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Schweizerisches Band II.

No.

41.

Samstag, den 4. August 1849.

Verhandlungen der Bundesversammlung, des National- und Ständerathes.

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Rede des

Herrn Amtsbürgermeisters Dr. Escher, Präsidenten des Nationalrathes, bei der Vertagung der

ordentlichen Sitzung am 30. Brachmonat 1849.

Tit.

Die Geschäfte, deren Behandlung wir nicht zu ver-

schieben beschlossen haben, sind erledigt. Es schlägt die Stunde des Abschiedes.

Wir sind lange, sehr lange versammelt geblieben. Die Dauer unserer Versammlung steht aber mit dem Umfang der Schwierigkeit der Aufgabe, die wir zu lösen hatten, in keinem Mißverhältnisse. Wir können mit dem beruht Bundesblatt I. Bd. II.

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334 genden Bewußtfein , unsere Kräfte mit unverdrossener Hingebung für die Wohlfahrt des Vaterlandes angestrengt zu haben, diesen Saal verlassen.

Die Bundesversammlung hat die erforderlichen Gesetze zur Vollziehung der durch die Bundesverfassung vorgeschriebenen Zentralisation sehr wichtiger Administrativzweige erlassen.

Drei Gesetze, die das P o s t w e s e n nun wirklich zu einem schweizerischen machen sollen, sind aus den Berathungen der Bundesversammlung hervorgegangen. Der kleine Krieg, der bisanhin unter den Kantonen in Postsachen geführt wurde, eine Art Bürgerkrieg, wird nun ein Ende nehmen. Die oft sehr ärgerlichen Unterhandlungen einzelner Kantone mit auswärtigen Staaten in Postangelegenheiten hinter dem Rücken und mitunter zum empfindlichen Nachtheile ihrer Mitkantone werden aufhören.

Aus den vielen kleinen Postgebieten der Kantone ist nnn ein schweizerisches Postgebiet geworden und schon und wesentlich deswegen ist die Möglichkeit gegeben, das fchweizerische Postwesen auf rationellere Grundlagen zu stellen.

Die Bundesversammlung hat dieses durch die Gesetze, welche sie erlassen, versucht. Wenn sie auch dabei noch .nicht so weit gelangt ist, als man im Laufe der Zeit ^ielleicht gelangen kann, so hat sie doch eine Bahn eingeschlagen, auf der eine gedeihliche allmälige Fortentwicklung und Vervollkommnung der schweizerischen Postverhältnisse

in Aussicht steht.

Das Gesetz über das Z o l l w e s e n mit dem zu ihm gehörenden Tarife war wohl der Gegenstand der Verhandlungen der Bundesversammlung, ans dessen Erledigung das schweizerische Volk mit am meisten Spannung harrte. Die Freihandelsmänner werden in demselben ihr theoretisches System in seiner Reinheit nicht finden, und in

335 demselben Falle werden auch ihre Gegenfüßler, die Protektionisten, fein. Es würde sich daraus ergeben, daß die Bundesversammlung einen Mittelweg eingeschlagen hat.

Mittelwege sind als solche freilich durchaus nicht immer empfehlenswert. Daß aber die Bundesversammlung in der Zollfrage doch den rechten Pfad gefunden hat, glaube ich aus der großen Mehrheit, welche sich für das Zollgefetz in beiden Räthen ergeben, und auch aus der erfreulicheu Wahrnehmung fchließen zu dürfen, daß ein bedeutender Theil von denen, welche anfänglich dem neuen Zollgesetze sehr abgeneigt waren, sich mit demselben immer mehr versöhnt, ja nunmehr vollkommen einverstanden erklärt.

Dem Gesetze über die Organisation der Bnn-

desrechtspslege ist zwar, gemäß der geringen Ausdehnung, welche die Kompetenz des Bundesgerichtes wenigstens zur Zeit noch hat, vorderhand ein großer Wirkungskreis nicht beschieden. Hoffentlich wird es sich aber auch in diesem engen Wirkungskreise dermaßen bewähren, daß der in der Bundesverfassung liegende Keim, der eine weitere Zentralisation der Rechtspflege zuläßt, ein desto fruchtbareres Erdreich finden und dadurch zur Ausgleichung derjenigen Ungleichheiten beigetragen^werden wird, welche vor

Allem aus das gesunde Rechtsgefühl des Volkes zu verletzen geeignet sind.

Das Büdget, wie es der Bundesversammlung vorgelegt worden war, hatte mannigsaches Erstaunen und ein nicht zu verkennendes Mißbehagen bei der schweizerischen Bevölkerung hervorgerufen. Nachdem es nunmehr gesichtet und in eine klarere und richtigere Form gebracht worden ist, dürste es weniger Anfechtungen mehr erleiden. Wenn es als ein großes Hinderniß der freien Entwicklung der schweizerischen Finanzverhältnisse betrachtet

^ werden muß, daß dem Bunde in Betreff der Eröffnung von Einnahmsquellen die volle Souveränetät nicht zusteht und daß ihm namentlich das freie Besteurungsrecht abgeht, so darf es hinwieder wenigstens in politischer Beziehung als ein Gewinn angesehen werden, daß der Bund für die ...Deckung seiner ordentlichen Ausgaben nicht an die Kantone gewiesen worden ist, sondern selbstständige , von den Kantonen unabhängige Einnahmsquellen erhalten hat.

