Bundesgesetz über die Stauanlagen

Entwurf

(Stauanlagengesetz, StAG) vom ...

Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, gestützt auf Artikel 76 Absatz 3 der Bundesverfassung1, nach Einsicht in die Botschaft des Bundesrates vom 9. Juni 20062, beschliesst:

1. Kapitel: Allgemeine Bestimmungen Art. 1

Gegenstand

Dieses Gesetz regelt die Sicherheit der Stauanlagen sowie die Haftung für Schäden, die auf das Austreten von Wassermassen aus einer Stauanlage zurückzuführen sind.

Art. 2

Geltungsbereich

Dieses Gesetz gilt für Stauanlagen, die eine der folgenden Voraussetzungen erfüllen:

1

2

a.

Die Stauhöhe über Niederwasser des Gewässers oder über Geländehöhe beträgt mindestens 10 m.

b.

Die Stauhöhe beträgt mindestens 5 m und die Anlage weist einen Stauraum von mehr als 50 000 m3 auf.

Die Aufsichtsbehörde (Art. 23) kann: a.

Stauanlagen mit geringeren Ausmassen diesem Gesetz unterstellen, wenn sie ein besonderes Gefährdungspotenzial darstellen;

b.

Stauanlagen, für die nachgewiesen wird, dass sie kein besonderes Gefährdungspotenzial darstellen, vom Geltungsbereich dieses Gesetzes ausnehmen.

Art. 3

Begriffe

Stauanlagen sind Einrichtungen zum Aufstau oder zur Speicherung von Wasser oder Schlamm. Als Stauanlagen gelten auch Bauwerke für den Rückhalt von Geschiebe, Eis und Schnee oder für den kurzfristigen Rückhalt von Wasser (Rückhaltebecken).

1

1 2

SR 101 BBl 2006 6037

2003-0067

6063

Stauanlagengesetz

2

Grosse Stauanlagen sind solche: a.

mit einer Stauhöhe von mindestens 25 Metern;

b.

mit einer Stauhöhe von mehr als 15 Metern und mindestens 50 000 m3 Stauraum;

c.

mit einer Stauhöhe von mehr als 10 Metern und mindestens 100 000 m3 Stauraum;

d.

mit mehr als 500 000 m3 Stauraum.

Art. 4

Stauanlagen an Grenzgewässern

Der Bundesrat kann für Stauanlagen an Grenzgewässern besondere Bestimmungen erlassen oder mit den Nachbarstaaten vereinbaren.

1

Er kann dabei von den Bestimmungen über das anwendbare Recht und den Gerichtsstand in Bundesgesetzen oder in Staatsverträgen abweichen.

2

Art. 5

Prüfung und Kontrolle der technischen Sicherheit

Die Prüfung und Kontrolle der technischen Sicherheit von Stauanlagen richtet sich nach dem Sicherheitskontrollgesetz vom ...3 (SKG). Anwendbar ist:

1

2

a.

für die grossen Stauanlagen: das Verfahren der Prüfung der Sicherheit durch amtliche Kontrolle;

b.

für die anderen Stauanlagen: das Verfahren der Prüfung und Kontrolle der Sicherheit anhand einer Sicherheitsbescheinigung.

Das Sicherheitsorgan ist organisatorisch Teil der Aufsichtsbehörde (Art. 23).

2. Kapitel: Sicherheit der Stauanlagen 1. Abschnitt: Planung, Bau und Betrieb von Stauanlagen Art. 6

Grundsätze

Stauanlagen sind nach dem Stand von Wissenschaft und Technik so zu bemessen, zu bauen und zu betreiben, dass ihre Standsicherheit bei allen voraussehbaren Betriebs- und Lastfällen gewährleistet ist.

1

Sie müssen zur Vornahme von Kontroll- und Unterhaltsarbeiten entleert und der Stausee muss bei drohender Gefahr abgesenkt werden können. Zu diesem Zweck müssen Stauanlagen mindestens über einen ausreichend dimensionierten Grundablass oder eine ausreichend dimensionierte Tiefschütze verfügen. Der Bundesrat kann für besondere Kategorien von Stauanlagen Ausnahmen vorsehen.

2

3

3

Hochwasser müssen bei vollem Becken sicher abgeleitet werden können.

