwirkung verpflichtet ist, erhobenen Beweise im Hinterziehungsverfahren verwendet werden. In Artikel 183 Absatz 1bis soll nun aber vorgesehen werden, dass Beweismittel aus einem Nachsteuerverfahren, die unter Androhung einer Busse wegen Verletzung der Verfahrenspflichten oder unter Androhung einer Veranlagung nach pflichtgemässem Ermessen mit Umkehr der Beweislast beschafft wurden, in einem Strafverfahren wegen Steuerhinterziehung nicht verwendet werden dürfen.

Während bei der Ermittlung
der Nachsteuer ­ gegebenenfalls unter Mitwirkung der steuerpflichtigen Person ­ der von der EMRK verliehene Schutz nicht anwendbar ist, verhält es sich im Hinterziehungsverfahren, das einzig der Festlegung des Strafmasses dient, anders23. In einem Hinterziehungsverfahren kommt der betroffenen steuerpflichtigen Person das Recht zu, die Mitwirkung unter Berufung auf Art. 6 § 1 EMRK zu verweigern, um sich nicht selbst belasten zu müssen. Informationen, die in einem Nachsteuerverfahren unter Androhung einer Busse wegen Verletzung der Verfahrenspflichten oder unter Androhung einer Veranlagung nach pflichtgemässem Ermessen mit Umkehr der Beweislast vom betroffenen Steuerpflichtigen beigebracht werden, dürfen in einem anschliessenden Strafverfahren wegen Steuerhinterziehung nicht verwendet werden. Ein solches Vorgehen würde einerseits Art. 6 § 1 EMRK (Recht auf ein faires Verfahren) und andererseits wohl auch Art. 6 § 2 22 23

Vgl. dazu die Ausführungen unter Ziffer 2.2.4.

Vgl. dazu die Ausführungen in Ziffer 2.2.2.

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(Unschuldsvermutung) widersprechen, weil eine Ermessensveranlagung die steuerpflichtige Person, die sie anficht, zwingt, selber die Beweise einer unkorrekten Veranlagung zu erbringen (Umkehr der Beweislast). Diesbezüglich ist Folgendes festzuhalten: Nach Art. 130 Abs. 2 DBG und Art. 46 Abs. 3 StHG nimmt die Veranlagungsbehörde die Veranlagung nach pflichtgemässem Ermessen vor, wenn die steuerpflichtige Person trotz Mahnung ihre Verfahrenspflichten nicht erfüllt hat oder die Steuerfaktoren mangels zuverlässiger Unterlagen nicht einwandfrei ermittelt werden können. Eine Veranlagung nach pflichtgemässem Ermessen kann die steuerpflichtige Person nur wegen offensichtlicher Unrichtigkeit anfechten (Art. 132 Abs. 3 DBG und Art. 48 Abs. 2 StHG). Konkret kann die steuerpflichtige Person geltend machen, dass die Voraussetzungen der Veranlagung nach Ermessen nicht erfüllt sind oder dass die Berechnungsgrundlage offensichtlich falsch ist. In letzterem Fall muss sie die Beweise zur Widerlegung der Schätzung der Veranlagungsbehörde selber erbringen ­ das heisst die Informationen und Dokumente vorlegen, mit denen sie die Veranlagung nach Ermessen hätte vermeiden können. Zumindest muss sie nachweisen können, dass die Schätzung der Behörde offensichtlich zu hoch ist.

Diese Umkehr der Beweislast ist mit der im Steuerhinterziehungsverfahren geltenden Unschuldsvermutung nicht vereinbar.

Die Expertenkommission schlug vor, folgenden Satz im Gesetz zu verankern: «Beweismittel, die unter Androhung einer frei überprüfbaren Schätzung einverlangt wurden, dürfen verwendet werden.» In den Erläuterungen zu dieser Bestimmung hielt die Expertenkommission fest, dass eine Festlegung des nicht deklarierten Einkommens von den Behörden auch im Rahmen des Strafverfahrens wegen Steuerhinterziehung nach (frei überprüfbarem) pflichtgemässem Ermessen vorgenommen werden kann. In diesem Fall liege die Beweislast bei der Behörde. Erfahrungsgemäss und nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge müsse der Beweis mit einem Indizienbündel und somit indirekt erbracht werden. Nach Auffassung der Expertenkommission liegt darin keine Verletzung von Art. 6 § 1 und § 2 EMRK vor. Die unter Androhung einer solchen frei überprüfbaren Schätzung erlangten Beweismittel dürfen daher verwendet werden.