Von politischen Fragen hat eigentlich einzig die Angelegenheit der. von einigen Kantonen mit Neapel abgeschlossenen Militärkapitulationen die Bundesversammlung beschästigt. Es stellte sich nach dem Gange der Ereignisse immer mehr heraus, daß es mit dem Begriffe und dem wahren Wesen der schweizerischen Neutralität unvereinbar sei, wenn einige schweizerische Kantone, statt sich einem sremden Staate gegenüber zu verhalten wie gegenüber dem andern, ausnahmsweise Einem Staate znm Unterschiede von den andern Truppen zur Verfolgung irgend welcher und so auch beliebiger politischer Zwecke zukommen lassen.

Und wenn nun vollends die im neapolitanischen Dienste stehenden Schweizertruppen dazu verwendet wurden, um den Grundsatz des freien Selbstkonstituirungsrechtes des Volkes, einen Grundsatz, dem die Schweiz ihr Dasein zu verdanken hat, und den sie als einen der nnbestreitbarsten Rechtstitel für ihr Fortbestehen jederzeit heilig halten foll, mit Füßen zu treten, fo mußte die Frage sich aufdrängen, ob da nicht eine Art von Selbstmord begangen werde.

Hinwieder konnte es aber der Bundesversammlung nicht entgehen, daß es nicht die Eidgenossenschaft in ihrer Gesammtheit, fondern vielmehr nur einzelne Kantone gewefen,

welche die Militärkapitulationen mit Neapel abgeschlossen hatten, und daß es somit vor allem diesen Kantonen, deren

337 frühere Regierungen das Uebel gestiftet, obliegen müsse, dasselbe so viel als moglich wieder zu heilen. Das dürften die Erwägungen fein, aus denen der Bundesbeschluß, betreffend die Militärkapitulationen, hervorgegangen ist. Mögen nun die Kantone, aus deren Entschließungen die allgemeine Aufmerkfamkeit zunächst gerichtet sein muß, den Gesinnungen entgegen kommen, die sich mit Beziehung auf diefe inhaltschwere Angelegenheit im Schoße der obersten schweizerischen Behörde kund gegeben habend Richten wir, bevor wir uns die Hand zum Abschiede drücken, noch unsern Blick über die Schweizergrenzen hinaus, so können wir uns nicht verhehlen, daß der politische Horizont sich immer mehr umdüstert und die Reaktion, trotz des heldenmütigen Widerstandes einzelner Völker, fortwährend mehr Boden gewinnt. Ja, Tit., seit dem denkwürdigen Erwachen der Völker im verflossenen Jahre sind manche Hoffnungen getäufcht, manche Erwartungen nicht erfüllt, ja sogar manche Ueberzeugungen , die man mit Zuversicht hegen zu dürsen glaubte, zu nichte geworden. Ob aber auch alles um uns wanke, die

Schweiz wird, so Gott will, feststehen! Die Schweiz hat vor dem Auslande nicht gezittert, als die Fürsten ihre Throne noch ganz sicher glaubten und als die Schweiz in ihrem Innern zerrissen, ja sogar im Kriege begriffen war. Sie wird noch weniger vor dem Auslande erbeben , nachdem die Fürsten ihre Throne wanken gesehen haben und da die Schweiz nunmehr einig dasteht. Ja, Tit., ich glaube es sagen zu dürfen, daß die Schweiz dem Auslande gegenüber nunmehr einig dastehe. Jch gebe .u.tch nämlich der Erwartung hin, daß es keine Partei des Auslandes in der Schweiz mehr gibt. Die Häupter dieser Partei sind da, wohin sie gehören, nämlich im Auslande, und diejenigen, die sich von ihnen versühren ließen,

.^38 Werden nicht vergessen, daß sie nur durch unverbrüchliche Treue an der Eidgenossenschaft das, was sie an derfelben verbrochen haben , wieder gut machen können. -- Tit., der Wille des schweizerischen Volkes in Betreff der von der Schweiz gegenüber dem Auslande zu beobachtende n Politik kann Jhnen nicht zweifelhaft fein. Diefer Wille geht dahin, daß die Schweiz sich nicht ohne d r i n g e n d e Noth in a u s w ä r t i g e Händel ein..

.mischen, daß sie a b e r , w e n n ihr vom Auslande in irgend welcher Weise zu nahe g e t r e t e n w e r den wollte, dieß mitaller Entschiedenheit und unter A n w e n d u n g aller der Schweiz zu Gebote s t e h e n d e n K r ä s t e z u r ü c k w e i s e n solle. An dieser

volkstümlichen Politik - und wenn Eine Politik volkstümlich zu sein braucht, so ist es die auswärtige, welche unter Umständen dem Bürger die schwersten Ovfer, die er bringen kann, auflegt - an dieser volkstümlichen

Politik, sage ich, hat die oberste Bundesbehörde bis jetzt festgehalten. Jch hoffe, daß sie ihr auch ferner treu bleiben werde.

Noch erübrigt mir, Tit., eine angenehme Pflicht gegen

Sie zu erfüllen. Es ist die Pflicht der Dankbarkeit für die Nachsicht und das Wohlwollen , welches Sie während diefer so langen Versammlung des Nationalrathes fortwährend gegen mich an den Tag gelegt und womit Sie meine Verrichtungen so wesentlich erleichtert haben. Nehmen Sie mit meinem warmen Danke die Versicherung entgegen, daß die Erinnerung an Sie tief in mein Herz gegraben sein wird und genehmigen Sie meine Bitte, mich hinwieder Jhrem freundlichen Andenken empfohlen sein zu lassen.

Jch erkläre die ordentliche Sitzung des schweizerischen Nationalrathes vom Jahre 1849 - nicht vorherzusehende

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Rede des Herrn Amtsbürgermeisters Dr. Escher, Präsidenten des Nationalrathes, bei der Vertagung der ordentlichen Sitzung am 30. Brachmonat 1849.

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