SR ... ; AS ... (BBl 2006 6001)

6064

Stauanlagengesetz

Art. 7

Planung und Bau

Soweit die Planung und der Bau einer neuen Stauanlage oder die Änderung einer bestehenden Anlage nach einem andern Gesetz genehmigt werden müssen, sind die Vorschriften dieses Gesetzes und seiner Ausführungsbestimmungen zu beachten.

1

Die Genehmigungsbehörde nimmt die Auflagen betreffend die technische Sicherheit, die von der unabhängigen Stelle oder vom Sicherheitsorgan gemacht werden, in ihre Genehmigung auf.

2

Wird kein Verfahren nach einem andern Gesetz durchgeführt, so erteilt die Aufsichtsbehörde eine Plangenehmigung in Bezug auf die technische Sicherheit.

3

Die Genehmigungsbehörde ordnet besondere bauliche Vorkehrungen an, wenn dies zum Schutz vor Sabotageakten erforderlich ist.

4

Art. 8

Inbetriebnahme

Eine Stauanlage darf nur in Betrieb genommen werden, wenn ihr Verhalten beim ersten Einstau beziehungsweise Wiedereinstau es zulässt.

Art. 9 1

Betrieb

Die Betreiberin hat während des Betriebs dafür zu sorgen, dass: a.

der Schutz der Bevölkerung und der Umwelt gewährleistet ist;

b.

die Entleerungs- und Entlastungsvorrichtungen betriebstüchtig sind.

Sie führt die Kontrollen, Messungen und Prüfungen durch, die zur Beurteilung des Zustands und des Verhaltens einer Stauanlage erforderlich sind, und lässt die Ergebnisse unverzüglich auswerten. Die Betreiberin einer grossen Stauanlage stellt die entsprechenden Berichte dem Sicherheitsorgan direkt zu.

2

3

Sie muss: a.

die Stauanlage ordnungsgemäss unterhalten sowie Schäden und Sicherheitsmängel unverzüglich beheben;

b.

die Stauanlage nachrüsten oder umbauen, wenn das Sicherheitsorgan dies zur Behebung von Sicherheitsmängeln verlangt oder anordnen lässt;

c.

gestatten, dass nationale Überwachungs- und Messsysteme angebracht und benützt werden, und den Kontrollorganen den Zutritt dazu ermöglichen.

Die Stauanlage ist so lange zu überwachen und zu unterhalten, als sie Wasser, Schlamm und andere Materialien aufstauen, speichern oder zurückhalten kann. Fehlt eine Betreiberin, so ist die Grundeigentümerin für die Einhaltung dieser Pflichten verantwortlich.

4

Art. 10

Beeinflussung der Sicherheit durch andere Bauten und Anlagen

Bevor eine Behörde über die Errichtung oder Änderung einer Baute oder Anlage entscheidet, die sich auf die Sicherheit einer bestehenden Stauanlage nachteilig auswirken könnte, hört sie das Sicherheitsorgan an.

6065

Stauanlagengesetz

2. Abschnitt: Notfallkonzept Art. 11

Vorkehrungen für den Notfall

Die Betreiberin trifft Vorkehrungen für den Fall, dass der sichere Betrieb einer Stauanlage auf Grund von Verhaltensanomalien, Naturereignissen oder Sabotageakten nicht mehr gewährleistet ist.

1

Sie muss bei einem Notfall alle erforderlichen Massnahmen treffen, um Gefährdungen von Personen, Sachen und der Umwelt zu verhindern.

2

Art. 12

Wasseralarmsystem

Die Betreiberin einer Stauanlage muss ein Wasseralarmsystem in der Nahzone betreiben und unterhalten.

1

Die Nahzone umfasst das Gebiet, das bei plötzlichem totalem Bruch der Anlage innert zwei Stunden überflutet wird.

2

Art. 13

Schutz der Bevölkerung im Notfall

Bund, Kantone und Gemeinden sorgen bei einem Notfall mit Hilfe der Mittel und Strukturen des Bevölkerungsschutzes für die Verbreitung von Verhaltensanweisungen an die Bevölkerung und für deren allfällige Evakuierung.

1

Die vom Bundesrat bezeichnete Stelle kann im Fall einer militärischen Bedrohung besondere Anordnungen treffen.

2

3. Kapitel: Haftpflicht Art. 14

Ausnahme vom Geltungsbereich

Die Bestimmungen dieses Kapitels gelten nicht für Stauanlagen, die ausschliesslich dem Schutz vor Naturgefahren dienen.