Der Begriff «frei überprüfbare Schätzung» ist jedoch heute
weder im DBG noch im StHG enthalten. Sollte dieser Begriff als Variante zur ordentlichen Veranlagung und zur Veranlagung nach pflichtgemässem Ermessen neu eingeführt werden, müsste er aber bereits in den Bestimmungen über die Veranlagung (Art. 130 f. DBG; Art. 46 StHG) und die Einsprache (Art. 132 ff. DBG; Art. 48 StHG) und nicht erst im Steuerstrafrecht verankert werden. Insbesondere müsste die Abgrenzung zur Veranlagung nach pflichtgemässem Ermessen, das im Einspracheverfahren eine Umkehr der Beweislast zur Folge hat, klar definiert werden. In Artikel 183 Absatz 1bis werden abschliessend diejenigen Fälle aufgezählt, die dazu führen, dass die Beweismittel in einem Steuerhinterziehungsverfahren nicht verwendet werden dürfen.

E contrario dürfen in allen anderen Fällen die Beweismittel verwendet werden. Auf die von der Expertenkommission vorgeschlagene Ergänzung kann deshalb verzichtet werden.

4031

3.2

Bundesgesetz vom 14. Dezember 199024 über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden

Art. 57 Abs. 4 Die in Bezug auf eine Steuerhinterziehung von Ehegatten in Absatz 4 verankerte Schuldvermutung mit Exkulpationsbeweis ist auch im StHG ersatzlos zu streichen, um die EMRK-Konformität zu erreichen. Vgl. daher die Ausführungen zu Artikel 180 DBG, Ziffer 3.1.

Art. 53 Abs. 4 und Art. 57a (neu)

Eröffnung des Strafverfahrens wegen Steuerhinterziehung

Das geltende Recht enthält keine Bestimmungen, die das Verfahren bei einer Steuerhinterziehung regeln. Neu soll nun analog zum DBG ein Artikel aufgenommen werden, wonach bei Eröffnung eines Strafverfahrens wegen Steuerhinterziehung die betroffene Person darauf hingewiesen wird, dass sie in diesem Verfahren keine Aussagen machen muss, mit denen sie sich selbst belasten würde. Vgl. dazu die Ausführungen zu Artikel 153 Absatz 1bis und Artikel 183 Absätze 1 und 1bis DBG, Ziffer 3.1.

Die Bestimmung, wonach Beweismittel aus einem Nachsteuerverfahren, die unter Androhung einer Busse wegen Verletzung der Verfahrenspflichten oder unter Androhung einer Veranlagung nach pflichtgemässem Ermessen mit Umkehr der Beweislast beschafft wurden, in einem Strafverfahren wegen Steuerhinterziehung nicht verwendet werden dürfen, ist ebenfalls neu ins StHG aufzunehmen, um in Einklang mit den in der EMRK verankerten Verfahrensgarantien zu stehen. Die Bestimmung entspricht derjenigen im DBG, um die Parallelität der Verfahren zu erreichen. Vgl. dazu die Ausführungen zu Artikel 153 Absatz 1bis und Artikel 183 Absätze 1 und 1bis DBG, Ziffer 3.1.

Art. 72f

Anpassung der kantonalen Gesetzgebung an die Änderung

In der neuen Übergangsbestimmung wird den Kantonen eine Frist von zwei Jahren zur Anpassung ihrer Gesetzgebung eingeräumt. Wie in bereits früher verankerten Bestimmungen über Anpassungen der kantonalen Gesetzgebungen ist jede Änderung einzeln aufgeführt.

4

Finanzielle und personelle Auswirkungen

Die vorgeschlagenen Gesetzesänderungen führen weder beim Bund noch bei den Kantonen oder Gemeinden zu Mehrausgaben oder Personalaufstockungen.

24

SR 642.14

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5

Verhältnis zum europäischen Recht

Mit den vorgeschlagenen Gesetzesänderungen wird eine Übereinstimmung des DBG und StHG mit den in Artikel 6 EMRK verankerten Verfahrensgarantien erreicht.

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Verfassungs- und Gesetzmässigkeit

Die Kompetenz des Bundes, Grundsätze der Besteuerung und der Steuerharmonisierung festzulegen, stützt sich auf Artikel 127 und 129 der Bundesverfassung.

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