Art. 15

Haftung der Betreiberin

Die Betreiberin einer Stauanlage haftet für Personen- und Sachschaden, der durch die Verwirklichung der Risiken entsteht, die mit austretenden Wassermassen verbunden sind.

1

Sie haftet auch für Aufwendungen, die infolge behördlich angeordneter Massnahmen zur Abwehr oder Verminderung einer unmittelbar drohenden Gefahr entstehen; davon ausgenommen ist entgangener Gewinn.

2

3 Als haftpflichtige Betreiberin gilt, wer eine Stauanlage besitzt, baut oder betreibt.

Ist die Betreiberin nicht Eigentümerin der Anlage, so haftet die Eigentümerin mit ihr solidarisch.

6066

Stauanlagengesetz

Bund, Kantone, Gemeinden oder andere öffentlichrechtliche Körperschaften oder Anstalten haften nach diesem Gesetz, soweit sie Stauanlagen betreiben.

4

Art. 16

Haftungsausschluss

Von der Haftung wird befreit, wer nachweist, dass der Schaden durch höhere Gewalt oder durch grobes Verschulden der geschädigten Person verursacht worden ist.

Art. 17

Anwendung des Obligationenrechts

Soweit dieses Gesetz keine besonderen Bestimmungen enthält, richtet sich die Haftung nach den Bestimmungen des Obligationenrechts4 über die unerlaubten Handlungen.

Art. 18

Beweissicherung bei grösserem Schadenereignis

Ist ein grösseres Schadenereignis eingetreten, so ordnet der Bundesrat eine Erhebung über den Sachverhalt an.

1

Er fordert durch öffentliche Bekanntmachung alle Personen, die einen Schaden erlitten haben, auf, die Schädigung innert drei Monaten unter Angabe des Datums und des Ortes zu melden. In der Bekanntmachung ist darauf hinzuweisen, dass die Nichtbeachtung der Anmeldefrist allfällige Ersatzansprüche nicht ausschliesst, jedoch den späteren Nachweis eines Zusammenhangs zwischen einem Schaden und dem Austreten von Wassermassen aus der Stauanlage erschweren kann.

2

Art. 19

Deckung der Haftpflicht

Die Kantone können vorsehen, dass die Haftung nach diesem Gesetz durch den Abschluss von Versicherungsverträgen oder auf andere, gleichwertige Weise sichergestellt werden muss.

Art. 20

Grossschaden

Im Falle eines Grossschadens kann die Bundesversammlung durch Verordnung eine Entschädigungsordnung aufstellen.

1

Ein Grossschaden liegt vor, wenn bei einem Schadenereignis damit zu rechnen ist, dass:

2

4

a.

die für die Deckung der Schäden zur Verfügung stehenden Mittel der haftpflichtigen und der deckungspflichtigen Personen zur Befriedigung aller Ansprüche nicht ausreichen; oder

b.

wegen der grossen Zahl von Geschädigten das ordentliche Verfahren nicht durchgeführt werden kann.

SR 220

6067

Stauanlagengesetz

Die Bundesversammlung legt in der Entschädigungsordnung die Grundsätze zur gerechten Verteilung aller verfügbaren Mittel zur Befriedigung der Geschädigten fest.

3

4

5

Sie kann in der Entschädigungsordnung: a.

von den Bestimmungen dieses Gesetzes oder von andern schadenersatzrechtlichen Bestimmungen abweichen;

b.

vorsehen, dass der Bund zusätzliche Beiträge an den nicht gedeckten Schaden leistet und deren Zahlung von Leistungen des Kantons abhängig macht, in dem die Stauanlage liegt;

c.

das Verfahren zum Vollzug dieser Ordnung regeln und eine unabhängige Instanz einsetzen, deren Entscheide ans Bundesgericht weitergezogen werden können.

Der Bundesrat trifft vorsorgliche Massnahmen.

Art. 21

Änderung der Leistungspflicht und Umlagebeiträge im Falle eines Grossschadens

Ist wegen eines Grossschadens ein Notstand eingetreten, so ist der Bundesrat ermächtigt, auf dem Gebiet der Privatversicherung, der Sozialversicherung und der öffentlichen Versicherungen Vorschriften zu erlassen über:

1

2

a.

die Änderung der Leistungsflicht der Versicherungseinrichtungen;

b.

die Erhebung von Umlagebeiträgen bei den Versicherungsnehmern;

c.

den Abzug der Umlagebeiträge von den Versicherungsleistungen.

Diese Ermächtigung umfasst nicht die Haftpflichtversicherung.

Art. 22

Kosten für Massnahmen von Behörden

Die Kosten von Massnahmen, welche die zuständigen Behörden zur Abwehr oder Verminderung einer unmittelbar drohenden Gefährdung treffen, können der Betreiberin und der Eigentümerin überbunden werden.

4. Kapitel: Aufsicht und Rechtsschutz Art. 23

Aufsicht

Stauanlagen, die diesem Gesetz nach Artikel 2 unterstellt sind, stehen unter der Aufsicht des Bundes.

1

2

Der Bundesrat bezeichnet die Aufsichtsbehörde.

6068

Stauanlagengesetz

Art. 24

Aufsichtsabgabe

Die Aufsichtsbehörde erhebt zur Deckung der Kosten für ihre Aufsichtstätigkeiten, die nicht durch andere Einnahmen finanziert werden, eine jährliche Aufsichtsabgabe.

1

2

Abgabepflichtig sind: a.

die unabhängigen Stellen im Sinne von Artikel 15 SKG5;

b.

die Betreiberinnen der grossen Stauanlagen.

Die Höhe der Abgabe richtet sich nach dem Durchschnitt der Kosten der letzten fünf Jahre für die Aufsichtstätigkeit nach Absatz 1.

3

4

Sie wird erhoben: a.

von den unabhängigen Stellen: im Verhältnis ihres jährlichen Umsatzes;

b.

von den Betreiberinnen der grossen Stauanlagen: im Verhältnis zum Speicherinhalt ihrer Anlagen.

Der Bundesrat regelt die Einzelheiten und bezeichnet namentlich die anrechenbaren Aufsichtskosten sowie die Anlagen, für deren Betrieb keine Abgaben zu entrichten sind.

5

Art. 25

Rechtsmittel

Gegen Verfügungen, die gestützt auf dieses Gesetz erlassen werden, kann beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde geführt werden.

1

Die Aufsichtsbehörde ist berechtigt, gegen Verfügungen kantonaler Behörden in Anwendung dieses Gesetzes und seiner Ausführungserlasse die Rechtsmittel des eidgenössischen und des kantonalen Rechts zu ergreifen.

2

Kantonale Instanzen eröffnen ihre anfechtbaren Verfügungen sofort und unentgeltlich der Aufsichtsbehörde.

3

5. Kapitel: Strafbestimmungen und Datenbearbeitung Art. 26 1

2

Verletzung von Sicherheitsvorschriften

Mit Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren wird bestraft, wer: a.

vorsätzlich eine Stauanlage fehlerhaft, insbesondere unter Ausserachtlassung vorgeschriebener Sicherheitsmassnahmen, erstellt;

b.

eine Stauanlage, von der er weiss, dass sie erhebliche Sicherheitsmängel aufweist, weiter betreibt.

Die Freiheitsstrafe ist mit einer Geldstrafe zu verbinden.

Wer fahrlässig handelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

3

5

SR ... ; AS ... (BBl 2006 6001)

6069

Stauanlagengesetz

Art. 27 1

Strafverfolgung

Die Strafverfolgung ist Sache des Bundes.

2 Das Bundesgesetz vom 22. März 19746 über das Verwaltungsstrafrecht findet Anwendung.

3

Der Bundesrat bezeichnet die verfolgende und urteilende Verwaltungsbehörde.

Art. 28

Bearbeitung von Personendaten

Die mit dem Vollzug betrauten Stellen bearbeiten die für die Anwendung dieses Gesetzes erforderlichen Personendaten einschliesslich der Daten über strafrechtliche Verfolgungen und Sanktionen.

1

Sie können diese Daten elektronisch aufbewahren. Sie können sie untereinander austauschen, soweit dies für den einheitlichen Vollzug dieses Gesetzes erforderlich ist.

2

6. Kapitel: Schlussbestimmungen Art. 29

Vollzug

Der Bundesrat erlässt die Ausführungsbestimmungen.

Art. 30

Aufhebung bisherigen Rechts

Das Bundesgesetz vom 22. Juni 18777 über die Wasserbaupolizei wird aufgehoben.

Art. 31

Referendum und Inkrafttreten

1

Dieses Gesetz untersteht dem fakultativen Referendum.

2

Der Bundesrat bestimmt das Inkrafttreten.

6 7

SR 313.0 BS 4 931; AS 1953 950, 1973 1462, 1993 234

6070